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ÜR
REZEPTE F
ERE
EINE BESS
UNG
TIERHALT
IMPRESSUM
Der FLEISCHATLAS 2018 ist ein Kooperationsprojekt von
Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
und Le Monde Diplomatique.
Inhaltliche Leitung:
Christine Chemnitz, Heinrich-Böll-Stiftung (Projektleitung)
Christian Rehmer, Katrin Wenz, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Die Beiträge geben nicht notwendig die Ansicht aller beteiligten Partnerorganisationen wieder.
2018
INHALT
02 IMPRESSUM 18 SCHLACHTABSCHNITTE
VON KOPF BIS SCHWANZ
06 VORWORT Wer möglichst viele Teile eines Tieres in
Speisen verwandeln will, ist in Hofschlachtereien
richtig – und bei Spitzenköchinnen und -köchen.
Sie sagen: Wer Innereien, Knochen und Knorpel
verachtet, wird auch Fleisch nicht schätzen.
20 FLÄCHENBINDUNG
GRENZEN FÜR NUTZTIERE
Ein Konzept gegen die Übernutzung der
Natur, die „flächengebundene Tierhaltung“,
08 ZWÖLF KURZE LEKTIONEN legt für eine bestimmte Fläche fest, wie viele
ÜBER FLEISCH UND DIE WELT Tiere pro Hektar sie höchstens verträgt.
10 GRENZEN 22 KOMBIHALTUNG
ENDLICHKEIT DER LANDWIRTSCHAFT MEHR ALS EIN EINKOMMEN
Die wachsende Produktion von Fleisch und Bäuerliche Betriebe experimentieren
Milch hat fatale Folgen. Sie kollidiert mit fantasievoll mit neuen Formen der Nutzung:
der Bekämpfung von Hunger und Armut. Tiere weiden auf Obstwiesen, in Wäldern
Und sie erschwert Klima- und Artenschutz. und zwischen technischen Anlagen.
12 INSTRUMENTE 24 TIERWOHL
MARKETING FÜR GUTE ERNÄHRUNG SCHMERZ UND LEID IM STALL
Um weniger Fleisch zu essen, brauchen Es gibt viele Ideen, was zu einer
die Konsumentinnen und Konsumenten „tierwohlgerechten“ Haltung nötig ist.
Anreize und Unterstützung – auch Sie kann Erkrankungen und
eine Aufgabe der Kantine von morgen. Verletzungen im Stall vermeiden und die
Gesundheit der Herden verbessern.
14 LABEL
SUCHE NACH DER HALTUNGSNOTE 26 NITRATE
Viele wollen wissen, unter welchen WAS NICHT GEBRAUCHT WIRD,
Umständen das Tier gelebt hat, dessen KOMMT INS GRUNDWASSER
Fleisch sie kaufen. Aber noch fehlt Mit zahlreichen Ideen wollen EU-Länder die
eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht. Stickstoffbelastung ihrer Böden senken.
Ein Weg dorthin führt über die stete Kontrolle
16 FISKUS der Tierhalterinnen und Tierhalter.
REGULIEREN DURCH KASSIEREN
Fleisch und Wurst zu produzieren belastet 28 LANDNUTZUNG
Umwelt und Klima. Wie hoch sind die DAS FLEISCH UND SEINE FLÄCHEN
tatsächlichen Kosten dieser Produkte? Der steigende Bedarf an Nahrungsmitteln
Welche Anreize könnten die Schäden führt zu einer Expansion des Agrarlandes. Das
verringern? Abgaben, Steuern, Zölle – wäre unötig, wenn der Verzehr von Fleisch
der ideale Weg ist noch nicht gefunden. sinken würde – und damit der Tierbestand.
4 FLEISCHATLAS 2018
30 ZUCHT 40 KLIMA
GESUCHT: ZWEINUTZUNGSTIERE VIEL WENIGER EMISSIONEN
Männliche Geschwister von Hochleistungs- NUR MIT VIEL WENIGER TIEREN
Legehennen werden umgehend getötet, Die Klimapolitik kann zu einer besseren
die der -Milchkühe oft vernachlässigt. Tierhaltung in Deutschland beitragen.
Die ökologische Tierzucht will das ändern Umgekehrt kann die Landwirtschaft auch
und beide Geschlechter nutzen. den Klimaschutz fördern.
32 ANTIBIOTIKA 42 GENTECHNIK
WENN DAS VIEH DIE GESUNDHEIT DNA-SCHEREN AN DER ARBEIT
DER MENSCHEN BEDROHT Rund um die Welt arbeiten Firmen daran,
Bakterien, die durch die Tierhaltung das Erbmaterial von Nutztieren zu verändern.
gegen Antibiotika resistent wurden, Oft machen ihnen Risiken und Wechsel-
bedrohen Millionen Menschen. Vielerlei wirkungen einen Strich durch die Rechnung.
Maßnahmen können dazu beitragen,
die Gefahr zu verringern. 44 INSEKTEN
ALTE UND NEUE NÜTZLINGE
34 VERMARKTUNG Mit Eifer propagiert, aus Ekel verweigert –
ALTE RASSEN UND NEUE TECHNIK wo Insekten nicht traditionell verzehrt
Für kleinere Hersteller von Biofleisch werden, verbreiten sie sich als neues
gibt es viele neue Möglichkeiten, Nahrungsmittel für Mensch und Tier nur
ihre Produkte abzusetzen. Zu den langsam. Dabei sind die ökologischen
Hofläden kommen Webshops und Vorteile enorm.
Onlineplattformen. Die Produkte
müssen interessant, transparent und 46 LABORFLEISCH
am besten aus der Nähe sein. BIOLOGEN ZEIGEN IHRE MUSKELN
Mit In-vitro-Fleisch wollen Biotechnologen
36 EINZELHANDEL das Bedürfnis der Welt nach immer mehr
TIERHALTUNG – EIN THEMA tierischem Protein stillen. Während die
FÜR DEN SUPERMARKT Kosten sinken, steigen die Kenntnisse über
Mit Information, Preissetzung und den Aufwand und die Risiken der Produktion.
Einkaufspolitik können die großen
Filialhändler für artgerechtere
Haltung bei ihren Lieferanten sorgen.
Aber oft dienen die Schritte eher
der eigenen Profilierung.
38 EU-AGRARPOLITIK
IDEEN FÜR DAS GELD AUS BRÜSSEL
Auch mit den derzeitigen EU-Mitteln könnte 48 AUTORINNEN UND AUTOREN,
der Umbau der Tierhaltung beginnen: QUELLEN VON DATEN, KARTEN
bessere Ställe, eine andere Haltung und UND GRAFIKEN
schonende Nutzung der Acker-
und Grünflächen – die Gelder sind da. 50 ÜBER UNS
FLEISCHATLAS 2018 5
VORWORT
W
er hätte gedacht, dass
gleichzeitig so viel und doch so
wenig passieren kann: Etliches
„ Mittlerweile werden
überall in der Gesellschaft
die verschiedensten Aspekte
hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung der Fleischproduktion diskutiert.
der industriellen Fleischproduktion in
Deutschland verändert. Noch im
Januar 2013, als wir den ersten Fleischatlas
veröffentlicht hatten, zeigten
die Reaktionen, wie wenig die meisten D ie ersten drei Fleischatlanten aus den
Konsumentinnen und Konsumenten vergangenen Jahren sind auf ein
davon wussten, unter welch schlechten großes öffentliches Interesse gestoßen.
Bedingungen die Tiere gehalten In insgesamt sieben Sprachen haben
werden, und wie weitreichend die wir mehr als eine halbe Million
negativen ökologischen und sozialen Exemplare verbreitet. Die Atlanten
Auswirkungen der industriellen erscheinen im Vorfeld der Demonstration
Fleischproduktion sind. Die schiere Zahl „Wir haben es satt“, bei der alljährlich
der Tiere, die in Deutschland Zehntausende Menschen in Berlin
geschlachtet und gegessen werden, hat auf die Straße gehen, um für eine
Entsetzen und ein riesiges Medienecho gerechte und nachhaltige Agrarpolitik
hervorgerufen. zu demonstrieren.
D
Mittlerweile werden überall in der em steht eine handlungs-
Gesellschaft die verschiedensten Aspekte unwillige Politik gegenüber.
der Fleischproduktion diskutiert. Abgesehen von Ankündigungen,
Lehrerinnen und Lehrer greifen das Thema runden Tischen und Konzepten ist auf
im Unterricht auf. Wissenschaftlerinnen Bundesebene kaum eine politische
und Wissenschaftler beschäftigen sich Veränderung eingetreten. Vom bisherigen
mit den Folgen der industriellen Modell der Fleischproduktion, das
Tierproduktion und den Voraussetzungen auf unterschiedlichste Weise immense
ihrer Umgestaltung. 2016 zeigte eine Kosten und Schäden verursacht, profitieren
Umfrage des Bundeslandwirtschafts- einige wenige Großunternehmen.
ministeriums, dass inzwischen 88 Prozent Kleine und mittlere bäuerliche Betriebe
der deutschen Bevölkerung bereit haben das Nachsehen – nicht nur
sind, mehr Geld für Fleisch auszugeben, hier in unserer Nachbarschaft, sondern
wenn die Tiere besser gehalten werden. auch global.
6 FLEISCHATLAS 2018
Immer mehr Menschen lehnen das
ab. Wandel ist nie einfach – aber die Dinge
müssen nicht so bleiben, wie sie sind.
„ Es bedarf politischen
Mutes, sich mit denjenigen
anzulegen, die am heutigen
Vor allem nicht, wenn sie so offensichtlich Produktionsmodell verdienen.
falsch laufen wie im Fleischsektor und
es so viel öffentliche Unterstützung
für eine grundlegende Veränderung gibt.
M
it diesem neuen Atlas möchten Den Umbau der Tierhaltung gibt es
wir zeigen, dass es viele politische nicht umsonst. Im Atlas erklären wir daher
Instrumente gibt, die zu einem auch einige Finanzierungsmodelle. Es
vernünftigen und grundlegenden bedarf zudem der Aufklärung, vieler
Umbau der Tierhaltung führen können. Kampagnen und vor allem politischen
Auf Bundes- und EU-Ebene müssen Mutes, sich mit denjenigen anzulegen,
dafür die politischen Weichen gestellt die – auf Kosten von Mensch, Tier und
werden. Uns ist bewusst, dass es nicht das Natur – am heutigen Produktionsmodell
eine, einzelne, wirkungsvolle Instrument verdienen. Aber welche politischen
gibt. Es muss und wird immer ein Kanon Instrumente auch immer für den Wandel
sein, der sich an die Konsumentinnen eingesetzt werden: Eine nachhaltige
und Konsumenten, an den Handel und an Fleischproduktion gibt es nur, wenn sich
die Produzenten und Produzentinnen der Konsum verringert, hier in
wendet. Ebenso ist uns bewusst, dass wir Deutschland und auch in vielen anderen
in diesem Atlas nicht umfassend und Ländern auf der Welt.
erschöpfend alle Instrumente dargestellt
haben, die beim Umbau eine Rolle spielen
könnten. Wir haben die Auswahl so
getroffen, dass auf jeder Ebene der
Wertschöpfungskette ein oder zwei
Beispiele beschrieben werden. Es sind nicht Barbara Unmüßig
nur politische Instrumente dargestellt, Heinrich-Böll-Stiftung
die wir als Organisationen unterstützen,
Hubert Weiger
sondern auch diejenigen, die in der
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Öffentlichkeit diskutiert werden, selbst
wenn wir von ihrer Wirksamkeit nicht so Barbara Bauer
überzeugt sind. Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe
FLEISCHATLAS 2018 7
12 KURZE LEKTIONEN
8 FLEISCHATLAS 2018
7 Das GRUNDWASSER kann vor den Nitraten aus der Tierhaltung
geschützt werden, indem die Zahl der Tiere pro Fläche
begrenzt und ein STRENGERES DÜNGERECHT eingeführt wird.
10 Das INTERNET kann für kleine und mittlere Betriebe ein lukrativer
Marktplatz sein. Sie KOMMUNIZIEREN intensiv mit ihrer
Kundschaft – das unterscheidet sie von den Massenanbietern.
