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Hans  Walter Striebel

Anästhesie
Intensivmedizin
Notfallmedizin

7. Auflage
Hans  Walter Striebel

Anästhesie
Intensivmedizin
Notfallmedizin
Für Studium und Ausbildung

Mit einem Geleitwort von


Klaus Eyrich

7., aktualisierte
und erweiterte Auflage

Mit 239 Abbildungen


und 69 Tabellen
Prof. Dr. med. Hans Walter Striebel, D. E. A. A.
Chefarzt des Instituts für Anästhesiologie,
Intensiv- und Notfallmedizin
Städtische Kliniken Frankfurt am Main-Höchst
Gotenstraße 6–8
65929 Frankfurt am Main

Die Zeichnungen und Fotografien wurden vom


Autor selbst erstellt.

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wicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesonde-
re zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren,  1988, 1994, 1997, 2000, 2003, 2005, 2009
immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der by Schattauer GmbH, Hölderlinstraße 3,
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Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die
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ler zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall Umschlagabbildung: Prof. Dr. med. Hans Walter
einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstim- Striebel
migkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Satz: am-productions GmbH,
Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt In den Weinäckern 12, 69168 Wiesloch
verantwortlich für jede diagnostische oder therapeu- Druck und Einband: Mayr Miesbach GmbH,
tische Applikation, Medikation und Dosierung. Druck . Medien . Verlag, Am Windfeld 15,
In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen 83714 Miesbach
(geschützte Warennamen) nicht immer besonders
kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen
eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen ISBN 978-3-7945-2635-2
Meiner Frau Ursula
und unseren beiden Kindern Julia und Matthias
gewidmet
VII

Geleitwort

Anästhesiologen, die die Entwicklung der Pflegekräften, Studenten und Ärzten in den
Anästhesiologie aus der Ära der Chlorethyl- Fächern Anästhesie, Intensiv- und Notfallme­
Ethernarkose zur heutigen hoch spezifizierten dizin. Er hat – einem oft geäußerten Wunsch fol-
Narkosetechnik miterlebt haben, erinnern sich gend – seine Unterrichtsmanuskripte überar-
noch sehr wohl der Zeiten, in denen Routine­ beitet und ergänzt. Das Ergebnis ist dieses, aus
narkosen von überaus erfahrenen Schwestern der Unterrichtspraxis heraus gewachsene Buch.
durchgeführt wurden, während die komplizier- Dieses Werk soll eine breite Wissensbasis für
teren Narkosen dem jeweils jüngsten Assisten- alle jene sein, die sich der Anästhesie, Intensiv-
ten eines betroffenen operativen Faches über- und Notfallmedizin widmen wollen und sich
tragen wurden, der sich mehr oder weniger hierfür das notwendige Wissen aneignen möch-
geschickt der häufig ungeliebten Aufgabe unter- ten, seien es Schwestern oder Pfleger, angehen-
zog, einen Patienten zu narkotisieren. Die ihn de oder fertige Fachkräfte, Studenten im Prakti-
dabei unterstützenden Schwestern und Pfleger schen Jahr oder Berufsanfänger.
hatten meist mehr Erfahrung als er selbst, und Relativ kurze Zeit nach Erscheinen der letzten
er war für deren selbstlose Hilfe zumeist tief Auflage ist nun schon wieder eine Neuauflage
dankbar. notwendig geworden. Dies spricht für sich
Inzwischen hat sich das Bild gewandelt. Die allein und ich kann meinem hervorragenden
Anästhesiologie ist ein eigener, hoch speziali- ehemaligen Mitarbeiter Hans Walter Striebel
sierter Beruf. Nicht nur die Medikamente haben nur wärmsten zu diesem Erfolg gratulieren. Ich
sich geändert, auch die Überwachungsmöglich- bin überzeugt, dass auch diese neueste, überar-
keiten haben sich dank der von vielen merk- beitete und erweiterte Auflage eine breite Leser-
würdigerweise negativ gesehenen sog. Appara- schaft finden wird. Möge dieses Buch weiterhin
temedizin erweitert. Die Entwicklung der unseren Patienten zugutekommen sowie denje-
operativen Medizin zur heutigen Breite wäre nigen dienen, die sich auf ein Examen vorberei-
nicht möglich gewesen, wenn nicht die Mitar- ten müssen. Außerdem ist dieses Werk bestens
beiter dieses Faches gewährleisten würden, als Nachschlagewerk für jene geeignet, die
dass auch Patienten extremer Altersstufen Wissenslücken schließen möchten.
mit komplizierten Begleiterkrankungen selbst
großen operativen Eingriffen unterzogen wer- Univ.-Prof. em. Dr. med. Klaus Eyrich
den können. ehem. Leiter der Klinik für Anästhesiologie
Mein ehemaliger Mitarbeiter Prof. Dr. Hans und Operative Intensivmedizin
Walter Striebel erteilt seit langem Unterricht des jetzigen Campus Benjamin Franklin
im Rahmen der Aus- und Weiterbildung von der Charité, Berlin
VIII

Vorwort

Grundlage für dieses Buch sind die Manus­ sivmedizin dienen, aber auch für alle anderen
kripte zahlreicher Fortbildungsveranstaltungen, an der Anäs­thesie, Intensiv- und Notfallmedi-
die von mir am jetzigen Campus Benjamin zin interessierten Leser soll es eine Verständnis-
Franklin der Charité in Berlin sowie an den hilfe darstellen.
Städtischen Kliniken Frankfurt am Main- Um den Lesefluss nicht unnötig zu stören, wur-
Höchst sowohl für Studenten des Praktischen de z. B. bei Berufsbezeichnungen und bei Pati-
Jahres als auch für das Anästhesie-Pflegeper­ enten nur die männliche Form verwendet (der
sonal – ins­besondere für Teilnehmer des Wei- Arzt, der Patient). Selbstverständlich sind hier-
terbildungskurses zur Fachkrankenschwester bei stets Männer und (!) Frauen gemeint.
bzw. zum Fachkrankenpfleger für Anästhesie An dieser Stelle darf ich mich sehr herzlich bei
und Intensivmedizin – gehalten wurden. Dr. med. Tino Bastiani und Dr. med. Katrin
Für diese 7. Auflage wurde das Manuskript der Reichau (tätig am Institut für Anästhesiologie,
Vorauflage wiederum grundlegend überarbeitet Intensiv- und Notfallmedizin der Städtischen
und aktualisiert. Beispielsweise wurden die Re- Kliniken Frankfurt am Main-Höchst) bedan-
animationsrichtlinien (des European Resuscita- ken, die das Manuskript überarbeitet und kon-
tion Council) auf den neuesten Stand gebracht struktive Ergänzungen, Anmerkungen und
und das Propofolinfusionssyndrom, die Fast- Korrekturen vorgenommen haben.
Track-Prinzipien in der Kolonchirurgie sowie Herrn Dipl.-Psych. Dr. med. Wulf Bertram
moderne balancierte Infusions­lösungen genau- und Frau Dipl.-Chem. Claudia Ganter vom
so ergänzt wie die Durchführung von Plexus­ Schattauer Verlag möchte ich für ihre Unter-
anästhesien oder zentralvenösen Punktionen stützung und die sehr gute Zusammenarbeit
unter Ultraschallkontrolle. danken.
Das Buch ist als Nachschlagewerk für in der Der größte Dank gilt meiner Familie. Da das
Anästhesie und Intensivmedizin arbeitenden Buch ausschließlich nach dem oft anstrengen-
Studenten, Absolventen des Praktischen Jahres den Klinikalltag verfasst wurde, bedeutete dies
und junge Anästhesisten gedacht. Außerdem zwangsläufig eine Einschränkung des Familien-
soll es ein Lehrbuch für die Absolventen des lebens. Ohne die verständnisvolle Nachsicht
Weiterbildungskurses zur Fachkrankenschwes­ und Geduld meiner Frau und unserer beiden
ter bzw. zum Fachkrankenpfleger für Anästhe- Kinder wäre dies nicht möglich gewesen.
sie und Intensivmedizin sein. Daneben kann es
für Dozenten und Fortbildungslehrkräfte als Frankfurt am Main-Höchst,
Leitfaden für den Studentenunterricht bzw. im Dezember 2008
Fachweiterbildungskurs Anästhesie und Inten- Hans Walter Striebel
IX

Inhalt

1 Anästhesie – allgemeiner Teil ___ 1 1.8.3 MAC-Wert ____________________ 39


1.8.4 Wichtige Medikamente ___________ 39
1.1 Allgemeine Bemerkungen _ ________ 1
1.9 Intravenöse Anästhetika__________ 46
1.2 Teilgebiete _ ____________________ 1 1.9.1 Allgemeine Bemerkungen _ _______ 46
1.9.2 Medikamente _ _________________ 49
1.3 Aufgaben des Anästhesisten
und des Anästhesie- 1.10 Muskelrelaxanzien ______________ 64
pflegepersonals _ ________________ 2 1.10.1 Physiologie der neuromuskulären
Übertragung_ __________________ 64
1.4 Präoperative Visite _______________ 2 1.10.2 Nicht depolarisierende
1.4.1 Ziele _ _________________________ 2 Muskelrelaxanzien _ _____________ 64
1.4.2 Ablauf_ ________________________ 3 1.10.3 Depolarisierende Muskel-
relaxanzien ____________________ 73
1.5 Prämedikation _ _________________ 5
1.5.1 Ziele _ _________________________ 5 1.11 Neuromuskuläres Monitoring
1.5.2 Substanzklassen _ ________________ 6 (Relaxometrie) _ ________________ 76
1.5.3 Durchführung _________________ 10 1.11.1 Relaxationsgrad _ _______________ 76
1.11.2 Wirkprinzip _ __________________ 78
1.6 Narkoseapparat ________________ 11 1.11.3 Durchführung _________________ 78
1.6.1 Narkosesysteme _ _______________ 11
1.6.2 Bauteile_ ______________________ 16 1.12 Endotracheale Intubation _ _______ 82
1.12.1 Vorteile_ ______________________ 82
1.7 Narkosevorbereitungen_ _________ 25 1.12.2 Absolute Indikationen _ __________ 82
1.7.1 Medizinproduktegesetz __________ 25 1.12.3 Anatomie des Kehlkopfes_ ________ 82
1.7.2 Überprüfung des Narkosewagens 1.12.4 Instrumentarium _ ______________ 83
auf Vollständigkeit _ _____________ 31 1.12.5 Vorbereitungen_ ________________ 92
1.7.3 Vorbereitung von Material 1.12.6 Intubation unter laryngoskopischer
und Medikamenten _ ____________ 32 Sicht _ ________________________ 92
1.7.4 Aufziehen der Medikamente _ _____ 32 1.12.7 Blocken des Tubus _ _____________ 96
1.7.5 Vorbereitung des Patienten 1.12.8 Lagekontrolle des Tubus_ _________ 97
auf die Narkose _________________ 32 1.12.9 Fixierung des Tubus _____________ 98
1.7.6 Lagerung des Patienten – 1.12.10 Mögliche Komplikationen
Lagerungsschäden _ _____________ 35 durch Intubation und Tubus______ 100

1.8 Inhalationsanästhetika ___________ 36 1.13 Kehlkopfmaske (Larynxmaske)____ 101


1.8.1 Allgemeine Bemerkungen _ _______ 36
1.8.2 Faktoren, die die Aufnahme und 1.14 Larynxtubus _ _________________ 105
die Abatmung eines Inhalations‑
anästhetikums beschleunigen bzw. 1.15 Narkosetiefe_ _________________ 106
verzögern _ ____________________ 37 1.15.1 Narkosestadien bei der Ethertropf-
narkose – Guedel-Schema _ ______ 106
X Inhalt

1.15.2 Beurteilung bei moderner 1.21.2 Transfusionslösungen_ __________ 136


Narkoseführung _______________ 107 1.21.3 Durchführung einer Bluttrans­-
fusion _ ______________________ 138
1.16 Manuelle Beatmung 1.21.4 Gefahren einer Bluttransfusion____ 142
mit dem Kreissystem _ __________ 108 1.21.5 Transfusionszwischenfall _ _______ 142
1.16.1 Einstellung des Überdruckventils_ _ 108 1.21.6 Allgemeine Bemerkungen
1.16.2 Manuelle Beatmung zur perioperativen Flüssigkeits‑
über eine Gesichtsmaske_________ 109 therapie_ _____________________ 143
1.16.3 Manuelle Beatmung
des intubierten Patienten _ _______ 111 1.22 Dokumentation
1.16.4 Manuelle Beatmung in der Anästhesie ______________ 148
über eine Larynxmaske __________ 112
1.16.5 Spontanatmung _______________ 112 1.23 Gefahren für das Anästhesie-
1.16.6 Übergang zur maschinellen personal _ ____________________ 149
Beatmung_ ___________________ 112 1.23.1 Narkosegasbelastung _ __________ 149
1.23.2 Nadelstichverletzungen _________ 150
1.17 Maskennarkose _ ______________ 112 1.23.3 MRSA-positive Patienten ________ 152
1.17.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 112
1.17.2 Maskennarkose am Beispiel einer
reinen Inhalationsanästhesie _ ____ 113
2 Lokal- und Regional-
1.18 Intubationsnarkose _ ___________ 115 anästhesie __________________ 155
1.18.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 115
1.18.2 Intubationsnarkose am Beispiel 2.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 155
einer reinen Inhalations­-
anästhesie ____________________ 116 2.2 Wirkungsweise_ _______________ 155
1.18.3 Kombination eines verdampfbaren
Inhalationsanästhetikums 2.3 Nebenwirkungen _ _____________ 156
mit einem Opioid_ _____________ 124 2.3.1 Toxische Nebenwirkungen_ ______ 156
1.18.4 Intravenöse Anästhesie und totale 2.3.2 Anaphylaktoide
intravenöse Anästhesie_ _________ 125 Nebenwirkungen _ _____________ 158
1.18.5 Neuroleptanästhesie_ ___________ 130 2.3.3 Sonstige Nebenwirkungen _ ______ 158

1.19 Narkose unter Verwendung 2.4 Verschiedene Formen_ __________ 158


einer Kehlkopfmaske ___________ 131 2.4.1 Lokalanästhesie________________ 159
1.19.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 131 2.4.2 Leitungs- oder Regionalanäs-
1.19.2 Vorbereitungen_ _______________ 131 thesie________________________ 160
1.19.3 Narkoseeinleitung______________ 131 2.4.3 Intravenöse Regionalanäs-
1.19.4 Narkoseaufrechterhaltung thesie________________________ 182
und -ausleitung_ _______________ 132

1.20 Narkose unter Verwendung


eines Larynxtubus______________ 132 3 Spezielle Narkose-
vorbereitungen______________ 185
1.21 Perioperative Infusions-
und Transfusionstherapie_ _______ 132 3.1 Zentraler Venenkatheter_________ 185
1.21.1 Infusionslösungen ______________ 133 3.1.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 185
Inhalt XI

3.1.2 Indikationen_ _________________ 185 4.2 Aspiration_ ___________________ 211


3.1.3 Material ______________________ 185 4.2.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 211
3.1.4 Vorbereitung__________________ 185 4.2.2 Therapie _ ____________________ 211
3.1.5 Punktionsorte_ ________________ 186
3.1.6 Lagekontrolle des Katheters ______ 190 4.3 Maligne Hyperthermie_ _________ 212
4.3.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 212
3.2 Blutige arterielle Druckmessung __ 191 4.3.2 Erkennungszeichen _____________ 212
3.2.1 Indikationen_ _________________ 191 4.3.3 Mögliche auslösende Faktoren_ ___ 213
3.2.2 Ort der Messung_ ______________ 191 4.3.4 Therapie _ ____________________ 213
3.2.3 Allen-Test_ ___________________ 191 4.3.5 Anästhesie bei bekannter
3.2.4 Material ______________________ 192 Neigung zur MH _______________ 214
3.2.5 Vorbereitung__________________ 194
3.2.6 Punktion der Arteria radialis _____ 194 4.4 Laryngospasmus_ ______________ 214
3.2.7 Nullpunktabgleich und 4.4.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 214
Kalibration _ __________________ 196 4.4.2 Erkennungszeichen _____________ 214
3.2.8 Probleme_____________________ 197 4.4.3 Mögliche Ursachen_ ____________ 215
3.2.9 Komplikationen _ ______________ 197 4.4.4 Therapie _ ____________________ 215
4.4.5 Prophylaxe _ __________________ 215
3.3 Pulmonalarterienkatheter _______ 197
3.3.1 Indikationen_ _________________ 197 4.5 Bronchospasmus_______________ 216
3.3.2 Aufbau _ _____________________ 198 4.5.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 216
3.3.3 Material ______________________ 198 4.5.2 Erkennungszeichen _____________ 216
3.3.4 Vorbereitung der Druck- 4.5.3 Mögliche Ursachen_ ____________ 216
messung _ ____________________ 199 4.5.4 Therapie _ ____________________ 216
3.3.5 Einführen eines Pulmonalis- 4.5.5 Prophylaxe _ __________________ 216
katheters_ ____________________ 199
3.3.6 Interpretation der gemessenen 4.6 Singultus_____________________ 217
Werte________________________ 201 4.6.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 217
3.3.7 Veränderung der Kreislauf- 4.6.2 Therapie _ ____________________ 217
parameter ____________________ 203
3.3.8 Gefahren_ ____________________ 203 4.7 Herzrhythmusstörungen_ ________ 217
4.7.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 217
3.4 PiCCO _ ______________________ 204 4.7.2 Ursachen_____________________ 217
4.7.3 Therapie _ ____________________ 218
3.5 Echokardiographie_ ____________ 204
3.5.1 Doppler-Effekt _ _______________ 205 4.8 Hypotonie_ ___________________ 218
3.5.2 Stressechokardiographie_________ 208
4.9 Hypertonie ___________________ 218

4.10 Anaphylaktoide Reaktionen ______ 219


4 Typische Narkoseprobleme_ __ 209 4.10.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 219
4.10.2 Einteilung der Schweregrade _ ____ 219
4.1 Nicht nüchterner Patient _ _______ 209 4.10.3 Häufigkeit_ ___________________ 219
4.1.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 209 4.10.4 Therapie _ ____________________ 220
4.1.2 Wahl des Narkoseverfahrens _ ____ 209 4.10.5 Prophylaxe _ __________________ 222
4.1.3 Aspirationsprophylaxe _ _________ 210
4.1.4 „Ileuseinleitung“_ ______________ 210
XII Inhalt

4.11 (Un-)erwartete Probleme 5.5 Anästhesie in der Urologie_______ 262


bei Intubation_________________ 223 5.5.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 262
4.11.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 223 5.5.2 Operationen __________________ 262
4.11.2 Beurteilungskriterien
für Schweregrad der Intubation ___ 224 5.6 Anästhesie in der Neurochirurgie__ 267
4.11.3 Vorgehen bei erwarteten 5.6.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 267
Intubationsproblemen _ _________ 225 5.6.2 Spezielle neurochirurgische
4.11.4 Unerwartete Intubationsprobleme Lagerungen_ __________________ 270
beim bereits anästhesierten 5.6.3 Anästhesiologische Besonder-
Patienten_ ____________________ 228 heiten _ ______________________ 272
4.11.5 Extubation nach schwieriger 5.6.4 Allgemeine Bemerkungen
Intubation_ ___________________ 230 zur Narkose ___________________ 276
5.6.5 Operationen __________________ 277
4.12 Perioperative Unterkühlung______ 231
5.7 Anästhesie in der HNO-
4.13 Intraoperative Wachheit_________ 231 und Kieferchirurgie _ ___________ 279
5.7.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 279
5.7.2 Operationen bzw. Unter-
suchungen ____________________ 281
5 Anästhesie – spezieller Teil_ __ 233
5.8 Anästhesie in der Augen-
5.1 Anästhesie bei Kindern _ ________ 233 heilkunde _ ___________________ 283
5.1.1 Allgemeine Bemerkungen________ 233 5.8.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 283
5.1.2 Physiologische Besonderheiten _ __ 233 5.8.2 Operationen __________________ 285
5.1.3 Spezielles Narkosezubehör_ ______ 236
5.1.4 Narkosesysteme _ ______________ 238 5.9 Anästhesie in der Abdominal-
5.1.5 Durchführung ________________ 238 chirurgie_ ____________________ 287
5.9.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 287
5.2 Anästhesie im hohen 5.9.2 Minimalinvasive Chirurgie_______ 288
Lebensalter_ __________________ 248 5.9.3 Operationen __________________ 289
5.2.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 248 5.9.4 Fast-Track-Verfahren ___________ 291
5.2.2 Präoperative Visite _____________ 248
5.2.3 Prämedikation _ _______________ 249 5.10 Anästhesie in der Traumatologie
5.2.4 Narkoseführung _______________ 249 und Orthopädie _ ______________ 292
5.2.5 Postoperative Nachbehandlung _ __ 250 5.10.1 Notfallmäßige Operationen ______ 292
5.10.2 Geplante Operationen _ _________ 293
5.3 Anästhesie in der Geburtshilfe____ 250 5.10.3 Operationen im Hüftbereich _ ____ 293
5.3.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 250
5.3.2 Physiologie der Geburt_ _________ 251 5.11 Anästhesie
5.3.3 Narkoseführung _______________ 253 in der Thoraxchirurgie _ _________ 294
5.3.4 Unerwünschte Arzneimittel- 5.11.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 294
wirkungen____________________ 257 5.11.2 Transport des Patienten auf die
5.3.5 Präeklampsie und Eklampsie _____ 257 Intensivstation _ _______________ 295
5.11.3 Postoperative Nachbehandlung _ __ 296
5.4 Anästhesie in der Gynäkologie _ __ 261
5.4.1 Lagerung_____________________ 261 5.12 Anästhesie in der Herzchirurgie___ 296
5.4.2 Operationen __________________ 261 5.12.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 296
Inhalt XIII

5.12.2 Herz-Lungen-Maschine _________ 298 6.8 Übelkeit und Brechreiz_ _________ 333
5.12.3 Medikamentöse Besonderheiten___ 300 6.8.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 333
5.12.4 Allgemeine Bemerkungen 6.8.2 Therapie _ ____________________ 334
zur Narkose ___________________ 305
5.12.5 Häufige Herzoperationen_ _______ 312 6.9 Kältegefühl_ __________________ 336
5.12.6 Minimalinvasive Operations- 6.9.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 336
techniken _ ___________________ 314 6.9.2 Therapie _ ____________________ 336
5.12.7 Verlegung auf die Intensivstation _ _ 315
5.12.8 Fast-Track-Verfahren ___________ 315 6.10 Unruhe _ _____________________ 337

5.13 Polytraumatisierte Patienten_ ____ 316 6.11 Rückenmarksnahe Leitungs-


5.13.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 316 anästhesien _ _________________ 337
5.13.2 Diagnostik _ __________________ 316
5.13.3 Versorgungsphasen _____________ 317 6.12 Verlegung auf die Allgemein-
station_______________________ 337

6 Aufwachraum _______________ 321


7 Intensivmedizin _ ____________ 339
6.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 321
7.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 339
6.2 Übernahme des Patienten _ ______ 321
7.2 Beatmungstherapie _ ___________ 340
6.3 Wachheitsgrad ________________ 321 7.2.1 Physiologie und Pathophysiologie
der Atmung ___________________ 340
6.4 Atmung_ _____________________ 322 7.2.2 Respiratorische Insuffizienz _ _____ 345
6.4.1 Überwachung_ ________________ 322 7.2.3 Indikationen zur Beatmung ______ 346
6.4.2 Ursachen unzureichender 7.2.4 Auswahl des Beatmungsweges ____ 347
Atmung______________________ 322 7.2.5 Bronchialtoilette_ ______________ 349
7.2.6 Langzeitbeatmung _ ____________ 349
6.5 Kreislauf _____________________ 325
6.5.1 Kontrolle_____________________ 325 7.3 Künstliche Ernährung_ __________ 374
6.5.2 Komplikationen _ ______________ 325 7.3.1 Totale parenterale Ernährung_____ 375
7.3.2 Enterale Ernährung _ ___________ 381
6.6 Sonstige Maßnahmen ___________ 327 7.3.3 Immunonutrition_ _____________ 384
6.6.1 Allgemeine pflegerische
Maßnahmen_ _________________ 327 7.4 Antibiotikatherapie _ ___________ 385
6.6.2 Einschätzung anhand 7.4.1 Medikamente _ ________________ 386
postanästhetischer Checkliste_____ 327 7.4.2 Bakteriologische
Untersuchungen _______________ 389
6.7 Schmerzbekämpfung ___________ 328
6.7.1 Bedarfsadaptierte Opioid- 7.5 Säure-Basen-Haushalt _ _________ 390
dosierung _ ___________________ 328 7.5.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 390
6.7.2 Postoperativ häufig eingesetzte 7.5.2 Regulation ____________________ 391
Opioide_ _____________________ 329 7.5.3 Störungen_ ___________________ 393
6.7.3 Antipyretische Analgetika _ ______ 330
XIV Inhalt

7.6 Blutgasanalyse_ _______________ 397 7.11.2 Blasenkatheter_________________ 434


7.6.1 Abnahme der Blutprobe_ ________ 397 7.11.3 Zentraler Venenkatheter_________ 436
7.6.2 Art der Blutprobe_ _____________ 399 7.11.4 Blutige arterielle Druckmessung___ 436
7.6.3 Aufbewahrung der Blutprobe_ ____ 399 7.11.5 Pulmonalarterienkatheter________ 436
7.11.6 Thoraxdrainage________________ 436
7.7 Überwachung
des Intensivpatienten ___________ 399 7.12 Wundversorgung _ _____________ 441
7.7.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 399 7.12.1 Wundheilung _ ________________ 441
7.7.2 Herz-Kreislauf-Funktion _ _______ 399 7.12.2 Materialien zur Wund-
7.7.3 Atmung/Beatmung_ ____________ 403 behandlung_ __________________ 442
7.7.4 Säure-Basen-Haushalt 7.12.3 Spezielle Wundbehandlung_______ 444
und Blutgase_ _________________ 407
7.7.5 Hirnfunktion _ ________________ 407 7.13 Spezielle Krankheitsbilder_ ______ 445
7.7.6 Urinausscheidung_ _____________ 417 7.13.1 Lungenerkrankungen_ __________ 445
7.7.7 Weitere Überwachungs- 7.13.2 Herzerkrankungen _____________ 453
maßnahmen __________________ 418 7.13.3 Nierenerkrankungen ___________ 461
7.13.4 ZNS-Erkrankungen _ ___________ 466
7.8 Pflege des Intensivpatienten_ ____ 418 7.13.5 Abdominalerkrankungen_ _______ 471
7.8.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 418 7.13.6 Alkoholkrankheit_ _____________ 478
7.8.2 Hautpflege____________________ 420 7.13.7 Verbrennungskrankheit _ ________ 479
7.8.3 Haarpflege____________________ 421 7.13.8 SIRS _ _______________________ 483
7.8.4 Augenpflege _ _________________ 421 7.13.9 Sepsis _ ______________________ 483
7.8.5 Mundpflege___________________ 422
7.8.6 Nasenpflege ___________________ 422
7.8.7 Ohrenpflege _ _________________ 423
7.8.8 Nagelpflege_ __________________ 423 8 Notfallmedizin _ _____________ 485
7.8.9 Wechsel der Bettwäsche _________ 423
8.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 485
7.9 Prophylaktische Maßnahmen_____ 423 8.1.1 Rettungskette _ ________________ 485
7.9.1 Infektionsprophylaxe _ __________ 424 8.1.2 Leitsymptome_ ________________ 485
7.9.2 Pneumonieprophylaxe 8.1.3 Intravenöser Zugang ____________ 485
und Prophylaxe lagebedingter 8.1.4 Endotracheale Intubation_ _______ 487
pulmonaler Schäden_ ___________ 425 8.1.5 EKG-Diagnostik_ ______________ 487
7.9.3 Thromboseprophylaxe _ _________ 426
7.9.4 Stressulkusprophylaxe _ _________ 427 8.2 Leitsymptom:
7.9.5 Dekubitusprophylaxe ___________ 428 akuter Brustschmerz____________ 489
7.9.6 Intertrigoprophylaxe____________ 430 8.2.1 Akutes Koronarsyndrom _ _______ 492
7.9.7 Kontraktur- und Spitzfuß-
prophylaxe _ __________________ 430 8.3 Leitsymptom:
(akute) Atemnot _______________ 499
7.10 Lagerung des Intensivpatienten _ _ 431 8.3.1 Asthma bronchiale _____________ 499
7.10.1 Rückenlagerung _ ______________ 431 8.3.2 Lungenödem__________________ 501
7.10.2 Seitenlagerung _ _______________ 431 8.3.3 Pneumothorax _ _______________ 503
7.10.3 Bauchlagerung _ _______________ 432
7.10.4 Lagerung in Spezialbetten _______ 433 8.4 Leitsymptom:
plötzliche Bewusstseinstrübung___ 507
7.11 Sonde, Katheter und Drainage_ ___ 433
7.11.1 Magensonde __________________ 433 8.5 Leitsymptom: Vergiftung _ _______ 511
Inhalt XV

8.6 Sonstige häufigere 9.1.2 Elektrolyte____________________ 553


Krankheitsbilder_ ______________ 517 9.1.3 Gerinnung _ __________________ 553
8.6.1 Hypertonie und krisenhafter 9.1.4 Leberwerte _ __________________ 553
Blutdruckanstieg_______________ 517 9.1.5 Sonstige Laborwerte_ ___________ 554
8.6.2 Beinahe Ertrinken______________ 523 9.1.6 Blutzucker____________________ 554
8.6.3 Großschadensereignis ___________ 524 9.1.7 Blutbild_ _____________________ 554
8.6.4 Polytrauma_ __________________ 525 9.1.8 Hämodynamische
Parameter_ ___________________ 554
8.7 Lebensrettende Sofort-
maßnahmen __________________ 526 9.2 Medikamentenverzeichnis_ ______ 555
8.7.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 526
8.7.2 Kardiopulmonale Reanimation _ __ 526 9.3 Auszug aus dem
Medizinproduktegesetz _________ 556

9.4 Abkürzungen _ ________________ 558


9 Anhang_ ____________________ 553

9.1 Normalwerte _ ________________ 553


9.1.1 Blutgasanalyse_________________ 553 Sachverzeichnis ___________________ 561
1

1  Anästhesie – allgemeiner Teil

1.1 Allgemeine Bemerkungen Im Jahre 1846 wurde erstmals Ether erfolgreich


für eine Operation eingesetzt. In der Folgezeit

Anästhesie bedeutet Empfindungslosigkeit, also kam es zu einem stürmischen Fortschritt in der
 das Fehlen sämtlicher Wahrnehmungen. Anstatt Narkosetechnik. Die Apparaturen zur Ether-
von Anästhesie wird oft auch von Narkose gespro- verabreichung wurden verbessert und sicherer
chen. Narkose leitet sich von dem altgriechischen gemacht. Neue Narkosemedikamente und neue
Begriff nárkosi (= In-Schlaf-Versetzen) ab. Narkosetechniken wurden entdeckt. Erst die
Möglichkeit zur Narkose erlaubte die Auswei-
Die Kunst der Anästhesie ist nicht alt. Bis ins 18. tung der Chirurgie. Heute können Operationen
Jahrhundert gab es noch keine Medikamente zur von fast unbegrenzter Dauer durchgeführt wer-
Narkose. Wer damals das Pech hatte, sich einer den. Operationszeiten von bis zu 15 Stunden
Operation unterziehen zu müssen, wurde evtl. in und mehr sind keine Seltenheit mehr. Ein Pati-
einen Alkoholrausch versetzt, in dem dann bei- ent, der sich heute einer Operation in Vollnar-
spielsweise die Amputation eines Beines vorge- kose unterziehen muss, kann sicher sein, dass er
nommen wurde. Der vor Schmerzen brüllende während der Operation „schläft“ und völlig
Patient wurde während der Operation festgehal- schmerzfrei ist.
ten. Häufig wurde er ohnmächtig vor Schmerzen.
Die Operationszeit musste so kurz wie möglich
gehalten werden. Operiert wurde nur bei lebens-
bedrohlicher Indikation. Die Letalität war hoch. 1.2 Teilgebiete
Das Ziel jeder Allgemeinanästhesie (= Vollnarko- Die Anästhesiologie umfasst 4 Teilgebiete:
! se) muss es sein, den Patienten vorübergehend in ● Anästhesie
einen Zustand zu versetzen, in dem eine Operati- ● Intensivmedizin
on sowohl für den Patienten als auch für den Ope- ● Notfallmedizin
rateur optimal durchgeführt werden kann. ● Schmerztherapie

Optimale Bedingungen für den Patienten be- Im vorliegenden Buch werden die Teilgebiete
deuten: Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedi­-
● Bewusstlosigkeit (Hypnose) zin abgehandelt. Bezüglich des Teilgebietes
● Schmerzfreiheit (Analgesie) Schmerztherapie wird auf das Buch „Therapie
● Dämpfung vegetativer Reflexe chronischer Schmerzen – Ein praktischer Leit-
faden“ (H. W. Striebel; Schattauer Verlag; 4.
Optimale Bedingungen für den Operateur be- Aufl.) verwiesen.
deuten bei vielen Operationen (z. B. im Bauch-
raum):
● gute Muskelerschlaffung (Relaxation) und

damit
● guter Zugang zum Operationsgebiet
2 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

1.3 Aufgaben des Auch die postoperative Weiterbetreuung von


schwerkranken Patienten auf einer operativen
Anästhesisten und des Intensivstation untersteht zumeist der Anäs-
Anästhesiepflegepersonals thesieabteilung. Eine weitere Aufgabe des Anäs-
thesisten ist die Notfallmedizin, das heißt die
Die ursprünglichste und wichtigste Aufgabe des Wiederbelebung und Stabilisierung vor allem
Anästhesisten ist die Schaffung eines schmerz- des Herz-Kreislauf-Systems und der Atmung.
freien Zustandes, in dem z. B. Operationen so- Diese Aufgabe wird vom Anästhesisten nicht
wie diagnostische oder therapeutische Maß- nur bei einem „Narkosezwischenfall“ wahrge-
nahmen vorgenommen werden können. nommen, sondern vielerorts auch im Notarzt-
Dies kann mithilfe einer Vollnarkose (Allge- wagen, bei der Aufnahme schwerverletzter Pa-
meinanästhesie) oder – in geeigneten Fällen – tienten in die Erste-Hilfe-Station eines
mithilfe einer Lokal- oder Regionalanästhesie Krankenhauses, auf operativen Intensivstatio-
erreicht werden. Der Anästhesist ist für die nen sowie auf den Krankenstationen und auch
Durchführung dieser Anästhesien sowie deren bei der Wiederbelebung von Neugeborenen im
Überwachung verantwortlich. Kreissaal. Ein weiterer Betätigungsbereich des
Diesen Anforderungen kann der Anästhesist Anästhesisten ist die Schmerztherapie bei
nur dank der Mithilfe einer Anästhesieschwes­ chronischen Schmerzzuständen wie z. B. Karzi-
ter oder eines Anästhesiepflegers gerecht wer- nomschmerzen. In vielen großen Kliniken wur-
den. den hierzu inzwischen Schmerzambulanzen
Zu den wichtigsten Aufgaben der Anästhesie- errichtet, die zumeist der Anästhesieabteilung
pflegekraft gehören: unterstehen.
● Assistenz bei den oben genannten ärztlichen

Tätigkeiten
● Bereitlegen der dazu notwendigen Medika-

mente 1.4 Präoperative Visite


● Herrichten der dazu benötigten Anästhesie-

geräte Normalerweise liegt bereits am Nachmittag der


● Wartung und Reinigung der Anästhesiegerä- Operationsplan für den folgenden Tag vor. Der
te sowie deren Überprüfung auf Funktions- Anästhesist sowie die Anästhesieschwester kön-
tüchtigkeit nen daraus ersehen, welche Patienten sie am
● Übernahme ärztlicher Tätigkeiten, wenn nächsten Tag zu betreuen haben. In Tabelle 1-1
diese ausdrücklich an die Anästhesiepflege- ist ein Beispiel für einen OP-Plan aus der tägli-
kraft delegiert wurden. Voraussetzung hier- chen Praxis dargestellt.
zu ist neben einer entsprechenden Erfahrung Es ist anzustreben, dass derjenige Anästhesist,
der Anästhesiepflegekraft eine genaue Hand- der der Narkose zugeteilt ist, „seine“ Patienten
lungsanweisung sowie eine Überwachung am Abend zuvor aufsucht und die sog. präope-
durch den verantwortlichen Anästhesisten. rative Visite durchführt.
● Durchführung pflegerischer Maßnahmen wie

Einbringen von Augensalbe (oder zusätzliches


Zukleben und Abpolstern der Augen bei z. B. 1.4.1 Ziele
geplanter Knie-Ellenbogen-Lage) sobald der
Patient in Narkose versetzt wurde und Durch- ● Überprüfung der vorliegenden Akten (z. B.
führung von wärmekonservierenden Maßnah- EKG, Röntgen- und Laborbefunde)
men. Außerdem soll die Pflegekraft auf Ängste ● Untersuchung des Patienten

und Sorgen des Patienten während der Narko-


sevorbereitungen eingehen.
1.4  Präoperative Visite 3

Tab. 1-1  Operationsplan
Patient Alter Sta- Diagnose Operation Opera- OP- Anästhesist
tion teur Saal
Müller A. 17 J. 12A Abort Curettage Mai./Lut. 7 Ham. (Larynxmaske)
Maier H. 54 J. 14A Cholezystoli- laparoskopische Kre./Weg. 4 Ham. (Intubationsnarkose)
thiasis Cholezystek- Dil./Stud.
tomie
Hinz C. 78 J. 02 Magen- Magen­- Kre./Wag. 4 Ham. (Intubationsnarkose,
karzinom resektion Dil./Stud. thorakale Peridural-
anästhesie, ZVK)
Kunz D. 81 J. 10 Nieren- Shunt-Revision Har./Bad. 1 Ham. (Plexusanästhesie)
insuffizienz

● Einschätzung des Gesundheitszustandes des globinwert [Hb], Hämatokritwert [Hkt],


Patienten und damit Abschätzung des Nar- Natrium-[Na-], Kalium-[K-]Konzentration,
koserisikos Quick- bzw. INR-Wert [vgl. S. 161]), nur bei
● Entscheidung über das Narkoseverfahren begründetem Verdacht auch bei jüngeren
● Aufklärung des Patienten sowie Eingehen Patienten
auf seine Fragen und Ängste bezüglich der ● Röntgenaufnahme des Thorax bei allen Pati-

Narkose enten über 60 Jahre, nur bei begründetem


● Verordnen einer Prämedikation (→ S. 6) Verdacht auch bei jüngeren Patienten
● EKG bei allen Patienten über 40 Jahre, nur

bei begründetem Verdacht auch bei jüngeren


1.4.2 Ablauf Patienten
● evtl. zusätzliche Untersuchungsergebnisse wie

Der Anästhesist besorgt sich auf der Station die z. B. ein internistisches Konsil
gesamten Unterlagen des zu operierenden Pati-
enten. Die Akte des Patienten muss umfassen: Nachdem sich der Anästhesist durch das Studi-
● anamnestische Angaben um der vorliegenden Unterlagen einen Über-
● Untersuchungsbefunde blick über die aktuelle Krankheit und über den
● aktuelle Medikation allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten
● Laborwerte verschafft hat, sucht er den Patienten auf, stellt
● evtl. Blutgruppe sich vor und wird eine kurze Anamnese mit an-
ästhesiologisch relevanten Fragen erheben. Von
Sämtliche vorhandenen Unterlagen sind zu besonderem Interesse sind Vorerkrankungen,
sichten. Außerdem sind eine anästhesierelevan- die evtl. zu Narkoseproblemen führen könnten.
te Anamnese und körperliche Untersuchung Dies sind insbesondere:
vorzunehmen. Bei jungen, anamnestisch und ● Herz-Kreislauf-Probleme wie Bluthoch-
klinisch unauffälligen Patienten sind keine wei- druck, Koronar- oder Zerebralsklerose, An-
teren laborchemischen und apparativ-techni- gina pectoris, Herzinfarkt(e) oder Herzin-
schen Untersuchungen notwendig. suffizienz
Unter folgenden Bedingungen sind zusätzliche ● Lungenerkrankungen wie Asthma bronchia­

Untersuchungsbefunde notwendig: le, Bronchitis, Lungenentzündungen


● Laboruntersuchungen bei allen Patienten ● Lebererkrankungen wie Leberzirrhose, He-

über 40 Jahre (für Routineeingriffe: Hämo- patitis


4 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

● Nierenprobleme, insbesondere eine Nieren- werden kann, ob Sie genügend Sauerstoff im Blut
insuffizienz haben. Außerdem muss am Handrücken eine
● sonstige Erkrankungen (wie z. B. Diabetes ‚Nadel‘ gelegt werden, an die eine Tropfinfusion
mellitus) angeschlossen wird. Vor dem Legen der ‚Nadel‘
● Konsumgewohnheiten wie Alkohol-, Nicotin- kann eine örtliche Betäubung vorgenommen
oder Medikamentenabusus werden, sodass es nicht schmerzhaft sein wird.
Über diese ‚Nadel‘ wird dann später auch das
Gezielt gefragt werden muss immer: Schlafmittel gespritzt. Wenn Sie das Schlafmittel
● nach evtl. Problemen bei früheren Narkosen bekommen haben, schlafen Sie innerhalb von
sowie nach Narkoseproblemen bei Familien- 20–30 Sekunden ein. Wenn Sie aufwachen, wird
angehörigen die Operation bereits vorbei sein. Sie werden
● ob Allergien auf Medikamente bekannt sind dann noch vorübergehend in einem sog. ‚Auf-
und wenn ja, auf welche wachraum‘ einige Zeit überwacht werden. Sobald
● ob Zahnprothesen oder lockere Zähne vor- Sie wieder völlig wach sind, werden Sie wieder
handen sind auf Ihr Zimmer zurückgebracht.“
● ob bei einer Frau im gebärfähigen Alter im Mo- Falls für die geplante Operation sowohl eine
ment eine Schwangerschaft vorliegt Vollnarkose als auch eine Lokal- oder Regional-
anästhesie in Frage kommen, sollten dem Pati-
Eine anschließende kurze körperliche Untersu- enten der Ablauf sowie die Vor- und Nachteile
chung muss zumindest die Auskultation der der einzelnen Verfahren erläutert werden. Wenn
Lunge und des Herzens umfassen. der Patient ein bestimmtes Verfahren wünscht,
Abschließend sollte dem Patienten der Ablauf sollte dies, falls es medizinisch vertretbar ist, be-
der Narkose erklärt werden. Bei einer voraus- rücksichtigt werden. Außerdem sollte kurz auf
sichtlich unkomplizierten Vollnarkose sollte ihm spezielle Komplikationsmöglichkeiten der ge-
beispielsweise Folgendes erzählt werden: „Für planten Narkose eingegangen werden. Die be-
heute nacht verordne ich Ihnen eine Schlaftablet- sprochenen Risiken bzw. Besonderheiten soll-
te. Ab 24.00 Uhr heute nacht dürfen Sie dann bis ten vom Anästhesisten auf dem Aufklärungs- und
zur Operation nichts mehr essen. Bereits am Anamnesebogen vermerkt werden. (Es emp-
Nachmittag/Abend vor der Operation sollten Sie fiehlt sich, hierfür einen offiziellen, d. h. juris­
das Rauchen einstellen (→ S. 209). Bitte auch kei- tisch abgesicherten Aufklärungs- und Anam­
nen Kaugummi kauen und keine Bonbons lut- nesebogen zu verwenden. Dieser sollte dem
schen. Bei Bedarf dürfen Sie noch klare (!) Flüs- Patienten schon vor der präoperativen Visite
sigkeit bis Morgen früh um ca. 5.00 Uhr trinken. des Anästhesisten zum Durchlesen und Beant-
– Morgen früh bekommen Sie ca. 45 Minuten worten der darin gestellten Fragen gegeben
vor Narkosebeginn von einer Schwester der Sta- werden. In diesen offiziellen Bögen werden die
tion eine Beruhigungstablette. Diese bitte nur verschiedenen Narkoseverfahren sowie deren
mit einem kleinen Schluck Wasser hinunterspü- Vor- und Nachteile und deren Risiken erklärt.
len. Kurz danach werden Sie in den OP-Bereich Außerdem werden vom Patienten noch die an-
gefahren. Wichtig ist, dass Sie Ihren Schmuck, ästhesiologisch wichtigen anamnestischen Da-
Ihre Uhr sowie Ihre Zahnprothese und Brille hier ten abgefragt.) – Falls der Patient nun keine
im Zimmer lassen oder der Schwester zur Aufbe- weiteren Fragen mehr hat, muss er noch die
wahrung geben. – In einem Vorbereitungsraum „Einwilligungserklärung in die Narkose“ auf
werden Sie dann von der Narkoseschwester auf dem Aufklärungs- und Anamnesebogen in
die Narkose vorbereitet. Die Narkoseschwester Ruhe durchlesen und unterschreiben. Sollten
wird den Blutdruck messen, eine EKG-Ableitung bei dieser präoperativen Visite Probleme aufge-
zur Herzüberwachung anbringen und einen Sen- taucht sein, so müssen ggf. noch Zusatzuntersu-
sor auf den Finger aufsetzen, mit dem gemessen chungen wie eine Lungenfunktionsprüfung,
1.5  Prämedikation 5

eine arterielle Blutgasanalyse oder ein internis­ Tab. 1-2  ASA-Klassifikation. Muss ein Patient notfall-
tisches Konsil angefordert werden. Unter Um- mäßig operiert werden, dann wird hinter die ASA-Klasse
ständen muss, nach Rücksprache mit dem Ope- noch ein „E“ ­angehä ngt, das für Notfall (= emergency)
rateur, ein Wahleingriff noch um einige Tage steht.
verschoben werden, um den Patienten besser ASA 1 gesunder Patient
auf die Operation vorzubereiten. Öfter muss ASA 2 Patient mit leichter Systemerkrankung
z. B. ein Diabetes mellitus, ein Hypertonus oder (z.B. eingestellter Hypertonus)
eine Herzinsuffizienz besser „eingestellt“ wer-
ASA 3 P atient mit schwerer Systemerkrankung
den oder es muss gewartet werden, bis ein aku-
und Leistungseinschränkung
ter Infekt der oberen Luftwege abgeklungen ist. (z.B. Angina pectoris)
Abschließend wird dem Patienten eine geeigne-
te Schlafmedikation zur Nacht und eine Präme- ASA 4 P atient mit schwer beeinträchtigender,
lebensbedrohlicher Erkrankung
dikation verschrieben (→ unten).
(z.B. dekompensierte Herzinsuffizienz)
Eine evtl. Dauermedikation, die der Patient ein-
nimmt, sollte vor allem dann perioperativ wei- ASA 5  oribunder Patient, bei dem die
m
Lebenserwartung ohne Behandlung
terführt werden, falls durch ein plötzliches Ab-
geringer als 24 Stunden ist
setzen Probleme auftreten könnten. Perioperativ
(z.B. rupturiertes Aortenaneurysma)
weiterzuführen (d. h. auch am Morgen des OP-
Tages zu verabreichen) sind daher normaler-
weise vor allem:
● antiasthmatische Therapie

● antihypertensive Therapie dies keinen negativen Einfluss auf Menge und


(Ausnahme: Angiotensin-Converting-En­zym- pH-Wert des Magensekrets bei Narkosebeginn
Hemmer [= ACE-Hemmer; z. B. Rami­pril, hat (→ S. 145, 209, 238). Für partikelhaltige
Delix®] und Angiotensin-II-Rezeptor-Typ-I- Flüssigkeiten (z. B. Milch, Saft mit Fruchtfleisch)
Blocker [= AT1-Rezeptor-Antagonisten; z. B. und für feste Nahrung gilt eine 6-stündige
Valsartan, Diovan®] sollten am OP-Tag prä- Nüchternheitsdauer.
operativ nicht [!] verabreicht werden, da In den meisten Narkoseprotokollen muss der
sonst während der Narkose deutliche Blut- körperliche Status (nicht das Narkoserisiko!)
druckabfälle begünstigt werden) des Patienten noch anhand einer Skala ein­
● antipektanginöse Therapie (β-Rezeptoren- gestuft werden. Hierfür hat sich am besten
Blocker, Calciumkanalblocker) die Klassifikation der American Society of
● antiarrhythmische Therapie Anesthesiologists (= ASA) bewährt (vgl. Tab.
● antikonvulsive Therapie 1-2).
● antidepressive Therapie

● Parkinson-Therapeutika

● Schizophrenietherapeutika

● Diuretika
1.5 Prämedikation
Während es lange Zeit als zwingend angesehen 1.5.1 Ziele
wurde, dass ein Erwachsener zumindest für 6
Stunden vor der Anästhesieeinleitung nichts es- Trotz des beruhigenden und aufklärenden
sen und trinken darf, wird inzwischen die Gabe Gesprächs während der präoperativen Visite
kleiner Mengen (1–2 Gläser oder Tassen) klarer (→ S. 3) ist es notwendig, dem Patienten eine
Flüssigkeiten (die kein Fett, keinen Alkohol Medikation (sog. Prämedikation) zu verordnen,
enthalten; z. B. Wasser, Tee, Limonade) bis ca. 2 die er idealerweise ca. 45 Minuten vor Narkose-
Stunden vor der Narkoseeinleitung erlaubt, da beginn verabreicht bekommt.
6 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Die primären Ziele einer Prämedikation sind: wie nicht mehr zur Anwendung, da diese Sub-
● Angstlösung (= Anxiolyse) und Sedierung stanzen jedoch früher zur Prämedikation ver-
● evtl. Schmerzlinderung (= Analgesie) wendet wurden und vor allem, weil sie im Rah-
men anderer Indikationen öfter einsetzt werden,
Die im Rahmen der Prämedikation am häufig- sollen sie dennoch hier vorgestellt werden.
sten angewandten Substanzgruppen werden im
Folgenden kurz vorgestellt.
Benzodiazepine
1.5.2 Substanzklassen Wirkungen
● angst- und spannungslösend

Zur Prämedikation kommen im Prinzip angst- ● leichte sedierende Wirkung

lösende Substanzen, sog. Tranquilizer (die wich- ● antikonvulsive Wirkung

tigste Substanzgruppe sind die Benzodiazepine) (= Erhöhung der zerebralen Krampfschwelle


oder Barbiturate, Neuroleptika (= Antipsychoti- und damit Unterdrückung von epileptischen
ka), Opioide und/oder Parasympathikolytika Anfällen)
infrage. Für die Prämedikation (sowie als Schlaf-
medikation für die präoperative Nacht) wird Nebenwirkungen
inzwischen zuallermeist ein oral verabreichtes ● unter Umständen paradoxe Erregungszu-

(bei Kindern manchmal noch ein rektal verab- stände, vor allem bei älteren Patienten
reichtes; → S. 239) Benzodiazepin verwendet. ● zentrale Herabsetzung des Muskeltonus

Inzwischen kommt öfter auch die Benzodiaze-


pin-ähnliche Substanz Zolpidem (Stilnox®; 10 Indikationen
mg oral bei Erwachsenen) zum Einsatz. Zolpi- Benzodiazepine zeichnen sich durch eine große
dem gehört nicht zu den Benzodiazepinen, Ge- therapeutische Breite aus. Sie eignen sich vor
genanzeigen sind Myasthenia gravis, schwere allem als orale Schlafmedikation (z. B. Oxaze-
respiratorische Insuffizienz, schwere Leberin- pam; → Tab. 1-3) für die präoperative Nacht.
suffizienz, Kinder und Jugendliche < 18 Jahre. Inzwischen werden sie auch in den allermeisten
Barbiturate, Neuroleptika, Opioide sowie Para- Kliniken für die orale Prämedikation ca. 45 Mi-
sympathikolytika kommen zwar im Rahmen nuten vor Operationsbeginn verabreicht (z. B.
eines modernen Prämedikationskonzepts so gut 7,5 mg Midazolam; → Tab. 1-3).

Tab. 1-3  Zur Prämedikation häufig eingesetzte Benzodiazepine


Wirkstoff Handelsname Arzneiform Dosierung
(Beispiele) für Erwachsene
Dikaliumclorazepat Tranxilium® Tabl. à 50 mg 10–20–50 mg oral
Kapseln à 5; 10; 20 mg
Midazolam Dormicum® Tabl. à 7,5 mg (3,75–)7,5 mg oral
Oxazepam Adumbran ®
Tabl. à 10 mg 10–20 mg oral
Lormetazepam Noctamid ®
Tabl. à 0,5; 1; 2 mg 1 mg oral
Bromazepam Lexotanil ®
Tabl. à 6 mg 6–12 mg oral
Flunitrazepam Rohypnol ®
Tabl. à 1 mg 1–2 mg oral
Diazepam Valium® Tabl. à 2,5; 5; 10 mg 10 mg oral
1.5  Prämedikation 7

Kontraindikationen sierungen zur Erzielung der gleichen Wir­-


Wegen der zentralen Herabsetzung des Muskel- kung benötigt.
tonus sind Benzodiazepine kontraindiziert bei ● unter Umständen paradoxe Reaktion, vor al-

vorbestehender Muskelschwäche wie z. B. bei lem bei älteren Patienten


der Myasthenia gravis oder einem obstruktiven ● Atemdepression in höheren Dosierungen

Schlafapnoesyndrom.
Indikationen
Medikamente und Dosierung Barbiturate in Tablettenform wurden früher öf-
In Tabelle 1-3 sind die zur Prämedikation am ter als Schlafmedikation für die präoperative
häufigsten verwendeten Benzodiazepine und Nacht oral verabreicht. Inzwischen werden sie
deren Dosierungen aufgelistet. hierfür zugunsten eines Benzodiazepins nur
noch extrem selten verabreicht. Auch im Rah-
Injektion men der Prämedikation werden Barbiturate –
Die intramuskuläre Injektion der meisten Ben- zugunsten der Benzodiazepine – nur noch ex-
zodiazepine ist sehr schmerzhaft. Nur das Ben- trem selten eingesetzt. (Inzwischen werden
zodiazepin Midazolam ist aufgrund seiner Was- Barbiturate v. a. im Rahmen der antiepilepti-
serlöslichkeit relativ wenig schmerzhaft bei der schen Therapie bei Kindern, z. T. auch bei Er-
intramuskulären Injektion. (Falls sehr selten wachsenen eingesetzt.)
einmal die üblicherweise oral durchgeführte
Prämedikation nicht möglich ist und eine intra- Kontraindikation
muskuläre Benzodiazepininjektion notwendig Beim Vorliegen einer Porphyrie sind Barbitura-
wäre, dann bietet sich hierfür Midazolam an.) te kontraindiziert (→ S. 50).

Medikamente und Dosierung


Barbiturate ● Phenobarbital (Luminal ; Luminaletten ):
® ®

– 100–200 mg oral beim Erwachsenen in


Wirkungen sehr seltenen Fällen als Schlafmedikation
● Sedierung, Erzeugung von Schlaf oder Be- für die präoperative Nacht
wusstlosigkeit, je nach Dosierung – (1–3 mg/kg KG 2 × pro Tag oral zur anti­
● antikonvulsive Wirkung epileptischen Therapie bei Erwachsenen)
(= Erhöhung der zerebralen Krampfschwelle – (3–4 mg/kg KG 2 × pro Tag oral zur anti­
und damit Unterdrückung von epileptischen epileptischen Therapie bei Kindern; Lu-
Anfällen) minaletten®)
● Dämpfung von Hirnfunktion und Hirnstoff-

wechsel
(Bei Patienten mit einem Schädel-Hirn- Neuroleptika
Trauma kann zur akuten Senkung eines er-
höhten intrakraniellen Druckes ggf. ein Bar- Wirkungen
biturat intravenös verabreicht werden [→ S. ● Sedierung, Gleichgültigkeit, Antriebsminde-

49].) rung
● antiemetische Wirkung
Nebenwirkungen (= Verminderung von Übelkeit und Brech-
● Enzyminduktion in der Leber bei chroni- reiz)
scher Anwendung: ● Antihistaminwirkung

Bei einer Enzyminduktion werden die Barbi- (= Verminderung von allergischen und pseu-
turate – sowie andere Medikamente – schnel- doallergischen Reaktionen)
ler abgebaut. Es werden immer höhere Do-
8 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Nebenwirkungen Opioide
● evtl. extrapyramidale Bewegungsstörungen ©
● Neigung zu orthostatischer Hypotonie Die im Opium enthaltenen Analgetika werden
(= Kollapsneigung) durch Blockade der für 
als Opiate bezeichnet. Wichtigster Vertreter ist
die Gefäßengstellung wichtigen Alpharezep- das Morphin. Inzwischen können auch halbsyn-
toren (→ S. 62, 131, 301) thetische oder vollsynthetische morphinartige
● Erniedrigung der zerebralen Krampfschwel- Substanzen hergestellt werden. Die natürlich vor-
le und damit Begünstigung von epileptischen kommenden Opiate sowie die halb- und vollsyn-
Anfällen thetisch hergestellten morphinartigen Substanzen
werden inzwischen unter dem Begriff Opioide zu-
Indikationen sammengefasst.
Nur falls ausnahmsweise noch eine intramusku-
läre Prämedikation durchgeführt werden muss Wirkungen
(→ S. 10), dann wird hierfür meist eine Kombi- ● starke Analgesie

nation aus einem Neuroleptikum, einem Opioid ● Sedierung

(→ unten) und einem Parasympathikolytikum ● antitussive (= hustenstillende) Wirkung

(→ S. 9) verwendet. Promethazin ist in diesen


Fällen dann das meist benützte Neuroleptikum. Nebenwirkungen
Für die Prämedikation wird die sedierende (und ● Atemdepression (!!)

antriebshemmende) Nebenwirkung dieses rela- ● Übelkeit und Brechreiz

tiv schwachen Neuroleptikums ausgenutzt. In- (= emetische Wirkung)


zwischen werden Neuroleptika – außer in der ● Pupillenverengung

Psychiatrie zur Behandlung der Schizophrenie (= Miosis; sog. stecknadelkopfgroße Pupillen)


– öfter noch zur Behandlung von Unruhe- und ● Suchtgefahr:

Erregungszuständen vor allem älterer, verwirr- Eine Opioidgabe im Rahmen der Prämedi-
ter Patienten eingesetzt. Bei älteren, vor allem kation, Narkoseführung und postoperativen
verwirrter Patienten werden Neuroleptika öfter Schmerztherapie führt nur in extrem selte-
auch als Schlafmedikament eingesetzt. nen Fällen zu einer Sucht.
● Euphorie
Kontraindikationen ● Spasmen glatter Muskulatur
Neuroleptika sind wegen der Nebenwirkungen (z. B. Obstipation [= Verstopfung]; Konstrik-
kontraindiziert bei Patienten mit Parkinson- tion der Gallen- und Harnwege)
Krankheit und bei Epileptikern. ● Neigung zu orthostatischer Hypotonie

(= Kollapsneigung)
Medikamente und Dosierung ● Juckreiz

● Promethazin (Atosil ):
®

– 0,5–1 mg/kg KG intramuskulär, maximal Indikationen


50 mg intramuskulär; im Rahmen der nur Eine eindeutige Indikation für ein Analgetikum
noch sehr selten durchgeführten intra- zur Prämedikation besteht nur dann, wenn der
muskulären Prämedikation Patient bereits präoperativ Schmerzen hat, z. B.
– (20–30 Atosil® Tropfen [= 20–30 mg] bei bei einem frischen Knochenbruch. Sehr selten
Unruhe- oder Erregungszuständen älte- wird dann noch eine intramuskuläre Prämedi-
rer Patienten) kation mit einem Opioid, einem Neuroleptikum
– (ca. 0,5 mg/kg KG i. v. bei akuten Unruhe- und einem Parasympathikolytikum (→ S. 10)
oder Erregungszuständen bei Erwachse- durchgeführt. Besser ist in diesen Fällen die
nen) Prämedikation mittels oraler Gabe eines Ben-
● Droperidol (→ S. 61) zodiazepins und – z. B. bei der voraussichtlich
1.5  Prämedikation 9

schmerzhaften Umlagerung des Patienten von Prämedikation wird auf die Gabe eines Para-
seinem Bett auf den Operationstisch – die zu- sympathikolytikums verzichtet. Zum einen
sätzlich intravenöse, bedarfsadaptierte Opioid- wird es oral nur schlecht resorbiert, zum ande-
gabe (→ S. 328). ren wird die routinemäßige präoperative Gabe
eines Parasympathikolytikums inzwischen
Kontraindikation nicht (!) mehr als notwendig erachtet.
Bei ehemals opioidabhängigen Patienten kann
eine Rückfälligkeit in die Opioidsucht erzeugt
werden. Opioide sollten bei diesen Patienten Atropin
vermieden werden.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Medikamente und Dosierung Die Wirkungen und Nebenwirkungen des Atro-
● Pethidin (Dolantin ): pins ergeben sich aus der Blockade des Nervus
®

1 mg/kg KG intramuskulär, maximal 75 mg vagus:


intramuskulär im Rahmen der nur noch sehr ● Herzfrequenzsteigerung (= Tachykardie)
selten durchgeführten intramuskulären Prä- und damit Schutz vor bradykarden Rhyth-
medikation oder der ebenfalls nur noch sehr musstörungen bei einer Reizung des Nervus
selten durchgeführten intramuskulären post- vagus (= vagaler Reflex; → S. 75, 100)
operativen Schmerztherapie ● Pupillenerweiterung (= Mydriasis)

● Piritramid (Dipidolor ): ● Hemmung der Speichel-, Bronchial- und


®

– 7,5–15 mg intramuskulär beim Erwachse- Schweißsekretion


nen im Rahmen der nur noch sehr selten ● Verminderung des Tonus der glatten Mus-

durchgeführten intramuskulären Präme- kulatur vor allem im Magen-Darm-Bereich


dikation oder der ebenfalls nur noch sehr
selten durchgeführten intramuskulären Kontraindikationen
postoperativen Schmerztherapie ● Erkrankungen, die mit einer hohen Herzfre-

– (1-2-3 mg Boli bei Erwachsenen wieder- quenz einhergehen (z. B. Hyperthyreose, ho-
holt intravenös im Rahmen der postope- hes Fieber)
rativen Schmerztherapie; streng bedarfs­ ● Erkrankungen, bei denen eine Steigerung

orientierte (!) Dosistitration (→ Kap. 6.7) der Herzfrequenz vermieden werden muss
(z. B. eine Mitralklappenstenose; → S. 313)
● Weitwinkelglaukom
Parasympathikolytika ● Prostatahyperplasie (vergrößerte Prostata)

Parasympathikolytika (= Parasympatholytika) Dosierung



hemmen den Parasympathikus und damit auch den ● Erwachsene:
Nervus vagus, den wichtigsten Nerv des parasym- – 0,01 mg/kg KG intramuskulär im Rahmen
pathischen Nervensystems. Parasympathikolytika der nur noch sehr selten durchgeführten
blockieren die Wirkung der Überträgersubstanz intramuskulären Prämedikation
Acetylcholin im Bereich des Nervus vagus und an- – (0,25–0,5 mg i. v. zur Steigerung der Herz-
derer parasympathischer Nervenfasern (→ S. 66). frequenz)
● Säuglinge und Kleinkinder:

Im Rahmen der früher üblichen intramuskulä- – 0,01–0,02 mg/kg KG intramuskulär im


ren Prämedikation wurde zumeist eine Kombi- Rahmen der nur noch sehr selten durchge-
nation aus Opioid, Neuroleptikum und dem führten intramuskulären Prämedikation
Parasympathikolytikum Atropin verabreicht. – (0,01–0,02 mg/kg KG i. v. zur Vorbeugung
Im Rahmen der inzwischen üblichen oralen oder Therapie einer Bradykardie)
10 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Atropin wurde bei der früher üblichen intra- besten durch ein lang wirksames Benzodiaze-
muskulären Prämedikation zur Hemmung der pin, das als Schlafmedikation verabreicht wird,
Speichel- und Bronchialsekretion und zur erreicht werden. Hierzu eignen sich z. B. 20 mg
Dämpfung eventueller vagaler Reflexe am Dikaliumclorazepat (Tranxilium®) oder 1 mg
Herzen routinemäßig (zusammen mit einem Lormetazepam (Noctamid®) oral. Circa 45 Mi-
Opioid und einem Neuroleptikum) verabreicht. nuten vor OP-Beginn sollte nochmals ein Ben-
Diese für die intramuskuläre Injektion übliche zodiazepin oral verabreicht werden (z. B. 7,5 mg
Dosierung dämpft die vagalen Reflexe am Her- Midazolam oder 20 mg Dikaliumclorazepat).
zen jedoch nicht ausreichend. Die meisten Patienten leiden präoperativ nicht
an Schmerzen, sodass keine Schmerzlinderung
Sollen die vagalen Reflexe des Herzens sicher blo­ (= Analgesie) notwendig ist und auf eine Opio-
! ckiert werden, dann muss Atropin vor der Intuba- idgabe verzichtet werden kann. Falls ein Opioid
tion intravenös (!!) verabreicht werden. Dies ist wegen akuter Schmerzen (z. B. frischer Kno-
z. B. besonders bei der Intubation von kleinen Kin- chenbruch) verabreicht werden soll, dann sollte
dern wichtig, da bei ihnen hierbei relativ leicht ein zusätzlich zu einer üblichen oralen Prämedika-
vagaler Reflex mit einer Bradykardie, im Extrem- tion mit einem Benzodiazepin – z. B. vor der
fall ein Herzstillstand, ausgelöst werden kann. schmerzhaften Umlagerung des Patienten von
seinem Bett auf den Operationstisch – eine zu-
sätzliche bedarfsorientierte intravenöse Opio-
1.5.3 Durchführung idgabe durchgeführt werden (→ S. 328).
Früher wurden als Ziele einer Prämedikation
Die Prämedikation sollte möglichst nicht mehr ● Schmerzlinderung,

durch intramuskuläre Injektion von Medika- ● Einsparung von Narkosemitteln,

menten erfolgen. Die orale Prämedikation stellt ● Sedierung und

inzwischen das allgemein anerkannte Standard- ● Dämpfung vegetativer Reflexe

verfahren dar. Die dazu benützte geringe Was- genannt.


sermenge zum Hinunterspülen der Tablette
wird schnell resorbiert und widerspricht daher Durch die routinemäßige Gabe eines Opioids
nicht dem Nüchternheitsgebot (→ S. 5). Zum (normalerweise Pethidin; Dolantin®) sollten
Einsatz kommt hierbei häufig Midazolam (z.  B. evtl. präoperative Schmerzen gedämpft und in-
7,5 mg beim Erwachsenen) oder Dikaliumclor­ traoperativ Narkosemittel eingespart werden.
azepat (z. B. 20 mg beim Erwachsenen) (vgl. Durch ein Neuroleptikum (v. a. Promethazin;
Tab. 1-3). Atosil®) sollte eine Sedierung/Ruhigstellung des
Patienten erzielt und durch das Parasympathi-
Wichtig ist es, die Prämedikation ca. 45 Minuten kolytikum Atropin sollten vegetative Reflexe
! vor Narkosebeginn zu verabreichen. – In der Pra- gedämpft werden. Um diese Ziele zu erreichen,
xis wird leider oft die Prämedikation erst unmit- wurde früher üblicherweise eine intramuskulä-
telbar vor dem Transport in den OP verabreicht. re Mischinjektion aus Dolantin® (meist 50 mg
Dies ist zu spät! Die Wirkung der Prämedikation beim kräftigen jungen Erwachsenen), Atosil®
hat dann noch nicht eingesetzt, wenn die Pati- (meist 50 mg beim Erwachsenen) und Atropin
enten im Operationssaal ankommen und mit der (meist 0,5 mg beim Erwachsenen) verabreicht.
Narkose begonnen wird. Inzwischen sollte eine intramuskuläre Prämedi-
kation unbedingt vermieden werden, da sie
Das entscheidende Ziel einer modernen Prä- schmerzhaft ist und u. U. zu einer Infektion
medikation ist die Angstlösung. oder Nervenverletzung führen kann. Außerdem
Eine Angstlösung (= Anxiolyse) und leichte Se- haben die allermeisten Patienten präoperativ
dierung für die präoperative Nacht kann am keine Schmerzen und die Einsparung von An-
1.6  Narkoseapparat 11

ästhetika durch die Prämedikation braucht bei Es werden folgende 4 verschiedene Narkosesys­
den modernen, gut steuerbaren Anästhetika teme unterschieden:
nicht mehr angestrebt werden. Ein Opioid ist ● offenes System

daher nicht routinemäßig notwendig. Neuro- ● halboffenes System

leptika lassen zwar den Patienten äußerlich ru- ● halbgeschlossenes System

hig erscheinen (durch eine Antriebsminde- ● geschlossenes System

rung), innerlich sind die Patienten aber oft


aufgewühlt, ohne dass sie dies adäquat äußern
können. Neuroleptika führen zu keiner Anxio- Offenes System
lyse. Sie sind daher wesentlich schlechter als
Benzodiazepine zur Prämedikation geeignet.
Beim offenen System atmet der Patient Luft aus
Durch die intramuskuläre Gabe von Atropin in  der Umgebung ein. Das Ausatemvolumen wird
der damals üblichen Dosis von ca. 0,5 mg beim wieder in die Umgebung abgegeben. Der Ein-
Erwachsenen kann nachgewiesenermaßen kei- atemluft wird ein Inhalationsanästhetikum zuge-
ne sichere Dämpfung der vegetativen Reflexe mischt.
erzielt werden. Falls dies notwendig ist, muss
Atropin intravenös verabreicht werden. Für Das bekannteste Beispiel für ein offenes System
eine ausreichende Wirkung müssten beim Er- ist die früher übliche Ethertropfnarkose. Mithil-
wachsenen ca. 2,0 mg Atropin intramuskulär fe einer Schimmelbusch-Maske (vgl. Abb. 1-1)
verabreicht werden. wurden der Einatemluft Etherdämpfe zuge-
Aus diesen Gründen ist die intramuskuläre Prä- mischt.
medikation mit Dolantin®, Atosil® und Atropin
zurecht verlassen worden.

Inzwischen sollte daher auf eine intramuskuläre


! Prämedikation verzichtet und routinemäßig eine
orale Prämedikation, vor allem mit Midazolam
(Dormicum®; z. B. 7,5 mg) oder Dikaliumcloraze-
pat (Tranxilium®; z. B. 20 mg), durchgeführt wer-
den.

1.6 Narkoseapparat
1.6.1 Narkosesysteme
Zur Durchführung einer Narkose stehen neben
den intravenös zu verabreichenden Medikamen-
ten auch Inhalationsanästhetika zur Verfügung.
Inhalationsanästhetika sind Gase (z. B. Lachgas;
→ S. 39) oder Dämpfe von leicht verdampfba-
ren Flüssigkeiten (z. B. Isofluran, Sevofluran,
Desfluran; → S. 42), die der Einatmungsluft zu-
gemischt und über die Lungen ins Blut aufge-
nommen werden. Abb. 1-1  Anwendung der Schimmelbusch-Maske (of-
fenes System)
12 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Eine Schimmelbusch-Maske ist ein dem spon- ein halboffenes System war das in der Kinder-
tan atmenden Patienten über Mund und Nase anästhesie früher übliche, inzwischen aber nicht
gelegter Metallrahmen, der mit einigen Lagen mehr verwendete Kuhn-System.
Mull bespannt ist, auf die kontinuierlich Ether
aufgetropft wird (→ S. 45). Die dabei entstehen-
den Etherdämpfe werden mit eingeatmet. Halbgeschlossenes System
Vorteil der Schimmelbusch-Maske ist die Ein-
fachheit der Anwendung. Entscheidender Beim halbgeschlossenen System wird ein Teil des
Nachteil ist jedoch, dass mit einem offenen Sys­ 
Ausatemvolumens nach „Herausfiltern“ des darin
tem die zugeführten Gaskonzentrationen nicht enthaltenen Kohlendioxids (= CO2) mittels eines
überwacht werden können. Außerdem können CO2-Absorbers (→ S. 20) wieder zurückgeatmet.
die Atemgase weder befeuchtet noch ange- Ein Teil des Ausatemvolumens wird in eine zentra-
wärmt werden und der Narkosemittelverbrauch le Absaugvorrichtung abgegeben.
ist sehr hoch, da ein großer Teil des verdunsten-
den Ethers im Raum verloren geht (und das Zusätzlich atmet der Patient noch Frischgas aus
Personal belastet). einem Reservoir (vgl. halboffenes System) ein.
Aufgrund dieser teilweisen „Rückatmung“ des
Ausatemgemisches genügt ein wesentlich ge-
Halboffenes System ringerer Frischgasfluss als beim halboffenen
© Sys­tem. Beim Erwachsenen genügen 3–4 l/min
Beim halboffenen System wird das Einat­ Frischgas. Der Wärme- und Feuchtigkeitsver-

mungsgemisch (= Inspirationsgemisch) aus einem lust über die Lungen ist durch diese teilweise
Reservoir (z. B. Sauerstoffflaschen) bezogen und stattfindende „Rückatmung“ wesentlich gerin-
über ein Schlauchsystem zum Patienten geleitet. ger als beim halboffenen System. Fast alle ge-
Dem Inspirationsgemisch wird ein Inhalationsan- bräuchlichen Narkosegeräte arbeiten nach die-
ästhetikum zugemischt. Das Aus­atmungsgemisch sem Prinzip des halbgeschlossenen Systems.
(= Exspirationsgemisch) wird dagegen in den frei- In den letzten Jahren gewinnen sog. Low-Flow-
en Raum abgegeben. Systeme bzw. Minimal-Flow-Systeme (→ S.
119) zunehmend an Bedeutung. Hierbei han-
Beim halboffenen System muss der Frischgas- delt es sich um halbgeschlossene Systeme mit
fluss aus dem Reservoir mindestens das 2- bis geringem bzw. sehr geringem Frischgasfluss.
3-Fache des Atemminutenvolumens betragen, Beim Low-Flow-System werden normalerweise
da das Frischgas auch während der Ausatmung 1 l/min Frischgas (z. B. 0,5 l/min O2 und 0,5 l/
des Patienten weiterströmt, die Einatmungszeit min Luft bzw. N2O) und beim Minimal-Flow-
aber nur ca. 33–50 % (⅓–½) des Atemzyklus System werden normalerweise 0,5 l/min (z. B.
ausmacht. Durch diesen hohen Frischgasver- 0,3 l/min O2 und 0,2 l/min Luft bzw. N2O) ver-
brauch ist das halboffene System relativ teuer. abreicht.
Die eingeatmeten Frischgase aus dem Reservoir Sowohl bei der Low-Flow- als auch bei der Min­
enthalten keine Feuchtigkeit und sind relativ imal-Flow-Anästhesie muss zur Ein- und Aus-
kühl. Sie müssen daher in den Atemwegen stark leitung ein hoher Frischgasfluss eingestellt wer-
angefeuchtet und angewärmt werden. Da je- den, um in einer angemessenen Zeit eine
doch das gesamte Ausatemvolumen in die Um- ausreichende Narkosegasanflutung bzw. -abat-
gebung abgegeben wird, droht damit beim mung zu erzielen. Wird (das gut im Körper lös-
halboffenen System ein großer Feuchtigkeits- liche) Lachgas verwendet, dann müssen für die
und Wärmeverlust über die Lungen. Außerdem ersten 10 Minuten (low flow) bzw. 20 Minuten
wird die Umgebung mit den abgeatmeten Nar- (minimal flow) z. B. 2 Liter O2/min und 4 Liter
kosegasen belastet. Das bekannteste Beispiel für N2O/min zugeführt werden. Erst danach kann
1.6  Narkoseapparat 13

ein „low flow“ oder „minimal flow“ eingestellt Kreissystem


werden (→ S. 119). Wird auf Lachgas verzichtet,
kann deutlich früher der Frischgasfluss redu- Beim halbgeschlossenen (bzw. beim geschlosse-
ziert werden. 
nen) System wird das Ausatemvolumen zum Teil
(bzw. vollständig) wieder zum Patienten zurück-
geleitet. Das hierfür notwendige Schlauchsystem
Geschlossenes System wird als Kreissystem bezeichnet.

Beim geschlossenen System wird das gesamte Da die gebräuchlichen Narkoseapparate fast alle

Ausatmungsgemisch, nach „Herausfiltern“ des nach dem Prinzip des halbgeschlossenen Sys­
darin enthaltenen CO2 mit einem CO2-Absorber tems (→ S. 12) arbeiten, soll das Funktions­
(→ S. 20), dem Patienten wieder zugeführt. Es fin- prinzip des Kreissystems anhand des halbge-
det also eine totale Rückatmung statt. schlossenen Systems nachfolgend ausführlich
beschrieben werden (vgl. Abb. 1-2).
Als Frischgas müssen nur der vom Körper im Das vom Patienten abgeatmete Gas strömt über
Stoffwechsel verbrauchte Sauerstoff von ca. 4 den sog. Exspirationsschlauch (1) und das
ml/kg KG/min (ca. 250–300 ml/min beim Er- Exspirationsventil (2) ab. Ein eingebautes Volu-
wachsenen) sowie die vom Körper verstoff- meter (3) misst das Ausatemvolumen. Ein me-
wechselten Anteile der Inhalationsanästhetika chanisch arbeitendes Manometer (4) oder in-
zugeführt werden. Vorteile des geschlossenen zwischen zumeist ein elektronisch arbeitendes
Systems sind der sehr niedrige Frischgasver- Manometer zeigt die während des Atemzyklus
brauch und, bedingt durch die vollständige auftretenden Drücke an. Diese Elemente wer-
Rückatmung, ein fehlender Wärme- und Feuch- den zusammen als Ausatem- oder Exspirations-
tigkeitsverlust über die Lungen. Außerdem be- schenkel bezeichnet. (Mechanisch arbeitende
steht keine Umweltbelastung durch abgeatmete Manometer sind inzwischen nur noch bei ma-
Narkosegase. Das geschlossene System konnte nueller Beatmung erlaubt. Wird eine maschinel-
mit den bisher üblichen Narkosegeräten jedoch le Beatmung durchgeführt, dann ist ein elektro-
nicht (!) zur Narkoseeinleitung oder zur Narko- nisch arbeitendes Manometer vorgeschrieben.
seausleitung verwendet werden. Es eignet sich Hierbei ist an der Stelle des mechanischen Ma-
nur zur Aufrechterhaltung einer konstanten nometers nur ein Druckaufnehmer für das elek-
Narkosetiefe. Für die Narkoseein- und -aus­ tronisch arbeitende Manometer im Kreissystem
leitung muss (wie auch beim Low-Flow- eingebaut [vgl. 2 in Abb. 1-16]. Die Druckanzei-
bzw. Min­imal-Flow-System; → S. 12) ein hoher ge erfolgt dann im Display des elektronischen
Frischgasfluss eingestellt werden. Manometers). Beim halbgeschlossenen System
Seit einigen Jahren steht mit dem Physioflex- wird ein Teil des Ausatemvolumens über den
Narkosegerät (Fa. Dräger) ein technisch völlig Absaugschlauch (5) in eine Absaugvorrichtung
neuartiges Gerät zur Verfügung, das nach dem geleitet. Der andere Teil wird, nach „Herausfil-
Prinzip des geschlossenen Systems arbeitet und tern“ des CO2 durch den CO2-Absorber (6), über
zusätzlich auch eine Narkoseein- und -auslei- das Inspirationsventil (7) und den Inspirations-
tung im „geschlossenen“ System erlaubt (sog. schlauch (8) wieder dem Patienten zugeführt.
quantitatives System/Uptake). Das seit 2004
verfügbare Narkosegerät Zeus (Fa. Dräger; → S. CO -Absorber, Inspirationsventil und Inspirations-
23), das als Nachfolgegerät des Physioflex-Nar-  2
schlauch werden zusammen als Einatmungs-
kosegerätes zu betrachten ist, kann sowohl im oder Inspirationsschenkel bezeichnet. Der
halboffenen, halbgeschlossenen als auch im zurückgeatmete Anteil „kreist“ also im System
quantitativen System betrieben werden. zum Patienten zurück, weshalb das beschriebene
System als Kreissystem bezeichnet wird.
14 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

(25–)33 % aus Sauerstoff und zu 66(–75) % aus


7
Luft oder Lachgas (→ S. 39). Daneben enthält es
2 bei der Durchführung einer Narkose unter Ver-
6
3 wendung eines verdampfbaren Inhalationsan-
8 ästhetikums noch die eingestellte Dampfkon-
4 6 zentration eines Inhalationsanästhetikums, z. B.
11
1,0 Vol.-% Isofluran (→ S. 42). Der Sauerstoff-
10a anteil am Frischgas muss mindestens 21 % be-
tragen, aus Sicherheitsgründen (z. B. wegen
möglicher Messungenauigkeiten) werden meist
9 (25–)33 % eingestellt.
1
5
10 Es muss beachtet werden, dass im halbgeschlos-
a Frischgas ! senen System immer so viele Liter Beatmungsge-
misch pro Minute in die Absaugung gelangen, wie
Frischgas dazugeleitet wird.

