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Politik

Steuermann der Allmacht


Die „Kosmonaut Juri Gagarin“ steuerte Satelliten und Raketen der UdSSR.
Ihr Kapitän Grigorjew erlebte Sternstunden der sowjetischen Raumfahrt. Und deren Absturz

Von Rol and Brockmann

G
EORGI FJODOROWITSCH GRI- Ein eigener Kosmos für den Kosmos: schwanden wieder.“ Oft, weiß er noch, flo-
gorjew steht auf dem Balkon 232 Meter lang, 32 Meter breit und mit gen sie sehr tief. „Kein schönes Gefühl.“
seiner Berliner Wohnung und einer Wasserverdrängung von 45 000 Ton- Die Flugzeuge bedrohten das Schiff
schaut streng. So mag er vor Zeiten gestan- nen. Offiziell ein Forschungsschiff, gebaut zwar nie, störten aber die Arbeit. Fühlte
den haben, im Kommandostand seiner 1970, 500 Millionen Dollar teuer. An Bord sich die Mannschaft zu arg belästigt, rich-
Schiffsbrücke – damals, als er noch Kapi- Schwimmbecken, ein Kinosaal, Musik- tete sie die Antennen schon einmal auf die
tän war. Nicht irgendein Kapitän: Georgi salons. „Ich hatte sogar meine eigene Jets. Grigorjew: „Das jagte ihnen Angst
Grigorjew war Befehlshaber eines der ge- Sauna“, erzählt Kapitän Grigorjew. Rund ein.“ Manchmal auch tauchten plötzlich
heimsten Schiffe seines untergegangenen 360 Menschen gehörten zur ständigen westliche Kriegsschiffe auf und beobach-
Reiches. So geheimnisvoll wie die Atom- Besatzung, darunter 50 Frauen. „Sie ver- teten die „Juri Gagarin“. Dann schickte
U-Boote der Sowjetunion, die legendären süßten uns das lange Leben auf See“, Georgi Grigorjew einen Funkspruch nach
Polartaucher. Sein Schiff war die „Kosmo- schwärmt der Kapitän und greift zum Moskau.
naut Juri Gagarin“, und es eroberte die nächsten Stück Kuchen, das Eigengebäck Die Nervosität der Gegenseite scheint
eisigen Tiefen des Universums. seiner Frau Swetlana. Auch sie war stets nicht unberechtigt. Zumindest die Raum-
Es war ein ganz besonderes Raum- dabei, als Bibliothekarin Hüterin Tausen- station „Mir“ war in der Lage, Bewegun-
Schiff: eine schwimmende Leitzentrale, der Bücher. gen der Nato zu beobachten und weiterzu-
die vom Nordatlantik aus die Satelliten Im Januar 1980 hatte der damals 45- geben. Aber fand der große Lauschangriff
und Raumstationen der UdSSR steuerte – jährige Grigorjew das Kommando über- seinerzeit wirklich statt? Langsam stellt
denn von dort ließen sich die im Orbit nommen, er führte es 13 Jahre lang. Aller- Kapitän Grigorjew die Kaffeetasse ab.
kreisenden künstlichen Himmelskörper dings nur auf nautischer Ebene. Offiziell „Das“, sagt er leise, „gehörte zu den über-
am besten kontrollieren. gehörte das Schiff der Akademie der Wis- flüssigen Fragen. Die Kommunikation mit
Vier gewaltige Satellitenschüsseln, bis senschaften der UdSSR, der heiße Draht dem All war nicht mein Bereich.“
zu 25 Meter groß, beherrschten das Ober- ins Weltall war Sache der Wissenschaftler Hin und wieder sah man das allerdings
deck der schwimmenden Erdstation. Ein an Bord. „Aber auch die“, sagt Grigorjew, nicht so streng. Dann durfte auch der Kapi-
ausgeklügeltes Hydrauliksystem sorgte „unterstanden dem obersten Dienstherrn tän zum „Hörer“ greifen und seine ganz
dafür, dass das Schiff trotz Schwenkung des Schiffes, dem Verteidigungsministe- persönlichen Ferngespräche führen. Sein
der riesigen Satellitenschüsseln in stabiler rium.“ Damit das auch niemand vergaß, erstes mit einem Kosmonauten hatte er
Lage blieb. Selbst Kontakte zu den Rich- gehörte zur ständigen Führungsebene ein Mitte der achtziger Jahre. „Ich war natür-
tung Mars oder Venus düsenden Sonden KGB-Mann. lich aufgeregt, als die Verbindung stand,
waren so möglich. Im Notfall hätte die Ob der lediglich der inneren Sicherheit ich glaube, ich stotterte sogar.“ Halb so
„Juri Gagarin“ sogar die Moskauer Flugleit- diente, weiß Grigorjew nicht. Aber er hat schlimm, er kannte den Kosmonauten.
zentrale ersetzen können. so seine Zweifel. Immerhin befand sich die „Guten Tag, hier ist Juri, der Kapitän.
Bis zu zwei Monaten war sie ununter- „Juri Gagarin“ in strategisch günstigen Ge- Sascha, wie geht es dir ?“ Die Antwort:
brochen unterwegs, nicht weit von der wässern, knapp vor der Haustür des Klas- „Alles in Ordnung. Wie war der Fang?“
kanadischen Ostküste, doch stets in inter- senfeindes. Auch den Amerikanern war Damals lag die „Juri Gagarin“ vor Kanada
nationalen Hoheitsgewässern. Lief sie der nahe Gegner nicht geheuer. „Manch- in flachen Gewässern – eine gute Gelegen-
einen Hafen an, dann nur, um Treibstoff mal“, erinnert sich Grigorjew, „kamen heit für die Besatzung, die Freizeit beim
und Lebensmittel zu bunkern. Militärjets, kreisten über uns und ver- Angeln zu verbringen – beobachtet von