FLEISCHATLAS 2018 9
GRENZEN
D
ie Weltbevölkerung hat sich in den vergangenen völkerung und Wasserknappheit. Mehr noch: Prognosen
50 Jahren verdoppelt und die globale Fleischproduk- über die Auswirkungen des Klimawandels sagen Ernteaus-
tion mehr als verdreifacht. Bis 2050 wird sie noch fälle und weniger Produktivität nicht nur für Asien und Afri-
einmal um 85 Prozent wachsen, erwartet die Ernährungs- ka, sondern auch für den „Corn Belt“ der USA und weite Teile
und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen Europas vorher. Hinzu kommt, dass beim Sojaanbau die Un-
(FAO) – wenn politisch kein neuer Kurs angesteuert wird. kräuter nach Jahrzehnten der Unkrautbekämpfung mit Gly-
Die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen phosat Resistenzen gegen die Spritzmittel entwickeln.
der industriellen Fleischproduktion sind bekannt und wis- So bleibt nur die Ausweitung der Fläche mit gravieren-
senschaftlich belegt. Fortschreibungen bis 2030 und 2050 den Folgen. Wenn Wälder und Grasland, eigentlich Hot-
zeigen, dass unter diesen Bedingungen die wichtigsten spots der Biodiversität, zu Monokulturen werden, weicht
globalen Entwicklungsziele nicht zu erreichen sind: die der im Boden gespeicherte Kohlenstoff als CO2 in die Atmo-
Abschaffung von absoluter Armut und Hunger, eine bes- sphäre und die Biodiversität nimmt ab durch den massiven
sere Gesundheitsversorgung, der Schutz der Meere, die Einsatz von Dünger und Pestiziden. In einem 2017 veröf-
nachhaltige Nutzung der Böden, aber auch die Einhaltung fentlichten Bericht macht das UN-Umweltprogramm UNEP
der vereinbarten Ziele für den Klimaschutz und die Biodi- die Ernährungssysteme für mehr als sechzig Prozent des
versität. Biodiversitätsverlustes weltweit verantwortlich. Vorn dabei:
Für kein anderes Konsumgut der Welt wird so viel Land die Fleisch- und Futtermittelproduktion.
benötigt wie für die Herstellung von Fleisch und Milch. Ob- Ähnlich sieht es mit der Erderwärmung aus. Die Bedeu-
wohl nur 17 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit tung der Fleischproduktion ist in der Öffentlichkeit kaum
von Tieren stammt, benötigen sie 77 Prozent des globalen bekannt. Sie spielt auch bei den politischen Bemühungen
Agrarlands. Knapp zwei Drittel davon sind Weiden, die um die Einhaltung des Klimaabkommens kaum eine Rolle.
durch die Tiere effizient genutzt werden. Doch das restliche Dabei emittieren die fünf weltgrößten Fleisch- und Milch-
Drittel ist Ackerland, das durch den Anbau von Feldfrüchten konzerne mehr klimaschädliche Gase als der Ölriese Exxon.
viel besser zur globalen Ernährung beitragen könnte. Das liegt nicht allein am Methanausstoß verdauender Kühe,
Jedes Jahr wird die Ackerfläche für den Futtermittelan-
bau größer. Für Soja lag sie 1997 bei 67 Millionen Hektar,
inzwischen sind es 120 Millionen. Wenn der Konsum auf Wird die Belastungsgrenze eines Ökosystems
jährlich mehr als 600 Millionen Tonnen Fleisch steigt, hängt überschritten, drohen plötzliche
es vom Ertragszuwachs pro Hektar ab, wie stark die Futter- und irreversible Umweltveränderungen
Stickstoff- und
FLEISCHATLAS 2018 / STOCKHOLM RESILIENCE CENTER
Phosphorkreislauf
Klimawandel
Versauerung
hohes Risiko der Ozeane
zunehmendes Risiko
sicher Aerosole in Verschmutzung
der Atmosphäre durch Chemikalien
unerforscht Ozonloch
10 FLEISCHATLAS 2018
EIN WELTACKER VON 2.000 QUADRATMETERN
Globaler Anbau von Nutzpflanzen auf Äckern und in Dauerkulturen, Fläche pro Kopf der Weltbevölkerung, 2014, Auswahl
Meter 0 5 10 15 20 25 30 35 40
50 50
Oliven
Ölsaaten 436,4 m2
Sonnen-
45 Sojabohnen Raps Baumwolle Erdnüsse blumen 45
andere
169,89 m
2
52,20 m 2
50,22 m2 38,36 m2 36,43 m2
40 40
Genussmittel 42,0 m2
Hülsenfrüchte 123,1 m2
Speiseerbsen Gartenbohnen Zuckerrüben
35 Nüsse3518,9 m2
Tee
Obst 91,2 m 2
Zucker 45,9 m2
Kirschen Birnen Gummi 16,0 m2
30
Gemüse 81,9 m2 30
Tomaten Auberginen
Gewürze 8,6 m2
Wurzeln 89,4 m2
Kartoffeln Yams Zuckerrohr Hopfen
Fasern 4,0 m2
25 25
15 15
5 5
andere
Hafer
0 0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 Meter
FLEISCHATLAS 2018 11
INSTRUMENTE
G
ewichtige Gründe sprechen dafür, weniger tierische Verbraucher und Verbraucherinnen ist der deutliche Zu-
Produkte zu konsumieren: umwelt-, klima- und tier- sammenhang zwischen dem Konsum tierischer Erzeugnisse
schutzpolitische. In Deutschland stieg der Fleisch- und dem Klimaschutz bisher nicht bewusst. Gefragt nach
konsum pro Kopf von 1950 bis in die 1980er-Jahre stark an, Maßnahmen zum Klimaschutz bei der eigenen Ernährung,
ging in der Zeit des Rinderwahnsinns und der ersten gro- nennen nur 36,4 Prozent eine Verminderung des Fleisch-
ßen Fleischskandale von Mitte der 1990er- bis Anfang der konsums. Wichtig sind bei dem komplexen Thema Informa-
2000er-Jahre etwas zurück und sinkt seit 2011 erneut. Der tionskampagnen, die Tier-, Umwelt- und Gesundheitsziele
Anteil der Vegetarier und Vegetarierinnen hat sich in den gleichermaßen adressieren.
vergangenen zehn Jahren auf über vier Prozent verdoppelt. Tierschutzlabel, eine Ampelkennzeichnung für den
Rund zwölf Prozent bemühen sich, als Flexitarierinnen und Gesundheitswert und CO2-Footprint-Label würden den
Flexitarier ihren Konsum zu reduzieren. nachhaltigen Einkauf erleichtern. Als „Anstupser“ könn-
Dennoch ist der Pro-Kopf-Verzehr im gleichen Zeitraum ten Schul- und Unimensen sowie Kantinen vegetarische
kaum gesunken. Offensichtlich hat also ein anderer Teil der Angebote besser platzieren und bewerben. Dazu gehören
Bevölkerung den Fleischkonsum parallel erhöht. So gibt es auch kleinere Fleischportionen mit der Möglichkeit, einen
eine Gruppe von rund fünf Prozent Vielfleischessern unter kostenlosen Nachschlag zu erhalten. Solches „Nudging“,
den Männern, die fast dreimal so viel Fleisch verzehren wie wie die Methode in der Verhaltensforschung heißt, kann
die Durchschnittsdeutschen. Sie folgen Trends und Moden die Speisen fleischärmer machen und langsam alte Ernäh-
wie Wintergrillen, „Paleo-Diät“, Protein-Drinks und Body- rungsgewohnheiten ändern.
builder-Ernährung. Subventionen für gesunde, fleischfreie Alternativen wie
Eine Politik, die den Fleischkonsum verringern möchte, Obst und Gemüse würden zwar zu einer besseren Ernäh-
kann verschiedene Instrumente nutzen, die unterschiedlich
stark in das Verhalten der Verbraucher und Verbraucherin-
nen und in den Markt eingreifen. Sehr niedrigschwellig sind Ernährungsbewusst wollen viele sein. Es fällt
Bildungs- und Informationskampagnen. Gestützt auf Emp- viel leichter, wenn die Mahlzeiten an
fehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) der Speisetheke entsprechend präsentiert werden
ANSTUPSER AM MITTAG
Beispiele für eine auf geringeren Fleischverbrauch ausgerichtete Kantine
Infos über
Produkte und
geschultes die Kantine
Personal DANKE
MORGEN BIRNEN
VEGGIEDAY HEUTE
GRATIS
FLEISCHATLAS 2018 / SPILLER ET AL.
kleine
günstige freundliche Fleisch- Fleischportionen
Platzierung Gestaltung speisen nicht mit Gratis-
gesundheits- dominant Nachschlag
fördernder
Speisen
12 FLEISCHATLAS 2018
Der Markt bietet
ERNÄHRUNGSPOLITISCHE LEITER
Anreize für mehr Fleisch
Stufen möglicher staatlicher Eingriffe zur Senkung des Fleischverbrauchs, Schema
verzehr – der Staat sollte
Maß Mittel Beispiele Anreize für mehr
Verbote Werbung für XXL-Portionen untersagen Fleischverzicht geben
beschränkte
Entscheidung
neue Standards Fleischanteil in Mensen und Kantinen begrenzen
gelenkte
positive Anreize billigeres Obst und Gemüse, um Konsum zu steigern
Entscheidung
unterstützte
informierte Auswahl bessere Verbraucherbildung und -aufklärung
Entscheidung
rung in prekären Haushalten und von Kindern beitragen; Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölke-
doch Studien zeigen, dass die Subventionen relativ hoch rung solchen Schritten zustimmen würde. Später wäre der
sein müssen, damit sie wirken. Sie werden also teuer. Eine Wandel durch einen Mix von Subventionen und Steuern zu
Steuer auf Fleisch hingegen bringt dem Staat Geld. Mo- forcieren. Die bisherigen Versuche, Veggiedays einzufüh-
dellrechnungen zufolge würden Fleischkonsumenten und ren oder gar eine zusätzliche Besteuerung von Fleisch zu
-konsumentinnen auf eine Preiserhöhung um 1 Prozent mit diskutieren, haben zu viele Stufen übersprungen und ent-
0,37 Prozent weniger Verzehr reagieren. Würde also der re- sprechenden Widerstand hervorgerufen. Die Politik muss
duzierte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent wegfallen und jetzt den Mut finden, nachvollziehbare Strategien zu entwi-
für Fleisch der Normalsatz von 19 Prozent gelten, sänke der ckeln, anstatt sich – wie derzeit – auf die Freiwilligkeit der
Konsum rechnerisch um 4,4 Prozent. Konsumenten und Konsumentinnen zu verlassen.
Während solche Erlöse in der allgemeinen Staatsfinan-
zierung untergingen, wäre das mit einer gezielten finanzi-
ellen Belastung des Fleischverbrauchs anders. Sie müsste
FLEISCHATLAS 2018 / AMI
ETWAS WENIGER IST NICHT GENUG
gut begründet und gleichzeitig gezeigt werden, wofür die
Entwicklung des Fleischverzehrs in Deutschland
Einnahmen verwendet werden. „Tierschutzabgabe“ wirkt in Kilogramm/Jahr, 2016 vorläufig
positiver als „Fleischsteuer“. Die größte Herausforderung ei-
nes solchen Preiszuschlags ist aber zu verhindern, dass – wie 65 gesamt
61,5 62,8
bei der Mehrwertsteuererhöhung – ärmere Bevölkerungs- 60,6
60
schichten mit ohnehin ungesunden Ernährungsmustern
59,6 59,0
auf billigeres und fetteres Fleisch ausweichen. 55
Auch Gebote und Verbote greifen stark in den Markt
50
ein. Überraschenderweise zeigen aber Studien, dass Verbo-
te teilweise eher akzeptiert werden als neue Steuern. Dazu 45
gehört eine Obergrenze für den Fleischanteil in Kitas, Kanti- Schweinefleisch
40
nen und Krankenhäusern. Verboten werden könnten „XXL-
Schnitzel“ in Restaurants. Solche XXL-Portionen sind größer, 35
5 sonstiges Fleisch
Nach der Erholung von den großen Fleischskandalen 0
nimmt der deutsche Fleischverbrauch seit 2011 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
FLEISCHATLAS 2018 13
LABEL
D
ie Politik ist noch nicht so weit, wie es die Konsumen- ben sind Tageslicht für die Tiere sowie die Teilnahme der
tinnen und Konsumenten bereits sind. Viele essen we- Bestände an einem privatwirtschaftlich geführten Antibio-
niger Fleisch, und 88 Prozent der Deutschen würden tika-Monitoring. Mit dem Programm 2018 – 2020 kommen
auch mehr Geld für Fleisch ausgeben, wenn dies die Umwelt „10 Prozent mehr Platz“ und „zusätzliches organisches Be-
schont und es den Nutztieren wie Schweinen und Hühnern schäftigungsmaterial“ hinzu.
besser gehen würde. Eine repräsentative Umfrage des Bun- Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt kün-
des für Umwelt und Naturschutz (BUND) ergab zudem, dass digte im Januar 2017 ein eigenes Tierwohllabel mit zwei Stu-
mehr als zwei Drittel der Befragten strengere Vorschriften fen an. Die Kriterien der Eingangsstufe sind – abgesehen von
zur artgerechteren Haltung von Nutztieren wünschen. Vier etwas mehr Platz – kaum höher als beim gesetzlichen Stan-
von fünf Befragten bejahen eine gesetzliche Kennzeich- dard. Die Premiumstufe erfordert für Schweine einen Qua-
nungspflicht für alle tierischen Lebensmittel, aus der die dratmeter Platz, Auslauffläche und Beschäftigungsmaterial
Form der Haltung hervorgeht. und schließt das Kupieren der Schwänze aus. Doch auch hier
Inzwischen sind auch die Anbieter aktiv geworden. Bau- sind die Kriterien zu schwach. Weil das Ministerlabel freiwil-
ern- und Raiffeisenverband, die Fleischwarenindustrie und lig sein soll, wird es nur einen kleinen Anteil der Produktion
die Geflügelwirtschaft sowie eine Reihe weiterer Organi- abdecken.
sationen haben die „Initiative Tierwohl“ (ITW) gegründet. Für Transparenz beim Fleischkauf würde nur eine staat-
Sie werden von allen großen deutschen Supermarktketten liche Kennzeichnung sorgen, die verpflichtend ist. Vorbild
und Discountern unterstützt. Diese führen pro verkauftem Eier: Die vier Stufen von 0 für Ökoerzeugung bis 3 für Käfig-
Kilogramm Fleisch und Wurst vier Cent an einen Fonds ab. haltung haben das Kaufverhalten fundamental beeinflusst.