Werden z. B. insgesamt 3 Liter Frischgas pro


Minute in das Kreissystem eingeleitet, beste-
hend aus 1 Liter O2 (= ⅓ = 33 %) und z. B. 2
Liter Luft (= ⅔ = 66 %), so werden über
die Absaugung auch 3 Liter des Ausatemvolu-
mens pro Minute abgesaugt. Ansonsten würde
es zur Überblähung des Patienten kommen.
Werden z. B. 2 Liter O2 und 4 Liter Luft bzw.
Lachgas, also 6 Liter Frischgas pro Minute, ins
Kreissystem zugeleitet, dann werden entspre-
chend 6 l/min über die Absaugung verworfen.
Je höher der Frischgasfluss (und damit der An-
teil des in die Absaugung gelangenden Aus­
atemvolumens), desto größer ist der Wärme-
und Feuchtigkeitsverlust über die Lungen (→ S.
12) und desto höher und damit teurer ist der
Frischgasverbrauch. Aus diesem Grunde sollte
b der Frischgasfluss möglichst niedrig gehalten
werden. Aus Sicherheitsgründen sollte der
Abb. 1-2  Kreissystem eines üblichen Narkoseappa-
Frischgasfluss bei älteren Narkosegeräten je-
rates für Erwachsene. a schematisch. b Dräger Kreissys-
doch nicht unter 3 l/min eingestellt werden.
tem 8 ISO.
Die Anwendung eines deutlich geringeren
Frischgasflusses (Low-Flow-System, Minimal-
In- und Exspirationsventil stellen sicher, dass Flow-System, → S. 12, 119, oder geschlossenes
der Gasfluss im Kreissystem nur in der vorge- Sys­tem, → S. 13) ist nur mit bestimmten Narko-
schriebenen Richtung möglich ist. segeräten (z. B. Fabius Tiro, Zeus, Fa. Dräger;
Dem rückgeatmeten Volumen wird im halbge- → S. 23) zuverlässig und sicher möglich.
schlossenen System eine Frischgasmenge von Das Kreissystem besitzt im Nebenschluss einen
normalerweise 3(–6) l/min zugemischt (= high Ausgleichsbeutel (10 in Abb. 1-2), der bei
flow). Das Frischgas (9) besteht hierbei meist zu manueller Beatmung oder Spontanatmung des
1.6  Narkoseapparat 15

Abb. 1-3  Winkelstück

Abb. 1-5  An ein Winkelstück konnektierter Endotra-


chealtubus

Abb. 1-4  An ein Winkelstück konnektierte Gesichts-


maske

Patienten plötzliche Volumenschwankungen


im Kreissystem auffängt. Dieser Beutel wird
auch Beatmungsbeutel genannt, da mit ihm
die manuelle Beatmung durchgeführt wird
(→ S. 22). Er ist über den Beatmungsschlauch
(10a in Abb. 1-2a, b) an das Kreissystem kon- Abb. 1-6  Y-Stück
nektiert.
Der Inspirationsschlauch und der Exspirations-
schlauch werden über ein Winkelstück (vgl.
Abb. 1-3) verbunden. An dieses Winkelstück
kann eine Gesichtsmaske (vgl. Abb. 1-4), ein
Endotrachealtubus (vgl. Abb. 1-5) oder eine La-
rynxmaske (→ S. 101) angeschlossen werden.
Zur Verbindung der In- und Exspirations-
schläuche mit einem Endotrachealtubus (→ S.
83) kann auch ein sog. Y-Stück verwendet wer- Abb. 1-7  An ein Y-Stück konnektierter Endotracheal­
den (vgl. Abb. 1-6 und 1-7). tubus
16 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Am Treffpunkt von In- und Exspirationsschlauch –



also am Winkel- oder Y-Stück – beginnt der sog.
Totraum des Kreissystems. Als Totraum wird der-
jenige Anteil des Atemhubvolumens bezeichnet,
der nicht am Gasaustausch teilnimmt. Bei einer
Maskenbeatmung sind dies also Winkelstück,
Gesichtsmaske, Mund-, Nasen- und Rachenraum,
Trachea und größere Bronchialwege.

1.6.2 Bauteile

Rotameter
Sauerstoff und Lachgas werden entweder aus
der zentralen Druckgasversorgung oder aus
Gasflaschen entnommen. Die jeweils zum Pati-
enten geleitete Menge an Sauerstoff bzw. Lach-
gas wird in einem sog. Rotameter gemessen
(vgl. Abb. 1-8).

Rotameter sind Präzisionsmessröhren zur Be- Abb. 1-8  Rotameter für Sauerstoff (O2), Luft (air) und

stimmung der Durchflussmengen (l/min) eines Lachgas (N2O)
bestimmten Gases.

Je nach Gasfluss (= Flow) wird ein „Schwimmer“


mehr oder weniger weit hochgehoben. Der mo-
mentane Gasfluss pro Minute wird am Oberrand
des Schwimmers abgelesen (vgl. Abb. 1-9). Im
Falle eines kugelförmigen Ballschwimmers muss
allerdings in Höhe der Kugelmitte abgelesen
werden.
Aufgrund unterschiedlicher physikalischer Ei-
genschaften wird für jedes Gas ein spezifisches
Rotameter benötigt. Modernere Rotameterblö-
cke verfügen auch über ein Rotameter für Luft
(air), der sich zwischen dem O2- und dem N2O-
Rotamenter befindet (vgl. Abb. 1-8). Außerdem
besitzen sie eine sog. Lachgassperre, das heißt,
falls der Druck in der zuführenden Sauerstofflei-
tung abfällt, ertönt ein O2-Mangel-Signal und
die Lachgaszufuhr wird gesperrt. Bei normalem
Druck in der O2-Leitung kann jedoch trotz Lach-
gassperre am Rotameter ein hypoxisches Frisch-
gasgemisch (< 21 % O2) eingestellt werden!
Eine Verbesserung stellt das sog. ORC-(Oxygen- Abb. 1-9  Gasflussanzeiger („Schwimmer“) eines Ro-
Ratio-Controller-)System dar, das in modernen tameters
1.6  Narkoseapparat 17

Narkosegeräten (z. B. Cicero, Fa. Dräger) ein­


gebaut ist. Es verhindert, dass Werte > 75 % Lach-
gas bzw. < 25 % O2 eingestellt werden können.

Verdampfer

Die meisten Inhalationsanästhetika liegen als



leicht verdampfbare Flüssigkeiten vor (z. B. Isoflu-
ran, Sevofluran, Desfluran; → S. 42 ff.). Sie werden
daher als verdampfbare Anästhetika bezeichnet.
Sie müssen in einen dampfförmigen Zustand ge-
bracht und in genau bestimmbaren Konzentra-
tionen dem Frischgas zugemischt werden. Hierzu
wird ein Verdampfer verwendet.

Zumeist wird ein kleiner, variabler Teil des


Frischgases in die Verdampferkammer geleitet,
streicht dort über das flüssige Inhalationsanäs-
thetikum (z. B. die Isofluranflüssigkeit) hinweg
und wird mit dem Dampf des Inhalationsanäs-
thetikums angereichert. Das restliche Frischgas Abb. 1-10  Isofluranverdampfer mit entsprechender
umgeht die Verdampferkammer, wird also nicht Nachfüllflasche
mit dem Inhalationsanästhetikum angereichert.
Am Verdampferausgang vermischen sich der
angereicherte und der nicht angereicherte An- von Druckschwankungen während der Beat-
teil und es ergibt sich eine bestimmte Dampf- mung unabhängig ist. Außerdem muss der Ver-
konzentration des Inhalationsanästhetikums im dampfer eine Temperaturkorrektur besitzen, da
Frischgas, die der am Verdampfer eingestellten die Verdampfung von Flüssigkeiten temperatur­
Konzentration entspricht. abhängig ist.
Die im Einatmungsschenkel messbare sog. in- Für jedes verdampfbare Inhalationsanästheti-
spiratorische Dampfkonzentration ist norma- kum muss ein speziell dafür bestimmter Ver-
lerweise niedriger als die Konzentration im dampfer verwendet werden. Die Isofluranver-
Frischgas, da sich – im normalerweise verwen- dampfer müssen mithilfe eines speziellen
deten halbgeschlossenen System – das Inspira- Einfüllschlauches aufgefüllt werden. Da das
tionsgemisch aus Frischgas (mit relativ hoher eine Ende des Einfüllschlauches nur auf eine
Konzentration an volatilem Inhalationsanäs- Isoflurannachfüllflasche geschraubt und das
thetikum) und Rückatmungsgas (mit relativ andere Ende nur in den Einfüllstutzen eines
niedriger Konzentration an volatilem Inhalati- Isofluranverdampfers eingesteckt werden kann
onsanästhetikum) zusammensetzt (→ S. 13). (vgl. Abb. 1-10), sind Verwechslungen nicht
Neben der am Vapor (und damit im Frischgas) möglich. Sevofluran- und Desfluranflaschen
einstellbaren Dampfkonzentration wird daher können (verwechslungssicher) direkt in den
die Gaskonzentration im Inspirationsgemisch entsprechenden Verdampfer gesteckt werden
noch gemessen. (Abb. 1-11). Muss ein Verdampfer ausnahms-
Von einem guten Verdampfer muss gefordert weise während einer Narkose nachgefüllt wer-
werden, dass die eingestellte Dampfkonzentra- den, so ist unbedingt darauf zu achten, dass der
tion von der Größe des Frischgasflusses und Verdampfer während des Nachfüllens ausge-
18 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

schaltet sein muss und nach dem Nachfüllen


wieder einzuschalten ist! Lediglich der Desflu-
ranverdampfer (vgl. Abb. 1-12; → S. 44) darf
nachgefüllt werden, während er eingeschaltet
(in Betrieb) ist. Anhand eines Schauglases kann
der Füllungszustand des Verdampfers überprüft
werden.

Volumeter

Das vom Patienten ausgeatmete Volumen kann



mithilfe eines mechanischen Volumeters gemes-
sen werden (vgl. Abb. 1-13).

Das Volumeter muss immer im Ausatemschen-


kel (!) angebracht werden. (Wäre das Volumeter
im Inspirationsschenkel angebracht, dann wür-
de eine Undichtigkeit hinter dem Volumeter –
z. B. eine Diskonnektion von Winkelstück und
Tubus – unbemerkt bleiben. Das Gasvolumen
Abb. 1-11  Nachfüllen eines Sevofluranverdampfers würde in diesem Falle das Volumeter noch pas-
sieren, jedoch den Patienten nicht erreichen.)

Während der maschinellen Beatmung dreht sich


! bei manchen Beatmungsgeräten (z. B. Ventilog 2,
Fa. Dräger) das mechanische Volumeter (seltsa-
merweise) auch dann weiter, wenn es zur Diskon-
nektion einer Schlauchverbindung gekommen ist.
(Aufgrund eines sich selbstentfaltenden [= „fal-
lenden“] Beatmungsbalges vieler Beatmungsge-
räte entsteht während der Exspiration, wenn der
Beatmungsbalg [durch eine unten befestigte Me-
tallplatte] sich wieder selbst entfaltet, ein Sog,
der das mechanische Volumeter irritierenderwei-
se dreht.)!

Anstatt mechanischer Volumeter werden inzwi-


schen zumeist elektronische Apparate zur Anzei-
ge des Ausatemvolumens verwendet. Die zumeist
eingesetzten modernen Kombinationsgeräte
können neben dem Atemvolumen noch weitere
beatmungsrelevante Größen messen und anzei-
gen (z. B. Atemwegsmonitor PM 8060, Fa. Drä-
ger; vgl. Abb. 1-14). Der elektronische Messfüh-
ler für die Volumetrie (1 in Abb. 1-16) muss
Abb. 1-12  Desfluranverdampfer (Tec-6-Verdampfer) ebenfalls im Ausatemschenkel angebracht sein.
1.6  Narkoseapparat 19

Abb. 1-13  Mechanisches Volumeter Abb. 1-15a  Ins Kreissystem integriertes mechanisches


Manometer

Abb. 1-14  Multifunktionsgerät zur Messung der beat- Abb. 1-15b  Elektronisches Manometer (Barolog-
mungsrelevanten Größen (Atem­wegs­monitor PM 8060, Gerät)
Fa. Dräger)

Manometer Zumeist werden inzwischen elektronische Appa-


rate zur Messung des momentanen Beatmungs-
Mithilfe eines mechanischen Manometers können drucks verwendet, z. B. das Dräger-Barolog-

die während der Beatmung auftretenden momen- Gerät (vgl. Abb. 1-15b) oder Multi­funktions­-
tanen Druckschwankungen angezeigt werden geräte (vgl. Abb. 1-14). Bei maschineller Be-
(vgl. Abb. 1-15a). Diese mechanischen Manome- atmung ist inzwischen ein elektronisch ar-
ter sind inzwischen nur noch für die Handbeat- beitendes Manometer vorgeschrieben. Bei den
mung (nicht mehr für die maschinelle Beatmung) elektronisch arbeitenden Manometern ist an der
zugelassen. Stelle des Kreissystems, an der bisher das mecha-
20 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

einem Grund zum Aufbau eines Überdrucks im


Beatmungssystem und der Druck fällt während
der Ausatmung nicht mehr unter die Alarm­
grenze, so wird ebenfalls Alarm ausgelöst. Das
Dräger-Barolog-Gerät verfügt daneben noch
über eine Anzeige für die Atemfrequenz.
Immer häufiger werden die Atemwegsdrücke
mit Kombinationsgeräten (z. B. Atemwegsmo-
nitor PM 8060, Fa. Dräger; Abb. 1-14) über-
wacht. Von diesen Geräten wird außerdem über
einen Probenabsaugschlauch Einatmungsgas –
z. B. im Bereich des Winkelstückes (vgl. 1 in
Abb. 1-75b) – abgesaugt, um die Konzentration
an Sauerstoff, Kohlendioxid, Lachgas und vola-
tilem Inhalationsanästhetikum zu messen. Die
entsprechenden Werte werden im Display des
Kombinationsgerätes angezeigt. Das abgesaugte
Analysegas wird anschließend über einen Gas-
rückführungsschlauch (3 in Abb. 1-16) wieder
ins Kreissystem zurückgeleitet.
Abb. 1-16  CO2-Absorber. 1 = Sensor für elektronische
Volumetrie; 2 = Druckaufnehmer für elektronisches
Manometer; 3 = Gasrückführung; 4 = CO2-Absorber (vgl.
Kohlendioxidabsorber
Text).
Kohlendioxid-(CO -)Absorber sind mit sog. Absor-
 2
berkalk gefüllte, durchsichtige Behälter, durch die
nische Manometer eingebaut war (vgl. Abb. das rückgeatmete Ausatemvolumen zum Patien-
1-13), nur noch ein Druckaufnehmer integriert ten zurückgeleitet wird (vgl. 6 in Abb. 1-2, 4 in
(2 in Abb. 1-16). Die Messwertanzeige erfolgt im Abb. 1-16).
Display des elektronischen Gerätes (vgl. Abb.
1-14 und 1-15b). An elektronischen Geräten In einer wärmeproduzierenden (= exothermen)
können z. B. eine untere und eine obere Alarm- Reaktion wird der CO2-Anteil des rückgeatme-
grenze für den Beatmungsdruck ein­gestellt wer- ten Atemvolumens an den Absorberkalk ge-
den. Die wählbare untere und obere Alarmgren- bunden. Außerdem wird bei dieser Reaktion
ze müssen so eingestellt werden, dass der Wasser freigesetzt. Deshalb kann während einer
Beatmungsdruck bei der Inspiration den unteren Narkose eine Erwärmung des Absorbers gefühlt
Alarmwert überschreitet und bei der Ausatmung und häufig an der durchsichtigen Absorberin-
wieder unterschreitet. Die obere Alarmgrenze nenwand ein Wasserniederschlag erkannt
darf nicht überschritten werden. Bei zu hohem werden. Da eine Rückatmung nur im halb­
oder zu niedrigem Beatmungsdruck werden ein geschlossenen und im geschlossenen (sowie im
akustischer und ein optischer Alarm ausgelöst. quantitativen) System stattfindet, verfügen nur
Ursache für eine solche Alarmauslösung kann diese Systeme über CO2-Absorber.
z. B. das Lösen einer Schlauchverbindung (Dis- Absorberkalke sind mit einem Indikatorfarbstoff
konnektion) sein. Dann wird im Schlauchsystem versehen, der sich bei Erschöpfung des Absor-
kein Druck mehr aufgebaut. Der Beatmungs- berkalks bläulich violett verfärbt. Aus Sicher-
druck bleibt unterhalb der Alarmgrenze und löst heitsgründen werden häufig 2 Absorber hinter-
den Alarm aus. Kommt es dagegen aus irgend­ einander geschaltet. Diese Doppelabsorber sind
1.6  Narkoseapparat 21

bei einem Frischgasfluss von ca. 4 l/min ca. 40–


60 Stunden funktionsfähig. Zuerst wird immer
der (untere) Absorber, durch den das Gas zuerst
strömt, verbraucht. Ein verbrauchter Absorber
muss mit neuem Absorberkalk nachgefüllt wer-
den. Dabei ist auf eine engkörnige Nachfüllung
zu achten, damit sich keine „Gasstraßen“ bilden
können. Der nachgefüllte Absorber kommt nicht
mehr in die alte Position, sondern muss so ein-
gesetzt werden, dass das Gas nun zuerst den
nicht erneuerten Absorber durchströmt. Der
nachgefüllte Absorber muss also jetzt oben ein-
gesetzt werden. CO2-Absorber werden in den
Inspirationsschenkel (→ S. 13) eingebaut, damit
sie nur das rückgeatmete Volumen von CO2 be-
freien müssen. Bei Einbau des CO2-Absorbers in
den Exspirationsschenkel (→ S. 13) würde das
CO2 aus dem gesamten Ausatemvolumen, also
auch aus dem in die Absaugung gelangende Vo-
lumen, herausgefiltert. Der CO2-Absorber wür-
de also schneller erschöpft sein.
Abb. 1-17  Druckbegrenzungsventil. 1 = Hebelstellung
„MAN“ für manuelle oder maschinelle Beatmung.
Druckbegrenzungsventil 2 = Der Kippschalter muss für Spontanatmung durch
Umlegen in die Hebelstellung „SPONT“ gebracht wer-
den (vgl. Abb. 1-18). Bei der manuellen Beatmung ist das
Während der manuellen Beatmung (→ S. 108)
Feinregulierventil durch Drehen des Kippschalters auf
muss das Druckbegrenzungsventil (Abb. 1-17)
ca. 10–15 mbar einzustellen. Bei der maschinellen Beat-
eingeschaltet werden. Hierzu wird der Kipphe- mung mit dem Ventilog ist das Feinregulierventil in
bel des Überdruckventils auf „MAN“ gestellt. „MAN-Stellung“ höher als der notwendige Beat-
Das Feinregulierventil wird auf die gewünschte mungsdruck einzustellen. Zumeist wird ein Wert von ca.
Druckbegrenzung eingestellt, indem der Kipp- 40 mbar eingestellt.
hebel solange im oder gegen den Uhrzeigersinn
gedreht wird, bis an der Feinregulierskala die ge-
wünschte Druckbegrenzung eingestellt ist. Mit-
hilfe des Drehknopfes kann eingestellt werden, Wird in einem halbgeschlossenen Narkosesys­
wie hoch der Druck im Kreissystem sein muss, tem ein Frischgasfluss von z. B. 3 l/min einge-
damit sich das Druckbegrenzungsventil öffnet stellt, so müssen auch 3 Liter Ausatemgas pro
und Gas über das Überdruckventil entweichen Minute in die Absaugung gelangen (→ S. 14).
kann. Die Überdruckgrenze kann hiermit zwi- Atmet der Patient spontan und seine Eigenat-
schen 5 und 70 mbar eingestellt werden (mbar = mung soll nicht unterstützt werden, so muss der
millibar, 1 mbar entspricht ungefähr 1 cm Was- Kippschalter (2 in Abb. 1-17) auf „SPONT“ ge-
sersäule). Normalerweise wird die Überdruck- stellt werden (Abb. 1-18).
grenze bei 10–15 mbar ein­gestellt. Wenn nun Bei der maschinellen Beatmung wird der Hebel
während der manuellen Beatmung die Lunge des Überdruckventils auf „MAN“ gestellt und
mit mehr als 10–15 mbar gebläht wird, öffnet an der Feinregulierskala eine Druckbegrenzung
sich das Druckbegrenzungsventil und Gas ent- eingestellt, die etwas über dem maximalen Be-
weicht über dieses Ventil in die Absaugung. atmungsdruck liegt. Meist wird während der
22 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

system ein Druck über 40 mbar auftreten, so


kann Gas über das Überdruckventil entwei-
chen. Dies stellt einen gewissen Sicherheitsfak-
tor vor versehentlich zu hohen Beatmungsdrü­
cken dar.
Bei der Spontanatmung wird der Kipphebel des
Druckbegrenzungsventils auf „SPONT“ gestellt
(Abb. 1-18).
In das hochmoderne Narkosegerät „Zeus“ (Fa.
Dräger; vgl. Abb. 1-20c) sowie in die Narkose-
geräte Fabius und Primus (Fa. Dräger) ist ein
weiterentwickeltes Druckbegrenzungsventil
(APL-Ventil) eingebaut (vgl. Abb. 1-19).

Beatmungsbeutel
Soll der Patient von Hand beatmet oder seine
Spontanatmung unterstützt werden, so muss
dies durch rhythmisches Komprimieren des Be-
atmungsbeutels (10 in Abb. 1-2) erfolgen. Die
Abb. 1-18  Druckbegrenzungsventil. Der Kippschalter
manuelle Beatmung wird ausführlich auf Seite
ist auf „SPONT“ (Spontanatmung) gestellt.
108 beschrieben.

Beatmungsgerät
Bei der maschinellen Beatmung wird der Beat-
mungsbeutel durch ein mehr oder weniger auf-
wendiges Beatmungsgerät (vgl. Abb. 1-20) er-
setzt. An neueren Beatmungsgeräten können
die verschiedenen Parameter der Beatmung,
wie z. B. Atemhubvolumen, Atemfrequenz, Ver-
hältnis der Einatmungszeit (= Inspirationszeit
= I) zur Ausatmungszeit (= Exspirationszeit =
E), also I : E, die Geschwindigkeit, mit der das
Volumen in den Patienten gedrückt werden soll
(= flow), genau eingestellt werden. Außerdem
Abb. 1-19  Modernes Überdruckventil, wie es z. B. im
Narkosegerät „Zeus“ (Fa. Dräger; vgl. Abb. 1-20c) einge- verfügen sie über verschiedene akustische und/
baut ist oder optische Alarmsysteme, um Beatmungs-
fehler schnell erkennen zu können.
Folgende Werte sind beim lungengesunden Pa-
maschinellen Beatmung ein Begrenzungsdruck tienten am Beatmungsgerät einzustellen:
von ca. 40 mbar eingestellt. Solche Druckbe- ● Atemhubvolumen:

grenzungsventile werden auch als APL-Ventile ungefähr 8–9 ml/kg KG beim Erwachsenen,
bezeichnet (APL = airway pressure limitation). also 560–630 ml bei einem 70 kg schweren
Sollte nun z. B. der Patient husten und im Kreis- Erwachsenen
1.6  Narkoseapparat 23

Abb. 1-20a  Beatmungsgerät
(Ventilog, Fa. Dräger). b Modernes
Narkosegerät (Fabius Tiro, Fa. Dräger).
c Hochmodernes Narkosegerät (Zeus,
Fa. Dräger), das – bei entsprechender
Programmierung – im quantitativen
System/Uptake betrieben werden kann
und dann mit den bisherigen Narko-
segeräten nicht mehr vergleichbar ist.

● Atemfrequenz: PEEP:

8–10 Atemzüge/min beim Erwachsenen Am Ende der Ausatmung fällt der Beat-
● Flow: mungsdruck normalerweise auf Null ab.
ungefähr 30 l/min Durch Einschalten eines PEEP (= positive
● I : E: endexspiratory pressure = positiver endex-
1 : 2 (oder 1 : 1,5) beim Erwachsenen, 1 : 1 spiratorischer Druck) fällt der Beatmungs-
beim Säugling und Kleinkind druck am Ende der Ausatmung nicht auf
Null, sondern nur bis auf den eingestellten
24 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

PEEP-Wert ab (zumeist 5–15 cm Wassersäu- Kennzeichnung über den 01.07.2006 hinaus un-
le). Damit bleibt die Lunge auch am Ende der begrenzt beibehalten werden. Unter farbneutra-
Ausatmung noch etwas gebläht (→ S. 353). ler Kennzeichnung wird die Beschriftung mit
Bei allen Lungenschädigungen, bei denen dem chemischen Symbol der jeweiligen Farbart
ein Rechts-links-Shunt (→ S. 263, 294, 344) (z. B. O2 für Sauerstoff) in weißen oder gelben
besteht (z. B. Lungenentzündung; Auftreten Buchstaben auf schwarzem Grund (z. B. schwar-
von kollabierten Lungenbereichen mit ver- ze Schläuche) verstanden. Bei Geräten ist auch
mindertem oder fehlendem Luftgehalt, sog. eine schwarze Schrift auf blankem Aluminium
Atelektasen), kann dadurch zumeist eine Er- bzw. auf weißem Grund möglich. Zusätzlich
höhung des Sauerstoffgehalts im arteriellen zum Symbol kann der Gasname angegeben wer-
Blut erzielt werden. Bei lungengesunden Pa- den. Die Firma Dräger beispielsweise empfiehlt
tienten wird normalerweise kein PEEP ein- grundsätzlich eine „farbneutrale Kennzeich-
geschaltet. nung“. Bis Ende 2009 kann bei Altgeräten ggf.
● Sämtliche Alarmvorrichtungen müssen (!) noch die alte Farbkodierung nach DIN (Sauer-
sinnvoll (!) eingeschaltet werden. stoff = blau, Lachgas = grau, Druckluft = gelb,
Vakuum = farblos) bestehen bleiben.

Sauerstoffmessgerät
Gasflussmenge
Sämtliche Narkosegeräte müssen inzwischen
über ein Sauerstoffmessgerät verfügen, mit dem Beim versuchsweisen Öffnen des Rotameters
die inspiratorische Sauerstoffkonzentration (→ S. 16) müssen für Sauerstoff bzw. Lachgas
kontinuierlich gemessen werden kann (11 in die maximal einstellbaren Gasflussmengen (von
Abb. 1-2, S. 14). Idealerweise sollte (v. a. für meist 15 bzw. 10 l/min) gewährleistet sein.
Low-Flow- oder Minimal-Flow-Anästhesien)
auch die exspiratorische Sauerstoffkonzentra­
tion gemessen werden. Bei neueren Narkosege- Gasflaschen
räten ist dies routinemäßig realisiert.
Werden Sauerstoff und Lachgas (ausnahmswei-
se) aus Gasflaschen bezogen, so muss der Fül-
Anschlüsse lungszustand der Flaschen überprüft werden.

Die Sauerstoff-, Lachgas-, Druckluft- und Va-


kuumanschlüsse sind durch „Kennfarben“ vor Sauerstoffvorrat
Verwechslung geschützt. Ab dem 01.01.2010
gelten in Europa (nach der Europäischen Norm Eine 10 Liter fassende Sauerstoffflasche, die ei-
EN 739) folgende vereinheitlichten Kennfarben nen Druck von 200 bar aufweist, enthält 10 ×
(ISO32): 200 = 2 000 Liter Sauerstoff (Rauminhalt der
Sauerstoffflasche × Flascheninnendruck = Sau-
Sauerstoff = weiß erstoffvorrat in Litern).
! Lachgas = blau
Druckluft = weiß/schwarz
Vakuum = gelb Lachgasvorrat
Gasabsaugung = magenta
Der Füllungszustand einer Lachgasflasche kann
Alternativ kann auch die bis zum 01.07.2006 nur durch Wiegen ermittelt werden (→ S. 39).
gültige Übergangslösung einer „farbneutralen“ In Flaschen geliefertes Lachgas liegt zu ¾ als
1.7  Narkosevorbereitungen 25

Flüssigkeit vor. 1 kg flüssiges Lachgas ergibt 500 (z. B. Narkosegeräte, Infusionspumpen) gere-
Liter Lachgas (Gesamtflaschengewicht [in kg] gelt. Aktive Medizinprodukte (d. h. solche die
minus Gewicht der leeren Flasche × 500 = Lach- über einen elektrischen Antrieb oder über eine
gasvorrat in Litern). Das Leergewicht der Fla- Druckgasversorgung verfügen, z. B. automati-
schen ist jeweils am Flaschenhals eingeprägt. sches Blutdruckmessgerät, Narkosegerät, Infu-
sionspumpe) dürfen nur entsprechend ihrer
Zweckbestimmung errichtet, betrieben und an-
Absauggerät gewendet werden (z. B. Einsatz nur gemäß dem
in der Gebrauchsanweisung beschriebenen
Funktioniert das Absaugegerät und sind genü- Verwendungszweck; Medizinprodukt muss in
gend sterile Absaugschläuche vorhanden? ordnungsgemäßem und funktionssicherem Zu-
stand sein; Verwendung nur des zugelassenen
Zubehörs; Verwendung nur mit gültigem Eich-
Prüfung stempel).
Medizinprodukte dürfen nicht (!) betrieben und
Beim Zuhalten der Absaugöffnung muss sich angewendet werden, wenn sie Mängel aufwei-
ein genügend hoher Sog (ca. –0,4 bis –0,9 bar) sen, durch die Patienten, Beschäftigte oder
aufbauen (Regelbereich Erwachsene: 0 bis Dritte gefährdet werden können (häufige Män-
–0,9 bar, Regelbereich Kinder: 0 bis –0,5 bar, gel sind z. B. defekte Netzstecker und Netzkabel,
Frühgeborene und Säuglinge dürfen nur mit ei- nicht funktionierende Alarm- und Sicherheits-
nem Sog von maximal –0,3 bar abgesaugt wer- einrichtungen, sichtbare und unsichtbare Sturz-
den). Außerdem muss darauf geachtet werden, schäden, fehlende Zubehörteile, nicht zugelas-
dass die Saugerschläuche und die Sekretauffang- sene Zubehörteile, Fehlfunktion).
behälter regelmäßig erneuert werden. Oft wer- Aktive Medizinprodukte dürfen nur von Perso-
den hier bereits Einmalartikel verwendet. Des nen angewendet werden, die aufgrund ihrer
Weiteren muss kontrolliert werden, ob die Ausbildung oder ihrer Kenntnisse und prakti-
Spülflasche genügend Spülflüssigkeit enthält, schen Erfahrungen die Gewähr für eine sachge-
damit nach einem Absaugemanöver das rechte Handhabung bieten.
Schlauchsystem mit der Spülflüssigkeit sofort Da die Gewähr für die sachgerechte Handha-
klargespült werden kann. Da das Absaugegerät bung in evtl. gerichtlichen Auseinandersetzun-
nicht nur zum Absaugen von Speichel oder gen inzwischen eine wichtige Rolle spielt und
Bronchialsekret benützt wird, sondern unter da ggf. erhebliche Bußgelder, Geld- und Frei-
Umständen beim plötzlichen Erbrechen des heitsstrafen angedroht werden, muss den An-
Patienten notfallmäßig benötigt wird, muss die wendern von Medizinprodukten dringend an-
Funktionstüchtigkeit immer (!!) gewährleistet geraten werden,
sein. ● den eigenen Kenntnisstand kritisch zu prü-

fen,
● eine qualifizierte Basisschulung zu absolvie-

ren und
1.7 Narkosevorbereitungen ● an Wiederholungseinweisungen (die dem je-

weiligen Kenntnisstand angepasst sind) teil-


zunehmen bzw. diese zu fordern.
1.7.1 Medizinproduktegesetz
Es wird empfohlen, „Feigenblattschulungen“
Im Medizinproduktegesetz (= MPG; → S. 556) und „Pseudoeinweisungen“ abzulehnen, und in
sind Vorschriften für das Errichten, Betreiben diesen Fällen sollte die Unterschrift im Geräte-
und Anwenden von aktiven Medizinprodukten buch verweigert werden.
26 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Funktionsprüfung des Narkose- routinemäßig eingesetzt werden, ist sicherzu-


gerätes bei geplantem Betriebs­ stellen, dass diese Narkosegeräte zumindest
einmal wöchentlich anhand der Checkliste ent-
beginn, bei Patientenwechsel im sprechend den Anforderungen des Geräte-
laufenden Betrieb und im Notfall checks A überprüft werden.
Die Durchführung des Gerätechecks A kann an
Die nachfolgenden Ausführungen zur Funk- ausgebildetes und am jeweiligen Gerät einge-
tionsprüfung von Narkosegeräten sind der wiesenes nicht ärztliches Fachpersonal delegiert
Empfehlung der Kommission für Normung werden.
und technische Sicherheit der Deutschen Ge- Die technische Kommission der DGAI fordert,
sellschaft für Anästhesiologie und Intensiv- den Gerätecheck A anhand der Checkliste auch
medizin (= DGAI) entnommen. nach jeder Aufbereitung zu Ende des Routine-
Eine routinemäßige Prüfung der Narkosegeräte programms, nach Aufrüstung des Gerätes im
anhand von Checklisten, die Dokumentation Anschluss an die regelmäßig durchzuführenden
dieses Prüfvorgangs und die Sicherstellung des Aufbereitungsroutinen und nach technischen
ordnungsgemäßen Gerätezustands vor Anwen- Instandhaltungsmaßnahmen (Inspektion, War-
dung sind in der Medizinproduktebetreiber- tung und Reparatur) durchzuführen. Nur so
verordnung (= MPBetreibV) verbindlich vorge- kann gewährleistet werden, dass an allen Anäs-
schrieben. thesiearbeitsplätzen funktionsfähige Geräte in
Die Anwendungssicherheit medizinisch-tech- ordnungsgemäßem Zustand bereitgestellt wer-
nischer Geräte wird dabei durch folgende hier- den.
archisch gestufte Abfolge von Funktionsprü-
fungen gewährleistet:
● sicherheitstechnische Kontrollen (= STK;

durch technisches Fachpersonal) in bestimm-


Prüfung auf ordnungsgemäßen
ten, vom Hersteller festgelegten Intervallen Zustand und Funktionsfähigkeit des
● Prüfung auf ordnungsgemäßen Zustand und Narkosegerätes beim Patienten-
Funktionsfähigkeit vor geplantem Betrieb wechsel im laufenden Programm
● Prüfung auf ordnungsgemäßen Zustand und

Funktionsfähigkeit bei Patientenwechsel


(Gerätecheck W) (vgl. Tab. 1-5)

Bei Patientenwechsel im laufenden Betrieb


kann durch den morgendlichen Gerätecheck A
Prüfung des ordnungsgemäßen vor Arbeitsaufnahme und durch den ungestör-
Zustands und der Funktions­ ten klinischen Betrieb während der vorausge-
fähigkeit des Narkosegerätes nach gangenen Narkosen von einer kontinuierlich
Checkliste vor geplantem Arbeits- überprüften, korrekten Funktion des Gerätes
ausgegangen werden.
beginn (Gerätecheck A) (vgl. Tab. 1-4)

Zu Beginn eines jeden geplanten Betriebes Handlungsempfehlungen für den


wird die Prüfung des ordnungsgemäßen Zu- korrekten Abschluss einer Narkose
standes und der Funktionsfähigkeit der Gerä-
te am Anästhesiearbeitsplatz anhand der im laufenden Betrieb
Checkliste (Gerätecheck A) durch den An-
wender verbindlich gefordert. Nach Abschluss einer jeden Narkose sollte dar-
Bei Narkosegeräten, die in selten genutzten auf geachtet werden, dass das Narkosegerät in
Funktionsbereichen bereitstehen und nicht einen Zustand gebracht wird, der dem Geräte-
1.7  Narkosevorbereitungen 27

Tab. 1-4  Funktionsprüfung des Narkosegerätes am Anästhesiearbeitsplatz nach Checkliste (Gerätecheck A)


Vorbereitung zum Gerätecheck:
 Sichtprüfung auf ordnungsgemäßen Zustand des Gerätes: korrekter und vollständiger Aufbau,
hygienische Sauberkeit, keine erkennbaren äußeren Schäden, Verwendung von geeignetem Zubehör,
Prüfsiegel regelmäßiger technischer Kontrollen
 Überprüfung auf Vorhandensein und Funktionsprüfung eines separaten Handbeatmungsbeutels
 Anschluss an die Stromversorgung
 Anschluss an die Gasversorgung
 Anschluss an die Anästhesiegasfortleitung
 ggf. Überprüfung der Reservedruckgasbehälter
 Überprüfung des korrekten Anschlusses der Probengasleitung
 Einschalten von Narkosegerät (ggf. aller Einzelmodule) und Monitorsystemen
 Überprüfung der Funktion des O2-Flushs
 Überprüfung des/der Verdampfer(s) (Füllzustand, korrekter Sitz, Nullstellung, ggf. elektrischer Anschluss)
 Überprüfung des CO2-Absorbers (Befülldatum, Farbveränderungen)
Durchführung des automatischen Gerätechecks mit korrekter Befolgung der geforderten
manuellen Prüfschritte:
 Start der Selbsttests von Narkose- und Überwachungsgeräten, nach deren Abschluss:
Überprüfung der Testergebnisse
oder Durchführung des manuellen Gerätechecks entsprechend den Detailangaben der
jeweiligen gerätespezifischen Gebrauchsanweisung:
 Überprüfung der Gasdosiereinrichtung (Gasflüsse nach völligem Öffnen der Dosierventile)
 ggf. Überprüfung der Sauerstoffverhältnisregelung
 Überprüfung des korrekten Anschlusses der Schläuche des Atemsystems und der Handbeatmung
 Überprüfung der Dichtigkeit des Atemsystems (Leck ≤ 150 ml bei 3 kPa [30 mbar])
 Überprüfung der Funktion von Ein- und Ausatemventil und der Handbeatmung mit einer Testlunge
 Überprüfung der Funktion des Druckbegrenzungs-(APL-)Ventils und seiner POP-OFF-Funktion
 Funktionsprüfung des Ventilatormoduls (Dichtigkeit und Maximaldruck)
 Überprüfung der Einstellung des Ventilatormoduls (abteilungsinterne Standardwerte)
 ggf. Kalibrierung des Gas-Monitorings (O2, CO2, Inhalationsanästhetika)
 Überprüfung der Alarmgrenzwerteinstellung
 Überprüfung der Sekretabsaugung (Zustand, Funktion)

Datum: Gerät: Saal: Unterschrift:


28 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Tab. 1-5  Funktionsprüfung des Narkosegerätes am Anästhesiearbeitsplatz vor/bei Patientenwechsel im laufenden


Betrieb (Gerätecheck W)
Der Gerätecheck W ist zwischen aufeinanderfolgenden Narkosen durchzuführen,
eine Dokumentation ist nicht erforderlich.
 Sichtprüfung auf ordnungsgemäßen Zustand des Gerätes
 Sichtprüfung des/der Verdampfer(s)
 Sichtprüfung des CO2-Absorbers
 ggf. Wasserkondensat aus Atemschläuchen und Wasserfallen entleeren
 Überprüfung, ggf. Leerung und Säuberung der Sekretabsaugung (Zustand, Funktion)
Teil der Funktionsprüfung, die bei/vor Anschluss eines jeden Patienten an ein Narkosegerät
genuine Aufgabe des Anästhesisten ist:
 Überprüfung der Gasdosiereinrichtung
 Überprüfung des korrekten Anschlusses der Schläuche des Atemsystems und der Handbeatmung
 Überprüfung der Dichtigkeit des Atemsystems
 Überprüfung der Funktion von Ein- und Ausatemventil und der Handbeatmung
 Überprüfung der Funktion des Druckbegrenzungs-(APL-)Ventils
 Funktionsprüfung des Ventilatormoduls
 Überprüfung der Einstellung des Ventilatormoduls

zustand zu Beginn der vorausgegangenen Nar- Diese Maßnahmen können an ausgebildetes


kose entspricht: und an den Geräten eingewiesenes nicht ärztli-
● Ventile an der Gasdosieranlage und am Ver- ches Assistenzpersonal delegiert werden, die
dampfer schließen Aufgabenzuweisung bedarf der abteilungs- oder
● Bedienung aller Geräte derart beenden, dass kliniksinternen Festlegung.
patientenspezifische Einstellungen gelöscht
werden und alle Geräte in der kliniks- bzw. ab-
teilungsspezifischen Standardeinstellung be- Handlungsempfehlungen für den
reitstehen; oder ggf. das Gerät in den Funkti- korrekten Beginn einer Narkose
onsmodus „Manuell/Spontan“ stellen und das
Druckbegrenzungsventil (APL-Ventil) öffnen im laufenden Betrieb
● Sichtprüfung des korrekten Anschlusses der

Schläuche des Atemsystems und der Hand- Die Sichtprüfung auf ordnungsgemäßen Zu-
beatmung stand des Gerätes vor Durchführung der im
● ggf. Wasserkondensat aus Atemschläuchen Programm folgenden Narkose ist eine nicht de-
und Wasserfallen entleeren legierbare Aufgabe des Anästhesisten. Zu die-
● korrekte und ordentliche Ablage des sem Zeitpunkt sollen, so erforderlich, patien-
Schlauchsystems und der Monitorkabel am tenindividuelle Veränderungen der kliniks- bzw.
Narkosegerät abteilungsspezifischen Standardeinstellungen
● Sichtprüfung der Verdampferfüllung und vorgenommen werden.
des Zustandes des Atemkalkes Auch die Durchführung der folgenden Prüf-
● Entleeren, ggf. Reinigen der Sekretabsaugung schritte zu Beginn einer jeden Narkose gehört
1.7  Narkosevorbereitungen 29

zu den genuinen Aufgaben des Anästhesisten senen Patienten die Gefahr der Entwicklung
und ist nicht delegierbar: hoher Drücke im Atemsystem und die Gefahr
● Überprüfung der Dichtigkeit des Atemsys­ eines möglichen Barotraumas.)
tems
● Überprüfung der korrekten Funktion von Wann immer die manuelle Beatmung nicht
Ein- und Ausatemventil und der Handbeat- möglich ist, ist die Verbindung zwischen Pati-
mung ent und Narkosegerät wieder zu trennen und
● Überprüfung der Funktion der Gasdosier- der Patient mit dem obligatorisch vorzuhalten-
einrichtung den separaten Handbeatmungsbeutel zu beat-
● Überprüfung der Funktion des APL-Ventils men. (Die Kommission empfiehlt dringend, an
● Funktionsprüfung des Ventilatormoduls jedem Anästhesiearbeitsplatz einen separaten,
● Überprüfung der Einstellungen des Ventila­ selbstentfaltenden Handbeatmungsbeutel [z. B.
tormoduls Ambu®-Beutel] vorzuhalten.) Nach Sicherung
der Beatmung des Patienten kann der Geräte-
Unerfahrene Anästhesisten sollten diese Funk- fehler in Ruhe gesucht werden.
tionsprüfungen vor Anschluss eines Patienten Immer wenn auf die maschinelle Beatmung
an das Gerät durchführen, für den erfahrenen umgeschaltet wird, muss sofort die korrekte
Anästhesisten gehört die Überprüfung dieser Funktion des Ventilatormoduls überprüft und
Funktionen zur unverzichtbaren und selbstver- dessen Einstellung an den Patienten angepasst
ständlichen Prozedur beim Anschluss eines je- werden. Dies entspricht der geforderten Über-
den Patienten an ein Narkosegerät. Vor Ein- prüfung der Ventilatorfunktion und -einstel-
schalten der maschinellen Beatmung ist der lung. Auch diese Maßnahmen gehören zu den
Patient zuerst immer manuell zu beatmen. Es genuinen Aufgaben des Anästhesisten und sind
werden dann in schneller Abfolge folgende nicht delegierbar. Wann immer die maschinelle
Handgriffe ausgeführt: Beatmung gestört oder nicht möglich ist, ist auf
● Einstellung der Gasflüsse an der Gasdosier- die vorher geprüfte manuelle Beatmung des Pa-
einrichtung: entsprechende Überprüfung tienten zurückzuwechseln und erst nach der
der Gasdosierung Sicherung der Beatmung in Ruhe der Geräte-
● Einstellung der Narkosemittelkonzentration fehler zu analysieren.
am Narkosemittelverdampfer: entsprechen-
de Sichtprüfung des Verdampfers
● Durchführung der manuellen Beatmung: ent- Funktionsprüfung der Geräte im
sprechende Überprüfung des korrekten Sitzes Notfall (Gerätecheck N) (vgl. Tab. 1-6)
der Schlauchanschlüsse, der Dichtigkeit des
Atemsystems, der korrekten Funktion des Ein- Wird entsprechend den vorab dargestellten
atem- und Ausatem- sowie des APL-Ventils und Empfehlungen die Funktion der Narkosege-
Überprüfung der Einstellung eines ausreichen- räte nach Gerätecheck A überprüft, so kann
den Frischgas-Flows. (Sollte der eingestellte davon ausgegangen werden, dass jedes Nar-
Frischgasfluss nicht ausreichen, den Handbeat- kosegerät in ordnungsgemäßem, funktionsfä-
mungsbeutel suffizient zu füllen, ist der Sauer- higem Zustand im jeweiligen Funktionsbe-
stofffluss an der Gasdosierung zu erhöhen. Der reich bereitgestellt wurde. Dennoch ist nicht
Sauerstofffluss lässt sich derart auf 12–15 l/min auszuschließen, dass zwischenzeitlich un-
steigern, was auch bei großen Leckageverlusten sachgemäß am Gerät manipuliert wurde oder
zur Füllung des Systems ausreicht. Bei Verwen- einzelne technische Funktionen ausgefallen
dung des Sauerstoff-Flushs [geräteabhängig sind. Bei unmittelbarer drohender vitaler Ge-
25–75 l/min] zur Auffüllung des Gasvolumens fährdung eines Patienten stehen 2 Funktionen
besteht für den am Narkosegerät angeschlos- eines Narkosegerätes besonders im Vorder-
30 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Tab. 1-6  Funktionsprüfung des Narkosegerätes am Anästhesiearbeitsplatz im Notfall (Gerätecheck N)


Der Gerätecheck N stellt im Notfall sicher, dass ein Patient mit Sauerstoff versorgt
und zumindest manuell beatmet werden kann. Die Verantwortung für die Durchführung
des Gerätechecks N ist nicht delegierbar.
 Anschluss an Gas- und Stromversorgung
 Einschalten der Narkose- und der Überwachungsgeräte, ggf. Selbsttests abbrechen
 Narkosegerät im Funktionsmodus „Manuell/Spontan“?
 Öffnen nur des Sauerstoffventils, O2-Flow mindestens 4 l/min
 APL-Ventil zur Drucküberprüfung auf 40–50 mbar einstellen
 orientierende Dichtigkeitsprüfung: Verschluss des Y-Stücks und Kompression des Handbeatmungs­
beutels: Druckaufbau gelingt
 Y-Stück öffnen: Gas muss abströmen
 Konnektion des Patienten an das Atemsystem, manuelle Beatmung muss erkennbar möglich sein:
Thoraxbewegungen, Auskultationen der Lungen
 wann immer die Beatmung nicht sicher möglich ist: separaten Handbeatmungsbeutel einsetzen
 frühestmöglicher Anschluss des Patienten an das Monitoring
 Umschalten auf maschinelle Beatmung erst dann, wenn O2-, CO2- und Atemwegsdruckmessung
verfügbar sind
 Diskonnektions- und Stenosealarm einstellen
 wenn die maschinelle Beatmung nicht sicher möglich ist: sofortige Rückkehr zum manuellen
Beatmungsmodus
Erst bei gesichertem Betrieb:
 Anschluss des Gerätes an die Narkosegasfortleitung
 Befüllen des Absorberkanisters mit Atemkalk

grund: die gesicherte Zufuhr von Sauerstoff manueller Kompression muss sich ein Über-
und die sichere Möglichkeit der Beatmung. druck im Atemsystem einstellen, bei Öffnung
So muss die Funktionsprüfung im Notfall auf des Y-Stücks muss deutlich spürbar an dessen
diese beiden Funktionen fokussieren: Öffnung ein Gasstrom austreten: Notüberprü-
Nach Herstellung der Verbindung zur Gas- und fung einer Beatmungsmöglichkeit über das
Stromversorgung sowie Einschalten des Narko- Narkosegerät. Erst jetzt kann der Patient an das
segerätes und der Überwachungsgeräte ist das Narkosegerät angeschlossen werden, wobei die
Sauerstoffventil an der Gasdosiereinrichtung zu manuelle Beatmung beibehalten werden soll.
öffnen und der Abstrom eines Gasflusses am Y- Die Beobachtung beatmungssynchroner Tho-
Stück zu verifizieren: Notüberprüfung der raxbewegungen, die Auskultation der Lungen
Funktion der Sauerstoffdosiereinrichtung. Am und das Gefühl des gewohnten elastischen Wi-
Narkosegerät ist der Beatmungsmodus „Manu- derstandes bei der Insufflation der Lungen sind
ell/Spontan“ zu wählen und das APL-Ventil auf bewährte initiale klinische Zeichen einer effizi-
einen Wert von 40–50 mbar einzustellen. Der enten Beatmung. Lässt sich der Patient nach
Handbeatmungsbeutel wird in die Hand ge- Anschluss an das Atemsystem nicht suffizient
nommen und das Y-Stück verschlossen. Bei manuell beatmen, so ist – ohne Zeitverzug
1.7  Narkosevorbereitungen 31

durch etwaige Fehlersuche – die Patientenver-


bindung wieder zu trennen und mit dem sepa-
raten Handbeatmungsbeutel zu ventilieren. Die
Fehlersuche am Narkosegerät muss dann einer
zweiten Person übertragen werden.

1.7.2 Überprüfung des Narkose-


wagens auf Vollständigkeit
Der fahrbare Narkosewagen (vgl. Abb. 1-21)
enthält nicht nur sämtliche für eine Routine­
narkose notwendigen Utensilien, sondern auch Abb. 1-22a  Häufig verwendete (verletzungssichere)
die für die Behandlung eines evtl. Narkosezwi- periphervenöse Verweilkanülen
schenfalls wichtigen Instrumente und Medika-
mente:
● Endotrachealtuben (→ S. 83)

● Laryngoskop mit verschiedenen Spatelgrö-

ßen (→ S. 88)


● Gesichtsmasken (→ S. 109)

● Guedel- und Wendl-Tuben (→ S. 90, 324)

● Führungsstäbe (→ S. 87)

Abb. 1-22b  Verletzungssichere periphervenöse Ver-


weilkanüle. Nach (erfolgreicher) Punktion wird beim
Entfernen des Metallmandrins automatisch eine metal-
lene Schutzkappe auf die Kanülenspitze gestreift, sodass
Stichverletzungen verhindert werden können.

● Stahlkanülen
● Magill-Zangen (→ S. 90)
● intravenöse Plastikverweilkanülen

(vgl. Abb. 1-22a, b)


● Einwegspritzen

● Routine- und Notfallmedikamente

● Magensonden

● sterile Absaugkatheter

● Blutdruckmessgerät und Stethoskop

● Infusionsbesteck sowie Infusionslösungen

(z. B. eine Flasche kolloidales Plasmaersatz-


mittel und eine Flasche kristalloide Lösung,
→ S. 133)
Abb. 1-21  Narkosewagen ● Dreiwegehähne und Stöpsel
32 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

● Einweghandschuhe Fixierung der Kanüle. Bei den intravenösen


● diverse Pflastersorten Plastikverweilkanülen geht die Gauge-Zahl
● sterile Tupfer und Zellstoff normalerweise von 12–26 G.
● Desinfektionsspray ● Infusion mit angeschlossenem und entlüfte-
tem Infusionsbesteck
Die Pflegekraft ist für den stets kompletten Zu- ● Laryngoskop
! stand des Narkosewagens verantwortlich und hat (→ S. 88, die Lichtquelle muss vorher auf
sich dessen bei jeder Narkosevorbereitung zu ver- Funktionstüchtigkeit überprüft werden!)
gewissern. Während der Narkose muss sich der ● Endotrachealtubus bzw. Larynxmaske (→ S.
Narkosewagen immer in unmittelbarer Reichwei- 83 und 101):
te des Anästhesisten befinden. Die Blockermanschette des Tubus muss vor-
her durch Aufblasen mit Luft auf Dichtigkeit
geprüft werden (!); die Tubusspitze sollte mit
1.7.3 Vorbereitung von Material einem Lokalanästhetikum (z. B. Lidocaingel)
und Medikamenten bestrichen werden.
● Guedel-Tubus (→ S. 90)
Vom Anästhesisten erfragt die Anästhesiepflege- ● 10- oder 20-ml-Spritze zum Aufblasen (Blo­
kraft die Narkoseform, die notwendigen Medi- cken) der Tubusmanschette (→ S. 83):
kamente und Infusionen sowie den benötigten Diese Spritze muss gekennzeichnet werden.
Endotrachealtubus (→ S. 83). Die für die Narko- Da sie unsteril wird, darf sie später nicht ver-
se voraussichtlich benötigten Dinge richtet die sehentlich zum Aufziehen von Medikamen-
Pflegekraft her und legt sie auf dem Narkosewa- ten verwendet werden.
gen bereit. Für eine Routinenarkose sind dies: ● Medikamente, die voraussichtlich benötigt
● Blutdruckmessgerät und Stethoskop für die werden
auskultatorische Blutdruckmessung
(inzwischen wird jedoch nur noch selten
eine auskultatorische Blutdruckmessung, 1.7.4 Aufziehen der Medikamente
sondern zumeist eine apparative, nicht inva-
sive oszillometrische Blutdruckmessung vor- Die Pflegekraft zieht die vom Narkosearzt ge-
genommen, z. B. mittels Dinamap-Gerät) wünschten Medikamente auf und legt die Sprit-
● EKG-Elektroden zen auf dem Narkosewagen bereit.
● Desinfektionsspray und sterile Tupfer

(zur Hautdesinfektion vor dem Legen eines Jede (!!) aufgezogene Spritze muss (!!) beschrif-
periphervenösen Zugangs) ! tet werden. Für die meisten Medikamente liefert
● 2-ml-Spritze mit z. B. 2%igem Lidocain für die Pharmaindustrie bereits entsprechende Auf-
die Lokalanästhesie vor dem Legen des peri- kleber. Das ledigliche Aufstecken der leeren Am-
phervenösen Zugangs, dazu eine dünne pulle auf die unbeschriftete Spritze ist nicht zu­
Stahlkanüle, z. B. 26 G lässig!

G = gauge (sprich: geidsch). Gauge ist ein Maß


! für den Durchmesser. Bei Stahlkanülen geht 1.7.5 Vorbereitung des Patienten
die Gauge-Zahl normalerweise von 18–26 G; auf die Narkose
je größer die Gauge-Zahl, desto kleiner ist der
Durchmesser. Der Patient wird meist von einer Pflegekraft
der Station an die „Patientenschleuse“ des Ope-
● intravenöse Plastikverweilkanüle, z. B. Vy- rationsbereiches gebracht. Die Anästhesie­
gon 18 G, sowie ein Pflaster zur späteren pflegekraft begrüßt den Patienten, stellt sich
1.7  Narkosevorbereitungen 33

Abb. 1-23  Platzierung der EKG-


Elektroden: rechte Schulter:
Anschluss rotes Kabel; linke Schulter:
Anschluss gelbes Kabel;
linke Thoraxseite: Anschluss grünes
(bzw. schwarzes) Kabel

vor und überprüft die Identität des Patienten Gleichzeitig muss am EKG-Gerät die Ablei-
und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Ak- tung II (nach Einthoven) eingestellt sein. Mit
ten. dieser Ableittechnik können Herzrhythmus-
Nun wird der Patient vom Bett auf den Operati- störungen am besten erkannt werden. Eine
onstisch gelegt. Er muss sich dann seines Flü- ST-Strecken-Senkung (→ S. 400; Abb. 7-7),
gelhemdes entledigen und wird umgehend mit die typisch für eine Mangeldurchblutung der
einem Tuch zugedeckt. Die Arme werden be- Koronararterien mit unzureichender Durch-
quem auf Armstützen gelagert und locker ange- blutung der Herzmuskulatur (Myokardischä-
schnallt. Der Körper wird leicht mit einem mie) ist, kann mit dieser Ableittechnik jedoch
„Bauchgurt“ am Operationstisch fixiert. (Erst weniger gut erfasst werden. Um ST-Strecken-
nach der Narkoseeinleitung wird der Patient in Senkungen besser zu erkennen, können ggf.
die eigentliche Operationslagerung gebracht.) das gelbe und grüne (bzw. schwarze) Kabel
Danach wird der Patient in den Narkoseeinlei- (→ oben) vertauscht werden; gleichzeitig
tungsraum gebracht. Während der nun folgen- muss am EKG-Gerät die Ableitung I (nach
den Vorbereitung des Patienten auf die Narkose Einthoven) eingestellt werden. Dies ist insbe-
ist es wichtig, ihm immer zu erklären, was und sondere bei Patienten mit einer Koronarskle-
ggf. warum etwas gemacht wird. rose sinnvoll. Diese Ableitung entspricht un-
Es empfiehlt sich folgendes Vorgehen: gefähr der Brustwandableitung V5 (→ S. 489),
● EKG-Elektroden anlegen und EKG-Monitor mit der Veränderungen der ST-Strecke be-
folgendermaßen anschließen (vgl. Abb. sonders gut erfasst werden können. (Diese
1-23): Ableitung wird manchmal auch als „poor-
man’s V5“ bezeichnet.)
rotes EKG-Kabel = rechte Schulter ● Fingersensor für die pulsoxymetrische Mes-
! gelbes EKG-Kabel = linke Schulter sung der arteriellen Sauerstoffsättigung anle-
grünes (bzw. schwarzes) EKG-Kabel gen (→ S. 405). Falls die arterielle Sauerstoff-
= linke Thoraxseite sättigung niedrig ist (unter ca. 95 %), dann
sollte dem Patienten Sauerstoff über eine Na-
34 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

sensonde (ca. 2 l/min) verabreicht werden


und er sollte zum tiefen Durchatmen aufge-
fordert werden.
● Blutdruckmanschette anlegen und (auskul-

tatorische) Blutdruckmessung
● periphervenösen Zugang anlegen:

Wenn irgend möglich, sollten die Venen des


Handrückens bevorzugt werden.

Eine Punktion in der Ellenbeuge (sowie an der


! radialen Unterarmseite) sollte vermieden wer-
den, da hier eine versehentliche intraarterielle
Lage der Kanüle möglich ist. Bei versehentli-
cher intraarterieller Injektion bestimmter Me-
dikamente kann der Verlust der Hand oder des
Armes drohen (→ S. 50)! Außerdem besteht
in der Ellenbeuge eine Verletzungsgefahr des
hier verlaufenden Nervus medianus.

Mit einem sog. Stauschlauch oder mithilfe


einer Blutdruckmanschette wird nun (mit
einem Manschettendruck von z. B. 50
mm Hg) am Oberarm gestaut. Der Staudruck Abb. 1-24  Punktion einer periphervenösen Vene
muss über dem Venendruck, aber deutlich
unterhalb des arteriellen Drucks liegen.
Hierdurch wird der venöse Abfluss gedros-
selt, während der arterielle Zufluss noch fast – Punktion durch die Hautquaddel schräg
unbehindert ist. Die Venen treten meist in die Vene (vgl. Abb. 1-24)
deutlich hervor und können gut punktiert – Festhalten des Stahlmandrins und Vor-
werden. Bei aufgeregten Patienten ist trotz schieben der Plastikverweilkanüle
korrekter Stauung häufig nur eine schlechte – Öffnen der Stauung
Venenfüllung vorhanden. Durch Tieflage- – Fixierung der Kanüle mit Pflaster
rung des Armes, durch rhythmisches Öff- – Anschluss der vorbereiteten Infusion
nen- und Schließenlassen der Faust, durch
leichtes Beklopfen der voraussichtlichen Zusätzlich benötigte periphervenöse Zugänge
Punktionsstelle oder durch lokale Wärmean- sollten normalerweise erst nach der Narkose­
wendung, vor allem aber durch längerfristi- einleitung gelegt werden.
ges Stauen, treten die Venen deutlicher her-
vor. Die Venenpunktion sollte in folgender
Reihenfolge durchgeführt werden: Routinefragen
– Desinfektion der Punktionsstelle
– Lokalanästhesiequaddel neben der zu Während der Vorbereitung des Patienten auf
punktierenden Vene die Narkose müssen immer nochmals folgende
– Fixierung der zu punktierenden Vene; Routinefragen an den Patienten gestellt wer-
dies kann durch Straffung der Haut (mit den:
dem Daumen der nicht punktierenden ● Wann haben Sie das letzte Mal gegessen und

Hand; Abb. 1-24) erreicht werden getrunken?


1.7  Narkosevorbereitungen 35

Manchmal gestehen die Patienten auf diese Bei unsachgemäßer Lagerung des Patienten kön-
gezielten Fragen, das Nüchternheitsgebot ! nen vor allem Nervenschädigungen (durch Druck,
(→ S. 209) gebrochen zu haben. In diesem Zug oder Zerrung) sowie Schädigungen des Au-
Falle muss eine nicht notfallmäßige Operati- ges drohen. Es muss auch darauf geachtet wer-
on verschoben werden. den, dass die Haut des Patienten nicht direkt Kon-
● Haben Sie eine Zahnprothese? Wenn ja, ha- takt mit dem Gummi oder Plastik des Operations-
ben Sie diese entfernt? tisches hat. Es sollte immer z. B. ein Tuch oder eine
Manchmal gestehen die Patienten, ihre Pro- Abpolsterung dazwischen gelegt werden.
these aus Eitelkeit nicht entfernt zu haben,
obwohl dies bei der präoperativen Visite an-
geordnet wurde. Sie muss jedoch in der Re- Plexus brachialis
gel herausgenommen und sicher aufbewahrt
werden. Meist wird der Arm, an dem die Infusion läuft,
● Haben Sie eine Allergie auf bestimmte Medi- ausgelagert (abduziert). Zur Vermeidung von
kamente oder z. B. auf braunes Pflaster? Zerrungen des Plexus brachialis muss bei der
Armauslagerung Folgendes beachtet werden:
● Der Arm muss (!) unbedingt an der Arm-
1.7.6 Lagerung des Patienten – stütze fixiert werden. Ein versehentliches
Lagerungsschäden Herunterfallen des Armes von der Armstüt-
ze kann beim relaxierten Patienten zu einer
Die endgültige Operationslagerung wird erst Schulterluxation, zu einer Zerrung des
nach Einleitung der Narkose vorgenommen. Plexus brachialis oder gar zum Ausriss des
Für die korrekte Lagerung des Patienten trägt Plexus brachialis führen (!!).
der Operateur die Verantwortung. Während ● Der Oberarm darf nicht weiter als 90 Grad

der Operation ist der Anästhesist dafür verant- ausgelagert werden.


wortlich, dass der ausgelagerte Infusionsarm ● Der Arm darf nicht unterhalb des Thoraxni-

des Patienten weiterhin richtig gelagert sind. veaus gelagert werden.


Abbildung 1-25 zeigt die Lagerung des Patien- ● Es sollte auf eine leichte Beugung im Ellen-

ten, wenn er in Rückenlage operiert werden bogengelenk geachtet werden. Der Handrü­
soll. Spezielle Operationslagerungen werden in cken sollte nach oben zu liegen kommen.
den entsprechenden Kapiteln der „Speziellen ● Der Kopf sollte leicht auf die Seite des ausge-

Anästhesie“ besprochen. lagerten Armes gedreht werden.

Abb. 1-25  Rückenlagerung des


Patienten
36 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Nervus radialis wirken dadurch anästhetisch, das heißt, sie er-


zeugen eine Bewusstlosigkeit, Schmerzdämpfung,
Häufig wird nur ein Arm ausgelagert, der ande- Muskelerschlaffung und eine Dämpfung vegetati-
re Arm wird dem Körper angelagert. Bei dem ver Reflexe.
am Körper angelagerten Arm besteht die Ge-
fahr, dass er über die Kante des Operationsti- Diese einzelnen Wirkungen sind jedoch bei den
sches hängt und durch den Operateur gegen die verschiedenen Inhalationsanästhetika unter-
Tischkante gedrückt wird. Dies kann leicht zu schiedlich stark ausgeprägt und reichen für eine
einer Schädigung des Nervus radialis im Be- Operation unter Umständen erst bei sehr ho-
reich der Oberarminnenseite führen. Der dem hen Konzentrationen aus. Um diese hohen
Körper angelagerte Arm muss deshalb in einer Konzentrationen mit ihren Nebenwirkungen zu
Ober- und Unterarm umfassenden Polsterman- vermeiden, werden die Inhalationsanästhetika
schette dicht dem Körper angelagert und dort meist mit anderen Medikamenten kombiniert.
fixiert werden. Inhalationsanästhetika werden größtenteils
wieder über die Lungen abgeatmet. Nur ein un-
terschiedlich kleiner Anteil (0,02 % bei Desflu-
Auge ran; 3–5 bei Sevofluran; → S. 43) wird im Kör-
per metabolisiert. Da sich die Ventilation der
Jeder länger dauernde Druck auf das Auge kann Lunge gut beeinflussen lässt, kann sowohl die
zu Durchblutungsstörungen der Netzhaut und Aufnahme als auch die Abatmung der Inhalati-
damit zur Erblindung führen. Besonders bei onsanästhetika gut gesteuert werden.
Bauchlagerungen ist darauf zu achten, dass
nicht ein Lagerungskissen, ein Lagerungsring Inhalationsanästhetika besitzen also den großen
oder eine Kopfstütze auf das Auge drückt. Au- ! Vorteil der guten Steuerbarkeit. Ein Nachteil der
ßerdem ist darauf zu achten, dass die Augenli- Inhalationsanästhetika ist allerdings der relativ
der während der Narkose geschlossen sind. Bei langsame Wirkungseintritt.
geöffneten Augenlidern droht ein Austrocknen
der Hornhaut mit Hornhautulkus. Das Auge Die meisten Medikamente verteilen sich durch
muss dann entweder zugeklebt oder es muss Diffusion innerhalb der verschiedenen Körper-
eine sterile Augensalbe eingebracht werden. räume. Voraussetzung dafür, dass ein Medika-
Sind die Augen während der Operation nicht zu ment in ein anderes Gewebe abdiffundieren
sehen, müssen die Augenlider immer mit Pflas­ kann, ist ein Konzentrationsunterschied. Die
ter zugeklebt werden. Diffusion erfolgt immer vom Ort hoher Konzen-
tration zum Ort niedriger Konzentration, also
entlang eines Konzentrationsgefälles. Dies gilt
auch für Inhalationsanästhetika. Allerdings wird
1.8 Inhalationsanästhetika bei Gasen und Dämpfen nicht von „Konzentra-
tion“, sondern vom Partialdruck gesprochen.
1.8.1 Allgemeine Bemerkungen
Gase und Dämpfe diffundieren immer vom Ort ei-
Inhalationsanästhetika sind Gase oder Dämp- ! nes hohen Partialdrucks zum Ort eines niedrigen

fe, die eingeatmet und über die Lungen ins Blut Partialdrucks.
aufgenommen werden. Über das Blut werden sie
auch zum Zentralnervensystem (= ZNS) transpor- Bei der Narkoseeinleitung mit einem Inhalati-
tiert, wo sie vorübergehende Veränderungen an onsanästhetikum diffundiert das Inhalations-
den Zellmembranen verursachen und dadurch die anästhetikum daher aus der Alveolarluft (hoher
Weiterleitung von Nervenimpulsen hemmen. Sie Partialdruck) ins Blut (niedriger Partialdruck).
1.8  Inhalationsanästhetika 37

Aus dem Blut diffundieren die Inhalationsanäs- Es diffundiert immer weniger Inhalationsanäs-
thetika in die verschiedenen Gewebe ab. thetikum aus dem arteriellen Blut in die Gewebe
ab, da die Partialdruckdifferenz zwischen Blut
Je besser ein Gewebe durchblutet ist, desto mehr und Gewebe immer kleiner wird. Das venöse
! Inhalationsanästhetikum kann es pro Zeiteinheit Blut enthält einen zunehmend höheren Partial-
aus dem Blut aufnehmen und desto schneller druck des Inhalationsanästhetikums. Zur Auf-
wird es mit dem Inhalationsanästhetikum gesät- rechterhaltung eines bestimmten Partialdrucks
tigt sein. im arteriellen Blut und damit eines bestimmten
Partialdrucks im Gehirn (bzw. einer bestimmten
Die stark durchbluteten Organe wie ZNS, Herz, Narkosetiefe) muss immer weniger Inhalations-
Nieren und Leber sind daher schnell (innerhalb anästhetikum pro Zeiteinheit über die Lungen
von Minuten) mit dem Inhalationsanästheti- ins Blut aufgenommen werden. Mit zunehmen-
kum aufgesättigt. Die weniger gut durchblutete der Narkosedauer genügt daher eine immer ge-
Muskulatur ist z. B. erst nach Stunden gesättigt. ringer werdende inspiratorische Konzentration.
Das schlecht durchblutete Fettgewebe wäre erst Bei Narkoseausleitung, das heißt Reduktion
nach Tagen vollständig aufgesättigt. Erst wenn oder Abbruch der Zufuhr des Inhalationsanäs-
es zum Ausgleich der Partialdrücke in den ver- thetikums, kehrt sich das Partialdruckgefälle
schiedenen Geweben gekommen ist, findet kei- um. Das Inspirationsgemisch enthält nun weni-
ne Diffusion mehr statt. ger oder kein Inhalationsanästhetikum. Das In-
halationsanästhetikum diffundiert nun aus dem
Von besonderem Interesse ist der Partialdruck Blut (jetzt hoher Partialdruck) in die Alveolar-
! des Inhalationsanästhetikums im Gehirn, denn luft (jetzt niedriger Partialdruck) und wird ab-
die Narkosetiefe ist vom Partialdruck des Inha­ geatmet. Außerdem diffundiert das Inhalati-
lationsanästhetikums im Gehirn abhängig. onsanästhetikum aus dem Gewebe zurück ins
Blut. Wenn das Inhalationsanästhetikum aus
Da das Gehirn sehr gut durchblutet wird, gleicht den gut durchbluteten Organen (mit hohem
sich der Partialdruck des Inhalationsanästheti- Partialdruck des Narkosegases) schnell abflutet,
kums im Gehirn sehr schnell dem Partialdruck kann der Partialdruck des Gases im Blut höher
im Blut an. Der Partialdruck im Gehirn entspricht als im schlecht durchbluteten Gewebe (z. B.
daher ungefähr dem Partialdruck im Blut. dem Fettgewebe) sein. Dann diffundiert das aus
Bei Narkosebeginn diffundiert fast das gesamte den gut durchbluteten Geweben abdiffundierte
Inhalationsanästhetikum aus dem arteriellen Gas zum Teil in die schlechter durchbluteten
Blut in die verschiedenen Gewebe ab, da diese Gewebe. Es wird von einer sog. Umverteilung
noch völlig ungesättigt sind. Das venöse Blut gesprochen. Umverteilungsphänomene treten
enthält damit fast kein Inhalationsanästhetikum auch bei intravenös zu verabreichenden Medi-
mehr und muss in der Lunge wieder aufgesät- kamenten auf (→ S. 46).
tigt werden. Zur Aufrechterhaltung eines be-
stimmten Partialdrucks im arteriellen Blut und
damit eines bestimmten Partialdrucks im Ge- 1.8.2 Faktoren, die die Aufnahme
hirn (bzw. einer bestimmten Narkosetiefe) muss und die Abatmung eines
also bei Narkosebeginn viel Inhalationsanäs-
thetikum über die Lungen ins Blut aufgenom- Inhala­tionsanästhetikums
men werden. Hierzu ist eine hohe Konzentrati- beschleunigen bzw. verzögern
on des Inhalationsanästhetikums in dem
Inspirationsgemisch nötig. Wie schnell ein Inhalationsanästhetikum über
Mit zunehmender Narkosedauer nimmt die die Lungen aufgenommen wird, mit dem Blut
Sättigung der verschiedenen Gewebe stetig zu. ins Gehirn gelangt und dort seine narkotische
38 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Wirkung entfaltet, hängt vor allem von folgen- Herzminutenvolumen


den Faktoren ab:
● inspiratorischer Partialdruck Normalerweise fließen ca. 14 % des Herzminu-
● Lungenbelüftung pro Minute tenvolumens (= HMV) zum Gehirn. Im Volu-
● Herzminutenvolumen menmangelschock besteht eine maximale
● Löslichkeit im Blut Kreislaufzentralisation. Die Peripherie (Musku-
latur, Fettgewebe, Magen-Darm-Trakt) wird
zugunsten der lebensnotwendigen Organe wie
Inspiratorischer Partialdruck Gehirn, Leber und Niere vermindert durch­
blutet. Das Gehirn erhält also einen prozentual
Je höher das Partialdruckgefälle zwischen Alveo- größeren Anteil des HMV. Der Antransport
! larluft und Blut ist, desto mehr Inhalationsanäs- zum Gehirn und damit die Narkoseeinleitung
thetikum diffundiert pro Zeiteinheit ins Blut über. erfolgt damit schneller. Bei einer Erhöhung
des HMV durch Stress, Muskeltätigkeit oder
Zur Beschleunigung der Narkoseeinleitung Hyperthyreose kommt es dagegen zu einer
wird die inspiratorische Konzentration des In- Umverteilung der Organperfusion zugunsten
halationsanästhetikums deshalb relativ hoch der Muskulatur. Das Gehirn erhält einen
gewählt, um schnell den für die gewünschte prozentual geringeren Anteil des HMV. Die
Narkosetiefe notwendigen Partialdruck im Blut Ein- und Ausleitung einer Inhalationsnarkose
bzw. im Gehirn zu erreichen. ist damit verzögert. Bei vermindertem HMV
infolge einer Herzinsuffizienz ist der Antrans-
port zum Gehirn und damit der Wirkungsbe-
Lungenbelüftung pro Minute (al- ginn, das heißt die Narkoseeinleitung, verzö-
veoläre Ventilation) gert.

Bei Beginn der Einatmung eines Inhalationsan-


ästhetikums wird das Anästhetikum im Volu- Löslichkeit im Blut
men der funktionellen Residualkapazität ver-
teilt und damit verdünnt. Die Geschwindigkeit, mit der ein Inhala­

tionsanästhetikum über die Lungen aufgenom-
Als funktionelle Residualkapazität wird das nach men wird, ist auch davon abhängig, wie gut es

einer normalen Ausatmung noch in der Lunge sich im Blut löst. Diese physikalische Eigenschaft
befindliche Luftvolumen (von ca. 2,5 Litern beim wird mithilfe des Blut-Gas-Verteilungskoeffizi-
Erwachsenen) bezeichnet. enten ausgedrückt.

Erst nach mehrfachem Ein- und Ausatmen ist Lachgas z. B. löst sich nur sehr gering im Blut, es
die gesamte funktionelle Residualkapazität mit hat einen sehr niedrigen Blut-Gas-Ver­
dem Inspirationsgemisch (das einen bestimmten teilungskoeffizienten (vgl. Tab. 1-7). Da sich nur
Partialdruck an Inhalationsanästhetikum ent- wenig Lachgas im Blut löst, ist das Blut
hält) vollständig aufgesättigt. Durch eine Steige- sehr schnell mit Lachgas gesättigt. Ether da­
rung der alveolären Ventilation (= Hyperventila- gegen löst sich in hohem Maße im Blut. Der
tion) wird dieser Anstieg des Partialdrucks in der Blut-Gas-Verteilungskoeffizient ist entspre-
funktionellen Residualkapazität beschleunigt. chend hoch (vgl. Tab. 1-7). Es wird also lange
dauern, bis das Blut mit Ether aufgesättigt ist
Durch Hyperventilation kann also die Narkose­ und sich der Partialdruck im Blut dem Partial-
! einleitung oder eine Veränderung der Narkosetie- druck im Einatmungsgemisch angeglichen
fe beschleunigt werden. hat.
1.8  Inhalationsanästhetika 39

Tab. 1-7  Blut-Gas-Verteilungskoeffizient und MAC- oder durch die Kombination mit Lachgas ernied-
Wert der wichtigsten Inhalationsanästhetika rigt werden. Auch andere zentral dämpfende
Wirkstoff Blut-Gas- MAC- MAC- Medikamente wie Barbiturate oder Benzodiaze-
Vertei- Wert in Wert in pine bewirken eine Reduktion des MAC-Wertes,
lungs 100 % O2 70 % ebenso ein Abfall der Körpertemperatur. Außer-
koeffizient (Vol.-%) N2O dem ist der MAC-Wert altersabhängig; bei Kin-
(Vol.-%) dern beträgt er z. B. für Sevofluran (→ S. 43) 2,3
Lachgas   0,47 110,00 – Vol.-%, bei Patienten über 70 Jahre dagegen nur
Halothan   2,30    0,75 0,291 noch 1,5 Vol.-%. Bei Neu- und Frühgeborenen
sowie bei sehr alten Patienten kann der MAC-
Enfluran   1,90    1,68 0,571
Wert deutlich erniedrigt sein.
Isofluran   1,40    1,15 0,501
Sevofluran   0,65    2,00 0,661
Desfluran   0,45    6,00 3,001
1.8.4 Wichtige Medikamente
Ether 12,10    1,92 –
1
In neueren Arbeiten wird – im Vergleich zum MAC- Lachgas
Wert in 100 % O2 – eine lediglich ca. 30%ige MAC-Re-
duktion durch 70% Lachgas beschrieben (vgl. Text). Lachgas (= Stickoxydul = N O = Distickstoffmon-
 2
oxid) ist ein geruchloses, nicht reizendes, farblo-
ses Gas.

