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Tagesspiegel 09.04.

2011 16:05 Uhr

Isabel Herzfeld

Liebe ist reine Torheit


Marek Janowskis „Parsifal“ in der Philharmonie

„Das Wesentliche ist die Musik“ – worauf könnte das Motto des Rundfunk-
Sinfonieorchesters Berlin besser zutreffen als auf Marek Janowskis konzertanten
Wagner- Zyklus? Beim „Parsifal“ zumal sind die Widersprüche eines Librettos
gemildert, das allzu häufig entweder die Sänger auf der Bühne herumstehen ließ
oder zu den wildesten Bildphantasien von Syberberg bis Schlingensief Anlass gab.
In der vom Schlussbeifall erzitternden Philharmonie gilt alle Aufmerksamkeit den
kunstreichen Klängen, die sonst oft zur Staffage herabgewürdigt, zumindest im
Orchestergraben nicht voll wahrnehmbar sind.

Mit dem blendend aufgelegten RSB, dem zuverlässig von Simon Halsey
instruierten Rundfunkchor und vortrefflichen Solisten entfaltet Janowski
narkotisierende Wirkung: Ein magischer Moment, wenn sich der ersten zarten
Streicherlinie betörende Holzbläserklänge beimischen.

Und diese Delikatesse, welche die Sänger auf Händen trägt, bleibt auch in
wildesten Stimmverwicklungen und Kraftaufschwüngen erhalten. Hellstimmig
tönt der Chor, als seien’s Schumanns „Faust“-Szenen.

Ein wenig weihevoll-zäh vielleicht das Grundtempo des ersten Akts, das die
Gurnemanz-Erzählung (mit einschmeichelnd weichen Basstönen: Franz-Josef
Selig) über Gebühr verbreitert. Übertrieben auch das häufige Einspielen von
Kirchenglocken, die zwar den Intervallen des „Glaubensmotivs“ entsprechen, aber
doch leicht penetrant auf den Sieg des Glaubens einschwören. Amfortas, den
Evgeny Nikitin mit der Hand auf dem Herzen sehr russisch gibt, kann mit seinen
Schmerzen vorerst wenig überzeugen.

So fesselt und berührt am stärksten der zweite Akt, in dem zwar um


glaubensfördernde Keuschheit gerungen, aber eben auch ganz unsakral geliebt
und gelitten wird: Tief aus dem Körper holt Michelle deYoung als Kundry nicht
nur ihre „Urschreie“, sondern auch die intensiven Facetten einer kraftvoll klaren
Stimme. Diese Figur ist in ihren Verstrickungen nachvollziehbar. Parsifal hat in
Christian Elsner seinen Trauminterpreten gefunden, glasklar in der Artikulation,
mit dem überwältigenden Nuancenreichtum seines biegsamen lyrischen Tenors.
In Klingsors Zauberschloss (Eike Wilm Schulte gibt ihn schneidend als Alberichs
Bruder) entzücken die Blumenmädchen mit schwebenden Sopranen.

„Hört und urteilt selbst“, scheint die Musik dem Hörer zuzurufen. Doch suggeriert
ihre „reine Schönheit“, als ginge im „Parsifal“ alles mit rechten Dingen zu. Allzu
leicht erliegt man einem Karfreitagszauber, dessen fundamentalistische
Dimension hier ausgeblendet wird – oder man verweigert sich der Langeweile des
diatonischen Paradieses, um sich mit Lust in den chromatischen Sündenpfuhl zu
stürzen. Isabel Herzfeld

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