Bauern und Bäuerinnen können bei diesem Fonds Gelder Es löste Entscheidungen über das Sortiment im Einzelhan-
beantragen, um die Haltung ihrer Tiere umzugestalten.
Für die Jahre 2018 bis 2020 ist eine Erhöhung um mehr als
50 Prozent auf ein Gesamtvolumen von jährlich 130 Millio- Nach großer Dynamik in den ersten Jahren
nen Euro vorgesehen. Die Reichweite der Initiative soll von verringert sich in der EU die Haltung von
jetzt 12 Prozent der in Deutschland gehaltenen Schweine Legehennen in Gruppenkäfigen nicht mehr
45,5
Frankreich 46,8
19,4
Spanien 41,3
0,2 Italien 48,2
2012: EU-weites Verbot konventioneller Käfige, bis 2009 gemeinsam mit ausgestalteten Käfigen (engen Kleinvolieren) erfasst *ausgestaltete Käfige, bis 2011 auch herkömmliche Käfige
14 FLEISCHATLAS 2018
EIN ENDE DER ZERSPLITTERUNG
Komponenten für ein einheitliches Label zur Haltung von Mastschweinen analog der Kennzeichnung von Eiern,
Auswahl aus den Kriterien von Behörden und Anbauverbänden
Platz
Auslauf
Einstreu
nein ja
selbst
angebautes
Futter
nein ja
Gentechnik-
Soja im Futter
ja nein
Futter in
Bioqualität
FLEISCHATLAS 2018 / BUND
nein ja
FLEISCHATLAS 2018 15
FISKUS
F
ür Verbraucherinnen und Verbraucher ist Fleisch sehr Futtermittel, die nicht in Deutschland angebaut wer-
billig zu bekommen. Der Preis wäre höher, würden die den, wären von dieser Abgabe zunächst nicht betroffen.
Schäden durch die Produktion an Umwelt und Klima Um entsprechende Importe teurer und damit unattrakti-
eingerechnet. Das passiert aber nicht; die Folgen werden ver zu machen, könnte die EU theoretisch einen Einfuhrzoll
der Gesellschaft indirekt angelastet. Solange diese „exter- erheben Der allerdings verstößt gegen heutiges Recht der
nen Kosten“ nicht im Preis enthalten sind, geht jeder Kauf Welthandelsorganisation. Die gesellschaftlichen und öko-
zulasten von Umwelt und Klima. Wie können die tatsäch- logischen Folgen der Futtermittelproduktion verringern
lichen Kosten stärker in den Preis des Endproduktes aufge- sich im Ausland durch die Einführung eines solchen Zolls
nommen werden? Man könnte bei der Herstellung anset- natürlich nicht, wenn der Anbau dort mit diesen Methoden
zen, indem besonders schädliche Produktionsbedingungen weitergeht.
teurer werden. Oder beim Preis des Endproduktes. Sehr zielgenau, aber aufwendig wäre eine Abgabe auf
Viele Ackerflächen werden intensiv gedüngt. Der Ein- alle Stickstoffüberschüsse der einzelnen Höfe. Zur Erhe-
trag von Stickstoff in Böden, Gewässer und Luft ist eines der bung müsste eine Stickstoffbilanz aller 250.000 landwirt-
größten Umweltprobleme. Eine Abgabe auf Stickstoff in schaftlichen Betriebe in Deutschland erstellt werden. Eine
mineralischen Düngemitteln würde diesen Prozess verteu-
ern. Diese Mineraldüngerabgabe wäre vergleichbar mit der
Strom- oder Energiesteuer auf Kraftstoffe. In Form eines fes- Eine Stickstoffbilanz für jeden einzelnen
ten Betrages oder eines Prozentsatzes könnte eine Steuer auf Agrarbetrieb wäre aufwendig. Aber sie
den Verkaufspreis des Düngers erhoben werden. Die Bemes- würde zielgenau zu mehr Sparsamkeit führen
DIE STICKSTOFFÜBERSCHUSS-ABGABE
Schema einer hofgenauen Erfassung; aus Betriebsart, bewirtschafteten Flächen und
Aufnahmefähigkeit der Böden ergibt sich die Bemessungsgrundlage für die Abgabe
KALI SOJA
Zufuhr
Luft
Zufuhr
– Abfuhr
= Überschuss
Boden
Grundwasser
FLEISCHATLAS 2018 / GREENPEACE, FÖS
Abfuhr
pflanzliche Produkte Fleisch und andere tierische Produkte Gülle, Futter, Tiere
16 FLEISCHATLAS 2018
SPÜRBARE FETTSTEUERN GEGEN STARKES ÜBERGEWICHT
Adipöse Menschen in Prozent sowie fiskalische Reaktionen in einzelnen Ländern, ohne Maßnahmen gegen Getränke
bis 16,7
über 16,7 bis 33,3
über 33,3
keine Angaben Japan. Metabo-Gesetz
gegen Übergewicht, seit
2008: Strafen für Arbeit-
geber, wenn sie nicht für
abnehmenden Hüftumfang
der Beschäftigten sorgen
FLEISCHATLAS 2018 17
SCHLACHTABSCHNITTE
U
nter Menschen, die sich bewusst für den Verzehr von Die Wertschätzung für alle anderen Teile des Tieres ließ
Fleisch entscheiden, ist immer öfter von „Nose to Tail“ schnell nach. 1984 aß jeder und jede Westdeutsche 1,5 Kilo-
die Rede. Was damit gemeint ist, hat sich in der Gas- gramm Innereien. 2002 waren es in ganz Deutschland noch
tronomie und in einzelnen Schlachtereien zu einer ganz 650 Gramm und im Jahr 2015 nur noch rund 100 Gramm.
eigenen Sparte entwickelt. Sogar Köchinnen und Köche Viele Starköchinnen und -köche, unter ihnen Eckart
aus der Sternegastronomie haben die Tradition wiederent- Witzigmann, haben sich und ihren Gästen jedoch die Wert-
deckt, von einem geschlachteten Tier möglichst alle Teile schätzung und Kreativität erhalten. Sie haben nie nur die
zu schmackhaften Gerichten zu verarbeiten. Üblicherweise Edelteile verwendet. Auch das Restaurant Tantris von Chef
werden je nach Art nur 40 bis 55 Prozent eines Nutztieres Hans Haas in München verarbeitet schon immer halbe
verwendet, und nur etwa ein Drittel macht „edle“ Teile wie Rinder und „von der Schnauze bis zum Schwanz“ als einzig
das Muskelfleisch aus. vertretbaren Grund für das Töten der Nutztiere. Mit den Bü-
Auf landwirtschaftlichen Betrieben wurde früher ge- chern über das „Nose to Tail Eating“, die der britischen Kochs
schlachtet und jedes Teil vom Tier genutzt. Auch die traditio- Fergus Henderson seit 1999 veröffentlicht, hat die ganzheit-
nelle Kronfleischküche und das Metzger- und Fleischhauer- liche Verarbeitung von tierischen Lebensmitteln eine neue
Bühne gefunden. So mag sich das Verhältnis des Publikums
zu Nieren, Kuddeln, Pansen und Zunge durch den Einsatz
der gastronomischen Spitze wieder ändern.
FLEISCHATLAS 2018 / USDA, EUROSTAT
100
18 FLEISCHATLAS 2018
DELIKATESSEN VON FRÜHER
Aus dem Schlachthaus, aber kein Fleisch: Greenpeace hat fast vergessene Produkte von Rind, Schwein und Huhn zusammengestellt
1 Rindernieren waren Arme-Leute-Essen, 3 Aus der Lunge vom Rind wird Suppe
Schweinenieren sind durch das Speichern und Haschee, als Zutat kommt sie in
2 Der aromatische 4 Rinderbacken werden
von Schadstoffen unbeliebt geworden. Blut-, Leber- und Lungenwurst.
Nieren- oder geschmort oder für einen Fond,
Inzwischen sind Bio-Nieren erhältlich.
Herzzapfen landet als Curry oder in Rotweinsoße
meist im Gehackten. genommen. Schweinebacken
waren gepökelt zu Sauerkraut
Backe oder Grünkohl beliebt.
4
1 Niere Lunge
13 5 5 Rinderzunge gibt
3 es als Aufschnitt
Nierenzapfen Zunge oder gekocht, und
Schwanz sie ist Zutat in Leber-
11 2
Leber wurst und Sülzen.
10 Schweinszunge
6 6 Rinderherzen eignen
Kutteln Herz sich zum Kurzbraten, ergibt Zungenwurst
Schweineherzen werden und ist in Süd-
sauer oder als Ragout zu- deutschland noch
bereitet, Hühnerherzen frisch oder gepökelt
9 Saum- oder
in Eintöpfen und ebenfalls zu haben.
Euter Kronfleisch 7 Ragouts.
8
FLEISCHATLAS 2018 19
FLÄCHENBINDUNG
I
m Jahr 2017 wurden in der Bundesrepublik 27,1 Millio- male Zahl der Tiere bei ökologisch gerade noch verträgli-
nen Schweine, 12,4 Millionen Rinder, 1,8 Millionen Scha- cher Belastung. Eine solche Obergrenze könnte sich an der
fe und 41 Millionen Legehennen gehalten. Dabei entstan- EU-Verordnung zum Ökologischen Landbau orientieren:
den 208 Millionen Kubikmeter Gülle, Jauche und Gärreste, zwei Großvieheinheiten auf einen Hektar. 2 GVE – das ent-
die auf Weiden und Äckern als Dünger ausgebracht wur- spricht zwei Kühen, zehn schlachtreifen Schweinen oder
den. In vielen Regionen kamen dadurch mehr Nährstoffe 666,6 Masthähnchen. Flächengebundene Tierhaltung für
auf die Böden, als diese aufnehmen konnten. Dies trägt dazu ganz Deutschland kann nur gelingen, wenn die Tierbestän-
bei, dass das Grundwasser verunreinigt wird, und treibt die de reduziert werden. Diese Abstockung muss beginnen, wo
Kosten der Trinkwasserproduktion in die Höhe. Um bis zu die intensive Tierhaltung besonders verbreitet ist.
62 Prozent könnte der Preis steigen. Dabei sind einige Details festzulegen. Dazu gehört etwa
Wo besonders viele Tiere gehalten werden, sind die die Frage, ob die geforderte Fläche direkt beim Bauern-
Grenzen der Umweltbelastung seit Langem erreicht. Spit- hof liegen muss oder auch weiter entfernt dazu gepachtet
zenreiter sind die niedersächsischen Landkreise Vechta mit werden kann. Ferner: Nur wenn die Gülle dort ausgebracht
3,64 Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher wird, wo vorher die Futtermittel angebaut wurden, ist eine
Nutzfläche (GVE/ha), gefolgt von Cloppenburg (3,05) und Flächenbindung wirksam. Unter welchen Bedingungen
Grafschaft Bentheim (2,55). Dazwischen liegt der Kreis Bor- darf auch Pacht- oder fremdes Land genutzt werden? Eini-
ken in Nordrhein-Westfalen (2,66). ge Bundesländer haben bereits ihre Stall-Förderprogramme
In der Gesellschaft werden große Tierhaltungsanlagen an die 2 GVE/ha gekoppelt. Die Bundesregierung hat sich im
immer weniger akzeptiert. Ausgelöst haben das die Mängel Klimaschutzplan 2050 dazu bekannt, ihre Förderung stär-
dieser Form der Tierhaltung selbst: die Anreicherung von ker an diesem Verhältnis auszurichten. Grundsätzlich könn-
Nährstoffen in Böden und Gewässern und die Belastung te dieser Tierbesatz auch Grundlage für die Genehmigung
durch Geruch. Bereits 1985 forderten die Grünen im Bun- neuer Stallanlagen sein: Wer mehr Tiere halten will, muss
mehr Fläche nachweisen.
Anlagen, die bereits bestehen, hätten Bestandsschutz,
Modernisierungen oder Zubauten jedoch nicht. Rechtlich
ZU VIEL SCHWEIN IN DER BILANZ
verankern könnte man die Flächenbindung im Baugesetz-
Eigenerzeugung, Importe und Exporte von Fleisch in
Deutschland in 1.000 Tonnen Schlachtgewicht, und Deutschlands buch. Daneben wären absolute Obergrenzen für Megastäl-
Selbstversorgungsgrad 2016 le zu definieren. In den Niederlanden wurden sie für die
1.186 510 Ausbringung von Gülle eingeführt und haben direkt dazu
2.575 geführt, dass weniger Tiere gehalten werden. Sogar der Wis-
Rind 4.985 senschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirt-
Schwein Exporte schaftsministerium hat 2015 betont, dass die Tierbestände
Geflügel in ihren Ballungsgebieten reduziert und Obergrenzen nach
andere
1.141 niederländischem Vorbild eingeführt werden sollten.
Problematisch am Konzept ist aber, dass einheitliche
Produktion 761 103 %
Werte nicht den unterschiedlichen Naturräumen entspre-
chen. Einerseits wächst nicht überall so viel Futter, dass
zwei Großvieheinheiten davon ernährt werden könnten.
1.776 121 % Andererseits sollen nicht alle Standorte gleich stark ge-
düngt werden, weil dies die natürlichen Bodenverhältnisse
701 durcheinanderbringt. In den vergangenen Jahrzehnten ist
479
103 % viel nährstoffarmes oder sehr artenreiches Grünland durch
1.715 Überdüngung verloren gegangen.