Je niedriger der Blut-Gas-Verteilungskoeffizient Lachgas hat inzwischen die Kennfarbe blau (Aus-
! ist, desto schneller gleicht sich der Partialdruck ! nahmen bis Ende 2009 → S. 24). Inzwischen wird
im Blut dem Partialdruck im Einatmungsgemisch allerdings zumeist die „farbneutrale“ Kennzeich-
an, desto schneller flutet das Inhalationsanästhe- nung (= Beschriftung) bevorzugt (→ S. 24).
tikum an und ab und umso besser ist seine Steu-
erbarkeit. Lachgas wird unter hohem Druck (51 atm = 51
bar) in Stahlzylindern geliefert. Lachgas liegt
dabei zu ca. 3∕₄ in flüssiger Form vor, der Rest ist
1.8.3 MAC-Wert gasförmig. 1 kg Lachgasflüssigkeit ergibt ca. 500
Liter Lachgas. Solange noch ein flüssiger Anteil
Jedes Inhalationsanästhetikum besitzt eine be- vorliegt, bleibt der Manometerdruck (51 atm =
stimmte Wirkungsstärke, eine bestimmte nar- 51 bar) konstant (→ S. 24). Beim Verdampfen
kotische Potenz. Diese wird mit dem MAC- von Lachgas wird der Umgebung Wärme entzo-
Wert (= minimale alveoläre [oder auch gen, deshalb beschlagen oder gefrieren manch-
anästhetische] Konzentration) ausgedrückt. mal die Lachgasflaschen an den Gasaustritts-
ventilen.
Der MAC-Wert ist diejenige Konzentration eines

Inhalationsanästhetikums, bei der 50 % der Pa- Lachgas wurde bis vor einigen Jahren immer als
tienten auf einen definierten Schmerzreiz (Haut- ! das sicherste aller Inhalationsanästhetika be-
schnitt) mit keiner Schmerzreaktion mehr reagie- zeichnet und normalerweise bei fast allen Nar-
ren. Je niedriger der MAC-Wert, desto potenter ist kosen – zusätzlich zum Sauerstoff – als Basis­
das Inhalationsanästhetikum (vgl. Tab. 1-7). narkotikum in Konzentrationen bis 70(–75) %
zugesetzt.In den letzten Jahren nahm die Popula­rität
Der MAC-Wert eines Inhalationsanästhetikums von Lachgas zunehmend ab und es wird vermehrt
kann durch die zusätzliche Gabe eines Opioids auf mögliche Nachteile des Lachgases (→ S. 40)
40 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

hingewiesen. Immer häufiger wird deshalb auf die Endotrachealtubus (→ S. 97), in einen evtl.
zusätzliche Lachgasgabe verzichtet und stattdes- vorhandenen Pneumothorax, in das luftge-
sen neben Sauerstoff nicht Lachgas, sondern Luft füllte Mittelohr (→ S. 282) oder in eine Luft-
verabreicht. embolieblase (→ S. 272). Hierdurch kann es
zu einer Druck- und/oder Volumenzunah-
Als alleiniges Anästhetikum hat Lachgas eine me dieser lufthaltigen Räume kommen, was
unzureichende Wirkung. Es vermag aber als meistens nachteilige Auswirkungen hat.
Zusatzanästhetikum die Wirkung der anderen ● Da sich Lachgas nur in geringem Ausmaß im

Inhalationsanästhetika zu verstärken, das heißt Blut löst, ist das Blut bereits nach wenigen
deren MAC-Wert zu erniedrigen (vgl. Tab. 1-7). Minuten mit Lachgas gesättigt. Lachgas flu-
Nach neueren Studien kann durch 70 % Lach- tet also sehr schnell an. Es hat einen sehr
gas der MAC-Wert von Inhalationsanästhetika niedrigen Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten
ca. 30 % vermindert werden. (In älteren Studien (vgl. Tab. 1-7) und ist damit gut steuerbar.
wird zum Teil eine deutlich höhere MAC-Re- Nach Abstellen der Lachgaszufuhr flutet das
duktion beschrieben). Das volatile Inhalations- Lachgas aber ebenso schnell wieder ab. In-
anästhetikum kann also bei zusätzlicher Lach- nerhalb kurzer Zeit diffundieren nun große
gasgabe niedriger dosiert werden. Damit sind Mengen Lachgas aus dem Körper zurück in
auch dessen Nebenwirkungen geringer. Durch die Lunge und können dort, bei Atmung von
Zusatz von Lachgas kann auch die notwendige Raumluft, zu einer Verdrängung des Sauer-
Dosierung der intravenösen Anästhetika redu- stoffes mit Hypoxie führen. Dieses Phäno-
ziert werden. men wird als Diffusionshypoxie bezeichnet.
Nach Abstellen des Lachgases muss deshalb
Wirkungen mindestens über 3 Minuten 100 % Sauerstoff
● gute analgetische Wirkung verabreicht werden, um dieser Diffusions-
● schwache narkotische Wirkung; hypoxie vorzubeugen.
der (theoretische) MAC-Wert beträgt 110 ● Lachgas wird häufig angeschuldigt, eine post-

Vol.-% (vgl. Tab. 1-7) operative Übelkeit mit Brechreiz zu begünsti-


● keine muskelrelaxierende Wirkung gen.
● erzeugt eine Amnesie (= Erinnerungslücke)

Die Nebenwirkungen auf Atmung, Kreislauf,


Nebenwirkungen Leber und Nieren sind vernachlässigbar klein.
● Lachgas geht eine Bindung mit Vitamin B Lachgas wird fast vollständig über die Lungen
12
ein, wodurch es bei langfristiger Anwendung wieder abgeatmet. Es findet kein Abbau im
(länger als 6 Stunden) zu Blutbildungsstö- Körper statt.
rungen ähnlich wie bei Vitamin-B12-Mangel
(perniziöse Anämie) kommen kann. Da-
durch ist eine Störung der Erythrozyten- und Halothan
der Granulozytenbildung möglich.
● Lachgas kann zu einer weiteren Steigerung Halothan war lange Zeit das weltweit am häu-
eines bereits vorher erhöhten intrakraniellen figsten angewandte verdampfbare Inhalations-
Drucks führen. Deshalb darf bei Patienten anästhetikum. Es wurde jedoch inzwischen
mit Verdacht auf einen erhöhten intrakrani- durch Isofluran und in den letzten Jahren vor
ellen Druck kein Lachgas verwendet wer- allem durch Sevofluran und Desfluran ver-
den. drängt.
● Lachgas diffundiert schnell in sämtliche luft- Inzwischen sollte Halothan sowohl bei Erwach-
haltige Räume wie z. B. in luftgeblähte Darm- senen als auch bei Kindern nicht mehr verwen-
schlingen, in die Blockermanschette eines det werden. Es wird in Deutschland nicht mehr
1.8  Inhalationsanästhetika 41

hergestellt (und müsste als Einzelimport nach grund einer zu flachen Narkoseführung der
§ 73a des Arzneimittelgesetzes aus dem Ausland Fall sein kann, oder bei Catecholaminverab-
importiert werden). Aus didaktischen Gründen reichung (z. B. Gabe von adrenalinhaltigen
soll Halothan hier dennoch vorgestellt werden. Lokalanästhetika; → S. 158), neigt das Herz
In speziellen, nur für Halothan zulässigen Ver- bei gleichzeitiger Halothangabe zu Rhyth-
dampfern (→ S. 17) können dem Frischgas Ha- musstörungen. Dies musste insbesondere in
lothandämpfe in der eingestellten Konzentrati- der HNO- und Kieferchirurgie beachtet wer-
on zugemischt werden. den. Hier werden oft adrenalinhaltige Lokal-
anästhetika ins Operationsgebiet eingespritzt
Wirkungen (um eine Gefäßkonstriktion und damit eine
● sehr potentes Narkotikum Verminderung der Blutung zu erzielen; → S.
(MAC-Wert beträgt 0,75 Vol.-%; vgl. Tab. 280).
1-7) ● Atmung:

● nur geringe analgetische Wirkung, wird des- Halothan bewirkt ab einer inspiratorischen
halb unter Umständen mit Lachgas kombi- Konzentration von ca. 0,5 Vol.-% eine dosis-
niert abhängige Atemdepression, die bei 1–1,5
● erzeugt eine leichte Muskelerschlaffung und Vol.-% zu einer ausgeprägten Veränderung
verstärkt die Wirkung von nicht depolarisie- der Ventilationsgrößen führt. Der At-
renden Muskelrelaxanzien (→ S. 64). Deren mungstyp ist dann durch eine Tachypnoe
Dosierung kann deshalb bei einer Halothan- und kleine Atemzugvolumina gekennzeich-
narkose reduziert werden. net. Der arterielle CO2-Wert steigt an. Bei
Halothangabe ist also meistens eine assistier-
Nebenwirkungen te Beatmung notwendig. Halothan weist eine
● Herz-Kreislauf-System: bronchodilatierende Komponente auf und
Halothan bewirkt eine konzentrationsab- kann deshalb bei Patienten mit Asthma
hängige Blutdruckerniedrigung. Ursache ist bronchiale von Vorteil sein. Halothan flutet
vor allem eine direkte Minderung der Herz- mäßig schnell an und ab. Der Blut-Gas-
kraft (negativ inotrope Wirkung) mit Ab- Verteilungskoeffizient beträgt 2,3 (vgl. Tab.
nahme des Herzminutenvolumens. Der 1-7).
Blutdruckabfall ist also nicht durch eine Ge- ● Uterus:

fäßweitstellung, das heißt Abnahme des pe- Halothan bewirkt eine dosisabhängige Ute-
ripheren Gesamtwiderstandes, bedingt. Der rusrelaxierung und erhöht die Gefahr einer
periphere Gesamtwiderstand bleibt unter stärkeren Blutung aus dem Uterus nach der
Halothan annähernd konstant. Lediglich im Entbindung.
Bereich der Haut und des Gehirns kommt es ● Leber (Metabolisierung):

zu einer Vasodilatation mit einer Durchblu- Bis zu 20 % (!) des Halothans werden im
tungssteigerung. Körper metabolisiert. In sehr seltenen Fällen
Die Herzfrequenz bleibt weitgehend kon- soll es zu einer akuten Leberzellschädigung
stant oder nimmt leicht ab. nach einer Halothannarkose kommen. Falls
diese sog. „Halothanhepatitis“ auftreten
Zur Beurteilung der Narkosetiefe einer Halo- sollte, dann vor allem in der ersten (oder
! thannarkose eignete sich am besten das Blut- zweiten) Woche nach einer Halothannarko-
druck- und das Herzfrequenzverhalten. se. Sie kann tödlich verlaufen. Der Mecha-
nismus dieser Leberzellschädigung ist un-
Halothan „sensibilisiert das Herz gegen Ca- klar. Möglicherweise spielen Reaktionen auf
techolamine“ (→ S. 300). Bei endogener Ca- Abbauprodukte des Halothans eine Rolle.
techolaminfreisetzung, wie dies z. B. auf- Werden innerhalb kurzer Zeit (Wochen)
42 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

mehrere Halothannarkosen beim gleichen Isofluran (Forene®)


Patienten durchgeführt, so soll die Gefahr
einer „Halothanhepatitis“ erhöht sein. Isofluran ist ein chemisch dem Enfluran sehr eng
● Gehirn:

verwandtes Inhalationsanästhetikum (Strukturiso-
Halothan erzeugt durch eine Gefäßweitstel- mer, das heißt gleiche Summenformel aber andere
lung eine Steigerung der Hirndurchblutung. molekulare Anordnung). Es hat einen etherischen,
Bei bereits erhöhtem intrakraniellem Druck, stechenden Geruch. Bei einer Narkoseeinleitung
z. B. nach einem Schädel-Hirn-Trauma (= per inhalationem (→ S. 123) husten die Patienten
SHT), kann dies zu einer weiteren, evtl. le- oft oder halten den Atem an. Es kann zu einem
bensbedrohlichen Steigerung des intrakrani- deutlichen Blutdruckabfall führen und flutet lang-
ellen Drucks führen (→ S. 267). samer an und ab als Sevofluran und Desfluran.
● Auge:

Während einer Halothannarkose kommt es Wirkungen


zu einer Erniedrigung des Augeninnen- ● Die narkotische Potenz ist höher als die von

drucks. Dies ist für intraokuläre Operationen Sevofluran oder Desfluran. Der MAC-Wert
erwünscht (→ S. 283). beträgt 1,15 Vol.-% (vgl. Tab. 1-7).
● Die analgetische Wirkung ist schwach; Iso-
Kontraindikationen fluran wird deshalb unter Umständen mit
● frühere „Halothanhepatitis“ Lachgas kombiniert.
● maligne Hyperthermie (→ S. 212) in der ● Die muskelrelaxierende Wirkung ist gut und

Anamnese des Patienten oder seiner Ange- der von Sevofluran vergleichbar. Die Wir-
hörigen kung der nicht depolarisierenden Muskelre-
● Leberzellschädigung (nur eine relative Kon- laxanzien (→ S. 64) wird durch Isofluran
traindikation) verstärkt. Sie können entsprechend niedriger
● bei Verdacht auf einen erhöhten intrakrani- dosiert werden.
ellen Druck
Nebenwirkungen
Dosierung ● Herz-Kreislauf-System:

● Narkoseeinleitung: Isofluran führt zu einem dosisabhängigen,


initiale Vaporeinstellung ca. 1,5–2,5 Vol.-% blutdrucksenkenden Effekt. Seine Ursache
● Aufrechterhaltung der Narkose: ist nicht eine Abnahme des HMV wie bei
– exspiratorisch ungefähr 0,7 MAC bei ca. Halothan, sondern eine starke Verminde-
70 % Lachgas; mit zusätzlicher Opioidga- rung des peripheren Gefäßwiderstandes
be ca. 0,4–0,5 MAC durch eine direkte vasodilatierende Wir-
– exspiratorisch ca. 1,0–1,1 MAC bei Ver- kung. Isofluran wirkt nur gering negativ ino-
zicht auf Lachgas; mit zusätzlicher Opio- trop. Das Herzminutenvolumen nimmt un-
idgabe ca. 0,7–0,8 MAC ter Isoflurangabe kaum ab. Die Herzfrequenz
bleibt unter Isofluran annähernd konstant.
Manchmal tritt eine Tachykardie auf.
Enfluran
Zur Beurteilung der Narkosetiefe einer Isoflu-
Enfluran – das jahrelang als Nachfolgesubstanz ! rannarkose eignet sich am besten das Blut-
von Halothan galt – wird inzwischen ebenfalls druckverhalten.
nicht mehr eingesetzt. Es ist – wie Halothan –
obsolet und soll nicht näher beschrieben wer- Die Sensibilisierung des Herzens gegen Ca-
den. techolamine ist bei Isofluran (im Unterschied
zu Halothan; → S. 40) vernachlässigbar ge-
1.8  Inhalationsanästhetika 43

ring. Es kann deshalb z. B. in der HNO- und – exspiratorisch ungefähr 0,7 MAC bei ca.
Kieferchirurgie verabreicht werden, wenn 70 % Lachgas; mit zusätzlicher Opioidga-
adrenalinhaltige Lokalanästhetika einge- be ca. 0,4–0,5 MAC
spritzt werden (→ S. 280). – exspiratorisch ca. 1–1,1 MAC bei Verzicht
● Atmung: auf Lachgas; mit zusätzlicher Opioidgabe
Auch Isofluran führt zu einer starken, dosis- ca. 0,7–0,8 MAC
abhängigen Atemdepression, sodass zumeist
eine assistierte Beatmung notwendig ist.
Aufgrund seines Blut-Gas-Verteilungskoeffi- Sevofluran (Sevorane®)
zienten von 1,4 (vgl. Tab. 1-7) flutet Isofluran
deutlich langsamer als Sevofluran oder Des- Sevofluran ist seit Oktober 1995 in Deutschland
fluran an und ab. Die Narkoseein- und -aus- 
zugelassen. Sevofluran verdankt seinen Namen
leitung sowie eine Veränderung der Narko- der Tatsache, dass seine Moleküle 7 Fluoratome
setiefe verlaufen deshalb relativ langsam besitzen.
(→ S. 38)! Die Vorteile des Sevoflurans sind darin zu sehen,
● Uterus: dass es relativ schnell an- und abflutet. Der Blut-
Isofluran bewirkt eine dosisabhängige Ute- Gas-Verteilungskoeffizient beträgt 0,65 (vgl. Tab.
rusrelaxierung. 1-7). Lediglich Desfluran und Lachgas fluten noch
● Leber (Metabolisierung): schneller an und ab (vgl. Tab. 1-7). Sevofluran ist
Die Metabolisierungsrate ist mit ungefähr sehr kreislaufstabil, und aufgrund seiner relativ
0,2 % niedriger als bei Sevofluran (3–5 %), geringen Reizung der Atemwege ist es für eine
aber höher als bei Desfluran (0,02 %). Die Inhalationseinleitung besonders gut geeignet.
Möglichkeit einer Leberzellschädigung ist
relativ gering. Wirkungen
● Gehirn: ● Die narkotische Potenz ist geringer als bei

Isofluran erzeugt eine Vasodilatation mit Isofluran, aber höher als bei Desfluran. Der
Steigerung der Durchblutung. Es kann daher MAC-Wert beträgt beim Erwachsenen 2,0
bei bereits erhöhtem intrakraniellem Druck Vol.-% (vgl. Tab. 1-7).
zu einer weiteren, unter Umständen lebens- ● Die analgetische Wirkung ist schwach; Se-

bedrohlichen Steigerung des intrakraniellen vofluran wird deshalb unter Umständen mit
Drucks führen. Lachgas kombiniert.
● Die Wirkung nicht depolarisierender Rela-
Kontraindikationen xanzien (→ S. 64) wird durch Sevofluran in
● maligne Hyperthermie (→ S. 212) in der ähnlichem Ausmaß wie durch Isofluran ver-
Anamnese des Patienten oder seiner Ange- stärkt.
hörigen
● nachgewiesene frühere Hepatitis nach ver- Nebenwirkungen
dampfbaren Inhalationsanästhetika ● Herz-Kreislauf-System:

● Leberzellschädigung (nur eine relative Kon- Sevofluran führt dosisabhängig zu einer Va-
traindikation) sodilatation und zu einem Blutdruckabfall.
Eine Tachykardie ist nicht zu erwarten. Ins-
Dosierung gesamt ist Sevofluran durch eine gute hämo-
● Narkoseeinleitung: dynamische Stabilität ausgezeichnet. Da die
initiale Vaporeinstellung ca. 2–3 Vol.-% hämodynamischen Veränderungen geringer
● Aufrechterhaltung der Narkose: als bei den anderen Inhalationsanästhetika
sind, kann es bei kardialen Risikopatienten
Vorteile aufweisen. Es kann auch bei Patien-
44 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

ten mit Herzinsuffizienz vorsichtig eingesetzt Dosierung


werden. Die Sensibilisierung des Myokards ● Narkoseeinleitung: initiale Vaporeinstellung

durch Sevofluran gegenüber Catecholami- ca. 3–4 Vol.-%


nen ist vernachlässigbar gering. ● Aufrechterhaltung der Narkose:

● Atmung: – exspiratorisch ungefähr 0,7 MAC bei ca.


Die Irritation der Atemwege ist relativ gering 70 % Lachgas; mit zusätzlicher Opioidga-
(wie bei Halothan) und geringer als bei Iso- be ca. 0,4–0,5 MAC
fluran oder Desfluran. Sevofluran weist ei- – exspiratorisch ca. 1,0–1,1 MAC bei Ver-
nen relativ angenehmen Geruch auf, sodass zicht auf Lachgas; mit zusätzlicher Opio-
es zur Inhalationseinleitung in der Kinder- idgabe ca. 0,7–0,8 MAC
anästhesie besonders geeignet erscheint und
dort (anstatt des früher verwendeten Halo-
thans) eingesetzt wird. Die Einschlaf- und Desfluran (Suprane®)
Aufwachzeiten sind kurz. Es führt zu einer
dosisabhängigen Atemdepression. Desfluran ist chemisch dem Sevofluran eng ver-
● Gehirn: 
wandt. Die respiratorischen, kardiovaskulären
Wie andere volatile Inhalationsanästhetika und neuromuskulären Eigenschaften von Desflu-
kann Sevofluran zu einer weiteren Steige- ran sind denen des Isoflurans sehr ähnlich. Es ist
rung eines bereits erhöhten intrakraniellen das am schnellsten an- und abflutende volatile In-
Drucks führen. halationsanästhetikum. Die Metabolisierungsrate
● Leber (Metabolisierung): in der Leber ist extrem niedrig.
Sevofluran wird zu ca. 3–5 % in der Leber
metabolisiert. Als Abbauprodukt entstehen Wirkungen
unter anderem Fluoridionen. Durch diese ● Die narkotische Potenz ist geringer als bei

Fluoridionenfreisetzung braucht jedoch kei- allen anderen volatilen Inhalationsanästheti-


ne Nephrotoxizität (= nierenschädigende ka. Der MAC-Wert von Desfluran beträgt ca.
Wirkung) befürchtet zu werden. 6,0 Vol.-% (vgl. Tab. 1-7).
Das hepatotoxische Potenzial von Sevofluran ● Die analgetische Wirkung ist schwach; Des-

erscheint minimal. fluran wird deshalb unter Umständen mit


● Sonstiges: Lachgas kombiniert. Bei der inzwischen
Bei der Rezirkulation von Sevofluran im häufiger durchgeführten Kombination von
Kreissystem können im Absorberkalk gerin- Desfluran mit dem neuen Opioid Remifen-
ge Mengen des sog. Compound A entstehen. tanil wird normalerweise auf eine zusätzliche
Compound A ist bei Ratten potenziell ne- Lachgasgabe verzichtet (→ S. 124).
phrotoxisch. Bisher gibt es keinen Hinweis, ● Die Wirkung nicht depolarisierender Rela-

dass Compound A beim Menschen (nieren-) xanzien (→ S. 64) wird durch Desfluran in
toxisch ist. vergleichbarem Ausmaß wie durch Isofluran
verstärkt.
Kontraindikationen
● nachgewiesene, frühere (Halothan-)Hepati- Nebenwirkungen
tis nach verdampfbaren Inhalationsanästhe- ● Herz-Kreislauf-System:

tika Desfluran führt zu einem ähnlich stark aus-


● maligne Hyperthermie (→ S. 212) in der geprägten Blutdruckabfall wie Isofluran.
Anamnese des Patienten oder seiner Ange- Ursache ist vor allem eine Verminderung des
hörigen peripheren Gefäßwiderstandes. Die negativ
● Leberzellschädigung, z. B. eine Leberzirrho- inotrope Wirkung ist gering ausgeprägt, das
se (relative Kontraindikation) Herzminutenvolumen fällt nur leicht ab. Es
1.8  Inhalationsanästhetika 45

findet keine Sensibilisierung des Myokards kraniellen Druck entsprechen denen von
gegenüber Catecholaminen statt. Bei einer Isofluran. Ein bereits erhöhter intrakraniel-
schnellen Konzentrationserhöhung kann es ler Druck steigt unter Desfluran weiter an.
(aufgrund einer starken Schleimhautreizung ● Sonstiges:

mit zentraler Sympathikusstimulation) zu Der Siedepunkt von Desfluran liegt ungefähr


einer einige Minuten dauernden Steigerung bei Zimmertemperatur (22,8 °C), während
von Herzfrequenz und Blutdruck kommen. der z. B. von Isofluran bei 48,5 °C liegt. Der
Durch langsame Dosissteigerung ist dies Dampfdruck von Desfluran ist daher bei
vermeidbar. Raumtemperatur fast 3-mal so hoch wie
● Atmung: der von Isofluran. Zur Verabreichung von
Desfluran hat von allen volatilen Anästheti- Desfluran wurde daher eine neue Verdamp-
ka den geringsten Blut-Gas-Verteilungskoef- fertechnologie notwendig. Der notwen­-
fizienten, er beträgt 0,45 (vgl. Tab. 1-7). Es dige Tec-6-Verdampfer (vgl. Abb. 1-12)
flutet damit sehr schnell an und ab und ist wird auf 39 °C beheizt und das flüssige
besonders gut steuerbar. Lediglich Lachgas Desfluran dadurch in die Gasphase überge-
zeigt eine vergleichbar schnelle Anflutung. führt.
Auch die Elimination von Desfluran findet
schnell statt. Die Aufwachzeit nach einer Kontraindikationen
Desflurannarkose scheint kürzer als nach ● maligne Hyperthermie (→ S. 212) in der

allen anderen Anästhetika zu sein. So ist z. B. Anamnese des Patienten oder seiner Ange-
die Aufwachzeit nach Desfluran fast 2- bis hörigen
4-mal so schnell wie bei Isofluran. Die ● nachgewiesene, frühere (Halothan-)Hepati-

schnelle Abflutung scheint insbesondere bei tis nach verdampfbaren Inhalationsanästhe-


ambulanten Anästhesien (wirtschaftliche) tika
Vorteile zu haben. Aufgrund der sehr schnel- ● Leberzellschädigung (z. B. eine Leberzirrho-

len An- und Abflutung ist Desfluran auch se) ist keine Kontraindikation
besonders gut für Low-Flow- oder Minimal-
Flow-Narkosen geeignet (→ S. 12). Dosierung
Desfluran führt ab einer Dosierung von 6 ● Narkoseeinleitung:

Vol.-% zu einer starken Irritation der Atem- initiale Vaporeinstellung ca. 6–8 Vol.-%
wege. Eine Inhalationseinleitung mit Desflu- ● Aufrechterhaltung der Narkose:

ran führt häufig zu Laryngospasmus, Atem­ – exspiratorisch ungefähr 0,7 MAC bei ca.
anhalten, Husten sowie zu einer Stimulation 70 % Lachgas; mit zusätzlicher Opioidga-
der tracheobronchialen Sekretion. Dies ist be ca. 0,4–0,5 MAC
bei Kindern noch stärker ausgeprägt als bei – exspiratorisch ca. 1,0–1,1 MAC bei Ver-
Erwachsenen. Zur Inhalationseinleitung bei zicht auf Lachgas; mit zusätzlicher Opio-
Kindern ist es daher nicht geeignet. Desflu- idgabe ca. 0,7–0,8 MAC
ran führt zu einer dosisabhängigen Atemde-
pression.
● Leber (Metabolisierung): Ether
Desfluran wird lediglich zu ca. 0,02 % meta-
bolisiert. Die Gefahr einer durch Desfluran Obwohl Ether (= Diethylether, Ether pro narco-
bedingten „Hepatitis“ ist extrem gering. Eine si) nur noch in einigen Entwicklungsländern
toxische Leberschädigung durch Desfluran- manchmal zum Einsatz kommt, soll es aus his­
metaboliten ist weitgehend ausgeschlossen. torischen Gründen dennoch kurz dargestellt
● Gehirn: werden. Ältere Patienten berichten öfter noch
Die Wirkungen von Desfluran auf den intra- von einer erlebten Ethernarkose.
46 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Ether ist eine sehr flüchtige, farblose Flüssigkeit ● stabile Kreislaufverhältnisse:



mit stechendem Geruch. Um eine Zersetzungsre- Das Herzminutenvolumen ist während einer
aktion zu vermeiden, sollte Ether kühl sowie unter Ethernarkose eher erhöht, der systemische
Licht- und Luftabschluss, also in braunen und nur Gefäßwiderstand ist leicht erniedrigt. Der
in vollen Flaschen, gelagert werden. Außerdem arterielle Blutdruck bleibt annähernd kon-
muss ein Stabilisator (Ethanol) zugesetzt werden. stant, die Herzfrequenz steigt an. An den Ko-
ronararterien erzeugt Ether eine Verbesse-
Nachteile rung der Durchblutung, weshalb er sich bei
● explosibel: kardiovaskulären Erkrankungen als Narkoti-
Etherdämpfe ergeben mit Sauerstoff ein ex- kum eignet.
plosibles Gemisch. Wegen der stets drohen- ● geringe Atemdepression:

den Explosionsgefahr aufgrund der zahlrei- Die Atmung ist bei einer flachen Ethernar-
chen elektrischen Geräte im Operationssaal kose eher gesteigert. Mit zunehmender Nar-
kann Ether leider nicht mehr eingesetzt wer- kosetiefe nehmen die Atembewegungen ab,
den. In Entwicklungsländern, die noch nicht erst in tiefer Narkose wird die Atmung unzu-
über elektrische Geräte im OP verfügen, reichend. Aufgrund seiner bronchodilatie-
wird Ether dagegen noch manchmal einge- renden Wirkung eignet sich Ether gut bei
setzt. asthmatischen Patienten.
● Reizung der Atemwege: ● einfache Narkoseführung:

Durch seinen stechenden Geruch ist Ether Aufgrund der stabilen Kreislaufverhältnisse,
stark schleimhautreizend, und eine gestei- der stabilen Atemfunktion und der geringen
gerte Speichelsekretion macht Atropin in der Toxizität könnte in Katastrophenfällen auch
Prämedikation erforderlich (→ S. 9). weniger gut geschultes Personal eine Ether-
● langsame An- und Abflutung: narkose ohne größere Risiken durchführen.
Aufgrund seiner guten Blutlöslichkeit, das ● preiswert

heißt seines hohen Blut-Gas-Verteilungsko-


effizienten (vgl. Tab. 1-7), flutet Ether nur
sehr langsam an und ab. Bei einer Narkose­
einleitung per inhalationem (→ S. 123) mit 1.9 Intravenöse Anästhetika
Ether wird ein ausgeprägtes Exzitationssta-
dium (→ S. 106) durchlaufen. 1.9.1 Allgemeine Bemerkungen
● postoperative Übelkeit:

Nach einer Ethernarkose stellt sich meist Bei den meisten vorstehend besprochenen In-
eine lang anhaltende Übelkeit mit Brechreiz halationsanästhetika wird die für die gewünsch-
ein. te Wirkung notwendige Blutkonzentration nur
langsam erreicht (5–10 min). Sie haben also den
Vorteile Nachteil des langsamen Wirkungseintritts. Da
● geringe Toxizität: die Inhalationsanästhetika fast vollständig wie-
Ether ist kaum toxisch. Ein geringer Prozent- der über die Lungen abgeatmet werden und die
satz wird über „physiologische“ Zwischen- Ventilation gut beeinflussbar ist, haben sie je-
produkte bis zu CO2 abgebaut, der Rest wird doch den großen Vorteil der relativ guten Steu-
über die Lungen wieder abgeatmet. Ether hat erbarkeit (→ S. 36).
eine große therapeutische Breite und ist im-
mer noch das sicherste verdampfbare Inhala- Bei den intravenös zu verabreichenden Anästhe-
tionsanästhetikum. ! tika wird die notwendige Blutkonzentration sehr
● gute analgetische Wirkung schnell erreicht (20–30 Sekunden). Sie haben al-
● ausgeprägte Muskelerschlaffung so den großen Vorteil des schnellen Wirkungsein-
1.9  Intravenöse Anästhetika 47

tritts. Den meisten intravenösen Anästhetika ge- Gehirn, Herz, Leber und Niere. Nur langsam
meinsam ist jedoch der Nachteil der schlechten nimmt auch die schlechter durchblutete
Steuerbarkeit. Nach der Injektion entziehen sie Muskulatur das Medikament auf. Die Blut-
sich der Beeinflussbarkeit durch den Anästhesis­ konzentration sinkt dadurch ab. Das Medi-
ten. Lediglich die kurz oder sehr kurz wirksamen kament diffundiert nun, aufgrund der Kon-
intravenösen Anästhetika der neueren Generati- zentrationsabnahme im Blut, teilweise
on (z. B. Remifentanil, → S. 60; Propofol, → S. 54; wieder aus dem Gehirn zurück ins Blut und
Mivacurium, → S. 71) weisen ebenfalls eine gute von dort weiter in die großen Muskeldepots.
Steuerbarkeit auf. Es findet also eine Umverteilung vom Gehirn
in die Muskulatur statt. Noch langsamer be-
Bei einer Allgemeinnarkose werden häufig Me- ginnt das Medikament auch in das sehr
dikamente aufgrund ihres schnellen Wirkungs- schlecht durchblutete Fettgewebe abzudif-
eintritts intravenös zur Narkoseeinleitung ver- fundieren. Die Plasmakonzentration fällt
wendet. Der Patient schläft schnell und weiter ab. Teilweise diffundiert das Medika-
angenehm ein. Zur Weiterführung und Auf- ment nun weiter aus dem Gehirn und der
rechterhaltung der Narkose werden dann oft Muskulatur zurück ins Blut, mit dem es in
Inhalationsanästhetika verwendet, die sich die Fettdepots transportiert wird. Das ins
durch eine gute Steuerbarkeit auszeichnen (z. B. Blut injizierte Medikament wird also kurze
Desfluran, Sevofluran). Zeit später hauptsächlich von den gut durch-
Die relativ schlechte Steuerbarkeit vieler intra- bluteten Organen, wie z. B. dem Gehirn, auf-
venös injizierten Medikamente äußert sich vor genommen. Später befindet sich der größte
allem darin, dass die Wirkungsdauer von ein- Anteil in der Muskulatur, und zuletzt wird
mal injizierten Medikamenten nicht mehr be- der Großteil des Medikaments sich im Fett-
einflusst werden kann. Auch die Wirkungsstär- gewebe befinden. Der beschriebene Mecha-
ke eines intravenös verabreichten Medikamentes nismus wird als Umverteilungsphänomen
ist von einigen Faktoren abhängig, die durch die bezeichnet.
üblichen Überwachungsmaßnahmen nicht er-
fassbar sind. Die Wirkstärke ist damit oft Vor allem durch Umverteilungsphänomene ist
schlecht vorhersehbar, das heißt relativ schlecht ! der schnelle Konzentrationsabfall im Gehirn
steuerbar. und damit die Wirkungsbeendigung vieler in-
travenöser Medikamente bedingt. Aufgrund
dieser schnellen Umverteilungsphänomene ist
Wirkungsdauer die Wirkungsdauer dieser Medikamente kürzer
als die Verweildauer im Körper.
Die Wirkungsdauer eines intravenös verab-
reichten Medikamentes ist von folgenden Fak- Bei wiederholter Nachinjektion besteht bei
toren abhängig: solchen Medikamenten eine Kumulationsge-
● Umverteilungsphänomene: fahr, das heißt, bei Nachinjektionen werden
Das ins Blut injizierte Medikament diffun- evtl. höhere Plasmakonzentrationen erreicht,
diert, ähnlich wie die Inhalationsanästhetika weil die Fett- und Muskeldepots zunehmend
(→ S. 36), entlang eines Konzentrationsge- weniger Medikamente aus dem Blut aufneh-
fälles in die Gewebe ab. Je besser ein Gewebe men können, da sie langsam gesättigt sind.
durchblutet ist, desto mehr Medikament Bei wiederholten Nachinjektionen müssen
kann es pro Zeiteinheit aus dem Blut aufneh- daher fortlaufend niedrigere Repetitionsdo-
men. Aus diesem Grund entsteht sehr schnell sen gewählt werden.
ein Konzentrationsausgleich zwischen dem ● Metabolisierung:

Blut und den gut durchbluteten Organen Die Wirkungsdauer der intravenös applizier-
48 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

ten Medikamente hängt auch von deren Me- Injektionsgeschwindigkeit:


tabolisierung, vor allem in der Leber, und de- Wird ein Medikament intravenös injiziert,
ren Ausscheidung über Galle und Nieren ab. so wird es zuerst nur in dem kleinen Blutvo-
Leber-Gallen-Erkrankungen und Nierenleiden lumen verteilt, das während der Injektion
können daher zu einer Wirkungsverlängerung „vorbeifließt“. Bei langsamer Injektion ist
von intravenös verabreichten Medikamenten dieses „anfängliche Verteilungsvolumen“, in
führen. Medikamente, die z. B. großteils über das das Medikament injiziert wird, relativ
die Nieren ausgeschieden werden, müssen groß. Die in diesem Blutvolumen enthalte-
bei Niereninsuffizienz entsprechend niedriger nen Proteine reichen normalerweise aus, um
dosiert werden. Je nach Medikament ist die den üblichen Prozentsatz des Medikaments
Wirkungsbeendigung vor allem durch Umver- zu binden. Wird dagegen das Medikament
teilungsphänomene oder durch eine schnelle schnell injiziert, so ist das „anfängliche Ver-
Metabolisierung und Ausscheidung bedingt. teilungsvolumen“ viel kleiner. Unter Um-
ständen reicht die in diesem kleinen Blutvo-
lumen enthaltene Proteinmenge nicht mehr
aus, um den üblichen Prozentsatz des Medi-
Blutkonzentration kaments zu binden; das heißt, der nicht an
Proteine gebundene Anteil nimmt zu. Er-
Die Blutkonzentration und damit die Wir- reicht dieses Blutvolumen mit dem hohen,
kungsstärke eines intravenös verabreichten Me- ungebundenen Medikamentenanteil das
dikamentes ist von folgenden Faktoren abhän- Zielorgan (z. B. das Gehirn), bevor eine aus-
gig: reichende Vermischung mit dem restlichen
● verabreichte Dosis Blut stattgefunden hat, so sind stärkere Wir-
● Grad des proteingebundenen Anteils: kungen und Nebenwirkungen zu erwarten.
Nahezu alle in der Anästhesie gebräuchli-
chen intravenös applizierten Medikamente Bei zu schneller Injektion stark proteingebun-
werden im Blut zu einem mehr oder weniger ! dener Medikamente können der ungebunde-
großen Prozentsatz an Plasmaproteine, ins- ne Anteil und damit Wirkungen und Nebenwir-
besondere an Albumin, gebunden. Für die kungen zunehmen.
Wirkung verantwortlich ist jedoch nur der
freie, also nicht an Proteine gebundene An- Herzminutenvolumen:

teil des Medikamentes. Bei Plasmaprotein- Wird ein Medikament mit der üblichen In-
mangelzuständen, wie z. B. bei Patienten mit jektionsgeschwindigkeit bei einem Patienten
einer Leberzirrhose, einem Karzinom oder mit erniedrigtem Herzminutenvolumen inji-
einem nephrotischen Syndrom, kann daher ziert, so ist das Blutvolumen, das während
vor allem bei schneller Injektion (→ unten) der Injektion „vorbeifließt“ („anfängliches
eines stark an Proteine gebundenen Medika- Verteilungsvolumen“), ebenfalls herabge-
ments die Bindungskapazität der Plasmapro- setzt. Ein erniedrigtes Herzminutenvolumen
teine überschritten werden. In diesem Fall hat also die gleichen Folgen wie eine zu
nehmen der ungebundene Anteil und damit schnelle Injektion (→ oben).
die Wirkung und Nebenwirkung des Medi- Bei einem Patienten mit einer schweren
kaments zu. Bei Plasmaproteinmangelzu- Herzinsuffizienz, das heißt einem vermin-
ständen müssen also stark plasmaproteinge- derten Herzminutenvolumen, müssen daher
bundene Medikamente niedriger dosiert stark proteingebundene Medikamente ent-
werden. Außerdem ist auf eine besonders sprechend niedriger dosiert und langsamer
langsame Injektion zu achten (→ unten). injiziert werden.
1.9  Intravenöse Anästhetika 49

Wichtig bei der Dosierung von intravenösen Wirkungen und Nebenwirkungen
! Medikamenten ist, dass sie niemals schema- ● ZNS:
tisch verabreicht werden dürfen. Die Dosie- Je nach Dosierung bewirkt Thiopental eine
rung muss – wegen der vielen unbekannten Sedierung, einen Schlaf, eine Bewusstlosig-
Einflussgrößen auf Wirkungsstärke und Wir- keit oder ein Koma. Zur Narkoseeinleitung
kungsdauer – immer nach Wirkung erfolgen wird Thiopental so hoch dosiert, dass eine
(!), das heißt Injektion mehrerer kleiner Dosen, Bewusstlosigkeit (= Hypnose) eintritt. Thio-
bis die erwünschte Wirkung erreicht ist. Also: pental weist keine analgetische Wirkung auf.
Dosierung nach Wirkung (!). Wie fast alle Barbiturate (→ S. 7) erhöht auch
Thiopental die zerebrale Krampfschwelle. Ein
epileptischer Anfall kann daher durch die in-
1.9.2 Medikamente travenöse Gabe von Thiopental durchbrochen
werden. Thiopental erniedrigt dosisabhängig
Thiopental (Trapanal®) die Aktivität der Neurone und damit den Sau-
erstoffbedarf des Gehirns sowie die Hirn-
Thiopental ist ein Hypnotikum aus der Barbitu- durchblutung. Bei erhöhtem intrakraniellem

ratgruppe (→ S. 7), das durch einen schnellen Druck („Hirndruck“) kann durch diese Ver-
Wirkungsbeginn und eine kurze Wirkungsdauer minderung des zerebralen Blutvolumens eine
gekennzeichnet ist. Nach Injektion einer Einlei- rasche Senkung des intrakraniellen Drucks
tungsdosis tritt innerhalb von 20–30 Sekunden erzeugt werden. Ist z. B. bei einem Schädel-
der Wirkungsbeginn ein. Hirn-Verletzten oder einem neurochirurgi-
schen Patienten eine akute Senkung des intra-
Es stellt sich eine Bewusstlosigkeit ein, die an- kraniellen Drucks notwendig, so eignet sich
fänglich von einer Atemdepression oder einem hierzu Thiopental sehr gut (→ S. 269).
Atemstillstand begleitet ist. Die Beendigung der ● Atmung:

Bewusstlosigkeit nach ca. 10 Minuten ist durch Thiopental bewirkt in hypnotischen Dosen
den rasch einsetzenden Konzentrationsabfall eine zentrale Atemdepression bis zum Atem-
im Gehirn bedingt. Dieser rasche Konzentrati- stillstand. Bei Patienten mit Asthma bron-
onsabfall im Gehirn und damit das Nachlassen chiale wird häufiger empfohlen, auf Thio-
der Wirkung ist durch Umverteilungsphäno- pental zugunsten von Propofol (→ S. 54) zu
mene verursacht (→ S. 47); das heißt, der Groß- verzichten. Falls Thiopental bei einem Pati-
teil des Thiopentals wird nun in die Muskulatur enten mit Asthma bronchiale verwendet
und anschließend vor allem in das Fettgewebe wird, dann scheint vor allem eine ausrei-
umverteilt. Erst in zweiter Linie ist die Wir- chend hohe Thiopentaldosierung wichtig zu
kungsbeendigung durch einen Abbau in der sein, um eine ausreichend tiefe Bewusstlo-
Leber bedingt. Durch diesen Abbau in der Le- sigkeit zu erreichen.
ber fällt die Blutkonzentration langsam weiter ● Kreislauf:

ab und unterschreitet die Konzentration im Thiopental bewirkt einen dosisabhängigen


Fettgewebe. Nun diffundiert Thiopental ent- Blutdruckabfall. Die Ursache ist vor allem eine
sprechend dem Konzentrationsgefälle wieder Hemmung der Herzkraft (= negativ inotrope
aus dem Fettgewebe zurück ins Blut. Dadurch Wirkung) und eine Weitstellung der venösen
können über längere Zeit niedrige Blutkonzen- Kapazitätsgefäße. Das Blut versackt im venö-
trationen entstehen, die unter Umständen aus- sen System (= venöses Pooling). Bei Patienten
reichen, um einen längeren postoperativen mit einer bereits geschwächten Herzkraft (=
Nachschlaf oder eine längere postoperative Se- Herzinsuffizienz) oder einem Volumenman-
dierung zu erzeugen („Überhang“). gel (= Schock) muss Thiopental deshalb vor-
sichtig dosiert oder vermieden werden.
50 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

● Leber:
Thiopental wird hauptsächlich in der Leber
abgebaut. Die entstehenden wasserlöslichen
Abbauprodukte werden über die Nieren ausge-
schieden. Bei chronischer Anwendung bewirkt
Thiopental in der Leber eine Stimulierung ver-
schiedener Leberenzyme (= Enzyminduktion,
→ S. 7) mit beschleunigtem Abbau von kör-
pereigenen Substanzen sowie von Medikamen-
ten. Zur Erzielung einer bestimmten Wirkung
müssen die Medikamente in immer höheren
Dosierungen verabreicht werden. Besonders
wichtig ist die Enzyminduktion beim Krank-
heitsbild der Porphyrie, für das eine abnorm
hohe Porphyrinkonzentration verantwortlich
ist. Durch die Gabe eines Barbiturats kann un-
ter der eintretenden Enzyminduktion eine Stei-
gerung der Porphyrinsynthese auftreten. Da-
durch kann eine akute Porphyrieattacke ausge-
löst werden. Daher ist Thiopental bei Vorliegen
einer Porphyrie absolut kontraindiziert!

Extrem selten kann nach einer Thiopentalinjek-


tion eine anaphylaktoide Reaktion durch Hist-
aminfreisetzung auftreten. Abb. 1-26  Durchstechampulle für Thiopental (Trapa­
nal®)
Indikation
Thiopental wird vor allem zur Narkoseeinlei-
tung verwendet. Thiopental ist wahrscheinlich Dosierung
das weltweit am häufigsten angewandte Hypno- Zur Narkoseeinleitung streng nach Wirkung (!)
tikum zur Narkoseeinleitung. dosieren, beim Erwachsenen ungefähr 4–5 mg/
kg KG intravenös.
Kontraindikationen
● Barbituratallergie Injektion
● Porphyrie Langsam! Thiopental wird in einem hohen Pro-
● schweres Asthmaleiden (relative Kontraindi- zentsatz (ca. 70 %) an Blutproteine gebunden.
kation) Bei zu schneller Injektion kann der nicht prote-
● Herzinsuffizienz oder Schock (relative Kon- ingebundene Anteil zunehmen und damit kön-
traindikation) nen auch Wirkungen und Nebenwirkungen
verstärkt sein (→ S. 48). Ähnliches muss bei
Darreichungsform Proteinmangelzuständen wie Leberzirrhose
Thiopental liegt als gelbes Pulver in 500-mg- (→ S. 289) oder bei einer Herzinsuffizienz be-
Ampullen vor (vgl. Abb. 1-26). Es wird üb­ achtet werden. Das aufgelöste Thiopental hat
licherweise mit 20 ml Wasser für Injektions- einen pH-Wert von ungefähr 11 und ist damit
zwecke (Aqua ad injectabilia) aufgelöst und ausgesprochen alkalisch. Dadurch kann es bei
ist dann bis 24 Stunden haltbar; 1 ml entspricht versehentlicher paravenöser Injektion zu Ge-
25 mg. websschädigungen und Nekrosen kommen.
1.9  Intravenöse Anästhetika 51

Nach versehentlicher intraarterieller Injektion Indikation


droht eine Schädigung der Arterienintima, ein Methohexital wird selten noch für die rektale
-spasmus und eine -thrombosierung, evtl. mit Narkoseeinleitung in der Kinderanästhesie ein-
Verlust der Extremität. Vor allem deshalb soll gesetzt (→ S. 240).
ein periphervenöser Zugang nicht in der Ellen-
beuge (oder an der radialen Unterarmseite) ge- Darreichungsform
legt werden, denn hier ist eine versehentliche Methohexital liegt als Pulver in Ampullen zu
intraarterielle Kanülenlage durch einen atypi- 100 oder 500 mg vor. 100 mg werden mit 10 ml,
schen Arterienverlauf möglich (→ S. 34). Ein 500 mg mit 50 ml Wasser für Injektionszwecke
periphervenöser Zugang sollte möglichst am (Aqua ad injectabilia) zu einer 1%igen Lösung
Handrücken gelegt werden. aufgelöst (vgl. Abb. 1-27a).

Dosierung
Methohexital (Brevimytal®) ● Narkoseeinleitung:

1–2 mg/kg KG intravenös


Methohexital ist ein kurz wirksames Hypnotikum

aus der Barbituratreihe. Die Wirkungsdauer ist et- Injektion
wa nur halb so lang wie die des Thiopentals. Während der Injektion treten häufig Venen-
schmerzen auf.
Methohexital ist noch schneller und noch kür-
zer wirksam als Thiopental. Es braucht nur ⅓ so
hoch dosiert werden wie Thiopental. In seiner
Wirkung ist Methohexital ungefähr 3-mal so
potent wie Thiopental. Während Thiopental zur
Narkoseeinleitung mit 3–5 mg/kg KG dosiert
wird, reichen daher bei Methohexital 1–2 mg/
kg KG aus.
Der anfängliche Konzentrationsabfall ist wie
bei Thiopental vor allem durch Umverteilungs-
phänomene bedingt. Der Abbau in der Leber
erfolgt jedoch bei Methohexital wesentlich
schneller als bei Thiopental, sodass es das
schlecht durchblutete Fettgewebe kaum erreicht
und sich dort nur in geringem Ausmaß anrei-
chern kann. Aufgrund dieser schnellen Meta-
bolisierung und der kurzen Wirkungsdauer
wird z. B. nach einer Narkoseeinleitung zu ei-
nem Kaiserschnitt (= Sectio caesarea → S. 255)
beim Neugeborenen fast keine Atemdepression
beobachtet.

Wirkungen und Nebenwirkungen


Abb. 1-27a  Durchstechampulle für Methohexital (Bre-
In seinen Wirkungen und Nebenwirkungen ist vimytal®)
es fast identisch mit Thiopental (→ S. 50), so-
dass im Wesentlichen auf das Thiopental ver-
wiesen werden kann.
52 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Abb. 1-27b  Etomidat (Etomidat®-


Lipuro); c Midazolam (Dormicum®)
und d Propofol (Propofol 1 % Fre-
senius®)

Etomidat Wirkungen
(Etomidat®-Lipuro, Hypnomidate®) ● kurze Wirkungsdauer:

Die Wirkungsdauer von Etomidat beträgt


Etomidat ist ein sehr potentes Hypnotikum. Es ge- bei der normalerweise zur Narkoseeinlei-

hört nicht in die Barbituratreihe. Es zeichnet sich tung verwendeten Dosis ca. 3–4 Minuten.
durch geringe kardiovaskuläre Nebenwirkungen, Die kurze Wirkungsdauer ist hauptsächlich
einen schnellen Wirkungseintritt sowie eine sehr durch einen sehr schnellen Abbau in der Le-
kurze Wirkungsdauer aus. Etomidat hat keinerlei ber bedingt. Wegen der sehr kurzen Wir-
analgetische Wirkung. kungsdauer ist Etomidat als alleiniges Einlei-
tungsmittel bei Inhalationsnarkosen schlecht
geeignet. Die Etomidatwirkung klingt oft ab,
1.9  Intravenöse Anästhetika 53

bevor die langsam anflutenden Inhalations- Indikationen


anästhetika ausreichend hohe Konzentratio- Etomidat eignet sich insbesondere zur Narko-
nen erreicht haben. Etomidat wird daher zur seeinleitung bei kardialen Risikopatienten wie
Narkoseeinleitung meist mit Fentanyl oder z. B. alte Patienten, herzinsuffiziente Patienten,
Sufentanil, also einem synthetischen Opioid koronar- oder zerebralsklerotische Patienten,
(→ S. 57), kombiniert. kardiochirurgische Patienten sowie Patienten
● minimale Herz-Kreislauf-Wirkungen: im Schock.
Etomidat wird vor allem zur Narkoseeinlei-
tung bei kardialen Risikopatienten angewen- Kontraindikationen
det, da es keine klinisch nennenswerten Ne- Etodimat ist aufgrund der Hemmung der Corti-
benwirkungen am Herz-Kreislauf-System solsynthese zur Langzeitsedierung kontraindi-
aufweist. ziert.
● geringe Atemdepression:

Etomidat erzeugt eine nur leichte Atemde- Darreichungsform


pression. Nach Gabe einer hypnotischen Do- Brechampullen zu 10 ml; 1 ml = 2 mg (vgl. Abb.
sis tritt ein nur sehr kurzfristiger Atemstill- 1-27b). Es hat sich bewährt, Hypnomidate® 1 : 1
stand auf. mit NaCl 0,9 % zu verdünnen. Die Etomidat®-
● keine Histaminfreisetzung: Lipuro-Lösung braucht nicht verdünnt zu wer-
Wegen einer fehlenden Histaminfreisetzung den, da sie nicht venenreizend ist.
eignet sich Etomidat auch besonders bei all-
ergisch veranlagten Patienten (z. B. Asthma- Dosierung
tikern). ● Narkoseeinleitung:

0,2–0,3 mg/kg KG intravenös


Nebenwirkungen
● Venenschmerzen:

Bei dem älteren Handelspräparat Hypnomi- Midazolam (Dormicum®)


date® treten während der Injektion häufig
Venenschmerzen auf. Durch besonders lang- Midazolam ist ein neueres Benzodiazepin. Wie
same Injektion bzw. Verdünnen des Hypno- 
auch die anderen Benzodiazepine (z. B. Diazepam,
midate® mit NaCl 0,9 % oder durch Vorgabe Valium®; → S. 6) wirkt es im Gehirn über spezifi-
einer kleinen Dosis Fentanyl (0,05–0,1 mg, sche Benzodiazepinrezeptoren.
→ S. 57) können diese Venenschmerzen ver-
mindert werden. Bei dem neueren, in einer Vorteile
Fettemulsion gelösten Etomidat®-Lipuro Midazolam weist gegenüber den anderen Ben-
sind keine Venenschmerzen mehr zu erwar- zodiazepinen folgende Vorteile auf:
ten. Inzwischen wird fast nur noch die weiße ● starke hypnotische Wirkung:

Etomidat®-Lipuro-Lösung eingesetzt. Die hypnotische Wirkung ist wesentlich stär-


● Myokloni (= Muskelzuckungen): ker als bei den anderen Benzodiazepinen. Es
Vor allem bei nicht prämedizierten Patienten eignet sich daher ggf. als Einleitungshypno-
können Myokloni einzelner oder mehrerer tikum für eine Narkose.
Muskelgruppen auftreten. ● Wasserlöslichkeit:

● Hemmung der Cortisolsynthese: Ein großer Vorteil des Midazolams ist seine
Etomidat führt zu einer Hemmung der kör- Wasserlöslichkeit. Durch diese Wasserlös-
pereigenen Cortisolsynthese in der Neben- lichkeit ist Midazolam intravenös (und auch
nierenrinde. Dies ist vor allem bei einer wie- intramuskulär) gut verträglich. Die intrave-
derholten Gabe zu beachten. Aus diesem nöse Injektion ist nicht schmerzhaft. Throm-
Grund ist Etomidat zur Langzeitsedierung bophlebitiden treten nach intravenöser Gabe
auf der Intensivstation kontraindiziert. selten auf.
54 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

● kurze Wirkungsdauer: inotrop) und führt zu einer Herabsetzung


Der Abbau in der Leber und die Ausschei- des peripheren Gefäßwiderstandes. Blut-
dung über die Nieren ist bei Midazolam druck und Herzminutenvolumen nehmen
schneller als bei den anderen Benzodiazepi- dadurch oft ab (insbesondere bei älteren und
nen. Die Wirkungsdauer beträgt ca. 1–2 koronargeschädigten Patienten). Die Herz-
Stunden. frequenz bleibt meist relativ konstant.
● ZNS:
Wirkungen Nach der Injektion einer klinisch üblichen
Nach einer Injektion von Midazolam bleiben Dosis tritt innerhalb von 30–40 Sekunden
die Herz-Kreislauf-Parameter beim Gesunden eine ca. 5–8 Minuten dauernde Bewusstlo-
weitgehend stabil. Manchmal kann ein Blut- sigkeit auf. Ein wichtiger Vorteil des Propo-
druckabfall auftreten. Dies ist vor allem Folge fols ist darin zu sehen, dass die Patienten
einer vasodilatierenden Wirkung im venösen sehr schnell und angenehm wieder wach
System und tritt besonders bei vorbestehendem werden. Übelkeit und Brechreiz sind selten.
Volumenmangel in Erscheinung. Bezüglich der Propofol weist sogar eine eigene antiemeti-
Atmung ist bei der für eine Narkoseeinleitung sche (= übelkeitshemmende) Wirkung auf.
üblichen Dosierung mit einer Atemdepression Propofol senkt den zerebralen Sauerstoffver-
zu rechnen. Midazolam wird häufig auch für brauch, die zerebrale Durchblutung sowie
die orale oder rektale Prämedikation bei Kin- einen evtl. erhöhten intrakraniellen Druck.
dern eingesetzt (→ S. 239). ● Atmung:

Propofol wirkt deutlich atemdepressiv. Die


Darreichungsform Atemwegsreflexe werden durch Propofol
Midazolam ist in 2 unterschiedlichen Konzen- stärker gedämpft als durch andere Hypnoti-
trationen erhältlich (Achtung!). Es sind ka. Daher wird es häufig für Patienten mit
Brechampullen mit 1 ml = 5 mg bzw. 3 ml = 15 Asthma bronchiale empfohlen. Aus dem
mg (5 mg/ml) verfügbar. Daneben sind gleichen Grund stellt es das Hypnotikum der
Brechampullen mit 5 ml = 5 mg (1 mg/ml) ver- Wahl beim Einführen einer Larynxmaske
fügbar, die vor allem für die intravenöse Appli- (→ S. 101) dar.
kation zu empfehlen sind (Abb. 1-27c).
Nebenwirkungen
Dosierung Bei einigen schwerkranken (Intensiv-)Patienten
● Narkoseeinleitung: (v. a. Kindern) wurde unter Lanzeitinfusion von
0,15–0,2 mg/kg KG intravenös hoch dosiertem Propofol ein sog. Propofolin-
● Sedierung: fusionssyndrom (PRIS) beschrieben. Beim
1–2 mg Boli beim Erwachsenen PRIS kommt es zu einer propofolbedingten Stö-
rung des Abbaues der freien Fettsäuren, wo-
durch ein akuter Energiemangel auf Zellebene
Propofol (Disoprivan®) entsteht. Folge sind vor allem akute Rhabdo-
myolyse (Untergang von Muskelzellen) mit
Propofol ist ein rasch und nur kurz wirksames Herzbeteiligung (Herzversagen) sowie schwere

Hypnotikum. Das wasserunlösliche Propofol ist metabolische Acidose und akutes Nierenversa-
in einer milchig weißen, 10%igen Lipidemulsion gen. Die Patienten versterben zumeist am Herz-
(aus Sojabohnenöl) aufbereitet. Kreislauf-Versagen. Bei Verdacht auf ein PRIS
muss die Propofolzufuhr sofort beendet wer-
Wirkungen den, die metabolische Acidose ist auszugleichen
● Kreislauf: und die hämodynamische Situation ist zu stabi-
Propofol hemmt die Herzkraft (wirkt negativ lisieren.
1.9  Intravenöse Anästhetika 55

Indikationen Die Injektion kann schmerzhaft sein, vor allem


Propofol wird vor allem zur Narkoseeinleitung bei Injektion in kleinere Venen. Es hat sich da-
bei kurz dauernden Anästhesien verwendet. Es her bewährt, kurz vor der Injektion eine kleine
kann aber auch zur Aufrechterhaltung der Nar- Menge eines Lokalanästhetikums (z. B. 1–2 ml
kose im Rahmen einer sog. totalen intravenö- Lidocain 1 %) in die gestaute Vene zu injizieren,
sen Anästhesie (= TIVA, z. B. Kombination von dadurch kann der Injektionsschmerz vermin-
Sauerstoff, Sufentanil [oder Remifentanil], Re- dert werden.
laxans und Propofol) eingesetzt werden (→ S. Eine Histaminfreisetzung ist bisher nicht beob-
125). achtet worden. Propofol ist daher auch bei aller-
gisch veranlagten Patienten gut geeignet.
Darreichungsform
Propofol liegt als 1%ige (bzw. 2%ige) Lösung Anwendungsbeschränkung
vor. 1 ml = 10 mg (bzw. 20 mg) Propofol (Abb. Propofol 1 % ist in Deutschland inzwischen
1-27d). Die 1%ige Lösung wird normalerweise schon zur Anästhesie ab einem Lebensalter > 1
in der Anästhesie verwendet, die 2%ige Lösung Monat zugelassen. Propofol 2 % ist in Deutsch-
kommt meist nur im Rahmen der Sedierung land für die Anästhesie erst ab dem dritten Le-
von Erwachsenen auf der Intensivstation zur bensjahr zugelassen. Bei Kindern unter 3 Jahren
Anwendung. sollte im Rahmen der Anästhesie eine Anwen-
Propofol liegt inzwischen auch in Form vorge- dungsdauer von 60 Minuten nur bei zwingen-
füllter Fertigspritzen für die kontinuierliche der Indikation überschritten werden.
Zufuhr vor allem im Rahmen der TCI (= target Zur Sedierung von Intensivpatienten ist Propo-
controlled infusion; → S. 126) zur Verfügung fol erst ab dem 16. Lebensjahr erlaubt.
(50-ml-Emulsion-Applikationsset Disoprivan®
1 oder 2 %).
Ketamin (Ketanest®)
Dosierung
● Narkoseeinleitung: Ketamin unterscheidet sich sowohl chemisch als
2–2,5 mg/kg KG (bei geriatrischen Patienten 
auch in seiner Wirkung deutlich von allen ande-
ist eine Dosisreduktion auf ca. 1,5 mg/kg KG ren Anästhetika und Hypnotika. Es erzeugt einen
notwendig). Es empfiehlt sich eine Dosisti- Zustand, der als sog. dissoziative Anästhesie be-
tration! zeichnet wird. Dieser Zustand ist durch eine starke
● intraoperative Infusion: Analgesie bei nur oberflächlichem Schlaf gekenn-
Als hypnotische Komponente bei einer tota- zeichnet.
len intravenösen Anästhesie (TIVA, → S.
125) reichen normalerweise 0,1–0,13(–0,16) Wirkungen und Nebenwirkungen
mg/kg KG/min bzw. 6–8(–10) mg/kg KG/h. ● ZNS:

● Analgosedierung von Intensivpatienten: Nach Ketamininjektion bietet sich ein unge-


Eine Dosierung von 4 mg/kg KG/h sollte nicht wohntes Bild: Der Patient schaut, nach an-
überschritten werden (da sonst die Gefahr ei- fänglichem Nystagmus, meist mit geöffneten
nes PRIS [→ S. 54] erhöht ist). Augen ausdruckslos in die Ferne. Trotz Be-
wusstlosigkeit sind die Lid- und Kornealre-
Vorbereitung und Injektion flexe erhalten. Der Muskeltonus sowie die
Vor Gebrauch sollte die Ampulle aufgeschüttelt Muskeleigenreflexe sind eher erhöht. Die
werden. Aufgezogenes Propofol sollte möglichst Schutzreflexe (Husten, Schlucken) sind vor-
bald verwendet werden, denn in einer beim handen, ebenso die Spontanatmung. Im Vor-
Aufziehen evtl. verunreinigten Lösung können dergrund stehen eine potente Analgesie und
Bakterien relativ gut wachsen. eine Amnesie (= Erinnerungslosigkeit). Es
56 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

wird von einer dissoziativen Anästhesie ge- ● Zur Narkoseeinleitung wird es manchmal
sprochen. In der Aufwachphase können, vor bei Patienten mit einem Volumenmangel-
allem bei jüngeren Erwachsenen, lebhafte schock eingesetzt. Bei diesen Patienten droht
Träume, zum Teil auch bedrohliche Angst- während der Narkoseeinleitung meist ein
träume und Erregungszustände, auftreten. weiterer Blutdruckabfall. Bei Verwendung
Durch zusätzliche Gabe eines Benzodiaze- von Ketamin zur Narkoseeinleitung bleibt
pins (z. B. Midazolam oder Diazepam; → S. der Kreislauf meist relativ stabil.
6) und durch Abschirmung gegen Umwelt- ● Als Analgetikum kommt es in der Notfall-

reize können diese Nebenwirkungen ver- und Katastrophenmedizin zum Einsatz.


mindert werden. Diese Angstträume und
Halluzinationen schränken die Anwendung Kontraindikationen
von Ketamin sehr stark ein. ● wenn eine Herzfrequenzsteigerung vermie-

● Herz-Kreislauf-System: den werden muss, z. B. bei Koronarsklerose


Über eine Sympathikusaktivierung kommt oder Mitralklappenstenose
es nach Ketamingabe zu einem Anstieg des ● wenn eine Blutdrucksteigerung vermieden

systolischen und des diastolischen Blut- werden muss, z. B. bei Zerebralsklerose oder
drucks. Parallel dazu tritt bei bereits erhöh- Bluthochdruck
tem intrakraniellem Druck eine weitere ● bei erhöhtem intrakraniellem Druck

Drucksteigerung auf. Bei Verdacht auf einen ● bei Alkoholikern und psychiatrischen Pati-

erhöhten intrakraniellen Druck (z. B. SHT) enten


ist Ketamin normalerweise kontraindiziert, ● bei Epilepsie in der Anamnese, da Ketamin

es sei denn, dass zusätzlich eine therapiebe- unter Umständen einen epileptischen Anfall
dürftige Hypotonie vorliegt. auslösen kann
● Atmung:

Die Atmung wird bei langsamer Injektion Darreichungsform


kaum beeinflusst. Bei zu schneller Injektion Ketanest®:
kann ein kurzfristiger Atemstillstand auftre- ● Injektionsflaschen mit 20 ml = 200 mg; 1 ml

ten. Die Reflexe des Rachens und des Kehl- = 10 mg


kopfes bleiben erhalten, weshalb das Einle- ● Injektionsflasche mit 10 ml = 500 mg; 1 ml =

gen eines Guedel-Tubus (→ S. 90) unterlassen 50 mg


werden sollte. Da es zu einem vermehrten
Speichelfluss kommt, ist eine Prämedikation Dosierung
mit Atropin dringend angezeigt. Ketamin ● intravenöse Narkoseeinleitung:

besitzt durch seine Sympathikusstimulie- 1–2 mg/kg KG langsam (!) verabreichen. Bei
rung eine unspezifische bronchodilatierende zu schneller Injektion droht ein Atemstill-
Wirkung und eignet sich daher auch gut bei stand. Der Wirkungseintritt beginnt inner-
Asthmatikern als Einleitungshypnotikum. halb von 30 Sekunden. Die Narkosedauer
Ketamin kann sogar zum Durchbrechen ei- beträgt 5–10 Minuten. Als Wiederholungs-
nes Asthmaanfalls verabreicht werden. dosis empfiehlt sich die halbe Initialdosis.
● als Analgetikum ohne narkotische Wirkung:
Indikationen 0,25–0,5 mg/kg KG
● Als Monoanästhetikum eignet sich Ketamin ● intramuskuläre Narkoseeinleitung:

insbesondere bei Kindern, um z. B. einen 4–8 mg/kg KG. Der Narkoseeintritt beginnt
Verbandswechsel, eine Wundversorgung nach 3–4 Minuten. Die Narkosedauer be-
oder eine Nekrosenabtragung nach Verbren- trägt 12–25 Minuten.
nungen vorzunehmen.
1.9  Intravenöse Anästhetika 57

Esketamin (Ketanest S®) ● Ampullen oder Injektionsflaschen mit nied-


rig konzentrierter Lösung mit 5 bzw. 20 ml
Bisherige Ketaminpräparate stellten ein Racemat (5 mg/ml)

dar. Unter einem Racemat wird ein Gemisch ver-
standen, das zu gleichen Anteilen aus 2 spiegel- Dosierung
bildlich aufgebauten Molekülen (sog. Stereoiso- ● 0,5–1,0 mg/kg KG intravenös
meren) besteht. Diese beiden Molekülformen ● 2–4 mg/kg KG intramuskulär
drehen polarisiertes Licht in unterschiedliche
Richtungen (nach rechts bzw. nach links). Bishe-
rige Ketaminpräparate bestehen also aus einem Fentanyl (Fentanyl®-Janssen)
Gemisch aus rechtsdrehendem S-Ketamin (= Es-
ketamin) und linksdrehendem R-Ketamin. Inzwi- Fentanyl ist nach Sufentanil und Remifentanil
schen wurde das Stereoisomer Esketamin isoliert 
(→ S. 59) das potenteste im Handel befindliche
und ist als Ketanest S® erhältlich. Das Esketamin intravenöse Analgetikum. Es ist ein chemisch dem
hat eine deutlich stärkere analgetische Potenz als Pethidin (Dolantin®) verwandtes, synthetisches
das R-Ketamin. Opioid (→ S. 8), das ca. 100-mal potenter als
Morphin ist. Bei intravenöser Applikation beginnt
Das Esketamin braucht im Vergleich zum kon- die Wirkung nach ca. 20 Sekunden einzusetzen.
ventionellen Ketamin aufgrund der potenteren Das Wirkungsmaximum ist nach ca. 6 Minuten
Wirkung nur ungefähr halb so hoch dosiert zu erwarten. Die Analgesie dauert 20–30 Minu-
werden. Die Aufwachphase ist bei Esketamin ten.
kürzer.
Wirkungen
Wirkungen und Nebenwirkungen Wie die anderen Opioide auch, erzeugt Fenta-
Das Esketamin weist im Prinzip die gleichen nyl seine Wirkungen durch Bindung an spezifi-
Wirkungen auf wie konventionelles Ketamin. sche Opioidrezeptoren im Gehirn und im Rü­
Das R-Ketamin wird für die halluzinogenen ckenmark.
Nebenwirkungen des Ketamin-Racemats ver-
antwortlich gemacht. Die Verabreichung des Nebenwirkungen
reinen Esketamins scheint daher Vorteile auf- Insgesamt ist Fentanyl durch eine nur minimale
zuweisen. Beeinflussung des Herz-Kreislauf-Systems aus-
Psychomimetische Reaktionen scheinen jedoch gezeichnet. Gelegentlich tritt eine leichte Bra-
leider nicht seltener zu sein als beim konventio- dykardie auf. Das Fehlen toxischer Nebenwir-
nellen Racemat. Die kardiovaskulären Neben- kungen auf Leber und Nieren sind weitere
wirkungen von Esketamin unterscheiden sich Vorteile von Fentanyl.
ebenfalls nicht. Fentanyl verursacht die für Opioide typischen
Nebenwirkungen (→ S. 8):
Indikationen und Kontraindikationen ● Atemdepression:

Die Indikationen und Kontraindikationen von Bereits ab 0,1 mg ist beim Erwachsenen mit
Esketamin entsprechen denen des Ketamins einer deutlichen Atemdepression zu rech-
(→ S. 56). nen. Bei höheren Dosierungen kann es zum
Atemstillstand kommen. Typisch für eine
Darreichungsform höher dosierte Opioidgabe ist, dass die Pati-
Ketanest S®: enten auf Aufforderung durchatmen. Wer-
● Ampullen bzw. Injektionsflaschen für hoch den sie aber in Ruhe gelassen, so „vergessen“
konzentrierte Lösung mit 2, 10 bzw. 50 ml sie, zu atmen. Als weitere Nebenwirkung auf
(25 mg/ml) die Atmungsfunktion kann beim nicht rela-
58 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

xierten Patienten manchmal eine Versteifung vor allem durch Umverteilungsphänomene


der Thoraxmuskulatur (eine sog. Thoraxrigi- (→ S. 47) bedingt ist, müssen bei wiederhol-
dität) auftreten. Diese äußert sich in einem ten Nachinjektionen immer niedrigere Do-
plötzlich erhöhten Beatmungswiderstand. sen verwendet werden, da die Muskel- und
● Pupillenverengung (= Miosis) Fettdepots langsam gefüllt sind. Wichtig ist
● Übelkeit und Brechreiz eine ausreichende Initialdosis, um die Opio-
● Sucht idrezeptoren aufzusättigen. Eine zu hohe
● Euphorie Dosierung ist jedoch sinnlos. Sind alle Opio-
● Obstipation (= Verstopfung) und eine Erhö- idrezeptoren besetzt, so kann auch durch
hung des Muskeltonus im Gallengangsystem eine weitere Dosissteigerung keine bessere
sowie in den ableitenden Harnwegen Analgesie mehr erreicht werden. Je näher
das Ende der Operation ist, desto niedriger
Indikationen sollte die Wiederholungsdosis sein. Die letz-
Fentanyl wird vor allem im Rahmen einer sog. te Dosis sollte mindestens 30 Minuten vor
(totalen) intravenösen Anästhesie (= [T]IVA; Operationsende erfolgen, um einen postope-
→ S. 125) angewandt. Auch bei der Inhalations- rativen Fentanylüberhang mit Atemdepres-
narkose wird häufig, vor allem bei Narkosebe- sion zu vermeiden. Gegebenenfalls muss die
ginn, eine kleine Dosis Fentanyl oder eines Fentanylwirkung mit einem Gegenmittel
anderen Opioids verabreicht, um Inhalationsan- aufgehoben (= antagonisiert) werden (→ S.
ästhetika einzusparen. Dieses Vorgehen wird als 61).
balancierte Anästhesie bezeichnet (→ S. 124). ● Analgosedierung:

Soll Fentanyl beim spontan atmenden Pati-


Kontraindikationen enten zur Analgosedierung (z. B. im Rahmen
● Ehemalige Opioidsüchtige können postnar- einer Regionalan­ästhesie) verabreicht wer-
kotisch, falls perioperativ Fentanyl oder ein den, dann sind eine streng bedarfsorientierte
anderes Opioid verabreicht wurde, rückfällig Dosistitration (wiederholte Gabe von
werden. Deshalb sollte bei ihnen auf Fenta- 0,025 mg Boli bis zum gewünschten Erfolg)
nyl verzichtet und ein Inhalationsanästheti- und eine entsprechende Überwachung der
kum vorgezogen werden. Spontanatmung wichtig, um eine Atemde-
● Beim Kaiserschnitt darf vor der Abnabelung pression zu vermeiden.
des Kindes kein Fentanyl oder anderes Opio-
id verabreicht werden. Es besteht die Gefahr
der Atemdepression beim Neugeborenen (!) Alfentanil (Rapifen®)
(→ S. 256).
Alfentanil ist ein potentes Analgetikum vom Opio-
Darreichungsform 
idtyp (→ S. 8). Alfentanil ist nicht nur in seiner
● Brechampullen zu 2 ml und 10 ml; 1 ml = chemischen Struktur dem Fentanyl sehr ähnlich
0,05 mg (→ S. 57). Der Wirkungsbeginn des Alfentanils ist
3-mal schneller als bei Fentanyl, die Wirkungsdau-
Dosierung er ist mit ca. 10 Minuten um einiges kürzer als bei
● (T)IVA: Fentanyl.
initial ca. 0,1–0,3 mg beim Erwachsenen,
Wiederholungsdosen 0,05–0,1 mg Wirkungen und Nebenwirkungen
● balancierte Anästhesie: Alfentanil ist in seinen Wirkungen und Neben-
initial 0,1–0,2 mg Fentanyl beim Erwachse- wirkungen dem Fentanyl sehr ähnlich (→ S.
nen, Wiederholungsdosen 0,05–0,1 mg. 57). Die analgetische Potenz von Alfentanil ist
Da die Wirkungsbeendigung von Fentanyl nur ca. 1⁄5–1⁄10 so hoch wie die des Fentanyls.
1.9  Intravenöse Anästhetika 59

Bezüglich der Beeinflussung des Herz-Kreis- Sufentanil (Sufenta®, Sufenta®


lauf-Systems liegen zum Teil unterschiedliche mite 10)
Mitteilungen vor. Während manche Autoren
von einer ähnlich geringen Beeinflussung des
Herz-Kreislauf-Systems wie durch das Fentanyl Sufentanil ist das potenteste verfügbare Opioid.

Es ist ca. 500- bis 1 000-mal potenter als Morphin
(→ S. 57) berichten, beschreiben andere Auto-
ren nach Alfentanilgabe einen evtl. Abfall des und ca. 7- bis 8-mal potenter als Fentanyl. 15 µg
Blutdrucks und vor allem einen evtl. deutlichen Sufentanil entsprechen ungefähr 0,1 mg Fentanyl.
Abfall der Herzfrequenz. Durch die evtl. vorhe-
rige intravenöse Gabe von Atropin können die- Wirkungen, Nebenwirkungen, Indikationen
se Kreislaufveränderungen jedoch weitgehend und Kontraindikationen
verhindert werden. Bezüglich Wirkungen, Nebenwirkungen, Indi-
In Bezug auf die Atmung ist nach Alfentanilga- kationen und Kontraindikationen entspricht
be aufgrund der kurzen Wirkungsdauer selte- Sufentanil weitgehend dem Fentanyl (→ S. 57).
ner mit einer postoperativen Atemdepression Es unterscheidet sich jedoch in einigen phar-
zu rechnen. Allerdings kann es nach Alfentanil- makokinetischen Größen. Die maximale Wir-
gabe häufiger zu einer vorübergehenden Tho- kung ist bereits nach 2–3 Minuten und damit
raxstarre (= Thoraxrigidität; → S. 58) kommen. ca. doppelt so schnell wie bei Fentanyl zu er-
Hierdurch können Beatmungsprobleme bei ei- warten. Der proteingebundene Anteil von
ner Maskenbeatmung auftreten. Durch eine Sufentanil ist sehr hoch. Sufentanil wird weni-
langsame Injektion von Alfentanil lässt sich die ger ins Fettgewebe umverteilt. Die Gefahr einer
Häufigkeit dieser Thoraxstarre deutlich vermin- Kumulation bei Mehrfachgabe ist geringer als
dern. Notfalls muss eine kleine Dosis eines bei Fentanyl (→ S. 365); die Wirkdauer ist etwas
Muskelrelaxans (z. B. Succinylcholin; → S. 73) kürzer. Sufentanil wirkt stärker sedierend als
verabreicht werden, um die Thoraxstarre zu Fentanyl und kann zur Analgosedierung bei In-
durchbrechen. tensivpatienten evtl. als Monosubstanz verwen-
det werden (→ S. 365). Die therapeutische Brei-
Indikation te des Sufentanils bezüglich kardiovaskulärer
Alfentanil eignet sich vor allem für kürzere Ein- Nebenwirkungen ist ca. 100-mal so groß wie bei
griffe. Fentanyl. Es wird daher z. B. relativ häufig in der
Kardioanästhesie eingesetzt.
Darreichungsform
● Brechampullen zu 2 oder 10 ml; 1 ml = 0,5 Darreichungsform
mg ● Sufenta mite 10:
®

Ampulle à 10 ml; 1 ml = 5 µg
Dosierung Sufenta® mite 10 ist 10-fach weniger konzen-
Meist genügen für kurze Eingriffe (z. B. eine Cu- triert als die Sufenta®-Lösung. Die hoch
rettage) ca. 15 µg/kg KG, also ca. 1,0 mg. Nachin- konzentrierte Sufenta®-Lösung wird vor al-
jektion: 0,5–1,0 mg beim Erwachsenen. Wird lem für die Kardioanästhesie sowie für die
Alfentanil ausnahmsweise für eine größere Sufentanilgabe per Infusionspumpe (vor al-
Operation verwendet, dann werden zur Narko- lem auf der Intensivstation), selten auch für
seeinleitung 25–50 µg/kg KG verabreicht. Für lang dauernde, große operative Eingriffe
eine kontinuierliche Infusion werden 1–1,5 µg/ empfohlen. Bei kleinen und mittelgroßen
kg KG/min = 8–12 ml/h bei Erwachsenen emp- Eingriffen wird normalerweise die Sufenta®-
fohlen. mite-10-Lösung verwendet!
● Sufenta :
®

Ampulle à 5 ml; 1 ml = 50 µg
60 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Dosierung sehr schnell stärkere Schmerzen auftreten, ist


● Initialdosis zur Narkoseeinleitung einer eine konsequente postoperative Schmerzthera-
Kombinationsnarkose: pie notwendig.
0,3–0,6 µg/kg KG (entsprechend 20–40 µg =
4–8 ml Sufenta® mite 10 beim 70 kg schwe- Wirkungen und Nebenwirkungen
ren Erwachsenen) Der Wirkungsbeginn ist ähnlich schnell wie
● Repetitionsdosis in Abhängigkeit von der beim Alfentanil (→ S. 58). Es kann daher auch
klinischen Symptomatik: häufiger zu einer Thoraxrigidität kommen. Re-
0,15–0,30 µg/kg KG (entsprechend 10–20 µg mifentanil führt oft zu einer deutlichen Abnah-
= 2–4 ml Sufenta® mite 10 beim 70 kg schwe- me von Herzfrequenz und Blutdruck. Ursache ist
ren Erwachsenen) eine zentrale Stimulation der Vagusaktivität und/
● Empfehlung für eine kontinuierliche Infu­ oder eine Hemmung der Sympathikusaktivität.
sion: Dies ist vor allem bei schnellerer Gabe oder einer
0,3–1,0 µg/kg KG/h = höheren Dosierung zu befürchten. Remifentanil
­0,005–0,017 µg/kg KG/min sollte daher nur langsam über eine Spritzenpum-
● Bei kardiochirurgischen Eingriffen werden pe verabreicht und initial vorsichtig dosiert wer-
deutlich höhere Dosierungen empfohlen. den. Auch die sehr kurze Wirkdauer verlangt
eine kontinuierliche Gabe per Spritzenpumpe.
Injektion
Um vagotone Reaktionen (Bradykardie) und Indikationen
eine Thoraxrigidität zu vermeiden, ist eine lang- Remifentanil wird intraoperativ (z. T. auch für
same Injektion vorzunehmen. eine kurzfristige postoperative Nachbeatmung)
eingesetzt. Inzwischen ist es auch für eine bis zu
72-stündige Analgosedierung bei Intensivpati-
Remifentanil (Ultiva®) enten zugelassen.

Remifentanil ist nach Sufentanil das zweitpoten- Darreichungsform



teste verfügbare Opioid. Remifentanil ist ein ultra- Remifentanil liegt als Pulver in Durchstecham-
kurz wirkendes Opioid, das 1996 in Deutschland pullen mit 1, 2 oder 5 mg vor. Es ist mit NaCl-
eingeführt wurde. Es ist strukturell dem Fentanyl Injektionslösung (0,9 %), Aqua ad injectabilia
verwandt. Remifentanil weist als einziges Opioid oder 5%iger Glucoselösung aufzulösen. Am
eine Esterbindung auf. Dadurch kann es schnell bes­ten haben sich die 1-mg-Durchstechampul-
durch die im Plasma und Gewebe vorhandenen len bewährt (Auflösung von z. B. 1 mg in 20 ml
unspezifischen Esterasen (Enzyme, die Esterver- = 50 µg/ml).
bindungen spalten können) abgebaut werden.
Dosierung
Die Metabolisierung von Remifentanil ist unab- Vom Hersteller wird zur Narkoseeinleitung eine
hängig von evtl. Leber- oder Nierenschädigun- initiale Bolusgabe (über mindestens 30 Sekun-
gen, von Alter oder Gewicht. Die Erholungszeit den) von ungefähr 0,5–1 µg/kg KG und eine an-
ist weitgehend unabhängig von der Dauer der schließende kontinuierliche Infusion mit 0,25–
Infusion und/oder der verabreichten Gesamt- 1,0 µg/kg KG/min (= 21–84 ml/h beim 70 kg
dosis. Innerhalb von ca. 3 Minuten fällt nach schweren Erwachsenen bei einer Verdünnung
Infusionsende die Plasmakonzentration um ca. von 50 µg/ml) empfohlen. Die praktische Erfah-
50 % ab, unabhängig davon, ob die Infusion rung hat gezeigt, dass unter diesen Dosierungen
über nur wenige Minuten oder gar über mehre- häufig starke Bradykardien und Blutdruckabfäl-
re Stunden durchgeführt wurde. Da nach Ver- le auftreten. Zumeist kann die initiale Bolusdo-
wendung von Remifentanil postoperativ meist sis deutlich reduziert oder es sollte möglichst
1.9  Intravenöse Anästhetika 61

ganz darauf verzichtet werden und gleich mit Die Naloxonwirkung kann unter Umständen
einer bewährten Erhaltungsdosis von ca. 0,2–0,3 nach einer Stunde abklingen und die Atemde-
µg/kg KG/min (ca. 16–25 ml/h) begonnen wer- pression kann wieder auftreten!! Dies ist mög-
den. Eventuell kann es sinnvoll sein, vor der lich, wenn intraoperativ hohe Dosen eines
Gabe von Remifentanil Atropin intravenös zu Opioids oder wenn lang wirksame Opioide ver-
verabreichen. Dadurch können Bradykardien wendet wurden. Nach einer Antagonisierung ist
und Blutdruckabfälle meist vermindert werden. deshalb eine ca. 2-stündige postoperative Über-
wachung des Patienten im Aufwachraum nö-
tig!
Opioidantagonisten
Nebenwirkungen
Opioide (→ S. 8) entfalten ihre Wirkung durch Bei einer schnellen Injektion von hohen Dosen

eine Bindung an spezifische Rezeptoren im Ge- kann es bei frischoperierten Patienten zu einem
hirn und Rückenmark. Opioidantagonisten sind erheblichen Anstieg des Blutdrucks und der
Substanzen, die die Opioide aus dieser Rezeptor- Herzfrequenz kommen. Durch die vollständige
bindung verdrängen und sich selbst an diesen Re- Aufhebung der analgetischen Wirkung klagen
zeptor binden können. Diese Opioidantagonisten die Patienten dann auch über starke postopera-
sind dem Morphinmolekül sehr ähnliche Substan- tive Schmerzen. Es sollten deshalb wiederholt
zen und können deshalb mit diesen Rezeptoren kleine Dosen injiziert werden, bis die gewünsch-
reagieren. Ihnen fehlen jedoch die für die Opioide te atemstimulierende Wirkung erreicht ist, aber
typischen Wirkungen vollständig (→ Naloxon). noch eine ausreichende Analgesie vorhanden
ist (→ unten).
Opioidantagonisten können die meisten Opio-
ide (mit Ausnahme des stark rezeptorgebunde- Darreichungsform
nen Buprenorphins; → S. 330) aus der Rezeptor- ● 1 Ampulle zu 1 ml = 0,4 mg

verbindung verdrängen. Opioidantagonisten


haben also eine stärkere Bindungsneigung (= Dosierung
Affinität) zum Opioidrezeptor als die meisten Es hat sich bewährt, eine Ampulle Naloxon =
Opioide. Damit kann durch Gabe eines Opio­ 0,4 mg = 1 ml mit 9 ml NaCl 0,9 % zu verdün-
idantagonisten die Wirkung von zuvor verab- nen; 1 ml enthält dann 0,04 mg. Nach initialer
reichten Opioiden aufgehoben, das heißt ant- Gabe von ca. 1 µg/kg KG (ca. 0,08 mg = 2 ml
agonisiert, werden. Ein Opioidantagonist wird dieser Lösung) sollte die Wirkung abgewartet
vor allem bei Verdacht auf einen postoperativen werden. Bei unzureichender Wirkung wird
Opioidüberhang (→ S. 124) verabreicht. Der nach 2–3 Minuten nochmals 1 ml injiziert, und
wichtigste Opioidantagonist ist Naloxon. Er dies ggf. so oft wiederholt, bis eine ausreichende
wird vor allem zur Antagonisierung einer opio- Spontanatmung erreicht ist. Zumeist reichen
idbedingten Atemdepression angewandt, also 0,001–0,002 mg/kg KG aus, beim Erwachsenen
z. B. bei einem postoperativen Opioidüberhang. also ca. 0,08–0,16 mg = 2–4 ml der verdünnten
Lösung.