Sternstunden. Ein Plakat erinnert an den


Namenspaten des Schiffes, Juri Gagarin,
und an die Sojus-Apollo-Mission. Ohne
die Hilfe des Satellitenschiffs wäre die
amerikanisch-sowjetische Begegnung im
All nicht möglich gewesen

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der kosmischen Crew. Sie überflog das die Konsolen und die riesigen Satelliten- Im Sommer 1996 lief die „Kosmonaut
Schiff bei Tag, aus mehr als 200 Kilometer antennen. Juri Gagarin“, die ein Universum beherr-
Höhe und mit Spezialkameras konnte sie Vielleicht, sinniert der Ex-Kapitän, schen wollte, zu ihrer letzten Fahrt aus.
alles genau sehen. Die Seemänner erkann- waren auch Spione darunter, doch was Am Heck die Flagge der Bahamas, des
ten die Raumstation lediglich nach Son- gab es schon zu verheimlichen? Der neuen Eigners. Ein schwimmender
nenuntergang. Dann war es über dem Westen verfügte über moderne landge- Schrotthaufen nurmehr. Zerbrochenes
Atlantik dunkel, doch die von der Sonne stützte Basen, was sollte er mit veraltetem Glas knirschte unter den Füßen der letzten
angestrahlte „Mir“ leuchtete weithin. Seegerät, deren Betreiber zudem den eige- Besucher, Drähte hingen wirr aus demo-
nen Fähigkeiten nicht mehr trauten? Denn lierten Schaltkästen, vernagelt der Eingang

E
s war wiederum Mitte der Achtzi- längst nutzte die „Kosmonaut Juri Gaga- zur Bibliothek. Als man die Balken ent-
ger, als ein neuer Stern erstrahlte, rin“ zur eigenen Navigation amerikani- fernte, zeigte sich, dass der Bestand nahe-
dieses Mal am politischen Himmel: sche Satelliten, das Global Positioning zu erhalten war: Tschechow, Dostojewski,
Mit Michail Gorbatschow schmolz das Eis System, kurz GPS. Hemingway, Wells. Auf dem Boden lag
des Kalten Krieges, und auch die „Juri Es war 1991, als auch dem Kapitän das eine Novelle über den ersten Kosmonau-
Gagarin“ merkte es bald. „Wir lagen vor Ende klar wurde. Zwar schwebte noch ten, Juri Gagarin – gewidmet dem Kom-
der westafrikanischen Küste“, erinnert immer die „Mir“ im All, halfen die Satelli- mandanten des Schiffes, Georgi Fjodoro-
sich ihr einstiger Kapitän, „wir hatten tenschüsseln des Schiffes, sie auf Position witsch Grigorjew.
gerade die Bremseinrichtung eines Flug- zu halten. Doch die „Juri Gagarin“ selbst – Längst war jener abgestiegen, hatte
körpers im All eingeschaltet.“ Da klingelte es war, als streiche sie führerlos durch die angeheuert auf Kreuzfahrtschiffen, landete
das Bordtelefon: „Kommen Sie zu uns“, lud Wellen. Gorbatschow wurde entmachtet, schließlich, nach seiner Pensionierung,
ein amerikanischer Kapitän den Ukrainer die Sowjetunion zerfiel, von Moskau kam in Berlin. Dort erfuhr er vom Ende des
ein, „Ihre Mission ist ja jetzt beendet.“ Gri- kein Geld mehr. Schiffes: im Abwrackhafen des indischen
gorjew lehnte höflich ab. Auch die jetzt unabhängige Ukraine, Alanda. 170 Dollar soll die Tonne Stahl
Mission beendet – heute scheinen die zu deren Schwarzmeerflotte das Schiff gebracht haben.
Worte prophetisch für das Schicksal des zählte, konnte letztlich nicht mehr bieten Am Ende ist alles verglüht: das Schiff
Schiffes. Die Öffnung des Eisernen Vor- als ihren Hafen Odessa. Jahrelang düm- in den Hochöfen, die „Mir“ im All, selbst
hangs besiegelte das Ende der legendären pelte sie am Pier, die Mannschaft tauschte die Bibliothek.
„Kosmonaut Juri Gagarin“. Apparate gegen Lebensmittel, die Offi- „Stellen Sie sich vor“, sagt der Kapitän,
Dabei begann dieses Ende viel verspre- ziere der ukrainischen Luftverteidigung noch immer fassungslos, „die Inder haben
chend. 1988 durfte die „Juri Gagarin“ zum bauten nützliche Teile aus. auch die Bücher verbrannt.“ 
ersten Mal Istanbul anlaufen. Die Besat- Das Schiff wurde ein Fraß der Zeit, ein
zung flanierte durch die Stadt, Einwohner Fraß der Verhältnisse. Bald flogen die Roland Brockmann, 41, traf Grigorjew in Berlin. Von
und Touristen besichtigten das Schiff. Das künstlichen Trabanten der früheren So- der ruhmreichen Zeit blieben dem Kapitän nicht mehr
technische Gerät allerdings war ausge- wjetunion in Kooperation mit dem Wes- als ein paar Orden und ein Fotoalbum, aus dessen
schaltet, den Besuchern blieb der Blick auf ten. Der Kosmos war übergelaufen. Inhalt mare die Bilder zu diesem Beitrag entnahm.

Bordmusik. Das schiffseigene „Folkloristische


Ensemble“ verbreitete fern von zu Hause
heimatliche Gefühle – besonders wichtig vor
feindlichen Gestaden. Kapitän Grigorjew
(Zweiter von links) brillierte mit seinem Bariton

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