FLEISCHATLAS 2018 / DFV
Importe Selbst-
versorgungs-
1.086 grad Schon über ein Fünftel aller Schweine
295 werden in Deutschland für den Export gehalten.
Der Anteil steigt von Jahr zu Jahr
20 FLEISCHATLAS 2018
FLEISCHATLAS 2018 / LUCKMANN, DESTATIS
AN WENIGEN STELLEN ZU VIELE TIERE
Abstockungsbedarf in Deutschland nach Landkreisen, Überschreitung der Besatzdichte
von 2 Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche auf Gemeindeebene, 2016 Schleswig-Holstein
1 Nordfriesland
2 Schleswig-Flensburg
3 Dithmarschen
4 Rendsburg-Eckernförde
1 5 Plön
2
Kiel
101.384 105.790
6 Steinburg
7 Segeberg
Emsland 4 5 8 Pinneberg
3
Cloppenburg Vechta 6 7
74.345 9
10
8 Schwerin
13 Hamburg
11 12 14 15
20.724
16 Bremen
33.635 Osnabrück
17 Berlin
Potsdam
Grafschaft Bentheim Hannover
Magdeburg
21
Steinfurt
20
15.294 18
19
Borken
22 23
57.891 12.210
Düsseldorf
Dresden
Erfurt
Coesfeld 24
25 Sachsen-Anhalt
21 Börde
Niedersachsen 22 Saalekreis
9 Cuxhaven Wiesbaden
10 Stade Sachsen
11 Leer 23 Bautzen
12 Ammerland Mainz 24 Zwickau
13 Wesermarsch 25 Erzgebirgskreis
14 Osterholz
15 Rotenburg Saarbrücken Bayern
16 Oldenburg 28 Regensburg
17 Diepholz 28 29 Augsburg
30 Unterallgäu
Nordrhein-Westfalen
Senkung in Großvieheinheiten 31 Ostallgäu
18 Kleve keine Änderung Stuttgart 32 Erding
19 Recklinghausen bis unter 1.000 33 33 Passau
20 Warendorf 1.000 bis unter 10.000 34 Ebersberg
29 32
München 35 Rosenheim
Baden-Württemberg
10.000 und mehr 36 Traunstein
27 30 34
26 Breisgau-Hochschwarzwald 26 35 37 Berchtesgadener
36
27 Biberach Land
37
31
Zwei Großvieheinheiten sind 2 Rinder oder 10 schlachtreife Schweine oder 666,6 Masthähnchen
Kartografische Zuweisung der Haltungen zu den Landkreisen nach Betriebssitz; Abstockungszahlen aus der Addition nach Gemeindezahlen
FLEISCHATLAS 2018 21
KOMBIHALTUNG
W
eil die Erzeugerpreise so niedrig sind, hören vie- weidung wurden in bisherigen Pilotprojekten meistens ur-
le Landwirtinnen und Landwirte mit Tierhaltung sprüngliche, robuste Rinder- oder Pferderassen eingesetzt.
auf, insbesondere kleine Betriebe. Doch wer Tier- In den Niederlanden werden in solchen Landschaften auch
haltung mit anderen Nutzungssystemen kombiniert, zum Wild- und Nutztiere gemeinsam verwendet, zum Beispiel
Beispiel mit Naturschutz, dem Anbau von Pflanzen oder er- Hirsche, Rinder und Pferde.
neuerbaren Energien, kann sich neue Einkommensquellen Die Agroforstwirtschaft kombiniert Holz- und Agrarnut-
erschließen. zung. Sie wird als nachhaltiges System schon seit Langem
Ein bereits klassischer Ansatz ist die Biotop-Pflege. Die Be- für die Tropen empfohlen, um die positiven Wechselwir-
weidung mit Nutzieren soll eine typische Zusammensetzung kungen von Bewässerung und Düngung zu nutzen. Das
von Arten in Flora und Fauna erhalten. Manche erhaltens- EU-Forschungsprojekt „Agforward“ befasst sich mit den
werte Biotope sind sogar erst auf diese Weise entstanden, Vorteilen der Schweinemast in den Eichen- und Kastanien-
etwa Heiden oder Magerrasen. Für die Beweidung kommen wäldern Südeuropas, kleinräumiger auch mit der Ergiebig-
vor allem Schafe wie Heidschnucken oder Moorschnucken keit der Milchvieh-Weidewirtschaft im Spreewald.
infrage. Meist erfolgt nur eine kurze, intensive Nutzung, um Aus heutiger Sicht interessante historische Nutzungsfor-
zu hohe Einträge von Nährstoffen zu vermeiden. Pflanzen in men in Deutschland sind Waldweiden und die Beweidung
diesen Biotopen vertragen keine Überdüngung. von Streuobstwiesen. Waldweiden mit ihren offenen Flä-
Ein noch recht neues Konzept sind halboffene Weide- chen erhöhen die Artenvielfalt, können alte Tierrassen er-
landschaften, auch „wilde Weiden“ genannt. Große Flä- halten und zur Züchtung gefährdeter Arten anregen – wie
chen, bislang noch ohne Nutztiere, sollen das ganze Jahr der des Schwäbisch-Hallischen Landschweins auf seiner
über mit wenigen Tieren beweidet werden, um für den Eichelmastweide. Im Gegensatz zu Wäldern prägen Streu-
Naturschutz wertvolle Flächen zu schaffen. Teilweise wird obstwiesen hingegen Kulturlandschaften. Eine Beweidung
sogar eine „neue Wildnis“ angestrebt. Die Nationale Stra- mit Nutztieren spart das Mähen und dient der Nährstoffver-
tegie zur biologischen Vielfalt (NBS) der Bundesregierung,
2007 auf den Weg gebracht, sieht vor, dass auf zwei Pro-
zent der Fläche in Deutschland wieder Wildnis entsteht, Die Nachfrage nach Bioweihnachtsgänsen
unzerschnittene, nutzungsfreie und vom Menschen un- steigt. Das erlaubt eine attraktive
beeinflusste Gebiete. Derzeit sind es nur etwa 0,6 Prozent. Kombination von Gänse- und Obstwirtschaft
Festkosten
22 FLEISCHATLAS 2018
SOLARGÄRTNER IM SCHAFSPELZ Auf Konversionsflächen mit Steinen oder
Beweidung von Photovoltaikanlagen mit Schafen, Kostenspannen Metall im Boden haben Schafe erhebliche
pro Hektar, Umfrage zu 27 Standorten, 2013 Vorteile gegenüber der mechanischen Pflege.
360 € mechanische
Pflege 1.369 €
Beweidung
1.800 €
FLEISCHATLAS 2018 23
TIERWOHL
D
ie Haltung von Nutztieren ist in Deutschland detail- Bei bis zu zwei Dritteln der Masthühner haben sich die Fuß-
liert geregelt – jedenfalls auf dem Papier. Eine EU- ballen verändert, ebenso viele leiden unter Kahlstellen we-
Richtlinie löste 2001 die Verordnung zum Schutz gen Federpickens. Brustbeinschäden weisen 40 Prozent auf,
landwirtschaftlicher Nutztiere und anderer zur Erzeugung Knochenbrüche 53 Prozent. In der biologischen Nutztier-
tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung aus. haltung sind die Schäden, die durch die Haltung entstehen,
Sie regelt in 46 Paragrafen, wie es in den Nutztierställen für geringer.
Kälber, Legehennen, Masthühner, Schweine, Kaninchen Deutschland ist beim Schutz der Nutztiere kein Vorbild
und Pelztiere um Platz, Futter, Licht und Temperatur bestellt in Europa, sondern allenfalls im Mittelfeld angesiedelt. An
sein muss. Die Verordnung fußt auf dem Tierschutzgesetz den Regelungen in Schweden oder der Schweiz könnte man
von 1972 und seiner Neufassung von 2006. Dessen Gebot sich hierzulande orientieren. Doch es wird gerade einmal
lautet: Die Tiere müssen verhaltensgerecht untergebracht das umgesetzt, was seitens der EU zwingend vorgeschrieben
werden, sie dürfen keine Schmerzen haben, leiden oder ist. Und das ist so unzulänglich, dass der deutsche Gesetzge-
sonst wie zu Schaden kommen. ber gegen seine eigenen Tierschutzprinzipien verstößt.
Doch keinesfalls wird dieses Gesetz überall befolgt. Be-
richte über verletzte, kranke oder apathische Tiere in der
Nutztierhaltung gehören zum Alltag. Der Tierschutz muss An vielen Stellen reichen die Vorschriften nicht
also deutlich verbessert werden. Wie gravierend die Pro- aus, um Tierhaltung deutlich stärker am Tierwohl
bleme sind, zeigen Literaturstudien wie in dem Gutachten auszurichten. Viele Schritte sind möglich
verschiedene
Bodenbeläge
genügend
Platz
qualifizierteres Klimawechsel,
Personal vorzugsweise ins Freie
FLEISCHATLAS 2018 / WBA, STOCKMAR
24 FLEISCHATLAS 2018
EINE FRAGE DER HALTUNG
Ställe und Weidegang von Milchkühen und Rindern, 2010
1 132 164
1–19
27 280 218
Milchkühe mit Weidegang
72 470 671 Milchkühe ohne Weidegang
20–49
600 876 Rinder mit Weidegang
Milchkühe Rinder ohne Weidegang
689 670
50–99
Anbindestall 686 1.484
Laufstall
sonstige 343 337
100–199
670 1.304
5
FLEISCHATLAS 2018 25
NITRATE
I
n vielen Regionen Europas ist das Grundwasser mit Stick- In Dänemark, wo die exportorientierte Tierproduktion
stoff belastet. Eine Hauptursache ist die Nutztierhaltung, einen bedeutenden Wirtschaftszweig darstellt, steuern die
bei der große Mengen von Gülle und Mist anfallen, soge- Behörden seit 1985 wirkungsvoll gegen. So sanken die Kon-
nannte Wirtschaftsdünger, die als Düngemittel für Kultur- zentrationen von teilweise über 200 Milligramm Nitrat je Li-
pflanzen genutzt werden. Der in ihnen enthaltene Stickstoff ter im grundwassernahen Bodenhorizont innerhalb der ver-
sorgt für das Wachstum der Pflanzen. Er dringt jedoch tief gangenen zehn Jahre um die Hälfte. Die Landwirtinnen und
in den Boden ein, wenn zu viel gedüngt wird, und gelangt Landwirte sind jetzt verpflichtet, ihre Düngeplanung digital
unter ungünstigen Standortbedingungen als Nitrat ins zu dokumentieren. Sie muss sich nach den erwarteten Erträ-
Grundwasser. Je weniger Stickstoff die Wirtschaftsdünger gen richten und liegt zehn Prozent unterhalb des berechne-
in die Umwelt abgeben, umso mehr erhöht sich ihr Dünge- ten ökonomischen Optimums. Die Ausbringung von Gülle
wert, und das Grundwasser ist weniger gefährdet. im Herbst, nach der Ernte der Hauptfrucht, ist weitgehend
Das optimale Düngen hängt stark vom Zeitpunkt und untersagt, weil Pflanzen dann kaum Stickstoff benötigen.
vom gewählten Verfahren ab. So verringern sich die gasför- Diese Einschränkungen lösten eine umfassende Moder-
migen Verluste von Stickstoff – die Ammoniakemissionen in nisierung des Maschinen- und Geräteparks zur effektiven
die Luft –, wenn Mistlager im Freien abgedeckt sind oder die Einarbeitung des Düngers in den Boden aus. Der Einsatz
Gülle nach ihrer Ausbringung sofort in den Boden eingear- emissionsarmer Ausbringtechniken ist heute in vielen west-
beitet wird. In stehenden Pflanzenbeständen soll dies mög- europäischen Ländern verpflichtend, zum Beispiel in Belgi-
lichst per Bodeninjektion geschehen, anstatt sie breit ober- en, Dänemark und den Niederlanden. In Deutschland wird
flächlich zu verteilen. Mit der richtigen Technik können die dies ab dem Jahr 2020 auf Ackerland und ab 2025 auf Grün-
Betriebe ihre Verluste deutlich verringern. land der Fall sein.
In der Praxis gilt der Wirtschaftsdünger oft nicht als
vollwertiger Pflanzendünger. Deswegen wird auf land-
wirtschaftlichen Flächen zusätzlich Mineraldünger ausge- Große Düngermengen führen dazu, dass der
bracht. Auch dadurch kann es zu Überschüssen an Stickstoff Nitrat-Grenzwert im Grundwasser bei mehr als
kommen, der das Grundwasser belastet. Die EU-Nitratricht- einem Viertel der Messstellen überschritten wird
80
70
60 28,0
40 49,3
FLEISCHATLAS 2018 / BMEL
20 22,7
0
1990 1995 2000 2005 2010 2015 2030
1990 unsichere Daten, 2015 vorläufig. *2030: Wert des Fünfjahresmittels von 2028 bis 2032
26 FLEISCHATLAS 2018
NIEDERLÄNDISCHER GÜLLETOURISMUS
Entwicklung der Ausfuhren tierischen Düngers aus den Niederlanden nach Empfängerländern, 2012–2016,
in 1.000 Tonnen
FLEISCHATLAS 2018 / RVO
2 5 11 46 74
sonstige 2012 2013 2014 2015 2016
FLEISCHATLAS 2018 27
LANDNUTZUNG
B
is zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung um ein neue Agrarflächen verdrängt. Höhere Produktivität bedeu-
Drittel zunehmen, schätzen die Vereinten Nationen: tet meist auch mehr Monokulturen sowie hoher Einsatz von
von heute etwa 7,5 Milliarden auf knapp 10 Milliarden Düngern und Pestiziden. Doch es bleibt nicht nur die Wahl
Menschen. Gleichzeitig werden ihre Einkommen steigen. zwischen Wachstum der Flächen und Intensivierung. Der
Wegen der zunehmenden Kaufkraft wird die Nachfrage Konsum insbesondere von Fleisch ist eine Schlüsselgröße.
nach Lebensmitteln stärker wachsen als die Bevölkerung: Die FAO schreibt die bisherigen Trends der Nachfrage fort.
von 2006 bis 2050 insgesamt um 70 Prozent, bei Fleisch so- Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in den Industrieländern
gar um 85 Prozent, kalkuliert die UN-Ernährungs- und Land- stiege demnach zwischen 2006 und 2050 von 77 auf 95,7
wirtschaftsorganisation FAO. Kilogramm Schlachtgewicht, in den Entwicklungsländern
Derzeit werden weltweit etwa fünf Milliarden Hektar von 31 auf 44 Kilogramm.