Naloxon (Naloxon DeltaSelect)


Droperidol (Xomolix®)
Naloxon ist der wichtigste Opioidantagonist. Ob-

wohl Naloxon chemisch dem Morphin sehr ähn- Droperidol gehört, wie z. B. auch Promethazin
lich ist, ist es frei von morphinartigen Nebenwir- 
(Atosil®, → S. 7) oder Haloperidol, in die Gruppe
kungen. Es ist also ein reiner Opioidantagonist. der Neuroleptika. Seine Wirkungsdauer beträgt
Die Wirkung von Naloxon ist relativ kurz. ca. 6–8 Stunden.
62 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Droperidol wurde einige Zeit in Deutschland Indikationen


nicht mehr hergestellt. Seit 2008 ist es unter ● Therapie postoperativer Übelkeit:

dem neu eingeführten Präparatenamen Xo- Droperidol war lange Zeit das zur Therapie
molix® wieder im Handel. der postoperativen Übelkeit im Aufwach-
raum vermutlich am häufigsten eingesetzte
Wirkungen Antiemetikum. Inzwischen wird es zuguns­
● Sedierung, Gleichgültigkeit, Antriebshem- ten von Serotoninantagonisten (z. B. Grani-
mung setron; Anemet und Dexamethason; Forte-
● starke antiemetische Wirkung cortin®) seltener eingesetzt (→ S. 334).
(= Hemmung von Übelkeit und Brechreiz), ● Neuroleptanästhesie:

insbesondere bei einer durch Opioide (z. B. Droperidol wurde früher vor allem im Rah-
Fentanyl) induzierten Übelkeit men der sog. Neuroleptanästhesie (→ S. 130)
● Antihistaminwirkung verwendet.
(= Verminderung von anaphylaktoiden Re-
aktionen) Kontraindikationen
● starker Volumenmangel
Nebenwirkungen ● Parkinson-Krankheit, Epilepsie oder De-

● Blutdruckabfall: pression in der Anamnese:


Droperidol bewirkt eine starke Vasodilatati- Diese Krankheitsbilder können verstärkt
on durch Blockade der für den Gefäßtonus werden.
wichtigen Alpha-(α-)Rezeptoren (Alpha- ● ambulante Patienten:

blockade; → S. 301). Folge dieser Alpha­ Aufgrund der langen Wirkdauer sind höhere
blockade ist ein Blutdruckabfall nach Drope- Dosierungen (über ca. 2,5 mg) zu vermei-
ridolgabe. Besteht bei dem Patienten ein den.
intravasaler Volumenmangel, den der Kör-­
per durch eine Gefäßengstellung zu kom- Darreichungsform
pensieren versucht, so erzeugt die Gefäß- ● 1 Ampulle zu 2 ml = 5 mg, 1 ml = 2,5 mg

weitstellung nach Droperidol unter Um-


ständen einen Blutdruckabfall. Dosierung
● extrapyramidale Bewegungsstörungen: ● Therapie postoperativer Übelkeit:

Bei hoher (selten auch in niedriger) Dosie- Bei Erwachsenen wird hierfür eine Dosie-
rung können extrapyramidale Bewegungs- rung von 0,625–1,25(–2,5) mg (= 0,25–0,5
störungen, ähnlich wie bei der Parkinson- [–1] ml) empfohlen.
Krankheit, auftreten. ● (Zur Einleitung der früher üblichen Neuro-

● Verschlimmerung einer Depression oder leptanästhesie wurden initial 0,1–0,2 mg/


Epilepsie: kg KG = 5–15 mg [→ S. 130] beim Erwachse-
Droperidolgabe kann bei Patienten mit einer nen verabreicht. Bei intravasalem Volumen-
Depression zu einem postoperativen Rezidiv mangel musste vor der Droperidolgabe Vo-
führen. Bei Patienten mit einer Epilepsie lumen infundiert werden. Gegebenenfalls
kann unter Umständen ein epileptischer An- musste Droperidol niedrig dosiert oder frak-
fall ausgelöst werden, da Droperidol, wie alle tioniert [= in kleinen Portionen] verabreicht
Neuroleptika (→ S. 7), die zerebrale Krampf- werden, um einen stärkeren Blutdruckabfall
schwelle erniedrigt. zu vermeiden. Nachinjektionen von Drope-
● Atmung, Leber, Niere und Herz werden ridol waren bei einer Neuroleptanästhesie
kaum beeinflusst. nur bei langen Operationen notwendig. Es
empfahl sich eine Wiederholungsdosis von
ca. 5 mg alle ca. 3–4 Stunden.)
1.9  Intravenöse Anästhetika 63

Physostigmin (Anticholium®) Atropin vergleichbares Parasympathikolyti-


kum), Antidepressiva, Antihistaminika und
Physostigmin ist ein Cholinesterasehemmer (→ S. Neuroleptika wie z. B. Droperidol. Selten kann

72), der die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann es nach Gabe fast aller anderen Medikamente
und daher auch im ZNS (über eine Hemmung des ebenfalls zu einem ZAS kommen.
Enzyms Cholinesterase) zu einer Steigerung der Die erfolgreiche Therapie mit Physostigmin
Acetylcholinkonzentration führt. Dadurch kann spricht für das Vorliegen eines ZAS.
ein zentraler Acetylcholinmangel (wie er z. B. post-
operativ auftreten kann) behandelt werden. Wirkungen
Physostigmin hemmt – genauso wie Neostig-
Falls ein Patient nach der Narkose verzögert min oder Pyridostigmin (→ S. 72) – das Enzym
wach wird oder ein sehr abnormes Aufwachver- Cholinesterase. Dadurch wird der Abbau von
halten aufweist, muss differenzialdiagnostisch Acetylcholin gehemmt, die Acetylcholinkon-
auch an ein sog. zentrales anticholinerges Syn- zentration steigt an (Parasympathikomimeti-
drom (= ZAS) gedacht werden. kum). Physostigmin kann jedoch, im Gegensatz
zu Neostigmin und Pyridostigmin, die Blut-
Ein zentrales anticholinerges Syndrom kann sich Hirn-Schranke überwinden und damit auch
! als verzögertes Wachwerden aus der Narkose mit zentral zu einer Erhöhung der Acetylcholin-
verlängertem postanästhetischem Koma oder ver- konzentration führen.
längerter Somnolenz, aber auch als postnarkoti-
sche Unruhe oder in Form von Halluzinationen, Nebenwirkungen
Koordinationsstörungen, Sprachstörungen und ● Übelkeit
Ähnlichem äußern. ● Erbrechen
Neben zentralen Symptomen treten bei einem ● Bradykardie
ZAS auch periphere Symptome wie Mundtrocken- ● Bronchokonstriktion oder gar
heit, Tachykardie, trockene und rote Haut sowie ● zerebrale Krämpfe
Mydriasis (also atropinartige Symptome) auf. Ein
ZAS ist nach ca. 1 % aller Allgemeinnarkosen zu Kontraindikationen
erwarten. Physostigmin ist bei Patienten mit Asthma
bronchiale oder Koronarsklerose kontraindi-
Wegen des vielfältigen Erscheinungsbildes ist ziert.
die Abgrenzung des zentralen anticholinergen
Syndroms gegen z. B. einen Narkoseüberhang, Darreichungsform
gegen eine Hypoxie oder andere Ursachen oft Physostigmin (Anticholium®) liegt in Ampul-
sehr schwierig. Bevor ein ZAS angenommen len zu 5 ml = 2 mg vor.
werden darf, müssen stets andere Ursachen aus-
geschlossen werden. Dosierung
Ein ZAS ist durch eine Störung im Bereich der- Initial werden 0,04 mg/kg KG intravenös emp-
jenigen Synapsen bedingt, die als Überträger- fohlen. Beim Erwachsenen sollten initial ca. 2
substanz Acetylcholin haben. Ursache kann mg langsam intravenös verabreicht werden. Ge-
eine medikamentös bedingte Verdrängung von gebenenfalls kann nach 15–20 Minuten eine
Acetylcholin vom Rezeptor oder ein Überwie- Nachinjektion von 1–4 mg vorgenommen wer-
gen anderer Neurotransmittersysteme sein. Ur- den.
sache ist also stets eine absolute oder relative
Verarmung an Acetylcholin im ZNS. Injektion
Als auslösende Medikamente kommen vor al- Die Injektion muss langsam erfolgen, um das
lem infrage: Atropin, Scopolamin (ein dem Risiko von Nebenwirkungen wie Übelkeit, Er-
64 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

brechen, Bradykardie, Bronchokonstriktion


oder gar zerebrale Krämpfe zu vermindern. Pa-
tienten mit einem ZAS werden nach Injektion
von Physostigmin meist schlagartig ansprech-
bar. Da dessen Wirkung nur ca. 30–60 Minuten
anhält, sollten die Patienten für mindestens 2
Stunden überwacht werden, um ein nach Wir-
kungsende von Physostigmin evtl. erneut auf-
tretendes ZAS erfassen zu können. In seltenen
Fällen kann eine kontinuierliche Physostigmin-
infusion über einen längeren Zeitraum erfor-
derlich werden.

Abb. 1-28  Motorische Endplatte. Impulsübertragung


1.10 Muskelrelaxanzien durch die Überträgersubstanz Acetylcholin ( ).

Muskelrelaxanzien sind Medikamente, die eine



vorübergehende Lähmung (= Relaxierung) der
quergestreiften Muskulatur bewirken. Es werden Innerhalb von Millisekunden wird die Überträ-
nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien (→ un- gersubstanz (der Transmitter) Acetylcholin
ten) und depolarisierende Muskelrelaxanzien un- durch das Enzym Acetylcholinesterase wieder
terschieden (→ S. 73). gespalten und ist damit wirkungslos. Ein neuer
Impuls kann nun übergeleitet werden.

1.10.1 Physiologie der
1.10.2 Nicht depolarisierende
neuromuskulären Übertragung
Muskelrelaxanzien
Quergestreifte Muskelfasern werden von moto-
 Curare, der Prototyp der nicht depolarisieren-
rischen Nerven innerviert. Die Verbindungsstelle
den Muskelrelaxanzien, ist ein Extrakt aus den
zwischen einer motorischen Nervenendigung und
Wurzeln und Blättern der tropischen Kletter-
einer Muskelzelle wird als motorische Endplat-
pflanze Chondrodendron tomentosum und wur-
te bezeichnet. Ihr schematischer Aufbau ist in Ab-
de ursprünglich von südamerikanischen India-
bildung 1-28 dargestellt.
nern als Pfeilgift verwendet. Sämtliche wie
Curare wirkenden nicht depolarisierenden
Ein ankommender Nervenimpuls löst in der Muskelrelaxanzien werden nach ihm auch als
motorischen Nervenendigung die Freisetzung curareähnliche (= curariforme) Muskelrela-
der dort gespeicherten Überträgersubstanz xanzien bezeichnet.
Acetylcholin (vgl. Abb. 1-28) aus. Acetylcholin
(ACh) wandert durch den synaptischen Spalt
zur Muskelzellmembran, bindet sich dort an Wirkungsweise
spezifische Acetylcholinrezeptoren und verur-
sacht dadurch eine Depolarisation der Muskel- Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien sind
zellmembran, das heißt einen Zusammenbruch 
Medikamente, die sich an die Rezeptoren des
des normalerweise vorhandenen Membranpo- Acetylcholins (= ACh) binden können, obwohl
tenzials mit nachfolgender Muskelkontraktion. sie dabei die Muskelzellmembran nicht (!) zu
1.10  Muskelrelaxanzien 65

Abb. 1-29  Motorische Endplatte. Acetylcholin ( ) Abb. 1-30 Motorische Endplatte. Das nicht depolaris-


wird durch das anflutende nicht depolarisierende ierende Muskelrelaxans (    ) diffundiert aus der motor-
Muskelrelaxans ( ) verdrängt. ischen Endplatte. Acetylcholin ( ) kann wieder an den
Rezeptor.

depolarisieren vermögen, also auch keine Muskel- ren für das ACh frei werden (= normale
kontraktion erzeugen können. Da die Muskelzell- Wirkungsbeendigung; vgl. Abb. 1-30). Die Wir-
membran nicht (!) depolarisiert wird, werden die kung der nicht depolarisierenden Muskelrela-
Medikamente als nicht depolarisierende Muskel- xanzien kann auch beendet werden, indem
relaxanzien bezeichnet. medikamentös die Konzentration des ACh er-
höht wird. Dann ist ACh zahlenmäßig weit
Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien kon- in der Überzahl und verdrängt das nicht de­
kurrieren mit dem ACh um den begehrten Re- polarisierende Muskelrelaxans schnell aus
zeptorplatz. Beide können sich gegenseitig aus seiner Rezeptorverbindung (Wirkungsbeendi-
dieser Verbindung verdrängen, je nachdem, gung durch ein Gegengift = Antagonisierung;
welche Substanz in höherer Konzentration vor- → S. 71).
handen ist (kompetitive Bindung). Wenn das
nicht depolarisierende Muskelrelaxans in genü-
gender Konzentration vorliegt, besetzt es alle Wirkungen
ACh-Rezeptoren. Das nun nach einem Nerven-
impuls freigesetzte ACh hat keine Chance mehr, Die Hauptwirkung der nicht depolarisierenden
an noch freie Rezeptoren zu gelangen, um eine Muskelrelaxanzien ist die Relaxierung der quer-
Depolarisation auszulösen (vgl. Abb. 1-29). gestreiften Muskulatur. Die relaxierende Wir-
Die Muskeln bleiben also unerregbar, das heißt kung einer hohen Dosis eines nicht depolarisie-
relaxiert. Diese nicht depolarisierenden Mus- renden Muskelrelaxans wirkt im Bereich des
kelrelaxanzien können von dem Enzym Acetyl- Kehlkopfes und des Zwerchfelles schneller
cholinesterase nicht abgebaut werden. Die Mus- als im Bereich von peripheren Muskeln. Dies
kelerregbarkeit tritt erst wieder ein, wenn die ist dadurch zu erklären, dass Kehlkopf und
nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien Zwerchfell sehr gut durchblutet werden. Des-
über die Lymphe und das Blut langsam abtrans- halb flutet das Muskelrelaxans dort schneller
portiert und zunehmend wieder mehr Rezepto- an, aber auch wieder schneller ab.
66 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Einzelne Muskelgruppen sind unterschiedlich verantwortlich sein. Die Muskelerschlaffung


! empfindlich auf nicht depolarisierende Muskelre- bewirkt eine indirekte Abnahme des venösen
laxanzien. Um einen bestimmten Relaxationsgrad Gefäßtonus und damit eine Verminderung
zu erzielen, werden z. B. am Zwerchfell doppelt so des venösen Rückflusses, was wiederum eine
hohe Plasmakonzentrationen des Relaxans benö- Hypotonie verstärken kann.
tigt wie an den Handmuskeln. ● vegetatives Nervensystem:

Zum besseren Verständnis des Wirkungsme-


Die Anwendung eines Muskelrelaxans verlangt chanismus der nicht depolarisierenden Mus-
eine künstliche Beatmung, da ansonsten der kelrelaxanzien auf das vegetative Nervensys­
Tod durch periphere Lähmung der Atemmus- tem sei dessen Aufbau anhand der Abbildung
kulatur droht! Bei der Wirkungsbeendigung ei- 1-31 kurz wiederholt.
nes Relaxans erlangen zuerst unempfindliche Die Nerven des vegetativen Nervensystems
Muskeln wie das Zwerchfell ihre Funktion wie- bestehen immer aus 2 (!) Neuronen. Die
der zurück. Wenn der Patient dann auf Auffor- Überträgersubstanz des ersten Neurons
derung wieder die Augen öffnen, den Kopf für 5 (= präganglionäres Neuron) ist im sympathi-
Sekunden hochheben und die Zunge heraus- schen und im parasympathischen Nerven-
strecken kann, so spricht dies für eine weitge- system Acetylcholin (= ACh). Die Über­
hende Wirkungsbeendigung des Muskelrela- trägersubstanz des zweiten Neurons
xans. Zur objektiven Überwachung des (= postganglionäres Neuron) ist im para-
Relaxationsgrades hat sich die Relaxometrie sympathischen Nervensystem Acetylcholin,
(→ S. 76) bestens bewährt. Sie erfreut sich in im sympathischen Nervensystem dagegen
den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Noradrenalin (= NA; → S. 302).
Muskelrelaxanzien wirken nun nicht aus-
schließlich an den Acetylcholinrezeptoren
Nebenwirkungen der motorischen Endplatten, also an der
quergestreiften Muskulatur, sondern können
● unter Umständen eine Histaminfreisetzung: auch die ACh-Rezeptoren des vegetativen
Folgen einer evtl. Histaminfreisetzung nach Nervensystems etwas blockieren und da-
Injektion eines nicht depolarisierenden Mus- durch unter Umständen unerwünschte
kelrelaxans können ein fleckförmiges Exan- Nebenwirkungen verursachen. Die ACh-
them, insbesondere im Gesicht und am obe- Rezeptoren des parasympathischen Nerven-
ren Körperstamm, selten ein Blutdruckabfall systems (insbesondere diejenigen im Bereich
mit Tachykardie oder sehr selten broncho­ des postganglionären Neurons) werden von
spastische Zustände sein. den meisten nicht depolarisierenden Mus-
● Plazenta: kelrelaxanzien wesentlich stärker blockiert
Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien als die ACh-Rezeptoren des sympathischen
können die intakte Plazentaschranke nicht Nervensystems. Wirkt z. B. ein nicht depola-
nennenswert überschreiten und führen da- risierendes Muskelrelaxans auch etwas stär-
her – z. B. bei Verabreichung bei einem Kai- ker an den ACh-Rezeptoren des parasympa-
serschnitt – auch zu keiner Muskelerschlaf- thischen Nervensystems, so werden diese
fung des Neugeborenen. ACh-Rezeptoren – wie die ACh-Rezeptoren
● Blutdruck: an der motorischen Endplatte – blockiert.
Als Ursache für eine Hypotonie nach Injekti- Eine Blockierung des Parasympathikus im
on von nicht depolarisierenden Muskelrela- Bereich des postganglionären Neurons (=
xanzien können vor allem eine evtl. Hist- atropinartige Wirkung; → S. 9) bewirkt eine
aminfreisetzung (→ oben) sowie zum Teil Herzfrequenzsteigerung und unter Umstän-
auch die einsetzende Muskelerschlaffung den auch einen Blutdruckanstieg, da nun die
1.10  Muskelrelaxanzien 67

Somatisches Nervensystem Vegetatives Nervensystem

Sympathikus Parasympathikus

erstes = präganglionäres Neuron

ACh

ACh

Nebenniere
ACh
Adrenalin

zweites = postganglionäres Neuron

ACh NA ACh

quergestreifte Muskulatur • glatte Muskulatur:


Magen-Darm- und Bronchialmuskulatur, Gefäße, Drüsen
• Herz

Abb. 1-31  Schematische Darstellung des somatischen und vegetativen Nervensystems. ACh = Acetylcholin;
NA = Noradrenalin.

parasympathische Dämpfung am Herzen umverteilt (= Umverteilungsphänomene; → S.


blockiert ist und der Sympathikus ungehin- 47). Erst in zweiter Linie ist die Wirkungsbeen-
dert wirken kann. Dies ist z. B. für das nicht digung von z. B. einer langsamen, unveränder-
depolarisierende Muskelrelaxans Pancuroni- ten Ausscheidung vor allem über die Nieren
um beschrieben (→ S. 68). und teilweise über die Galle bedingt. Außerdem
findet zum Teil auch ein geringer Abbau in der
Leber statt. Aufgrund dieser schnellen Umver-
Aufnahme, Verteilung teilungsmechanismen ist die Wirkungsdauer
und Ausscheidung meist kürzer als die Verweildauer im Körper.
Bei wiederholten Nachinjektionen besteht da-
Die nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien her meist eine Kumulationsgefahr, das heißt,
sind nur nach intramuskulärer und intravenö- bei mehrmaligen Nachinjektionen müssen bei
ser Injektion wirksam. Bei oraler Applikation den meisten nicht depolarisierenden Muskelre-
werden sie dagegen nicht resorbiert. Die Wir- laxanzien immer niedrigere Dosen verwendet
kungsbeendigung der meisten nicht depolari- werden. Lediglich Atracurium, cis-Atracurium
sierenden Muskelrelaxanzien ist erstrangig und Mivacurium (→ S. 70) machen hierbei eine
durch die Abdiffusion vom ACh-Rezeptor und Ausnahme.
den Abtransport über die Lymphe und das Blut Da die meisten nicht depolarisierenden Mus-
bedingt. Sie werden also innerhalb des Körpers kelrelaxanzien vor allem unverändert über die
68 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Nieren ausgeschieden werden, ist bei einer Nie- ka wie Neomycin, Gentamicin, Streptomycin
reninsuffizienz aufgrund der verlangsamten usw.) führen unter Umständen zu einer enor-
renalen Ausscheidung eine Wirkungsverlänge- men Wirkungsverlängerung der nicht depolari-
rung dieser Relaxanzien zu erwarten. Bei nie- sierenden Muskelrelaxanzien.
reninsuffizienten Patienten müssen daher nicht
depolarisierende Muskelrelaxanzien, die über
die Nieren ausgeschieden werden, niedrig Klinisch wichtige Medikamente
dosiert oder möglichst ganz vermieden wer­-
den. Inzwischen stehen mit Atracurium und Pancuronium (Pancuronium „Organon“®)
cis-Atracurium auch nicht depolarisierende
Pancuronium ist den Curarepräparaten bezüglich
Muskelrelaxanzien zur Verfügung, deren Wir- 
des Molekülaufbaus in keiner Weise verwandt.
kungsdauer unabhängig von der Nieren- (so­-
Chemisch gesehen gehört es zu den Steroiden.
wie Leber- und Gallen-)Funktion ist. Diese
Pancuronium gehört zu den lang wirksamen Rela-
Relaxanzien stellen bei Patienten mit Nieren­
xanzien. Der Wirkungseintritt von Pancuronium ist
insuffizienz die Medikamente der ersten
nach ca. 3–4 Minuten zu erwarten. Die Wirkungs-
Wahl dar. Ansonsten sollten diejenigen nicht
dauer beträgt ca. 60 Minuten. Pancuronium wird
depolarisierenden Muskelrelaxanzien verwen-
zunehmend seltener eingesetzt.
det werden, die zu einem relativ großen
Teil über die Galle ausgeschieden werden
(→ unten). Pancuronium wird zu ca. 85 % unverändert
Auch Leber- und Gallenwegserkrankungen über die Nieren ausgeschieden. 10–20 % des
(z. B. Gallenwegsverschluss) können unter Um- Pancuroniums werden in der Leber metaboli-
ständen zu einer Wirkungsverlängerung von siert.
solchen nicht depolarisierenden Muskelrela-
xanzien führen, die in einem stärkeren Maße in Wirkungen und Nebenwirkungen
der Leber metabolisiert oder unverändert über Pancuronium bewirkt eine leichte Blockierung
die Galle ausgeschieden werden. Auch bei die- des Parasympathikus (→ S. 66) und erzeugt da-
sen Erkrankungen ist ein Relaxans vorzuziehen, mit wie Atropin (→ S. 9) eine Vagusblockade.
dessen Wirkungsdauer unabhängig von der Le- Diese leichte Vagusblockade führt meist zu ei-
ber- und Gallenfunktion ist (Atracurium oder ner Herzfrequenzsteigerung und gelegentlich
cis-Atracurium). Ansonsten sollten diejenigen zu einem leichten Blutdruckanstieg. Pancuroni-
nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien be- um verursacht keine relevante Histaminfreiset-
vorzugt werden, die hauptsächlich über die zung.
Nieren ausgeschieden werden.
Kontraindikation
Da Pancuronium größtenteils unverändert über
Interaktionen mit anderen die Nieren ausgeschieden wird, muss es bei nie-
Medikamenten reninsuffizienten Patienten vorsichtig dosiert
bzw. vermieden werden.
Alle nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien
! werden in ihrer Wirkung durch verdampfbare In- Darreichungsform
halationsanästhetika verstärkt. ● Brechampulle zu 2 ml = 4 mg

Bei Isofluran, Sevofluran und Desfluran (→ S. Es hat sich bewährt, Pancuronium 1 : 1 mit NaCl
42) ist dies stärker ausgeprägt als bei dem frü- 0,9 % zu verdünnen (1 ml enthält dann 1 mg).
her verwendeten Halothan (→ S. 40). Verschie-
dene Antibiotika (z. B. Aminoglykosidantibioti-
1.10  Muskelrelaxanzien 69

Dosierung Bei Patienten mit Erkrankungen der Nieren


● initiale Vollrelaxierung: oder Leber und Gallenwege kann eine Dosisre-
ca. 0,08 mg/kg KG = 6 mg beim Erwach­ duktion notwendig sein.
senen
● Nachinjektionsdosis:

ca. 20 % der Initialdosis = 1(–2) mg beim Er- Rocuronium (Esmeron®)


wachsenen
Rocuronium ist ein relativ neues, chemisch dem

Pancuronium und Vecuronium verwandtes, nicht
Vecuronium (Norcuron®) depolarisierendes Muskelrelaxans. Rocuronium
ist das nicht depolarisierende Relaxans mit dem
Vecuronium ist ein Abkömmling des Pancuroni- schnellsten Wirkungsbeginn. Der Wirkungsbeginn

ums. Vecuronium gehört zu den mittellang wirksa- tritt nach ca. 1,5 Minuten ein. Die Wirkungsdau-
men Relaxanzien. Vecuronium unterscheidet sich er dieses mittellang wirkenden Relaxans beträgt
von Pancuronium durch seine kürzere Wirkungs- 30–40 Minuten.
dauer von ca. 30–40 Minuten. Bei Neugeborenen
und Säuglingen ist die Wirkung von Vecuronium Rocuronium wird unverändert zu ca. 40 % über
deutlich verlängert. Vecuronium wird in vielen Kli- die Niere und zu ca. 60 % über die Galle ausge-
niken noch sehr häufig eingesetzt. schieden. Eine Metabolisierung in der Leber
findet nicht statt.
Vecuronium wird zu 40–50 % über die Niere
ausgeschieden. 30–40 % werden in der Leber Wirkungen und Nebenwirkungen
metabolisiert. Der Rest wird unverändert über Rocuronium führt zu keiner Histaminfrei­
die Galle ausgeschieden. setzung. In höheren Dosierungen blockiert
Rocuronium (ähnlich wie Pancuronium) die
Wirkungen und Nebenwirkungen ACh-Rezeptoren der postganglionären para-
Vecuronium hat keine relevanten Wirkungen sympathischen Neurone (→ S. 66) und führt
an den sympathischen oder parasympathischen dadurch zu einer leichten Tachykardie.
Acetylcholinrezeptoren (→ S. 66). Nebenwir-
kungen am Herz-Kreislauf-System sind daher Indikation
nicht zu erwarten. Eine Histaminfreisetzung Rocuronium wird zunehmend häufiger als Rou-
tritt ebenfalls nicht auf. tinerelaxans für längere Operationen (> ca. 45
min) eingesetzt.
Darreichungsform
● 1 Durchstechflasche zu 10 mg Trockensub- Darreichungsform
stanz: ● 1 Ampulle à 5 ml enthält 50 mg Rocuroni-

Die Durchstechflasche mit 10 mg Trocken- um, 1 ml = 10 mg


substanz ist mit 10 ml Aqua ad injectabilia ● 1 Ampulle à 10 ml enthält 100 mg Rocuroni-

aufzulösen (1 ml enthält dann 1 mg). um, 1 ml = 10 mg

Dosierung Dosierung
● initiale Vollrelaxierung: ● initiale Vollrelaxierung:

ca. 0,08 mg/kg KG = 6 mg beim Erwach­ 0,6–0,8 mg/kg KG


senen ● Nachinjektionsdosis:

● Nachinjektionsdosis: 0,15 mg/kg KG


ca. 30 % der Initialdosis = 2 mg beim Erwach- ● Infusionsdosis:

senen nach Gabe einer Initialdosis 0,3–0,6 mg/


kg KG/h
70 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Lagerung Dosierung
Rocuronium muss kühl (unter 8 °C) gelagert ● initiale Vollrelaxierung:

werden! 0,3–0,6 mg/kg KG


● Nachinjektionsdosis:

0,1–0,2 mg/kg KG
● Infusionsdosis:
Atracurium (Tracrium®)
nach Gabe einer Initialdosis 0,3–0,6 mg/
Atracurium ist ein nicht depolarisierendes Mus- kg KG/h per infusionem

kelrelaxans mit mittellanger Wirkdauer. Chemisch
gehört es zu den Estern. Ungefähr 2–3 Minuten Lagerung
nach Injektion beginnt die ca. 30–40 Minuten Atracurium muss bis kurz vor Gebrauch bei
dauernde Wirkung. 4–5 °C und lichtgeschützt gelagert werden!

Der Abbau von Atracurium ist im Gegensatz zu


den anderen nicht depolarisierenden Muskelre- Cis-Atracurium (Nimbex®)
laxanzien nicht enzymgebunden, sondern fin-
det chemisch durch Esterspaltung (unabhängig Cis-Atracurium ist als Nachfolgerelaxans von
von der Pseudocholinesterase; ca. ⅔) und durch Atracurium (→ oben) zu betrachten. Atracuri-
spontanen, nicht enzymatischen Abbau, durch um besteht aus einem Gemisch aus 10 Ste-
die sog. Hofmann-Eliminierung (ca. ⅓), statt. reoisomeren. Stereoisomere sind Moleküle, die
zwar aus der gleichen Anzahl verschiedener
Selbst bei Leber- oder Niereninsuffizienz ist daher Atome bestehen (also die gleiche Summenfor-
! mit keiner Wirkungsverlängerung zu rechnen. mel haben), die aber eine unterschiedliche
räumliche Anordnung der Atome aufweisen.
Cis-Atracurium enthält lediglich das sog. cis-
Nebenwirkungen Stereoisomer des Atracuriums. Dies macht ca.
Vor allem nach hohen Atracuriumdosen kann 15 % des Atracuriumgemisches aus.
es unter Umständen zu einer stärkeren Hist- Cis-Atracurium gehört wie Atracurium zu den
aminfreisetzung mit Hautrötung, Tachykardie, mittellang wirksamen Relaxanzien. Es wird zu
Blutdruckabfall und Bronchospasmus kommen. ca. 90 % durch die Hofmann-Elimination abge-
Durch eine langsame Injektionsgeschwindig- baut (→ oben), im Gegensatz zum Atracurium
keit kann die Histaminfreisetzung vermindert findet jedoch kein zusätzlicher relevanter Ab-
werden. bau durch Esterspaltung (→ oben) statt.
Abbauprodukte des Atracuriums (Laudanosin, Die pharmakokinetischen Größen des cis-Atra-
Monoacrylat) können (falls Atracurium extrem curiums entsprechen weitgehend denen des
hoch dosiert wird) unter Umständen zu zere- Atracuriums. Die Wirkungsdauer einer übli-
bralen Krampfanfällen oder auch Interaktionen chen Intubationsdosis wird mit ca. 45 Minuten
mit anderen Medikamenten führen. angegeben.

Darreichungsform Bei nieren- oder leberinsuffizienten Patienten muss


1 Ampulle à 2,5 ml enthält 25 mg Atracurium, 1 ! keine Wirkungsverlängerung befürchtet werden.
ml = 10 mg; 1 Ampulle à 5,0 ml enthält 50 mg
Atracurium, 1 ml = 10 mg. In der Praxis hat sich
bewährt, Atracurium mit NaCl 0,9 % 1 : 1 zu Nebenwirkungen
verdünnen, sodass 1 ml = 5 mg Atracurium ent- Cis-Atracurium führt im Gegensatz zu Atracu-
hält. rium zu keiner Histaminfreisetzung mehr. Die
Laudanosinkonzentration nach Gabe von cis-
1.10  Muskelrelaxanzien 71

Atracurium beträgt nur ca. 10–20 % derjenigen stellt kein relevantes Problem mehr dar. Auch
nach Gabe von Atracurium. Es verursacht keine nach einer längeren Infusion über mehrere
relevanten Kreislaufveränderungen. Stunden ist die Erholungszeit nicht verlängert.

Darreichungsform Nebenwirkungen
● Ampullen zu 2,5 ml bzw. 5 ml = 5 mg bzw. 10 Bei höherer Dosierung oder schnellerer Injekti-
mg; 1 ml = 2 mg onsgeschwindigkeit kann eine Histaminfreiset-
zung auftreten und zu Gesichtsrötung und
Dosierung leichtem Blutdruckabfall führen. Es ist daher
● initiale Vollrelaxierung: eine langsame Injektionsgeschwindigkeit zu
0,1–0,15 mg/kg KG empfehlen (über ca. 30 Sekunden). Dadurch
● Nachinjektionsdosis: lässt sich dieses Problem minimieren. Es sind
0,015–0,02 mg/kg KG keine klinisch relevanten Kreislaufveränderun-
● Infusionsdosis: gen zu erwarten.
nach Gabe einer Initialdosis 1–2–3 µg/
kg KG/min; 0,06–0,12–0,18 mg/kg KG/h per Indikationen
infusionem Als Indikationen für das kurz wirksame Miva-
curium bieten sich vor allem kurze Eingriffe
(z. B. kurze HNO-Eingriffe, Bronchoskopien)
Mivacurium (Mivacron®) und ambulante Eingriffe an.
Mivacurium wird zunehmend häufiger als Rou-
Mivacurium ist das am kürzesten wirkende nicht tinerelaxans für kürzere Operationen (< ca. 30

depolarisierende Relaxans. Der Wirkungsbeginn min) eingesetzt.
ist vergleichbar schnell wie bei Vecuronium oder
Atracurium. Die Wirkungsdauer einer üblichen In- Darreichungsform
tubationsdosis beträgt nur 15–20 Minuten, die ei- ● Ampullen à 5/10 ml = 10/20 mg; 1 ml = 2 mg
ner üblichen Repetitionsdosis ca. 10–15 Minuten.
In der Praxis hat es sich bewährt, Mivacurium
Micvacurium ist in Deutschland seit 1996 im mit NaCl 0,9 % 1 : 1 zu verdünnen, sodass 1 ml =
Handel. 1 mg Mivacurium enthält.
Mivacurium wird – ähnlich wie Succinylcholin
(→ S. 73) – nahezu vollständig von der Plasma- Dosierung
cholinesterase (Pseudocholinesterase) abgebaut. ● initiale Vollrelaxierung:

(0,15–)0,2(–0,25) mg/kg KG
Bei Patienten mit einer deutlich erniedrigten Kon- ● Nachinjektionsdosis:
! zentration der Pseudocholinesterase (z. B. wegen (0,05–)0,1 mg/kg KG
schwerer Leberfunktionsstörung; Normalwert Frau- ● Infusionsdosis:
en: 5,3–12,9 kU/l; Männer: 4,3–11,3 kU/l) oder nach Gabe einer Initialdosis 6–8 µg/kg KG/
bei Vorliegen einer angeborenen atypischen Pseu- min; 0,4–0,5 mg/kg KG/h per infusionem
docholinesterase ist – wie auch bei Succinylcholin
– mit einer Wirkungsverlängerung zu rechnen.
Antagonisierung
Aufgrund der schnellen Metabolisierung ist bei
Mivacurium keine Kumulation zu erwarten. Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien kon-
Mivacurium eignet sich aufgrund der kurzen kurrieren mit dem ACh um den begehrten Re-
Wirkdauer auch gut für eine kontinuierliche In- zeptorplatz. Beide können sich gegenseitig aus
fusion. Die Gefahr eines Relaxansüberhangs dieser Verbindung verdrängen, je nachdem, wel-
72 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

che Substanz in höherer Konzentration vorhan- der Vagusblockade, erkennbar am Anstieg der
den ist (= kompetitive Bindung). Das von den Herzfrequenz, den Cholinesterasehemmer Py-
motorischen Nervenendigungen freigesetzte ridostigmin oder Neostigmin (→ unten) zu ver-
ACh wird durch ein Enzym, die sog. Acetylcho- abreichen. Atropin kann aber auch mit Pyrido-
linesterase, normalerweise sehr schnell wieder stigmin oder Neostigmin gemeinsam aus einer
abgebaut und damit inaktiviert (→ S. 64). Durch „Mischspritze“ verabreicht werden, da Atropin
die Hemmung der Acetylcholinesterase (mit ei- einen schnelleren Wirkungsbeginn aufweist als
nem sog. Cholinesterasehemmer) wird der Ace- Neostigmin oder Pyridostigmin.
tylcholinabbau blockiert, es kommt zu einer Bei der Antagonisierung der nicht depolarisie-
starken Konzentrationserhöhung des ACh. renden Muskelrelaxanzien ist Vorsicht geboten
Durch diese starke Erhöhung der ACh-Konzen- bei Patienten mit:
tration kann ACh das nicht depolarisierende ● Asthma bronchiale:

Muskelrelaxans aus seiner Rezeptorbindung ver- Unter Umständen kann es trotz zusätzlicher
drängen. ACh kann damit wieder an seine Re- Atropingabe zu einem Bronchospasmus und
zeptoren gelangen, eine Depolarisation und da- zu einer vermehrten Sekretbildung im Bron-
mit eine Kontraktion auslösen. Diese Tatsache chialsystem kommen!
wird genutzt, wenn die Wirkung der nicht depo- ● Bradykardien oder AV-Blockierungen:

larisierenden Muskelrelaxanzien mit einem Ge- Unter Umständen kann es trotz zusätzlicher
genmittel (= Antidot) aufgehoben (= antagoni- Atropingabe zu einer weiteren Abnahme der
siert) werden soll. Die Wirkung von nicht Herzfrequenz oder einer Verstärkung der AV-
depolarisierenden Muskelrelaxanzien kann also Blockierung kommen.
dadurch antagonisiert werden, dass als Gegen-
mittel (= Antidot) ein Cholinesterasehemmer Der Erfolg einer Antagonisierung kann klinisch
verabreicht wird. Diese Cholinesterasehemmer anhand der zurückkehrenden Muskelkraft oder
wirken jedoch nicht ausschließlich an der moto- objektiv mithilfe der Relaxometrie (→ S. 76)
rischen Endplatte, sondern auch vor allem an überwacht werden.
den zweiten (= postganglionären) Neuronen im
parasympathischen Nervensys­tem (→ S. 66).
Diese Neurone setzen als Überträgersubstanz Antidote (Cholinesterasehemmer)
ebenfalls ACh frei. Da es hier auch zu einer Ver-
mehrung des ACh kommt, resultiert daraus eine Neostigmin (Neostigmin DeltaSelect)
verstärkte Wirkung des Parasympathikus. Es zei-
gen sich daher folgende, für eine Parasympathi- Darreichungsform
kusstimulierung typischen Nebenwirkungen: ● Brechampulle zu 1 ml; 1 ml = 0,5 mg

● Bradykardie

● vermehrte Speichel- und Bronchialsekret- Dosierung


produktion ● wiederholte Einzeldosen von 0,5 mg:

● Krampfzustände der glatten Muskulatur Die durchschnittliche Erwachsenendosis be-


(z. B. im Darmbereich und im Bronchialsys­tem) trägt 2,5 mg, die Maximaldosis 5 mg.
● Zusätzlich sollten 0,25–1,0 mg Atropin ver-

Diese unerwünschten Nebenwirkungen bei der abreicht werden.


Antagonisierung von nicht depolarisierenden
Muskelrelaxanzien können dadurch vermieden
werden, dass gleichzeitig das vagushemmende Pyridostigmin (Mestinon®)
Medikament Atropin (→ S. 9) verabreicht wird.
Hierbei ist es möglich, zuerst Atropin intrave- Pyridostigmin wird aufgrund seiner längeren
nös zu verabreichen und erst nach Einsetzen Wirkung oft dem Neostigmin vorgezogen.
1.10  Muskelrelaxanzien 73

Darreichungsform kelzellmembran trifft. Das Wirkungsende der


● Stechampullen zu 5 ml; 1 ml = 5 mg depolarisierenden Muskelrelaxanzien tritt ein,
wenn diese sich nach einigen Minuten wieder
Dosierung aus der Rezeptorbindung lösen, abtransportiert
● wiederholte Einzeldosen von 5 mg bis maxi- und durch das im Blut vorhandene Enzym Plas-
mal 15–20 mg: macholinesterase (Pseudocholinesterase) abge-
Die durchschnittliche Erfolgsdosis beträgt baut werden (→ unten). Es werden damit wie-
10 mg beim Erwachsenen. der zunehmend mehr Rezeptoren für das ACh
● Zusätzlich sollten 0,25–1,0 mg Atropin ver- frei.
abreicht werden.
Im Gegensatz zu den nicht depolarisierenden
! Muskelrelaxanzien, die durch eine erhöhte ACh-
Konzentration aus dieser Rezeptorbindung ver-
1.10.3 Depolarisierende drängt werden können (= kompetitive Bindung;
Muskelrelaxanzien → S. 65), ist dies bei den depolarisierenden Mus-
kelrelaxanzien nicht möglich. Sie sind damit auch
nicht antagonisierbar.
Wirkungsweise
Depolarisierende Muskelrelaxanzien sind Me-
 Klinisch wichtiges Medikament
dikamente, die sich ebenfalls an die Rezeptoren
des Acetylcholins (ACh) im Bereich der moto-
Succinylcholin (z. B. Pantolax®,
rischen Endplatte (→ S. 64) anlagern können.
Lysthenon®)
Sie erzeugen dabei wie ACh eine Depolarisation
der Muskelzellmembran und werden deshalb Succinylcholin (= Succinyldicholin = Suxa­
als depolarisierende Muskelrelaxanzien bezeich- 
methonium = Succinylbischolin) ist das einzige
net. depolarisierende Muskelrelaxans, das klinische
Bedeutung hat. Succinylcholin ist durch einen
Während jedoch ACh innerhalb von Millise- sehr schnellen Wirkungseintritt innerhalb von 30
kunden durch das Enzym Acetylcholinesterase Sekunden sowie durch eine kurze Wirkungsdauer
wieder abgebaut und inaktiviert wird (→ S. 64), von nur 3–5 Minuten gekennzeichnet.
können die depolarisierenden Muskelrela­­-
x­anzien von der Acetylcholinesterase nicht
inaktiviert werden. Depolarisierende Muskelre- Wirkungen und Metabolisierung
laxanzien bleiben einige Minuten in der Rezep- Bei Wirkungsbeginn tritt für einige Sekunden
torbindung und erzeugen dabei eine Dauerde- ein unkoordiniertes Muskelzucken auf (→
polarisation der Muskelzellmembran. Auf diese oben). Danach tritt eine schlaffe Lähmung
Dauerdepolarisation kann die Muskelzelle je- ein.
doch nicht mit einer Dauerkontraktion, son- Die Wirkungsbeendigung des Succinylcholins
dern nur mit einer kurzfristigen Muskelzu­- ist durch dessen Wegdiffusion vom ACh-
ckung bei Beginn der Depolarisation reagieren. Rezeptor und einen schnellen enzymatischen
Danach ist die Muskelzelle erschlafft (Depola- Abbau im Blut bedingt. Das hierfür zustän­-
risationsblock oder Phase-I-Block). Das bei dige Enzym, die sog. Pseudocholinesterase
einem neu ankommenden Nervenimpuls frei- (oder Plasmacholinesterase), wird in der
gesetzte ACh kann nun keine Muskelkontrakti- Leber produziert und ist nur im Blut vorhan-
on mehr auslösen, da das ACh auf besetzte den.
Rezeptoren und eine bereits depolarisierte Mus-
74 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Sehr schwere Leberschädigungen können unter block kann durch einen Cholinesterasehemmer
! Umständen zu einer Bildungsstörung dieser Pseu- (→ S. 72) wie Neostigmin oder Pyridostigmin
docholinesterase (Normalwert Frauen: 5,3–12,9 antagonisiert werden.
kU/l; Männer: 4,3–11,3 kU/l) und damit zu einem
verzögerten Abbau des Succinylcholins mit einer Nebenwirkungen
Wirkungsverlängerung führen. Bei einem erwor- ● Muskelfibrillieren:
benen Mangel an Pseudocholinesterase muss Bei Wirkungsbeginn des Succinylcholins
Succinylcholin vorsichtig dosiert werden. treten für einige Sekunden unkoordinierte
Muskelzuckungen auf, die als Muskelfibril-
Sehr selten gibt es Patienten, die aufgrund einer lieren oft erkennbar sind. Dieses initiale
genetischen Störung eine abnorme Pseudocho- Muskelfibrillieren kann die Ursache post-
linesterase besitzen. Diese veränderte (atypi- operativer Muskelschmerzen, ähnlich einem
sche) Pseudocholinesterase kann Succinylcho- Muskelkater, sein. Wird vor der Injektion des
lin nur sehr langsam abbauen. Bei diesen Succinylcholins eine kleine, nicht lähmende
Patienten kann es dadurch zu einer Wirkungs- Dosis eines nicht depolarisierenden Muskel-
verlängerung des Succinylcholins um mehrere relaxans (ca. 10–15 % der zur initialen Voll-
Stunden kommen. Ob ein Patient Träger einer relaxierung benötigten Dosis) – beim Er-
atypischen Pseudocholinesterase ist, kann an- wachsenen z. B. 1 mg Pancuronium, 1 mg
hand der sog. (und in jedem Labor leicht zu be- Vecuronium oder 10–15 % der initialen
stimmenden) Dibucainzahl ermittelt werden. Atracurium-, cis-Atracurium- oder Rocuro-
Da depolarisierende Muskelrelaxanzien wie niumvolldosis – verabreicht, so wird hier-
Succinylcholin nicht antagonisiert werden kön- durch bereits ein Teil der Acetylcholinrezep-
nen, müssen solche Patienten evtl. bis zum Wir- toren blockiert und für Succinylcholin
kungsende des Succinylcholins nachbeatmet unzugänglich. Das initiale Muskelfibrillieren
werden. In Ausnahmefällen kann auch eine nach Succinylcholingabe kann dadurch ver-
Transfusion von frisch gefrorenem Blutplas­- mindert oder ganz vermieden werden. Diese
ma (= FFP; → S. 138) durchgeführt werden, Gabe einer kleinen, nicht lähmenden Dosis
wodurch dem Patienten die im FFP enthaltene eines nicht depolarisierenden Relaxans vor
„normale“ Pseudocholinesterase zugeführt der Verabreichung von Succinylcholin wird
wird. als Präcurarisierung bezeichnet (→ S. 116).
Beim Abbau des Succinylcholins durch die ● Kaliumfreisetzung:

Pseudocholinesterase entsteht in einem ersten, Da Succinylcholin ein depolarisierendes


sehr schnell ablaufenden Schritt, das Succinyl- Muskelrelaxans ist, bewirkt es eine Depolari-
monocholin. In einem zweiten, 6-mal langsa- sation der Muskelzellmembranen mit Ein-
mer ablaufenden Schritt, wird dieses Succinyl- strom von Natrium in die Muskelzellen und
monocholin vollends (zu Cholin und Ausstrom von Kalium aus den Muskelzellen.
Bernsteinsäure) gespalten. Müssen hohe Dosen Durch diesen Kaliumausstrom aus den Zel-
von Succinylcholin abgebaut werden, so staut len kommt es normalerweise zu einem ge-
sich daher dieses Succinylmonocholin an. Da ringen Anstieg der extrazellulären Kalium-
Succinylmonocholin die Eigenschaften eines konzentration um ca. 0,5 mmol/l. Bei einigen
nicht depolarisierenden Muskelrelaxans hat, Krankheitsbildern kann es jedoch nach Suc-
kann es hierdurch zu einer lang anhaltenden cinylcholingabe zu einem enormen Anstieg
nicht depolarisierenden Muskelblockade, zu ei- der Kaliumkonzentration kommen, wodurch
nem sog. Dualblock (Phase-II-Block) kom- unter Umständen Herzrhythmusstörungen,
men. Dieser Dualblock tritt aber erst auf, wenn Kammerflimmern oder gar ein Herzstill-
sehr hohe Dosen von Succinylcholin verab- stand (= Asystolie) verursacht werden kön-
reicht wurden (mehr als ca. 400 mg). Ein Dual- nen. Besonders gefährdet sind vor allem nie-
1.10  Muskelrelaxanzien 75

reninsuffiziente Patienten mit erhöhter Durch eine Vagusblockade mit Atropin las-
Kaliumkonzentration, polytraumatisierte sen sich diese vagalen Herzrhythmusstörun-
Patienten, wenn die Verletzungen älter als gen des Succinylcholins vermeiden bzw.
eine Woche sind, oder Patienten mit großflä- meist sofort therapieren. Auch durch die
chigen, über eine Woche alten Verbrennun- Vorgabe einer kleinen Menge eines nicht de-
gen. Auch bei Patienten mit einer Innervati- polarisierenden Muskelrelaxans können die-
onsstörung der Muskulatur, wie z. B. einer se vagalen Reaktionen vermindert werden.
Querschnittsverletzung, die älter als eine Werden diese vagalen Reflexe durch Atropin
Woche ist, und bei Patienten, die schon län- geblockt, so kann die leichte Stimulierung
gere Zeit immobilisiert sind („Langlieger“), des sympathischen Nervensystems durch
kann es nach Succinylcholingabe zu einem Succinylcholin in Form einer Blutdruck- und
bedrohlichen Anstieg der Kaliumkonzentra- Herzfrequenzsteigerung auffallen (→ oben).
tion kommen.
● Histaminfreisetzung:
● Wirkungen im vegetativen Nervensystem: Succinylcholin kann häufig eine Histamin-
Succinylcholin wirkt nicht selektiv an den freisetzung verursachen. Folgen einer Hist-
ACh-Rezeptoren der motorischen Endplatte, aminfreisetzung können z. B. ein fleckförmi-
sondern kann, wie die nicht depolarisieren- ges Exanthem, vor allem im Gesicht und am
den Muskelrelaxanzien, auch an den ACh- oberen Körperstamm, selten ein Blutdruck-
Rezeptoren des vegetativen Nervensystems abfall und eine Tachykardie sowie sehr selten
wirken (→ S. 66). Dabei wirkt Succinylcholin bronchospastische Zustände sein. Es wurden
normalerweise vor allem im Bereich der auch schon schwere anaphylaktoide Reaktio-
postganglionären parasympathischen Fasern. nen beschrieben.
Die Wirkung an den anderen vegetativen
● Steigerung des Augeninnendrucks:
Nervenfasern, die ACH als Neurotransmitter Bei Wirkungsbeginn des Succinylcholins
benutzen, ist deutlich geringer. Als depolari- kommt es auch an den äußeren Augenmus-
sierendes Muskelrelaxans führt Succinylcho- keln zu einer kurzfristigen Muskelkontrakti-
lin zu einer Depolarisation mit einer anfäng- on und dadurch zu einem kurzfristigen An-
lichen kurzfristigen Stimulierung. Auch im stieg des Augeninnendrucks (→ S. 283).
parasympathischen Nervensystem kommt es
● Steigerung des Mageninnendrucks:
zu einer kurzfristigen, initialen Stimulierung. Die initialen Muskelkontraktionen auch der
Eine Stimulierung des Nervus vagus, dem Bauchmuskulatur sowie die initiale Vagus-
wichtigsten Nerven des parasympathischen stimulierung können zu einer Drucksteige-
Nervensystems, kann sich in einer Verlangsa- rung im Magen mit der Gefahr eines passi-
mung der Herzfrequenz (Bradykardie), in ei- ven Hochlaufens von Mageninhalt, einer
ner Bradyarrhythmie oder im Extremfall in Regurgitation (→ S. 211), führen. Insbeson-
einer Asystolie äußern. Die initiale Stimulie- dere bei der Narkoseeinleitung von nicht
rung des Nervus vagus erklärt auch eine nach nüchternen Patienten ist dies zu beachten.
Succinylcholingabe auftretende Zunahme Die Vorgabe einer kleinen Menge eines nicht
der Bronchial-, Speichel- und Magensaftpro- depolarisierenden Muskelrelaxans wird da-
duktion sowie eine Tonussteigerung im Ma- her meist empfohlen (sog. Präcurarisierung;
gen-Darm-Trakt. Die vagalen Reaktionen am → S. 74, 116).
Herzen können insbesondere bei zu schneller
● Wirkungen auf den Uterus:
Injektion oder bei Nachinjektionen von Suc- Succinylcholin kann die Plazentaschranke
cinylcholin auftreten. Bei Kindern und nicht überschreiten. Bei Succinylcholingabe
Schwangeren sind diese vagalen Reflexe be- zur Narkoseeinleitung beim Kaiserschnitt ist
sonders häufig und treten manchmal schon daher mit keiner Relaxierung des Neugebo-
bei der Erstinjektion des Succinylcholins auf. renen zu rechnen.
76 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

● maligne Hyperthermie: Inzwischen wird der routinemäßige Einsatz von


Succinylcholin kann eine maligne Hyper- ! Succinylcholin abgelehnt! Bei einer geplanten,
thermie (→ S. 212) auslösen. voraussichtlich unkomplizierten Intubation soll
● Rhabdomyolyse: auf Succinylcholin zugunsten eines nicht depolari-
Nach einer Succinylcholingabe kann es zu sierenden Muskelrelaxans verzichtet werden.
einer Rhabdomyolyse (= Auflösung querge- Anerkannte Indikationen sind weiterhin die „Ile-
streifter Muskelfasern) kommen. Die Rhab- useinleitung“ („Blitzintubation“) beim nicht
domyolyse ist ein Symptom der malignen nüchternen Patienten (→ S. 210) sowie die Not-
Hyperthermie (→ S. 212). Die meisten Fälle wendigkeit einer sofortigen Intubation oder eines
einer succinylcholinbedingten Rhabdomyo- sofortigen Freimachens der Atemwege (z. B. bei
lyse wurden bei Jungen beobachtet. Es wird einem Laryngospasmus).
vermutet, dass es sich um klinisch noch un-
auffällige Jungen handelte, bei denen eine Darreichungsform
bisher unbekannte Muskelstörung (Myopa- Für Pantolax®:
thie; vor allem eine Muskeldystrophie vom ● Ampullen mit 2%iger Lösung zu 5 ml = 100

Typ Duchenne) vorlag. Bei diesen Myopa- mg; 1 ml = 20 mg


thien befinden sich Acetylcholinrezeptoren ● Ampullen mit 1%iger Lösung zu 10 ml (= 100

auch in großer Anzahl außerhalb der moto- mg); 1 ml = 10 mg


rischen Endplatte (auf der gesamten Muskel-
zelloberfläche). Zumeist wird die 2%ige Lösung verwendet.
Bei Succinylcholingabe kommt es durch die
initiale Erregung dieser großen Anzahl an Dosierung
ACh-Rezeptoren zur massiven Kaliumfrei- ● initiale Vollrelaxierung:

setzung aus den Muskelzellen. Folge kann – bei Erwachsenen:


eine Bradykardie und evtl. ein therapieresis­ ca. 1–1,5 mg/kg KG intravenös
tenter Herzstillstand sein. Vergleichbare – bei Kindern:
Probleme können auch nach Verbrennun- ca. 1,5–2 mg/kg KG intravenös
gen, Querschnittslähmungen oder Immobi- – bei Neugeborenen und Säuglingen:
lisierung (> ca. 1 Woche) auftreten. ca. 2–3 mg/kg KG intravenös
Eine Rhabdomyolyse führt auch zu einer ● Wiederholungsdosis (falls unbedingt nötig):

Freisetzung von Myoglobin aus geschädigten ca. die Hälfte der Initialdosis
Muskelfaserzellen und zu dessen Ausschei-
dung über den Urin (Myoglobinurie) mit ei-
ner rotbraunen Verfärbung des Urins.
Da viele Myopathien im Kindesalter klinisch 1.11 Neuromuskuläres
noch nicht erkennbar sind, sondern sich meist Monitoring (Relaxometrie)
erst im späteren Alter äußern, darf Succinyl-
cholin bei Kindern (und auch bei Erwachse-
nen) nicht mehr routinemäßig bei Wahlein- 1.11.1 Relaxationsgrad
griffen verwendet werden (→ unten).
Beurteilung anhand klinischer
Indikationen
Parameter
Wegen des schnellen Wirkungseintritts und der
kurzen Wirkungsdauer wurde Succinylcholin Wird ein Muskelrelaxans verabreicht, so kommt
lange Zeit als das Relaxans der Wahl zur Intuba- es erst dann zu einer beginnenden Muskelläh-
tion eingesetzt. Gelang z. B. die Intubation nicht, mung bzw. einer Abnahme der Zuckungsampli-
so konnte der Patient bereits nach wenigen Mi- tude (→ S. 77), wenn mehr als ca. 70–75 % der
nuten wieder spontan atmen. Acetylcholinrezeptoren blockiert sind. Sind
1.11  Neuromuskuläres Monitoring (Relaxometrie) 77

mehr als ca. 95 % der Rezeptoren besetzt, liegt ● mindestens 5 Sekunden lang den Kopf anhe-
eine vollständige Muskellähmung vor, es kommt ben (besonders sensibler Test)
bei der Reizung eines motorischen Nerven zu ● Augen öffnen

keiner Zuckungsreaktion mehr (vgl. Tab. 1-8). ● Zunge herausstrecken

Die Wirkungsdauer einer bestimmten Muskel- ● Hand drücken

relaxansdosis kann je nach Patient evtl. deutlich ● den gestreckten Arm anheben

variieren. Beispielsweise können Nieren- oder


Lebererkrankungen, extreme Gewichts- oder Außerdem sollte der Patient gegen den Tubus
Altersklassen, ein Abfall der Körpertemperatur anhusten können (zumindest beim Absaugen).
oder mögliche Wechselwirkungen mit anderen
Medikamenten (z. B. verstärken volatile Inha­ Für einen Relaxansüberhang sprechen:
lationsanästhetika die Wirkung von nicht depo- ● unruhige, ruckartige Bewegung der Extre-

larisierenden Relaxanzien) die individuelle mitäten


Empfindlichkeit auf ein Relaxans deutlich be- ● nur unvollständige Augenöffnung unter

einflussen. Ob die Wirkung eines Relaxans be- Runzeln der Stirn


reits abgeklungen ist oder ob sie noch andauert, ● unkoordinierte Schaukelatmung

kann subjektiv anhand klinischer Parameter, ● schwacher, kraftloser Hustenstoß beim en-

aber auch objektiv mittels Relaxometrie beur- dotrachealen Absaugen


teilt werden. ● kraftloser Händedruck

Damit ein Patient extubationsfähig ist, sollte er ● evtl. Stresssymptome wie Tachykardie, Blut-

Folgendes auf Aufforderung können: druckanstieg

Tab. 1-8  Beurteilung der Relaxationstiefe (nähere Erklärungen → Text)


Blockierte Zuckungs- Neuro- T4/T1- TOF-Zahl Reizant- Klinische
Rezep- amplitude muskuläre Quotient wort Beurteilung
toren (Reizantwort Blockade
(%) T1) (%) (%)
< 75 100   0 1 4 keine Relaxation
 90  10 (≥ 0,7) 0,8–0,9 4 Extubation
möglich
 75  25 0,5 4 Kopfheben nicht
möglich, VK ↓
 50  50 0,2 4 AZV ↓, VK ↓↓
 25  75 0 3 (chirurgische
Relaxation)
 20  80 0 2 chirurgische
Relaxation
 10  90 0 1 Intubation und
chirurgische
Relaxation
100   0 100 0 0 Intubation und
chirurgische
Relaxation
AZV = Atemzugsvolumen; VK = Vitalkapazität
78 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Es ist zu beachten, dass verschiedene klinische


! Funktionsprüfungen wie das Kopfheben nach
1.11.2 Wirkprinzip
einer Bauchoperation schmerzbedingt einge- Die Relaxometrie basiert darauf, dass ein peri-
schränkt sein können. Auch ein Narkoseüberhang pherer Nerv, der einen bestimmten Muskel in-
(z. B. durch ein volatiles Inhalationsanästhetikum) nerviert, mittels eines peripheren Nervenstimu-
kann die klinische Überprüfung der Restrelaxati- lators elektrisch gereizt wird. Die auftretende
on verfälschen. Die klinische Beurteilung des Re­ Reizantwort des Muskels wird visuell, taktil
laxationsgrades kann schwierig und irreführend oder apparativ-technisch beurteilt. Bei dem
sein und dazu führen, dass am Operationsende verwendeten elektrischen Stimulationsreiz
ein noch anrelaxierter Patient extubiert wird. muss es sich um einen sog. supramaximalen
Reiz handeln. Eine supramaximale Reizung ist
aus folgenden Gründen wichtig: Die Reizant-
Beurteilung anhand wort (Kontraktionskraft, Zuckungsamplitude)
der Relaxometrie bei Stimulation eines peripheren Nervs hängt
davon ab, wie viele Nervenfasern (mit den
Zur objektiven Abschätzung des Relaxations- dazugehörenden Muskelfasern) des stimulier-
grades kann ein peripherer Nervenstimulator ten Nervs erregt werden. Mit zunehmender
verwendet werden. Die Überwachung des Rela- Reizstärke werden immer mehr Nervenfasern
xationsgrades mithilfe eines peripheren Ner- mit den zugehörenden Muskelfasern erregt,
venstimulators wird als Relaxometrie, der dazu bis schließlich durch den Reiz alle Nervenfa­
verwendete periphere Nervenstimulator als Re- sern des stimulierten Nervs erregt werden
laxometer bezeichnet. und damit die maximale Reizantwort erzielt
Bei einer Überwachung der neuromuskulären wird.
Funktion mittels Relaxometrie kann Ein für die Relaxometrie verwendeter sog. su-
● der aktuelle Relaxationsgrad auch bei unko- pramaximaler Reiz ist mindestens um 25 % grö-
operativen oder bewusstlosen Patienten be- ßer als der Reiz, mit dem gerade die maximale
urteilt werden. Reizantwort erzielt wird. Diese Sicherheitsre-
● der Wirkungsbeginn eines Relaxans erfasst serve ist notwendig, um auch bei einer im Laufe
und somit verhindert werden, dass die Intu- der Zeit auftretenden Zunahme des Hautwider-
bation zur früh versucht wird, also bevor der stands (z. B. bei intraoperativer Auskühlung)
Patient ausreichend relaxiert ist (wichtig z. B. weiterhin eine maximale Nervenstimulation zu
bei nicht nüchternen Patienten und bei Pati- garantieren.
enten mit erhöhtem intrakraniellem Druck).
● eine intraoperativ nachlassende Relaxation

rechtzeitig erfasst und ggf. eine Nachinjekti- 1.11.3 Durchführung


on zeitgerecht vorgenommen werden.
● ein evtl. auftretender Dualblock (Phase-II-
Elektroden und Polarität
Block; → S. 74) erfasst werden.
● ein evtl. Relaxansüberhang am Narkoseende Zur Nervenstimulation werden entweder 2 spe-
erkannt werden. zielle selbstklebende Gelelektroden oder 2 übli-
● beurteilt werden, ob im Falle eines Relaxans- che EKG-Elektroden über den zu stimulieren-
überhangs eine Antagonisierung bereits den Nerv geklebt. Nervenstimulatoren verfügen
sinnvoll oder ob die neuromuskuläre Blo­ über eine aktive (negative, meist schwarze)
ckade noch zu tief ist (→ S. 82). Elektrode und eine inaktive (positive, meist
● kontrolliert werden, wie effektiv eine Rela- weiße oder rote) Elektrode. Werden die Stimu-
xansantagonisierung ist. lationselektroden im Verlauf eines Nervs sehr
eng nebeneinander platziert (was erstrebens-
1.11  Neuromuskuläres Monitoring (Relaxometrie) 79

wert ist, um eine hohe Stromdichte am Nerv zu


erzielen), dann ist es egal, welches Stimulations-
kabel an welcher Elektrode angeschlossen wird.

Stimulationsorte
Normalerweise wird zur Überprüfung der neu-
romuskulären Übertragung der Nervus ulnaris
stimuliert. Der Nervus ulnaris innerviert am
Daumen nur den Musculus adductor pollicis.
Die anderen Muskeln des Daumenballens wer-
den vom Nervus medianus innerviert. Zur Sti-
mulation des Nervus ulnaris werden meist 2
bzw. 4 cm proximal der Handgelenksfurche im
Verlauf des Nervus ulnaris (auf der Kleinfinger-
seite) 2 Stimulationselektroden platziert (vgl.
Abb. 1-32). Der Nervus ulnaris verläuft neben
der Arteria ulnaris. Zur Orientierung bei der
Elektrodenplatzierung kann daher die Arteria
ulnaris getastet werden. Bei Stimulation des
Nervus ulnaris wird der Daumen im Grundge-
Abb. 1-32  Übliche Elektrodenpositionen für die Rei-
lenk gebeugt und adduziert. Die Daumenbewe- zung des Nervus ulnaris im Bereich des Handgelenkes.
gung ist gut sichtbar, tast- und messbar. Zur Taktiles Erfassen (oben) oder Registrierung der Reizant-
supramaximalen Stimulation des Nervus ulna- wort mittels Akzelerographie (unten).
ris sind meist ca. 50–70 mA notwendig. Es soll- 1 = Beschleunigungswandler zur akzelerographischen
te jedoch nicht mit mehr als 80 mA stimuliert Registrierung der Daumenbeschleunigung, vgl. Text
werden. unten; 2 = Temperaturfühler; 3 und 4 = Stimulations­
Bei bestimmten operativen Eingriffen ist der elektroden.
Nervus ulnaris für eine Stimulation nicht zu-
gänglich. Falls z. B. der Kopf intraoperativ gut zeitlichen Abstand von jeweils 0,5 Sekunden,
zugänglich ist, dann bietet sich die Stimulation durchgeführt.
des Nervus facialis an (vgl. Abb. 1-33). Ist das Durch einen TOF-Reiz kommt es beim nicht
Bein für den Anästhesisten erreichbar, dann relaxierten Patienten zu 4 gleich starken Kon-
kann evtl. der Nervus tibialis hinter dem Innen- traktionen. Bei inkompletter Blockade mit ei-
knöchel oder der Nervus peronaeus unmittel- nem nicht depolarisierenden Muskelrelaxans
bar distal des Wadenbeinköpfchens stimuliert nimmt die Zuckungsamplitude vom ersten bis
werden (vgl. Abb. 1-33). zum vierten Reiz zunehmend ab, da es bei kurz
aufeinander folgenden Stimulationen zur Ent-
leerung der Acetylcholinspeicher und zur Ab-
„Train of four“-Reizung nahme der Zuckungsamplitude, einer sog.
Ermüdungsreaktion, kommt. Die Zuckungs-
Zur Überwachung der neuromuskulären Über- amplitude des ersten Reizes wird mit der Zu­
tragung wird inzwischen fast immer die „train ckungsamplitude des vierten Reizes verglichen.
of four“-(= TOF‑)Reizung (Vierfachreizung) Der Quotient aus der Amplitude der vierten
vorgenommen. Bei der TOF-Reizung werden 4 Zuckung geteilt durch die Amplitude der ersten
supramaximale Reize mit 2 Hz, das heißt einem Zuckung wird als TOF-Quotient (T4/T1-Quoti-
80 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

ent) bezeichnet. Beim nicht relaxierten Patien-


ten mit 4 gleich starken Zuckungsamplituden
ist der T4/T1-Quotient 1,0. Je niedriger der T4/
T1-Quotient, desto stärker ist der Relaxierungs-
grad (vgl. Tab. 1-8; → S. 77; Abb. 1-34).

Der TOF-Quotient kann nur bestimmt werden,


! wenn alle 4 Reize mit einer Muskelkontraktion
beantwortet werden. Bei zunehmender Relaxa-
tionstiefe wird der TOF-Quotient immer kleiner.
Schließlich werden bei weiter zunehmender Rela-
xationstiefe nur noch 3 bzw. 2 Stimulationsreize
oder es wird nur noch der erste Stimulationsreiz
oder keiner der 4 Reize mehr beantwortet.

Kommt es nach einem TOF-Reiz zu keiner mo-


torischen Antwort, dann wird von einer tiefen
Relaxation gesprochen. Von einer für chirurgi-
sche Eingriffe ausreichenden Relaxationstiefe
kann ausgegangen werden, wenn nur 1 oder 2
(oder 3) Reizantworten vorhanden sind (TOF-
Zahl 1, 2 oder 3; vgl. Tab. 1-8). Dennoch sind
hierbei evtl. Bewegungen, vor allem Zwerchfell-
bewegungen (Schluckauf, Husten) möglich, da
für die Relaxation des Zwerchfells (und der
Kehlkopfmuskeln) höhere Dosen an Relaxans
benötigt werden als zur Relaxation der meisten
Abb. 1-33  Stimulation des Nervus facialis, des Nervus anderen Muskelgruppen. Bei Rückkehr der
ulnaris (im Bereich des Ellenbogens), des Nervus pero- (dritten und) vierten Reizantwort ist die Rela-
naeus oder des Nervus tibialis xierung für abdominalchirurgische Eingriffe als
nicht mehr ausreichend zu betrachten.

Stimulationsmuster 1,5 s 12 s

Reizantwort
nicht depolarisierender Block T1 T4 T1 T4

(T4/T1 = TOF-Quotient)
depolarisierender Block

= Injektion des Muskelrelaxans


Abb. 1-34  Reizantwort
1.11  Neuromuskuläres Monitoring (Relaxometrie) 81

Erst wenn der T4/T1-Quotient 0,8–0,9 (80–90 %) Taktiles oder visuelles Erfassen
beträgt, ist die Relaxation soweit abgeklungen,
dass der Patient extubiert werden kann. In älte- Die einfachste Methode zur Registrierung der
ren Studien wurde für die sichere Extubation nur Reizantwort nach peripherer Nervenstimulati-
ein T4/T1-Quotient von 0,7–0,75 gefordert. on ist die Beurteilung der Reizantwort durch
Die „train of four“-Methode ermöglicht auch die Fühlen mit der Hand oder durch visuelles Be-
Unterscheidung einer neuromuskulären Blocka- trachten des gereizten Muskels. In vielen Klini-
de nach Gabe eines depolarisierenden Muskelre- ken wird die Reizantwort noch taktil oder visu-
laxans (= Depolarisationsblock) von einer neu- ell beurteilt, da nicht ausreichend Geräte zur
romuskulären Blockade nach Gabe eines nicht apparativen Reizregistrierung verfügbar sind.
depolarisierenden Relaxans (= Nichtdepolarisa- Es hat sich gezeigt, dass ein taktiles Erfassen der
tionsblock). Während der inkomplette Nichtde- Reizantwort genauere Ergebnisse liefert als die
polarisationsblock (kompetitiver Block) nach optische Einschätzung.
Vierfachreizung eine charakteristische Ermü- Zur Steuerung der intraoperativen Relaxations-
dungsreaktion aufweist, kommt es beim inkom- tiefe ist die taktile Beurteilung meist ausrei-
pletten Depolarisationsblock (Phase-I-Block) zu chend. In der Erholungsphase ist das taktile
einer weitgehend gleichmäßigen Verminderung Auflösungsvermögen nicht ausreichend. Taktil
aller 4 Zuckungen gegenüber dem nicht relaxier- kann ein TOF-Quotient bis zu 0,4 erfasst wer-
ten Zustand. Die Relation des ersten zum vierten den. Bei größerem TOF-Quotient, also gerin-
Stimulus ist meist nahezu 1,0 (vgl. Abb. 1-34). Es gem Relaxierungsgrad, werden die Reizantwor-
tritt also keine Ermüdungsreaktion auf. ten als gleich stark empfunden und können
Auch ein Phase-II-Block (Dualblock) kann mit nicht mehr differenziert werden. Da für eine si-
der „train of four“-Stimulation erfasst werden. chere Extubation ein TOF-Quotient von 0,8–0,9
Kommt es nach Gabe größerer Dosen Succinyl- gefordert wird, ist die taktile Beurteilung in der
cholin zu einer Ermüdungsreaktion, dann hat Abklingphase nicht ausreichend genau möglich.
sich ein Phase-II-Block (Dualblock) entwickelt. Hier ist die apparativ-technische Registrierung
der Reizantwort (z. B. mittels Akzelerographie)
Der TOF ist vor allem bei einer Blockade mit einem am zuverlässigsten.
! nicht depolarisierenden Muskelrelaxans von gro-
ßem Aussagewert. Es kann relativ einfach der Re-
laxierungsgrad beurteilt werden. Akzelerographie

Die TOF-Stimulation bietet sich an zur: Bei der Akzelerographie wird nach Stimulation
● Überwachung des Relaxationsgrades vor eines Nervs (z. B. des Nervus ulnaris) nicht die
und während der Intubation Kraftentwicklung, sondern die nachfolgende
● intraoperativen Überwachung des Relaxati- proportionale Beschleunigungsbewegung (z. B.
onsgrades des Daumens) gemessen. Voraussetzung ist eine
● Überwachung des Relaxationsgrades wäh- freie Beweglichkeit des Daumens.
rend der Narkoseausleitung Zur Registrierung der Reizantwort wird ein Be-
schleunigungswandler am Daumen fixiert (vgl.
Abb. 1-32). Ein Beschleunigungswandler ent-
Registrierung der Muskelantwort hält einen Mechanosensor. Dieser führt zu ei-
ner Spannungsänderung, die proportional der
Die durch den elektrischen Reiz ausgelöste Beschleunigung ist. Anhand der gemessenen
Muskelantwort wird meist Beschleunigung kann auf die entwickelte Kraft
● taktil bzw. visuell oder geschlossen werden.
● mittels Akzelerographie

registriert.
82 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Antagonisierung von nicht de- ● Es ist ein gezieltes, endotracheobronchiales


polarisierenden Muskelrelaxanzien Absaugen möglich.
● Der Anschluss an ein Beatmungsgerät ist

Ein Nichtdepolarisationsblock sollte frühestens möglich.


dann antagonisiert werden, wenn mindestens ● Die Personal- und Umweltbelastung durch

eine Reizantwort bei der TOF-Reizung nach- Narkosegase ist minimal. Bei einer Intubati-
weisbar ist. Bei tieferen Relaxationsgraden ist onsnarkose können alle Narkosegase sicher
eine Antagonisierung meist unzuverlässig und abgesaugt werden. Bei einer Maskenbeat-
sollte unterlassen werden. mung kann dagegen durch die meist nicht
völlig abgedichtete Maske Narkosegas in den
OP-Raum entweichen.

1.12 Endotracheale
Intubation 1.12.2 Absolute Indikationen
Absolute Indikationen zur endotrachealen In-
Unter endotrachealer Intubation wird das Einfüh-
 tubation sind:
ren eines Schlauches oder Tubus (lateinisch: tubus
● ein nicht nüchterner Patient (z. B. Patient mit
= Rohr) durch die Stimmritze in die Trachea ver-
einem Ileus, Schwangere ab der ca. 14.
standen.
Schwangerschaftswoche [d. h. ab dem zwei-
Bei der endotrachealen Intubation muss der ten Schwangerschaftstrimenon; z. T. wird als
Kehlkopf möglichst sichtbar gemacht und der Grenze auch die 20. Schwangerschaftswoche
Tubus unter Sicht durch den Kehlkopf in die angegeben], Notfallpatient usw.; → S. 209)
Trachea vorgeschoben werden. Über dieses ● Eingriffe, bei denen eine Beatmung über Ge-

Rohr kann der Patient entweder selbstständig sichtsmaske oder über eine Larynxmaske
atmen oder künstlich beatmet werden. nicht möglich ist oder sich verbietet (z. B.
Operation an der Lunge)
Wird der Tubus durch den Mund in die Trachea ● die meisten Operationen im Gesichts- und

eingeführt, so wird von orotrachealer Intuba­ Halsbereich
tion gesprochen. Beim Einführen des Tubus durch ● Bauch- und Thoraxeingriffe
die Nase in die Trachea wird von nasotrachealer ● ungünstige Operationslagerungen wie
Intubation gesprochen. Bauchlage, Seitenlage oder sitzende Lage-
rung, bei denen eine Maskenbeatmung bzw.
eine Beatmung über eine Larynxmaske zu
1.12.1 Vorteile vermeiden ist
● mechanische Wiederbelebung (Reanimati-

Die Beatmung während einer Narkose kann so- on) eines Patienten (→ S. 526)
wohl über eine dicht um Mund und Nase ge-
schlossene Gesichtsmaske, eine Kehlkopfmaske
als auch über einen endotrachealen Tubus er- 1.12.3 Anatomie des Kehlkopfes
folgen. Die Vorteile einer endotrachealen Intu-
bation sind: Der Kehlkopf ist aus einem Knorpelskelett auf-
● Der Patient ist vor einem Eindringen von gebaut. Wichtigster Knorpel ist der Schildknor-
Speichel, Blut, Magen-Darm-Inhalt und sons- pel, dessen prominentester Punkt normalerwei-
tigen Fremdkörpern in die Trachea (= Aspi- se als „Adamsapfel“ getastet werden kann.
ration; → S. 211) geschützt, solange er intu- Unmittelbar darunter sitzt der Ringknorpel
biert ist. (Cartilago cricoidea). Der Kehlkopfeingang, die
1.12  Endotracheale Intubation 83

1.12.4 Instrumentarium

Endotrachealtubus
Allgemeine Bemerkungen

Endotrachealtuben werden in unterschiedli-


chen Größen und Formen sowie aus unter-
schiedlichem Material geliefert. Die meisten
Tuben besitzen am trachealen Ende eine auf-
blasbare Manschette (= cuff, sprich: kaff). Diese
Manschette (1 in Abb. 1-36) ist über eine teil-
weise in die Tubuswand eingearbeitete Leitung
(2 in Abb. 1-36) aufblasbar. Anhand der Prall-
heit eines in diese Leitung eingebauten Kon-
trollballons (3 in Abb. 1-36) kann abgeschätzt
werden, wie stark der Tubus-Cuff aufgeblasen
(= geblockt) ist. Durch dieses Blocken des Cuffs
wird ein Abdichten des Tubus gegen die Tra-
chealwand garantiert. Bei den Tubusmanschet-
ten kann (nach Art des Manschettenmaterials
und des Manschettenvolumens) zwischen sog.
Hochdruckmanschetten und Niederdruck-
manschetten unterschieden werden. Hoch-
Abb. 1-35  Kehlkopfeingang mit angenäherter Tubus­ druckmanschetten liegen bei Gummituben mit
spitze. 1 = Stimmritze; 2 = Stimmbänder; 3 = Epiglottis.
einer Gummimanschette vor. Sie werden mit
einem relativ kleinen Volumen (ca. 5–7 ml) ge-
blockt (→ S. 96). Der zur Entfaltung der elasti-
Stimmritze (Glottis, 1 in Abb. 1-35), wird durch schen Gummimanschette notwendige Druck ist
die beiden Stimmbänder (2 in Abb. 1-35) be- relativ hoch (z. T. über 150 mm Hg). Tuben mit
grenzt. Während des Schluckaktes wird die Hochdruckmanschette werden inzwischen nur
Stimmritze von der darüber sitzenden Epiglot- noch extrem selten verwendet. Niederdruck-
tis (3 in Abb. 1-35) bedeckt, um das Eindringen manschetten bestehen aus nicht elastischem
von Fremdkörpern in die Luftwege zu verhin- Material (meist aus durchsichtigem Kunststoff).
dern. Der zum Blocken notwendige Druck ist relativ
Engste Stelle des Kehlkopfes ist beim Erwachse- gering (ca. 25 mm Hg). Es gibt Niederdruck-
nen die Glottis. Die Größe eines Endotracheal- manschetten die mit einem relativ geringen (ca.
tubus muss sich daher an der Größe der Glottis 3–7 ml) oder mit einem relativ großen Volumen
orientieren. Beim Kind dagegen ist die engste (ca. 15 ml) geblockt werden. Niederdruckman-
Stelle des Kehlkopfes unterhalb der Stimmritze schetten sind für die Trachealschleimhaut am
im Bereich des Ringknorpels. Ein Endotrache- schonendsten. Inzwischen werden fast nur noch
altubus, der sich durch die Glottis vorschieben Endotrachealtuben mit Niederdruckmanschet-
lässt, kann daher beim Kind knapp unterhalb te verwendet. Am oralen Ende besitzen alle
der Glottis auf Widerstand stoßen. Er darf dann Trachealtuben einen zumeist abziehbaren Kon-
nicht mit Gewalt vorgeschoben, sondern muss nektor (4 in Abb. 1-36) aus Kunststoff oder Me-
gegen einen kleineren Tubus ausgetauscht wer- tall. Die In- und Exspirationsschläuche werden
den. mittels eines sog. Winkelstückes oder eines
84 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Tab. 1-9  Tubusgrößen für verschiedene Altersstufen


Alter Ge- Innen- Einführ- Cuff
wicht durch- tiefe ab
(kg messer Zahn-
KG) des leiste
Tubus (in cm)
(mm)
Früh- 2,5  7
geborene
Neu-   3,3 3  9
geborene
6 Mo.  8 3,5 10
Abb. 1-36  Endotrachealtubus mit aufgesetzter Spritze 1 J. 10 4 12 ohne
zum Blocken der Manschette. 1 = großvolumige Nieder- Cuff
druckmanschette aus durchsichtigem Plastik; 2 = Zulei- 1,5 J. 12 4,5 12,5
tung für die Manschette; 3 = Kontrollballon der Man­ 2 J. 13 5 13
schettenzuleitung; 4 = Konnektor.
4 J. 17 5,5 15
6 J. 22 6 15

Y-Stückes (→ S. 15) mit dem Konnektor ver- 8 J. 28 6,5 16


bunden (Steckverbindung). 10 J. 31 6,5  6
12 J. 39 7 17–18
14 J. 48 7,5 20–22
Tubusgröße mit
Erwachsene 70 7,5 21–22 Cuff
Frau (–8)
Die Größe eines Tubus wird nach dem in Millime-

tern gemessenen Innendurchmesser (= ID) Erwachse- 80 8 22–23
ner Mann (–8,5)
angegeben.
Faustregel (Tubusinnendurchmesser):
Der kleinste Tubus hat einen Innendurchmes- von 2–8 J. 4,5 +
ser von 2,0 mm. Der nächstgrößere Tubus hat Alter/4
jeweils einen um 0,5 mm größeren Innendurch-
messer. Der größte Tubus hat 11 mm Innen-
durchmesser (= 11er-Tubus; Tab. 1-9).
fast nur noch Endotrachealtuben mit Nieder-
Für erwachsene Männer wird meist ein Tubus der druckmanschette eingesetzt.
! Größe 8,0(–8,5), für erwachsene Frauen ein sol- ● Der Magill-Tubus (vgl. Abb. 1-37)
cher von 7,5(–8,0) empfohlen. Bei Kindern unter ist ein leicht vorgebogener Tubus mit einem
8–10 Jahren wird zumeist empfohlen, einen Tubus normierten Krümmungsradius. Der Magill-
ohne Manschette zu verwenden. Tubus liegt sowohl für die orotracheale wie
auch für die nasotracheale Intubation vor. Er
Inzwischen werden zumeist Einwegendotra- besteht normalerweise aus Plastik (meist
chealtuben verwendet. Die meisten Einwegen- PVC). Insbesondere bei den für den Einmal-
dotrachealtuben werden aus Polyvinylchlorid gebrauch gedachten Plastiktuben gibt es ein
(= PVC) hergestellt. PVC-Tuben sind relativ riesiges Angebot. Wiederverwendbare Ma-
weich und nicht gewebereizend. Auch für kür- gill-Tuben werden nur noch selten einge-
zer dauernde Intubationen werden inzwischen setzt.
1.12  Endotracheale Intubation 85

Abb. 1-37  Spitze eines (high volume) Magill-Tubus Abb. 1-39  Oxford-Tubus


(ohne Murphy-Auge; vgl. Abb. 1-38)

Abb. 1-38  Spitze eines (low volume) Murphy-Tubus Abb. 1-40  Woodbridge-Tubus (selbst wenn ein Knoten
mit Murphy-Auge () entstehen würde, knickt dieses Tubusmodell nicht ab)

● Der Murphy-Tubus (vgl. Abb. 1-38) ● Der Oxford-Tubus (vgl. Abb. 1-39)
unterscheidet sich vom Magill-Tubus nur ist ein nicht knickbarer, „L“-förmiger Tubus,
dadurch, dass er auf der rechten Seite kurz der nur zur orotrachealen Intubation ver-
vor der Tubusspitze ein zusätzliches seitli- wendet werden kann. Er wird normalerweise
ches Loch, ein sog. Murphy-Auge, besitzt. mit einem speziellen, (ausnahmsweise) et-
Falls das angeschrägte Tubusende der Tra- was über die Tubusspitze herausragenden
chealschleimhaut anliegen sollte, dann kann Führungsstab (→ S. 87) angewandt. Dadurch
die Beatmung noch über das seitliche Mur- lässt sich erfahrungsgemäß mit dem Oxford-
phy-Auge erfolgen. Über dieses Auge kann Tubus sehr leicht intubieren, meist auch in
auch ein möglicherweise atypisch aus der dis­- schwierigen Situationen. Der Oxford-Tubus
talen Trachea entspringender rechter Ober- kommt jedoch nur noch selten zum Einsatz.
lappenbronchus besser belüftet werden. Zu- ● Der Woodbridge-Tubus (vgl. Abb. 1-40)

meist werden Endotrachealtuben mit einem wird aus Latex hergestellt und zeichnet sich
Murphy-Auge verwendet. durch eine in die Tubuswand eingebaute Me-
86 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

tallspirale aus. Dadurch erhält der Tubus sei-


ne enorme Flexibilität und lässt sich nicht
knicken. Zur inneren Stabilisierung dieses
sehr flexiblen Tubus muss für die Intubation
immer ein Führungsstab (→ S. 87) verwen-
det werden. Woodbridge-Tuben werden z. B.
dann verwendet, wenn der Patient auf dem
Bauch gelagert oder der Tubus aus einem an-
deren Grund stark zur Seite abgeleitet wer-
den muss.
● Der Carlens-, der White- und der Robert­

shaw-Tubus (vgl. Abb. 1-41, 1-42 und 1-43)


sind spezielle, doppellumige Tuben, die ent- Abb. 1-41  Detailaufnahme der Spitze eines Carlens-
weder eine gleichzeitige Beatmung der lin- Tubus
ken und der rechten Lunge oder eine nur
einseitige Beatmung ermöglichen. Die Spitze
des Carlens-Tubus liegt im linken Haupt- tionen der linken Lunge). Diese Tuben besit-
bronchus (u. a. für Operationen der rechten zen einen Sporn, der auf der Carina zu liegen
Lunge), die Spitze des White-Tubus wird im kommt (Carinasporn). Der Sporn kann beim
rechten Hauptbronchus platziert (für Opera- Einführen manchmal zu Verletzungen füh-

Abb. 1-42  Robertshaw-Tubus. a In
den linken Hauptbronchus eingeführt-
er Robertshaw-Tubus. b In den rech-
ten Hauptbronchus eingeführter Rob-
a b
ertshaw-Tubus.
1.12  Endotracheale Intubation 87

Abb. 1-43  Robertshaw-Tubus. a Gesamtansicht eines eines linksläufigen Robertshaw-Tubus (Broncho-Cath®,


linksläufigen Modells. b Detailaufnahme der Spitze Fa. Mallinckrodt).

ren. Durch die Möglichkeit zur seitenge- gen. Lediglich falls der linke Hauptbronchus
trennten Beatmung kann verhindert werden, kurz hinter der Carina während der Operati-
dass z. B. während einer Lungenoperation on abgetrennt werden muss, wird ein rechts-
infektiöses Material oder Tumorgewebe von läufiger Doppellumentubus verwendet.
der kranken Lunge in die gesunde Lunge
verschleppt wird. Der Robertshaw-Tubus ist
ein dem Carlens- und White-Tubus sehr Führungsstab (vgl. Abb. 1-44)
ähnlicher doppelläufiger Tubus. Er besitzt
jedoch keinen Carinasporn. Der Robert­ Führungsstäbe sind kunststoffbeschichtete,
shaw-Tubus besitzt 2 typische Krümmungen biegsame Metalldrähte, die in orale (!) Tuben
und ist leichter zu platzieren als ein doppel- eingeführt werden können. Dadurch kann ein
läufiger Tubus mit Sporn. Er liegt sowohl für oraler Tubus bei schwierigen Intubationsver-
die linksseitige als auch für die rechtsseitige hältnissen in eine intubationsgünstigere Form
endobronchiale Intubation vor. Wieder ver- vorgebogen werden.
wendbare Doppellumentubi wie z. B. der Die Führungsstäbe dürfen nicht aus der Tubus-
Carlens-, der White- und auch der Robert­ spitze herausragen, da sie ansonsten eine große
shaw-Tubus werden inzwischen meist durch Verletzungsgefahr darstellen. Ausnahme ist der
Einwegdoppellumentubi aus Plastik (z. B. Oxford-Tubus, bei dem die sehr weiche Gum-
Broncho-Cath) ersetzt. mispitze des speziellen Führungsstabes norma-
Bei der rechtsseitigen endobronchialen Intu- lerweise aus der Tubusspitze herausragt. Die
bation kann es leicht zur Verlegung des kurz Woodbridge-Tuben müssen immer mit einem
nach der Bifurkation abgehenden Bronchus Führungsstab intubiert werden, um eine innere
für den rechten Lungenoberlappen kommen Schienung der sehr flexiblen Tuben zu garantie-
(vgl. Abb. 1-42b). Die Tubuslage muss mit- ren. Es empfiehlt sich, den Führungsstab mit
tels Fiberbronchoskop (→ S. 225) kontrol- einem Gleitmittel zu versehen, damit er sich
liert werden. Falls irgend möglich, wird die nach der Intubation wieder problemlos aus dem
linksendobronchiale Intubation mit einem Tubus herausziehen lässt.
linksläufigen Doppellumentubus vorgezo-
88 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Abb. 1-44a  Bis kurz vor die Spitze eines (Woodbridge-) damit er nicht unbeabsichtigt weiter in den Tubus
Tubus eingeführter Führungsstab. b Am oralen Ende des rutscht und aus der Tubusspitze herausragt.
(Woodbridge‑)Tubus ist der Führungsstab umzubiegen,

Laryngoskop Das Laryngoskop wird normalerweise zur en-


dotrachealen Intubation unter Sicht, manchmal
Ein Laryngoskop ist ein Hilfsinstrument, mit dem auch zum Einführen einer Magensonde bzw. ei-

der Kehlkopf eingestellt, das heißt sichtbar ge- ner Ösophagustemperatursonde unter Sicht
macht werden kann. oder zur Rachen- und Kehlkopfinspektion ver-

Abb. 1-45  Zusammengeklapptes Laryngoskop (nach Abb. 1-46  Geöffnetes Laryngoskop (nach MacIntosh)


MacIntosh)
1.12  Endotracheale Intubation 89

Abb. 1-47  Griff des Laryngoskops


mit verschiedenen Spatelgrößen
(gerade Spatel nach Miller)

Abb. 1-48  Griff des Laryngoskops


mit den Spatelgrößen 1, 2, 3 und 4
(gebogener Spatel nach MacIntosh)

wendet. Laryngoskope bestehen aus einem 1-45). Aufgeklappt (ca. 90°) schließt sich ein
Griff und einem Spatel. An der Spatelspitze ist Kontakt und das Lämpchen leuchtet auf (vgl.
ein Lämpchen angebracht, dessen Stromquelle Abb. 1-46). Es werden heute vor allem Laryngo-
(z. B. 2 Trockenbatterien) im Griff unterge- skope mit einem gebogenen Spatel nach Mac­
bracht ist. Moderne Laryngoskope besitzen eine Intosh (vgl. Abb. 1-46) oder leichte Modifika-
Kaltlichtquelle, das heißt, das Lämpchen befin- tionen davon, seltener auch noch Laryngoskope
det sich im Griff und die Lichtstrahlen werden mit geradem Spatel (z. B. nach Miller, Abb.
über Glasfaserbündel, die in den Spatel eingear- 1-47) verwendet. Die gebogenen Spatel passen
beitet sind, bis an die Spatelspitze geleitet. sich besser der Anatomie der Mundhöhle an
Griff und Spatel sind über ein leicht ausklinkba- und werden aus diesem Grunde bei Erwachse-
res Scharniergelenk miteinander verbunden. nen allgemein bevorzugt. Bei den gebogenen
Zusammengeklappt kann das Laryngoskop Spateln nach MacIntosh gibt es 5 verschiedene
platzsparend aufbewahrt werden (vgl. Abb. Spatelgrößen (Größe 0, 1, 2, 3, 4; Abb. 1-48).
90 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern Guedel-Tubus (vgl. Abb. 1-50)
kommt öfter das Laryngoskop mit geradem
Spatel zur Anwendung (→ S. 237). Guedel-Tuben sind Oropharyngealtuben, die z. B.

beim bewusstlosen nicht intubierten Patienten
eingelegt werden, um ein Zurückfallen der Zunge
Magill-Zange (vgl. Abb. 1-49) mit Verlegung der oberen Luftwege zu verhin-
dern (vgl. Abb. 1-51). Auch beim oral intubierten
Magill-Zangen sind spezielle (scherenförmige) Patienten wird zusätzlich ein Guedel-Tubus als

Fasszangen, deren Griffteil stark zur rechten Seite „Beißschutz“ für den Orotrachealtubus eingelegt
abgebogen ist. (→ Abb. 1-67; S. 99).