Land landwirtschaftlich genutzt. Davon sind knapp 1,5 Mil- Der Fleischkonsum der Industrieländer ist damit extrem
liarden Hektar Äcker und gut 3,5 Milliarden Weiden, wei- hoch. Hier konsumieren 20 Prozent der Weltbevölkerung
tere vier Milliarden Hektar sind Wälder. Um die künftige etwa 40 Prozent der globalen Produktion. Weniger Fleisch-
Nachfrage nach Lebensmitteln zu decken, müssten entwe- konsum würde den Flächenbedarf senken. Dies hätte auch
der die Agrarflächen ausgeweitet oder ihre Produktivität Vorteile für die Gesundheit, weil schon bislang mehr verzehrt
müsste gesteigert werden. Oder beides: Je effizienter die wird, als für eine ausgewogene Ernährung zuträglich ist.
Landwirtschaft, umso weniger Expansion ist nötig. Und wenn der Konsum tierischer Lebensmittel in den
Tatsächlich geht die FAO in ihrer Analyse davon aus, dass Weltregionen sänke, in denen er besonders hoch ist? Wel-
bei pflanzlichen Produkten 91 Prozent der zusätzlichen Pro- che Folgen hätte das? Dieser Frage ist das World Resources
duktion durch weitere Intensivierung erzielt werden und le- Institute (WRI) in Washington nachgegangen. Der von der
diglich 9 Prozent durch mehr Ackerland. Dies wären 71 Mil-
lionen Hektar, eine Ausweitung um 5 Prozent im Vergleich
zu heute. Allerdings gehen andere Studien von viel größe- In den reichen Regionen der Welt wird am
ren Flächen aus. Die US-Wissenschaftler David Tilman und meisten Fleisch verzehrt – darum liegt hier auch
Michael Clark rechneten 2014 für die Jahre zwischen 2009 die größte Verantwortung für ein Umsteuern
FLEISCHATLAS 2018 / WRI
TIERISCHE PROTEINE ALS EINSPARPOTENZIAL
Szenario*: 1,9 Milliarden Menschen in Regionen mit Proteinüberversorgung senken ihre Einnahme von Proteinen auf insgesamt 60 Gramm
täglich und reduzieren nur tierisches Protein; empfohlen: 50 Gramm. Wie groß sind die Einsparungen an Land und Emissionen?
3.400 715
Weideland
1.600 Emissionen
508
* Datenbasis: 2009
133
Ackerland
6.900
28 FLEISCHATLAS 2018
ANBAU OHNE NAHRUNGSKONKURRENZ
Weltweiter Bestand an Nutztieren und weltweite Flächennutzung, Prognose 2050 und
Szenario 2050 ohne Futtermittelanbau (Tiere nur auf Flächen, die nicht zur menschlichen 33,85
Ernährung genutzt werden, zuzüglich Pflanzenresten aus der Lebensmittelproduktion)
1,60
1,45 Prognose 2050
1,39 1,34
1,17 1,18
3,4
Rinder Schweine Ziegen Schafe Hühner
Szenario 2050
0,11
Wald
FLEISCHATLAS 2018 29
ZUCHT
GESUCHT: ZWEINUTZUNGSTIERE
Männliche Geschwister von Hochleistungs- Rinder bis weit ins 20. Jahrhundert als Dreinutzungstiere:
Legehennen werden umgehend getötet, als Arbeitskraft sowie zur Produktion von Milch und Fleisch.
die der -Milchkühe oft vernachlässigt. Die Doppelnutzung von Hühnern war selbstverständlich:
Nicht nur die Hähne wurden gegessen, auch die Legehen-
Die ökologische Tierzucht will das ändern
ne diente als Suppenhuhn. Anstelle der Mehrfachnutzung
und beide Geschlechter nutzen. muss heute das spezialisierte Einnutzungstier in kürzester
Zeit enorme Leistungen bringen – entweder viel Milch be-
O
b Huhn, Schwein oder Rind: Die Zuchtziele in der ziehungsweise viele Eier oder viel Fleisch. Das führt zu hoher
Landwirtschaft führten besonders in den letzten Krankheitsanfälligkeit der Tiere.
Jahrzehnten zu extremer Spezialisierung. Noch mehr Doch endlich weiß auch die Öffentlichkeit um die weit
Milch, Eier und Fleisch – in immer kürzerer Zeit erzeugt ein darüber hinausgehenden Grausamkeiten der Spezialisie-
einzelnes Tier höchste Produktmengen. Dabei gab es sie rung. Allein in Deutschland werden jährlich bis zu 50 Mil-
früher auch in unseren Breiten: die sprichwörtliche „eierle- lionen männliche Küken am ersten Lebenstag getötet, in
gende Wollmilchsau“. Damit sind Tiere gemeint, die gleich- der EU sind es über 300 Millionen. Der Grund: Die Brüder
zeitig zu verschiedenen Leistungen fähig sind. So dienten der Hennen der Legehybridlinien setzen kaum Fleisch an.
Im Vergleich zu den auf extrem schnelles Wachstum ge-
züchteten Masthybridhühnern gelten sie als ökonomisch
wertlos. Masthybriden wiegen nach 30 bis 35 Tagen etwa
FLEISCHATLAS 2018 / LFL
30 FLEISCHATLAS 2018
ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN FÜR BEIDE GESCHLECHTER
Ökologische Tierzucht mit dem Ziel, Lege- und Mastleistung zu kombinieren
Legeleistung Mastleistung
chen
18 Wo
240
Eier/Jahr
3 kg
FLEISCHATLAS 2018 / ÖTZ
Bioanbauverbände erforschen Rassen und Kreuzungen, von denen Dafür sollen die Hähne deutlich mehr Mastgewicht
beide Geschlechter nutzbar sind. Die Hennen legen weniger Eier. erreichen und haben dafür 18 Wochen Zeit.
Züchterinnen und Züchter haben die Erträge 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2016
weiblicher Tiere gesteigert. Zuchtziele für ihre männlichen * 1960–80 ohne DDR
FLEISCHATLAS 2018 31
ANTIBIOTIKA
J
ährlich werden derzeit 131.000 Tonnen Antibiotika genen Jahrzehnten nationale Reduktionsstrategien um-
bei Tieren eingesetzt, die als Speisen auf den Tisch gesetzt. Das Überwachungssystem in Deutschland soll erst
kommen – etwa doppelt so viel wie bei den Menschen 2019 überprüft werden, fünf Jahre nach dem Inkrafttreten.
selbst. Diese Menge wird sich bei fortschreitendem Trend Dänemark und die Niederlande melden Erfolge. Wie in Dä-
bis zum Jahr 2030 weltweit um 53 Prozent erhöhen. Rund nemark müssen in Deutschland nun die Halterinnen und
zwei Drittel der global steigenden Mengen an Antibiotika Halter von Masttieren die Mengen eingesetzter Antibiotika
gehen auf das schiere Wachstum der Fleisch- und Milch- melden. Wer deutlich mehr verbraucht, muss aktiv werden,
produktion und rund ein Drittel auf die zunehmende In- um Erkrankungen stärker vorzubeugen.
dustrialisierung der Haltungssysteme zurück. Doch nun werden einige Reserveantibiotika mehr ge-
Fachleute schätzen, dass 2050 über zehn Millionen Men- nutzt. Das sind Antibiotika, gegen die es in der Humanme-
schen jährlich sterben, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr dizin weniger Resistenzen gibt und die eigentlich als sichere
wirken. Neben einem zu laxen Umgang in der Humanmedi- Reserve wirken sollen, wenn herkömmliche Antibiotika ver-
zin, so die Weltgesundheitsorganisation (WHO), gehöre der sagen. Die WHO und zivilgesellschaftliche Organisationen
massive Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion zu fordern, diese Mittel nicht in der Tierhaltung einzusetzen.
den wichtigsten Gründen. So steigt die Gefahr, dass Keime In Deutschland fehlt aber bislang eine klare gesetzliche Re-
Resistenzen gegen die Medikamente entwickeln, die damit gelung.
ihre Wirksamkeit verlieren. Im Angebot deutscher Super- Wie der Verbrauch global zu senken wäre, untersuchte
märkte fanden sich bei staatlichen Untersuchungen auf 66 2017 eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hoch-
Prozent der Hähnchenfleisch- und auf 42,5 Prozent der Pu- schule Zürich. Weltweit gültige Grenzwerte wären wün-
tenfleischproben resistente Keime.
Die Entwicklung neuer antibiotischer Mittel ist zeitauf-
wendig und teuer. Die Vereinten Nationen haben daher Oft als Futterbeigabe oder seltener tierärztlich
einen globalen Aktionsplan entwickelt. Er beinhaltet Auf- verordnet, wandern die Antibiotika vom
klärungskampagnen, eine bessere Datenerhebung, mehr Stall ins Fleisch, in die Gülle und in die Gewässer
Schaf
Rind 4
17 strenge,
Schwein unangemeldete, bessere Haltung
unabhängige für mehr
Kontrollen Tiergesundheit
FLEISCHATLAS 2018 / VAN BOECKEL ET AL.
29 50
„Gelbe Karte“
Hühner kein
für auffällig
Einsatz für
häufige Gaben
beschleunigtes
Wachstum
32 FLEISCHATLAS 2018
FALSCH VERSTANDENES WACHSTUM
Staaten mit mehr als 1.000 Tonnen Antibiotika-Verkäufen für die Produktion tierischer Nahrungsmittel, 2013 und erwartete Zunahme bis 2030,
in Tonnen
1.850
1.581
11.561 1.285 1.603
9.476 1.127 1.527
2.334
Russland
2.202 2.349
Kanada Deutschland
1.807
1.398
2.285 Spanien
USA 1.319
1.385 Iran 124.338
4.792 China 78.200
Italien
2.633
Mexiko
9.092
6.448
Indien
2030
2013
100
50
FLEISCHATLAS 2018 33
VERMARKTUNG
D
ie meisten schlachtreifen Tiere werden an Schlacht- der Zucht über das Schlachten und Verarbeiten bis zum Ver-
höfe verkauft, von wo aus sie in die großen Vertriebs- markten.
kanäle gespeist werden und in den Supermärkten lan- Viele Betriebe setzen auf den Direktvertrieb. Sie verkau-
den. Doch immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher fen ihre Produkte auf Bauernmärkten, in eigenen Hof- oder
kaufen ihr Fleisch bewusster. Das eröffnet Betrieben, die zentral gelegenen Bauernläden oder mit einem eigenen
neue Wege in der Vermarktung gehen und wieder stärker Lieferdienst: sechs bis acht Prozent der landwirtschaftlichen
in die Wertschöpfung eingebunden sein wollen, neue Per- Betriebe in Deutschland machen dies bereits. Kleinere Be-
spektiven: Der Kauf von Fleisch und Wurst muss der Kund- triebe, ökologische oder konventionelle, können ihr Fleisch
schaft einen anderen Anreiz als den billigsten Preis bieten.
Einige Betriebe spezialisieren sich auf seltene Rassen. 30
Bäuerinnen und Bauern in Deutschland züchten das Rot- Gefährdete Nutztierrassen leben über
bunte Husumer Schwein, auch Protestschwein genannt, ganz Deutschland verstreut,
rund 60 Züchterinnen und Züchter sind es beim Deutschen die meisten in nur wenigen Regionen
56 Angler
72 Rotvieh alter Angler Zuchtrichtung
37
Rotbuntes Husumer
Rotbunte in Doppelnutzung
57
282 46
Schleswig-
Angler Sattelschwein Holstein Mecklenburg-
Rind
Schwein Vorpommern
32
Deutsches Schwarzbuntes Niederungsrind
Glanrind
Rheinland-
Hessen
196
503 in Höhenlagen
Pfalz
87 Pinzgauer
Limpurger Rotes Höhenvieh
Bayern
127
350 701
Hinterwälder Baden-
Württemberg 100 Gelbvieh
26 Murnau-Werdenfelser
74
Ansbach-Triesdorfer
Schwäbisch-Hällisches deutschlandweit
88 Deutsches Edelschwein
Vorderwälder
918 Braunvieh alter Zuchtrichtung
*entspricht nicht der Zahl der lebenden Tiere
Deutsche Landrasse 972
34 FLEISCHATLAS 2018
Smartphones, digitale Marktplätze, Lieferdienste –
FLEISCHATLAS 2018 35
EINZELHANDEL
B
ehörden setzen Vorschriften, die die Haltungsbedin- tiert werden. Mit ihren Eigenmarken sind sie zudem selbst
gungen von Nutztieren in der Landwirtschaft verbes- Produzenten und Anbieter mit relevanten Marktanteilen.
sern, nur langsam um, oder solche Bestimmungen Wenn sich auch die über viele Jahre etablierten landwirt-
fehlen ganz. Dabei haben Meinungsforscher und -forsche- schaftlichen Strukturen nicht einfach ändern lassen, so
rinnen herausgefunden, dass sich Verbraucherinnen und kann der Lebensmitteleinzelhandel dennoch seine Markt-
Verbraucher für Fleisch interessieren, das aus artgerech- position nutzen und über Kommunikation, Preissetzung
teren Haltungsformen stammt. Wenn die Politik auf diese und Einkaufspolitik für mehr Tierwohl sorgen.