Insbesondere bei der nasotrachealen Intubation Es gibt insgesamt 9 verschieden große Guedel-
sowie z. B. beim Einführen einer Magensonde Tuben: Nr. 6, 5, 4, 3, 2, 1, 0, 00, 000. Guedel-
unter Sicht wird häufig eine Magill-Zange be- Tuben werden nach der in den Abbildungen
nötigt, um den Tubus oder die Sonde zu dirigie- 1-52 und 1-53 gezeigten Weise in den Mund
ren. Der Griff der Magill-Zangen ist stark zur eingeführt. Sie werden oft auch bei der Masken-
Seite gebogen ist, damit bei Gebrauch der Blick beatmung (→ S. 109) narkotisierter Patienten in
auf den Kehlkopf frei bleibt. deren Mund eingeführt, wodurch eine Verle-

Abb. 1-49  Magill-Zange

Abb. 1-50  Unterschiedlich große


Guedel-Tuben
1.12  Endotracheale Intubation 91

Abb. 1-51  Verlegung der oberen Luftwege durch Abb. 1-53  Eingeführter Guedel-Tubus (richtige Größe)
zurückgefallene Zunge

Abb. 1-54  Eingeführter Guedel-Tubus (zu geringe


Größe)

Abb. 1-52  Einführen eines Guedel-Tubus der Auswahl des Tubus ist auf die richtige Grö-
ße zu achten. Ist der Guedel-Tubus zu klein ge-
gung der oberen Luftwege durch die zurückfal- wählt, kann es trotzdem zur Verlegung der obe-
lende Zunge verhindert wird. Guedel-Tuben ren Luftwege durch die Zunge kommen (vgl.
können zu einer starken Reizung der Rachen- Abb. 1-54); ist er zu groß gewählt, kann er die
wand mit Hus­ten, Würgen und Brechreiz füh- Epiglottis vor den Kehlkopfeingang drücken (vgl.
ren. Sie dürfen deshalb erst eingeführt werden, Abb. 1-55), wodurch der Kehlkopfeingang ver-
wenn der Patient tief genug in Narkose ist und schlossen wird und es beim Beatmen zum Ein-
die Schutzreflexe sicher ausgeschaltet sind. Bei blasen von Luft in den Magen kommen kann.
92 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Abb. 1-55  Eingeführter Guedel-Tubus (zu große Abb. 1-56  Kopflagerung für die endotracheale Intuba-
Größe) tion („verbesserte Jackson-Position“)

1.12.5 Vorbereitungen 1.12.6 Intubation
unter laryngoskopischer Sicht
● Überprüfung des Narkosegerätes (→ S. 25)
● Überprüfung des Narkosewagens auf Voll-
ständigkeit (!) (→ S. 31) Orotracheale Intubation
● Vorbereitung von Material und Medikamen-

ten (→ S. 32), das heißt Bereitlegen der für Die orotracheale Intubation unter Sicht ist die
die Intubation notwendigen Dinge: Methode der Wahl bei Routineoperationen.
– Laryngoskop (Lichtquelle auf Funktions- Der Kopf des Patienten wird auf einem ca. 10
fähigkeit prüfen!) cm hohen Polster gelagert und im Nacken über-
– Tubus (Cuff durch Aufblasen auf Dichtig- streckt (= sog. „verbesserte Jackson-Position“
keit prüfen!); zusätzlich müssen noch der oder „Schnüffelposition“ wie beim „Wittern
nächstkleinere und der nächstgrößere Tu- von Morgenluft“; Abb. 1-56). Bei dieser Lage-
bus griffbereit gelegt werden; die Tubus- rung bilden die Mundhöhle, der Pharynx (=
spitze sollte mit einem Lokalanästhetikum Rachen), der Larynx (= Kehlkopf) und die Tra-
(z. B. Xylocain®-Gel) bestrichen werden. chea beinahe eine Gerade, was den Einblick auf
– 5-, 10- oder 20-ml-Spritze zum Blocken die Stimmritze und damit die Intubation unter
eines Low-Volume- bzw. High-Volume- laryngoskopischer Sicht erleichtert. Mit den be-
Cuffs nach der Intubation handschuhten Fingern der rechten Hand wird
– Guedel-Tubus bei geplanter oraler Intu- der Mund des Patienten geöffnet. Wird im rech-
bation (→ S. 90) ten Mundwinkel der Mittelfinger gegen die obe-
– evtl. Führungsstab (→ S. 87) bei geplanter re Zahnreihe und der Daumen gegen die untere
oraler Intubation Zahnreihe gedrückt (sog. Kreuzgriff), dann
– Magill-Zange (→ S. 90) bei geplanter na- kann hierdurch der Mund kraftvoll geöffnet
saler Intubation werden. Das angereichte Laryngoskop wird in
– Pflaster zum Festkleben des Tubus die linke Hand genommen, vorsichtig am rech-
● Aufziehen der Medikamente (→ S. 32) ten (!) Mundwinkel eingeführt und dann vor-
● Vorbereitung des Patienten auf die Narkose sichtig tiefer in den Mund eingeschoben und
(→ S. 32) gleichzeitig, unter Wegdrängen der Zunge nach
1.12  Endotracheale Intubation 93

Abb. 1-57  Einführen des Laryngoskops mit der linken Abb. 1-58  Eingeführtes Laryngoskop mit angedeuteter
Hand Zugrichtung

links, zur Mundmitte gebracht (vgl. Abb. 1-57).


Der Laryngoskopspatel wird vorgeführt, bis die
Epiglottis erkennbar ist. Bei Verwendung eines
Laryngoskops mit gebogenem Spatel nach Mac­
Intosh (→ S. 89) wird die Spatelspitze in der
Falte zwischen Zungengrund und Epiglottis, in
der sog. glossoepiglottischen Falte, platziert.
Nun wird das Laryngoskop in Griffrichtung (!!),
also nach fußwärts und oben, gezogen (vgl.
Abb. 1-58). Hierdurch wird die Zungenbasis
angehoben und die daranhängende Epiglottis
aufgerichtet. Der Blick auf die Stimmritze (=
Glottis) wird frei, die Glottis ist „eingestellt“
(vgl. Abb. 1-59 und 1-60).

Zum Aufrichten der Epiglottis darf niemals (!!) nur


! die Spatelspitze angehoben werden, indem das
Ende des Laryngoskopgriffs nach kopfwärts ge-
zogen und gegen die oberen Schneidezähne ge-
hebelt wird. Hierdurch kann zwar die Glottis ein-
gestellt werden, aber genauso leicht können hier-
bei selbst gesunde obere Schneidezähne heraus- Abb. 1-59  Eingeführtes Laryngoskop mit Sicht auf die
gebrochen werden! geöffnete Stimmritze
94 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Abb. 1-61  Laryngoskopische Einstellung des Kehlkop-


fes mit der linken Hand und Einführen des Endotrache-
altubus mit der rechten Hand

Abb. 1-60  Kehlkopfeingang

Mit der rechten Hand kann der nun angereichte


Tubus vorsichtig unter Sicht (!) durch die
Stimmritze geführt werden (vgl. Abb. 1-61 und
1-62). Die Blockermanschette muss ganz hinter
der Stimmritze verschwinden (vgl. Abb. 1-63).
Bei Tuben ohne Cuff (für Kinder unter 8–10
Jahre) sollte der Tubus soweit eingeführt wer-
den, dass der meist entsprechend markierte An-
teil der Tubusspitze gerade hinter der Glottis
verschwindet (und die Tubusspitze sich unge-
fähr in Tracheamitte befindet). Der Tubus sollte
möglichst vom rechten Mundwinkel aus einge-
führt werden, damit zwischen Laryngoskopspa-
tel und dem einzuführenden Tubus immer auf
die Stimmritze gesehen werden kann (vgl. Abb.
1-59). Beim Durchtritt durch die Stimmritze
muss der Tubus manchmal leicht hin und her
rotiert werden, damit er schonend durch die Abb. 1-62  Einführung eines orotrachealen Tubus
12  Endotracheale Intubation 95

Abb. 1-63  Richtig platzierter orotrachealer Tubus Abb. 1-64  Einführung eines nasotrachealen Tubus

Stimmritze gleitet. Der Tubus sollte nicht ge- dung eines gebogenen Spatels, bei dem die Spa-
waltsam in die Trachea vorgeschoben werden. telspitze in die Falte zwischen Zungengrund
Nach erfolgreicher Intubation erfolgt: und Epiglottis eingeführt wird. Dieses Gebiet
● Blocken des Tubus (→ S. 96) wird nicht vom Nervus vagus innerviert. Aus
● Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97) diesem Grunde sind vagale Reflexe hierbei sel-
● Fixierung des Tubus (→ S. 98) tener und es genügt ein etwas flacheres Narko-
● erneute Lagekontrolle des Tubus sestadium für die Intubation.

Vor allem bei Neugeborenen und Kleinkin-


dern lässt sich mit einem gebogenen Laryngo- Nasotracheale Intubation
skopspatel nach MacIntosh die Epiglottis
manchmal nicht richtig aufrichten, da sie in Die nasotracheale Intubation unter laryngosko-
diesem Alter relativ groß und leicht verformbar pischer Sicht (vgl. Abb. 1-64) ist wesentlich
ist. Von manchen Anästhesisten wird deshalb in schwieriger als die orale Intubation unter Sicht
dieser Altersgruppe ein Laryngoskop mit gera- und wird deshalb nur bei bestimmten Indika-
dem Spatel, z. B. nach Miller, bevorzugt. Hier- tionen vorgenommen.
bei wird die Epiglottis meist mit auf die Spatel-
spitze aufgeladen. Da die Unterseite der Indikationen für die nasotracheale Intubation sind
Epiglottis von Ästen des Nervus vagus inner- ! z. B. Operationen im Mund- und Rachenbereich,
viert wird, können deshalb beim Aufladen der bei denen ein oraler Tubus den Operateur behin-
Epiglottis mit dem geraden Spatel leichter vaga- dern würde. Kontraindikationen für eine nasotra-
le Reflexe ausgelöst werden (z. B. eine Bradykar- cheale Intubation stellen vor allem Frakturen der
die oder ein Laryngospasmus). Es ist daher ein Schädelbasis dar, z. B. nach einem Schädel-Hirn-
tieferes Narkosestadium nötig als bei Verwen- Trauma.
96 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Vor der nasalen Intubation empfiehlt es sich,


abschwellende Nasentropfen (z. B. Nasivin®) in
beide Nasenlöcher einzubringen. Die Gefahr
von Schleimhautblutungen wird dadurch ver-
mindert. Zusätzlich hat sich noch das Besprü-
hen der Nasenschleimhaut mit einem Lokalan-
ästhetikum (z. B. Lidocainspray; → S. 159)
bewährt. Außerdem muss der nasale Tubus gut
mit einem Gleitmittel (z. B. Lidocaingel; → S.
159) bestrichen werden. Sinnvoll ist es, langsam
den (behandschuhten) kleinen Finger möglichst
tief in die Nase des Patienten einzuführen, um
so den unteren Nasengang aufzudehnen. Der
Kopf des Patienten wird in die verbesserte Jack-
son-Position gebracht (vgl. Abb. 1-56). Der Tu-
bus wird nun vorsichtig durch den unteren Na-
sengang, also nach dorsal (= zum Rücken hin; Abb. 1-65  Richtig platzierter nasotrachealer Tubus
nie parallel zum Nasenrücken) vorgeschoben,
bis er in den Rachenraum (= Pharynx) eintritt.
Jetzt wird, wie bei der orotrachealen Intubation
unter laryngoskopischer Sicht, mithilfe des La- oral zu intubieren (→ S. 92). Nun kann der na-
ryngoskops die Stimmritze eingestellt (vgl. Abb. sale Tubus langsam und vorsichtig über die
1-59). Mit der rechten Hand und mithilfe einer Nase in den Rachen vorgeschoben und unter
Magill-Zange dirigiert der Anästhesist die Tu- laryngoskopischer Sicht bis unmittelbar vor den
busspitze durch die Stimmritze, während die Kehlkopfeingang dirigiert werden. Erst jetzt
Anästhesiepflegekraft den Tubus nach Auffor- wird auf Aufforderung von einem Helfer der
derung weiter vorschiebt. Bei einiger Erfahrung orale Tubus wieder herausgezogen, und der na-
ist es meist möglich, den Tubus ohne Magill- sale Tubus kann durch die Stimmritze dirigiert
Zange durch die Stimmritze zu dirigieren. Der werden.
Anästhesist schiebt dabei den Tubus selbst mit Auch bei der nasotrachealen Intubation wird
der rechten Hand voran und kann z. B. durch normalerweise ein Laryngoskop mit geboge-
leichtes Drehen des Tubus dessen Spitze diri­ nem Spatel nach MacIntosh verwendet. Nur in
gieren oder durch Manipulation mit dem Einzelfällen (meist bei Säuglingen und Klein-
Laryngoskop den Kehlkopfeingang ggf. etwas kindern) kommt ein Laryngoskop mit geradem
verlagern. Außerdem kann die Anästhesiepfle- Spatel (z. B. nach Miller) zur Anwendung (→ S.
gekraft nach Aufforderung den Kehlkopf durch 89, 237).
Druck auf den Schildknorpel etwas nach dorsal,
nach links oder rechts zur Tubusspitze hin ver-
schieben. Nach erfolgreicher Intubation (vgl. 1.12.7 Blocken des Tubus
Abb. 1-65) erfolgt:
● Blocken des Tubus (→ S. 96) Sofort nach der Intubation muss von der Anäs-
● Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97) thesiepflegekraft der Tubus-Cuff geblockt wer-
● Fixierung des Tubus (→ S. 98) den, indem mit einer normalen 10- oder 20-ml-
● erneute Lagekontrolle des Tubus Spritze, einer sog. „Blockerspritze“, so viel Luft
in die Manschettenzuleitung eingeblasen wird,
Bei einer geplanten nasotrachealen Intubation bis der Tubus bei Beatmung gerade (!!) dicht ist,
empfiehlt es sich meist, den Patienten zuerst also keine Luft mehr am Tubus vorbei aus der
12  Endotracheale Intubation 97

Trachea entweicht. Dies muss durch genaues


Hören am Mund des Patienten festgestellt wer-
den. Also: Blocken nach Gehör (!!). Bei zu ge-
ringem Blocken ist der Tubus undicht. Bei der
Beatmung entweicht ein Teil des Atemhubvolu-
mens neben dem unzureichend geblockten Tu-
bus aus der Trachea. Dieses Entweichen von
Luft kann meist auf Distanz oder am Mund des
Patienten bzw. mit dem Stethoskop am Hals des
Patienten gehört werden. Bei unzureichender
Blockung des Cuffs kann eine unter Umständen
im Rachen befindliche Flüssigkeit in die Tra-
chea eindringen (vgl. Aspiration, → S. 211). Ist
der Tubus dagegen zu stark geblockt, so droht
eine druckbedingte Schädigung der Tracheal-
schleimhaut im Bereich des Tubus-Cuffs. Im
Idealfall sollte zur Kontrolle ein Cuff-Druck- Abb. 1-66  Fehlplatzierter Orotrachealtubus (Intuba-
messer verwendet werden. Der Cuff-Druck tion in den Ösophagus)
sollte bei den üblichen Plastiktuben möglichst
bei ca. 20–25 mm Hg liegen.
Das bei einer Narkose manchmal noch verwen- tierbar ist, so wurde vermutlich in den Ösopha-
dete Lachgas diffundiert in alle lufthaltigen gus intubiert. Beim sofortigen Auskultieren
Räume des Körpers, also auch in die geblockte über der Magengegend ist dann das von der
Tubusmanschette (→ S. 40). Hierdurch kommt Lagekontrolle der Magensonde bekannte Blub-
es zu einer Volumen- und Druckzunahme im bern über dem Magen zu hören. Der Tubus
Cuff mit verstärktem Druck auf die anliegende muss umgehend entfernt, der Patient ggf. mit
Trachealschleimhaut; dies kann unter Umstän- 100 % Sauerstoff zwischenbeatmet werden, und
den zu einer druckbedingten Durchblutungs- es ist ein neuer Intubationsversuch vorzuneh-
störung führen. Deshalb muss bei längeren men. Nach geglückter Intubation muss nun eine
Narkosen, bei denen Lachgas verwendet wird, Magensonde gelegt werden, um die in den Ma-
die Blockung des Cuffs mehrmals neu vorge- gen geblasene Luft zu entfernen.
nommen werden. Ist das Atemgeräusch nach der Intubation auf
einer Seite wesentlich lauter oder gar nur auf
einer Seite zu auskultieren, so spricht dies dafür,
1.12.8 Lagekontrolle des Tubus dass der Tubus zu weit, nämlich bis in einen
Hauptbronchus, eingeführt wurde. Da beim Er-
Eine stets (!) drohende Gefahr bei der Intubation wachsenen der rechte Hauptbronchus etwas
! ist die versehentliche Fehlintubation in die Speise- größer ist und richtungsmäßig ungefähr die
röhre (vgl. Abb. 1-66). Deshalb ist es unmittelbar Fortsetzung der Trachea darstellt, während der
nach jeder Intubation zwingend (!) notwendig, linke Hauptbronchus etwas kleiner ist und in
sich von der korrekten Lage des Tubus zu über- einem größeren Winkel abgeht (vgl. Abb. 4-7;
zeugen. → S. 230), und da die Tubusspitze stets auf der
linken Seite angeschrägt ist (Abb. 1-36), gleitet
Hierzu wird die Lunge beidseits auskultiert. Bei ein zu weit eingeführter Tubus beim Erwachse-
richtiger Tubuslage ist über beiden (!) Lungen nen zumeist in den rechten Hauptbronchus ab.
ein seitengleiches Atemgeräusch zu hören. Falls Damit wird die linke Lunge schwächer oder gar
über beiden Lungen kein Atemgeräusch auskul- nicht ventiliert.
98 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Bei einseitiger Intubation muss der vorher wieder muss beachtet werden, dass alle bisher genann-
! entblockte (!) Tubus ca. 2 cm zurückgezogen und ten Zeichen nicht (!) sicher beweisend für eine
die Lage erneut kontrolliert werden. richtige bzw. eine falsche Intubation sind.

Die Auskultation der Lunge zur Lagekontrolle Im Regelfall sollte unmittelbar nach der Intubati-
des Tubus hat schon manchen Anästhesisten ir- ! on eine endexspiratorische CO -Messung vorhan-
2
regeführt. Bei Fehlintubation in die Speiseröhre den sein, um die Tubuslage zu kontrollieren. Die-
können unter Umständen die aus der Speise- se Methode kann als absolut sicher gelten, da nur
röhre fortgeleiteten Strömungsgeräusche als aus der Lunge, nicht jedoch aus dem Ösophagus
Atemgeräusche fehlinterpretiert werden. Ande- und Magen Kohlendioxid „abgeatmet“ wird.
rerseits können manchmal trotz richtiger Intu-
bation, z. B. bei Emphysematikern, nur sehr Weitere sichere Zeichen sind die fiberbroncho-
schwer Atemgeräusche gehört werden. Aus die- skopische Kontrolle, atemsynchrone Volumen-
sen Gründen darf die Auskultation der Lunge schwankungen des Beatmungsbeutels beim
nicht als absolut sichere Methode angesehen spontan atmenden Patienten oder ein (aller-
werden. dings erst verzögert auftretender) Abfall der
pulsoxymetrischen Sättigung sowie eine noch-
Ist die Auskultation nicht eindeutig, so sollten malige direkte laryngoskopische Bestätigung
! nicht die Lungen während mehrerer Beatmungen bei gut einstellbarer Glottis.
immer wieder auskultiert werden. Sollte der Tu- Ist es nun sicher, dass der Tubus im Tracheo-
bus in der Speiseröhre liegen, so werden mit je- bronchialsystem liegt, kann in Ruhe mehrfach
dem Atemhub z. B. 600 ml Atemgas in den Ma- die Lunge auskultiert werden, um eine einseiti-
gen geblasen! ge Intubation auszuschließen. Nach der Intuba-
tion sollte der Patient auf jeden Fall kurzfristig
Es muss sofort die Frage geklärt werden: Liegt von Hand (= manuell) beatmet werden. Bei der
der Tubus im Tracheobronchialsystem oder in manuellen Beatmung kann einerseits wesent-
der Speiseröhre? lich besser auskultiert werden als bei der ma-
schinellen Beatmung, andererseits lässt sich bei
Es sollte nun sofort eine Auskultation über der einiger Erfahrung meistens schon am Beat-
! Magengegend erfolgen; hiermit kann meist bestä- mungsbeutel fühlen, ob an der Beatmung „et-
tigt oder ausgeschlossen werden, dass der Tubus was nicht stimmt“.
im Ösophagus liegt. Liegt der Tubus in der Speise-
röhre, dann kann bei der Beatmung über dem Ma- Bestehen Zweifel, ob der Tubus richtig platziert
gen ein typisches Blubbern gehört werden. ! wurde, so sollte folgende Faustregel beachtet
werden:
Eine andere Möglichkeit besteht darin, unmit- If in doubt – take it out!! (Falls Zweifel bestehen
telbar nach der Intubation mit dem Handballen – ziehe ihn heraus!!)
kurz auf das Brustbein des Patienten zu drü­
cken. Am oralen Tubusende kann mit dem an-
genäherten Ohr bei Intubation ins Tracheo- 1.12.9 Fixierung des Tubus
bronchialsystem die entweichende Luft aus der
Lunge gehört und gefühlt werden. Beim starren Ist der Tubus geblockt und die Tubuslage als rich-
Brustkorb des Emphysematikers kann diese ! tig befunden, so muss der Tubus in dieser (!) La-
Methode jedoch manchmal versagen. Auch ein ge fixiert werden. Vor der Fixierung sollte der Arzt
beatmungssynchroner Feuchtigkeitsbeschlag die gewünschte Einführtiefe des Tubus benen-
bei durchsichtigen Endotrachealtuben spricht nen (z. B. bei einem oralen Tubus 22 cm an der
für eine endotracheale Intubation. Dennoch Zahnreihe bzw. bei einem nasalen Tubus 25 cm
12  Endotracheale Intubation 99

Abb. 1-67  Mittels 2 Pflasterstreifen im Mundwinkel


fixierter Orotrachealtubus

am Nasenflügel), sodass im Verlauf der Narko-


se wiederholt überprüft werden kann, ob die Tu- Abb. 1-68  Vorbereitung eines Pflasters für die Fixie­
bustiefe noch unverändert (bei z. B. 22 cm an der rung eines nasotrachealen Tubus
Zahnreihe) ist. Als Beißschutz für einen orotra-
chealen Tubus muss zusätzlich ein Guedel-Tubus
(→ S. 90) eingeführt werden, der ein Zusammen-
beißen und damit eine Einengung des Lumens
des Endotrachealtubus wirksam verhindern kann.

Es hat sich die Fixierung des orotrachealen Tu-


bus mit 2 langen Pflasterstreifen bewährt (vgl.
Abb. 1-67). Der Pflasterstreifen wird erst über
die eine Wange geklebt, dann möglichst nahe
am Mund einmal um den Tubus geschlungen
und anschließend über die andere Wange ge-
klebt. Ein zweiter Pflasterstreifen wird gegen-
läufig in gleicher Art und Weise festgeklebt. Falls
der Patient einen Vollbart hat, kann oft kein
Pflaster verwendet werden. Der Tubus muss in Abb. 1-69  Mittels Pflaster fixierter nasotrachealer Tu-
diesem Fall mit einem um den Nacken geschlun- bus
genen Band (z. B. Mullbinde) festgebunden wer-
den. Es stehen inzwischen auch komplette Sets
zur Tubusfixierung zur Verfügung.
Zur Fixierung eines nasotrachealen Tubus hat
sich z. B. ein breiter, ca. 7–10 cm langer Pflaster- Nach der Fixierung des Tubus muss immer noch-
streifen bewährt, der an einem Ende ca. 4 cm ! mals auskultiert werden, ob das Atemgeräusch
weit eingeschnitten wird (vgl. Abb. 1-68). Das noch beidseits gleich laut ist. Manchmal rutscht
breite Ende wird auf die Nase geklebt, die bei- der Tubus während des Fixierens weiter in die Tra-
den Füßchen werden jeweils von einer Seite um chea hinein und es kommt zur einseitigen Intuba-
den Tubus geschlungen (vgl. Abb. 1-69). tion.
100 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

1.12.10 Mögliche Komplikationen der Extubation zu einer starken Schwellung mit


durch Intubation und Tubus Einengung des Tracheallumens und zu Atem-
not führen. Sehr selten kommt es durch größere
subglottische Trachealschäden zu einer schwe-
Verletzung oder Ausbrechen ren, narbigen Stenose der Trachea, die unter
von Zähnen Umständen eine operative Korrektur notwen-
dig macht.
Bei unsachgemäßem Handhaben des Laryngo- Bei Verwendung eines Führungsstabes zur In-
skops kann es vor allem zur Beschädigung der tubation kann es zu Verletzungen (bis zur Per-
oberen Schneidezähne kommen. Ausgebroche- foration) der Trachea kommen, wenn dieser
ne Gebissteile sind umgehend zu entfernen, da- versehentlich über die Tubusspitze hinausragt
mit sie nicht in die Trachea eindringen können. (→ S. 88).
Bereits ins Tracheobronchialsystem eingedrun-
gene Gebissteile müssen bronchoskopisch ent-
fernt werden. Zahnbeschädigungen müssen Verletzung der Stimmbänder
stets dokumentiert werden.
Bei grober Intubation, nach Langzeitintubation
sowie bei der Wahl eines zu großen Tubus kann
Quetschung der Lippe es zu Ulzerationen und Druckschädigungen
an den Stimmbändern kommen. Die Folge kön-
Bei unvorsichtiger Intubation kann es zur Quet- nen postoperativer Stridor oder ein Larynx-
schung vor allem der Oberlippe zwischen Zahn- ödem sein. Sehr selten wurden auch meist
reihe und Laryngoskop kommen. vorübergehende ein- oder doppelseitige Stimm-
bandlähmungen durch druckbedingte Nerven-
schädigungen beschrieben. Eine mögliche Spät-
Verletzung der Nasen-, Rachen- komplikation nach Intubation können auch
und Trachealschleimhaut sog. Stimmbandgranulome sein, die sich meist
in einer hartnäckigen Heiserkeit äußern. Wenn
Die nasale Intubation kann zu Verletzungen sie sich durch Stimmschonung nicht zurückbil-
und unter Umständen starken Blutungen aus den, kann eine operative Entfernung notwendig
der Nasen- und Rachenschleimhaut führen. Zu werden.
starkes Blocken des Tubus-Cuffs sowie eine
Langzeitintubation können zur Druckschädi-
gung der Trachealschleimhaut führen. Außer- Auslösen von vegetativen Reflexen
dem kommt es während der maschinellen Beat-
mung zu geringfügigen atemsynchronen Bei der Intubation in zu oberflächlicher Narko-
Scheuerbewegungen des Tubus an der Schleim- se können vegetative Reflexe ausgelöst werden.
haut, vor allem an der Tubusspitze sowie an der Eine Vagusstimulierung (→ S. 9) kann sich als
Rachenhinterwand. Auch Kopfbewegungen des Bradykardie, als Laryngospasmus (→ S. 214)
Patienten begünstigen solche Scheuerläsionen. mit Intubationsschwierigkeiten und/oder als
Folge kleiner Schleimhautläsionen können 2–3 Bronchospasmus (= Krampf der Bronchialmus-
Tage dauernde Halsschmerzen, Schluckbe- kulatur) mit Beatmungsproblemen äußern.
schwerden und Heiserkeit nach der Extubation Eine stressbedingte Sympathikusstimulierung
sein. In Einzelfällen kann als Spätkomplikation äußert sich in einer Herzfrequenzsteigerung
auch eine Trachealstenose auftreten. und in einer Blutdrucksteigerung.
Vor allem bei Kindern kann eine Verletzung
der subglottischen Trachealschleimhaut nach
1.13  Kehlkopfmaske (Larynxmaske) 101

Fehlintubation Schutzreflexe noch nicht zurückgekehrt, so


droht eine Aspiration (→ S. 211).
Eine Fehlintubation in den Ösophagus sowie
eine zu tiefe Intubation mit einseitiger Ventila-
tion sind durch eine sofortige Lagekontrolle des
Tubus (→ S. 97) stets auszuschließen. 1.13 Kehlkopfmaske
(Larynxmaske)
Tubusverlegung
1988 wurden sog. Kehlkopfmasken (Larynxmas-
Ursachen einer Tubusverlegung können sein: ! ken) in die Klinik eingeführt. Sie sollen eine grö-
● abgeknickter Tubus ßere Sicherheit für den Patienten und eine bessere
● eingetrocknetes Sekret Bequemlichkeit für den Anästhesisten bieten als
● Fremdmaterial im Tubus die herkömmliche Gesichtsmaske. Der Einsatz ei-
ner Larynxmaske bietet sich oft anstatt einer Mas-
kennarkose an. Durch den Einsatz einer Larynx-
Diskonnektion maske können die oberen Luftwege gesichert und
die Risiken einer endotrachealen Intubation ver-
Ein nicht sofort bemerktes Lösen (= Diskon- mieden werden.
nektion) einer Schlauchverbindung kann fatale
Folgen haben. Die Alarmsysteme des Narkose- Die Kehlkopfmaske besteht im Prinzip aus ei-
apparates müssen (!) daher stets sinnvoll (!) ein- nem weitlumigen Silikontubus; dieser ist mit
geschaltet sein. Um z. B. eine Diskonnektion einem gekürzten Endotrachealtubus vergleich-
sofort feststellen zu können, müssen entspre- bar, der aber unmittelbar vor dem Kehlkopfein-
chende Grenzen für Beatmungsdruck, Atem- gang endet. Am distalen Ende dieses Silikontu-
minutenvolumen und CO2-Konzentration ein- bus ist schräg eine ovale, leicht trichterförmige
gestellt werden. kleine Maske angebracht, deren Randwulst über
eine Blockerzuleitung – ähnlich der Blocker-
manschette eines Endotrachealtubus – aufge-
Extubationsprobleme blasen (geblockt) werden kann (vgl. Abb.
1-70a–e). Der geblockte Wulst der Larynxmas-
Bei oder kurz nach der Extubation kann es zu ke legt sich trichterförmig um den Kehlkopfein-
einem Laryngospasmus (→ S. 214) kommen, gang und dichtet diesen ab. Auf der Innenseite
wenn Sekret, Blutkoagel oder Fremdmaterial der trichterförmigen Maske befinden sich vor
den Kehlkopfeingang irritieren oder wenn z. B. der Öffnung zum Tubus hin 2 Längsstege, die
während des Exzitationsstadiums (→ S. 106) ein Einklemmen der Epiglottis im Tubuslumen
extubiert wird. verhindern. Am oberen Ende der Kehlkopf-
maske befindet sich ein Konnektor für den An-
Vor der Extubation ist daher immer ein sorgfälti- schluss der Beatmungsschläuche bzw. den Di-
! ges Absaugen des Rachens (ggf. unter laryngosko- rektanschluss eines Beatmungsbeutels.
pischer Sicht) erforderlich. Nach Narkoseeinleitung wird die Larynxmaske
platziert. Vor dem Einführen muss der Wulst-
Die Extubation sollte möglichst am ausreichend rand der Larynxmaske vorzugsweise mit einer
spontan atmenden Patienten mit zurückgekehr- 20-ml-Spritze über die Blockerzuleitung luftleer
ten Schutzreflexen vorgenommen werden. Bei gesaugt und der rückseitige Wulstrand sollte
der Extubation kann es beim Patienten auch mit künstlichem Speichel besprüht oder mit
zum Erbrechen kommen. Sind hierbei die Xylocain®-Gel versehen werden. Zum Platzie-
102 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Abb. 1-70  Larynxmaske.
a Gesamtansicht. b Aufsicht auf den geblockten Trich-
tereingang. c Aufsicht auf die Rückseite des geblockten
Maskentrichters. d Aufsicht auf den entblockten Trich-
tereingang. e Aufsicht auf die Rückseite des entblock-
ten Maskentrichters.

ren der Larynxmaske wird der Kopf des Patien- rynxmaske wird blind, das heißt ohne Verwen-
ten meist etwas stärker überstreckt als für die dung des Laryngoskops, eingeführt. Hierbei
endotracheale Intubation üblich, und der Mund muss die Öffnung der Kehlkopfmaske nach
des Patienten wird mit der linken Hand – ggf. kaudal und ventral zeigen. Die am Schlauch der
durch eine Hilfsperson – geöffnet. Nun wird die Larynxmaske angebrachte schwarze Strichmar-
Larynxmaske über den Zungenrücken, dicht kierung (vgl. Abb. 1-70c, e) muss stets in Rich-
entlang am harten Gaumen, in Richtung Kehl- tung Nase des Patienten zeigen. Der Zeigefinger
kopf vorgeschoben (vgl. Abb. 1-71a). Die La- wird als Schienung benutzt (vgl. Abb. 1-71a, b).
1.13  Kehlkopfmaske (Larynxmaske) 103

Abb. 1-71  Larynxmaske. a–c Öffnen des Mundes und Einführen einer Larynxmaske. d Richtig platzierte und ge-
blockte Larynxmaske.

Nach vollständigem Einführen der Larynxmas- mung bis zu einem Beatmungsdruck von 15–20
ke tritt ein Widerstand auf, sie kann nicht weiter cm H2O sollte keine Luft neben der Maske ent-
vorgeschoben werden. Nun liegt die Kehlkopf- weichen. Falls beim Beatmen jedoch hörbar
maske mit ihrer Spitze im Ösophaguseingang Luft entweicht, muss die Maske nachgeblockt
(Abb. 1-71c). Der Trichter der Kehlkopfmaske bzw. neu positioniert werden. Für eine evtl.
liegt vor dem Kehlkopfeingang. Die Stimmbän- Neupositionierung wird die Maske am besten
der werden nicht berührt. Es wird jetzt der nochmals entfernt, der Patient kurz mit Ge-
Maskenwulst (je nach Maskengröße) mit maxi- sichtsmaske zwischenbeatmet, und danach wird
mal 4–50 ml Luft (→ S. 104) geblockt (→ S. 96), ein erneuter Platzierungsversuch unternom-
wodurch der Kehlkopfeingang abgedichtet men. Wie beim Endotrachealtubus wird oft
wird. auch neben der Kehlkopfmaske ein Beißschutz
Jetzt kann der Patient über die Kehlkopfmaske eingeführt. Gut geeignet ist hierfür z. B. eine an-
beatmet werden (vgl. Abb. 1-71d). Bei der Beat- gefeuchtete Rolle Mullbinde. Ein Guedel-Tubus
104 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

ist weniger geeignet, da er zu einer lateralen Die Maske der Größe 1 wird mit maximal 4 ml
Verdrängung der normalerweise mittig im geblockt. Für die Maskengröße 1,5 bzw. 2 wer-
Mund und Rachen liegenden Larynxmaske den maximal 7 bzw. 10 ml, für die 2,5er Larynx-
führt. Es sind auch spezielle Fixierungshilfen masken maximal 14 ml, für die Größe 3 maxi-
erhältlich, in die der Schlauch der Larynxmaske mal 20 ml, für die Größe 4 maximal 30 ml und
eingeklemmt wird und die ein Zusammenbei- für die 5er bzw. 6er Larynxmasken werden ma-
ßen der Zähne des Patienten wirkungsvoll ver- ximal 40 bzw. 50 ml Luft zum Blocken benö-
hindern. Zum Teil wird allerdings auf den Beiß- tigt.
schutz verzichtet. Larynxmaske und evtl. Außerdem sind inzwischen auch Kehlkopfmas-
Beißschutz werden wie ein endotrachealer Tu- ken verfügbar, bei denen das Schlauchstück
bus mit Pflasterstreifen fixiert. sehr flexibel gearbeitet ist und (vergleichbar ei-
nem Woodbridge-Tubus) eine eingegossene
Die Kehlkopfmaske bietet keinen absoluten Schutz Metallspirale enthält. Diese „flexiblen Kehl-
! im Falle einer Regurgitation. Deshalb ist bei beste- kopfmasken“ (RT-Larynxmaske; RT = rein-
hender Aspirationsgefahr stets eine endotrache- forced tube) sind für Operationen mit abge-
ale Intubation vorzuziehen. decktem Kopf oder für Operationen in
Seitenlage gedacht, bei denen das aus dem
Bei zu flacher Narkoseführung kann während, Mund ausgeleitete Schlauchstück zur Seite oder
aber auch noch nach bereits erfolgreicher Plat- nach oben bzw. unten abgeleitet werden muss.
zierung der Larynxmaske ein Glottiskrampf mit Seit 2001 stehen auch doppelläufige Larynx-
Beatmungsproblemen auftreten. masken (LMA ProSeal; LMA = laryngeal mask
Der Einsatz der Larynxmaske bietet sich vor al- airway) zur Verfügung (vgl. Abb. 1-72a). Das
lem bei kürzeren, voraussichtlich unkompli- zweite Lumen endet an der Spitze des Masken-
zierten Narkosen an. wulstes und kommt im Ösophaguseingang zu
Folgende 8 Größen von Larynxmasken gibt es liegen. Über dieses zweite Lumen kann ggf. eine
und ermöglichen den Einsatz in allen Alters- Magenverweilsonde vorgeschoben werden oder
gruppen: der Magen abgesaugt werden. Der Tubusteil
● Größe 1: dieser Maske enthält außerdem einen integrier-
bis 5 kg KG ten Beißschutz.
● Größe 1,5: Für Notfallsituationen steht eine spezielle Intu-
5–10 kg KG bationslarynxmaske (Fastrach) zur Verfügung
● Größe 2: (vgl. Abb. 1-72b), deren Silikontubus metallver-
10–20 kg KG stärkt und stärker vorgebogen ist, wodurch ein
● Größe 2,5: relativ leichtes Einführen auch in schwierigen
20–30 kg KG Situationen möglich ist. Über diese spezielle
● Größe 3: Kehlkopfmaske kann nach der Platzierung auch
größere Kinder und kleine Erwachsene (30– ein (mitgelieferter) spezieller Endotrachealtu-
50 kg KG) bus relativ leicht bis in die Trachea vorgescho-
● Größe 4: ben werden.
Erwachsene Wiederverwendbare Kehlkopfmasken sind viel-
● Größe 5: fach (bis 40-mal) dampfsterilisierbar. Inzwi-
Übergröße für Männer mit 70–100 kg KG schen werden allerdings zunehmend häufiger
● Größe 6: billige Einweglarynxmasken verwendet.
Übergröße für Männer mit > 100 kg KG
1.14  Larynxtubus 105

a b

Abb. 1-72  ProSeal- und Intubationslarynxmaske. b Intubationslarynxmaske (Fastrach; vgl. Text unten),


a ProSeal-Larynxmaske; über das zweite Lumen kann über die dann ggf. ein spezieller (Woodbridge) Tubus bis
ggf. eine Magensonde vorgeschoben werden (vgl. Text in die Trachea vorgeschoben werden kann.
unten).

1.14 Larynxtubus
Bei einem Larynxtubus (vgl. Abb. 1-73) handelt
es sich um einen wiederverwendbaren Einlu-
mentubus aus Silikon, der an seinem Ende mit
einem kleinen (distalen) ballonartigen Cuff en-
det. Dieser distale Cuff kommt im Ösophagus-
eingang zu liegen und dichtet diesen ab. Ein
zweiter, großer (proximaler) ballonartiger Cuff
verschließt den Nasen-Rachen-Raum. Zwi-
schen diesen beiden Cuffs befindet sich auf
Höhe des Kehlkopfeinganges die Tubusöffnung,
über die der Patient beatmet wird. Beide Cuffs
werden über einen gemeinsamen Füllschlauch
mit einer großen (mitgelieferten) Blockersprit-
ze geblockt. Der Larynxtubus wird als Alterna-
tive für eine Larynxmaske angeboten. Larynx-
tuben liegen in den Größen 0, 1, 2, 3, 4 und 5
vor. Die Größe 4 bzw. 5 ist z. B. für Erwachsene
mit 155–180 bzw. > 180 cm Größe.

Abb. 1-73  Larynxtubus mit proximalem (1) und dis-


talem (2) Cuff. 3 = Tubusöffnung, über die der Patient
beatmet wird.
106 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

1.15 Narkosetiefe (→ S. 214) auftreten. Das Exzitationsstadium


muss möglichst schnell durchlaufen und der
1.15.1 Narkosestadien Patient während dieser Zeit von äußeren
Reizen abgeschirmt werden.
bei der Ethertropfnarkose –
Guedel-Schema Das Durchlaufen des Exzitationsstadiums wird
! auch bei (v. a. der Ausleitung) einer modernen
Bereits bei den Anfängen der Ethertropfnarko- Inhalationsanästhesie häufiger beobachtet.
se wurde versucht, die Narkosetiefe in verschie-
dene Stadien einzuteilen. Guedel entwickelte ● drittes Stadium – Stadium der chirurgischen
dann das heute noch (nur) für die Ethernarkose Toleranz
gültige sogenannte Guedel-Schema, das in fol-
gende 4 Stadien unterteilt ist: Das dritte Stadium ist definiert vom Beginn der
● erstes Stadium – Stadium der Amnesie und

regelmäßigen Atembewegungen bis zum Ein-
Analgesie setzen der Atemlähmung.

Das erste Stadium ist definiert vom Beginn Das Toleranzstadium wird weiter unterteilt

der Ethernarkose bis zum Verlust des Bewusst- in Planum 1–4. Im Planum 1 sind die Pupil-
seins. Es ist gekennzeichnet durch eine Erin- len eng. Mit zunehmender Narkosetiefe wer-
nerungslosigkeit (= Amnesie) und eine zuneh- den sie weiter und sind im Planum 4 weit
mende Schmerzfreiheit (= Analgesie). und reaktionslos. Der Atemtyp verlagert sich
mit zunehmender Narkosetiefe vom thora-
Der Patient kann unter Umständen noch an- kalen Atmungstyp zum diaphragmal-abdo-
sprechbar und kooperativ sein. Weniger minalen Atmungstyp. Im Planum 3 erlischt
schmerzhafte Eingriffe, wie z. B. ein Ver- die Interkostalatmung, im Planum 4 kommt
bandswechsel, werden toleriert. Dieses Sta- auch die Zwerchfellatmung zum Erliegen.
dium wird auch als „Rauschstadium“ be- Mit zunehmender Narkosetiefe nehmen der
zeichnet. Muskeltonus, die Schluck-, Würge-, Husten-
● zweite Stadium – Erregungs- oder Exzitati- und Kornealreflexe ab. Auch der Blutdruck
onsstadium sinkt mit zunehmender Narkosetiefe immer
weiter ab.
Das zweite Stadium ist definiert vom Bewusst- ● viertes Stadium – Paralysestadium

seinsverlust bis zum Beginn einer automati-
schen, regelmäßigen Atmung. Das Exzitations- Das vierte Stadium ist definiert vom Beginn
stadium entspricht der langsamen Ausschal- 
der Zwerchfelllähmung bis zum Tod des Pati-
tung der Großhirnaktivität und ist gekenn- enten durch Atemstillstand mit nachfolgen-
zeichnet durch überschießende motorische Ak- dem Kreislaufstillstand.
tivität.
Aus historischen Gründen sollte das Guedel-
Reize werden übersteigert beantwortet, die Schema auch heute noch bekannt sein. Für die
Pupillen sind weit, die Augen wandern un- Zuordnung zu einem bestimmten Stadium ist
ruhig hin und her, eine gesteigerte Speichel- entscheidend das Verhalten
produktion, Schlucken sowie Atemstörun- ● der Atmung,

gen (Husten; Atemanhalten; gesteigerte, ● der Pupillen,

unregelmäßige Atmung usw.) sind typisch ● der vegetativen Reflexe und

für das Exzitationsstadium. Gelegentlich ● des Muskeltonus.

können Erbrechen oder ein Laryngospasmus


1.15  Narkosetiefe 107

Das Guedel-Schema wurde für die Ethernarko- Ketamin) sowie Remifentanil führen zu einer
se entwickelt und hat nur beim nicht prämedi- dosisabhängigen Blutdrucksenkung. Eine zu
zierten und mit Ether narkotisierten Patienten hohe Dosierung der meisten Anästhetika wird
volle Gültigkeit. Bei den neueren Kombinati- sich daher in einem erniedrigten Blutdruck äu-
onsnarkosen wird durch die Verabreichung von ßern. In einem zu flachen Narkosestadium
Muskelrelaxanzien die Beurteilung des Muskel- kommt es zu einem schmerzbedingten Blut-
tonus und damit auch der Spontanatmung und druckanstieg. Ist der Patient bei einer Inhalati-
der Reflexe unmöglich gemacht. Durch die Ver- onsnarkose nicht relaxiert und hat er spontane
abreichung von Analgetika der Opioidgruppe Atembewegungen, so können durch operative
ist aufgrund deren pupillenverengender Neben- Schmerzreize in einem zu flachen Narkosesta-
wirkung (→ S. 8) die Beurteilung der Pupillen- dium Störungen der Atmung auftreten. Der Pa-
größe nicht mehr möglich. Bei der heute übli- tient atmet plötzlich tiefer durch, es kann ein
chen Narkoseeinleitung mit intravenösen Hustenanfall oder, bei einer Beatmung über
Hypnotika wie z. B. Thiopental (→ S. 49) wer- Gesichts- bzw. Larynxmaske, ein Laryngospas-
den Stadium 1 und Stadium 2 übersprungen. mus (→ S. 214) ausgelöst werden. Ebenso kön-
Das Durchlaufen der einzelnen Stadien entfällt nen schmerzbedingte Abwehrbewegungen auf-
damit. Des Weiteren wird die Stadieneinteilung treten. Auch tränende Augen oder eine stark
durch die Prämedikation verfälscht. gefäßinjizierte Bindehaut sprechen für eine zu
flache Narkose.
Das Guedel-Schema hat daher bei einer moder- Eine Herzfrequenzsteigerung (in Kombination
! nen Inhalationsnarkose nur begrenzten Aussa- mit einem Blutdruckanstieg) spricht gleichfalls
gewert. Bei einer balancierten Anästhesie (→ S. für eine zu flache Narkose. Der Abfall einer er-
124), einer intravenösen (IVA) oder einer total höhten Herzfrequenz spricht umgekehrt für
intravenösen Anästhesie (TIVA) (→ S. 125) ist es eine tiefere Narkose oder für ein Nachlassen des
nicht verwertbar. operativen Schmerzreizes.
Zur Überwachung der Narkosetiefe wird in den
Die bei einer modernen Narkose angestrebte letzten Jahren zum Teil auch eine modifizierte
Narkosetiefe würde im Guedel-Schema dem (vereinfachte) Ableitung des Elektroenzephalo-
dritten Stadium (Planum 1–2) entsprechen. gramms (EEG) propagiert. Hierbei werden aus
den EEG-Signalen bestimmte Werte (z. B. der
sog. Bispektralindex; BIS-Zahl) ermittelt und
1.15.2 Beurteilung bei moderner vom entsprechenden BIS-Monitor angezeigt.
Narkoseführung
Eine BIS-Zahl von 100 entspricht einem wachen
! Patienten, eine BIS-Zahl von ca. 70 entspricht ei-
Die Beurteilung der Narkosetiefe bei einer moder-
! nen Narkose ist abhängig von den dazu verwen- ner tiefen Sedierung! Ein BIS-Wert von ca. 50 bzw.
deten Medikamenten. Bei einer Inhalationsnarko- < 40 entspricht einer mittleren Narkosetiefe bzw.
se, einer balancierten Anästhesie bzw. einer IVA einer tiefen Narkose.
oder TIVA ist das Blutdruckverhalten der zuverläs-
sigste Parameter. Dieses prozessierte EEG soll eine Entschei-
dungshilfe zur Steuerung der Narkosetiefe dar-
stellen. Es kann jedoch stets nur im Zusammen-
Alle Inhalationsanästhetika und die meisten in- hang mit den klinisch erfassbaren Parametern
travenösen Hypnotika (mit Ausnahme von (→ oben) beurteilt werden.
108 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

1.16 Manuelle Beatmung
mit dem Kreissystem

1.16.1 Einstellung des Überdruck-


ventils
Zum besseren Verständnis sei kurz nochmals
das Funktionsprinzip des Kreissystems und des
Überdruckventils wiederholt (ausführliche Be-
schreibung → S. 13 und 21).

Das Kreissystem funktioniert nach dem Prinzip



des halbgeschlossenen Systems (→ S. 12), das
heißt, ein Teil des Ausatemvolumens wird nach
Herausfiltern des CO2 wieder rückgeatmet. Der
andere Teil des Ausatemvolumens entweicht über
das Überdruckventil in die Absaugung. Es muss
immer so viel Gas pro Minute in die Absaugung
entweichen wie Frischgas pro Minute in das Kreis-
system geleitet wird. Abb. 1-74  Druckbegrenzungsventil. 1 = Hebelstellung
„MAN“ für manuelle oder maschinelle Beatmung. 2 =
Während der manuellen Beatmung muss das Hebelstellung „SPONT“ für Spontanatmung. Bei der
Überdruckventil eingeschaltet werden, das manuellen Beatmung ist das Feinregulierventil durch
Drehen des Kippschalters auf ca. 10–15 mbar einzustel-
heißt, der Kipphebel muss auf „MAN“ (manu-
len. Bei der maschinellen Beatmung ist das Feinregu­
ell) gestellt werden (vgl. 1 in Abb. 1-74). Mithil-
lierventil höher als der notwendige Beatmungsdruck
fe des Drehknopfes am Überdruckventil kann einzustellen. Zumeist wird ein Wert von ca. 40 mbar
nun eingestellt werden, wie hoch der Druck im eingestellt. Das Überdruckventil kann zwischen ca. 5
Kreissystem sein muss, damit Gas über das und 70 mbar eingestellt werden.
Überdruckventil entweichen kann. Druckbe-
grenzungsventile können zwischen 5 und 70
mbar eingestellt werden. Bei Beatmung über
eine Gesichts- bzw. Larynxmaske sollte die Wird das Überdruckventil zu niedrig, z. B. nur
Grenze von 20 mbar nicht überschritten wer- auf 5 mbar eingestellt, so ist eine ausreichende
den, da ansonsten Beatmungsgemisch in den Blähung der Lungen nicht möglich. Bereits bei
Magen gelangen könnte. Durch rhythmisches einem Druck von 5 mbar im Kreissystem ent-
Komprimieren des Beatmungsbeutels (→ S. 22) weicht das Gasvolumen des komprimierten Be-
kann nun der Patient beatmet werden. atmungsbeutels über das Überdruckventil in
die Absaugung. Der Beatmungsbeutel wird sich
Um die Lungen eines Patienten blähen zu können, bei jedem Beatmungshub fast ohne Widerstand
! ist normalerweise während der Inspiration ein Be- leer drücken lassen, ohne dass die Lungen des
atmungsdruck von ca. 10–15 mbar notwendig. Patienten genügend gebläht werden – der Pati-
Während der Inspiration muss also im Kreissys­ ent wird zu wenig beatmet.
tem ein Druck von 10–15 mbar aufgebaut wer-
den. Deshalb wird das Überdruckventil auf min- Immer wenn der Beatmungsbeutel zu schlaff ist
destens 10–15 mbar eingestellt. ! und sich fast widerstandslos leer drücken lässt,
muss also die Überdruckgrenze erhöht werden.
1.16  Manuelle Beatmung mit dem Kreissystem 109

Wird die Überdruckgrenze dagegen zu hoch ner Gesichtsmaske beatmet, denn nach Injekti-
eingestellt, z. B. auf 30 mbar, so wird vorerst bei on des Einleitungshypnotikums wird der Pati-
der Beatmung des Patienten, für die nur 10–15 ent bewusstlos und es kommt zu einem
mbar nötig sind, keine Luft über das Über- Atemstillstand. Der Patient muss dann so lange
druckventil entweichen. Da jedoch laufend über eine Gesichtsmaske beatmet werden, bis
Frischgas in das Kreissystem einströmt (z. B. 3 l/ die Kehlkopfmaske eingeführt oder er intubiert
min), nimmt das Gasvolumen im Kreissystem werden kann. Für die Maskenbeatmung stehen
und im Patienten kontinuierlich zu. Der als Gesichtsmasken unterschiedlicher Größe zur
Ausgleichsbeutel dienende Beatmungsbeutel Verfügung.
wird entsprechend praller, und es baut sich ein
zunehmender Druck im Kreissystem auf. Erst
wenn der Druck bei der manuellen Kompressi- Gesichtsmasken
on des Beatmungsbeutels über die eingestellte
Druckgrenze von 30 mbar ansteigt, kann Aus­ Gesichtsmasken bestehen meist aus (schwar-
atemgas über das Überdruckventil in die Ab- zem) antistatischem Gummi.
saugung entweichen. Die Lungen des Patienten Für Erwachsene gibt es, je nach Modell, meist
werden hierbei überbläht – der Patient wird 3–5 verschiedene Größen (vgl. Abb. 1-75 und
meist zu stark beatmet. 1-76). Für Säuglinge und Kleinkinder werden
in der Regel sog. Rendell-Baker-Masken ver-
Immer, wenn der Beatmungsbeutel zu prall ist wendet (→ S. 236).
! und sich nur gegen hohen Widerstand leer drü­ Die Maske wird über ein Winkelstück mit dem
cken lässt, muss also die Überdruckgrenze ernied- Ein- und Ausatemschlauch des Narkosegerätes
rigt werden. verbunden (vgl. auch Abb. 1-4).

Während der manuellen Beatmung muss erfah-


rungsgemäß die Überdruckgrenze mehrmals Durchführung
verändert werden, bis durch Ausprobieren die der Maskenbeatmung
optimale Überdruckgrenze eingestellt werden
kann und der Beatmungsbeutel weder zu schlaff Die manuelle Beatmung eines Patienten über
noch zu prall ist. eine Gesichtsmaske wird folgendermaßen
durchgeführt: Die Gesichtsmaske wird mit der
linken Hand fest auf das Gesicht des Patienten
gesetzt und um Mund und Nase dicht ver-
1.16.2 Manuelle Beatmung schlossen (vgl. Abb. 1-77). Der Daumen kommt
über eine Gesichtsmaske oberhalb, der Zeigefinger unterhalb des Win-
kelstückes zu liegen. Mittel-, Ring- und Klein-
Allgemeine Bemerkungen finger umgreifen den Unterkiefer im Bereich
des Unterkieferwinkels. Besonders wichtig ist
Die Beatmung während einer Narkose kann hierbei eine gleichzeitige deutliche Überstre­
über einen Endotrachealtubus, eine Kehlkopf- ckung des Kopfes mit der linken Hand, um zu
maske oder auch über eine dicht um Mund und verhindern, dass durch die bei Bewusstlosigkeit
Nase geschlossene Gesichtsmaske (= Masken- zurückfallende Zunge der Rachenraum verlegt
beatmung) erfolgen. Auch wenn eine Intubati- und die Maskenbeatmung behindert wird. Mit
onsnarkose durchgeführt werden soll oder eine der rechten Hand wird nun der Beatmungsbeu-
Kehlkopfmaske eingelegt werden soll, wird der tel bedient.
Patient normalerweise zuerst kurzfristig mit ei-
110 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Abb. 1-75  Gesichtsmasken. a Gesichtsmasken unter- dem abgesaugten Beatmungsgemisch wird in einem


schiedlicher Größe mit aufblasbarem Randwulst. b Ge- Multifunktionsmonitor (vgl. Abb. 1-14) die Konzentra-
sichtsmaske, die über ein Winkelstück mit dem In- und tion von Sauerstoff, Kohlendioxid, Lachgas und volatilem
dem Exspirationsschlauch konnektiert ist. 1 = An- Inhalationsanästhetikum bestimmt.
schlussstutzen für Probenentnahmeschlauch (= 2). In

Bei der Maskenbeatmung ist streng darauf zu ● Zumeist ist der Kopf des Patienten nicht aus-
! achten, dass mit einem möglichst geringen Beat- reichend überstreckt und die nach hinten
mungsdruck beatmet wird. Ist der am Manome- fallende Zunge verlegt die oberen Luftwege.
ter angezeigte Beatmungsdruck höher als ca. 20 Manchmal wird dann fälschlicherweise ver-
mbar (mbar = millibar, 1 mbar entspricht unge-
fähr 1 cm Wassersäule), so muss befürchtet wer-
den, dass ein Teil des insufflierten Volumens in
den Magen gepresst wird (denn bei einem Beat-
mungsdruck von ca. 20 mbar wird der Ösopha-
gusverschlussdruck überschritten).

Baut sich während der Beatmung fast kein


Druck am Manometer auf und der Beatmungs-
beutel bleibt trotz hoher Einstellung des
Druckbegrenzungsventils (→ S. 21) schlaff, so
liegt der Grund meistens in einer nicht ausrei-
chend abgedichteten Gesichtsmaske. Die Ge-
sichtsmaske ist dichter aufzusetzen. Ist der Be-
atmungsdruck zu hoch, kommen vor allem Abb. 1-76  Gesichtsmaske ohne aufblasbaren Rand-
folgende Gründe infrage: wulst
1.16  Manuelle Beatmung mit dem Kreissystem 111

Dosis des Einleitungshypnotikums verab-


reicht worden ist. Es empfiehlt sich eine
Nachinjektionsdosis. Vor dem Einlegen ei-
nes Guedel-Tubus in dieser Situation ist zu
warnen.
● Das Überdruckventil ist zu hoch eingestellt

(→ S. 110).

1.16.3 Manuelle Beatmung
des intubierten Patienten
Soll ein intubierter Patient manuell beatmet
werden, so muss das Überdruckventil (wie oben
beschrieben) bedient werden. Zumindest un-
mittelbar nach der Intubation wird kurzfristig
eine manuelle Beatmung durchgeführt. Bei der
manuellen Beatmung kann besser auskultiert
werden. Auch sollte der Patient immer, wenn
während der maschinellen Beatmung Probleme
auftreten, vorübergehend manuell beatmet wer-
Abb. 1-77  Korrektes Halten der Gesichtsmaske
den. Bei einiger Erfahrung kann dann am Beat-
mungsbeutel gefühlt werden, ob der Patient z. B.
sucht, das Überdruckventil hoch einzustel- einen asthmatischen Anfall hat, ob er selbst at-
len und mit einem hohen Beatmungsdruck met oder ob er hustet. Auch wenn eine Inhalati-
den Beatmungswiderstand zu überwinden. onsnarkose schnell vertieft werden muss, sollte
Durch eine korrekte Überstreckung des Kop- neben einer Erhöhung der inspiratorischen
fes kann dieses Beatmungshindernis meist Konzentration des Inhalationsanästhetikums
beseitigt werden. Manchmal ist allerdings auch eine kurzfristige manuelle Beatmung
trotz korrekten Überstreckens des Kopfes durchgeführt werden. Hierbei kann der Patient
eine Verlegung der oberen Luftwege durch kurzfristig hyperventiliert werden, wodurch die
die zurückfallende Zunge nicht zu vermei- höhere Konzentration des Inhalationsanästhe-
den. In diesem Falle empfiehlt es sich, dem tikums schneller anflutet (→ S. 38). Auch bei
Patienten einen entsprechend großen Gue- bestimmten Operationsabschnitten, z. B. bei
del-Tubus einzulegen (→ S. 90). Vorausset- Lungenoperationen, lassen sich durch die
zung für das Einlegen eines Guedel-Tubus ist manuelle Beatmung die Atemexkursionen bei
jedoch, dass der Patient genügend tief be- Bedarf besser dem operativen Vorgehen anpas-
wusstlos ist und die Reflexe des Rachens und sen. Gegen Ende der Narkose, wenn die Spon­
des Kehlkopfes ausgeschaltet sind. Ansons­ tanatmung des Patienten wieder stimuliert
ten muss mit einer Reizung der Rachen- werden soll, empfiehlt sich ebenfalls oft eine
schleimhaut und mit dem Auslösen von manuelle Beatmung. Beginnt der Patient nun
Hus­ten- und Würgereflexen, im schlimm- langsam spontan zu atmen, so kann die manu-
sten Falle mit Erbrechen oder einem Laryn- elle Beatmung seiner Eigenatmung ange­-
gospasmus (→ S. 214) gerechnet werden. passt werden (= assistierte Beatmung). Im
● Der Patient ist noch nicht bewusstlos und Prinzip könnte auch während der ganzen Nar-
wehrt sich gegen die Maskenbeatmung. kose ein intubierter Patient manuell beatmet
Meist liegt es daran, dass eine zu niedrige werden.
112 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

1.16.4 Manuelle Beatmung auch während der maschinellen Beatmung auf


über eine Larynxmaske „MAN“ stehen. Bei modernen Beatmungsgeräten
(z. B. Cicero, Fabius, Zeus, Fa. Dräger; Abb. 1-20b,
Bei Durchführung einer Allgemeinanästhesie c) ist die Position und Einstellung des Druckbe-
unter Verwendung einer Larynxmaske sollte grenzungsventils beim Einschalten der maschinel-
möglichst keine maschinelle Beatmung, son- len Beatmung belanglos.
dern eine manuelle Beatmung erfolgen. Ideal ist
eine Spontanatmung des Patienten, die manuell Bei maschineller Beatmung entweicht norma-
leicht unterstützt (= assistiert) wird. Wird den- lerweise kein Gas über das Überdruckventil.
noch eine maschinelle Beatmung eingeschaltet, Die eingeschaltete Beatmungsmaschine kon-
sollte (damit keine höheren Beatmungsdrücke trolliert selbstständig über einen anderen Me-
auftreten können) eine druckkontrollierte oder chanismus die Gasmenge, die in die Absaugung
-begrenzte Beatmung vorgenommen werden. gelangen muss. Das Beatmungsgerät und die
entsprechenden Alarme sind einzuschalten und
korrekt einzustellen (→ S. 22).
1.16.5 Spontanatmung
Soll der Patient über das Kreissystem spontan at-
! men und dabei nicht manuell unterstützt werden, 1.17 Maskennarkose
so muss am Druckbegrenzungsventil der Kipphe-
bel auf „SPONT“ (spontan) gestellt werden (vgl. 1.17.1 Allgemeine Bemerkungen
Abb. 1-18 und 1-74). Hierbei ist das Feinregulier-
ventil automatisch auf ca. 5 mbar eingestellt. Bei einer Maskennarkose wird auf die endotrache-

ale Intubation verzichtet und der Patient während
der gesamten Dauer der Narkose über eine dicht
Ausatemluft kann nun über das Überdruckven- um Mund und Nase geschlossene Gesichtsmas-
til entweichen, sobald der Druck im Kreissy- ke von Hand beatmet. Eine Maskennarkose wird
stem über 5 mbar ansteigt. Der Patient atmet oft – nach initialer Gabe eines Einleitungshypno-
dann bei einem PEEP von ca. 5 mbar (→ S. 23) tikums (→ S. 113) – mit einem verdampfbaren
spontan. Aufgrund des geringen Drucks von 5 Inhalationsanästhetikum (= Inhalationsnarkose;
mbar im Kreissystem ist der Atembeutel leicht → S. 116), evtl. in Kombination mit einem Opioid
gebläht. Er stellt damit ein Reservevolumen dar, (z. B. 0,1 mg Fentanyl) (= balancierte Anästhesie;
falls der Patient plötzlich einen tiefen Atemzug → S. 124) oder mit Propofol plus einem Opioid
macht. (z. B. Fentanyl, Sufentanil oder Alfentanil) und
N2O (= intravenöse Anästhesie; → S. 125) durch-
geführt. Zunehmend häufiger wird im Rahmen
1.16.6 Übergang zur maschinellen einer Maskennarkose auch eine total intravenöse
Beatmung Anästhesie (= TIVA; → S. 125) ohne Zusatz von
Lachgas durchgeführt (z. B. Propofol plus Fentanyl
Soll von der manuellen auf die maschinelle Beat- plus Sauerstoff).
! mung übergegangen werden (z. B. weil der Pati-
ent inzwischen intubiert wurde), so muss bei äl- Eine Maskennarkose verbietet sich, wenn eine
teren Narkosegeräten (z. B. Sulla 808 mit Ventilog, ! absolute Indikation zur Intubation (→ S. 82) be-
Fa. Dräger; Abb. 1-20a) das Druckbegrenzungs- steht. Insbesondere sei nochmals erwähnt, dass
ventil (Abb. 1-17) auf einen Wert gestellt werden, jeder nicht nüchterne Patient (→ S. 209) eine ab-
der einige mbar über dem maximalen Atemwegs- solute Kontraindikation für eine Maskennarkose
druck liegt (z. B. 40 mbar). Der Kipphebel muss darstellt. Des Weiteren sollten Maskennarkosen
1.17  Maskennarkose 113

nur bei voraussichtlich unkomplizierten Eingriffen Präoxygenierung


vorgenommen werden, die voraussichtlich weni-
ger als 30 Minuten dauern. Dem Patienten wird die Maske leicht vors Ge-
sicht gehalten und es wird ihm erklärt, dass ihm
Folgende Operationen werden häufig in Mas- über die Maske nur Sauerstoff verabreicht wird.
kennarkose durchgeführt: Am Rotameter wird ein Sauerstofffluss von ca. 6
● Abszessspaltung, l/min eingestellt. Dieses Voratmen von reinem
soweit sich der Abszess nicht im Mund-Ra- Sauerstoff wird als Präoxygenierung bezeichnet.
chen-Bereich oder auf dem Rücken befindet Hierdurch wird der Stickstoff (ca. 78 % der Luft)
● kurze kinderchirurgische Eingriffe, aus dem Körper ausgewaschen, und die funk-
wie z. B. Herniotomie (= Leistenbruch) oder tionelle Residualkapazität der Lunge (→ S. 38,
Zirkumzision (= Beschneidung) 342) sowie der Körper werden maximal mit
● Curettage (= Ausschabung), Sauerstoff gesättigt.
nicht jedoch bei einer Curettage nach einer
Fehlgeburt nach der 14. Schwangerschafts-
woche (z. T. wird als Grenze auch die 20. Einleitungshypnotikum
Schwangerschaftswoche angegeben) oder
unmittelbar nach einer Entbindung. Diese Hierzu eignen sich z. B. Thiopental (4–5 mg/
Patientinnen sind prinzipiell als nicht nüch- kg KG i. v.; → S. 49), Methohexital (ca. 1–2 mg/
tern zu betrachten, zudem kann es unter kg KG i. v.; → S. 51) oder Propofol (ca. 1,5–2,5
Umständen erheblich bluten; diese Patien- mg/kg KG i. v.; → S. 54). Bei Patienten mit
tinnen müssen intubiert werden. schlechtem Allgemeinzustand muss diese Dosis
reduziert, bei Patienten, die regelmäßig Alkohol
oder Medikamente zu sich nehmen, muss diese
1.17.2 Maskennarkose Dosis meist erhöht werden.
am Beispiel einer reinen
Wichtig ist stets die langsame Injektion und die
Inhalationsanästhesie ! Dosierung nach Wirkung (→ S. 49).

Vorbereitungen Innerhalb von ca. 30 Sekunden werden die


meis­ten Patienten bewusstlos. Durch Bestrei-
● Überprüfung des Narkosegerätes (→ S. 26) chen der Augenwimpern oder leichtes Hochzie-
● Überprüfung des Narkosewagens auf Voll- hen des Oberlides eines Auges kann überprüft
ständigkeit (→ S. 31) werden, ob der Patient bewusstlos ist. Norma-
● Vorbereitung von Material und Medikamen- lerweise verursacht das Bestreichen der Augen-
ten (→ S. 32); auch bei einer Maskennarkose wimpern oder das leichte Hochziehen des
müssen die für eine evtl. Intubation nötigen Oberlides ein reflektorisches Zusammenknei-
Dinge griffbereit liegen fen der Lider. Ist dieser Lidreflex erloschen,
● Aufziehen der Medikamente (→ S. 32) dann kann davon ausgegangen werden, dass der
● Vorbereitung des Patienten für die Narkose Patient tief bewusstlos ist. Bei genauer Beob-
(→ S. 32) achtung des Patienten ist aber auch meist so gut
erkennbar, wann der Patient bewusstlos gewor-
den ist. Beispielsweise ist der einsetzende Atem-
Durchführung stillstand bei genauer Beobachtung gut wahr-
nehmbar.
Nachfolgend soll die Maskennarkose am Beispiel (Würde vor Gabe des oben genannten Einlei-
einer reinen Inhalationsnarkose (ohne zusätzli- tungshypnotikums noch eine relativ niedrige
che Gabe eines Opioids) beschrieben werden. Dosis eines Opioids [z. B. 10–20 µg Sufentanil,
114 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

0,1 mg Fentanyl oder 1,0 mg Alfentanil] verab- des volatilen Inhalationsanästhetikums von ca.
reicht, dann würde nicht von einer reinen Inha- 0,7 MAC (bzw. von 1,0–1,1 MAC) angestrebt wer-
lationsanästhesie, sondern von einer balancier- den. (Falls zusätzlich ein Opioid verabreicht wür-
ten Anästhesie gesprochen [→ S. 124].) de, d. h. eine balancierte Anästhesie durchgeführt
wird [→ S. 124], dann würde eine exspiratorische
Konzentration des volatilen Inhalationsanästheti-
Maskenbeatmung kums von ca. 0,4–0,5 MAC [bzw. 0,7–0,8 MAC]
ausreichen).
Die Gesichtsmaske wird nun, wie auf Seite 109
beschrieben, mit der linken Hand fest auf das (Würde zur Aufrechterhaltung der Narkose
Gesicht gesetzt und um Mund und Nase dicht kein volatiles Inhalationsanästhetikum plus
verschlossen. Mit der rechten Hand kann jetzt Lachgas, sondern ein intravenös zu verabrei-
der Beatmungsbeutel bedient werden (vgl. aus- chendes Hypnotikum – z. B. 3–6–10 mg/
führliche Beschreibung der Maskenbeatmung kg KG/h Propofol mittels Spritzenpumpe oder
mit dem Kreissystem auf S. 109). Am Rotame- wiederholte Einzelboli à 20–30 mg – plus Lach-
ter für Sauerstoff werden nun z. B. (1 oder) 2 gas verwendet, dann würde von einer intrave-
Liter O2/min und am Rotameter für Lachgas nösen Anästhesie gesprochen [= IVA; → S.
bzw. Luft z. B. (2 oder) 4 Liter N2O/min bzw. 124]. Würde bei diesem Vorgehen noch auf
Luft/min eingestellt. Nun muss am Verdampfer Lachgas verzichtet und stattdessen Luft zum
die gewünschte Dampfkonzentration des aus- Sauerstoff zugemischt, dann würde von einer
gewählten Inhalationsanästhetikums einge- totalen intravenösen Anästhesie gesprochen [=
schaltet werden. TIVA; → S. 124]).
Meist fängt der Patient einige Minuten nach der
Zur anfänglichen Anflutung ist bei einer reinen In- Narkoseeinleitung wieder an, spontan zu at-
! halationsanästhesie eine relativ hohe Vaporein- men. Falls nicht, kann dies durch eine geringe
stellung notwendig; bei Verwendung von Isoflu- Hypoventilation provoziert werden. Bei vor-
ran ist eine Konzentration von ca. 2–3 Vol.-% not- handener Spontanatmung muss nun versucht
wendig. Bei Gabe von Sevofluran sind initial ca. werden, die Maskenbeatmung dem Rhythmus
3–4 Vol.-% und bei Desfluran ca. 6–8 Vol.-% not- des Patienten anzupassen. Dann kann mit nur
wendig. minimalem Beatmungsdruck beatmet werden.
Immer, wenn sich z. B. der Zeiger des mechani-
Eine Ursache für anfängliche Beatmungs- schen Volumeters bewegt, atmet der Patient aus
schwierigkeiten kann sein, dass der Patient (Messung im Ausatmungsschenkel! → S. 18).
noch nicht tief genug bewusstlos ist und sich Wenn der Volumeterzeiger zum Stillstand
gegen die Maskenbeatmung wehrt. In solchen kommt, muss also erneut mit der Kompression
Fällen ist meist eine zu niedrige Dosis des Ein- des Beatmungsbeutels begonnen werden. Mit
leitungshypnotikums verabreicht worden. Es einiger Erfahrung kann die Eigenatmung des
empfiehlt sich eine Nachinjektion. Patienten auch sehr gut am rhythmisch praller
Lässt sich der Patient gut beatmen, dann muss und schlaffer werdenden Beatmungsbeutel
– spätestens nach wenigen Minuten – die Kon- gefühlt werden. Immer, wenn der Beatmungs-
zentration des Inhalationsanästhetikums schritt- beutel praller wird, atmet der Patient aus. Be-
weise auf die Erhaltungsdosis reduziert werden. ginnt der Beatmungsbeutel zu erschlaffen,
so beginnt der Patient mit der Einatmung, und
Zur Aufrechterhaltung einer reinen Inhala­ der Beatmungsbeutel muss gedrückt werden.
! tionsanästhesie sollte bei zusätzlicher Gabe von Durch eine leichte Hyperventilation kann die
ca. 70 % Lachgas (bzw. bei Gabe von Luft anstatt Spontanatmung auch unterdrückt werden (→ S.
von Lachgas) eine exspiratorische Konzentration 121).
1.18  Intubationsnarkose 115

Als Atemminutenvolumen sollten beim Er­ bereits vor OP-Ende die Konzentration des In-
! wachsenen ungefähr 8–9 ml/kg KG/min ange- halationsanästhetikums erniedrigt oder gar
strebt werden. Beim 70 oder 80 kg schweren Pa- ausgeschaltet werden.
tienten entspricht dies einem Atemminutenvolu-
men von ca. 6 oder ca. 7 l/min. Je länger die Operation dauert, desto früher kann
! das Inhalationsanästhetikum vor OP-Ende redu-
Aufgrund der relativ langsamen Anflutung der ziert bzw. ausgeschaltet werden (→ S. 37).
meisten Inhalationsanästhetika (→ S. 36) kann
mit der Operation normalerweise erst 5–10 Mi- Erst mit Ende der Operation sollte das evtl. ver-
nuten nach Narkoseeinleitung begonnen wer- abreichte Lachgas abgeschaltet werden, und es
den. sollten dann für mindestens 3 Minuten ca. 6 Li-
ter Sauerstoff verabreicht werden, um eine Dif-
Zur Beurteilung der Narkosetiefe eignen sich das fusionshypoxie (→ S. 40) zu verhindern. In der
! Blutdruckverhalten, das Verhalten der Herzfre- Regel sind die Patienten nach diesen kurzen
quenz, die spontanen Atembewegungen sowie Maskennarkosen wieder schnell wach und an-
der Muskeltonus des Patienten. sprechbar.

Bei einer zu flachen Narkoseführung ist bei


operativen Reizen mit einem Blutdruckanstieg
und mit einer Herzfrequenzsteigerung zu rech- 1.18 Intubationsnarkose
nen. Ursache ist eine stressbedingte vermehrte
Catecholaminausschüttung. Außerdem kann es 1.18.1 Allgemeine Bemerkungen
schmerzbedingt plötzlich zu einer vertieften
Spontanatmung des Patienten kommen. Sehr
Eine Intubationsnarkose (= ITN) ist dadurch aus-
starke Schmerzreize können bei ungenügender 
gezeichnet, dass der Patient intubiert und über
Narkosetiefe auch dazu führen, dass es zu ei-
diesen Tubus beatmet wird. Hierbei kann die
nem Atemanhalten oder einem Laryngospas-
Beatmung sowohl manuell (→ S. 111) als auch
mus kommt.
mithilfe eines Beatmungsgerätes (→ S. 22) durch-
Wichtig ist stets die genaue Beobachtung der
geführt werden.
Operation.
Eine Vollnarkose muss als ITN durchgeführt
Bei voraussichtlich schmerzhaften Manipulatio- werden, wenn eine absolute Indikation zur In-
! nen sollte bereits vorher die Konzentration des In- tubation besteht (→ S. 82). Eine Vollnarkose
halationsanästhetikums erhöht werden, z. B. kurz kann als ITN durchgeführt werden, wenn auf
vor dem Hautschnitt. Bei nachlassendem Operati- die Vorteile einer Intubation (→ S. 82) nicht
onsschmerz kann die Konzentration entsprechend verzichtet werden soll. Eine Intubationsnarkose
erniedrigt werden. kann entweder nur mit einem verdampfbaren
Inhalationsanästhetikum (= reine Inhalations-
Wichtig ist bei sehr kurzen Eingriffen auch die anästhesie; → S. 116), mittels Inhalationsanäs-
Absprache mit dem Operateur. Da das voraus- thetikum plus Opioid (= balancierte Anästhe-
sichtliche OP-Ende vom Anästhesisten oft nicht sie; → S. 124) oder als intravenöse Anästhesie
genau abgeschätzt werden kann, ist es von Vor- (= IVA; mit Lachgas → S. 125) oder als totale
teil, wenn der Operateur das OP-Ende z. B. 5 intravenöse Anästhesie (= TIVA; ohne Lachgas
Minuten vorher ankündigt. Denn meist kann → S. 125) durchgeführt werden.
116 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

1.18.2 Intubationsnarkose rung durchgeführt werden. Auch hier wird oft


am Beispiel einer reinen empfohlen, einige Minuten vorher eine nicht
Inhalationsanästhesie lähmende Dosis (entsprechend der Präcurari-
sierungsdosis, ca. 10–15 % der Initialdosis)
des nicht depolarisierenden Relaxans zu ver-
Vorbereitungen abreichen (sog. Priming-Dosis). Dadurch wirkt
die danach verabreichte Hauptdosis schneller
● Überprüfung des Narkosegerätes (→ S. 26) (sog. Priming-Prinzip). (Bei dem primär schon
● Überprüfung des Narkosewagens auf Voll- schnell wirkenden Rocuronium wird prinzi-
ständigkeit (→ S. 31) piell keine Priming-Dosis empfohlen, da des-
● Vorbereiten von Material und Medikamen- sen Wirkungsbeginn dadurch nicht weiter be-
ten (→ S. 32) schleunigt werden kann.) Allerdings wirkt die
● Aufziehen der Medikamente (→ S. 32) Hauptdosis nach einer Priming-Dosis nicht we-
● Vorbereiten des Patienten (→ S. 32) sentlich schneller. Da es in Einzelfällen durch
die Priming-Dosis zu einer leichten Anrelaxie-
rung kommen kann, wird inzwischen oft auf
Narkoseeinleitung eine Priming-Dosis verzichtet.

● Präoxygenierung (→ S. 113) ● Einleitungshypnotikum (→ S. 113)


● Präcurarisierung bzw. Priming-Dosis: ● Maskenbeatmung (→ S. 114)
Nachdem der Patient ca. 3 Minuten lang rei- ● Relaxierung mit Succinylcholin oder einem

nen Sauerstoff eingeatmet hat (präoxygeniert nicht depolarisierenden Relaxans:


wurde), wird ihm – falls zur endotrachealen Erst, wenn sich der Patient gut beatmen lässt,
Intubation ausnahmsweise mit Succinylcho- darf er relaxiert werden. Zur Intubation wur-
lin relaxiert werden soll – eine kleine, nicht de der Patient früher routinemäßig mit Suc-
lähmende Dosis eines nicht depolarisieren- cinylcholin (1–1,5 mg/kg KG i. v.; → S. 76)
den Muskelrelaxans verabreicht. Je nachdem, relaxiert. Die Injektion von Succinylcholin
welches nicht depolarisierende Muskelrela- hat langsam und unter Kontrolle der Herz-
xans gewählt wird, werden hierfür beim Er- frequenz zu erfolgen. Mit Wirkungsbeginn
wachsenen z. B. 1 mg Pancuronium, 1 mg des Succinylcholins fällt auf, dass sich der
Vecuronium oder 10–15 % der initialen Voll- Patient durch die nun einsetzende Muskeler-
dosis von Atracurium, cis-Atracurium, Mi- schlaffung leichter beatmen lässt. Trotz Prä-
vacurium oder Rocuronium (→ S. 69 ff.) ver- curarisierung kann es manchmal noch zu
abreicht. Zweck dieser kleinen Dosis eines leichtem Muskelfibrillieren beim Patienten
nicht depolarisierenden Muskelrelaxans ist kommen (→ S. 74). Nach völliger Erschlaf-
es, die nach Succinylcholingabe auftretenden fung der Muskulatur kann der Patient intu-
Muskelfaszikulationen und den danach post- biert werden.
operativ auftretenden „Muskelkater“ zu ver- Wegen möglicher schwerwiegender Neben-
mindern (→ S. 74). Es wird von Präcurari- wirkungen des Succinylcholins soll hierauf
sierung gesprochen. möglichst verzichtet werden und bereits zur
Intubation eine Relaxierung mit einem nicht
Inzwischen darf bei der Intubation Succinyl- depolarisierenden Relaxans durchgeführt
! cholin nicht mehr routinemäßig verwendet werden. (Ausnahmen: Bei nicht nüchternen
werden, sondern es soll stattdessen bereits zur Patienten und akuten Atemwegsproblemen,
Intubation mit einem nicht depolarisierenden → S. 76, wird – wegen des sehr schnellen
Muskelrelaxans (meist mit Rocuronium, Miva- Wirkungsbeginns – weiterhin Succinylcho-
curium oder [cis-]Atracurium) eine Vollrelaxie- lin offiziell empfohlen). Als Hauptdosis zur
1.18  Intubationsnarkose 117

initialen Vollrelaxierung mit einem nicht de- gebiete führen und ist daher zu vermeiden.
polarisierenden Muskelrelaxans werden Sobald als möglich ist die Konzentration des
(nach einer evtl. vorausgehenden Priming- volatilen Inhalationsanästhetikums (schritt-
Dosis; → S. 116), bei Rocuronium ca. 50 mg, weise) auf die Erhaltungsdosis zu reduzie-
bei Mivacurium werden ca. 15 mg, bei Pan- ren.
curonium oder Vecuronium ca. 6 mg, bei ● Blutdruck- und Herzfrequenzkontrolle:

Atracurium ca. 35 mg und bei cis-Atracuri- Da die Intubationsphase einer der kritisch-
um werden ca. 7–10 mg für einen ca. 70 kg sten Momente jeder Narkose ist, müssen
schweren Erwachsenen verabreicht. kurz nach der Intubation unbedingt der
● orotracheale Intubation (→ S. 92) Blutdruck gemessen und die Herzfrequenz
● Blocken des Tubus (→ S. 96) kontrolliert werden. Zum einen droht ein
● Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97) Blutdruckabfall bei zu tiefer Narkose, zum
● Fixierung des Tubus (→ S. 98) anderen ein schmerzbedingter Blutdruck-
● erneute Lagekontrolle des Tubus und Herzfrequenzanstieg bei zu flacher Nar-
● Einstellen von O2 und N2O bzw. Luft am Ro- kose.
tameter: Ist der Blutdruck nach Narkoseeinleitung
Am Rotameter für Sauerstoff wird nun z. B. 1 kritisch abgefallen, so bieten sich folgende
Liter O2/min und am Rotameter für Lachgas Maßnahmen an:
bzw. Luft werden 2 Liter N2O/min bzw. 2 Li- – Erniedrigung der Konzentration des In-
ter Luft/min eingestellt. halationsanästhetikums
● Einstellen des Inhalationsanästhetikums: – schnellere Infusion oder evtl. Austau-
Am Verdampfer wird die gewünschte schen der kristalloiden Infusionslösung
Dampfkonzentration des ausgewählten In- gegen ein kolloidales Plasmaersatzmittel
halationsanästhetikums eingeschaltet. Zur (z. B. HES, → S. 135)
anfänglichen Anflutung sind bei einer reinen – Kippen des Operationstisches in eine
Inhalationsanästhesie (ohne zusätzliche Kopftief- und Beinhochlage
Gabe eines Opioids) kurzfristig relativ hohe (Schocklagerung; „Trendelenburg-Lage-
Verdampferkonzentrationen notwendig. Bei rung“)
Isofluran ca. 2,0–3,0 Vol.-%, bei Gabe von – Injektion eines blutdrucksteigernden Me-
Sevofluran sind initial ca. 3–4 Vol.-% und bei dikamentes
Desfluran ca. 6–8 Vol.-% notwendig. Zur Be- (z. B. Akrinor®; es empfiehlt sich 1 Am-
schleunigung der Anflutung des Inhalations- pulle Akrinor® = 2 ml mit 8 ml NaCl 0,9 %
anästhetikums empfiehlt es sich, den Patien- zu verdünnen und ggf. wiederholt 2 ml
ten kurzfristig zu hyperventilieren (→ S. 38) Boli dieser Mischung so oft zu verabrei-
und ggf. den Frischgasfluss für einige Minu- chen, bis sich der Blutdruck wieder nor-
ten zu steigern (z. B. 2 Liter O2/min und 4 malisiert hat)
Liter N2O/min bzw. 4 Liter Luft/min). Bei – falls ausnahmsweise mit Succinylcholin
Patienten mit koronarer oder zerebraler Ge- intubiert wurde, vorerst Verzicht auf die
fäßsklerose ist jedoch eine stärkere Hyper- Vollrelaxierung mit einem nicht depolari-
ventilation zu vermeiden. Durch eine Hy- sierenden Muskelrelaxans, da es dadurch
perventilation wird eine Gefäßkonstriktion zu einem weiteren Blutdruckabfall kom-
ausgelöst, die auch das zerebrale und koro- men kann (→ S. 66)
nare Gefäßsystem betrifft. Die durch eine
Gefäßkonstriktion mögliche Minderperfusi- Bei den Zeichen einer zu flachen Narkose ist die
on kann bei zerebral- und koronarsklero­ Konzentration des Inhalationsanästhetikums
tischen Patienten zu einer gefährlichen Man- ggf. kurzfristig zu erhöhen. Bewegt sich der Pa-
geldurchblutung der betreffenden Strom- tient oder droht er aufzuwachen, so ist nicht
118 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

eine Muskelrelaxierung, sondern zuerst eine Ist alles überprüft, so kann von der manuellen
Vertiefung des „Schlafes“, z. B. durch Nachin- auf die maschinelle Beatmung übergegangen
jektion des Einleitungshypnotikums oder durch werden. Die maschinelle Beatmung mit dem
Erhöhung des Inhalationsanästhetikums, ange- Kreissystem wurde auf Seite 21 und die nun
zeigt. Anschließend kann bei Bedarf auch rela- vorzunehmende korrekte Einstellung des Beat-
xiert werden. mungsgerätes wurde auf Seite 22 ausführlich
● ggf. Nachrelaxierung: beschrieben. Außerdem sind die Alarmvorrich-
Ist der Blutdruck normal, so kann, falls für tungen einzuschalten.
die Operation notwendig und falls zur Intu- ● Lagerung des Patienten:

bation Succinylcholin verwendet wurde, der Nun wird der Patient vom Operateur selbst
Patient nun mit dem nicht depolarisierenden oder unter Anleitung des Operateurs in die
Muskelrelaxans nachrelaxiert werden. Bei eigentliche Operationslagerung gebracht;
Verwendung mit Rocuronium sind dies hierbei ist darauf zu achten, dass Lagerungs-
beim Erwachsenen (ca. 70 kg KG) ca. 50 mg, schäden vermieden werden (→ S. 35).
bei Mivacurium ca. 15 mg, bei Pancuronium ● erneute Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97)

und bei Vecuronium ca. 6 mg, bei Atracuri-


um ca. 35 mg und bei cis-Atracurium ca.
7–10 mg. Je nach Art der Operation kann Narkoseaufrechterhaltung
diese Relaxansdosis evtl. erniedrigt oder –
selten – kann ganz auf diese Nachrelaxierung Dosierung des Inhalationsanästhetikums
verzichtet werden. Dies ist möglich, da die
Inhalationsanästhetika über eine eigene Mit zunehmender Dauer der Inhalationsnarko-
muskelerschlaffende Wirkung verfügen bzw. se reicht zur Aufrechterhaltung einer bestimm-
die Wirkung der Muskelrelaxanzien verstär- ten Narkosetiefe eine immer geringere Konzen-
ken. Bei vielen Operationen ist allerdings tration des Inhalationsanästhetikums. Der
eine Vollrelaxation notwendig. Grund liegt in der zunehmenden Aufsättigung
● Transport in den Operationssaal: der Muskel- und Fettdepots (→ S. 37). Die am
Erst wenn die Kreislaufverhältnisse stabil Verdampfer einzustellende Konzentration kann
sind, wird der Patient vom Narkosevorberei- bei langen Operationen im Laufe der Zeit im-
tungsraum in den angrenzenden OP gefah- mer weiter gesenkt werden, um die bei einer
ren. Hierzu kann der Patient z. B. mit einem reinen Inhalationsanästhesie (mit zusätzlicher
Ambu®-Beutel beatmet werden oder, wenn Gabe von Luft bzw. ca. 70 % Lachgas) notwendi-
die Beteiligten routiniert sind, kann während ge exspiratorische Konzentration des volatilen
dieser kurzen Zeitspanne (meist weniger als 30 Inhalationsanästhetikums von 1,0–1,1 MAC
Sekunden) zumeist ganz auf eine Ventilation bzw. ca. 0,7 MAC aufrecht zu erhalten. (Wird
verzichtet werden. Im OP muss der Patient so- zusätzlich ein Opioid verabreicht [sog. balan-
fort wieder an das Narkosegerät angeschlossen cierte Anästhesie; → S. 124], dann ist eine ex-
und beatmet werden. Am Narkosegerät im OP spiratorische Konzentration des volatilen Inha-
werden die entsprechenden Gasflussmengen lationsanästhetikums von ca. 0,7–0,8 MAC bzw.
am Rotameter und am Vapor wird die entspre- ca. 0,4–0,5 MAC aufrecht zu erhalten.)
chende Dampfkonzentration des Inhalations- Ein Isofluranverdampfer wird initial kurzfristig
anästhetikums eingestellt. auf Werte von ca. 2,0–3,0 Vol.-% eingestellt. Ein
Bevor die maschinelle Beatmung eingeschaltet Sevofluran- bzw. Desfluranverdampfer sollte in-
wird, sollte immer zuerst kurzfristig manuell itial auf ca. 3–4 bzw. 8–10 Vol.-% eingestellt
beatmet werden; hierdurch kann sofort ge- werden. Sobald als möglich sollte die inspirato-
fühlt werden, ob etwas mit der Beatmung nicht rische Dampfkonzentration langsam auf die Er-
stimmt. haltungsdosis reduziert werden. Die Reduktion
muss vor allem an den hämodynamischen Pa-
rametern orientiert werden.
1.18  Intubationsnarkose 119

Mit dem hochmodernen Narkosegerät Zeus lationsanästhetikums im In- und Exspirations-


(Fa. Dräger; vgl. Abb. 1-20c) ist die Narkosegas- volumen notwendig. In der Low-Flow- oder
steuerung sehr einfach geworden. Es braucht Minimal-Flow-Phase können Änderungen der
lediglich die gewünschte endexspiratorische Gaskonzentrationen nur langsam erreicht wer-
Gaskonzentration einprogrammiert werden. den. Ist eine schnelle Änderung erforderlich,
Das Gerät dosiert dann über einen Servome- muss der O2- und N2O- bzw. Luft-Fluss vor-
chanismus das Narkosegas stets so, dass die ge- übergehend erhöht werden. Aufgrund seiner
wünschte endexspiratorische Konzentration besonders schnellen An- und Abflutung ist ins-
aufrechterhalten wird (unabhängig z. B. vom besondere das Desfluran für Low-Flow- und
Frischgas-Flow oder der Narkosedauer). Minimal-Flow-Narkose zu bevorzugen. Zur
Soll eine Low-Flow- oder Minimal-Flow-An- Narkoseausleitung muss der O2- und N2O- bzw.
ästhesie durchgeführt werden, dann werden – Luft-Fluss wieder erhöht werden, um eine
falls Lachgas verwendet wird – initial für min- schnelle Ausleitung zu ermöglichen. Durch An-
destens 10 oder 20 Minuten z. B. 2 Liter O2/min wendung des Low-Flow- und Minimal-Flow-
und 4 Liter N2O/min zugeführt (sog. Einwasch- Systems lassen sich vor allem bei länger dauern-
phase mit hohem Frischgasfluss). Nach dieser den Narkosen (über 2 Stunden Dauer) deutlich
initialen Einwaschphase werden die Frischgase Narkosegase (und damit Kosten) einsparen. Au-
auf 0,5 Liter O2/min und 0,5 Liter N2O/min ßerdem sind die Wärme- und Feuchtigkeitsver-
(low flow) bzw. 0,3 Liter O2/min und 0,2 Liter luste und auch die Umweltbelastung geringer.
N2O/min (minimal flow) reduziert. Wird an-
statt Lachgas Luft verabreicht, dann kann we-
sentlich früher auf „low flow“ bzw. „minimal Nachrelaxation
flow“ reduziert werden. Mit Reduktion des
Frischgasflusses muss die eingestellte Konzen- Bei der Nachinjektion von nicht depolarisieren-
tration des volatilen Anästhetikums erhöht den Muskelrelaxanzien ist zu beachten, dass
werden (bei Isofluran um ca. 30 %). Bei Sevoflu- Wiederholungsdosen relativ niedrig dosiert
ran und insbesondere bei Desfluran ist eine ge- werden müssen. Bei Pancuronium sollten Wie-
ringere Erhöhung der Konzentration notwendig derholungsdosen ca. 20 % der Initialdosis, bei
(um ca. 20 bzw. 15 %). Ziel ist es, die endexspi- Vecuronium, Rocuronium, Atracurium, cis-
ratorische Konzentration des volatilen Inhalati- Atracurium und Mivacurium ca. 20–30 % der
onsanästhetikums konstant zu halten. Dass mit Initialdosis betragen. Bei einer Inhalationsnar-
Einstellen des „low flows“ oder „minimal flows“ kose werden jedoch nur selten regelmäßige
die inspiratorische Konzentration des volatilen Nachinjektionen eines nicht depolarisierenden
Inhalationsanästhetikums erhöht werden muss, Muskelrelaxans notwendig, da die Inhalations-
ist dadurch bedingt, dass aufgrund des nun anästhetika selbst über eine muskelerschlaffen-
niedrigeren Frischgasflusses die Menge des zu- de Wirkung verfügen sowie die Wirkung nicht
geführten volatilen Inhalationsanästhetikums depolarisierender Muskelrelaxanzien verstär-
abnimmt (z. B. nur noch 0,5 l/min anstatt 3 l/ ken.
min isofluranhaltiges Frischgas). Außerdem
vermischt sich das geringere Frischgasvolumen Die letzte Dosis eines nicht depolarisierenden
mit einem größeren Rückatmungsvolumen ! Muskelrelaxans muss mindestens so lange vor
(→ S. 12), wodurch noch ein stärkerer Verdün- Operationsende verabreicht werden, wie dessen
nungseffekt dazukommt. Wird der Frischgas- übliche Wirkungsdauer beträgt.
fluss wieder erhöht, dann muss die inspiratori-
sche Gaskonzentration wieder entsprechend Das heißt, die letzte Rocuronium-, Atracuri-
reduziert werden. Es ist eine apparative Über- um-, cis-Atracurium- bzw. Vecuroniumdosis
wachung der Konzentration des volatilen Inha- sollte spätestens 30 Minuten, die letzte Pancuro-
120 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

niumdosis spätestens 45 Minuten und die letzte diese neu eingestellte Konzentration des Inhalati-
Mivacuriumdosis ca. 10–15 Minuten vor Ope- onsanästhetikums schneller anflutet (→ S. 38).
rationsende verabreicht werden, um nicht einen
Überhang eines Muskelrelaxans zu riskieren. Es ist stets zu empfehlen, den Patienten vorüber-
! gehend manuell zu beatmen, sobald Probleme
wegen zu flacher Narkose auftreten. Auch falls
Beurteilung der Narkosetiefe unklare Beatmungsprobleme auftreten, sollte der
Patient vorübergehend manuell beatmet werden.
Zur Beurteilung der Narkosetiefe einer Inhala-
tionsnarkose eignet sich insbesondere das Blut-
druckverhalten, da alle Inhalationsanästhetika Beobachtung des operativen Vorgehens
zu einem dosisabhängigen Blutdruckabfall füh-
ren (→ S. 107). Zur optimalen Narkoseführung ist es enorm wich-
! tig, stets genau das operative Geschehen zu ver-
Zeichen einer zu tiefen Narkoseführung kann
ein zu niedriger Blutdruck sein. folgen, denn die benötigte Narkosetiefe hängt
Maßnahmen bei zu tiefer Narkose sind Reduk- entscheidend von den momentanen operativen
tion der Konzentration des Inhalationsanästhe- Manipulationen ab.
tikums, schnellere Infusion einer kristalloiden
Lösung, evtl. Gabe eines kolloidalen Plasmaer- Bei erfahrungsgemäß sehr schmerzhaften Maß-
satzmittels und evtl. Gabe des blutdruckstei- nahmen wie dem Hautschnitt bei Operations-
gernden Medikaments Akrinor® (→ S. 117). beginn, dem Zug am Peritoneum oder an den
Zeichen einer zu flachen Narkoseführung Eingeweiden, der Durchtrennung des Sternums
kann eine schmerzbedingte Catecholaminaus- (= Sternotomie) bei Herz-Thorax-Eingriffen,
schüttung sein mit: der Dehnung des Anus oder des Gebärmutter-
● Blutdruckanstieg halses oder dem Schaben am Periost ist eine
● Herzfrequenzsteigerung tiefere Narkose erforderlich als bei schmerzar-
● Schwitzen men Manipulationen wie einer Darmnaht, ei-
● tränenden Augen und roter, gefäßinjizierter ner Operation an der Lunge, an Muskeln, Faszi-
Bindehaut en oder am Bindegewebe. Mit zunehmender
● Abwehrbewegungen beim nicht relaxierten Erfahrung sind dem Anästhesisten die Opera-
Patienten tionen bekannt, und er kann dann bereits vor
● vertieften Atemzügen beim spontan atmenden Beginn einer schmerzhaften Operationsphase
Patienten die Narkose vertiefen. Die Zeichen einer zu fla-
chen Narkoseführung treten dann nicht auf.
Die Zeichen Blutdruckanstieg, Herzfrequenz- Umgekehrt kann der Anästhesist während
steigerung und Schwitzen können allerdings schmerzarmer Phasen die Narkose flacher ge-
auch Folgen einer Hypoventilation des Patien- stalten. Nach den gleichen Kriterien müssen
ten sein! auch die Muskelrelaxanzien dosiert werden.
Maßnahme bei zu flacher Narkose ist die Erhö- Der erfahrene Anästhesist wird die Relaxation
hung der Konzentration des Inhalationsanästhe- vertiefen, bevor eine Operationsphase beginnt,
tikums. Um eine schnelle Änderung der Blut- die eine tiefe Relaxation verlangt.
konzentration des Inhalationsanästhetikums und
damit eine schnelle Änderung der Narkosetiefe Die Kunst einer guten Inhalationsanästhesie be-
zu erreichen, empfiehlt es sich, auf die manuelle ! steht darin, die Narkose so flach wie möglich zu
Beatmung überzugehen und den Patienten kurz- führen, sodass gerade noch keine Anzeichen ei-
fristig zu hyperventilieren und ggf. den Frisch- ner zu flachen Narkose wie z. B. Blutdruckanstieg
gasfluss vorübergehend zu erhöhen, wodurch auftreten.
1.18  Intubationsnarkose 121

Narkoseausleitung einer ITN mit mung muss der Patient durch eine manuelle
einem verdampfbaren Inhalations- Beatmung leicht unterstützt (= assistiert) wer-
den. Die Konzentration des Inhalationsanäs-
anästhetikum thetikums kann nun nach Bedarf weiter redu-
ziert oder ausgeschaltet werden.
Bei einer gut gesteuerten Inhalationsnarkose ist
der Patient einige Minuten nach Operationsen-
de bereits ansprechbar und atmet suffizient Reduktion des Inhalationsanästhetikums
spontan, sodass der Extubation nichts mehr im
Wege steht. Dies setzt jedoch voraus, dass der Nach einer längeren Inhalationsanästhesie sind
Patient am Operationsende das Inhalationsan- die Muskulatur- und Fettdepots mehr oder we-
ästhetikum bereits weitgehend abgeatmet hat niger mit dem Inhalationsanästhetikum aufge-
und die Wirkung des Muskelrelaxans abgeklun- sättigt. Wird das Inhalationsanästhetikum aus-
gen ist. Des Weiteren ist eine ausreichende geschaltet, so wird der Partialdruck (→ S. 37)
Spontanatmung für die Extubation zu fordern. des Inhalationsanästhetikums in der Lunge und
Das Atemzugvolumen sollte mindestens 6 ml/ im Blut schnell abfallen und bald niedriger als
kg KG betragen. der Partialdruck in der Muskulatur und im
Fettgewebe sein. Das Inhalationsanästhetikum
diffundiert nun entlang des Partialdruckgefälles
Spontanatmung anstreben wieder aus den Geweben ins Blut zurück. Die
hierdurch entstehenden Konzentrationen im
Während einer Intubationsnarkose wird der Pa- Blut reichen meist aus, die Narkose noch für
tient meist leicht hyperventiliert, das heißt, es eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten. Wird
wird vermehrt Kohlendioxid (CO2) abgeatmet. dies beachtet, so wird der erfahrene Anästhesist
Der CO2-Wert im Blut sollte unter die Norm das Inhalationsanästhetikum bereits vor Opera-
von ca. 40 mm Hg (= 5,3 kPa) im arteriellen tionsende ausschalten. Je besser die Löslichkeit
Blut auf ca. 35 mm Hg (= 4,7 kPa) erniedrigt des volatilen Inhalationsanästhetikums im Ge-
sein. webe ist, das heißt, je höher der Blut-Gas-Ver-
teilungskoeffizient ist (vgl. Tab. 1-7), desto frü-
Da der Atemantrieb über den CO -Wert reguliert her kann es ausgeschaltet werden. Schnell
! wird, fehlt dem Patienten bei einem
2
erniedrigten abflutende volatile Inhalationsanästhetika wie
CO2-Wert der Atemantrieb. Sevofluran und Desfluran brauchen daher erst
relativ kurz vor dem Operationsende ausge-
Vor der Extubation muss der Patient über eine schaltet zu werden.
ausreichende Spontanatmung verfügen. Um
den Patienten wieder zur Spontanatmung zu Das volatile Inhalationsanästhetikum kann um­so
bringen, muss er leicht hypoventiliert werden. ! früher ausgeschaltet werden, je mehr Inhalations-
Der CO2-Wert sollte auf einen Wert von z. B. 45 anästhetikum aus den Geweben freigesetzt wer-
mm Hg (= 6,0 kPa) erhöht werden. Der natürli- den kann, je länger die Narkose gedauert hat, je
che Atemanreiz stellt sich dann wieder ein. Be- höher dessen Blut-Gas-Verteilungskoeffizient ist,
steht kein Muskelrelaxansüberhang mehr, so je mehr Fettdepots der Patient hat und je niedri-
wird der Patient beginnen, spontan zu atmen, ger der Frischgasfluss ist.
auch wenn noch ein Inhalationsanästhetikum
zugeführt wird. Diese Spontanatmung sollte be- Spätestens bei Beginn der Subkutannaht oder
reits vor Ende der Operation angestrebt werden, der Hautnaht kann normalerweise das Inhalati-
solange noch das Inhalationsanästhetikum ein- onsanästhetikum ausgeschaltet werden.
geschaltet (!) ist. Trotz Beginn der Spontanat-
122 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Relaxansüberhang? Sauerstoff beatmet werden. Hierzu werden ca. 6


Liter O2/min am Rotameter eingestellt.
Besteht bei einem Patienten ein Überhang an

Muskelrelaxanzien, so bietet sich meist folgendes
Bild: Der Atemtypus des Patienten ist eher schnell, Extubation
die Atemzüge sind sehr flach. Der Patient versucht
krampfhaft, nach Luft zu ringen und ist unruhig. Die Extubation kann sowohl am noch bewusst­
Ein evtl. Relaxansüberhang kann mithilfe der Re- ! losen, aber bereits spontan atmenden Patienten,
laxometrie objektiviert werden (→ S. 76). als auch erst am fast wachen Patienten mit zu-
rückgekehrten Schutzreflexen vorgenommen wer-
Der Aufforderung, tief durchzuatmen, kann ein den. Sie darf jedoch niemals während des Exzita-
noch anrelaxierter Patient kaum nachkommen. tionsstadiums (→ S. 106), das bei der Ausleitung
Bei der Aufforderung, die Augen zu öffnen, ver- einer Inhalationsnarkose durchlaufen wird, er­
sucht er typischerweise auch mithilfe der Stirn- folgen.
muskulatur die Lider zu heben. Die Stirn wirft
sich in Falten, die Augen können aber nur an- Empfehlenswert ist die Extubation erst nach
deutungsweise geöffnet werden. Auch anderen Durchlaufen des Exzitationsstadiums und nach
Aufforderungen, wie Hochheben des Kopfes, Rückkehr der Schutzreflexe beim fast wachen
Öffnen des Mundes oder Drücken der Hand, Patienten. Beim nicht nüchternen Patienten
kann der Patient nur andeutungsweise nach- (→ S. 209) ist dies sogar zwingend. Die frühzei-
kommen. tige Extubation beim noch bewusstlosen, unter
Inhalationsanästhetika spontan atmenden Pati-
Bei dem Patienten sollte die Wirkung des nicht enten wird empfohlen, wenn der Patient bei
! depolarisierenden Muskelrelaxans z. B. mit Pyri- und nach der Extubation nicht husten oder
dostigmin oder Neostigmin (in Kombination mit pressen darf. Dies ist z. B. bei Bandscheibenope­
Atropin) antagonisiert werden (→ S. 72). ra­tionen, nach bestimmten Augenoperationen
und nach Leistenbruchoperationen oft er-
Da Pyridostigmin eine längere Wirkdauer als wünscht. Bei Patienten mit einem Asthma
die zumeist verwendeten mittellang wirkenden bronchiale sollte die Extubation ebenfalls in tie-
Relaxanzien (z. B. Rocuronium, Atracurium, fer Inhalationsnarkose bei zurückgekehrter
cis-Atracurium, Vecuronium) hat, besteht nach Spontanatmung vorgenommen werden. Bei zu
dessen Wirkungsende nicht die Gefahr einer später Extubation kann bei diesen Patienten
erneuten Zunahme des Relaxierungsgrades. evtl. ein asthmatischer Anfall ausgelöst wer-
Voraussetzung für die Antagonisierung eines den.
Muskelrelaxansüberhangs ist eine bereits zu-
rückgekehrte, wenn auch minimale Spontanat- Vor der Extubation müssen der Mund- und Ra-
mung des Patienten oder eine relaxometrisch ! chenraum des Patienten mit einem Einmalkathe-
nachweisbare erste Reizantwort! ter von Speichel freigesaugt werden.

Besteht der Verdacht, dass sich Blut, ein Fremd-


Abstellen des Lachgases körper oder Erbrochenes im Mund-Rachen-
Raum befinden könnte, so sollte der Mund-Ra-
Erst bei der letzten Hautnaht sollte das evtl. ver- chen-Raum unter laryngoskopischer Sicht
abreichte Lachgas abgeschaltet werden. Zur abgesaugt werden. Bei ausreichender Spontan-
Vermeidung einer Diffusionshypoxie (→ S. 40) atmung und möglichst vorhandenen Schutzre-
durch das nun sehr schnell abflutende Lachgas flexen wird der Patient dann extubiert. Die Tu-
muss für mindestens 3 Minuten mit reinem busfixierung wird gelöst. Es hat sich bewährt,
1.18  Intubationsnarkose 123

unmittelbar vor dem Herausziehen des Tubus Narkoseeinleitung


den (erwachsenen) Patienten mit einem sterilen
per inhalationem
Einmalkatheter durch den Tubus endotracheal
abzusaugen und unter Absaugung den Tubus In seltenen Fällen muss auf die intravenöse Nar-
herauszuziehen. Unmittelbar vorher muss die 
koseeinleitung verzichtet werden, und die Narko-
Anästhesiepflegekraft den Tubus-Cuff mit der se ist durch Einatmen eines verdampfbaren In-
Blockerspritze entblocken. halationsanästhetikums einzuleiten; es wird von
Nach der Extubation wird der Patient zum kräf- einer Einleitung per inhalationem gesprochen.
tigen Durchatmen aufgefordert, während ihm
über eine leicht vor das Gesicht gehaltene Mas- Am Rotameter wird Sauerstoff (z. B. 6 l/min)
ke weiter Sauerstoff zugeführt wird. oder es werden Sauerstoff (z. B. 2 l/min) und
Lachgas (z. B. 4 l/min) eingestellt. Nun muss
Der Anästhesist muss sich nach der Extubation dem Patienten, wenn möglich, die Maske dicht
! nochmals von der ausreichenden Spontanatmung auf das Gesicht gesetzt werden, und schrittwei-
des Patienten überzeugen. Ist diese plötzlich nicht se ist das hierfür zumeist verwendete Sevoflu-
mehr ausreichend, so ist es meist zu einem Zu- ran zu erhöhen. Der Patient wird zum tiefen
rückfallen der Zunge und zur Verlegung der obe- Durchatmen aufgefordert. Das Mittel der Wahl
ren Luftwege gekommen. Durch Überstrecken für eine Einleitung per inhalationem ist Se-
des Kopfes und Hochziehen des Unterkiefers (= vofluran, das schnell anflutet und damit eine
Esmarch-Handgriff; → S. 323) kann dies meist schnelle Einleitung ermöglicht. Es empfiehlt
leicht behoben werden. sich, die Konzentration des Sevoflurans alle 3
Atemzüge um ca. 1 Vol.-% bis auf initial ca.
In seltenen Fällen kann es nach der Extubation 6(–8) Vol.-% zu erhöhen. Sevofluran stellt für
zum Auftreten eines Laryngospasmus kommen. diese Form der Narkoseeinleitung aufgrund
Die dann durchzuführenden Maßnahmen wer- seines relativ angenehmen Geruches das Inha-
den auf Seite 214 beschrieben. Wurde in tiefer lationsanästhetikum der ersten Wahl dar. Ins-
Narkose extubiert, so muss der Patient nach der besondere Desfluran und Isofluran haben dage-
Extubation so lange auf dem Operationstisch gen einen sehr scharfen Geruch, bei dem viele
verbleiben, bis die Schutzreflexe sicher zurück- Patienten den Atem anhalten.
gekehrt sind.
Bei der Einleitung per inhalationem wird das Ex-
! zitationsstadium (→ S. 106), das bei der intrave-
„Ablegen“ des Patienten nösen Einleitung übersprungen wird, relativ lang-
vom Operationstisch sam durchlaufen.

Bei ausreichender Spontanatmung und sicher Während dieser Zeit muss der Patient von äu-
zurückgekehrten Schutzreflexen kann der Pati- ßeren Reizen abgeschirmt werden. Es sollte
ent nun „abgelegt“, das heißt vom Operations- Ruhe im Raum herrschen, und jegliche Mani-
tisch in ein möglichst vorgewärmtes Bett gelegt pulationen am Patienten sollten unterlassen
werden. Anschließend muss der Patient vom werden. Insbesondere das Einlegen eines Gue-
verantwortlichen Anästhesisten in den Auf- del-Tubus darf erst vorgenommen werden,
wachraum gebracht und der dort zuständigen wenn das Exzitationsstadium sicher durchlau-
Pflegekraft übergeben werden (→ S. 321). fen ist. Sobald der Patient „eingeschlafen“ ist,
wird vorsichtig seine Spontanatmung unter-
stützt, um eine schnelle Anflutung der Inhalati-
onsanästhetika zu erreichen. Nach Durch-
schreiten des Exzitationsstadiums muss die
124 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

initial relativ hohe Konzentration des volatilen wirkungen geringer sind. Dieses Verfahren er-
Inhalationsanästhetikums reduziert werden. möglicht eine schonendere Narkoseführung
Vor dem ersten Intubationsversuch sollte in je- und eignet sich insbesondere für Risikopatien-
dem Falle ein sicherer venöser Zugang gelegt ten. Die Gabe von Fentanyl (meist 0,1–0,2 mg)
werden. Die Intubation kann ausnahmsweise in oder z. B. Sufentanil (meist 15–30 µg) sollte be-
tiefer Sevoflurannarkose durchgeführt werden. reits vor der Intubation durchgeführt werden,
Bei der meist durchgeführten zusätzlichen Gabe um die starke analgetische Wirkung dieser
von Muskelrelaxanzien genügt ein weniger tie- Opioide auch während der Intubation ausnüt-
fes Narkosestadium. zen zu können. Falls Remifentanil verabreicht
wird, sollte mindestens ca. 2 Minuten vor der
Intubation eine Remifentanilinfusionsdosis von
Indikationen ca. 0,2–0,3 µg/kg KG/min begonnen werden.
Das Einleitungshypnotikum kann nun niedri-
● bei Kindern, bei denen eine intravenöse Nar- ger dosiert werden. Herz-Kreislauf-Probleme
koseeinleitung evtl. nicht möglich ist (→ S. bei der Narkoseeinleitung sind damit seltener.
240), da sie die Anlage einer peripheren Ve- Nachinjektionen von Fentanyl oder Sufentanil
nenkanüle im Wachzustand manchmal nicht sollten bei kurzen Operationen möglichst ver-
tolerieren mieden und bei längeren Operationen eher
● evtl. bei schwerem Asthmaleiden niedrig (0,05–0,1 mg Fentanyl oder 5–15 µg
Sufentanil) dosiert werden. Eine Remifentanil-
infusion kann dagegen bis unmittelbar vor
1.18.3 Kombination eines Operationsende durchgeführt werden.
verdampfbaren Inhalations­ Bei der Kombination von volatilem Inhalati-
onsanästhetikum mit Remifentanil wird meis­
anästhetikums mit einem Opioid tens auf die Gabe von Lachgas verzichtet und
der Patient wird mit einem Gemisch aus Sauer-
Die Kombination eines Hypnotikums, eines in- stoff und Luft beatmet.

travenösen Opioidanalgetikums (z. B. Fentanyl),
eines Inhalationsanästhetikums (und ggf. eines
Muskelrelaxans) wird auch als balancierte An-
ästhesie bezeichnet.
Opioidüberhang?
Besteht bei dem Patienten ein Opioidüberhang,
Sehr häufig wird bei einer Narkose mit einem 
so wird er nur verzögert anfangen, spontan zu
verdampfbaren Inhalationsanästhetikum (→ S. atmen. Wird er aufgefordert, tief durchzuatmen,
113, 116) zusätzlich eine kleine Dosis Fentanyl, so tut er dies (= Kommandoatmung). Wird er
Alfentanil oder Sufentanil verabreicht. Eventu- jedoch in Ruhe gelassen, so „vergisst“ er oft das
ell kann auch Remifentanil per Infusionspumpe Atmen.
verabreicht werden. Durch zusätzliche Gabe ei-
nes Opioids kann der MAC-Wert des Inhalati- Der Atemtypus ist hierbei durch eine sehr lang-
onsanästhetikums vermindert werden (→ S. same Atemfrequenz bei relativ großem Atem-
39), das heißt, das Inhalationsanästhetikum zugvolumen gekennzeichnet. Die Pupillen des
kann zur Einleitung und Aufrechterhaltung Patienten sind noch sehr eng (stecknadelkopf-
niedriger dosiert werden als bei einer reinen In- große Pupillen; → S. 8). Der Patient verneint,
halationsanästhesie (→ S. 113, 116; endexspira- Schmerzen zu haben. Er liegt ruhig da und
torisch genügen – je nachdem ob zusätzlich kommt Aufforderungen, wie z. B. Anheben des
Lachgas verwendet wird oder nicht – ca. 0,4–0,5 Kopfes, nach. Er fühlt sich jedoch durch den
bzw. 0,7–0,8 MAC), womit auch dessen Neben- Tubus nicht gestört.
1.18  Intubationsnarkose 125

Bei einem Opioidüberhang sollte der Pati- dere, wenn Mivacurium verwendet wird) über
! ent ggf. mit einem Opioidantagonisten, z. B. eine Spritzenpumpe verabreicht. Es sind daher
Naloxon (→ S. 61), antagonisiert werden. die entsprechenden Spritzenpumpen und Per-
Da Naloxon eine kürzere Wirkdauer als das zu fusorleitungen vorzubereiten und über Dreiwe-
antagonisierende Fentanyl oder Sufentanil hat, gehähne an die Infusionsleitung des Patienten
besteht die Gefahr einer erneuten Atemdepressi- anzuschließen.
on, sobald die Wirkung des Naloxons nachlässt.
Aus diesem Grunde sind „antagonisierte“ Patien-
ten besonders sorgfältig für mindestens 2 Stun- Mögliche Narkoseeinleitungsformen
den im Aufwachraum zu überwachen.
● Präoxygenierung (→ S. 113)
● meist Gabe einer Priming-Dosis (oder aus-
1.18.4 Intravenöse Anästhesie nahmsweise einer Präcurarisierungsdosis)
und totale intravenöse Anästhesie (→ S. 116)
Falls eine IVA bzw. TIVA unter Verwendung
Bei einer intravenösen Anästhesie (= IVA) wird einer Larynxmaske geplant ist, wird jedoch
auf ein volatiles Inhalationsanästhetikum zu- hierauf verzichtet.
gunsten eines intravenösen Anästhetikums ver- ● Opioidgabe:

zichtet. Neben Sauerstoff wird jedoch auch Es kommt entweder Sufentanil (z. B. 20 µg),
Lachgas verabreicht. Bei einer totalen intrave- Fentanyl (z. B. 0,1–0,2 mg), Alfentanil (z. B.
nösen Anästhesie (= TIVA) wird auf ein volati- 1–2 mg) oder Remifentanil (z. B. 0,2–0,3 µg/
les Anästhetikum und auch auf Lachgas ver- kg KG/min; → S. 57) zur Anwendung.
zichtet. Neben Sauerstoff wird zusätzlich ● Einleitungshypnotikum:

Raumluft verabreicht. Normalerweise kommt Propofol (z. B. 1,5–


Eine (T)IVA kann als Maskennarkose, Intubati- 2,5 mg/kg KG) zur Anwendung.
onsnarkose oder unter Verwendung einer La- ● Maskenbeatmung (→ S. 114)

rynxmaske durchgeführt werden. Nach­folgend ● Relaxierung mit einem nicht depolarisieren-

soll die (T)IVA am Beispiel einer Intubations- den Muskelrelaxans (oder ausnahmsweise
narkose und einer Narkose unter Verwendung mit Succinylcholin; → S. 116)
einer Larynxmaske beschrieben werden. Falls eine IVA bzw. TIVA unter Verwendung
einer Larynxmaske geplant ist, wird jedoch
hierauf verzichtet.
Vorbereitungen ● endotracheale Intubation (→ S. 92) bzw. Ein-

führen einer Larynxmaske


● Überprüfung des Narkosegeräts (→ S. 26) ● Blocken des Tubus (→ S. 96) bzw. der La-

● Überprüfung des Narkosewagens auf Voll- rynxmaske (→ S. 104)


ständigkeit (→ S. 31) ● Lagekontrolle des Endotrachealtubus (→ S.

● Vorbereiten von Material und Medikamen- 97) bzw. der Larynxmaske


ten (→ S. 32) ● Fixierung des Tubus (→ S. 98) bzw. der La-

● Aufziehen der Medikamente (→ S. 32) rynxmaske (→ S. 104)


● erneute Lagekontrolle des Endotrachealtu-

Im Rahmen einer IVA bzw. TIVA wird das ver- bus


wendete Hypnotikum (normalerweise Propo- ● Einstellen von O und N O bzw. Luft am Ro-
2 2
fol) zumeist über eine Spritzenpumpe verab- tameter
reicht. Öfter werden das Opioidanalgetikum Bei Durchführung einer IVA wird Lachgas
(insbesondere, wenn Remifentanil verwendet verwendet und es werden meist 1 Liter O2/
wird) und auch das Muskelrelaxans (insbeson- min und 2 Liter N2O/min eingestellt.
126 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Bei Durchführung einer TIVA wird auf Narkoseaufrechterhaltung


Lachgas verzichtet. Es werden (im highflow)
z. B. 0,5 Liter O2/min und 2,5 Liter Luft (air) Dosierungen
eingestellt.
● Blutdruck- und Herzfrequenzkontrolle (→ S. Hypnotikum
117): Für die Aufrechterhaltung einer IVA/TIVA wird
Bei und nach der Einleitung einer IVA bzw. zumeist Propofol per Spritzenpumpe verab-
TIVA droht häufiger ein Blutdruckabfall, reicht. Initial werden ca. 10 mg/kg KG/h und als
insbesondere, wenn neben Propofol auch Erhaltungsdosis ca. 6–8(–10) mg/kg KG/h ver-
das Opioid Remifentanil verwendet wird. Ist abreicht. Wird bei sehr kurzen Eingriffen Pro-
der Blutdruck kritisch abgefallen, so bieten pofol nicht per Spritzenpumpe verabreicht,
sich folgende Maßnahmen an: dann sind im Abstand von ca. 3 Minuten Pro-
– Schnellerstellen der laufenden kristallo- pofolboli à 20–30 mg bei Bedarf zu verabrei-
iden Lösung oder evtl. ein Austauschen chen.
der kristalloiden Lösung gegen ein kolloi- Zur Verabreichung von Propofol wird zuneh-
dales Plasmaersatzmittel (z. B. Hydro- mend häufiger eine sog. TCI (= target con-
xyethylstärke; → S. 135) trolled infusion = zielorientierte Infusion)
– Kippen des Operationstisches in ei- durchgeführt. Ziel ist hierbei eine gewünschte
ne Oberkörpertief- und Beinhochlage Plasmakonzentration des Propofols. Die TCI
(Schocklagerung; Trendelenburg-Lage- beruht auf folgenden Überlegungen:
rung) Bei intravenös verabreichten Medikamenten
– Injektion eines blutdrucksteigernden Me- treten nach der Injektion Umverteilungsphäno-
dikamentes (z. B. Akrinor®; → S. 117) mene auf (→ S. 47). Wegen dieser ständig ab-
● Ist die Herzfrequenz kritisch abgefallen laufenden Umverteilungsphänomene sowie
(vor allem nach Remifentanil), dann bietet ständig stattfindender Eliminationsprozesse
sich folgende Maßnahme an: aufgrund von Ausscheidung und Metabolisie-
– Gabe von Atropin (z. B. 0,25–0,5 mg) rung kann die tatsächlich erreichte Plasmakon-
● Sind Blutdruck und Herzfrequenz als Zei- zentration weder bei wiederholten Bolusgaben
chen einer zu flachen Narkose zu hoch und/ noch bei einer konstanten Infusion zuverlässig
oder der Patient bewegt sich oder droht auf- vorausgesagt werden. Häufig liegt die tatsächli-
zuwachen, dann ist nicht eine Muskelrelaxie- che Plasmakonzentration deutlich oberhalb
rung, sondern eine Vertiefung des Schlafes oder unterhalb der gewünschten Plasmakon-
oder der Analgesie durch Nachinjektion des zentration.
Einleitungshypnotikums (zumeist Propofol) Die sog. TCI stellt eine neuere Form der intrave-
oder des Opioids angezeigt. Anschließend nösen Applikation von Propofol dar. Mithilfe
kann ggf. auch relaxiert werden. von speziellen, computerunterstützten Spritzen-
● ggf. Vollrelaxierung (falls ausnahmsweise pumpen kann für Propofol eine gewünschte
unter Succinylcholingabe intubiert wurde) Ziel-(Target-)Plasmakonzentration eingestellt
(→ S. 116) werden. Diese speziellen Spritzenpumpen er-
● Transport in den Operationssaal (→ S. 118) rechnen kontinuierlich anhand von Daten über
● Lagerung des Patienten (→ S. 118) Umverteilung, Ausscheidung und Metabolisie-
● erneute Lagekontrolle des Endotrachealtu- rung die notwendige Infusionsgeschwindigkeit,
bus (→ S. 97) um die eingestellte Zielkonzentration tatsäch-
lich zu erreichen. Diese TCI-Pumpen verändern
ständig die aktuelle Infusionsgeschwindigkeit,
um die vorgegebene Plasmakonzentration zu
ermöglichen bzw. aufrechtzuerhalten.
1.18  Intubationsnarkose 127

Abb. 1-78  Geräte zur Durchführung


einer TCI (= target controlled infusion;
vgl. Text). a TCI-Diprifusor, Fa. Becton
Dickinson. b Orchestra® Base Primea,
b
Fa. Fresenius Kabi.

Mittels TCI kann ein relativ konstantes Verhal- gung. Anhand des Codierungsstreifens erkennt
ten von Blutdruck und Herzfrequenz erzielt die TCI-Pumpe, ob es sich um 1- oder 2%iges
werden. Außerdem sollen auch grobe Fehldo- Propofol handelt. Die erkannte Propofolkon-
sierungen eher vermeidbar sein. zentration wird angezeigt und muss per Knopf-
In die spezielle Spritzenpumpe (z. B. sog. TCI- druck bestätigt werden.
Diprifusor; Abb. 1-78a) müssen zuvor die pati- Inzwischen gibt es auch TCI-Geräte (z. B.
enteneigenen Daten (Alter, Körpergewicht) und Orchestra Base Primea, Fa. Fresenius Kabi;
die Zielkonzentration im Plasma eingegeben Abb. 1-78b), bei denen übliche, selbstgefüllte
werden. Für den TCI-Diprifusor sind spezielle 50-ml-Spritzen verwendet werden können.
Propofolfertigspritzen mit einem Codierungs- Im Anzeigenteil dieser Pumpen wird die ge-
streifen an einem Spritzenflügel (zur automati- wünschte Zielkonzentration und die errechnete
schen elektronischen Erkennung der Spritzen) aktuelle Konzentration sowie die momentane
zu verwenden. Es stehen Propofolfertigspritzen Förderrate der Pumpe in mg/kg KG/h bzw. in
à 50 ml mit 1- oder 2%iger Lösung zu Verfü- ml/h angezeigt.
128 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Diese Pumpen können auch für die Narkose­ auch Remifentanil im Rahmen einer IVA/TIVA
einleitung verwendet werden. Hierfür kann verabreicht. Als Erhaltungsdosis reichen zu­-
beim TCI-Diprifusor z. B. eingestellt werden, meist 0,2–0,3 µg/kg KG/min aus (→ S. 60). Bei
ob die eingestellte Zielkonzentration so schnell länger dauernden Eingriffen kann auch Sufenta-
wie möglich (innerhalb von 30 Sekunden) er- nil per Spritzenpumpe (0,005–0,015 µg/kg KG/
reicht werden soll bzw. es kann eine Zeitspanne min = ca. 0,3–1 µg/kg KG/h) verabreicht wer-
(zwischen 0,5 und 10 Minuten) gewählt wer- den.
den, innerhalb derer die Zielkonzentration er- Weitere Kriterien für eine nötige Nachinjektion
reicht werden soll. von Fentanyl oder Sufentanil sind Anzeichen
Zur Aufrechterhaltung der Narkose (bei Patien- einer nachlassenden Analgesie:
ten der ASA-Gruppe I oder II und bei Patienten ● Anstieg des Blutdrucks

jünger als 60 Jahre, bei denen zusätzlich eine ● Anstieg der Herzfrequenz

mäßige Opioiddosis verabreicht wird), sollte in- ● tränende Augen

itial eine Zielkonzentration von ca. 4 µg/ml an- ● Schwitzen des Patienten

gestrebt werden. Zur Aufrechterhaltung der


Narkose reicht meist eine Zielkonzentration von Fentanyl und Sufentanil wirken wie alle Opioide
ca. 3 µg/ml aus. Bei Patienten der ASA-Gruppen ! durch Bindung an spezifische Opioidrezeptoren.
III oder IV oder bei Patienten über 60 Jahre rei- Sind alle Opioidrezeptoren besetzt, so kann auch
chen niedrigere Zielkonzentrationen aus. durch eine weitere Fentanyl- oder Sufentanilgabe
Bei einer Plasmakonzentration von ca. 1,5 µg/ keine bessere Analgesie mehr erzielt werden.
ml öffnen die Patienten normalerweise wieder
die Augen. Insbesondere bei abdominalchirurgischen und
Der TCI-Diprifusor darf nur zur Verabreichung herzchirurgischen Operationen kommt es im-
von Propofol für die Einleitung und Aufrecht- mer wieder vor, dass Zeichen einer ungenügen-
erhaltung von Anästhesien bei Erwachsenen den Analgesie vorhanden sind, die aber durch
verwendet werden. Nachinjektion auch größerer Fentanylgaben
nicht zu beseitigen sind. Durch die kurzfristige,
Opioid zusätzliche Gabe eines Inhalationsanästheti-
Eventuelle Nachinjektionen von Fentanyl oder kums in niedriger Dosierung kann die Situation
Sufentanil (bzw. die Erhaltungsdosis von Remi- fast immer beherrscht werden. Unter einer Re-
fentanil) müssen zum einen an der momenta- mifentanilinfusion treten solche Probleme al-
nen OP-Situation und zum anderen an der lerdings deutlich seltener auf.
mittleren Wirkungsdauer des Opioids orientiert Die letzte, möglichst geringe Dosis von Fenta-
werden. Als Wiederholungsdosen eignen sich nyl oder Sufentanil sollte mindestens 30 Minu-
0,05–0,1 (bis maximal 0,2) mg Fentanyl oder ten vor OP-Ende verabreicht werden, um keine
10–20 µg Sufentanil. Bei langen Operationen postoperative Atemdepression durch einen
sollten die anfänglichen Wiederholungsdosen Opioidüberhang zu riskieren. Muss gegen
eher hoch, spätere Wiederholungsdosen sollten Ende der Narkose kurzfristig die Narkose ver-
eher niedrig gewählt werden. tieft werden, so hat es sich oft bewährt, statt ei-
Bei sehr kurzen Eingriffen (z. B. einer Curettage) ner Fentanyl- oder Sufentanilnachinjektion
genügt oft die initiale Opioiddosis (z. B. 1 mg (mit der Gefahr einer postoperativen Atemde-
Alfentanil, 0,1 mg Fentanyl, 20 µg Sufentanil). pression) kurzfristig ein Inhalationsanästheti-
Gegebenenfalls kann noch ca. die halbe Initial- kum (z. B. 4 Vol.-% Desfluran) zusätzlich zu
dosis nachinjiziert werden. Bei länger dauernden verabreichen, um den kritischen Moment zu
Eingriffen wird meist Sufentanil (10–20 µg) oder überbrücken. Eine Remifentanilinfusion sollte
Fentanyl (0,05–0,1 mg) in ca. 30-Minuten- bis zum Ende der Operation durchgeführt wer-
Abständen repetiert. Inzwischen wird häufiger den.
1.18  Intubationsnarkose 129

Es ist jedoch zu beachten, dass durch die Kombi- sonsten besteht die Gefahr eines postoperati-
! nation von Fentanyl oder Sufentanil mit höheren ven Überhangs des Muskelrelaxans mit einer
Dosen eines verdampfbaren Inhalationsanästhe- Lähmung der Atemmuskulatur.
tikums die atemdepressive Wirkung des Fentanyls
oder Sufentanils verlängert (!!!) werden kann.
Beurteilung
Das Inhalationsanästhetikum sollte also nur
kurzfristig zugegeben werden. Narkosetiefe (→ S. 112)

Relaxans Operatives Vorgehen (→ S. 120)


Zumeist wird die Relaxierung durch wiederhol-
te Bolusgaben eines Relaxans aufrechterhalten.
Bei Verwendung von Mivacurium ist bei länge- Narkoseausleitung
ren Eingriffen die Gabe per Spritzenpumpe
empfehlenswert. Die letzte Opioiddosis sollte bei Sufentanil oder
Fentanyl ca. 30 Minuten, bei Alfentanil ca. 10
Der Bedarf an Muskelrelaxanzien ist bei einer IVA/ Minuten vor OP-Ende verabreicht werden, und
! TIVA deutlich höher als bei einer Inhalationsnar- eine Remifentanildauerinfusion sollte ca. 5 Mi-
kose. nuten vor OP-Ende abgestellt werden. Bei Gabe
eines mittellang wirkenden Relaxans sollte die
Den verdampfbaren Inhalationsanästhetika ist letzte Gabe spätestens ca. 40 Minuten vor OP-
eine muskelrelaxierende Wirkung und eine Ende und bei dem kurz wirkendem Mivacurium
Wirkungsverstärkung der nicht depolarisieren- sollte die letzte Gabe spätestens ca. 10–15 Minu-
den Muskelrelaxanzien eigen. Dies entfällt bei ten vor OP-Ende erfolgen. Wird das Hypnoti-
der IVA/TIVA und erklärt den höheren Rela- kum Propofol per Spritzenpumpe kontinuierlich
xanzienverbrauch. Daher muss z. B. bei einer verabreicht, so kann bei längeren Eingriffen zu-
Bauchoperation in IVA/TIVA auf eine regelmä- meist ca. 10 Minuten vor OP-Ende die Infusions-
ßige Nachinjektion des Muskelrelaxans geachtet geschwindigkeit verlangsamt und ca. 5 Minuten
werden. Eine evtl. Nachinjektion des Muskelre- vor OP-Ende die Zufuhr gestoppt werden.
laxans muss an der momentanen Operations- Kurz vor Ende der Hautnaht kann das evtl. ver-
phase sowie an der Überprüfung des Relaxati- wendete Lachgas abgestellt werden (→ S. 122).
onsgrades mittels Relaxometrie (→ S. 76) und
an der Wirkdauer des verwendeten Relaxans
orientiert werden. Relaxansüberhang?

Bewegt sich ein Patient während der Operation Vor allem nach Gabe eines mittellang oder lang
! aufgrund der schmerzhaften Manipulation, wäre wirksamen nicht depolarisierenden Muskelrela-
es falsch, ihn nur wieder zu relaxieren. Er würde xans kann es postoperativ unter Umständen zu
sich zwar nicht mehr bewegen, aber der Grund einem Relaxansüberhang kommen (→ S. 122).
für die Bewegungen, nämlich die Schmerzen, wä-
re noch vorhanden.
Opioidüberhang?
In diesem Falle muss also zusätzlich zum Rela-
xans z. B. Fentanyl gegeben werden. Die letzte Vor allem nach Gabe der länger wirksamen
Dosis des Muskelrelaxans sollte mindestens so Opioide Fentanyl oder Sufentanil kann es post-
lange vor OP-Ende verabreicht werden, wie operativ evtl. zu einem Opioidüberhang kom-
dessen normale Wirkungsdauer beträgt. An- men (→ S. 124).
130 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Extubation (→ S. 122) bzw. Entfernen 1.18.5 Neuroleptanästhesie


der Larynxmaske (→ S. 132)
Die klassische Neuroleptanästhesie (= NLA) kann

als Vorläufer (bzw. mögliche Form) der intrave-
„Ablegen“ des Patienten nösen Anästhesie (= IVA) betrachtet werden. Die
vom Operationstisch (→ S. 123) Neuroleptanästhesie wurde während der letzten
Jahre durch Einführung der IVA und TIVA (→ S.
125) verdrängt und wird inzwischen nicht mehr
Vorteile durchgeführt!
Bei der Neuroleptanästhesie wurden hoch dosier-
Die Vorteile einer IVA oder TIVA sind vor al- tes Droperidol (meist 5–15 mg), ein hoch dosier-
lem darin zu sehen, dass die Patienten am Ende tes Opioid (initial meist 0,3–0,5 mg Fentanyl), ein
der Operation relativ schnell und meist ange- nicht depolarisierendes Muskelrelaxans, Lachgas
nehm wach werden. Aufgrund des zumeist ver- und Sauerstoff kombiniert.
wendeten Propofols ist die Häufigkeit postope-
rativer Übelkeit sehr gering, denn Propofol Droperidol als starkes Neuroleptikum erzielte
weist eine antiemetische (= Übelkeit hemmen- Sedierung, Gleichgültigkeit und Antriebsmin-
de) Wirkung auf. Typisch für Propofol ist auch derung. Es wurde später häufig durch ein Ben-
die Tatsache, dass Patienten, die ausnahmsweise zodiazepin, vor allem Midazolam, ersetzt. In
während einer Narkose geträumt haben, fast diesen Fällen wurde dann oft von modifizierter
immer von sehr angenehmen Trauminhalten NLA gesprochen. Richtiger wäre es gewesen,
berichten. dann von einer intravenösen Anästhesie (IVA)
zu sprechen.
Lachgas wurde immer zugesetzt. Lachgas ver-
Nachteile stärkte die Wirkung des Opioids. Außerdem
war Lachgas in Kombination mit Droperidol
Wird eine IVA oder TIVA unter Verwendung für die Amnesie (= Erinnerungslosigkeit) und
von Remifentanil durchgeführt, so treten auf- Bewusstlosigkeit des Patienten verantwortlich.
grund der sehr kurzen Wirkung des Remifenta- Droperidol allein erzeugt keine Bewusstlosig-
nils meist sehr schnell starke postoperative keit.
Schmerzen auf. Kurz nach Erwachen des Pati- Zur schonenden und schnellen Narkoseeinlei-
enten muss dann ggf. mit einer intravenösen tung wurde meist zusätzlich ein Einleitungs-
Titration eines länger wirkenden Opioids (vor hypnotikum verwendet. Bei initial hoher Do-
allem Piritramid; → S. 328) begonnen werden. sierung von Droperidol und Opioid wurde ggf.
Zum Teil wird auch schon eine zusätzliche in- auch auf ein Einleitungshypnotikum verzichtet.
traoperative Gabe eines länger wirkenden Opio- Eine Neuroleptanästhesie wurde nur als Intuba-
ids (vor allem Piritramid) empfohlen. Falls tionsnarkose, nie als Maskennarkose durchge-
möglich, sollte außerdem bereits präoperativ führt.
oder nach Narkoseeinleitung ein antipyreti- Die Durchführung der Neuroleptanästhesie
sches („peripheres“) Analgetikum (z. B. Dic­ wurde zum Teil sehr unterschiedlich gehand-
lofenac; → S. 332) oral oder als Suppositorium habt. Es wurden viele Variationen mit Erfolg
rektal verabreicht werden. durchgeführt. Während einer Neuroleptanäs-
thesie kam es häufiger als bei anderen Narkose-
formen zu einer intraoperativen Wachheit (→
S. 231).
1.19  Narkose unter Verwendung einer Kehlkopfmaske 131

Nachteile chealtubus (→ Intubationsnarkose; S. 116) eine


Kehlkopfmaske erhält. Über die Kehlkopfmas-
● Selten war die durch Lachgas und Droperi- ke kann der Patient entweder spontan atmen
dol bewirkte Bewusstlosigkeit unzureichend oder manuell beatmet werden (→ S. 112). Aus-
und die Patienten konnten sich unter Um- nahmsweise kann er auch maschinell mittels
ständen daran erinnern, was während einer Beatmungsgerät (→ S. 112) beatmet werden.
bestimmten Operationsphase gesprochen Eine Narkose unter Verwendung einer Kehl-
wurde! Manchmal berichten Patienten bei kopfmaske verbietet sich bei nicht nüchternen
der Prämedikationsvisite, dass sie bei einer Patienten, da die Kehlkopfmaske keinen siche-
früheren Allgemeinnarkose (meist ca. ren Schutz vor einer Aspiration darstellt. Auch
1970–1990) eine intraoperative Wachheit bei Operationen, bei denen das Peritoneum
(awareness) hatten, das heißt dass sie trotz oder die Pleura eröffnet wird, sowie (meist
Allgemeinnarkose etwas von der Operation auch) bei Operationen im Bereich des Mund-
und/oder von der Unterhaltung der Anwe- Nasen-Rachen-Raums, ist auf eine Kehlkopf-
senden mitbekommen haben (→ S. 231). Es maske zu verzichten (→ auch S. 209).
handelte sich dann zumeist um eine damals
sehr populäre Neuroleptanästhesie.
● Durch hoch dosiertes Droperidol konnten, 1.19.2 Vorbereitungen
vor allem bei nicht erkanntem Volumen-
mangel, unter Umständen drastische Blut- ● Überprüfung des Narkosegerätes (→ S. 26)
druckabfälle ausgelöst werden, denn Drope- ● Überprüfung des Narkosewagens auf Voll-
ridol führt zu einer ausgeprägten Alpha- ständigkeit (→ S. 31)
blockade (→ S. 61). ● Vorbereitung von Material und Medikamen-

● Manchmal traten die Anzeichen einer zu fla- ten (→ S. 32)


chen Narkoseführung auf, die trotz hoher ● Aufziehen der Medikamente (→ S. 32)

Fentanyldosen nicht zu beherrschen waren. ● Vorbereitung des Patienten auf die Narkose

● Die relativ schlechte Steuerbarkeit der da- (→ S. 32)


mals verfügbaren intravenös zu verabrei- ● Vorbereitung der Kehlkopfmaske (→ S. 101)

chenden Medikamente (Pancuronium, Dro-


peridol, Fentanyl) hatte häufiger einen
postoperativen Fentanyl- oder Relaxans- 1.19.3 Narkoseeinleitung
überhang zur Folge.
● Postoperativ mussten die Patienten wegen ● Präoxygenierung (→ S. 113)
der oft hohen Fentanyldosen wesentlich län- ● Einleitungshypnotikum:
ger im Aufwachraum überwacht werden. Als Einleitungshypnotikum wird meist Pro-
pofol verwendet, da es die laryngealen Re­
flexe stärker dämpft als andere Hypnotika.
● Maskenbeatmung (→ S. 114):
1.19 Narkose unter Verwen- Nach Narkoseeinleitung mittels intravenöser
dung einer Kehlkopfmaske Injektion eines Hypnotikums (normalerwei-
se Propofol) wird der Patient kurzfristig über
1.19.1 Allgemeine Bemerkungen eine Gesichtsmaske beatmet.
● Einführen der Kehlkopfmaske (→ S. 101)

Eine Narkose unter Verwendung einer Kehl- ● Die vorherige Gabe eines Muskelrelaxans ist

kopfmaske (Larynxmaske) ist dadurch ausge- nicht notwendig.


zeichnet, dass der Patient anstatt eines Endotra- ● Blocken der Kehlkopfmaske (→ S. 104)
132 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

● Überprüfen der Kehlkopfmaske, ob sie dicht Entfernen der Larynxmaske


sitzt (→ S. 103) und ob die Lungen gut belüf-
tet sind Bei Patienten mit eingelegter Kehlkopfmaske
● Fixierung der Kehlkopfmaske (→ S. 104) wird diese normalerweise erst dann entfernt,
● Einstellen von O und N O bzw. Luft am Ro- wenn der Patient aus der Narkose erwacht und
2 2
tameter (→ S. 117) auf Aufforderung den Mund öffnet. Erst nach
● Einstellen des Inhalationsanästhetikums Entfernen der Kehlkopfmaske wird der Mund-
(→ S. 117) bzw. Fortführung der Narkose als und Rachenraum abgesaugt werden. (Lediglich
IVA/TIVA (→ S. 125) falls eine Kehlkopfmaske – wie es von manchen
● Blutdruck- und Herzfrequenzkontrolle (→ S. Autoren empfohlen wird – auch bei einer Ade-
117) notomie [→ S. 281] verwendet werden sollte,
● normalerweise Verzicht auf eine Relaxie- dann muss bereits vor dem Entfernen der La-
rung rynxmaske der Mund-Rachen-Bereich von evtl.
● Transport in den Operationssaal (→ S. 118) Blut freigesaugt werden.) Weder vor noch beim
● Lagerung des Patienten (→ S. 118) Entfernen der Maske wird (im Unterschied zum
intubierten Patienten) endotracheal abgesaugt.

1.19.4 Narkoseaufrechterhaltung
und -ausleitung
1.20 Narkose unter Ver-
Aufrechterhaltung und Ausleitung einer Narko-
se unter Verwendung einer Larynxmaske ent-
wendung eines Larynxtubus
spricht großteils dem Vorgehen, das bei der
Aufrechterhaltung bzw. Narkoseausleitung ei- Für eine Narkose unter Verwendung eines La-
ner ITN mit einem verdampfbaren Inhalations- rynxtubus gilt das gleiche Vorgehen wir für eine
anästhetikum (→ S. 118) bzw. der Kombination Narkose unter Verwendung einer Larynxmaske
eines verdampfbaren Inhalationsanästhetikums (vgl. Kap. 1.19). Es wird hierbei lediglich anstatt
mit einem Opioid (→ S. 124) bzw. einer IVA/ einer Larynxmaske (Kap. 1.13) ein Larynxtubus
TIVA (→ S. 125) beschrieben wurde. Es sei da- (Kap. 1.14) eingeführt.
her auf die entsprechenden Kapitel verwiesen.
Während allerdings bei endotracheal intubier-
ten Patienten fast immer eine kontrollierte ma-
schinelle Beatmung vorgenommen wird, sollte 1.21 Perioperative Infusions-
bei einer Narkose unter Verwendung einer
Kehlkopfmaske möglichst eine Spontanatmung
und Transfusionstherapie
des Patienten mit manueller Unterstützung an-
gestrebt werden. Bei der kontrollierten maschi- Der Körper des Erwachsenen besteht zu ca.
nellen Beatmung ist die Kehlkopfmaske häufi- 60 % aus Wasser. 40 % davon entfallen auf den
ger undicht. Es kann hierdurch zum Eindringen Intrazellulärraum und 20 % auf den Extrazellu-
von Beatmungsgas in den Magen (mit der Ge- lärraum. Der Extrazellulärraum kann unterteilt
fahr einer Regurgitation) kommen. Da eine werden in den Intravasalraum (4 %) und den
Spontanatmung aber nicht über längere Zeit- interstitiellen Raum (16 %).
räume erwünscht ist (Gefahr von Atelektasen), Bei einem akuten Blutverlust ist primär nur das
wird nur selten eine Kehlkopfmaske verwendet, intravasale Volumen vermindert. Bei länger
wenn die Operation länger als ca. 2 Stunden bestehender intravasaler Hypovolämie wird
dauert. Flüssigkeit aus dem interstitiellen Raum nach
intravasal verschoben, und das intravasale Vo-
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 133

lumendefizit wird dadurch wieder teilweise aus- schen Gradienten zwischen Interstitium und
geglichen. Es bleibt aber ein noch leicht ernied- Intrazellulärraum zum Übertritt von Wasser
rigtes intravasales Volumen sowie ein Mangel nach intrazellulär. Wird dagegen eine hyperto-
an interstitieller Flüssigkeit. ne kristalloide Lösung verabreicht, dann führt
Für die perioperative Flüssigkeitstherapie ste- dies, da sie ebenfalls großteils ins Interstitium
hen je nach Bedarf verschiedene Infusions- und abwandert, zu einer Hyperosmolarität des In-
Transfusionslösungen zur Verfügung. terstitiums. Aufgrund eines dadurch zwischen
Interstitium und Intrazellulärraum auftreten-
den osmotischen Gradienten wandert nun Was-
1.21.1 Infusionslösungen ser aus den Zellen in den interstitiellen Raum.
Wird eine isotone kristalloide Lösung verab-
reicht, so bleibt der interstitielle Raum isoton. Da
Kristalloide Lösungen kein osmotischer Gradient zum Intrazellulär-
raum entsteht, kommt es zu keinem (!) Flüssig-
Kristalloide sind kristallisierbare Substanzen. keitsaustausch zwischen Intrazellulärraum und

Zu den kristalloiden Lösungen werden Elek- interstitiellem Raum. Die isotone Lösungen be-
trolytlösungen sowie niederprozentige Gluco- einflussen damit den Intrazellulärraum nicht (!).
selösungen (z. B. Glucose 5 %) gezählt. Normalerweise sollten nur isotone kristalloide
Je nachdem, wie hoch der Elektrolytgehalt ei- Lösungen verabreicht werden. (Lediglich falls
ner Elektrolytlösung im Vergleich zum Plasma ausnahmsweise der Intrazellulärraum hypoton
ist, wird von einer Vollelektrolytlösung, ei- oder hyperton ist, sollten hypertone oder hypo-
ner ½- oder ⅔-Elektrolytlösung usw. ge- tone Infusionslösungen verabreicht werden.)
sprochen. Wird die Osmolarität der Kristallo- In den letzten Jahren wurde wiederholt darauf
idlösung mit der des Plasmas verglichen, so hingewiesen, dass die Infusion größerer Mengen
können isotone, hypotone oder hypertone Kris­ an NaCl 0,9 % (die 154 mmol/l Chlorid enthält)
talloidlösungen unterschieden werden. zu einer sog. hyperchlorämischen metabolischen
Isotone Lösungen haben die gleiche Osmolarität Acidose führen kann. Außerdem wird durch eine
wie das Plasma (ca. 290 mOsmol/l). Hypotone hohe Chloridbelastung die Nierendurchblutung
Lösungen haben eine geringere und hypertone und damit die Urinproduktion negativ beein-
Lösungen eine höhere Osmolarität als das Plasma flusst. Außerdem kommt es durch die hohe
(vgl. Tab. 1-10). Chloridbelastung zu einer Hemmung der Renin-
freisetzung, wodurch der Blutdruck abfallen
Isotone kristalloide Lösungen verteilen sich kann. Bei Gabe größerer Mengen von Ringer-
nach deren Infusion sofort gleichmäßig im Ex- Lactatlösung ist außerdem zu beachten, dass
trazellulärraum, das heißt im Intravasalraum Ringer-Lactatlösungen eine evtl. Lactatbestim-
und im interstitiellen Raum. Da der Extravasal- mung verfälschen können, dass diese Lösungen
raum 4-mal so groß ist wie der Intravasalraum leicht hypoton sind und dass bei der Metabolisie-
(4 vs. 16 %; → S. 132) verbleiben 1⁄₅ (= 20 %) in- rung von Lactat überproportional viel Sauerstoff
travasal und ⁴⁄₅ (= 80 %) diffundieren in den in- verbraucht wird. Inzwischen werden daher zu-
terstitiellen Raum. Der intravasale Volumenef- nehmend sog. balancierte Lösungen empfohlen.
fekt einer kristalloiden Lösung ist daher relativ Balancierte Lösungen entsprechen weitgehend
gering. der Zusammensetzung des Plasmas. Sie sind iso-
Wird eine hypotone kristalloide Lösung verab- ton und enthalten deutlich weniger Chlorid als
reicht, dann diffundieren hiervon ebenfalls ca. physiologische Kochsalzlösungen. Der Chlo-
80 % in den interstitiellen Raum. Hierdurch ridgehalt entspricht ungefähr der Plasmachlorid-
wird die interstitielle Flüssigkeit ebenfalls hypo- konzentration. Balancierte Lösungen enthalten
ton und es kommt nun aufgrund eines osmoti- metabolisierbare Anionen, allerdings kein Lac-
134 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Tab. 1-10  Osmolaritäten verschiedener Lösungen


Lösung Natrium Chlorid Kalium Osmolarität Sonstiges pro Liter
(mmol/l) (mmol/l) (mmol/l)
(Plasma 140   98–109 4 290 mOsmol/l)
Glucose 5 % – – – hypoton Glucose: 50 g
NaCl 0,9 % 154 154 – isoton –
Sterofundin® 140 103 4 isoton Lactat: 45 mmol;
Calcium: 2,5 mmol;
Magnesium: 1 mmol
Ionosteril® (Fa. 137 110 4 isoton (balan- Calcium: 1,65 mmol;
Fresenius) ciert) Magnesium: 1,125 mmol;
Acetat: 36,8 mmol
Ringer-Lactat (Fa. 130 106 4 leicht hypoton Lactat: 28 mmol
Braun)
Ringer-Lösung 147 156 4 isoton –
(Fa. Baxter)
Ringer-Acetatlö- 130 112 5,4 isoton (balan- Calcium: 0,9 mmol;
sung (Fa. Baxter) ciert) Magnesium: 1 mmol;
Acetat: 27 mmol

tat, sondern Acetat oder Malat. Durch die meta- Einige Kolloide haben eine größere Wasserbin-
bolisierbaren Anionen soll einer sog. Dilutions- dungsfähigkeit als die Plasmaproteine und zie-
acidose (aufgrund einer Verdünnung der hen dadurch noch Wasser aus dem Gewebe und
Bicarbonatkonzentration bei größerer Volumen- binden es an sich. Die intravasale Volumenzu-
gabe) vorgebeugt werden. Lactat hat den Nach- nahme ist daher nach Infusion solcher Kolloide
teil, dass es in der Leber metabolisiert werden größer als das eigentlich zugeführte Volumen.
muss (und z. B. bei schwerem Schock oder Es kommt also durch diese Kolloide zu einer
schwerer Sepsis kann die hepatische Lactatmeta- Volumenexpansion. Diese Substanzen werden
bolisierung beeinträchtigt sein). Außerdem kann daher als Plasmaexpander bezeichnet.
Lactat evtl. eine Lactatbestimmung verfälschen. Kolloide werden verabreicht, um Plasmaverlus­
Acetat oder Malat werden dagegen unabhängig te zu ersetzen. Sie werden daher auch als Plas-
von der Leber – ebenfalls unter Freisetzung von maersatzmittel bezeichnet. Bei den kolloidalen
Bicarbonat – metabolisiert. Plasmaersatzmitteln kann zwischen Plasmaer-
satzmitteln, die künstlich hergestellt werden,
und Plasmaersatzmitteln, die aus menschlichem
Kolloidale Plasmaersatzmittel Plasma gewonnen werden, unterschieden wer-
den.
Kolloide sind große, hochmolekulare Substanzen

mit einem Molekulargewicht größer als 10 000.
Kolloidale Lösungen sind normalerweise nicht in Künstliche Plasmaersatzmittel
der Lage, durch Zellmembranen zu diffundieren.
Kolloide haben die Fähigkeit, Wasser an sich zu Künstliche Kolloide verteilen sich nach intrava-
binden. Durch diese Fähigkeit sind sie für die Auf- saler Gabe nur im Intravasalraum. Sie wandern
rechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks nicht in den interstitiellen Raum ab (während
verantwortlich. kristalloide Lösungen zu 80 % in den interstiti-
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 135

ellen Raum abdiffundieren; → S. 133). Mit einer parate (mit hohem Molekulargewicht von
bestimmten Menge an kolloidalen Lösungen 450 000 Dalton) zu. Bei den heute verwendeten
kann daher ein größerer intravasaler Volumen- HES-Präparaten (Molekulargewicht 200 000
effekt erreicht werden als mit dem gleichen Vo- oder 130 000 Dalton) kommt es jedoch zu kei-
lumen kristalloider Lösungen. Ein intravasaler ner relevanten Verschlechterung der Blutgerin-
Volumenverlust kann 1 : 1 mit einem Kolloid er- nung. Die Höchstdosis fast aller HES-Präparate
setzt werden, während hierfür das ca. 5-fache beträgt ca. 2 g/kg KG, das heißt z. B. ca. 33 ml/
Volumen an kristalloiden Lösungen benötigt kg KG HES 6 % oder 20 ml/kg KG HES 10 % pro
wird. Tag. Bei dem neuen HES-Präparat Voluven®
Die künstlichen Plasmaersatzmittel ermögli- (Molekulargewicht: 130 000 Dalton) wird die
chen einen vorübergehenden Ersatz der körper- zulässige Maximaldosierung mit 50 ml/kg KG/d
eigenen Plasmaproteine, bis diese nach einem angegeben. Außerdem ist es auch für Kinder,
Verlust wieder neu synthetisiert sind. Sie über- Säuglinge und Neugeborene zugelassen. Bei
nehmen die onkotische Aktivität der Plas- Stärkepräparaten können sehr selten anaphy-
maproteine, das heißt die Funktion, Wasser an laktoide Reaktionen auftreten. Meist kommt
sich zu binden. Sie können aber keine sonstigen eine 6- oder 10%ige HES-Lösung zur Anwen-
biologischen Funktionen der Plasmaproteine, dung.
wie z. B. die Transportfunktion für viele körper- Die meisten bisherigen HES-Präparate sind auf
eigene und körperfremde Substanzen, überneh- der Basis einer 0,9%igen NaCl-Lösung herge-
men. stellt. Daher kann es bei Gabe größerer Mengen
Die wichtigsten künstlichen kolloidalen Plas- an konventionellem HES zu einer hyperchlor­
maersatzmittel sind: ämischen metabolischen Acidose kommen (wie
● Stärkepräparate bei großzügiger Gabe von 0,9%iger NaCl-Lö-
● Gelatinepräparate sung; → S. 133). Daher wird in den letzten Jah-
● Dextranpräparate ren wiederholt darauf hingewiesen, dass als Ba-
sislösung für HES-Präparate eine balancierte
Stärkepräparate – Hydroxyethylstärke Lösung verwendet werden sollte. Ein neues, ba-
(z. B. HES-steril 6 %, Voluven®) lanciertes HES-Präparat stellt z. B. das HES
130/0,42 (Vitafusal®; Serumwerk Bernberg)
Stärkepräparate werden aus der z. B. in Mais, Ge- dar.

treide und Reis enthaltenen Stärke hergestellt.
Damit das körpereigene Enzym Alpha-Amylase, Gelatinepräparate (z. B. Gelafundin®,
das für die Stärkespaltung verantwortlich ist, die- Haemaccel®)
ses Molekül nicht abbauen kann, wird es durch ei-
ne bestimmte chemische Umwandlung, eine sog. Gelatinepräparate werden aus Abbauprodukten
Hydroxyethylierung, stabilisiert. Das entstehende 
des in Knochen, Sehnen usw. enthaltenen Kolla-
Molekül ist die Hydroxyethylstärke (= HES). gens hergestellt. Das mittlere Molekulargewicht
liegt bei ca. 30 000 Dalton. Die Wirkungsdauer be-
Die Wasserbindungsfähigkeit der HES ist hoch. trägt ca. 2–3 Stunden. Ihre Fähigkeit zur Wasser-
HES ist ein Plasmaexpander (→ S. 134). Die bindung ist deutlich geringer als bei HES (→ oben)
Wirkungsdauer beträgt ca. 3–4 Stunden. HES- und den Dextranen (→ S. 136).
Moleküle werden größtenteils über die Nieren
wieder ausgeschieden, teilweise auch im Körper Die Gelatinepräparate werden fast ausschließ-
gespalten oder auch im Körper gespeichert. lich über die Nieren ausgeschieden. Durch ihre
HES-Präparaten wird manchmal eine Beein- Fähigkeit, Wasser an sich zu binden, kommt es
trächtigung der Blutgerinnung nachgesagt. Dies während ihrer raschen Ausscheidung über die
trifft jedoch vor allem für die älteren HES-Prä- Nieren zu einer vermehrten Urinausscheidung,
136 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

einer sog. osmotischen Diurese. Auch nach Körpereigene Plasmaersatzmittel


Gabe von Gelatinepräparaten können sehr sel-
ten Unverträglichkeitsreaktionen auftreten, die Die wichtigsten körpereigenen kolloidalen Plas-
jedoch erst nach Infusion größerer Mengen zu maersatzmittel sind:
erwarten sind. Ein häufiger eingesetztes Gelati- ● Humanalbumin

nepräparat ist z. B. Gelafundin® 4 % (Fa. Braun). ● Serumeiweißkonserven

Inzwischen steht mit Gelafusal® (Fa. Serumwer-


ke Bernburg) auch eine Gelatinelösung mit ba- Humanalbumin
lancierter Basislösung zur Verfügung. Humanalbuminlösungen werden aus gemisch-
ten Spenderplasmen gewonnen. Sie bestehen zu
Dextranpräparate (z. B. Macrodex® 6 %) ca. 95 % aus Albumin. Durch eine spezielle Hit-
zebehandlung sind Humanalbuminlösungen
Dextranmoleküle sind aus Zuckermolekülen auf- hepatitissicher. Humanalbuminlösungen sind

gebaute Riesenmoleküle. Früher wurden in der als 5- und 20%ige Lösungen im Handel. Das
Anästhesie vor allem Dextranpräparate mit einem 20%ige Präparat wird zu den Plasmaexpandern
mittleren Molekulargewicht von 60 000 Dalton gerechnet (→ S. 134). Es hat eine Wirkungsdau-
(Dextran 60) eingesetzt. Inzwischen sollten Dex- er von 24–36 Stunden und eine Plasmahalb-
tranpräparate nicht mehr in der Anästhesie ein- wertszeit von ca. 19 Tagen. Humanalbumin
gesetzt werden (→ unten). Die Dextranpräparate kann universell, das heißt unabhängig von der
zeichnen sich durch eine hohe onkotische Aktivi- Blutgruppe des Empfängers, verabreicht wer-
tät aus. Ihre Wasserbindungsfähigkeit ist größer den.
als die der Plasmaproteine. Dextrane sind also
Plasmaexpander (→ S. 134). Serumeiweißkonserven
Serumeiweißkonserven (= SEK) entsprechen in
Dextrane führen zu einer deutlichen Beein- ihrer Zusammensetzung weitgehend der nor-
trächtigung der Blutgerinnung. Ursache ist eine malen Zusammensetzung des menschlichen
Beeinträchtigung der Thrombozytenfunktion. Serums. Neben Albumin sind z. B. auch die Im-
Aus diesem Grund sollte eine Höchstdosis für munglobuline darin enthalten. Der Proteinge-
Dextranpräparate von ca. 15–20 ml/kg KG/d halt der Serumeiweißkonserven beträgt 5 %.
(ca. 1,5 Liter beim Erwachsenen) nicht über- SEK sind hepatitissicher und universell einsetz-
schritten werden. Die Wirkungsdauer des Dex- bar.
trans 60 beträgt ca. 6–8 Stunden. Dextrane
werden vor allem über die Nieren wieder ausge-
schieden. In sehr seltenen Fällen kann es bereits 1.21.2 Transfusionslösungen
nach wenigen Millilitern eines Dextranpräpara-
tes zu schweren anaphylaktoiden Reaktionen
kommen. Die Ursache sind echte Antigen-An- Vollblut
tikörper-Reaktionen. Durch die vorherige Gabe
von Promit (20 ml) sollen diese Allergien ver- Vollblutkonserven werden aus einer Einzelblut-
meidbar sein. Promit ist ein monovalentes 
spende gewonnen. Sie enthalten 450 bzw. 500 ml
Haptendextran. Es bindet sich an evtl. vorhan- Blut sowie 63 bzw. 70 ml Stabilisatorlösung (z. B.
dene Antikörper und kann diese blockieren CPD1-Stabilisator).
und damit die Antigen-Antikörper-Reaktionen
verhindern. Dextranpräparate sollten aufgrund Vollblutkonserven sollten möglichst innerhalb
dieser möglichen allergischen Nebenwirkungen von 24 Stunden in die einzelnen Komponenten
inzwischen möglichst nicht mehr in der Anäs- (Erythrozytenkonzentrat und gefrorenes Frisch-
thesie eingesetzt werden. plasma; → S. 137) aufgetrennt werden. Die
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 137

Transfusion von Vollblutkonserven sollte heute


nicht mehr durchgeführt werden. (Lediglich im
Rahmen der Retransfusion von präoperativ ge-
spendeten Eigenblutkonserven kommen noch
Vollblutkonserven zur Anwendung.)