Ein wichtiges Element ist, die Bereitschaft von Verbrau-
chern und Verbraucherinnen zu aktivieren, mehr Geld für
gute Produkte zu zahlen. Dazu müssen diese eindeutig ge-
SCHWERE KETTEN
kennzeichnet und besondere Qualitäten klar kommuniziert
Die größten Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels
in Deutschland, 2016 werden. Umfragen zufolge wissen 45 Prozent der Kund-
schaft nicht, woran sie Fleisch aus artgerechter Haltung
Umsatz, in Milliarden Euro erkennen können. Verbraucher- und Tierschutzorganisati-
onen setzen sich seit Jahren dafür ein, das Fleisch besser zu
53,8 kennzeichnen und so die Haltung der Tiere transparenter zu
machen. Der Einzelhandel könnte sich klar zu einem ambi-
tionierten staatlichen Tierwohllabel bekennen und es bran-
Edeka- chenweit einführen. Er könnte auch direkt am Regal oder an
Gruppe der Truhe die Kriterien etwa von Bio, dem staatlichen Tier-
37,8
35,8 wohllabel und konventionellen Produkten erläutern – eine
Entscheidung für mehr Information und weniger Werbung.
Schwarz- 28,3 Das wären wichtige Schritte.
26,3
Gruppe Rewe- Tierwohl hängt auch von der Preispolitik ab. Bislang
Gruppe liefern sich die Handelsunternehmen einen harten Preis-
Aldi- kampf. Sonderangebote für Fleisch sind im deutschen Markt
Gruppe Metro-
Gruppe ein traditionelles Mittel, um Verbraucherinnen und Ver-
braucher in die Geschäfte zu locken. Insbesondere Händler
mit Vollsortiment, also Super- und Verbrauchermärkte, wer-
ben oft mit sehr günstigen Fleischpreisen im Rahmen einer
Mischkalkulation mit anderen Produkten ihres Sortiments.
Marktanteil, in Prozent So werden knapp 25 Prozent aller Rotfleischprodukte wie
Schweine- und Rindfleisch über Sonderangebote abgesetzt.
Das suggeriert der Kundschaft, Fleisch sei zu Spottpreisen er-
Edeka-Gruppe
20,1 hältlich, und erschwert die Bemühungen, die realistischen
Schwarz-Gruppe,
mit Lidl, Kaufland Kosten einer tiergerechten landwirtschaftlichen Produkti-
32,1 Rewe-Gruppe, on zu vermitteln. Würde sich der Einzelhandel branchen
mit Penny intern darauf verständigen, auf extreme Sonderangebote
14,1 Aldi-Gruppe, im Fleischsegment zu verzichten, könnte sich auch die
-Nord, -Süd
Wahrnehmung der Kundschaft von den Kosten wandeln.
Metro-Gruppe,
9,8
FLEISCHATLAS 2018 / LZ
36 FLEISCHATLAS 2018
FLEISCHATLAS 2018 / ZÜHLSDORF ET AL.
GUTER WILLE, WENIG WISSEN
Verbrauchermeinungen zu Produktion und Konsum tierischer Lebensmittel, 1.024 Befragte, 2016, Antworten in Prozent
stimme voll und ganz zu stimme zu teils/teils stimme nicht zu stimme überhaupt nicht zu
1,2 1,4
Wenn Tiere für unser Essen sterben
41,8 43,3 12,3
müssen, sollen sie vorher gut gelebt haben.
sonstige, 24,6
z. B. Stände
In Deutschland locken die Lebensmittelketten ihre
Kundschaft oft mit Sonderangeboten für Fleisch. * Jüngere Daten sind bisher nicht veröffentlicht.
FLEISCHATLAS 2018 37
EU-AGRARPOLITIK
W
ie kein anderer Wirtschaftsbereich in Europa ist die nicht erst entstehen. Die Marktordnung formuliert auch
Land- und Ernährungswirtschaft auf der Ebene der die Rechte von Bäuerinnen und Bauern, sich zusammen-
Europäischen Union (EU) geregelt. Diese Gemeinsa- zuschließen, Qualitätsstandards einzuführen und mit den
me Agrarpolitik (GAP) umfasst eine eigene Marktordnung Verarbeitern und dem Handel über Preise und Mengen zu
und eine umfangreiche Förderpolitik. Seit der EU-Vorläufer, verhandeln. Genutzt wird das in Deutschland nur wenig.
die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, 1957 gegründet Die Förderpolitik steht heute im Mittelpunkt der GAP. Sie
wurde, gelten die dafür vertraglich festgelegten Ziele un- verfügt über knapp 40 Prozent des EU-Haushaltes, jährlich
verändert: Die Förderung von technischem Fortschritt und fast 60 Milliarden Euro. Ihre Förderpolitik ist aufgeteilt in
Rationalisierung soll die Produktivität der Landwirtschaft zwei Säulen. Die erste umfasst 75 Prozent des Agrarhaushal-
steigern und die Versorgung der Verbraucherinnen und tes. Der Großteil davon geht als Direktzahlungen an land-
Verbraucher zu angemessenen Preisen sicherstellen. Die in wirtschaftliche Betriebe, nach Deutschland fließen pro Jahr
der Landwirtschaft arbeitenden Menschen sollen von ihrem rund fünf Milliarden Euro. Da sie pauschal pro Hektar land-
Einkommen leben können – und, um all das zu erreichen, wirtschaftlicher Fläche ausgezahlt werden – etwa 280 Euro
die Märkte stabilisiert werden. je Hektar –, profitieren flächenstarke Betriebe davon am
In den Nachkriegsjahren dominierte die Sorge darum, meisten. So gut wie keine Rolle spielt, wie ökologisch vorteil-
die Ernährung zu sichern. Heute, da die Binnenmärkte ge- haft die Fläche bewirtschaftet und wie tiergerecht das Vieh
sättigt sind, stehen wachsende Exporte der Agrar- und Er- gehalten wird.
nährungswirtschaft im Fokus. Längst ist die EU einer der Die zweite Säule ist mit 1,2 Milliarden Euro für Deutsch-
weltweit größten Exporteure für Fleisch – überwiegend land deutlich kleiner und heißt „Förderung der ländlichen
Schweinefleisch – und Molkereiprodukte. Und sie bemüht
sich, über bilaterale Freihandelsverträge weitere Absatz-
märkte zu erobern. Knapp 60 Milliarden Euro Finanzvolumen
Damit große Schwankungen auf den Weltmärkten die sind heute nur noch 40 Prozent des EU-Haushaltes.
Produktion nicht gefährden, greift notfalls die EU-Markt- Vor 30 Jahren waren es fast doppelt so viel
50
40
30
20
FLEISCHATLAS 2018 / EU
10
0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020
38 FLEISCHATLAS 2018
FLEISCHATLAS 2018 / EU, BAILEY ET AL.
FÜR DEN UMBAU NICHT GENUG – ABER DURCHAUS FÜR ERSTE SCHRITTE
Verteilung der Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in den EU-Mitgliedsländern, 2016,
in Millionen Euro, und Bilanz (Beiträge minus Auszahlungen) in Prozent der Wirtschaftsleistung
877
Bilanz 1.067 Finnland
minus 0,3 bis 0 Prozent Schweden
mehr als 0 bis 0,5 Prozent 3.973
mehr als 0,5 bis 2 Prozent
Großbritannien 234
Estland
Zahlungen 1.702
6.747 1.012 343
Lettland
nicht zielgerichtet Dänemark
Irland 671
932 Litauen
wenig Schutz vor
Preisschwankungen und Niederlande
niedrigeren Standards Deutschland
außerhalb der EU 710 Belgien Polen 4.797
1.365
unfair, weil arme Betriebe 56
Slowakei
benachteiligt werden
10.055 Luxemburg Tschechien
651
zu wenig 2.058
1.283 Österreich
umweltfreundlich
Frankreich Ungarn 3.320
266
oft geringe Slowenien Rumänien
Effizienz
1.336 638
zu wenig 1.248
Kroatien
innovations- Spanien
Portugal Italien Bulgarien
freundlich
6.727
kostentreibende
Bürokratie
7.431 Griechenland
Landwirtschaft, Verbraucherschutz,
Entwicklung“. Unterstützt wird damit beispielsweise beson- Natur- und Klimaschutz: Alle wollen bei der
ders umwelt- und klimaschonendes Wirtschaften, der Öko- Verteilung der GAP-Zahlungen mitreden
landbau und die Arbeit in Gegenden mit erschwerten Bedin-
gungen, etwa in den Bergen. Auch für Investitionen in Ställe,
Maschinen, Schlachthöfe oder Molkereien kann eine Förde- Tierhaltung einzuführen. Bisher nutzt Deutschland nur sie-
rung beantragt werden. Einzelheiten legen in Deutschland ben Prozent der Direktzahlungen hierfür.
die Bundesländer fest. Sie könnten zum Beispiel Schweine- Drittens kann der Bund bis zu acht Prozent der Direkt-
ställe nur noch dann fördern, wenn sie eingestreute Liege- zahlungen – 400 Millionen Euro – für gekoppelte Weide-
flächen, mehr Platz und einen Außenklimabereich oder gar tierprämien einsetzen: Damit könnte die tier- und umwelt-
einen Auslauf nach draußen aufweisen. Kuhställe könnten gerechte Weidehaltung von Rindern, Schafen und Ziegen
nur noch als förderfähig gelten, wenn die Kühe im Sommer- unterstützt und auch dem Trend entgegengewirkt werden,
halbjahr auf der Weide grasen dürfen. Doch davon sind die Milchkühe das ganze Jahr über in Ställen zu halten oder sich
Länder noch weit entfernt. aus der Schafhaltung zurückzuziehen. Deutschland verzich-
Auch bei den Direktzahlungen der ersten Säule gibt tet als einziges EU-Land auf gekoppelte Zahlungen.
die EU den Mitgliedstaaten viel Spielraum, eigene Schwer- Auch wenn diese Umschichtungen nicht ausreichen, um
punkte zu setzen. Auch Umschichtungen von der ersten zur die geschätzten drei bis fünf Milliarden Euro für den Um-
zweiten Säule sind möglich, um die Förderung zu stärken. bau der Tierhaltung zu decken, so bietet Europa bereits viel
Das nutzt Deutschland bisher unzureichend. Anstatt wie mehr an, als Deutschland bislang umsetzt. Für die Jahre nach
augenblicklich nur 4,5 Prozent könnten 15 Prozent der Di- 2020 wird die nächste Reform der EU-Agrarpolitik vorberei-
rektzahlungen in die zweite Säule umgeschichtet werden. tet. Es wird neu darüber verhandelt, wie die Marktordnung
Damit stünden den Bundesländern weitere 525 Millionen in Zukunft Marktkrisen möglichst vermeiden kann. Und es
Euro jährlich zur Verfügung, um tier- und umweltgerechte gibt einen großen öffentlichen Druck, die Direktzahlungen
Ställe und Haltungsverfahren zu fördern. an gesellschaftliche Leistungen und nicht an Flächen zu
Zusätzliche 30 Prozent der Direktzahlungen – bis zu 1,5 binden. Dazu gehören eine besonders tier- und umweltge-
Milliarden Euro – könnten nicht mehr auf alle Hektare, son- rechte Tierhaltung und eine umwelt- und klimaschonende
dern nur noch auf maximal 46 Hektare je Betrieb verteilt Nutzung von Acker- und Grünland. Je stärker Deutschland
werden. Profitieren würden die kleineren und mittleren Be- schon jetzt seine Möglichkeiten dazu nutzt, umso größer
triebe, auf die der Großteil der Aufgabe entfällt, eine andere sind die Erfolgschancen dafür auf EU-Ebene.