Erythrozytenkonzentrat

Erythrozyten-(= Ery-)Konzentrate werden durch



Zentrifugieren von Vollblutkonserven hergestellt.
Nach dem Zentrifugieren der Vollblutkonser-
ve wird der Überstand, der aus Leukozyten und
Thrombozyten (buffy coat) sowie Plasma besteht,
abgetrennt, denn Leukozyten und Thrombozyten
würden während der Lagerung absterben. Diese
abgestorbenen Zellen würden verklumpen und
sog. Mikroaggregate bilden, die bei der Transfu-
sion größerer Blutmengen zu einer Lungenschädi-
gung führen können. Buffy coat sowie das Plasma
und der Stabilisator werden also weitgehend ent-
Abb. 1-79  Erythrozytenkonzentrat (mit linksseitig be-
fernt. Seit 2001 müssen bereits beim Herstellungs-
festigtem sog. Pilotröhrchen)
prozess einer Erythrozytenkonserve zusätzlich die
weißen Blutkörperchen (Leukozyten) noch mittels
Filtration entfernt werden, das heißt, es muss eine „Universalspenderblut“ ungekreuzt transfun-
sog. Leukozytendepletion (durch In-Line-Filtrati- diert werden. Da das Plasma sowie die darin
on) durchgeführt werden. Die Standardblutkon- enthaltenen Isoagglutinine Anti-A und Anti-B
serve ist die leukozytendepletierte Erythrozyten- weitgehend entfernt sind, können Unverträg-
konserve in sog. additiver Lösung (Abb. 1-79). Zur lichkeitsreaktionen im Sinne einer Minorreak-
Verbesserung der Lagerfähigkeit ist eine spezielle tion mit Schädigung der Erythrozyten des Emp-
(additive) Lösung zugesetzt (80 ml). Eine solche fängers durch Isoagglutinine des transfundierten
Konserve kann bis maximal 49 Tage gelagert wer- Blutes weitgehend verhindert werden.
den. Eine Erythrozytenkonserve hat ein Volumen
von ca. 200–350 ml.
Gewaschene
Der Hkt-Wert eines Erythrozytenkonzentrats Erythrozytenkonzentrate
beträgt ca. 50–70 %. Erythrozytenkonzentrate
sind über ein Transfusionssystem mit Standard- Durch mehrmaliges Waschen in isotoner Koch-
filter (170–230 µm Porengröße) zu transfundie- 
salzlösung können aus Erythrozytenkonzentraten
ren. Bei Transfusion eines Erythrozytenkon- sog. gewaschene Erythrozytenkonzentrate her-
zentrats besteht das Risiko einer Hepatitis-B-, gestellt werden. Hierdurch kann ein Präparat mit
Hepatitis-C- und HIV-Übertragung (HIV = besonders wenig Thrombozyten, Granulozyten
human immunodeficiency virus, das zu einer und Plasma gewonnen werden.
AIDS-Erkrankung [AIDS = aquired immu-
nodeficiency syndrome] führen kann). Gewaschene Erythrozytenkonzentrate kommen
In lebensbedrohlichen Situationen können Ery- vor allem bei Patienten mit Thrombozyten-
throzytenkonzentrate der Gruppe 0/negativ als oder Leukozytenantikörpern oder bei Patienten
138 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

mit einer Proteinallergie zur Anwendung. Da Frischplasma (= fresh frozen plasma = FFP)
bei dem Waschvorgang den Erythrozyten wich- vorsichtig bei 37 °C maschinell aufgetaut wer-
tige Ionen entzogen werden, ist die Haltbarkeit den. FFP muss AB0-Blutgruppen-identisch
der gewaschenen Erythrozytenkonzentrate auf transfundiert werden. Der Rhesusfaktor braucht
ca. 6 Stunden begrenzt. Hepatitisgefahr! HIV- jedoch nicht berücksichtigt zu werden. Im Not-
Gefahr! fall kann als „Universalplasma“ FFP der Blut-
gruppe AB verwendet werden (enthält keine
Isoagglutinine Anti-A und Anti-B). Hepatitis-
Eigenblutkonserven gefahr! HIV-Gefahr! Eine FFP-Konserve hat
ein Volumen von ca. 200–250 ml. Es ist ein
Beträgt die Wahrscheinlichkeit einer periopera- Transfusionssystem mit Standardfilter (170–230
tiven Bluttransfusion über 10 %, dann muss auf- µm) zu verwenden.
grund einer seit 1992 bestehenden Aufklärungs-
pflicht der Patient über die Möglichkeit der
präoperativen Eigenblutspende und intraopera- Thrombozytenkonzentrat
tiven Retransfusion aufgeklärt werden. Es ma-
chen zunehmend mehr Patienten von dieser Ein Thrombozytenkonzentrat wird aus Frischblut
Möglichkeit Gebrauch. Hierbei wird dem Pati- 
gewonnen.
enten in den letzten (max.) 7 Wochen vor der
Operation eine, oder es werden jeweils im Ab- Thrombozytenkonzentrate sind nur ca. 5 Tage
stand von ca. einer Woche auch mehrere Eigen- lagerungsfähig. Es sind sowohl Einzelspender-
blutkonserven abgenommen. Die letzte Eigen- Thrombozytenkonzentrate (aus einer frisch ab-
blutspende sollte normalerweise mindestens 7 genommenen Blutspende hergestellt) oder
Tage vor dem Operationstermin sein. Zwischen Pool-Thrombozytenkonzentrate (aus 4–6 frisch
mehreren Eigenblutspenden muss der Patient abgenommenen Blutspenden hergestellt) ver-
nachweislich wieder ausreichend Erythrozyten fügbar. Die therapeutische Einheit entspricht
gebildet haben (Hb-Kontrolle vor Abnahme, einem Pool-Thrombozytenkonzentrat oder 4–6
Hb-Wert muss größer als 11,5 g/dl sein). Zu- Einzelspender-Thrombozytenkonzentraten.
meist wird empfohlen, Eigenblut in Erythrozy- Dadurch kann die Thrombozytenzahl um ca.
tenkonzentrat und gefrorenes Frischplasma 30 000/ml gesteigert werden. Thrombozyten-
aufzutrennen. Bei der Retransfusion von Eigen- konzentrate müssen bei Raumtemperatur unter
blut kann der Patient keine Neuinfektion mit ständiger Bewegung (= Agitation) gelagert wer-
z. B. einem Hepatitis- oder HI-Virus erwerben. den. Es wird empfohlen, Thrombozytenkon-
Falls bei dem Patienten Eigen- und Fremdblut zentrate AB0-Blutgruppen-identisch zu über-
bereitliegen, muss im Falle einer Blutung im- tragen. Es ist über ein Transfusionssystem mit
mer zuerst das Eigenblut transfundiert werden. Standardfilter (170–230 µm) zu transfundieren.
Bezüglich der Retransfusion von Eigenblut gilt Hepatitisgefahr! HIV-Gefahr!
eine vergleichbar strenge Indikationsstellung
wie bei Fremdblut (Verwechslungsgefahr, Kon-
taminationsgefahr). 1.21.3 Durchführung
einer Bluttransfusion
Gefrorenes Frischplasma
Blutabnahme
Durch sofortiges Tiefgefrieren von Plasma kann
die Aktivität der Gerinnungsfaktoren erhalten Dem Patienten wird zur Bestimmung der Blut-
werden. Vor Gebrauch muss das gefrorene gruppe, zur Durchführung der Kreuzprobe
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 139

und des Antikörpersuchtests (Suche nach irre- Anschluss des Transfusionsbestecks


gulären Antikörpern) Blut abgenommen. Auf
ein korrektes Beschriften der Blutprobe, des Hierzu wird die Konserve so gehalten, dass die
Blutgruppenzettels und des Blutanforderungs- 2 Anschlussstutzen nach oben (!) zeigen. Die
scheines ist unbedingt zu achten: Verwechs- Verschlusskappe eines Anschlussstutzens wird
lungsgefahr (!). Das Blut muss anschließend in abgedreht und der Dorn des Transfusionsfilters
die Blutbank geschickt werden. unter sterilen Bedingungen mit einer drehen-
den Bewegung in den Stutzen eingesteckt (Abb.
1-80). Nun wird die Konserve mitsamt dem
Blutauslieferung Transfusionsbesteck umgedreht. Durch mehr-
faches leichtes Komprimieren der (inzwischen)
Die Blutbank liefert das angeforderte Blut in flexiblen Tropfkammern muss die Tropfkam-
Kühltaschen. Falls es nicht sofort benötigt wird, mer bis ca. zur Hälfte mit Blut gefüllt werden
muss es in einem speziellen, weitgehend er- (Abb. 1-81). Anschließend wird die Rollerklem-
schütterungsfrei arbeitenden Kühlschrank bei me vorsichtig etwas geöffnet, sodass Blut in die
4 °C übersichtlich gelagert werden (Kühlkette Transfusionsleitung fließt. Ist die Transfusions-
aufrechterhalten). Nicht mehr benötigte Kon- leitung ganz gefüllt (und damit luftleer), wird
serven müssen umgehend wieder zur Blutbank die Rollerklemme wieder verschlossen. Die
zurückgeschickt werden.

Identitätskontrolle
vor der Transfusion
Es sind folgende Dinge zu beachten: Gehören
der vorliegende Blutgruppen- und Kreuzpro-
benzettel zu diesem Patienten? Wenn ja: Stimmt
die Blutgruppe auf der Konserve mit derjenigen
des Patienten überein? Wenn ja: Stimmt die auf
dem Konservenetikett angegebene Konserven-
nummer mit der Konservennummer auf dem
Kreuzprobenzettel überein? Wenn ja: Vorberei-
tung der Konserve.

Erwärmung der Konserve


Falls kein Durchlauferwärmer (z. B. Warmflo,
Fa. Mallinckrodt) verwendet wird, sollte die
Konserve in einem speziellen Wärmegerät (z. B.
Plasmatherm, Fa. Barkey) erwärmt werden.
Wird das Blut kalt transfundiert, so droht bei
einer Massivtransfusion eine Unterkühlung des
Patienten. Außerdem können bei Kalttransfu- Abb. 1-80  Anschluss des Transfusionbestecks. Nach-
sionen Reaktionen mit möglicherweise vorhan- dem einer der beiden Verschlussstutzen abgedreht wur-
denen Kälteagglutininen auftreten. de, wird der Dorn des Transfusionsbestecks steril in den
Stutzen gedreht.
140 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Bestätigung durch den Arzt


Sind die Identitätskontrolle und das Ergebnis des
Bedside-Tests vom Arzt schriftlich als richtig be-
stätigt worden, kann das Blut transfundiert wer-
den.

Transfusion
Die Bluttransfusion ist eine ärztliche Maßnahme
und muss vom verantwortlichen Arzt eingeleitet
werden. Sie sollte immer über einen peripherve-
nösen Zugang erfolgen. Die Transfusion ist auch
über spezielle großlumige Dialysekatheter (z. B.
Shaldon-Katheter) möglich (v. a. im Rahmen ei-
ner Massivtransfusion). Möglichst nie (!) über
einen Kavakatheter transfundieren. Läuft eine
Transfusion über einen Kavakatheter einige Mi-
nuten nicht mehr, weil z. B. der Katheter abge-
knickt oder der Transfusionsbeutel leer ist, so
kann es zu einer Thrombosierung des Kavaka-
theters kommen!! Außerdem kann über einen
Abb. 1-81  Durch mehrmaliges Komprimieren der flexi- großlumigen periphervenösen Zugang wesent-
blen Tropfkammer wird die Tropfkammer ca. zur Hälfte lich schneller und erythrozytenschonender trans-
mit Blut gefüllt. Anschließend ist noch die Transfusions­ fundiert werden als über einen Kavakatheter.
leitung mit Blut zu füllen (vgl. Text).
Einer Blutkonserve dürfen keine Medikamente zu-
! gesetzt werden! Eine Bluttransfusion darf nicht
zusammen mit einer anderen Infusion über einen
Blutkonserve mit Transfusionsbesteck kann gemeinsamen Zugang laufen. Leere Transfusions-
nun bei Bedarf an einen venösen Zugang des beutel (mit anhängendem Pilotröhrchen) müssen
Patienten angeschlossen werden. 24 Stunden aufbewahrt werden. Im Falle einer
Unverträglichkeit sind serologische Nachuntersu-
chungen wichtig.
Durchführung des Bedside-Tests
Mithilfe z. B. einer Eldon- oder Medtro-Karte Biologische Probe
wird der sog. Bedside-Test durchgeführt, mit
dem nochmals die AB0-Gruppen des Patienten Nach der Transfusion weniger Milliliter wird
und der Konserve überprüft werden. Damit sol- die Infusion unterbrochen und der Patient auf
len Verwechslungen ausgeschlossen werden. die Zeichen einer Unverträglichkeitsreaktion
Bei dem Bedside-Test wird ein Tropfen Blut des hin überprüft (→ S. 142). Falls keine Auffällig-
Patienten bzw. der Konserve in die entspre- keiten zu registrieren sind, wird die Transfusi-
chend gekennzeichneten Antiserumschalen ge- onsgeschwindigkeit gesteigert. Vorsicht: Beim
geben (vgl. Abb. 1-82). sedierten/narkotisierten Patienten können
selbst ausgeprägte Transfusionsreaktionen nur
schwer erkennbar sein (→ S. 142).
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 141

Abb. 1-82  Karte zur Durchführung


eines Bedside-Tests (Bestimmung der
AB0-Blutgruppen). a Blut des Patienten
bzw. der Konserve wird jeweils in eine
Anti-A- und Anti-B-Serum-Schale gege-
ben. Danach wird die Karte geschüttelt.
b Da es in der Anti-A-Serum-Schale zur
sichtbaren Agglutination kam, handelt
es sich um Blutgruppe A.

Dokumentation gefordert werden. Die Bestimmung der Blut-


gruppe dauert nur wenige Minuten (!), die
Beginn und Ende der Transfusion, Konserven- Kreuzprobe dagegen ca. 45 Minuten. Nach der
nummer und Ergebnis des Bedside-Tests müs- oben beschriebenen Identitätsprobe und dem
sen dokumentiert werden. Bedside-Test kann dann dieses ungekreuzte
Blut transfundiert werden. Inzwischen führt die
Blutbank die Kreuzprobe durch und gibt die
Notfalltransfusion Konserve im Nachhinein frei. Nur in lebensbe-
drohlichen Fällen kann das nicht blutgruppen-
Abweichungen von dem beschriebenen Vorge- gleiche „Universalblut“ einer 0-negativen Ery-
hen sind nur in Notsituationen erlaubt. Hier throzytenkonserve transfundiert werden. Auch
kann von der Blutbank unter Umständen unge- hier sollte zuvor Blut für die Blutgruppenbe-
kreuztes, aber blutgruppengleiches (!) Blut an- stimmung abgenommen werden, da nach
142 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Transfusion mehrerer 0-negativer Erythrozy- 1.21.5 Transfusionszwischenfall


tenkonserven eine Blutgruppenbestimmung
schwierig bis unmöglich ist. Die Ursache eines hämolytischen Transfusionszwi-
! schenfalls ist fast immer ein Nichtübereinstimmen
im AB0-System.
1.21.4 Gefahren einer
Bluttransfusion
Die Transfusion von Blut oder Blutkomponen- Anzeichen
ten erfordert aufgrund der zahlreichen Kompli-
kationsmöglichkeiten eine sehr strenge Indika- Symptome beim wachen Patienten
tionsstellung. Mögliche Gefahren einer Blut­
transfusion sind: ● Brennen im Bereich der zuführenden Vene
● Transfusionszwischenfall ● Juckreiz, Gesichtsrötung, Kopfschmerz
(Hämolyse durch Blutunverträglichkeit, zu- ● Fieber
meist [> 80 %] durch Verwechslungen be- ● Schüttelfrost
dingt!!! Kunstfehler!!!) ● Kreuzschmerzen
● Übertragung von Hepatitis B (1 : 220 000– ● Tachykardie
1 : 250 000/Erythrozytenkonzentrat) oder ● Blutdruckabfall
Hepatitis C (1 : 350 000–1 : 375 000/Erythro- ● Tachypnoe
zytenkonzentrat) ● in sehr schweren Fällen Vollbild des anaphy-
● Übertragung von HI-Viren laktoiden Schocks mit Kreislaufzusammen-
(Häufigkeit 1 : 300 000–1 : 3 000 000/Erythro- bruch
zytenkonzentrat)
● Übertragung von Cytomegalieviren (=
CMV) war früher vor allem bei Neugebore- Symptome beim narkotisierten Patienten
nen ein Problem (Gefahr von Hirnschädi-
gungen). Da sich eventuelle CM-Viren in Die Erkennung eines Transfusionszwischenfalls
den Leukozyten befinden, wurde 2001 eine ist beim narkotisierten Patienten relativ schwie-
generelle Leukozytendepletion eingeführt rig und daher meist erst verzögert durch folgen-
(→ S. 137). Damit konnte die Gefahr einer de Symptome möglich:
CMV-Übertragung weitgehend ausgeschal- ● Hämoglobinurie und Oligurie (nur erkenn-

tet werden. bar, falls der Patient einen Dauerkatheter


● Transfusion einer Konserve, die mit infekti- hat)
ösen Keimen verunreinigt ist ● ungeklärter Blutdruckabfall

● Fieberreaktion durch fiebererzeugende Gifte ● ungeklärte diffuse Blutung im Operationsge-

(= Pyrogene) aus abgestorbenen Bakterien biet (durch auftretende Gerinnungsstörung)


● Übertransfusion mit Lungenödem ● Fieber

● anaphylaktoide Reaktion auf die in der Kon- ● unter Umständen Auftreten eines Bronchos-

serve enthaltenen Proteine pasmus


● Hypokalzämie durch Bindung des Plasma-

calciums an das Citrat des Stabilisators, vor


allem dann, falls Citrat bei gleichzeitiger Le- Therapie
berinsuffizienz nur vermindert abgebaut
werden kann oder falls im Rahmen einer Schon bei Verdacht (!) sollten folgende Maß-
Massivtransfusion sehr viel Stabilisatorcitrat nahmen durchgeführt werden:
transfundiert wurde. ● sofort Abbruch der Transfusion
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 143

● Behandlung des drohenden Nierenversagens Die im Folgenden angegebenen Werte sind daher
durch Erzwingung einer gesteigerten Diure- ! als grobe Richtlinien gedacht und müssen oft ent-
se mittels sprechend des Krankheitsbildes modifiziert wer-
– Volumenzufuhr den.
– evtl. Furosemid (Lasix®) oder Torasemid
(Torem®) In den letzten Jahren wurde mehrfach darauf
– evtl. Mannitol (osmotisches Diuretikum) hingewiesen, dass eine übermäßige perioperati-
– (die früher empfohlene Dopamingabe in ve Flüssigkeitstherapie zu vermeiden ist, da sie
„Nierendosis“ [ca. 3 µg/kg KG/min; → S. die Verschiebung von Flüssigkeit in den intersti-
303] ist erfolglos und sollte unterlassen tiellen Raum (und damit z. B. eine Ödembildung)
werden) begünstigt. Deshalb wird inzwischen oft auf eine
● evtl. Alkalisierung des Urins durch intrave- streng bedarfsadaptierte Flüssigkeitsgabe großen
nöse Gabe von Natriumbicarbonat (= Natri- Wert gelegt (v. a. bei großen Bauchoperationen;
umhydrogencarbonat) vgl. Fast-Track-Prinzipien → S. 291).
● evtl. Gabe von Glucocorticoiden Bei der Berechnung der perioperativen Flüssig-
● Therapie einer Hypotension mit Volumenga- keitstherapie sollte zwischen Basis-, Verlust-
be und Catecholaminen und Nachholbedarf unterschieden werden:
● notfalls Austauschtransfusion (bei sehr
schweren Fällen)
● Blutbank informieren: Basis- (oder Erhaltungs-)Bedarf
Konserve sowie frisch entnommenes Blut
des Patienten in die Blutbank zur Überprü- Es werden folgende Richtwerte angegeben:
fung der Blutgruppe, der Kreuzprobe und ● Erwachsener:

des Antikörpersuchtests schicken 70 kg KG: 1,5 ml/kg KG/h


● Laborbestimmungen: ● Schulkind:

Kalium, freies Hämoglobin im Blut und im 14 Jahre/50 kg KG: 2,0 ml/kg KG/h


Urin, Blutbild (einschließlich Thrombozy- 6 Jahre/20 kg KG: 3,5 ml/kg KG/h
ten), großer Gerinnungsstatus, Bilirubin, ● Kleinkind:

LDH, Haptoglobin 5 Jahre/20 kg KG: 3,5 ml/kg KG/h


● genaue Dokumentation des Transfusions- 2 Jahre/12 kg KG: 4,0 ml/kg KG/h
zwischenfalls ● Säugling:

● postoperative Verlegung des Patienten auf 1 Jahr/10 kg KG: 5,0 ml/kg KG/h


die Intensivstation ab dem fünften Lebenstag: 5,5 ml/kg KG/h
vierter Lebenstag: 4,5 ml/kg KG/h
dritter Lebenstag: 3,5 ml/kg KG/h
1.21.6 Allgemeine Bemerkungen zweiter Lebenstag: 3 ml/kg KG/h
zur perioperativen Flüssigkeits- erster Lebenstag: 2,5 ml/kg KG/h

therapie
Intraoperativer Verlustbedarf
Die Empfehlungen für den perioperativen Flüs-
sigkeitsbedarf sind zum Teil recht unterschied- Der intraoperative Verlustbedarf ergibt sich vor al-
lich, dies betrifft sowohl die Menge als auch die ! lem aus der Verdunstung über Wundflächen (z. B. er-
Art der zuzuführenden Flüssigkeit. öffnetes Abdomen) und durch Sequestration (= Ab-
sonderung) von Flüssigkeit in das durch die Opera­
tion geschädigte ödematös aufquellende Gewebe.
144 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Diese Flüssigkeitsverluste durch Sequestration ml/kg KG/h als intraoperativer Verlustbedarf


in den „dritten Raum“ sind nur sehr schwer ab- zugeführt (d. h. ca. 60 % der oben angegebenen
zuschätzen. Es werden folgende Richtwerte an- Werte). Bei Operationen mit minimaler Ge-
gegeben: webstraumatisierung wie Operationen am
● mäßige Gewebstraumatisierung (z. B. Tonsill- Auge, mikrochirurgischen Eingriffen am Ohr,
ektomie, Herniotomie): Extremitätenoperationen in Blutleere usw. kann
1–4 ml/kg KG/h der intraoperative Verlustbedarf oft vernachläs-
● mittlere Gewebstraumatisierung (z. B. offene sigt werden.
Gallenblasenoperation, Appendektomie, Tho- Zum intraoperativen Verlustbedarf können zu-
raxoperation): sätzlich noch Blutverluste sowie Verluste über
5–7 ml/kg KG/h Drainagen und Sonden hinzukommen.
● ausgeprägte Gewebstraumatisierung (z. B

große Bauchoperation):
8–10(–15) ml/kg KG/h Nachhol- oder Korrekturbedarf

Werden Operationen nach dem Fast-Track- Der Nachholbedarf ergibt sich aus dem Zeitraum
Konzept durchgeführt (→ S. 291), dann werden ! der Flüssigkeitskarenz sowie aus zusätzlichen vor-
für große Bauchoperationen meist nur ca. 6 ml/ bestehenden Flüssigkeitsmängeln, z. B. durch prä-
kg KG und für Thoraxeingriffe meist nur ca. 4 operatives Erbrechen, Durchfall, Sondenableitung.

Tab. 1-11  Nachholbedarf aufgrund der präoperativen Flüssigkeitskarenz


Alters- Alter Gewicht Flüssigkeits- Nachhol- Ausgleich in der ersten
gruppe (kg KG) karenz bedarf Operations­stunde
(h) (ml)
Erwachsener ≥ 18 J. 70 6 630 100 % = 630 ml
(3) (315) (315 ml)
Schulkind 14 J. 50 6 600 100 % = 600 ml
(3) (300) (300 ml)
6 J. 20 6 420 50 % = 210 ml
(3) (210) (105 ml)
Kleinkind 5 J. 20 6 420 50 % = 210 ml
(3) (210) (105 ml)
2 J. 12 6 ca. 290 50 % = ca. 145 ml
(3) (ca. 145) (ca. 75 ml)
Säugling 1 J. 10 4 200 50 % = 100 ml
(3) (150) (75 ml)
ab 3 4 66 50 % = 33 ml
5. Lt. (3) (50) (25 ml)
1.–4. Lt. 3 4 24–54 50 % = 12–27 ml
(3) (18–40) (9–20 ml)
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 145

Tab. 1-12  Beispiele für die perioperative Infusionsmenge beim Erwachsenen


Operation Flüssigkeitsmenge Flüssigkeit für einen
Erwachsenen (70 kg) in der
ersten Operationsstunde
Geringe 3 ml/kg KG/h für Sequestration ins Gewebe und Verdunstung  210 ml
Gewebstrau-
+ 1,5 ml/kg KG/h Basisbedarf  105 ml
matisierung
+ Nachholbedarf (6-stündige Flüssigkeitskarenz, beim Er-  630 ml
wachsenen 100 % in der ersten Operationsstunde ersetzen)

 945 ml
+ aktueller Verlustbedarf (z.B. Blutung)
Mittlere 6 ml/kg KG/h für Sequestration ins Gewebe und Verdunstung  420 ml
Gewebstrau- + 1,5 ml/kg KG/h Basisbedarf  105 ml
matisierung
+ Nachholbedarf (6-stündige Flüssigkeitskarenz, beim Er-  630 ml
wachsenen 100 % in der ersten Operationsstunde ersetzen)

1155 ml
+ aktueller Verlustbedarf (z.B. Blutung)
Ausgeprägte 10 ml/kg KG/h für Sequestration ins Gewebe und Verdunstung  700 ml
Gewebstrau- + 1,5 ml/kg KG/h Basisbedarf  105 ml
matisierung
+ Nachholbedarf (6-stündige Flüssigkeitskarenz, beim Er-  630 ml
wachsenen 100 % in der ersten Operationsstunde ersetzen)

1435 ml
+ aktueller Verlustbedarf (z.B. Blutung)

Wird allerdings eine Operation nach den Fast-Track-Prinzipien durchgeführt, dann wird die Sequestration nur zu ca.
60 % und der Nachholbedarf wird nicht ersetzt (vgl. Text).

Während für die Nüchternheit in Bezug auf fes­ Kleinkindern sehr schnell eine Entgleisung
te und dickflüssige Nahrung 6 Stunden gefor- des Wasser-Elektrolyt-Haushalts droht. Bei
dert werden, darf eine kleinere Menge an klarer einem Erwachsenen (70 kg KG) ist präoperativ
Flüssigkeit bis zu ca. 2 Stunden vor Narkosebe- häufig von einer mindestens 3-stündigen, zu-
ginn verabreicht werden, ohne dass Volumen meist aber noch von einer 6-stündigen Flüssig-
und pH-Wert des Magensaftvolumens negativ keitskarenz auszugehen. Der 70 kg schwere
beeinflusst werden (→ S. 5, 209, 238). Dies wird Erwachsene hat bei einem Basisbedarf von
insbesondere bei Kindern schon in vielen Anäs- 1,5 ml/kg KG/h nach 6 Stunden einen Nachhol-
thesieabteilungen so praktiziert. Hiermit kann bedarf von mindestens 1,5 × 70 × 6 = 630 ml.
das präoperative Flüssigkeitsdefizit möglichst Dieser Nachholbedarf aufgrund der Flüssig-
gering gehalten werden. Die empfohlenen Zeit- keitskarenz soll bei Erwachsenen zumeist in-
spannen für die Nahrungs- und Flüssigkeits­ nerhalb der ersten Operationsstunde ausge­
karenz sollten möglichst nicht wesentlich über- glichen werden (vgl. Tab. 1-11 und 1-12). Bei
schritten werden, da u. a. bei Säuglingen und einer modernen, streng bedarfsadaptierten
146 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Tab. 1-13  Beispiele für die perioperative Infusionsmenge im Kindesalter


Operation Flüssigkeitsmenge Flüssigkeit für die erste Opera­
tionsstunde (bzw. eine Opera­
tionsdauer von 30 min)
Säugling, 2 Mo., 4 kg KG
Leistenhernie (Operationszeit: 2 ml/kg KG/h für Sequestration   8 ml   (4 ml)
30 min) ins Gewebe und Verdunstung
+ 5,5 ml/kg KG/h Basisbedarf  22 ml  (11 ml)
+ Nachholbedarf (3 h Flüssigkeits-  33 ml  (17 ml)
karenz, beim Kind 50 % in der ersten
Operationsstunde ersetzen)
 63 ml  (32 ml)

+ aktueller Verlust (z.B. Blutung)

Säugling, 1 J., 10 kg KG
Leistenhernie (Operationszeit: 2 ml/kg KG/h für Sequestration  20 ml  (10 ml)
30 min) ins Gewebe und Verdunstung
+ 5,0 ml/kg KG/h Basisbedarf  50 ml  (25 ml)
+ Nachholbedarf (3 h Flüssigkeits-  75 ml  (38 ml)
karenz, beim Kind 50 % in der ersten
Operationsstunde ersetzen)
145 ml  (73 ml)

+ aktueller Verlust (z.B. Blutung)

Kleinkind, 5 J., 20 kg KG
Appendektomie 6 ml/kg KG/h für Sequestration 120 ml  (60 ml)
ins Gewebe und Verdunstung
+ 3,5 ml/kg KG/h Basisbedarf  70 ml  (35 ml)
+ Nachholbedarf (4 h Flüssigkeits- 140 ml  (70 ml)
karenz, beim Kind 50 % in der ersten
Operationsstunde ersetzen)
330 ml (165 ml)

+ aktueller Verlust (z.B. Blutung)

Flüssigkeitssubstitution (z. B. Fast-Track-Prin- in der 1. Operationsstunde und zu je 25 % in der


zipien; → S. 291) wird auf den Ersatz des Nach- zweiten und dritten Operationsstunde bzw.
holbedarfs verzichtet und gleichzeitig eine postoperativ ausgeglichen werden (vgl. Tab.
kurze, nur 2- bis 3-stündige präoperative Flüs- 1-11 und 1-13).
sigkeitskarenz eingehalten.
Der Nachholbedarf aufgrund der präoperativen Ziel der perioperativen Flüssigkeitstherapie ist es,
Flüssigkeitskarenz sollte bei Kindern zu ca. 50 % ! den Flüssigkeitsbedarf adäquat zu ersetzen.
1.21  Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 147

Die Volumenzufuhr sollte einerseits an den Ersatz von Blutverlusten


errechneten Bedarfsmengen orientiert wer­den,
andererseits sollte sie auch an den Kreislauf­ Bei Abfall des Hb-Wertes auf ca. 7(–8) g/dl und ei-
parametern Herzfrequenz, Blutdruck, am ! nem Abfall des Hkt-Wertes auf ca. 21(–24) % ist
zentralen Venendruck, am Durstempfinden des mit einem grenzwertigen Mangel an Sauer-
Patienten, an der Feuchtigkeit seiner Schleim- stoffträgern, das heißt an Erythrozyten, zu rech-
häute sowie an der evtl. über einen Dauerka­ nen. Diese Situation wird erreicht, wenn ca. 30 %
theter gemessenen Urinausscheidung (die des Blutvolumens beim Erwachsenen, also 1,5
beim Erwachsenen mindestens 1 ml/kg KG/h Liter, verloren gehen. Damit es bei einem Blutver-
und beim Säugling und Kleinkind mindestens lust zu einem thera­piebedürftigen Mangel an
2 ml/kg KG/h betragen sollte) orientiert wer- Plasmaproteinen kommt, also zu einer grenz-
den. wertigen Abnahme des kolloidosmotischen Drucks
durch Albuminmangel, müssen bereits 50 % des
Blutvolumens verloren gehen.
Zur Flüssigkeitstherapie geeignete Für die Aufrechterhaltung der plasmatischen Ge-
rinnung reichen sogar nur 20–40 % der Konzen-
Lösungen
tration an Gerinnungsfaktoren aus. Das heißt,
erst bei Blutverlusten von 65 % des normalen
Zur perioperativen Flüssigkeitstherapie eignen Blutvolumens sind normalerweise Störungen der
sich: plasmatischen Gerinnung zu erwarten.
● kristalloide Lösungen (→ S. 133) Bezüglich der Thrombozyten ist aufgrund von
– Glucoselösungen: großen, mobilisierbaren Thrombozytenreserven
Bei Neugeborenen, Säuglingen und Klein- normalerweise erst nach einem Blutverlust von
kindern < 2 Jahren bietet sich für den Ba- ca. dem 1,5-Fachen des normalen Blutvolumens
sisbedarf eine Halbelektrolytlösung mit (das heißt, nach Transfusion von ca. 15 Erythrozy-
2,5 % Glucose an (z. B. 0,45 % Natrium- tenkonzentraten) mit einer Blutgerinnungsstörung
chlorid – 2,5 % Glucoselösung, Fa. Serag- aufgrund eines Thrombozytenmangels zu rechnen.
Wiessner). Für den Nachhol- und Ver-
lustbedarf kann (wie bei Erwachsenen; An diesen Werten orientiert sich die sog. Blut-
→ unten) die Vollelektrolytlösung ver- komponententherapie. Nach diesem inzwi-
wendet werden. schen anerkannten Therapieverfahren sollten
– Vollelektrolytlösungen: nur diejenigen Blutbestandteile ersetzt werden,
Bei Erwachsenen sind Vollelektrolytlö- an denen der Patient einen therapiebedürftigen
sungen für den intraoperativen Verlust- Mangel hat.
bedarf sowie für den Basis- und Nachhol- Kleinere Blutverluste, bei denen noch kein kri-
bedarf besonders geeignet. tischer Mangel an Sauerstoffträgern anzuneh-
Besteht ein Korrekturbedarf aufgrund men ist, sollten mit künstlichen Plasmaersatz-
von Blutung, Erbrechen oder Durchfall mitteln wie z. B. HES volumengleich ersetzt
usw., so sollten diese Verluste möglichst werden. Bei einem stärkeren Blutverlust mit ei-
bereits vor Narkosebeginn ausgeglichen nem Mangel an Sauerstoffträgern, also bei ei-
werden. nem Abfall des Hb-Wertes unter ca. 7(–8) g/dl
● künstliche oder körpereigene Kolloide (→ S. und einem Abfall des Hkt-Wertes knapp unter
134) ca. 21(–24) %, sollten Erythrozytenkonzentrate
● Blut oder Blutkomponenten (→ S. 136) transfundiert werden.
Bei Blutverlusten von mehr als ca. 30 % des
Blutvolumens mit Mangel an Sauerstoffträgern
und an Plasmaproteinen sollten Erythrozyten-
148 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

konzentrate und kolloidale Plasmaersatzlösun- ven Visite und endet mit der Entlassung des
gen verabreicht werden. Körpereigene kolloida- Patienten aus dem Aufwachraum. Hierfür wer-
le Plasmaersatzlösungen werden nur noch sehr den vorgedruckte Narkoseprotokolle verwen-
selten verabreicht. Die kolloidosmotische Wir- det, die leider von Klinik zu Klinik meist unter-
kung der Plasmaproteine kann auch durch schiedlich gestaltet sind. Das Narkoseprotokoll
künstliche Kolloide (z. B. HES) erreicht werden. dient einerseits dem Anästhesisten als Gedächt-
Auch bei Säuglingen und Kleinkindern werden nisstütze, andererseits hat es juristische Bedeu-
inzwischen Proteinlösungen nur noch selten tung und ist insbesondere im Falle eines Narko-
verabreicht, da seit 2004 das HES-Präparat Vo- sezwischenfalls als Beweisstück zu betrachten.
luven® auch bei Neugeborenen, Säuglingen und Daneben ist es Grundlage für die spätere Wei-
Kindern zugelassen ist (vgl. S. 135). terbehandlung des Patienten. Außerdem kann
Bei Blutverlusten von mehr als ca. 70 % des es für die Leistungserfassung und Qualitätskon-
Blutvolumens mit Mangel an Erythrozyten, trolle sowie für wissenschaftlich-statistische
Plasmaproteinen und einem zusätzlichen Man- Auswertungen verwendet werden. Die Doku-
gel an Gerinnungsfaktoren sind neben Erythro- mentation wird vom Anästhesisten und/oder
zyten und kolloidalen Plasmaersatzlösungen von der Pflegekraft vorgenommen. Für die
zusätzlich noch Gerinnungsfaktoren in Form Richtigkeit der Dokumentation bürgt der ver-
von frisch gefrorenem Plasma (fresh frozen antwortliche Anästhesist mit seiner Unterschrift
plasma = FFP) zu verabreichen. Bei Massiv- auf dem Narkoseprotokoll.
transfusionen empfiehlt es sich, nach jeweils Moderne Narkoseprotokolle sind meist dreige-
(6–)8 Erythrozytenkonserven 3(–4) FFP-Kon- teilt. Auf dem ersten Blatt werden die Personali-
serven zu verabreichen. en des Patienten, die aktuelle Diagnose, der
Bei extremen Blutverlusten, bei denen außer- durchzuführende Eingriff, die Vorerkrankun-
dem noch ein Thrombozytenmangel anzuneh- gen des Patienten, vorherige Operationen und
men ist (Blutaustausch größer als das 1,5-Fache Narkosen, aktuelle Medikamente sowie die ver-
des normalen Blutvolumens), müssen neben ordnete Prämedikation notiert. Auf dem zwei-
Erythrozytenkonzentraten und kolloidalen ten Blatt werden die während des Eingriffs er-
Plasmaersatzlösungen auch Gerinnungsfakto- hobenen Messwerte sowie die vorgenommenen
ren in Form von FFP und Thrombozytenkon- anästhesiologischen Maßnahmen dokumen-
zentraten verabreicht werden. tiert. Dazu gehören insbesondere:
Um den Hb-Wert um 1 g % anzuheben, werden ● Dokumentation aller verabreichten Medika-

ca. 3 ml Erythrozytenkonzentrat/kg KG benö- mente:


tigt, vorausgesetzt, dass kein weiterer Blutver- Hierzu zählen auch die per inhalationem zu-
lust auftritt. Bei einem 70 kg schweren Patienten geführten Gase sowie die verdampfbaren In-
bedeutet dies, dass ca. ein Erythrozytenkonzen- halationsanästhetika.
trat benötigt wird, um den Hb-Wert um 1 g % ● Dokumentation aller gemessenen biologi-

anzuheben. schen Größen:


Je nach Operation sind mehr oder weniger
viele biologische Größen zu erheben. Je
schneller sich eine biologische Größe verän-
1.22 Dokumentation dern kann, desto engmaschiger muss deren
Kontrolle und Dokumentation durchgeführt
in der Anästhesie werden. Als Minimum ist bei jeglichem Ein-
griff die Kontrolle der Vitalfunktionen At-
Die wahrheitsgetreue, zeitgerechte und doku- mung und Kreislauf zu dokumentieren. Der
mentensichere Protokollierung in der Anästhe- Kreislauf wird im Normalfall mithilfe der os-
sie beginnt normalerweise mit der präoperati- zillometrischen Methode (z. B. mit dem Di-
1.23  Gefahren für das Anästhesiepersonal 149

namap-Gerät) anhand des systolischen und ● Dokumentation von Beginn und Ende des
diastolischen Blutdrucks sowie anhand der operativen Eingriffs
Herzfrequenz kontrolliert. Es ist eine 5-mi- ● Dokumentation einer abschließenden Bilanz

nütige Kontrolle und Dokumentation zu for- der ein- und ausgeführten Flüssigkeiten
dern. Bei beatmeten Patienten müssen alle
für die Beatmungseinstellung maßgeblichen Auf einem dritten Blatt wird die Überwachung
Größen wie Atemfrequenz, Atemhubvolu- im Aufwachraum dokumentiert (→ S. 321).
men, Atemminutenvolumen, Beatmungs- Alle erhobenen Parameter und durchgeführten
drücke, Beginn und Ende der Beatmung usw. Maßnahmen sind zu dokumentieren. Außer-
dokumentiert werden. dem sind hier evtl. Verordnungen für die post-
● Dokumentation der Flüssigkeitszufuhr: operative Nachbehandlung auf der Station zu
Bezeichnung und Menge der infundierten vermerken.
oder transfundierten Flüssigkeiten sind zu Von besonderen Vorkommnissen, wie z. B. ei-
protokollieren. Bei Blut oder Blutkompo- ner Reanimation, einem Transfusionszwischen-
nenten ist zusätzlich die entsprechende Kon- fall oder dem Ausbrechen eines Zahns bei der
serven- und Chargennummer zu notieren. Intubation, sollte zusätzlich noch ein gesonder-
● Dokumentation aller Flüssigkeitsverluste, tes ausführliches Protokoll angefertigt werden.
insbesondere Urinausscheidung, Verluste Das Original des Narkoseprotokolls bleibt im
über Drainagen, Sonden, Blutungen usw. Besitz des entsprechenden Anästhesieinstituts,
● Dokumentation aller Gefäßpunktionen un- der Durchschlag kommt zu der Patientenakte.
ter Angabe des Punktionsortes sowie des
dazu verwendeten Punktionsmaterials
Dokumentation aller sonstigen invasiven
1.23 Gefahren

Maßnahmen wie Intubation, Extubation, Le-


gen eines Dauerkatheters, Legen einer Tem- für das Anästhesiepersonal
peratursonde, Lagerung des Patienten (z. B.
Rückenlage, Steinschnittlage). Gegebenen-
falls Dokumentation eines durchgeführten 1.23.1 Narkosegasbelastung
Lokal- oder Regionalanästhesieverfahrens
(Punktionsort, evtl. Punktionsprobleme, Da die chronische Exposition gegenüber nied-
verwendete Menge des Lokalanästhetikums rigen Narkosegaskonzentrationen möglicher-
mit Konzentration und Millilitern). Ausbrei- weise ein Risiko für das im Operationsbereich
tung und Erfolg der Blockade sind ebenfalls arbeitende Personal darstellt, werden entspre-
zu dokumentieren. chende Narkosegasabsaugungen verlangt. Au-
● Dokumentation aller Komplikationen wie ßerdem dürfen Anästhesiesysteme eine be-
Herzrhythmusstörungen, Erbrechen, Laryn- stimmte Undichtigkeit (Leckage-Rate) nicht
gospasmus usw. überschreiten („Leckagen größer als 150 ml/
● Dokumentation aller evtl. zusätzlich erhobe- min bei 3 kPa [30 cm H2O] im Niedersystem
nen Größen wie sollten nicht toleriert werden“). Für die Inhala-
– Körpertemperatur tionsanästhetika wurden außerdem maximale
– zentraler Venendruck Arbeitsplatzkonzentrationen (= MAK) definiert.
– Atemgaskonzentrationen (Messung der Darunter wird die höchstzulässige Konzentrati-
inspiratorischen Sauerstoffkonzentration, on eines Arbeitsstoffes in der Luft am Arbeits-
endexspiratorische CO2-Konzentration, platz verstanden, die nach dem gegenwärtigen
der in- und exspiratorischen Konzentrati- Stand der Kenntnisse auch bei wiederholter und
on des volatilen Inhalationsanästhetikums langfristiger, in der Regel täglich 8-stündiger
usw.) Exposition im Allgemeinen die Gesundheit der
150 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

Beschäftigten nicht beeinträchtigt und diese 1.23.2 Nadelstichverletzungen


nicht unangenehm belästigt. Der MAK-Wert
für Lachgas beträgt 100 ml/m3 (= ppm = parts Unter einer „Nadelstichverletzung“ wird jegli-
per million), für Isofluran 10 ppm. Für Sevoflu- che Stich-, Schnitt- oder Kratzverletzung der
ran und für Desfluran sind noch keine MAK- Haut durch Nadel, Messer usw., die mit Blut
Werte festgelegt worden. Für Anästhetika kann oder anderen Körperflüssigkeiten von Patienten
für die Dauer von maximal 15 Minuten ein sog. verunreinigt sind, verstanden. Im Rahmen
Kurzzeitwert von bis zum 4-fachen MAK-Wert einer Nadelstichverletzung ist vor allem die
(pro Arbeitsschicht nicht länger als insgesamt Übertragung von Hepatitis-B-Viren (HBV),
eine Stunde) toleriert werden. Insbesondere bei Hepatitis-A-Viren (HAV) und humanen Im-
unvorsichtigem Nachfüllen eines Vapors mit mundefizienzviren (HIV) gefürchtet. In
Verschütten von flüssigem volatilem Anästheti- Deutschland ereignen sich jedes Jahr ca. 500 000
kum kann die Konzentration in der Raumluft Nadelstichverletzungen. Ungefähr 65–70 % der
stark ansteigen. Nadelstichverletzungen treten beim (verbote-
Bei der Anästhesie von Kindern ist die Narko- nen) Recapping auf, also beim versuchten Wie-
segasbelastung des Personals in der Regel rela- deraufsetzen der Hülle über die Kanüle nach
tiv hoch, da dort häufiger Narkoseeinleitungen einer Injektion bzw. Blutentnahme. Auch bei
per inhalationem sowie Maskennarkosen der Entsorgung, vor allem falls gebrauchte Ka-
durchgeführt werden. Bei schlechter Arbeits- nülen oder Instrumente nicht in durchstichsi-
technik kann die Narkosegasexposition um ein cheren und bruchsicheren Behältern entsorgt
Mehrfaches erhöht sein. Die Narkosegasbelas­ werden, können leicht Nadelstichverletzungen
tung ist bei Maskennarkosen ca. 2-mal höher auftreten. Durch Verwendung von sog. Sicher-
als bei Intubationsnarkosen mit nicht geblock- heitskanülen können Nadelstichverletzungen
tem Tubus und ca. 5-mal höher als bei Intubati- beim Personal vermieden werden. Inzwischen
onsnarkosen mit geblocktem Endotrachealtu- wird in Deutschland in gefährdeten Bereichen
bus. Auch bei Verwendung von Larynxmasken (z. B. Rettungsdienst, Notaufnahmen, chirurgi-
ist die Exposition wesentlich geringer als bei ei- sche Stationen) vom Gesetzgeber die Umstel-
ner Maskennarkose. Die Lachgasexposition des lung auf stichsichere Kanülen gefordert (vgl.
Aufwachraumpersonals liegt bei moderner Abb. 1-22b). Nach einer Nadelstichverletzung
Baukonzeption und moderner raumlufttechni- soll sich der Beschäftigte sofort beim Betriebs-
scher Anlage deutlich unter dem angegebenen arzt melden.
Grenzwert von 100 ppm. Bisher gibt es keine
Beweise dafür, dass die Exposition gegenüber
Spurenkonzentrationen an Lachgas schädlich HBV-Exposition
ist. Für Schwangere besteht kein Beschäfti-
gungsverbot in Räumen, in denen Lachgas ver- Nach einer Nadelstichverletzung mit einem In-
wendet wird. Allerdings wird eine Beschäfti- strument, das mit Hepatitis-B-Viren kontami-
gung von Schwangeren in Räumen, in denen niert ist, liegt das Infektionsrisiko für eine HBV-
Lachgas verwendet (OP-Räume) oder abgeat- Infektion (bei nicht gegen Hepatitis B geimpften
met (Aufwachräume) wird, aus präventivmedi- Personen) bei ca. 30 %. Für eine Hepatitis B ste-
zinischen Gründen nicht empfohlen. Von den hen nach einer Exposition als sog. Postexpositi-
Anästhetika wird derzeit nur dem (nicht mehr onsprophylaxe eine aktive und eine passive Im-
verwendeten) Halothan eine fruchtschädigende munisierung zur Verfügung.
Wirkung unterstellt.
1.23  Gefahren für das Anästhesiepersonal 151

HCV-Exposition Gesellschaft sowie dem Robert-Koch-Institut


das in Tabelle 1-14 dargestellte Vorgehen (Be-
Nach einer Nadelstichverletzung mit einem In- ginn innerhalb von Sekunden) empfohlen. Um
strument, das mit Hepatitis-C-Viren kontami- das HIV-Expositionsrisiko und um Nutzen und
niert ist, liegt das Infektionsrisiko für eine Risiken einer medikamentösen HIV-Postexpo-
HCV-Infektion bei ca. 3 %. Eine Postexpositi- sitionsprophylaxe beurteilen zu können, sollte
onsprophylaxe der HCV-Infektion ist zurzeit ein in der HIV-Therapie erfahrener Arzt hinzu-
nicht möglich. In den meisten Fällen kann je- gezogen werden.
doch eine Chronifizierung einer akuten HCV- Eine sog. medikamentöse HIV-Postexpositi-
Infektion dadurch verhindert werden, dass so- onsprophylaxe sollte nur dann empfohlen wer-
fort nach Feststellung der Infektion eine den, wenn ein erhöhtes Übertragungsrisiko be-
Behandlung mit Interferon und Ribavirin be- steht. Das durchschnittliche Übertragungsrisiko
gonnen wird. bei perkutanen Stich- oder Schnittverletzungen
beträgt ca. 1 : 100 bis 1 : 1 000 (häufig werden
auch 0,3 % angegeben). Es ist erhöht bei:
HIV-Exposition ● sehr tiefen Stich- oder Schnittverletzungen

(ca. 16-fach)
Kommt es zu einem Kontakt zwischen einer ● sichtbaren frischen Blutspuren auf dem ver-

HIV-negativen und einer HIV-positiven Person letzenden Instrument (ca. 5-fach)


mit relevantem Übertragungsrisiko, dann wird ● verletzender Kanüle, die zuvor in einer Vene

von der Deutschen und Österreichischen AIDS- oder Arterie platziert war (ca. 5-fach)

Tab. 1-14  Empfohlene Sofortbehandlung nach HIV-Exposition


Stich- oder Schnittverletzung Kontamination von geschädigter Haut, Auge
oder Mundhöhle
↓ ↓
Blutfluss fördern durch Druck auf das umliegende intensive Spülung mit nächstmöglich erreichbarem
Gewebe (≥ 1 min) geeignetem Antiseptikum; falls nicht vorhanden: Wasser
↓ ↓
intensive antiseptische Spülung bzw. Anlegen eines antiseptischen Wirkstoffdepots
● geschädigte Haut: z. B. Hautantiseptika mit einem Ethanolgehalt > 80 Vol.-%
● Wunde: z. B. Betaseptic® oder Freka®-Derm farblos
● Mundhöhle: ethanolbasierte Kombination mit PVP-Iod (Betaseptic®); für Mundspülung 1 : 1 verdünnt;
bei Iodüberempfindlichkeit: ADH 2000® oder Amphisept-E-Lösung 1 : 1 verdünnt
● Auge: wässrige, isotone 2,5%ige PVP-Iod-Lösung; alternativ 10%ige PVP-Iod-Lösung (z. B. Betaisodona®)
1 : 3 mit sterilem Aqua destillata

ggf. systemische, medikamentöse Postexpositionsprophylaxe (→ Text)

Unfalldokument (D-Arzt)

erster HIV-Antikörper-Test; Hepatitisserologie (Ausgangsuntersuchung)
Kontrollen nach 2, 4 und 6 Wo. sowie nach 3, 6 und 12 Mo.
152 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

● hoher Viruslast der infizierten Kontaktperson dadurch das Penicillin inaktivieren konnte.
(z. B. akute HIV-Infektion, AIDS ohne antivi- Anfang der 1960er Jahre wurden mit den
rale Therapie; ca. 6-fach) Iso­xazolylpenicillinen (→ S. 387) neue Penicil-
linantibiotika eingeführt, bei denen der β-
Das Risiko einer Serokonversion nach Kontakt Lactam-Ring (aufgrund einer geänderten Mole­
von HIV-haltigem Blut mit Schleimhäuten külstruktur) so geschützt war, dass die
(oder mit entzündeter Haut) wird mit 0,03 % β-Lactamasen den β-Lactam-Ring nicht mehr
angegeben. spalten konnten. Allerdings wurden bald nach
Für eine evtl. medikamentöse Postexpositions- Einführung des ersten Isoxazolylpenicillins, des
prophylaxe wird eine Kombination von 3 anti- Methicillins, bereits methicillinresistente Sta-
retroviral wirksamen Substanzen empfohlen phylococcus-aureus-Stämme (= MRSA) beschrie-
(z. B. Retrovir®, Epivir®, Viracept®). Die pro- ben. Diese Stämme weisen auch eine Resistenz
phylaktische Behandlung wird normalerweise gegen alle anderen Antibiotika auf, die einen
über 28 Tage durchgeführt. β-Lactam-Ring enthalten (= β-Lactam-Anti-
Ein maximaler Schutz ist wahrscheinlich nur biotika), also gegen alle Penicilline, Cefalospo-
dann zu erzielen, wenn noch innerhalb von 2 rine, Carbapeneme und Monobactame. Außer-
Stunden die Postexpositionsprophylaxe begon- dem sind diese Stämme gegen fast alle
nen wird. Nach einer perkutanen oder intrave- staphylokokkenwirksamen Antibiotika resis­
nösen Exposition ist eine Prophylaxe vermut- tent. Anstatt von methicillinresistenten Sta­
lich sinnlos, wenn sie erst nach 24 Stunden phylococcus-aureus-Stämmen wird daher oft
begonnen wird. Nach einer Schleimhautexposi- von multiresistenten Staphylococcus-aureus-
tion ist eine Prophylaxe vermutlich sinnlos, Stämmen gesprochen. Bei MRSA-Stämmen
wenn sie erst nach 72 Stunden beginnt. liegt in der Bakterienwand ein verändertes pe-
Bis 2001 sind in Deutschland 41 HIV-Infektio- nicillinbindendes Protein vor. Dadurch können
nen bei medizinischem Personal als berufsbe- Penicilline und andere β-Lactam-Antibiotika
dingt anerkannt worden. nicht an dieses penicillinbindende Protein der
Bakterienwand binden und deshalb können
Da dem medizinischen Personal vermutlich bei ei- diese Antibiotika trotz normalerweise wirksa-
! nem Großteil der HIV-positiven Patienten die In- mer Plasmakonzentration die Synthese der
fektiosität nicht bekannt ist, muss bei jedem Pati- Bakterienwand nicht mehr behindern.
enten so sorgfältig vorgegangen werden, als wäre Inzwischen sind in den westeuropäischen Län-
er HIV-positiv. dern (z. B. Frankreich, Portugal, Spanien) über
30 % der Staphylococcus-aureus-Infektionen be-
reits durch MRSA bedingt.
1.23.3 MRSA-positive Patienten Die zunehmende Verbreitung von methicillin(-
multi-)resistenten Staphylococcus-aureus-Stäm-
Als 1928 von Alexander Fleming das Penicillin men (MRSA) stellt ein großes Problem dar.
entdeckt wurde, waren damals noch alle Staphy- Staphylokokken sind beim Menschen oft auf
lococcus-aureus-Stämme auf Penicillin sensibel. der Haut sowie den Schleimhäuten des Nasen-
1944 wurden erste penicillinresistente Staphylo- Rachen-Raumes zu finden. Von den verschie-
coccus-aureus-Stämme bekannt und Ende der denen Staphylococcusstämmen weist Staphylo-
1950er Jahre waren bereits 60 % aller Staphylo- coccus aureus die stärkste Infektionskraft
coccus-aureus-Stämme resistent gegen Penicil- (Virulenz) auf. Auch MRSA können Haut und
lin. Diese Resistenz war dadurch bedingt, dass Schleimhäute besiedeln. MRSA sind vor allem
bestimmte Staphylococcus-aureus-Stämme das bei Krankenhauspatienten oder bei Patienten
Enzym β-Lactamase bilden konnten, das den aus Pflege- oder Altenheimen nachweisbar. Bei
β-Lactam-Ring der Penicilline spalten und gesunden Personen lassen sich dagegen nur sel-
1.23  Gefahren für das Anästhesiepersonal 153

ten MRSA nachweisen. Bevorzugte Stellen (Prä- der Bereichs- bzw. Berufskleidung gerechnet
dilektionsstellen) sind Nasenvorhof, Stirn- werden muss. Nach Beendigung dieser Tä-
Haar-Grenze und Achselhöhle. tigkeit sind Schutzkittel und Einmalhand-
MRSA-Stämme sind nicht virulenter als andere schuhe zu entsorgen und es ist anschließend
Staphylococcus-aureus-Stämme. Sie kommen eine klinische Händedesinfektion durchzu-
allerdings meist bei schwer kranken Patienten führen.
vor. Der Nachweis von MRSA ist jedoch nicht ● Die Narkoseeinleitung erfolgt nicht im Ein-

gleichbedeutend mit einer Infektion. In ca. 70 % leitungsraum, sondern direkt im Operati-
handelt es sich lediglich um eine Besiedelung onssaal. Die Patienten werden deshalb über
(Kolonisation) und nur in ca. 30 % liegt eine den unreinen Ausleitungsraum direkt in den
MRSA-Infektion vor. Eine MRSA-Kolonisation Operationssaal gefahren. Auch die Vorberei-
kann allerdings für Monate oder gar Jahre be- tung der Patienten für die Narkose erfolgt im
stehen bleiben. Solche Patienten stellen ein Operationssaal (z. B. Aufkleben der EKG-
MRSA-Reservoir dar. Elektroden, Anlegen eines venösen Zugan-
Die wichtigsten Ursachen für die Ausbreitung ges).
von MRSA sind: ● Der Narkosewagen soll im Einleitungsraum

● fehlerhafte und inkonsequente Hygienemaß- verbleiben und nicht in den Operationssaal


nahmen, insbesondere die mangelnde Hän- gefahren werden.
dedesinfektion des medizinischen Personals ● Für MRSA-Patienten wird ein gesonderter

vor und nach dem Patientenkontakt Tisch für die Narkoseutensilien hergerichtet.
● Selektion von MRSA durch fehlerhafte Anti- Der herzurichtende Medikamententisch soll
biotikatherapie (z. B. Antibiotikaprophylaxe, nur mit den notwendigen Medikamenten und
unzureichende Dosierung, ungezielte Antibio- Verbrauchsmaterialien bestückt sein. Dieser
tikatherapien) Tisch (nicht jedoch der Narkosewagen) wird
im Operationssaal bei der Narkose verwendet.
Die wichtigsten Regeln, die bei der Betreuung
von MRSA-Patienten im Operationssaal zu be-
achten sind, werden nachfolgend beschrieben. Hygienemaßnahmen
während der Operation
Hygienemaßnahmen ● Während der Narkose sind Schutzkittel und
vor der Operation Einmalhandschuhe zu tragen.
● Nach Kontakt mit einem MRSA-Patienten

● Die Patientenakten sind auf der Station in ist eine hygienische Händedesinfektion
eine Schutzhülle (Kunststoffbeutel oder durchzuführen.
Ähnliches) zu verpacken und so dem Patien- ● Während des Eingriffs sollte der Operations-

ten mit in den OP mitzugeben. saal nicht verlassen werden. Sind zusätzliche
● Beim Einschleusen der Patienten muss das Materialien notwendig, so sind diese von ei-
schleusende Personal Schutzkittel und Ein- ner anderen Person von außen in den OP-
malhandschuhe tragen. Die Patientenschleu- Saal nachzureichen.
se ist anschließend zu reinigen und einer ● Während des Eingriffs sind alle Türen ge-

Wischdesinfektion zu unterziehen. Das schlossen zu halten.


schmutzige Patientenbett ist für den Trans- ● Der Personaleinsatz ist auf das Nötigste zu

port zur Bettenzentrale abzudecken (Folien­ begrenzen.


abdeckung). Bei diesen Maßnahmen sind ● Die Narkoseausleitung der Patienten sollte

Schutzkittel und Einmalhandschuhe zu tra- im Operationssaal erfolgen. Die Patienten


gen, da mit einer möglichen Kontamination sollen danach solange im Operationssaal
154 1  Anästhesie – allgemeiner Teil

verbleiben, bis sie wieder ausreichend fit sind ● Der für die Ablage von Narkoseutensilien
und unter Umgehung des Aufwachraumes benutzte Tisch wird gereinigt und einer
wieder direkt auf Station verlegt werden kompletten Wischdesinfektion unterzogen.
können. MRSA-Patienten sind daher aus or- Nicht verbrauchte Materialien sind desinfi-
ganisatorischen Gründen möglichst am zierend aufzubereiten oder zu verwerfen.
Ende des Operationsprogrammes zu operie- ● Das Narkosegerät wird gereinigt und einer

ren. kompletten Wischdesinfektion unterzogen.


● Nach Beendigung der Operation erfolgt eine ● Beatmungsschläuche sind trotz Beatmungs-

Wischdesinfektion des Fußbodens, bevor das filter zu wechseln, da mit einer Kontaminati-
Fahrgestell für den Operationstisch aus dem on von außen zu rechnen ist.
Operationssaal gefahren wird. ● Der Operationssaal kann eine Stunde nach

Abschluss der Desinfektionsmaßnahmen (Ab-


trocknung der Desinfektionsmittel muss abge-
Hygienemaßnahmen wartet werden) erneut genutzt werden.
nach der Operation
● Die Patienten erhalten postoperativ ein rei- Besonderheiten
nes Bett.
● Die Patientenschleuse ist nach dem Aus- ● Überschuhe sind nicht erforderlich.
schleusen der Patienten zu reinigen und ei- ● Auf eine häufige Händedesinfektion ist zu
ner Wischdesinfektion zu unterziehen. achten.
● Der Operationstisch wird nach dem Aus- ● Da die Hände stets als kontaminiert anzuse-

schleusen des Patienten zur Desinfektion in hen sind: Vorsicht bei Korrektur des Mund-
den Operationssaal zurückgefahren. schutzes, der Brille usw.
● Das schleusende Personal hat danach die ● Ein Händedesinfektionsmittel ist auf den

komplette Bereichskleidung abzulegen, eine Narkosetisch zu stellen.


Händedesinfektion durchzuführen und dann ● Auf den Narkosetisch ist ein Kugelschreiber

eine neue Bereichskleidung anzulegen. zu legen. Dieser ist nach Beendigung der
● Wäscheabwurf und benutzte Schuhe sind Narkose zu verwerfen oder zu desinfizieren.
anschließend durch den Reinigungsdienst ● Das Narkoseprotokoll ist nach Beendigung

zu versorgen. aller Eintragungen in eine Klarsichthülle zu


● Nach Operationsende erfolgt die Aufberei- schieben und der Patientenakte beizulegen.
tung des Operationssaales wie bei einer sep- ● MRSA-Patienten sollen nicht in den Auf-

tischen Operation. wachraum gebracht werden, da hier eine Iso-


lierung nicht möglich ist.
155

2  Lokal- und Regionalanästhesie

2.1 Allgemeine Bemerkungen Teilweise diffundieren die Lokalanästhetika


auch in die Blutbahn und werden dadurch zum
Bei einer Allgemeinanästhesie sind sämtliche Gehirn und zum Herzen transportiert, wo sie

Empfindungen und damit auch die Schmerzwahr- unter Umständen Nebenwirkungen entfalten
nehmung im Gehirn vorübergehend ausgeschal- können (→ S. 156).
tet. Die am häufigsten eingesetzten Lokalanästheti-
Bei einer Lokal- oder Regionalanästhesie wird ka sind Bupivacain, Ropivacain, Prilocain und
dagegen versucht, die Schmerzleitung aus einem Lidocain (vgl. Tab. 2-1). Bupivacain und Ropi-
bestimmten Körpergebiet zum Gehirn zu ver- vacain zeichnen sich durch eine besonders lan-
hindern, indem die entsprechenden peripheren ge Wirkdauer aus. Das relativ neue Ropivacain
Nerven reversibel blockiert werden. Die Empfin- weist etwas geringere toxische Nebenwirkungen
dungswahrnehmungen aus anderen Körperregio- auf als Bupivacain. Prilocain zeichnet sich durch
nen sind dabei unbeeinflusst; das heißt, der Pati- eine sehr große therapeutische Breite aus, das
ent ist wach und kann adäquat reagieren. heißt, erst bei relativ hohen Volumina muss mit
toxischen Nebenwirkungen gerechnet werden.
Es wird daher vor allem bei den Blockadefor-
men verwendet, bei denen große Volumina an
2.2 Wirkungsweise Lokalanästhetika benötigt werden (z. B. Blocka-
de des Plexus brachialis). Lidocain stellt das
Die Impulsweiterleitung in einer Nervenzelle Standardlokalanästhetikum dar, das z. B. für
erfolgt durch Depolarisation der Nervenzell- eine lokale Betäubung der Haut (Hautquaddel)
membran. Bei einer Depolarisation kommt es üblicherweise verwendet wird.
zum Eintritt von Natriumionen in die Zelle und Lokalanästhetika liegen in einem sog. Dissozia-
zum Austritt von Kaliumionen aus der Zelle. tionsgleichgewicht vor, das heißt es liegen 2 ver-
schiedene Formen des Lokalanästhetikums vor.
Lokalanästhetika sind Medikamente, die den Na- Ein Teil ist geladen (= ionisiert, durch Bindung

triumioneneinstrom, der für die Depolarisation eines H+-Ions), der andere Teil ist nicht gela­-
notwendig ist, in die Nervenzellen verhindern. den (nicht ionisiert, hat kein H+-Ion gebunden).
Sie blockieren die Natriumkanäle. Lokalanäs- Nur die ungeladenen Lokalanästhetikamoleküle
thetika erzeugen also eine Membranstabilisie- können gut durch das Gewebe (bis in das Innere
rung und verhindern damit die Depolarisati- der Nervenaxone) diffundieren. In den Nerven-
on und Impulsweiterleitung in Nerven. axonen lagert sich an die ungeladenen Lokalan-
Lokalanästhetika werden normalerweise in die ästhetikamoleküle eines der dort in hoher Zahl
unmittelbare Nähe von peripheren Nerven inji- vorkommenden H+-Ionen an, und (nur die) ge-
ziert. Durch Diffusion dringen sie vollends in diese ladenen Lokalanästhetikamoleküle binden sich
Nerven ein, bewirken eine Membranstabilisierung dann (vom Zellinneren aus) an die Rezeptoren
und blockieren damit die Impulsweiterleitung in der Natriumkanäle. Wird ein Lokalanästheti-
diesen Nerven. kum in entzündetes (= saures, acidotisches) Ge-
webe injiziert (z. B. Abszess), dann binden sich
die dort in hoher Anzahl vorliegenden H+-Ionen
156 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Tab. 2-1  Dosierung, Anschlagszeit und Wirkdauer häufig verwendeter Lokalanästhetika. Die älteren Substanzen
vom Estertyp werden inzwischen nur noch sehr selten verwendet.
Wirkstoff Handelsname Maximale Einzeldosis Anschlags- Wirkdauer
(Beispiele) ohne Adrenalin mit Adrenalin zeit (h)
in mg/kg KG beim Erwachsenen
bzw. mg/Erwachsener (E)
Lokalanästhetika vom Amidtyp
Lidocain Xylocain® 3 mg/kg KG 7 mg/kg KG S 1,5–2,5
200 mg/E 500 mg/E
Mepivacain Meaverin®, 4 mg/kg KG 7 mg/kg KG S 2–4
Scandicain® 300 mg/E 500 mg/E
Prilocain Xylonest® 6 mg/kg KG 8,5 mg/kg KG S 2–4
400 mg/E 600 mg/E
Bupivacain Carbostesin®,, 2 mg/kg KG 2 mg/kg KG L 3–8
Bupivacain 150 mg/E 150 mg/E
Levobupivacain1 Chirocain® 2 mg/kg KG 2 mg/kg KG L 3–8
150 mg/E 150 mg/E
Ropivacain Naropin® 3 mg/kg KG 3 mg/kg KG L 3–8
250 mg/E 250 mg/E
Lokalanästhetika vom Estertyp (werden inzwischen in der Anästhesie nicht mehr eingesetzt)
Procain Novocain® 500 mg/E 600 mg/E L 0,5–1
Tetracain 100 mg L 3–8
S = schnelle, M = mittelschnelle, L = langsame Anschlagszeit.
1
Zurzeit in Deutschland nicht im Handel, aber z. B. in Österreich.

an die ungeladenen Lokalanästhetikamoleküle Am Gehirn und am Herzen können daher auch


und es entsteht ein übermäßig hoher Anteil an Nebenwirkungen der Lokalanästhetika auftre-
geladenen (ionisierten) Lokalanästhetikamole- ten, falls unbeabsichtigt hohe toxische Blutkon-
külen. Diese haben eine sehr schlechte Diffusi- zentrationen erreicht werden.
onseigenschaft und können daher kaum in die Dies ist möglich bei:
Nerven diffundieren. Aus diesen Gründen wir- ● versehentlicher intravasaler Injektion

ken Lokalanästhetika in sauren (entzündeten) ● Überschreitung der Maximaldosis (= abso-

Geweben nur sehr schlecht. lute Überdosierung)


● sehr schneller Resorption (= relative Überdo-

sierung)

2.3 Nebenwirkungen Die Plasmakonzentration des Lokalanästheti-


kums hängt von der Resorptionsgeschwindig-
2.3.1 Toxische Nebenwirkungen keit ab. Die schnellste Resorption findet z. B. bei
der Interkostalblockade statt (Interkostalblo­
Die Lokalanästhetika üben ihre membranstabili- ckade > Periduralanästhesie > Plexus-brachia-

sierende Wirkung nicht nur an peripheren Nerven lis-Block > Nervus-femoralis-Block > Spinalan-
aus, sondern sie können prinzipiell an allen erreg- ästhesie). Da die erzielte Plasmakonzentration
baren Zellen, also auch im Gehirn und am Reizlei- nach Gabe eines Lokalanästhetikums im Rah-
tungssystem des Herzens wirken, wenn sie dort in men einer Lokal- oder Regionalanästhesie nicht
genügend hoher Konzentration anfluten.
2.3  Nebenwirkungen 157

nur von der verabreichten Dosis, sondern auch der Wahl. Hiermit wird die zerebrale
z. B. von den Resorptionsbedingungen in dem Krampfschwelle erhöht und zerebrale Erre-
Gewebe abhängt, können keine verbindlichen gungszustände sowie Krämpfe können un-
Maximaldosierungen angegeben werden. Es terdrückt werden.
wird daher anstatt von Maximaldosierungen oft ● Verabreichung eines Benzodiazepins wie
von empfohlener Grenzdosierung gesprochen. z. B. Diazepam (5–10 mg i. v.) oder Midazo-
lam anstatt eines Barbiturats
● Hyperventilation:
Gehirn Der Patient sollte zum tiefen Durchatmen (=
hyperventilieren) aufgefordert werden.
Bei toxisch hoher Blutkonzentration eines Lo- Durch eine Hyperventilation kommt es zum
kalanästhetikums wird dieses auch an den er- Abfall des CO2-Wertes im Blut, wodurch die
regbaren Strukturen des Gehirns anfluten und zerebrale Krampfschwelle gegenüber Lokal-
dort ebenfalls eine, allerdings unerwünschte, anästhetika erhöht wird. Bei einer schweren
Membranstabilisierung erzeugen. Intoxikation mit einer zerebralen Depression
Normalerweise stehen im ZNS hemmende und muss der Patient beatmet werden, wobei
erregende Neurone im Gleichgewicht. ebenfalls eine Hyperventilation anzustreben
ist. Lässt sich ein Patient aufgrund von zere-
Die hemmenden Neurone werden durch Lokal- bralen Krämpfen nicht beatmen, so kann
! anästhetika früher blockiert, sodass es bei an- eine Relaxation (mit z. B. Succinylcholin)
steigender toxischer Blutkonzentration zuerst notwendig werden.
zur Ausschaltung dieser hemmenden Neurone ● Sauerstoffverabreichung
kommt. Damit überwiegen die erregenden Neu- ● Intubation, künstliche Beatmung und kreis-
rone, und es wird somit verständlich, dass es zu- laufstabilisierende Maßnahmen können bei
erst zu Erregungszuständen, Unruhe, Muskelzu­ einer schweren Intoxikation mit Bewusstlo-
ckungen, metallischem Geschmack, Schwindel, sigkeit, Atem- und Herz-Kreislauf-Depressi-
Seh-, Hör- sowie Sprachstörungen und Krämpfen on notwendig werden.
kommt. Charakteristisch sind auch Parästhesien ● 20%ige Lipidlösung:
im Bereich von Zunge und Mund. Die sofortige Gabe einer 20%igen Lipidlö-
sung (wie sie im Rahmen der parenteralen
Bei noch höheren toxischen Blutkonzentratio- Ernähung zum Einsatz kommt; → S. 378)
nen kommt es zur Dämpfung auch der erregen- stellt eine relativ neue Therapiemaßnahme
den zerebralen Strukturen, also zur allgemeinen dar, falls es nach einer versehentlichen intra-
Dämpfung des Gehirns mit Bewusstlosigkeit, vasalen Injektion größerer Mengen an Bupi-
zentraler Atemdepression, zentraler Kreislauf- vacain oder Ropivacain zu schweren neuro-
depression mit Blutdruck- und Herzfrequenz- logischen und kardiologischen toxischen
abfall. Nebenwirkungen kommt. Als Dosierung
werden 2 ml/kg KG als Bolus (und anschlie-
Therapie ßend 0,5 ml/kg KG/min über 1 h) empfoh-
Zur Therapie einer Intoxikation mit zerebraler len. Die gut fett-(lipid-)löslichen Lokalanäs-
Überregbarkeit stehen folgende Optionen zur thetika Bupivacain und Ropivacain sollen
Verfügung: sich hierbei in der erzeugten Lipidphase des
● Ein Barbiturat (z. B. Thiopental 1–2 mg/ Blutes lösen und dadurch gebunden und
kg KG i. v.) ist bei leichten Intoxikationen mit biologisch inaktiviert werden.
zerebralen Erregungszuständen das Mittel
158 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Herz kann. Dies ist vor allem bei den älteren Lokal-
anästhetika vom Estertyp bekannt (durch das
Treten versehentlich sehr hohe toxische Blut- Abbauprodukt para-Aminobenzoesäure). Bei
konzentrationen eines Lokalanästhetikums auf, den neuen Lokalanästhetikaverbindungen vom
so wird das Lokalanästhetikum auch am Reiz- Amidtyp (vgl. Tab. 2-1) sind anaphylaktoide
leitungssystem des Herzens anfluten und dort Reaktionen extrem selten. Die Therapie und die
ebenfalls eine, allerdings unerwünschte, Mem- Prophylaxe anaphylaktoider Reaktionen wer-
branstabilisierung erzeugen. Eine Dämpfung den ausführlich auf den Seiten 219 f. beschrie-
des Reizleitungssystems äußert sich vor allem in ben.
Bradykardie, AV-Blockierungen, Abnahme der
Herzkraft sowie in einem Blutdruckabfall, unter
Umständen in einem Herzstillstand. 2.3.3 Sonstige Nebenwirkungen
Einige Lokalanästhetika (z. B. Lidocain) wurden
früher oft intravenös gegeben, um deren mem- Den Lokalanästhetika kann Adrenalin (→ S.
branstabilisierende Wirkung am Herzen auszu- 302) im Verhältnis 1 : 200 000 zugesetzt werden,
nützen. Inzwischen werden Natriumkanalblo­ wodurch eine lokale Vasokonstriktion erreicht
cker (= Klasse-I-Antiarrhythmika) seltener zur wird. Ein Milliliter einer adrenalinhaltigen Lo-
Therapie von tachykarden Herzrhythmusstö- kalanästhetikalösung enthält 5 µg Adrenalin.
rungen eingesetzt. Mittlerweile werden bei Damit kann die Resorption verzögert, die Wir-
schweren tachykarden Herzrhythmusstörungen kungsdauer verlängert und toxische Nebenwir-
zumeist Kaliumkanalblocker (= Klasse-III- kungen können vermindert werden. Mögliche
Antiarrhythmika) wie Amiodaron (Cordarex; Gefahren sind jedoch Blutdruck- und Herz­
ca. 3 mg/kg KG langsam i. v.) eingesetzt. frequenzanstiege, falls es dennoch zur Resorp­
tion des adrenalinhaltigen Lokalanästhetikums
Therapie kommen sollte. Kontraindiziert ist die Anwen-
Die Therapie einer schweren Intoxikation mit dung eines Adrenalinzusatzes in Gebieten mit
Herz-Kreislauf-Depression erfolgt symptoma- Endarterien wie Finger, Ohr, Nase und Penis.
tisch; infrage kommen Maßnahmen wie: Hier könnte es durch die Vasokonstriktion zu
● Sauerstoffverabreichung und ggf. künstliche Nekrosen aufgrund einer Mangeldurchblutung
Beatmung kommen. Bei Verabreichung größerer Dosen
● Volumengabe und vasokonstringierende (= von Prilocain (Xylonest®) kann es zur Anhäu-
gefäßverengende) Medikamente wie Akrinor® fung des Abbauproduktes ortho-Toluidin kom-
oder Adrenalin (→ S. 302) bei Hypotonie men. Dieses oxidierende Abbauprodukt über-
● 20%ige Lipidlösung (→ S. 157) führt Hämoglobin in Methämoglobin. Bei
● unter Umständen kardiopulmonale Reani- hohen Methämoglobinkonzentrationen muss
mation bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand unter Umständen eine reduzierende Substanz
(→ S. 526) (z. B. Methylenblau 2 %; 1–3 mg/kg KG) verab-
reicht werden.