FLEISCHATLAS 2018 39
KLIMA
D
as Klimaabkommen von Paris will den Ausstoß von In den vergangenen Jahren jedoch sind bundesweit die
Treibhausgasen so senken, dass sich die Atmosphä- Fleisch- und Milcherzeugung wieder deutlich angestiegen,
re um höchstens zwei Grad erwärmt. Ab Mitte des weil viele Fleischunternehmen und Molkereien auf wach-
Jahrtausends darf es praktisch keine neuen Emissionen sende Exporte setzen. Die Bundesregierung fördert diesen
mehr geben. Damit dieses Ziel erreicht wird, muss sich auch Trend. Höhere Exportmengen durch eine schnell wachsen-
die Landwirtschaft grundlegend verändern. In ihrem Kli- de Tierproduktion und gleichzeitig eine Verringerung der
maschutzplan 2050 stellt die Bundesregierung fest, dass Emissionen: Dieser Zielkonflikt ist nicht durch höhere Pro-
die Landwirtschaft acht Prozent der gesamten deutschen duktivität aufzulösen. Wäre die Klimapolitik hingegen in-
Treibhausgasemissionen verursacht. Davon ist mehr als die tegraler Bestandteil der Agrarpolitik, könnte sich die Land-
Hälfte direkt auf Tierhaltung zurückzuführen. Nicht mitge- wirtschaft grundlegend anders ausrichten.
rechnet sind die Emissionen, die durch den Anbau impor- Ein großes Potenzial haben Gelder, um Landwirtinnen
tierter Futtermittel in anderen Ländern und aus dem Ab- und Landwirte zu motivieren, ihre Erzeugung auf eine ex-
bau von Humus vor allem in landwirtschaftlich genutzten tensive Bewirtschaftung der Moorböden umzustellen. Sie
Moorböden entstehen. sollten umfassend geschützt, nur gelegentlich mit Schafen
Der Klimaschutzplan der Bundesregierung benennt beweidet und für den Anbau von Pflanzen genutzt werden,
zwar die Tierhaltung und den daraus resultierenden Einsatz die – wie Schilf – optimal an feuchte Bedingungen angepasst
von Stickstoff als Problem, sieht aber als Lösungen kaum sind. So können die in Moorböden gespeicherten großen
mehr als ein verbessertes Nährstoffmanagement und all- Mengen Kohlenstoff erhalten bleiben. Und weil Moorböden
gemein eine höhere Effizienz der Produktion. Klimapolitik nur etwa fünf bis acht Prozent der landwirtschaftlichen Flä-
wird lediglich als eine Art Zusatzaufgabe verstanden. Die chen in Deutschland ausmachen, würde sich das Ausmaß
der Produktion insgesamt kaum ändern.
Generell kann die Politik wichtige Weichen stellen,
indem sie die Vergabe öffentlicher Gelder, besonders die
WENN DIE VIEHWIRTSCHAFT SICH NICHT BEWEGT
Milliardenzahlungen aus der Agrarpolitik, an Klima- und
Globale Emissionen in Gigatonnen Kohlendioxid-Äquivalent
und steigender Prozentanteil der Fleisch- und Milchindustrie Umweltschutz koppelt. Wenn Mittel so vergeben werden,
daran, wenn nur diese Branche die Ziele des Pariser dass lokale und betriebliche Nährstoffkreisläufe geschlos-
Klimaabkommens nicht einlöst sen werden und die Zahl der Nutztiere reduziert wird,
würden sich die Emissionen deutlich verringern. Weniger
23 % Tiere verursachen weniger Emissionen, aber auch klima-
45 % schädliche Importe von Futtermitteln können verringert
14 %
38 23 werden. Eine solche Reduktion würde es leichter machen,
Tiere klimafreundlicher und artgerechter zu ernähren und
zu halten. Eine spezielle Förderung der Weidehaltung wirkt
51
sich positiv auf die Emissionen aus, weil bei einem guten
2030 2050 Herden- und Düngemanagement Kohlendioxid aus der
Atmosphäre dauerhaft in den Wurzeln unter der Grasnar-
be gebunden wird. Boden ist nach den Ozeanen der größte
27 %
Kohlenstoffspeicher der Welt.
31
2016
13
81 %
Eine Förderung von stickstoffbindenden Pflanzen wie
Bohnen, Lupinen oder Klee würde den Einsatz von klima-
schädlich erzeugten Mineraldüngern reduzieren. Viele
FLEISCHATLAS 2018 / HBS
aktueller Stand
Szenario: Erderwärmung maximal 2 Grad
Szenario: Erderwärmung maximal 1,5 Grad Die Agrarlobby beteuert, zur Senkung der globalen
jeweiliger Emissionsanteil der Fleisch- und Milchindustrie Emissionen kaum beitragen zu können. Dann
wären die Tierhaltungen bald das Hauptproblem
40 FLEISCHATLAS 2018
FLEISCHATLAS 2018 / LUCKMANN, GLEAM
SO SCHÄDLICH WIE EIN KOHLEKRAFTWERK
Vergleich dreier Modelle zur Verringerung des Viehbestandes in Deutschland mit drei Stromerzeugungsanlagen nach Klimawirksamkeit, 2016
18,7
4,9
5,1
Weisweiler
20,8 Schkopau
Szenario: Der deutsche
4,8 Mio.
2,5 Mio.
0,4 Mio.
0,5 Mio. 0,9 Mio.
5,6 Mio.
3,9 1,0 Mio.
1,8
6,4 Mio.
FLEISCHATLAS 2018 41
GENTECHNIK
A
uf der Grundlage neuer Verfahren proklamieren den. So kam beispielsweise in Neuseeland nach vielen er-
manche Expertinnen und Experten eine neue Ära der folglosen Versuchen ein gentechnisch verändertes Kuhkalb
Super-Gentechnik. Im Fokus stehen Nukleasen. Das („Daisy“) auf die Welt, das Milch mit weniger allergieauslö-
sind Enzyme, die die DNA, die Trägerin der Erbinformation senden Eiweißstoffen produzieren sollte. Diesem Kalb fehlte
von Lebewesen, schneidet. Nukleasen können die DNA an aufgrund unerwarteter Nebeneffekte der Schwanz, und sei-
mehreren Stellen des Erbgutes verändern oder Erbmateri- ne Milch war fast ungenießbar.
al einfügen, für das es keine natürliche Entsprechung gibt. Getrieben werden solche Entwicklungen von wirtschaft-
Die Verfahren – von den Fachleuten wird am stärksten eine lichen Interessen. Mit den Gentechnik-Tieren halten Paten-
DNA-Schere nach der „CRISPR/Cas9“-Methode beachtet – te ihren Einzug in die Kuh- und Schweineställe. Nach der
sind längst nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Oft Industrialisierung zeichnet sich eine weitere Umgestaltung
führen sie auch zu ungewollten Veränderungen im Erbgut. der Tierzucht ab. Diesmal wird sie von Firmen bestimmt, die
Die Eingriffe zielen darauf, dass die Tiere mehr Fleisch ihre patentgeschützten Hochleistungstiere verkaufen wol-
produzieren und Milch abgeben, und darauf, sie den Hal- len. Sie bedrohen die Existenz von Landwirten und Landwir-
tungsbedingungen anzupassen – statt umgekehrt. Gear- tinnen sowie mittelständischen Zuchtunternehmen.
beitet wird auch an einer veränderten Zusammensetzung Auch die Idee, Nutztiere per Gentechnik gegenüber
der Milch und an besseren Resistenzen gegen Viren und Krankheiten resistent zu machen, ist fragwürdig. Afrikani-
Parasiten. Die Erhöhung der Muskelmasse oder die Be- sche Rinder sollen auf diese Weise gegen bestimmte Erreger
schleunigung des Wachstums wird gerne mit ökologischen der Schlafkrankheit gewappnet werden. Die dafür gesuch-
Argumenten begründet. Man könne die Tiere mit weniger te Genvariante kommt auch beim Menschen vor, führt bei
Futter mästen, was die Ressourcen schone. Doch das stimmt ihm aber zu einem erhöhten Risiko einer Nierenkrankheit.
nicht. Zwar werden Futterkosten gespart, doch nun bringen Unklar ist nun, ob das bei den derart gentechnisch verän-
Mäster im selben Zeitraum mehr Tiere zur Schlachtreife und
verbrauchen die begrenzten Ressourcen unter Umständen
noch schneller. Höherer Ertrag, weniger Verluste – so lautet
Für die Erzeugung gentechnisch veränderter Säugetiere das Versprechen der Forschungs-
müssen hohe Tierverluste in Kauf genommen werden. Viele unternehmen bei fast allen diesen Projekten
GEPLANTES VIEH
Gentechnische Veränderungen an Nutztieren, Stand: 2017, Auswahl
Das Ausschalten von Genen verändert Hühner, die
Mit Genen, deren zu wissenschaftlichen Modellorganismen werden.
Ein mutiertes Gen, das Hornlosigkeit Vorlage bei Wild-
programmiert, wird mit dem gentech- schweinen gefunden Das Gen BCO2 löst Pannikulitis,
nischen Instrument TALEN in die Zellen wurde, sollen Mit dem CRISPR/ eine manchmal tödliche Ent-
gehörnter Holstein-Rinder eingeführt. Mastschweine wider- Cas9-System wird in zündung des Fettgewebes, aus.
standsfähiger gegen Kaschmirziegen das Eine Veränderung von BCO2 soll
Das Gen Myostatin, das das Muskel- die afrikanische Gen FGF5 verändert, das verhindern.
wachstum hemmt, wird vollständig Schweinepest damit ihre Haare
abgeschaltet („Gen-Knock-out“). gemacht werden. länger wachsen. Mit dem CRISPR/Cas9--System
FLEISCHATLAS 2018 / AGFRONT, EENENNAAM, WIKIPEDIA
42 FLEISCHATLAS 2018
Das CRISPR/Cas9-System
ERKRANKTES VIEH
Folgen gentechnischer Veränderungen an Wiederkäuern, Resultate 2000 bis 2014, Auswahl
Schwer- und
Totgeburten,
höhere Missbildungen
Anfälligkeit für Verhaltens-
Krankheiten änderungen
Unfruchtbarkeit
geschwollener
Verlust des Unterleib
geschwollene
Schwanzes Ovarien
ungewollte
unerkannte
FLEISCHATLAS 2018 / GE FREE NZ
Lahmheiten Veränderungen
Schäden der Milch Ausscheidung
an inneren von Krankheits-
Euter-
Gelenk- Organen erregern
entzündungen
schäden
FLEISCHATLAS 2018 43
INSEKTEN
I
nsekten zu essen ist für viele Europäerinnen und Euro- europäischen und amerikanischen Medien ein Thema, ent-
päer noch immer eine gruselige Vorstellung. Da helfen weder mit missionarischem Eifer oder abwertender Ironie
auch ernährungswissenschaftliche und ökologische behandelt. In Europa geht es dabei weniger um die Frage,
Argumente wenig, die für den Verzehr von Krabbeltieren, wie gut oder weniger gut sie schmecken, es werden vor al-
Raupen und Larven sprechen. Immerhin schaffen es einige lem ökologische, wirtschaftliche sowie tierethische Gründe
wenige Sterneköche, mit Mehlwürmern und Grillen zu ex- diskutiert. Ernährungsphysiologisch betrachtet zählt ein
perimentieren. Gelassen führen sie vor, dass solche Insek- Großteil dieser Kaltblütler tatsächlich zu den wertvollen
ten auch bloß aus Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten, Vitami- Nahrungsmitteln, auch wenn ihr Gehalt an Proteinen, Vit-
nen und Mineralstoffen bestehen. Mit anderen Worten: Es aminen und Mineralien je nach Spezies, Fütterung und Le-
sind die ganz normalen Nähr- und Wirkstoffe, die wir auch benszyklus – Ei, Larve, Puppe – stark variiert.
in unserer gewohnten Nahrung finden. Mit Weizenkleie gefütterte Heuschrecken weisen zum
„Humans Bite Back“, Menschen beißen zurück: So lau- Beispiel einen doppelt so hohen Proteingehalt auf wie Art-
tete – in Anspielung auf die Wahrnehmung in der westli- genossen, die mit Mais gefüttert werden. Termiten und
chen Welt von Insekten als eine Plage – der Titel einer von Ameisen sind extrem energiereich, je nach Art zwischen
der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO 400 und 1.300 Kilokalorien pro 100 Gramm. Der Energie-
organisierten Tagung in Thailand im Jahr 2008. Zum ersten gehalt von Mehlwürmern dagegen gleicht jenem von ma-
Mal wurde auf internationaler Ebene die Bedeutung der In- gerem Rinderfilet, und der von Heuschrecken liegt deutlich
sekten für die Ernährung, die Gesundheit, die Umwelt und darunter.
die Existenzsicherung von Menschen in den ärmsten Län- Auch wenn Insekten also unterschiedlich bewertet
dern der Welt thematisiert. Die FAO geht davon aus, dass In- werden müssen, sind sie unzweifelhaft eine brillante Al-
sekten zukünftig eine immer wichtigere Rolle in der Ernäh- ternative zu Fleisch. Als Proteinlieferanten übertreffen sie
rung der Weltbevölkerung spielen werden, zumal sie das auch pflanzliche Nahrungsmittel wie etwa Hülsenfrüchte,
in vielen Teilen der Welt heute schon tun. In Asien, Afrika
und Lateinamerika gehören Mahlzeiten mit Heuschrecken,
Schaben, Ameisen & Co. zumindest in der jeweiligen „Ern- Für den menschlichen Verzehr oder als
te“- oder „Jagd“-Saison für einen – oft den ärmeren – Teil der Futtermittel in der Tierzucht – beim
Bevölkerung zum Alltag. Einsatz von Insekten ist die Ökobilanz günstig
FLEISCHATLAS 2018 / INSEKTENESSEN.AT, FAO
Futter Emissionen
CO2
80 %
essbarer Anteil
40 %
1: 4 1: 100
Platz Wasser*
60 %
Proteingehalt
50 %
1: 12,5 1: 15.500
* mit Niederschlägen auf Weiden
44 FLEISCHATLAS 2018
KLEINE TIERE AUF DEM SPEISEPLAN
Zahl der Insektenarten, deren Verzehr dokumentiert ist, nach Ländern, 2017
kein Verzehr,
keine Angaben
1 bis 99
100 bis 199
200 bis 299 Thailand: Getrocknete
300 und mehr Wanzen verdrängen als
Knabberware die Erd-
nüsse in Bierkneipen.
Ghana: Termiten,
besonders in der
Mexiko: Als Snacks an
Regenzeit aktiv,
mobilen Essständen sind
werden auf vielerlei
Käferlarven beliebt, ferner
Arten zubereitet.
Chinicuiles, die auch als
„Mezcal-Würmer“ bekann-
ten Schmetterlingsraupen. Australien: „Witchetty grubs“,
FLEISCHATLAS 2018 / JONGEMA
Holzbohrerlarven, schmecken
nach Nüssen und Mandeln. Sie
sind traditionelle Speise der
Aborigines.
Südafrika: Häufig erhält der Maismehlbrei
ein Topping aus gerösteten Heuschrecken.
FLEISCHATLAS 2018 45
LABORFLEISCH
I
m Juli 2016 schaltete ein israelisches Start-up namens in einem Nährmedium kultiviert und vermehren sich. Billi-
SuperMeat eine Crowdfunding-Kampagne im Internet. onen von Stammzellen bilden anschließend Muskelzellen,
Es warb für die Finanzierung eines Gerätes, für das noch die zu Muskel- und Fleischfasern zusammenwachsen. Das ist
nicht einmal ein Design oder ein Bauplan vorlagen – einen eine Sache von Wochen. Um einen Hamburger zu formen,
Bioreaktor für den Hausgebrauch, der Hühnerfleisch pro- braucht man etwa 20.000 solcher Fasern.
duziert. Die Maschine, so warb ein Video, lasse sich in Super- Die In-vitro-Metzger haben den moralischen Vorteil im
märkten, Restaurants oder sogar in Privathaushalten auf- Auge, aber sie argumentieren auch ökologisch. Fleisch aus
stellen. Nach nicht einmal zwei Monaten war die Zielmarke Fabriken, die eher Raffinerien oder Chemieanlagen entspre-
von 100.000 Dollar erreicht. Inzwischen hat SuperMeat den chen, machen mit der Massentierhaltung Schluss. Die Er-
Betrag auf eine halbe Million Dollar erhöht. Noch bevor der nährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten
Schritt von der Vision zum Plan gemacht war, fanden sich Nationen erwartet, dass sich bis 2050 die weltweite Fleisch-
genügend Leute, die das Verfahren finanzieren. produktion auf 465 Millionen Tonnen jährlich nahezu ver-
Das zeigt, wie faszinierend die Idee für viele sein muss, doppelt. Bis dahin wird es wohl noch immer viele Fleischesser
Fleisch zu produzieren, ohne dass dafür ein Tier leiden geben. Daher die Argumente: Kunstfleisch aus dem Bioreak-
und sterben muss. „Cultured meat“, „clean meat“ oder zu tor sei nachhaltiger herzustellen. Der Energieverbrauch las-
deutsch „In-vitro-Fleisch“ sind die Schlagworte, mit denen se sich um bis zu 45 Prozent gegenüber der konventionellen
junge Biotechnologie-Firmen aus den USA, den Niederlan- Fleischherstellung zurückdrehen. Die Emissionen von Treib-
den und eben aus Israel derzeit um Investorinnen und In- hausgasen, der Flächen- und der Wasserverbrauch sänken
vestoren werben. Science-Fiction ist das nicht mehr. Laut sogar um über 95 Prozent. Aber solche Angaben haben
den Unternehmen ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis schon revidiert werden müssen, und der Energieverbrauch
Hühnchen-Nuggets, Fischstäbchen oder Burger-Pattys aus der Bioreaktoren könnte deutlich höher sein als der der in-
der Petrischale in den Supermärkten liegen. dustriellen Geflügel- und Schweinehaltung.
Die eigentliche Technologie dahinter ist erprobt. Schon
seit Jahren werden Herzklappen, Hautgewebe oder Ohrmu-
scheln im Labor gezüchtet. Also sollte das auch bei Steaks Entgegen früheren Annahmen erfordert
und Schnitzel klappen, sagten sich die Forscherinnen und Laborfleisch wesentlich mehr Energie als Tierfleisch.
Forscher. Die Erzeugung basiert auf Techniken der Zellver- Revidiert wurde auch der Wasserverbrauch
100
80
60
40
FLEISCHATLAS 2018 / TUOMISTO ET AL.
20
0
2011 2014 2011 2014 2011 2014 2011 2014
46 FLEISCHATLAS 2018
FLEISCHATLAS 2018 / VIER PFOTEN, STOCKMAR
BURGER AUS DER PETRISCHALE
Herstellung von In-vitro-Fleisch, vereinfachte Darstellung
In Bioreaktoren
wachsen die
Muskelfasern Im Fleischwolf werden die
heran. Gerüste üben Fasern zu einer Fleischmasse
Zug aus, der die für Burger oder Wurstwaren,
Muskeln trainiert. ein übliches Verfahren.
FLEISCHATLAS 2018 47
AUTORINNEN UND AUTOREN,
QUELLEN VON DATEN, KARTEN
UND GRAFIKEN
Alle Internetquellen wurden zuletzt im 18–19 SCHLACHTABSCHNITTE:
Dezember 2017 abgerufen. Der Fleischatlas ist VON KOPF BIS SCHWANZ von Ludwig Maurer
im PDF-Format unter den Download-Adressen S. 18: Global Poultry Trends, 15.3.2016, Table 7,
herunterzuladen, die im Impressum aufgeführt http://bit.ly/2jh1OVP. EUROSTAT-COMEXT, EU-28 Export of
sind. Im PDF sind alle Links anklickbar. Animal Offal Total, 1.3.2017, http://bit.ly/2nwNi0y.
S. 19: Greenpeace Magazin 5/2015, Ist uns Herz inzwischen
Wurst? http://bit.ly/1NybB3z. Iss was?! Tiere, Fleisch & Ich,
Heinrich-Böll-Stiftung 2016, S. 6, http://bit.ly/2y6bFHn
48 FLEISCHATLAS 2018
28–29 LANDNUTZUNG: DAS FLEISCH 36–37 EINZELHANDEL: TIERHALTUNG – EIN
UND SEINE FLÄCHEN von Nuray Duman THEMA FÜR DEN SUPERMARKT von Sophie Herr
und Tobias Reichert S. 36: LZ Retailytics, Top 30 Lebensmittelhandel
S. 28: World Resources Institute, Shifting Diets for Deutschland 2017, http://bit.ly/2AZHMJP. S. 37:
a Sustainable Food Future, Working Paper, April Anke Zühlsdorf et al., Wie wichtig ist Verbrauchern
2016, S. 39, http://bit.ly/280j5oK. S. 29: Christian Schader das Thema Tierschutz? 2016, S. 20, 22,
et al., Impacts of feeding less food-competing http://bit.ly/2AUEJCp. – Agrarmarkt Informations-
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2050, S. 243, http://bit.ly/2klWS5l.
38–39 EU-AGRARPOLITIK: IDEEN FÜR
30–31 ZUCHT: GESUCHT: DAS GELD AUS BRÜSSEL von Ulrich Jasper
ZWEINUTZUNGSTIERE von Anita Idel S. 38: EU, Overview of CAP Reform 2014-2020, Dezember
S. 30: Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft 2013, S. 4, http://bit.ly/2BJztPs. S. 39: Statistical Factsheet
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Element einer ökologischen Geflügelzucht?
http://bit.ly/2jjVQDQ. – Destatis, Legehennenhaltung 40–41 KLIMA: VIEL WENIGER EMISSIONEN
und Eiererzeugung von 1995 bis 2004. Wirtschaft NUR MIT VIEL WENIGER TIEREN von Tobias
und Statistik 6/2005, S. 588, http://bit.ly/2BKx1Zd. Reichert
Wilfried Brade, Eiererzeugung und S. 40: Heinrich-Böll-Stiftung, Die XXL-Klimabilanz der
Legehuhnzüchtung in der ehemaligen DDR und den Fleisch- und Milchgiganten, http://bit.ly/2j9svi1.
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Deutscher Rinderzüchter, Entwicklung von Log, Abfrage 1.11.2017, http://bit.ly/2knwk3V.
Rinderbeständen und Milchleistung in Deutschland,
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DER ARBEIT von Christoph Then
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Weltklasse, Abbildung 2, http://bit.ly/2AWyQVm. http://bit.ly/2BHBCex.
FLEISCHATLAS 2018 49
HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG
Demokratie und Menschenrechte durchsetzen, gegen die Zerstörung
unseres globalen Ökosystems angehen, patriarchale Herrschafts-
strukturen überwinden, die Freiheit des Individuums gegen
staatliche und wirtschaftliche Übermacht verteidigen – diese Ziele
bestimmen das Handeln der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie steht zwar
den Grünen nahe, ist aber unabhängig und geistiger Offenheit
verpflichtet.
Mit derzeit 32 Auslandsbüros verfügt sie über ein weltweites Netz für
ihr Engagement. Sie arbeitet mit ihren Landesstiftungen in allen
deutschen Bundesländern zusammen, fördert gesellschaftspolitisch
engagierte Studierende und Graduierte im In- und Ausland und
erleichtert die soziale und politische Teilhabe von Immigrantinnen und
Immigranten. Ein besonderes Anliegen ist ihr die Verwirklichung
einer demokratischen Einwanderungsgesellschaft sowie einer
Geschlechterdemokratie als eines von Abhängigkeit und Dominanz
freien Verhältnisses der Geschlechter. Darüber hinaus fördert die
Stiftung Kunst und Kultur als Element ihrer politischen Bildungsarbeit Heinrich-Böll-Stiftung
und als Ausdrucksform gesellschaftlicher Selbstverständigung. Schumannstr. 8, 10117 Berlin, www.boell.de
LE MONDE DIPLOMATIQUE
Hinter dem Atlas der Globalisierung steht die große internationale
Monatszeitung Le Monde diplomatique (LMd), deren deutsche
Ausgabe in Berlin unter dem Dach der taz produziert wird. LMd
berichtet aus aller Welt, wird von Leuten in aller Welt gemacht
und auch – einzigartig – in aller Welt gelesen. Von ihren weltweit
1,5 Millionen Leserinnen und Lesern haben viele die Zeitung
auf Arabisch vor Augen, andere lesen sie auf Japanisch, Polnisch,
Portugiesisch oder Farsi. Denn LMd ist längst zu einem
internationalen Netzwerk geworden, mit über 40 Print- und
Onlineausgaben in mehr als 20 Sprachen.
50 FLEISCHATLAS 2018
BISHER ERSCHIENEN
FLEISCHATLAS
Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013
MEAT ATLAS
Facts and figures about the animals we eat
La réalité et les chiffres sur les animaux
que nous consommons
ET ATLASI
Yediğimiz hayvanlar hakkında gerçekler ve rakamlar
ATLAS CARNE DE
LA
Hechos y cifras sobre los animales que comemos
ATLAS CARNE DA
Fatos e números sobre os animais que comemos
ATLAS MASA
Příběhy a fakta o zvířatech, která jíme
FLEISCHATLAS
Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2014
FLEISCHATLAS
Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2016
KONZERNATLAS
Daten und Fakten über die Agrar- und Lebensmittelindustrie 2017
AGRIFOOD ATLAS
Facts and figures about the corporations that control what we eat 2017
MEERESATLAS
Daten und Fakten über unseren Umgang mit dem Ozean 2017
OCEAN ATLAS
Facts and Figures on the Threats to Our Marine Ecosystems 2017
BODENATLAS
Daten und Fakten über Acker, Land und Erde 2015
SOIL ATLAS
Facts and figures about earth, land and fields 2015
L’ATLAS DU SOL
Faits et chiffres sur la terre, les sols et les champs 2016
KOHLEATLAS
Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff 2015
COAL ATLAS
Facts and figures on a fossil fuel 2015
COAL ATLAS
Facts and figures on a fossil fuel 2015
ATLAS UHLÍ
Příběhy a fakta o palivu, které změnilo svět i klima 2015
ATLAS WEGLA
Dane i fakty o globalnym paliwie 2015
NIGERIA
VERHEIZE
N THE CLIMATE THE CLIMATE PLANETU KLIMAT
KOHLEATLAS EUROPA-ATLAS
SACHSEN
Činjenice i podaci o fosilnom gorivu 2016 Daten und Fakten über den Kontinent
KAKO
ŽRTVUJEMO
KLIMU
KLIMA
WIRTSCHAFT
ARBEIT
Grenzen bei der Düngung
lösen eine technische Modernisierung aus.
aus: WAS NICHT GEBRAUCHT WIRD, KOMMT INS GRUNDWASSER, Seite 26
1.850
40
1.581
11.561 1.285 1.603
9.476 30 1.127 1.527
2.334
Russland
2.202
Kanada
20 Deutschland
4
1.398 17
85 10
Spanien
USA 1.319
85 124.338
4.792 China 78.200
0 Italien
29 502.633
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2014 2016 2018 2010 2012 2014 2016 2018 2020
iko
9.092
6.448
Sterneköchinnen und Sterneköche haben die Tradition neu belebt,
möglichst alle Teile eines geschlachteten Tieres zu verarbeiten.
Indien
Brasilien
aus: VON KOPF BIS SCHWANZ, Seite 18