2.3.2 Anaphylaktoide
Nebenwirkungen
2.4 Verschiedene Formen
Eine weitere mögliche Nebenwirkung der Lo-
kalanästhetika ist eine anaphylaktoide Reakti- Das Ziel der Lokal- und Regionalanästhesie, näm-
on, die sich z. B. als Urtikaria (= Quaddelbil- ! lich die Unterbrechung der Schmerzleitung von
dung), als Asthmaanfall, als Blutdruckabfall der Körperperipherie zum Gehirn, kann auf ver-
oder gar als anaphylaktoider Schock äußern schiedenen Ebenen vorgenommen werden.
2.4  Verschiedene Formen 159

● rückenmarksnahe Leitungsanästhesien (5)


– Spinalanästhesie
– Periduralanästhesie

(Allgemeinnarkose = Vollnarkose = zentrale


Narkose)
Vergleiche 6 in Abbildung 2-1.

2.4.1 Lokalanästhesie

Oberflächenanästhesie

Bei der Oberflächenanästhesie (= Schleimhaut-



anästhesie) wird ein Schleimhautareal mit einem
Lokalanästhetikum besprüht oder bepinselt. Hier-
durch werden die in der Schleimhaut liegenden
kleinsten sensiblen Nervenendigungen blockiert.

Beispiel
● Einspritzen eines lokalanästhetikumhaltigen

Gleitmittels in die Harnröhre eines Mannes


vor der Katheterisierung

Medikamente
● Lidocain 2–4 %

● Mepivacain 2 %

Mit der EMLA®-Creme liegt eine Lokalanäs-


thetikamischung vor, die bei ausreichend langer
Abb. 2-1  Lokal- und Regionalanästhesieverfahren. Einwirkzeit auch durch die intakte Haut drin-
1 = Schleimhautanästhesie; 2 = Infiltrationsanästhesie; gen und diese anästhesieren kann. Die EMLA®-
3 = Nervenblockade; 4 = Plexusanästhesie; 5 = rücken- Creme wird insbesondere in der Kinderanäs-
marksnahe Leitungsanästhesien; (6 = Vollnarkose). thesie zur schmerzlosen Anlage eines peripher-
venösen Zuganges beim wachen Kind verwendet
(→ S. 240).
Lokalanästhesien (vgl. Abb. 2-1)
● Oberflächenanästhesie (= Schleimhautanäs-

thesie) (1) Infiltrationsanästhesie


● Infiltrationsanästhesie (2)

Bei der Infiltrationsanästhesie wird das Lokalan-


Leitungs- oder Regionalanästhesien 
ästhetikum intradermal, subkutan oder intramus-
(vgl. Abb. 2-1) kulär injiziert, wodurch die dort liegenden sensib-
● Nervenblockade (3) len Nervenendigungen blockiert werden. Dies ist
● Blockade des Plexus brachialis (Plexusanäs- eine gebräuchliche Methode in der sog. „kleinen
thesie) (4) Chirurgie“, um z. B. eine zu versorgende Wunde
zu umspritzen.
160 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Beispiel typen (vgl. Tab. 2-2) werden normalerweise bei


● Wundnaht einer Spinal- oder Periduralanästhesie in fol-
gender Reihenfolge blockiert: B-, C-, A-Delta-,
Medikamente A-Gamma-, A-Beta-, A-Alpha-Fasern (Gefäßweit-
● Lidocain 0,5–1,0 % stellung [B-Fasern], Schmerzreduktion [C- und A-
● Mepivacain 0,5–1,0 % Delta-Fasern] vermindertes Temperaturempfinden
● Bupivacain 0,25–0,5 % [A-Delta-Fasern], vermindertes Druck- und Berüh-
● Levobupivacain 0,25 % rungsempfinden [A-Beta-Fasern], Einschränkung
● Prilocain 0,5–1,0 % der Motorik [A-Alpha-Fasern]). Die B-Fasern wer-
den vor den noch dünneren C-Fasern blockiert, da
Bei der Infiltrationsanästhesie wird häufiger ein sie im Vergleich zu den C-Fasern myelinisiert sind.
Lokalanästhetikum mit Adrenalinzusatz ver- Myelinisierte Fasern sind leichter blockierbar als
wendet (→ S. 158). nicht myelinisierte Fasern.

Da zuerst die B-Fasern (präganglionäre sym­


2.4.2 Leitungs- pathische Fasern) blockiert werden, kommt es
oder Regionalanästhesie zuerst zur Gefäßweitstellung, was als Wärme­
gefühl empfunden und angegeben wird und
als Rötung oder deutliches Hervortreten der
Allgemeine Bemerkungen venösen Gefäße im ausgeschalteten Gebiet
erkennbar ist. Folge dieser Gefäßweitstellung
Bei einer Leitungs- oder Regionalanästhesie kann ein Blutdruckabfall sein, vor allem, wenn

wird das Lokalanästhetikum in die Nähe eines große Gebiete des Körpers ausgeschaltet
peripheren Nervs injiziert und diffundiert dann werden, wie z. B. bei der Spinal- oder Peridural-
selbstständig vollends in den Nerv. Nervenfasern anästhesie (→ S. 168). Zuletzt werden die
werden umso leichter durch ein Lokalanästheti- dicksten Fasern eines Nervs, die für die Bewe-
kum blockiert, je dünner sie sind und je stärker gung zuständigen motorischen Fasern, ausge-
ihr Myelinisierungsgrad ist. Die einzelnen Faser- schaltet.

Tab. 2-2  Klassifizierung der Nervenfasertypen sowie ihre Blockierbarkeit durch Lokalanästhetika
Fasertyp Durchmesser Myelinisiert Blockierbarkeit Funktion
(µm) durch Lokal-
anästhetika
A-Fasern Alpha 12–20 ja + Motorik
Beta  5–12 ja ++ Druck, Berührung
Gamma  3–6 ja +++ Muskelspindeln
Delta  2–5 ja ++++ Temperatur und gut
lokalisierbarer Erstschmerz
B-Fasern <3 ja ++++++ präganglionäre sympa-
thische Fasern
(Gefäßengstellung)
C-Fasern 0,3–1,2 nein +++++ schlecht lokalisierbarer
Zweitschmerz
+ bis ++++++ = je mehr +-Zeichen, desto leichter ist ein Nervenfasertyp durch Lokalanästhetika zu blockieren
2.4  Verschiedene Formen 161

Vorbereitungen on ein mindestens 12-stündiges Sicherheitsin-


tervall eingehalten werden. Nach Gabe von nicht
Die anästhesiologische Überwachung bei der fraktioniertem (= konventionellem) Heparin
Leitungsanästhesie muss die gleiche sein wie wird ein Sicherheitsintervall von 4 Stunden
bei einer Vollnarkose, das heißt, es muss gefor- empfohlen. Nach Einnahme von Acetylsalicyl-
dert werden: säure (maximal 100 mg/d) oder einem Anti-
● EKG-Ableitung rheumatikum (z. B. Diclofenac) braucht nach
● periphervenöser Zugang und Infusionsthe- den neuen Empfehlungen vor der rückenmarks-
rapie (→ S. 132) nahen Punktion kein Sicherheitsintervall (Ein-
● Blutdruckmessung nahmepause) eingehalten werden (Ausnahme
● Sauerstoffgabe beim lang wirksamen Piroxicam; Felden), wenn
(z. B. 2 l/min über eine Nasensonde) sonst keine (!) gerinnungshemmenden Medika-
● Narkosegerät und Intubationsbesteck müs- mente verabreicht werden. In den bisherigen
sen bereitliegen. Richtlinien wurde bei Acetylsalicylsäure eine
● Medikamente Einnahmepause von 3 Tagen und bei den nicht
(z. B. Atropin, Adrenalin, Akrinor®, Midazo- steroidalen Antirheumatika eine 24-stündige
lam, Thiopental, Succinylcholin) müssen griff- Pause empfohlen. (Bei neueren gerinnungshem-
bereit sein. menden Substanzen sind z. T. längere Einnah-
mepausen zu beachten: Fondaparinux [Arixtra]
Prinzipiell muss eine Leitungsanästhesie unter > 36–42 Stunden, Clopidogrel [z. B. Plavix,
den gleichen Sterilitätsbedingungen wie eine Iscover] > 7 Tage). In Tabelle 2-3 sind die wich-
Operation vorgenommen werden. Es sind also tigsten, zurzeit verwendeten Antithrombotika
sterile Handschuhe, Mundschutz sowie eine und Thrombozytenaggregationshemmer aufge-
Kopfhaube zu tragen. Bei Kathetertechniken ist listet und in Tabelle 2-4 sind die empfohlenen
zusätzlich ein steriler Kittel zu tragen. Nach Zeitintervalle angegeben, die zwischen der letz-
mehrmaliger Desinfektion der Punktionsstelle ten Gabe vor und der ersten Gabe nach
wird diese steril abgedeckt. rückenmarksnaher Punktion bzw. Katheterent-
Des Weiteren ist bei den rückenmarksnahen fernung einzuhalten sind. Bei Paracetamol,
Leitungsanästhesien (Spinalanästhesie; → S. 168 Metamizol und selektiven Cyclooxygenase-
– Periduralanästhesie; → S. 176) sowie bei den (COX-2‑)Hemmern (→ S. 332) braucht kein Si-
Plexusblockaden (→ S. 164) eine vorherige Kon- cherheitsintervall beachtet werden. Gerinnungs-
trolle der Blutgerinnung sinnvoll. Quick-Wert störungen aufgrund von niedermolekularem,
(Normalbereich 70–100 %) bzw. INR (= interna- fraktioniertem Heparin oder z. B. Acetylsalicyl-
tional normalized ratio; Normalbereich säurepräparaten können durch die üblichen Ge-
0,85–1,15) sowie PTT (Normalbereich je nach rinnungstests nicht erfasst werden. In diesen
Labor z. B. 26–37 Sekunden) sollten möglichst Fällen wurde zum Teil die sog. subaquale (= un-
im Normbereich liegen. Bei entsprechender ter Wasser gemessene) Blutungszeit als Global-
Nutzen-Risiko-Abwägung können ggf. auch test empfohlen. Gemessen wurde – nach einer
noch leicht beeinträchtigte Gerinnungsparame- Punktion in den Finger – die Zeitspanne, bis der
ter akzeptiert werden. Der Quick-Wert sollte je- ausfließende Blutfaden abreißt (Normalwert: bis
doch nicht unter ca. 60 % (d. h., die inzwischen 300 Sekunden). Diese Methode ist jedoch sehr
statt dem Quick-Wert häufig verwendete INR fehlerbehaftet und wird in ihrer Aussagekraft in-
sollte nicht größer ca. 1,4 betragen), die PTT zwischen angezweifelt. Inzwischen steht ein ap-
nicht länger als ca. 39 Sekunden und die Throm- parativer Test zur Verfügung (PFA = Plättchen-
bozytenzahl nicht niedriger als ca. 100 000/mm3 funktionsanalysator). Mit diesem Gerät kann
sein. Nach Gabe von niedermolekularem (= anhand einer Blutprobe die z. B. durch Acetylsa-
fraktioniertem) Heparin zur Thromboseprophy- licylsäure bedingte Thrombozytenfunktionsstö-
laxe sollte vor einer rückenmarksnahen Punkti- rung objektiv gemessen werden.
162 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Tab. 2-3  Häufig verwendete Antithrombotika und Thrombozytenaggregationshemmer


Wirkstoff und Wirkstoffgruppe Maximale Dosierung pro Handelsname (Beispiele)
Tag im Rahmen der Throm-
boembolieprophylaxe
Acetylsalicylsäure 1
Aspirin®, ASS®, Togal®, Thomapyrin®
Unfraktioniertes Heparin
● Heparin 5 × 5 000 IE oder aPTT im Refe- Calciparin®, Heparin®, Liquemin®,
renzbereich Thrombophob®
Niedermolekulare Heparine
● Certoparin 1 × 3 000 aXaE s. c. Mono-Embolex®
● Dalteparin 1 × 5 000 aXaE s. c. Fragmin®
● Enoxaparin 1 × 40 mg s. c. Clexane®
● Nadroparin 2 850 aXaE (0,3 ml) Fraxiparin®
● Reviparin 1 × 750 IE s. c. Clivarin®
● Tinzaparin 1 × 4 000 IE s. c. Innoheb®
Synthetisches Pentasaccharid
● Fondaparinux 1 × 2,5 mg s. c. Arixtra®
Danaparoid
● Orgaran 2 × 750 IE s. c. Orgaran®
Thrombininhibitoren
● Desirudin 2 × 15 mg s. c. Revasc®
● Lepirudin 1
Refludan®
● Argotroban 1
Argatra®
Cumarine (Vitamin-K-Antagonisten)
● Phenprocoumon 1
Falithrom®, Marcumar®
● Warfarin 1
Coumadin®
Thienopyridine (ADP-Antagonisten)
● Ticlopidin 1
Tiklyd®
● Clopidogrel 1
Iscover®, Plavix®
Glykoprotein-IIb/IIIa-Antagonisten
● Abciximab 1
ReoPro®
● Eptifibatid 1
Integrilin®
● Tirofiban 1
Aggrastat®
aXaE = Anti-Faktor-Xa-Einheiten
1
  Wirkstoff wird nicht zur Thromboembolieprophylaxe eingesetzt.
2.4  Verschiedene Formen 163

Tab. 2-4  Empfohlene Zeitintervalle der letzten Gabe eines Antihrombotikums oder Thrombozytenaggregationshem-
mers vor und der ersten Gabe nach rückenmarksnaher Punktion oder Katheterentfernung
Wirkstoffgruppe oder Vor Punktion Nach Punktion oder Laborkontrolle
Wirkstoff oder Katheter- Katheterentfernung1
entfernung1
Unfraktionierte Heparine > 4 h > 1 h Thrombozyten bei Therapie
(Prophylaxe: ≤ 15 000 IE/d) > 5 d
Unfraktionierte Heparine > 4–6 h > 1 h (keine i. v. Bolus- aPTT, (ACT), Thrombozyten
(Therapie) gabe)
Niedermolekulare Heparine > 12 h > 2–4 h Thrombozyten bei Therapie
(Prophylaxe2) > 5 d
Niedermolekulare Heparine > 24 h > 2–4 h Thrombozyten (Anti-Xa)
(Therapie)
Fondaparinux (Prophylaxe: > 36–42 h > 6–12 h (Anti-Xa)
≤ 2,5 mg/d)
Vitamin-K-Antagonisten INR < 1,4 nach Katheterentfernung INR
Hirudine (Lepirudin, Desirudin) > 8–10 h > 2–4 h aPTT, ECT
Argotroban3 4 h 2 h aPTT, ECT, ACT
Acetylsalicylsäure (100 mg)4 keine (in bisherigen keine
Richtlinien: > 3 d)
Clopidogrel > 7 d nach Katheterentfernung
Ticlopidin > 10 d nach Katheterentfernung
Nicht steroidale Antirheumati- keine (in bisherigen keine
ka (NSAR) Richtlinien: > 24 h)
Prophylaxe: niedrige Dosierung, wie sie im Rahmen der Thromboseprophylaxe indiziert ist; Therapie: höhere Dosie-
rung, wie sie im Rahmen einer therapeutisch wirksamen Antikoagulation indiziert ist. Anti-Xa = Anti-Faktor-Xa-Ein-
heiten; ACT = activated clotting time; aPTT = aktivierte partielle Thromboplastinzeit; ECT = ecarin clotting time.
1
Alle Zeitangaben beziehen sich auf Patienten mit einer normalen Nierenfunktion.
2
Prophylaktische Dosierungen für NMH bei Hochrisikopatienten sind in Tabelle 2-3 aufgeführt.
3
verlängertes Intervall bei Leberinsuffizienz
4
NMH einmalig pausieren, kein NMH 36–42 h vor der Punktion oder der geplanten Katheterentfernung

Nervenblockade ● Nervenblockade nach Oberst:


Hierbei werden die 4 Nerven, die jeweils ei-
Unter einer Nervenblockade wird die vorüberge- nen Finger versorgen, an der Fingerbasis

hende Ausschaltung eines bestimmten peripheren (vgl. Abb. 2-2) mit Lokalanästhetikum um-
Nervs durch ein Lokalanästhetikum verstanden. spritzt. Von einer Punktionsstelle aus werden
3 Nerven betäubt (1, 2 und 3 in Abb. 2-3).
Für den vierten Nerv muss ein zweites Mal
Beispiel punktiert werden (4 in Abb. 2-3). Pro Nerv
● Ausschaltung des Nervus alveolaris inferior werden ca. 0,5–1 ml Lokalanästhetikum inji-
durch den Zahnarzt: ziert.
Hierdurch wird eine Unterkieferseite betäubt.
164 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Abb. 2-2  An der Fingerbasis markierte Punktionsorte


bei Durchführung einer Oberst-Nervenblockade

Medikamente
● Lidocain 1–1,5 %

● Mepivacain 1–1,5 %

● Prilocain 1 %

● Bupivacain 0,25–0,5 %
Abb. 2-3  Punktionstechnisches Vorgehen bei der
● Levobupivacain 0,25 %
Oberst-Nervenblockade (genaues Vorgehen → Text)

Blockade des Plexus brachialis ● (30–)40 ml Lokalanästhetikum für die Ple-


xusblockade sowie (3–)4 sterile 10-ml-Sprit-
Jeder Arm wird von einem Nervengeflecht, dem zen
Plexus brachialis, versorgt. Der Plexus brachia- ● möglichst einen Nervenstimulator (→ S.

lis kann im Halsbereich sowie unmittelbar un- 165), evtl. ein Ultraschallgerät (mit 10-Me-
terhalb des Schlüsselbeins oder in der Achsel- ga-Herz-Schallkopf)
höhle ausgeschaltet werden. ● steriles Verbandsmaterial für die Punktions-

Die häufigste und komplikationsärmste Metho- stelle


de ist die Blockade des Plexus brachialis in der
Achselhöhle (= axillare Blockade), die an dieser Vorgehen
Stelle näher beschrieben wird. Hierdurch ist Im Bereich der Axilla verlaufen die Nerven des
eine Schmerzausschaltung an der Hand, am Plexus brachialis, nämlich der Nervus radialis,
Unterarm und teilweise am Oberarm möglich. der Nervus medianus und der Nervus ulnaris,
unmittelbar neben der Arteria axillaris. Gefäße
Material und Nerven werden von einem faszienartigen
● Einmalrasierer zur Rasur der Achselhöhle Schlauch (sog. Gefäß-Nerven-Scheide) um-
● Desinfektionsspray und sterile Kompressen hüllt. Beim Aufsuchen dieser Nerven stellt des-
● sterile Handschuhe, Mütze, Mundschutz halb der Verlauf der zu ertastenden Arteria axil-
● steriles Lochtuch laris die Orientierungshilfe dar.
● sterile 2-ml-Spritze, eine 26-G-Stahlkanüle Der auf dem Rücken liegende Patient abduziert
und z. B. Lidocain 1 % für die Lokalanästhe- den Oberarm ca. 90–100 Grad (vgl. Abb. 2-4).
sie der Haut Nach sorgfältiger Rasur und mehrmaliger Des-
● spezielle Punktionskanüle, (z. B. „immobile infektion der Achselhöhle wird ein steriles
Nadel“ oder) möglichst eine Elektrostimula- Lochtuch über die Punktionsstelle geklebt. Am
tionskanüle (→ S. 165) Oberarm, möglichst tief in der Axilla, wird die
2.4  Verschiedene Formen 165

Abb. 2-4  Blockade des Plexus axilla-


ris. Ertasten des Verlaufs der Arteria ax­
illaris. (Zur besseren Detaildarstellung
ist keine sterile Abdeckung dargestellt.)

Arteria axillaris palpiert. In dieser Armposition Hierzu empfiehlt es sich, evtl. eine sog. „immo-
liegt der Nervus radialis hinter und etwas ober- bile Nadel“ zu verwenden. Dies ist eine speziel-
halb der Arteria axillaris, der Nervus ulnaris le, etwas stumpfere Kanüle, die über ein kurzes
liegt hinter und etwas unterhalb der Arterie, der Schlauchstück mit der Injektionsspritze ver-
Nervus medianus liegt vor der Arteria axillaris. bunden wird (vgl. Abb. 2-5a). Durch den stump-
Die Arteria axillaris sowie die 3 sie umgeben- fen Anschliff kann meist ein Klick beim Durch-
den Nerven werden von einer Faszienscheide stechen der Gefäß-Nerven-Scheide erfasst
umgeben. Direkt über der Arterie wird die vor- werden.
aussichtliche Punktionsstelle der Haut mit einer
Hautquaddel betäubt. Wichtig ist, dass das Lokalanästhetikum sicher
Früher wurde die axillare Blockade meist fol- ! innerhalb dieser Gefäß-Nerven-Scheide injiziert
gendermaßen durchgeführt: Mit einer norma- wird. Dann genügt meist ein einziges Depot, um
len Stahlkanüle wurde unmittelbar kranial der alle 3 Nerven (vgl. Abb. 2-6) auszuschalten, da
Arteria axillaris in verschiedene Richtungen sich das Lokalanästhetikum nur innerhalb der Ge-
punktiert, bis mit der Kanülenspitze z. B. der fäß-Nerven-Scheide ausbreiten kann.
Nervus radialis mechanisch irritiert wurde. War
dies der Fall, so gab der Patient ein elektrisie- Da die „immobile Nadel“ durch eine Zuspritz-
rendes Gefühl, sog. Parästhesien, im Versor- leitung von der Spritze getrennt ist, braucht bei
gungsbereich des Nervus radialis an. Die Kanü- Manipulationen an der Spritze keine Verlage-
le wurde nun minimal zurückgezogen und das rung der Punktionskanüle befürchtet werden
Lokalanästhetikum injiziert. Ähnlich wurde der (vgl. Abb. 2-5b).
Nervus medianus aufgesucht. Nach erneuter Zum Aufsuchen des Plexus brachialis sollte in-
Punktion unterhalb der Arteria axillaris wurde zwischen möglichst ein sog. Nervenstimulator
auf dieselbe Weise auch der Nervus ulnaris auf- verwendet werden (vgl. Abb. 2-7). Die hierzu
gesucht und blockiert. benötigte spezielle Punktionskanüle (Elektro-
stimulationskanüle) wird über ein Kabel mit
Durch absichtliches Auslösen von Parästhesien dem Nervenstimulator verbunden, an dem ein
! kann es jedoch zu Nervenverletzungen mit blei- Reizstrom bestimmter Stärke und bestimmter
benden Nervenschäden kommen. Deshalb wird Frequenz eingestellt werden kann. Ein zweites
inzwischen versucht, das Auslösen von Parästhe- Kabel muss an eine in der Nähe der Punktions-
sien zu vermeiden. stelle auf die Haut geklebte EKG-Elektrode
166 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Abb. 2-6  Verlauf des Nervus radialis (= 1), Nervus


medianus (= 2), Nervus ulnaris (= 3) und Nervus muscu-
locutaneus (= 4)

Abb. 2-5a  „Immobile Nadel“ (Kurzschliffkanüle mit


kurzem Verbindungsschlauch). b Blockade des Plexus
axillaris mit einer „immobilen Nadel“. (Zur besseren
Detaildarstellung ist keine sterile Abdeckung dargestellt.)

(„Erdungselektrode“) angeschlossen werden.


Ist die Spitze der Punktionskanüle in der Nähe
des aufzusuchenden Nervs, so wird durch die-
sen Reizstrom eine Nervenstimulation und da-
mit eine Muskelkontraktion ausgelöst.
Initial wird mit einer Stromstärke von ca. 1 mA
(= Milliampere) stimuliert. Bei motorischen
Reizantworten wird die Stromstärke soweit re-
duziert, bis die Zuckungen fast verschwinden.
Die Kanüle wird weiter vorgeschoben, bis jetzt
bereits bei geringer Stromstärke deutliche Zu­
ckungen auftreten. Dieses Vorgehen wird ggf.
mehrfach wiederholt.
Die Kanülenposition ist vermutlich korrekt Abb. 2-7  Nervenstimulationsgerät mit angeschlossen-
platziert, wenn bereits mit einer Stromstärke er Elektrostimulationskanüle
2.4  Verschiedene Formen 167

von 0,2–0,5 mA Zuckungen im Bereich der Kontinuierliche Blockade


Hand auslösbar sind. Das Lokalanästhetikum In Einzelfällen ist eine mehrtägige postoperati-
kann nun injiziert werden. ve Blockade des Plexus axillaris notwendig, z. B.
Bei der elektrischen Stimulation des Nervus ra- zur Schmerztherapie, Verbesserung der Durch-
dialis kommt es zur Streckung von Fingern, blutung oder zur Therapie bzw. Prophylaxe ei-
Hand und Ellenbogengelenk sowie zur Supina- ner sympathischen Reflexdystrophie. In diesen
tion der Hand (= Drehen der Handfläche nach Fällen wird bei der initialen Plexusblockade ein
oben). Bei der Stimulation des Nervus medi- Katheter in die Gefäß-Nerven-Scheide einge-
anus kommt es zur Beugung der Hand und des führt. Bei Nachinjektionen über den liegenden
ersten, zweiten und dritten Fingers. Eine Stimu- Plexuskatheter wird meist ein lang wirksames
lation des Nervus ulnaris führt zur Beugung des Lokalanästhetikum (z. B. Ropicavain oder Bupi-
dritten bis fünften Fingers. Kommt es zur Beu- vacain) verwendet: Da normalerweise keine
gung im Ellenbogengelenk und zur Supination motorische Blockade, sondern nur eine Blocka-
der Hand, dann wurde der Nervus musculo- de der dünnen schmerzleitenden und der sym-
cutaneus stimuliert. Dieser Nerv versorgt die pathischen Fasern erzielt werden soll, reichen
Haut im Bereich der radialen Unterarmseite. niedrigkonzentrierte Lokalanästhetika aus (z. B.
Der Nervus musculocutaneus verlässt die Ge- Ropicavain 0,2 % oder Bupivacain 0,25 %). Bei
fäß-Nerven-Scheide bereits tief in der Axilla. Verwendung lang wirksamer Substanzen rei-
Wird er stimuliert, liegt die Kanüle nicht in der chen 2–3 Injektionen pro Tag aus. Öfter wird
Gefäß-Nerven-Scheide. Um den Plexus und auch eine kontinuierliche Injektion mittels
den Nervus musculocutaneus zu blockieren, Spritzenpumpe (ca. 5–8 ml/h) durchgeführt.
sollte eine axillare Blockade möglichst tief in
der Axilla durchgeführt werden. Seit kurzem Komplikationen
wird die Anlage einer peripheren Regionalanäs- ● Nervenverletzungen

thesie unter Ultraschallkontrolle empfohlen. ● Hämatombildung nach versehentlicher Punk-

Hierbei kann die Kanülenposition sowie die tion der Arteria axillaris:
korrekte (sichel- oder ringförmige) Ausbreitung Da die Ausbreitung des Hämatoms durch die
des Lokalanästhetikums um die Nerven herum Gefäß-Nerven-Scheide behindert ist, kann
kontrolliert werden. Außerdem können mittels es durch das Hämatom innerhalb der Gefäß-
Ultraschall auch z. B. punktionsgefährdete Struk- Nerven-Scheide zu einer Kompression und
turen (z. B. Arteria axillaris) dargestellt werden. einer Druckschädigung der dort verlaufen-
Nach der Injektion des Lokalanästhetikums den Nerven kommen. 5 Minuten kompri-
wird die Punktionsstelle mit sterilem Verbands- mieren!
material bedeckt. ● intravasale Injektion

● anaphylaktoide Reaktion

Bis die Blockade des Plexus brachialis komplett ● systemische Toxizität


! ist, vergehen mindestens 20 Minuten.
Kontraindikationen
● Ablehnung durch den Patienten
Medikamente ● Allergie gegen Lokalanästhetika

● Prilocain 1 %, 40–50 ml ● Gerinnungsstörungen (→ S. 161)

● Mepivacain 1 %, 40 ml ● vorbestehende Nervenschädigungen

● Bupivacain (0,25–)0,5 %, 30(–40) ml ● entzündliche Hautveränderungen im Punk-

● Ropivacain 0,75 %, 30 ml tionsbereich


● Levobupivacain 0,5(–0,25) %, 30(–40) ml ● entzündliche Veränderungen der Lymphge-

fäße (= Lymphangitis) oder Lymphknoten (=


Lymphadenitis) am entsprechenden Arm,
168 2  Lokal- und Regionalanästhesie

die häufig bei einer eitrigen Entzündung des


Fingerbettes (= Panaritium) vorliegen
● entzündliche Lymphknotenvergrößerungen

in der Axilla:
Sie sind stets vorher (!) auszuschließen.

Rückenmarksnahe
Leitungsanästhesien

Spinalanästhesie

Unter einer Spinalanästhesie wird das Einbringen



eines Lokalanästhetikums in den Spinalraum ver-
standen. Hierdurch kann eine Schmerzausschal-
tung an der unteren Körperhälfte erzielt werden.

Anatomie
Das Rückenmark endet normalerweise auf der
Höhe des ersten bis zweiten Lendenwirbels (=
L1/L2), selten erst bei L2/L3 (vgl. Abb. 2-8). Un-
terhalb davon befindet sich in dem von der
Dura umgebenen Spinalraum nur noch die aus
Nervenfasern bestehende Cauda equina (wört-
lich übersetzt: „Pferdeschweif “). Spinalpunk-
tionen dürfen daher nur unterhalb von L3
durchgeführt werden, damit das Rückenmark
nicht versehentlich verletzt wird. Die Fasern der
Cauda equina weichen dagegen einer eindrin-
genden Kanüle leicht aus. Die häufigste Punkti-
onsstelle ist zwischen dem dritten und vierten
Lendenwirbel (= L3/L4).
Bei der Punktion des Spinalkanals dringt die
Kanüle durch folgende Strukturen (vgl. Abb.
2-9):
1 = Haut
2 = subkutanes Fettgewebe
3 = Ligamentum supraspinale (Band, das von
einer Dornfortsatzspitze zur nächsten zieht) Abb. 2-8  Lage des Rückenmarks im Spinalkanal (Ende
4 = Ligamentum interspinale (Band, das sich des Rückenmarks bei L1/L2; übliche Punktionshöhe L3/
zwischen den Dornfortsätzen befindet) L4)
5 = Ligamentum flavum (= gelbes, elastisches,
aber sehr festes, derbes Band, das sich zwi- nengeflechten und ist nur einige Millimeter
schen den Wirbelbögen befindet) breit)
6 = Periduralraum (besteht aus lockerem Bin- 7 = Dura (= harte Hirnhaut)
degewebe, Fettgewebe sowie reichlich Ve- 8 = Spinalraum (mit Liquor und Cauda equina)
2.4  Verschiedene Formen 169

Abb. 2-9  Lendenwirbelsäule. 1 = Haut; 2 = subkutanes Abb. 2-10  Sitzende Lagerung zum Anlegen einer rü­
Fettgewebe; 3 = Ligamentum supraspinale; 4 = Liga- ckenmarksnahen Leitungsanästhesie
mentum interspinale; 5 = Ligamentum flavum; 6 = Peri-
duralraum; 7 = Dura; 8 = Spinalraum mit Cauda
equina.

Material
● sterile Handschuhe, Mundschutz und Kopf-

haube
● Desinfektionslösung

● Lokalanästhetikum für die lokale Betäubung

der Punktionsstelle
● Lokalanästhetikum für die Spinalanästhesie

● Spinalset, das meist alle weiteren Utensilien

enthält:
– Gefäß für die Desinfektionslösung Abb. 2-11  Seitenlagerung zur Anlage einer rücken-
– sterile Tupfer und Kompressen marksnahen Leitungsanästhesie
– Stieltupfer
– steriles Lochtuch
– 2-ml-Spritze für die Lokalanästhesie Führungskanüle (→ S. 170) für die dünne
– 5-ml-Spritze für die Spinalanästhesie Spinalkanüle
– Stahlkanülen zum Aufziehen der Medika- – Spinalkanüle (z. B. 24 oder 25 G)
mente und zur lokalen Betäubung der ● steriles Verbandsmaterial für die Punktions-

Punktionsstelle, außerdem eine dickere stelle


170 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Abb. 2-12  Aufsuchen eines


Zwischenraums zwischen dem dritten
und vierten Lendenwirbel. Die flachen
Handflächen liegen auf den Becken-
kämmen auf.

Wirbelsäule auf Höhe des Dornfortsatzes des


Technik vierten Lendenwirbels schneidet. Bei Auflegen
Eine Spinalpunktion kann am sitzenden (vgl. Abb. der flachen Hände auf die Beckenkämme tref-
! 2-10) oder am liegenden (vgl. Abb. 2-11) Patien-
fen sich die Daumen in der Höhe des Dornfort-
ten vorgenommen werden. Der Patient muss hier- satzes von L4 (vgl. Abb. 2-12). Zumeist wird
bei einen Rundrücken, einen sog. „Katzenbuckel“, zwischen L3/L4 punktiert. Die beabsichtigte
machen. Punktionsstelle kann nun z. B. durch einen län-
geren und kräftigen Druck mit dem Daumen-
Hierzu muss der Patient das Kinn auf die Brust nagel markiert werden, damit sie auch nach der
nehmen bzw., bei der Punktion im Liegen, die Desinfektion noch erkennbar ist.
Beine an den Bauch ziehen. Bei der Punktion
im Sitzen muss der am Bettrand bzw. am Rand
des OP-Tisches sitzende Patient die Beine auf Vorgehen
eine Fußbank stellen. Durch diesen Rundrü­ Nach mehrmaliger großflächiger Desinfektion
cken vergrößern sich die Abstände zwischen der Punktionsstelle wird diese mit einem sterilen
den Dornfortsätzen, was die Punktion zwischen Lochtuch abgeklebt. Normalerweise wird zwi-
den Dornfortsätzen hindurch in den Spinal- schen dem Dornfortsatz des dritten und vierten
raum wesentlich erleichtert. Lendenwirbelkörpers (L3/L4) mit einem Lokal-
anästhetikum (z. B. Lidocain 1 %) eine Haut-
Die Punktion am sitzenden Patienten ist technisch quaddel gesetzt, außerdem werden die tiefer lie-
! einfacher. Der Patient muss jedoch hierbei unbe- genden Bandstrukturen betäubt (vgl. Abb. 2-13).
dingt von einer Hilfsperson festgehalten werden, Es empfiehlt sich nun, durch die Hautquaddel
da er aufgrund einer vasovagalen Synkope oder eine dicke Führungskanüle bis ins Ligamentum
eines plötzlichen Blutdruckabfalls nach Injektion interspinale einzustechen (vgl. Abb. 2-14). Durch
des Lokalanästhetikums unvermittelt kollabieren diese Führungskanüle wird eine möglichst dün-
und vom Bett fallen könnte! ne Spinalkanüle (z. B. 25 G) eingeführt (vgl. Abb.
2-15). Bei Verwendung einer Führungskanüle
Die beabsichtigte Punktionsstelle muss aufge- kommt die Spinalkanüle nicht in Kontakt mit der
sucht werden. Als Orientierungsmarke gilt die Haut und verbiegt sich nicht so leicht. Die Stich-
Verbindungslinie der Beckenkämme, die die richtung der Spinalkanüle sollte horizontal bis
2.4  Verschiedene Formen 171

Abb. 2-13  Durchführung einer Lokalanästhesie Abb. 2-15  Einführung der Spinalkanüle durch die
Führungskanüle

Abb. 2-14  Einstechen einer Führungskanüle Abb. 2-16  Erfolgreiche Spinalpunktion: Abtropfen von


Liquor cerebrospinalis

leicht nach kranial verlaufen. Da die Bindege- so muss der Mandrin wieder eingeführt und die
websfasern der zu durchstechenden Dura von Kanüle etwas weiter vorgeschoben werden.
kranial nach kaudal verlaufen, empfiehlt es sich, Kommt es beim Vorstechen zum Knochenkon-
den Anschliff einer Spinalkanüle mit Quincke- takt, so muss die Stichrichtung der Spinalkanüle
Schliff nach lateral zu halten. Hierdurch werden korrigiert werden. Häufig kann die Duraperfora-
die Bindegewebsfasern der Dura beim Vorste- tion als zarter Klick empfunden werden. Nach
chen auseinandergedrängt. Wird der Kanülen- der Entfernung des Mandrins tropft nun lang-
anschliff nach kranial oder kaudal gerichtet, so sam Liquor ab (vgl. Abb. 2-16 und 2-17). Die Ka-
werden diese Bindegewebsfasern der Dura nüle wird um 90 Grad gedreht, sodass der Kanü-
durchtrennt und es entsteht ein größeres Loch in lenschliff nun normalerweise nach kranial zeigt.
der Dura. Durch Entfernen des Mandrins aus Wenn versehentlich ein Gefäß perforiert wurde,
der Spinalkanüle kann geprüft werden, ob bereits sind manchmal die ersten Liquortropfen blutig
Liquor abtropft, das heißt, ob die Kanülenspitze gefärbt. Beim Abtropfen des Liquors werden die
im Spinalraum liegt. Falls dies nicht der Fall ist, Tropfen jedoch bald klar.
172 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Nach Entfernen der Kanüle muss die Punk­


tionsstelle mit sterilem Verbandsmaterial abge-
deckt werden.

Medikamente
● 2–4 ml Bupivacain 0,5 % isobar oder hyper-

bar (→ unten)
● 3–4(–5) ml Ropivacain 0,5% isobar (für eine

Sectio caesarea jedoch nicht zugelassen)


● 1–2 ml Mepivacain 4 % hyperbar (→ unten)

● 3 ml Levobupivacain 0,5 %

Die hyperbaren Medikamente sind schwerer



als Liquor, das heißt, sie sinken im Liquorraum
nach unten ab. Bei Punktion in Seitenlage und
langsamer Injektion sinkt also ein hyperbares
Lokalanästhetikum nach unten und betäubt das
unten liegende Bein stärker und schneller.
Abb. 2-17  Erfolgreiche Spinalpunktion: richtig plat­
zierte Spinalkanüle Wird der Patient also auf die kranke Seite gela-
gert und wird ein hyperbares Lokalanästheti-
kum (ca. 1,5 ml) verwendet, so kann gezielt nur
das kranke Bein betäubt werden. Bei langsamer
Injektion eines hyperbaren Lokalanästhetikums
am sitzenden Patienten sinkt das Lokalanästhe-
tikum nach unten ab und betäubt nur die unte-
ren, also die sakral gelegenen Nerven. Dadurch
werden nur der Anal-, der Damm- und der Ge-
nitalbereich sowie die Oberschenkelinnenseite
betäubt, also die Bereiche, mit denen ein Reiter
im Sattel sitzt. Diese Form der Spinalanästhesie
wird deshalb als Sattelblock bezeichnet und
eignet sich z. B. bei Eingriffen am Anus oder am
Genitale. Hierzu werden ca. 1–1,5 ml Lokalan-
ästhetikum benötigt. Die Kanüle sollte hierzu
so gedreht werden, dass der Schliff der Kanü-
Abb. 2-18  Injektion von Lokalanästhetikum über die lenspitze nach kaudal zeigt. Nach der Injektion
Spinalkanüle muss der Patient ca. 5 Minuten sitzen bleiben.
Zumeist werden isobare Lokalanästhetika ver-
wendet, sie sind gleich schwer wie Liquor. Die
Es darf erst injiziert werden (vgl. Abb. 2-18), wenn oben beschriebenen Manipulationen können
! klarer Liquor kommt. Vor der Injektion des Lokal- daher mit ihnen nicht durchgeführt werden.
anästhetikums wird mit der Spritze etwas Liquor
aspiriert, um sich nochmals von der richtigen Lage Ausbreitung
der Kanüle zu überzeugen. Aspirierter Liquor ist in Die Höhe der Ausbreitung einer Spinalanästhe-
der mit Lokalanästhetikum gefüllten Spritze an ei- sie lässt sich nicht genau vorhersagen. Sie ist
ner Schlierenbildung erkennbar. z. B. von folgenden Faktoren abhängig:
2.4  Verschiedene Formen 173

● Volumen des injizierten Lokalanästheti- Komplikationen


kums ● „postspinaler Kopfschmerz“:

● spezifisches Gewicht des Lokalanästheti- Durch das in die Dura gestochene Loch kann
kums (hyper- oder isobar) Liquor aus dem Spinalraum in den Peridu-
● Lagerung des Patienten bei und nach der In- ralraum abfließen. Durch diesen Liquorver-
jektion lust kann es evtl. zu geringfügigen Verlage-
● Höhe des Punktionsortes rungen des Gehirns und des Rückenmarks
mit Zug an den Hirnhäuten kommen. Da-
Angestrebt wird meist eine Ausbreitung der durch können starke, meist Analgetika-un-
Analgesie bis ungefähr Nabelhöhe (= Th10; vgl. empfindliche Kopfschmerzen auftreten. Je
Abb. 2-19). höher der Liquordruck, desto mehr Liquor
Die Wirkung der Spinalanästhesie beginnt fast wird abfließen und desto stärker wird der
unmittelbar. Die dünnen Sympathikusfasern Kopfschmerz sein. Beim stehenden Patien-
(→ S. 160) werden als Erstes blockiert. Da sie ten ist der Liquordruck im Bereich der Punk-
unter anderem für den Gefäßtonus verantwort- tionsstelle besonders hoch. Hierdurch ist ein
lich sind, kommt es durch ihre Ausschaltung zu manchmal starker Kopfschmerz zu erklären,
einer Vasodilatation, zu einer Rötung und ei- der auftritt, sobald sich der Patient erhebt.
nem Wärmegefühl in der betreffenden Region. Durch prophylaktisches Flachliegen wäh-
Oft geben die Patienten noch während der In- rend der ersten 24 Stunden nach einer Spi-
jektion ein beginnendes Wärmegefühl in den nalanästhesie können postspinale Kopf-
Beinen an. schmerzen allerdings nicht verhindert,
sondern höchstens hinausgezögert werden.
Folge dieser Vasodilatation ist meist ein Blutdruck- Die Häufigkeit eines postspinalen Kopf-
! abfall, der sehr schnell auftreten und unter Um- schmerzes soll bei jungen Patienten höher
ständen bedrohlich sein kann. Je höher die Spi- sein als bei älteren. Durch Verwendung einer
nalanästhesie aufsteigt, desto stärker ist der Blut- möglichst dünnen Spinalkanüle (z. B. 24, 25,
druckabfall. Es können deshalb bereits vor (!) An- 26 oder 27 G) oder einer sog. Whitacre- oder
lage einer Spinalanästhesie ungefähr 500 ml Flüs- Sprotte-Kanüle (spitz zulaufende Kanüle mit
sigkeit infundiert werden. seitlichem Loch; bleistiftspitzenartige Kanü-
lenspitze; Pencil-Point-Kanüle) kann die
Austesten der Ausbreitung Häufigkeit postspinaler Kopfschmerzen ver-
Hierzu eignet sich am besten ein Eiswürfel oder mindert werden. Im Falle eines therapieresis­
ein alkoholgetränkter Tupfer bzw. ein Desinfek- tenten, länger als 4–5 Tage anhaltenden,
tionsspray. Die Patienten empfinden im betäub- schweren postspinalen Kopfschmerzes sollte
ten Gebiet keine Kälte mehr. Bei Ausbreitung als Therapie ein sog. periduraler Blut-Patch
der Spinalanästhesie z. B. bis zum Nabel (= (Blutplombe) durchgeführt werden. Hierzu
Th10; Abb. 2-19) empfinden die Patienten ober- werden dem Patienten unter sterilen Bedin-
halb des Nabels einen normalen Kältereiz, im gungen ca. 10 ml Eigenblut abgenommen.
betäubten Gebiet unterhalb des Nabels geben Im Wirbelzwischenraum der ursprünglichen
sie eher ein Wärmegefühl bei Berührung mit Spinalpunktion (bzw. ein Segment darüber
dem Kältereiz an. Das Austesten der Spinalan- oder darunter) wird mit der Periduraltech-
ästhesie durch Schmerzreize wie Kneifen, Na- nik (vgl. S. 177) der Periduralraum aufge-
delstiche und Ähnliches sollte möglichst ver- sucht und das Eigenblut injiziert. Das Blut
mieden werden. gerinnt und verschließt damit das Loch in
der Dura. Zumeist stellt sich innerhalb einer
Indikationen Stunde eine sehr schnelle Besserung der
● Operationen an der unteren Körperhälfte Symptomatik ein.
174 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Abb. 2-19  Dermatome (Höhe Brustwarze: Th4 [die Brustwarze gehört noch zu Th5]; Nabel: Th10; Leiste: L1)
2.4  Verschiedene Formen 175

● Blutdruckabfall: Kontraindikationen
Er ist durch die schnell einsetzende Sympa- ● Ablehnung durch den Patienten

thikusblockade bedingt. Insbesondere bei ● Allergie gegen Lokalanästhetika

Patienten mit Koronar- oder Zerebralsklero- ● lokale Infektionen in Nähe der Punktions-

se, bei denen nur eine geringe Toleranz ge- stelle


genüber Blutdruckabfällen besteht, muss ein ● systemische bakterielle Infektionen (Sepsis)

stärkerer Blutdruckabfall unbedingt vermie- ● ZNS-Erkrankungen

den werden (Volumengabe, evtl. Akrinor- ● Volumenmangel (z. B. Schock)

Gabe). ● Gerinnungsstörungen (Einnahme gerin-


● Hirnnervenstörungen: nungshemmender Medikamente? → S. 162;
Durch den Liquorverlust kann es zu gering- Quick-Wert bzw. INR? PTT? Thrombozy-
fügigen Verlagerungen des ZNS und damit ten?)
zu Zug an Hirnnerven, insbesondere am VI. ● Verdacht auf erhöhten intrakraniellen
Hirnnerv (Nervus abducens), mit vorüber- Druck
gehenden Sehstörungen (Doppelbildern) ● evtl. anatomische Veränderungen der Len-

kommen. denwirbelsäule
● Rückenmarksverletzungen: ● nicht kooperativer Patient

bei zu hoher Punktion ● Kopfschmerzanamnese (z. B. Migräne)

● „hohe Spinalanästhesie“: ● evtl. Jugendliche aufgrund der häufigeren

Bei zu hohem Aufsteigen der Spinalanästhe- postspinalen Kopfschmerzen


sie kann es zur Hemmung der interkostalen
Atemmuskulatur, zur Hemmung des Herz- Therapie eines übermäßigen Blutdruckabfalls
sympathikus mit Bradykardie und zu einem Zur Therapie eines übermäßigen Blutdruckab-
ausgeprägten Blutdruckabfall kommen. falls nach Anlegen einer Spinalanästhesie eig-
● bakterielle Infektion mit Meningitis bei un- nen sich folgende Maßnahmen:
sterilem Arbeiten ● Infusion beschleunigen bzw. Austausch gegen

● peridurales Hämatom: einen Plasmaexpander (z. B. HES; → S. 135)


Nach einem oft unvermeidbaren Durchste- ● Vasopressorgabe (z. B. Akrinor ; → S. 117)

chen eines der zahlreichen venösen Gefäße ● Beine hochlagern (= Autotransfusion)

des Periduralraums kann es bei bestehenden ● Sauerstoffgabe

Gerinnungsstörungen zur Ausbildung eines


Hämatoms im Periduralraum kommen. Im Nach spätestens 10 Minuten sind normalerwei-
Extremfall kann es hierdurch zur Kompres- se alle Empfindungsqualitäten einschließlich
sion des Rückenmarks bis hin zur Quer- der Motorik vollständig ausgeschaltet, und die
schnittssymptomatik kommen. Deshalb ist Spinalanästhesie breitet sich nicht mehr weiter
eine vorherige Kontrolle der Blutgerinnung aus. Steigt die Sympathikusblockade über das
(Einnahme gerinnungshemmender Medika- Brustwarzenniveau (= Th4; vgl. Abb. 2-19), so
mente? → S. 161; Quick-Wert bzw. INR, kann es zu einer Blockierung der aus diesen
PTT, Thrombozyten) sinnvoll. Eine genaue Segmenten kommenden sympathischen Fasern
Anamnese bezüglich evtl. Gerinnungsstö- des Herzens kommen; das heißt, die parasym-
rungen ist zwingend notwendig. pathische (Vagus-)Wirkung auf das Herz über-
● Sonstiges: wiegt und es tritt eine Bradykardie auf. Der ein-
– z. B. eine vasovagale Synkope beim Anle- tretende Frequenzabfall kann z. B. mit Atropin
gen der Spinalanästhesie (0,25–0,5 mg i. v.) oder Orciprenalin (Alupent,
– vorübergehender Harnverhalt 1 Amp. = 1 ml = 0,5 mg; 1 Amp. auf 10 ml ver-
dünnen; 1 ml entspricht dann 0,05 mg; Dosie-
rung: 0,1 mg i. v.) therapiert werden.
176 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Katheterspinalanästhesie Falls bei Punktion im Bereich von L3/L4 den-


noch eine versehentliche Durapunktion auftre-
Es stehen sehr dünne (28–32 G) und gewebe- ten sollte, ist nun keine Rückenmarksverletzung
freundliche Spinalkatheter zur Verfügung. Die- zu befürchten, da das Rückenmark normaler-
se werden durch die liegende Spinalkanüle ca. weise oberhalb davon (bei L1/L2) endet (→ S.
3–4 cm in den Liquorraum eingeführt. Hiermit 168). Wird dagegen eine thorakale PDA vorge-
ist aufgrund der Möglichkeit zur Nachinjekti- nommen, so verlangt dies größte Vorsicht und
on eine kontinuierliche Spinalanästhesie mög- Erfahrung. Wird der Periduralraum nicht er-
lich. Da das Lokalanästhetikum hierbei in meh- fasst und die Periduralkanüle weiter vorgescho-
reren kleinen Portionen (= fraktioniert) verab- ben, so droht eine Rückenmarksverletzung (!).
reicht werden kann, können Blutdruckabfälle Die PDA ist im Vergleich zur Spinalanästhesie
weitgehend verhindert werden. Dadurch kann technisch wesentlich schwieriger. Korrekt
das gewünschte sensible Niveau sehr genau ein- durchgeführt hat sie jedoch zahlreiche Vorteile.
gestellt werden. Bei längerer Liegedauer ist je-
doch die Gefahr einer Liquorinfektion zu be- Material
denken. Eine Katheterspinalanästhesie wird nur ● sterile Handschuhe, Mundschutz und Kopf-

selten durchgeführt. haube, steriler Kittel


● Desinfektionslösung

● Ampulle mit 10 ml NaCl 0,9 %

Periduralanästhesie ● Periduralkatheter, Partikelfilter und Adapter

(→ S. 179)
Unter einer Periduralanästhesie (= PDA) wird das ● Lokalanästhetikum für die lokale Betäubung

Einbringen eines Lokalanästhetikums in den Peri- der Punktionsstelle, z. B. 1 Ampulle mit 5 ml
duralraum zur Schmerzausschaltung verstanden. Lidocain 1 %
● Lokalanästhetikum für die Periduralanäs-

thesie, z. B. 1 Ampulle mit 20 ml Ropivacain


Anatomie 0,5 %
Nach Durchstechen der Haut, des subkutanen ● Periduralset, das meist alle weiteren Utensili-

Fettgewebes, des Ligamentum supraspinale und en enthält:


des Ligamentum interspinale trifft die Kanüle auf – Gefäß für die Desinfektionslösung
das Ligamentum flavum (= gelbes Band; Abb. – sterile Tupfer und Kompressen
2-9). Direkt nach diesem derben, festen Band – Stieltupfer
kommt der lockere Periduralraum. Der Peridu- – steriles Lochtuch
ralraum enthält zartes Fett- und Bindegewebe so- – 2-ml-Spritze für die Lokalanästhesie
wie Venengeflechte. Im Bereich von L3/L4 ist der – leichtgängige 10-ml-(PDA-)Spritze zum
Periduralraum ca. 4–5 mm breit. Danach kommt „Aufsuchen“ des Periduralraumes mittels
die Dura und dann der Spinalraum (vgl. Abb. Widerstandsverlustmethode (→ S. 178)
2-9). Dieser schmale Periduralraum muss mit der ● Stahlkanülen zum Aufziehen der Medika-

Kanülenspitze blind aufgefunden werden! mente und zur lokalen Betäubung


● spezielle Periduralkanüle (= Tuohy-Kanüle;

Bei einer korrekt durchgeführten Periduralanäs- Abb. 2-20; sprich: Tuhi-Kanüle)


! thesie wird die Kanülenspitze nur bis in den Peri- ● steriles Verbandsmaterial für die Punktions-
duralraum vorgeschoben, die Dura wird also nicht stelle und Pflaster zur Fixierung des PDA-
verletzt. Deshalb kann eine PDA theoretisch auf Katheters
jeder Höhe der Wirbelsäule durchgeführt werden.
Im Normalfall wird jedoch wie bei einer Spinalan-
ästhesie bei L3/L4 punktiert.
2.4  Verschiedene Formen 177

Abb. 2-20  Periduralkanüle


(Tuohy-Kanüle)

Technik
Am sitzenden oder liegenden Patienten. Der
Patient muss einen „Katzenbuckel“ machen
(vgl. Abb. 2-10 und 2-11).

Vorgehen
● Aufsuchen und Markieren der üblichen

Punktionsstelle bei L3/L4 (vgl. Abb. 2-12)


● Desinfektion der Punktionsstelle

● Aufkleben des sterilen Lochtuches

● lokale Betäubung der Haut und der tieferen

Bandstrukturen (vgl. Abb. 2-13)

Nun wird die Periduralkanüle (= Tuohy-Kanü-


le; Abb. 2-20) bis ins Ligamentum interspinale
(vgl. Abb. 2-21) vorgeschoben. Der Anschliff Abb. 2-21  Einstechen der Periduralkanüle
der Tuohy-Kanüle sollte (bei Punktion im Lum-
balbereich) nach lateral zeigen. So werden, falls
es versehentlich zu einer Duraperforation kom-
men sollte, die von kranial nach kaudal verlau-
fenden Bindegewebsfasern der Dura nicht
durchtrennt, sondern nur auseinandergedrängt.
(Manche Anästhesisten punktieren allerdings
mit nach kranial zeigendem Kanülenschliff.)
Nach Entfernen des Mandrins wird auf die Tuo­
hy-Kanüle eine spezielle, besonders leichtgän-
gige PDA-Spritze aufgesetzt, die mit NaCl 0,9 %
gefüllt ist. Mit der rechten Hand wird auf die
NaCl-gefüllte Spritze ein Stempeldruck ausge-
übt. Die linke Hand wird am Rücken abgestützt
und hält die Tuohy-Kanüle fest, damit bei plötz-
lichen Bewegungen des Patienten die Kanüle
nicht unkontrolliert vordringen kann (vgl. Abb.
2-22). Mit der linken Hand wird die Tuohy-Ka-
nüle langsam Millimeter um Millimeter vorge- Abb. 2-22  Aufsuchen des Widerstandsverlustes. Vor-
schoben. schieben der Kanüle unter Stempeldruck.
178 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Abb. 2-23  Einführen des Peridural­


katheters in die Periduralkanüle

Abb. 2-24  Richtig platzierter Periduralkatheter

Abb. 2-25  Einführen des Periduralkatheters über die


Tuohy-Kanüle in den Periduralraum. Der Periduralraum
Das Wesentliche beim Vorschieben der Tuohy-Ka- ist durch die zuvor injizierte Kochsalzlösung aufgedehnt.
! nüle ist es, den Moment zu erfassen, in dem die
Kanülenspitze den Periduralraum erreicht. Es wird
hierzu normalerweise die sog. „Widerstands- Solange sich die Kanülenspitze in dem derben,
verlustmethode“ verwendet, bei der die Kanüle festen Ligamentum flavum befindet, besteht ein
mit der aufgesetzten Spritze unter Stempeldruck hoher Injektionswiderstand. Es lässt sich keine
langsam Millimeter um Millimeter vorgeschoben Kochsalzlösung injizieren. In dem Moment, in
wird. dem die Kanülenspitze beim langsamen Vor-
2.4  Verschiedene Formen 179

schieben aus dem Ligamentum flavum in den Medikamente


lockeren Periduralraum eintritt, ist plötzlich ● ca. 15 ml Bupivacain 0,5 % für Operationen

dieser hohe Injektionswiderstand verschwun- bei 20-Jährigen


den. Das Kochsalz lässt sich leicht injizieren ● ca. 15 ml Ropivacain 0,75 bzw. 1 % für Ope-

und dehnt den Periduralraum auf. Die Kanüle rationen bei 20-Jährigen
darf nicht weiter vorgeschoben werden. Die ● ca. 15 ml Levobupivacain 0,5–0,75 % für

Tuohy-Kanüle wird um 90 Grad gedreht, sodass Operationen bei 20-Jährigen


der Schliff nach kranial zeigt. (Wurde allerdings ● ca. 15 ml Prilocain 2 % für Operationen bei

mit bereits nach kranial zeigendem Kanü- 20-Jährigen


lenschliff punktiert, dann entfällt diese Kanü- ● ca. 15 ml Bupivacain 0,25 % bzw. ca. 15 ml

lendrehung.) Nun kann durch die Tuohy-Kanü- Ropivacain 0,2 % ausschließlich zur Schmerz-
le der Periduralkatheter vorsichtig eingeführt therapie oder zur Verbesserung der Durch-
werden (vgl. Abb. 2-23, 2-24 und 2-25). Über blutung
den Katheter sind später wiederholt Nachinjek- ● Lidocain 1–2 %

tionen möglich. Die Katheterspitze sollte ca. ● Mepivacain 1,5–2 %

3–5 cm tief im Periduralraum liegen. Nach Plat-


zieren des Katheters wird die Tuohy-Kanüle Bei chronischen Schmerzzuständen wird häu-
über den Katheter herausgezogen und auf das figer der PDA-Katheter 2- bis 3-mal pro Tag mit
Katheterende wird ein Adapter sowie ein Parti- 2–4 mg Morphin (Verdünnung mit NaCl 0,9 %
kelfilter geschraubt. auf 10 ml) bedient. Die Blockierung der Schmer-
zen erfolgt hierbei durch die Bindung des
Treten Probleme auf (z. B. Blut oder Liquor im Ka- Morphins an Opioidrezeptoren im Bereich des
! theter), so darf niemals der Katheter durch die Rückenmarks (→ S. 57). Im Rahmen der peri-
liegende Kanüle wieder herausgezogen werden, operativen Schmerztherapie wird häufiger auch
da hierbei ein Abscheren des Katheters mit Ver- ein Lokalanästhetikum in Kombination mit ei-
bleib der Katheterspitze im Periduralraum droht nem Opioid (z. B. 10–15 µg Sufentanil epidural;
(!!). Es muss also immer zuerst die Kanüle und da- meist 0,5–1 µg Sufentanil pro ml Lokalanästheti-
nach evtl. der Katheter entfernt werden. Zum Aus- kum) über den PDA-Katheter verabreicht. Im
schluss einer intraspinalen oder intravasalen Lage Rahmen der perioperativen Schmerztherapie ist
der Katheterspitze wird aspiriert. Kann kein Liquor nur die rückenmarksnahe Gabe der Opioide
oder Blut aspiriert werden, so wird eine „Testdo- Sufentanil und Morphin offiziell zugelassen.
sis“ von ca. 3 ml Lokalanästhetikum gespritzt.
Bei der periduralen Gabe von Opioiden kann es
Liegt der Katheter dennoch im Spinalraum, so ! jedoch sehr selten zu einer Atemdepression kom-
treten sehr schnell die Zeichen einer Spinalan- men, die u. U. erst 6–16 Stunden nach Opioidin-
ästhesie auf (→ S. 172). Liegt der Katheter kor- jektion auftreten kann (!).
rekt, so wird sich das Empfinden an den unte-
ren Extremitäten innerhalb von 5 Minuten Dies ist dann der Fall, wenn das in den Liquor-
kaum verändern. Erst jetzt darf die Hauptdosis raum diffundierte Opioid über die Liquorzirku-
von z. B. 12 ml (→ unten) gespritzt werden. Es lation bis in den Hirnstamm zum Atemzentrum
empfiehlt sich stets, das Lokalanästhetikum mittransportiert wurde. Diese Gefahr ist bei
über den Periduralkatheter in mehreren Teil- dem gut wasserlöslichen Morphin größer (da es
portionen (= fraktioniert) zu injizieren. Bis zur längere Zeit im wässrigen Liquor verbleibt) als
vollständigen Ausbreitung der PDA vergehen bei dem fettlöslichen Sufentanil. Neben dieser
meist ca. 20 Minuten. „verzögerten“ Atemdepression kann es evtl.
innerhalb der ersten 60 Minuten nach Applika-
tion zu einer „frühen“ Atemdepression kom-
180 2  Lokal- und Regionalanästhesie

men. Diese ist durch eine schnelle systemische Der Karzinompatient kann also mit seinem
Resorption bedingt und bei dem gut fettlösli- „Schmerzkatheter“ noch die Beine bewegen,
chen Opioid Sufentanil eher gegeben. die Gebärende kann die Geburt trotz des
„Schmerzkatheters“ noch auf Aufforderung
Ausbreitung durch eine aktive Bauchpresse unterstützen.
Die Ausbreitung der PDA hängt vor allem vom Vo- Auch bei arteriosklerotischen Durchblutungs-
! lumen des injizierten Lokalanästhetikums ab. Je störungen oder z. B. nach einer Gefäßoperation
mehr Lokalanästhetikum injiziert wurde, desto kann durch peridural verabreichte niederpro-
höher wird die Betäubung nach kranial steigen. zentige Lokalanästhetika eine Sympathikus-
blockade mit einer Verbesserung der Durchblu-
Meistens wird ein Aufsteigen der PDA bis unge- tung und eine Analgesie erzielt werden, während
fähr Nabelhöhe, also bis zu Th10 (vgl. Abb. die Motorik erhalten bleibt.
2-19), angestrebt. Es müssen also die Segmente
Th10–Th12, L1–L5 sowie meistens S1 und S2 Durch eine Sympathikusblockade kommt es auch
(also 10 Segmente) betäubt werden. Bei 20-Jäh- ! zur Stimulierung der Darmtätigkeit.
rigen werden ca. 1,5 ml Lokalanästhetikum be-
nötigt, um ein Segment auszuschalten, insge- Der Darm wird sowohl vom Sympathikus als
samt also ca. 15 ml. Mit zunehmendem Alter auch vom Parasympathikus beeinflusst. Der Pa-
genügt ein immer geringeres Volumen, um die rasympathikus stimuliert, der Sympathikus
gleiche Ausbreitung der PDA nach kranial zu hemmt die Darmtätigkeit. Wird der Sympathi-
erreichen; bei 40-Jährigen werden ca. 1,2 ml, bei kus durch eine PDA blockiert, so überwiegt
60-Jährigen ca. 1 ml und bei 80-Jährigen ca. 0,7 nun der stimulierende Effekt des Parasympathi-
ml pro auszuschaltendem Segment benötigt. kus. Dies kann bei Patienten mit einem post-
Der den Außenknöchel mitversorgende Nerv operativen Ileus (z. B. nach großen Bauchopera-
(S1; Abb. 2-19) ist der dickste Nerv des Plexus tionen) ausgenützt werden. Wird hier zur
lumbosacralis, und häufig vermag bei der PDA Stimulierung der Darmtätigkeit eine PDA ange-
das Lokalanästhetikum diesen Nerv nicht voll- legt, so reicht ebenfalls das 0,25%ige Bupivacain
ständig zu durchdringen. Deshalb kann bei der oder das 0,2%ige Ropivacain aus. Wird bei ei-
PDA im Bereich des Außenknöchels eine fleck- nem Patienten mit einem akuten Ileus ein stär-
förmige Schmerzempfindlichkeit erhalten blei- kerer intravasaler Volumenmangel vermutet, so
ben. Dies kann insbesondere bei einer Außen- stellt dies jedoch in der Regel eine relative Kon-
bandnaht am oberen Sprunggelenk manchmal traindikation für eine Periduralanästhesie dar
Probleme bereiten. (es würde ein stärkerer Blutdruckabfall dro-
Bei Verwendung von niederprozentigen Lösun- hen).
gen, z. B. Bupivacain 0,25 % oder Ropivacain
0,2 %, werden nur die dünnen Nervenfasern, Durch hochprozentige Lokalanästhetikalö-
also die sympathischen Fasern sowie die für das ! sungen, z. B. Bupivacain 0,5 % oder Ropivacain
Wärme-Kälte-Empfinden und die für die 0,75 bzw. 1,0 %, werden auch die dickeren Fasern,
Schmerzleitung zuständigen Fasern, ausge- also das Druck- und Berührungsempfinden sowie
schaltet (→ S. 160). die motorischen Nerven, blockiert.

Bei Schmerzzuständen (z. B. Karzinomschmerzen Für Operationen müssen daher hochprozentige


! oder während der Geburt) kann mit einem nie- Lösungen verwendet werden, um auch eine
derprozentigen Lokalanästhetikum gezielt ei- Muskelerschlaffung zu erzielen.
ne Schmerzausschaltung erreicht werden, wäh-
rend die Motorik (dicke Nervenfasern) noch erhal-
ten ist.
2.4  Verschiedene Formen 181

Austesten der Ausbreitung ● peridurales Hämatom


● mit einem alkoholgetränkten Tupfer oder ei- bei Gerinnungsstörungen und Verletzung
nem Eiswürfel (→ S. 173) einer Vene im Periduralraum (→ S. 175). Im
Extremfall kann dies zur Kompression des
Indikationen Rückenmarks und zur Querschnittssympto-
● Operationen vor allem an der unteren Kör- matik führen. Gerinnungskontrolle! Stets
perhälfte postoperative Überwachung, ob sich Sensi-
● zur ausschließlichen Schmerzbekämpfung bilität und Motorik wieder einstellen!
(Schmerzkatheter, z. B. zur schmerzarmen ● Rückenmarksverletzungen

vaginalen Entbindung) bei versehentlicher Duraperforation und


● zur Verbesserung der Durchblutung (bei Punktion oberhalb von L3 (vgl. Abb. 2-8)
Durchblutungsstörungen der Beine oder ● Sonstiges

nach Gefäßoperationen an den Beinen) z. B. Kollabieren des Patienten beim Legen
● Stimulierung der Darmtätigkeit bei Patien- der PDA
ten mit einem chronischen Ileus (z. B. nach
großen bauchchirurgischen Operationen) Kontraindikationen
Die für eine PDA geltenden Kontraindikatio-
Komplikationen nen entsprechen weitgehend denen für die Spi-
● Blutdruckabfall nalanästhesie (→ S. 175). Jugendliche Patienten
durch die Sympathikusblockade bei Injekti- sowie eine Kopfschmerzanamnese sind jedoch
on eines Lokalanästhetikums. Wird über den keine Kontraindikationen der PDA, da es bei
PDA-Katheter lediglich ein Opioid wie korrekter Durchführung zu keinem „postspina-
Sufentanil oder Morphin gespritzt, so tritt len Kopfschmerz“ kommen kann.
keine Sympathikusblockade und damit auch
kein Blutdruckabfall auf. Therapie eines übermäßigen Blutdruckabfalls
● bakterielle Infektion ● Infusion beschleunigen bzw. Austausch ge-

bei nicht aseptischem Vorgehen gen einen Plasmaexpander (z. B. HES; → S.
● versehentliche Duraperforation 135)
meist von starken postspinalen Kopfschmer- ● Vasopressorgabe (z. B. Akrinor )

zen gefolgt (→ S. 173) ● Beine hochlagern (= Autotransfusion)

● Katheterabscherung ● Sauerstoffgabe

bei dem streng verbotenen Zurückziehen des


Katheters durch die liegende Kanüle Da die Wirkung der PDA wesentlich langsamer
● versehentliche intravenöse Katheterlage einsetzt als bei der Spinalanästhesie, tritt auch
mit toxischen Nebenwirkungen bei intrave- der Blutdruckabfall hierbei sehr langsam ein
nöser Injektion des Lokalanästhetikums. Um und kann normalerweise problemlos abgefan-
eine intravasale Katheterlage weitgehend gen werden. Trotzdem sollten bereits vor Be-
ausschließen zu können, wird von manchen ginn der PDA ca. 500 ml Flüssigkeit infundiert
Anästhesisten eine adrenalinhaltige Testdo- werden.
sis verwendet. Bei intravasaler Injektion die-
ser Testdosis kommt es zumeist zu erkenn-
barer Tachykardie und Blutdrucksteigerung. Thorakale PDA
● zu hohe PDA

durch zu hohes Aufsteigen des Lokalanäs- Eine thorakale PDA (= PDA im Bereich der Brust-
thetikums aufgrund einer Überdosierung ! wirbelsäule) kann z. B. bei thorakalen Opera­
oder aufgrund einer sehr schnellen Injekti- tionen, großen Bauchoperationen oder nach
on Rippenserienfrakturen angelegt werden, damit
182 2  Lokal- und Regionalanästhesie

diese pneumoniegefährdeten Patienten postope- anästhesie durchgeführt. Da nur noch die zarte
rativ gut durchatmen und schmerzarm abhusten Dura mater perforiert zu werden braucht, kann
können. eine extrem dünne Spinalkanüle verwendet
werden, wodurch das Risiko postspinaler Kopf-
Hierbei sollte die Katheterspitze ungefähr in der schmerzen deutlich vermindert ist. Anschlie-
Mitte der auszuschaltenden Segmente liegen. ßend wird ein Periduralkatheter in den Peridu-
Bei einer thorakalen PDA muss wegen des Ver- ralraum eingeführt.
laufs der Wirbelkörperdornfortsätze relativ steil Die CSE verbindet die Vorteile der Spinalanäs-
nach kranial gestochen werden. thesie (schneller Wirkungsbeginn, gute motori-
sche Blockade) mit den Vorteilen der Katheter-
Eine thorakale PDA ist nur dem erfahrenen Anäs- periduralanästhesie (Möglichkeit der Nach­
! thesisten vorbehalten. Bei einer versehentlichen injektion). Entscheidender Nachteil der CSE ist,
Duraperforation droht eine Rückenmarksverlet- dass der Periduralkatheter (nach Anlage der
zung (!). Spinalanästhesie) nicht mehr ausgetestet wer-
den kann. Es ist daher eine besonders vorsich­
Als Medikament für eine thorakale PDA zur tige Dosistitration über den PDA-Katheter
Schmerztherapie eignet sich z. B. Bupivacain wichtig, um eine evtl. intraspinale Lage den-
0,25 % oder Ropivacain 0,2 %. Empfohlen wer- noch erfassen zu können.
den ca. 0,5 ml pro auszuschaltendem Segment. Wird eine spezielle (doppellumige) CSE-Kanüle
Der thorakale PDA-Katheter kann auch mit ei- verwendet, dann kann zuerst der PDA-Katheter
ner Mischung aus niederprozentigem Lokalan- gelegt und darüber eine Testdosis gespritzt wer-
ästhetikum (z. B. 0,2%iges Ropivacain) plus den. Anschließend wird über das zweite Kanü-
0,5–1 µg Sufentanil/ml „angespritzt“ werden. Es lenlumen die Spinalpunktion vorgenommen.
können auch 2- bis 3-mal pro Tag 2–3 mg Mor- Hierbei muss aber die CSE-Kanüle so lange be-
phin injiziert werden. Es ist wiederum auf eine lassen werden, bis die Periduralanästhesie aus-
„frühe“ oder eine unter Umständen erst nach getestet ist. Während dieser Zeit muss der Pati-
Stunden eintretende „verzögerte“ Atemdepres- ent sehr ruhig in seiner Position verharren.
sion zu achten (→ S. 179). Der Vorteil einer Insgesamt ist die CSE noch nicht sehr weit ver-
Opioidgabe ist, dass es zu keinem Blutdruckab- breitet.
fall und zu keiner Bradykardie wie nach Ver-
wendung eines Lokalanästhetikums kommt, da
weder der Gefäß- noch der Herzsympathikus 2.4.3 Intravenöse
ausgeschaltet werden. Es wird eine reine Anal- Regionalanästhesie
gesie erzielt.
Die intravenöse Regionalanästhesie (= IVRA)
wurde bereits 1908 von dem Kieler Chirurgen
Kombinierte Spinal- August Bier beschrieben (= Bier’s block).
und Periduralanästhesie
In den letzten Jahren wird häufiger eine kombi- Vorgehen
nierte Spinal- und Periduralanästhesie (= com-
bined spinal and epidural analgesie = CSE) Am Oberarm, Oberschenkel oder evtl. am Un-
empfohlen. Hierbei wird mit einer Periduralka- terschenkel wird eine spezielle, 2-kammerige
nüle der Periduralraum aufgesucht (→ S. 177). Blutdruckmanschette um die mit Watteband
Danach wird über die liegende PDA-Kanüle mit abgepolsterte Extremität gelegt. Es ist auf die
einer sehr dünnen Spinalkanüle vollends bis in richtige Platzierung der Manschette zu achten.
den Spinalraum vorgestochen und eine Spinal- Die als proximal (= körpernah) und distal
2.4  Verschiedene Formen 183

(= körperfern) bezeichneten Manschettenkam- treten. Eine Blutstillung und ein Wundverschluss


mern müssen korrekt zum Liegen kommen. nach Öffnen der Blutleere sind nicht mehr mög-
Nach Anlage einer periphervenösen Verweilka- lich. Die Operation muss also in Blutleere abge-
nüle an der Hand bzw. am Fuß (sowie Platzie- schlossen werden. Da beispielsweise bei einer
rung einer zweiten Kanüle an dem nicht zu ope- Dupuytren-Operation erst nach Öffnen der
rierenden Arm für die Infusionstherapie) wird Blutsperre die relativ langwierige Blutstillung
die Extremität von peripher nach zentral mit möglich ist, kann diese relativ häufig vorge-
einer elastischen Gummibinde (Esmarch-Bin- nommene Operation nicht in intravenöser Re-
de) ausgewickelt, um das Gefäßsystem blutleer gionalanästhesie durchgeführt werden.
zu machen. Ist verletzungs- bzw. schmerzbe-
dingt ein Auswickeln der Extremität nicht mög- Das entscheidende Risiko einer intravenösen Re-
lich, so ist die Extremität für ca. 5 Minuten le- ! gionalanästhesie besteht darin, dass bei einem
diglich nach oben zu halten und vorsichtig verfrühten Öffnen der Manschette das sich noch
auszustreichen, um eine Blutarmut zu erzielen. intravasal befindliche Lokalanästhetikum plötzlich
Nun wird die proximal gelegene Manschette auf in die systemische Zirkulation eingeschwemmt
ca. 100–150 mm Hg über den systolischen arte- wird und es möglicherweise zu toxischen Neben-
riellen Blutdruck aufgepumpt. Anschließend wirkungen der Lokalanästhetika kommt. Daher
wird die elastische Binde wieder entfernt und darf die Manschette frühestens nach 20–30 Mi-
das blutleere Gefäßsystem über den venösen nuten abgelassen werden, wenn bereits der Groß-
Zugang mit Lokalanästhetikum gefüllt. Die teil des Lokalanästhetikums ins Gewebe abdiffun-
Wirkung ist wohl dadurch zu erklären, dass das diert ist.
Lokalanästhetikum aus dem Gefäßsystem ins
umgebende Gewebe diffundiert und die dort Bei Verwendung moderner Geräte wird die Ge-
gelegenen peripheren Nervenendigungen blo­ fahr eines ungewollten Druckverlustes in der
ckiert. Die Wirkung ist also einer Infiltrations- Manschette mit Einschwemmung des Lokalan-
anästhesie ähnlich. Es verbleiben lediglich 25– ästhetikums weitgehend ausgeschlossen. Mo-
30 % des Lokalanästhetikums im entleerten derne Geräte werden an die zentrale Druckluft-
Gefäßbett. Der Rest diffundiert ins Gewebe. leitung angeschlossen. Sie pumpen bei einer
evtl. Undichtigkeit automatisch nach und hal-
Mit diesem Verfahren kann eine erfolgssichere ten so den eingestellten Manschettendruck
! und schnell (innerhalb von 5–10 Minuten) einset- konstant. Es empfiehlt sich am Ende der Opera-
zende Anästhesie erzielt werden. Die Operations- tion stets ein intermittierendes Öffnen der Blut-
zeit sollte ca. 90 Minuten möglichst nicht über- sperre durch kurzfristiges Ablassen des Drucks
schreiten. und ein anschließend erneutes Blocken auf den
suprasystolischen Ausgangswert (ca. 10-Sekun-
Falls nach einiger Zeit ein Druckgefühl im den-Intervalle). Moderne Geräte verfügen hier-
Manschettenbereich auftritt, kann nun die dis­ für über einen speziellen Ablassknopf. Wird
tale Manschette ebenfalls geblockt werden. Da dieser gedrückt, entleert sich die Manschette;
sich diese im nun bereits anästhesierten Bereich wird er losgelassen, wird automatisch wieder
befindet, wird sie besser toleriert. Von der pro- der Ausgangsdruck hergestellt. Wird der Druck
ximalen Manschette kann dann der Druck ab- dagegen langsam abgelassen, so droht bei
gelassen werden. Druckabfall unter den systolischen Druck ein
Nachteile des Verfahrens sind, dass nach Öff- arterieller Bluteinstrom bei noch gedrosseltem
nen der Blutleere und wieder einsetzender venösem Abfluss. Dadurch können Nachblu-
Durchblutung Motorik und Sensibilität inner- tungen im Operationsgebiet begünstigt wer-
halb von 5–10 Minuten zurückkehren und da- den.
mit sehr schnell postoperative Schmerzen auf-
184 2  Lokal- und Regionalanästhesie

Ort Bei ca. 25–30 % der Patienten sind bei einer in-
! travenösen Regionalanästhesie Schmerzen durch
Arm die Manschette, sog. Tourniquet-Schmerzen,
zu erwarten. Sie treten bei zunehmender Dauer
Die IVRA ist z. B. bei einer Ganglienoperation, der Blutsperre häufiger auf und können evtl. zu
Metallentfernung oder geschlossenen Repositi- einem Blutdruckanstieg führen. Die Ursache des
on einer Radiusfraktur gut geeignet. Bei Anle- Tourniquet-Schmerzes ist unklar. Es handelt sich
gen einer Oberarmmanschette werden ca. 0,5– jedoch vermutlich um keinen Ischämieschmerz.
0,6 ml/kg KG Prilocain 0,5 % benötigt. Möglicherweise liegt ein nicht sicher blockiertes
Druckempfinden vor. Dieser Tourniquet-Schmerz
limitiert die Anwendungsdauer der IVRA.
Bein
Um das blutleere Gefäßsystem ausreichend mit
Die IVRA wird nur relativ selten an der unteren Lokalanästhetikum zu füllen, werden relativ
Extremität angewandt. Indikationen sind hier große Volumina benötigt. Aufgrund seiner gro-
vor allem bei Eingriffen am distalen Unter- ßen therapeutischen Breite stellt Prilocain 0,5(–
schenkel und am Fuß gegeben. Bei Anlage einer 1,0) % das Lokalanästhetikum der Wahl dar.
Unterschenkelmanschette werden ca. 0,4–0,6 Adrenalinhaltige Lokalanästhetika dürfen nicht
ml/kg KG, bei einer Oberschenkelmanschette verwendet werden. Mittel der zweiten Wahl
ca. 1 ml/kg KG an Lokalanästhetikum (norma- sind Lidocain und Mepivacain. Deren empfoh-
lerweise Prilocain 0,5 %) benötigt. lene Konzentrationen liegen zwischen 0,25 und
Bei Anwendung am Unterschenkel ist darauf zu 1 %.
achten, dass die Manschette mindestens 6 cm Insbesondere bei ambulanten Eingriffen wird
unterhalb des Fibulaköpfchens oder in der Mit- dieses Verfahren relativ häufig eingesetzt.
te des Unterschenkels platziert wird, um eine
Druckschädigung des Nervus peronaeus zu
verhindern. Die Manschette kann auch am Kontraindikationen
Oberschenkel platziert werden, was von den Pa-
tienten allerdings öfter als unangenehmer emp- ● Herzrhythmusstörungen

funden wird als eine Platzierung am Unter- (vor allem bradykarder Art oder höhergradi-
schenkel. ge Blockbilder)
Je distaler die Manschette angelegt wird, desto ● Gefäßerkrankungen

geringer ist das benötigte Volumen an Lokalan- (arterielle Durchblutungsstörungen, Throm-


ästhetikum. bophlebitiden)
● Neuropathien

● Sichelzellanämie

● Epilepsie

(keine absolute Kontraindikation)


185

3  Spezielle Narkosevorbereitungen

3.1 Zentraler Venenkatheter ● parenterale Ernährung


● Zufuhr hochosmolarer und hochkalorischer
Lösungen
3.1.1 Allgemeine Bemerkungen ● Zufuhr stark venenreizender Medikamente

● Gabe von Zytostatika, Catecholaminen (→ S.



Ein zentraler Venenkatheter (= ZVK = Kavaka- 300)
 theter) ist ein über eine große Vene eingeführter ● falls das Legen eines periphervenösen Zu-
Katheter, dessen Spitze bis in die klappenfreie Ve- gangs nicht gelingt, was z. B. in Schocksitua-
na cava kurz vor deren Einmündung in den rech- tionen möglich sein kann
ten Vorhof vorgeschoben wird.

Prinzipiell kann ein Kavakatheter über die Vena 3.1.3 Material


cava inferior (Punktionsstelle: Vena femoralis)
oder über die Vena cava superior (Punktions- ● Desinfektionsspray
stellen: Vena jugularis interna, Vena jugularis ● mehrere sterile Kompressen
externa, Vena subclavia oder Armvene in der ● steriles Lochtuch
Ellenbeuge) eingeführt werden. Da der Zugang ● Kavakatheter, z. B. Cavafix Certodyn-
über die Vena cava inferior mit einer wesentlich Katheter (Fa. Braun)
höheren Komplikationsrate (aufgrund von ● sterile Handschuhe, Mundschutz, Kopfhaube
Thrombosen, Thrombophlebitiden und septi- (und steriler Kittel bei sog. Seldinger-Tech-
schen Problemen) behaftet ist, wird nur noch nik; → S. 199)
der Zugang über die Vena cava superior ge- ● Lokalanästhetikum, z. B. Lidocain 1%ig
wählt. Inzwischen werden (vor allem bei Pati- ● physiologische Kochsalzlösung
enten, die auf der Intensivstation betreut wer- ● sterile 2-ml- und 10-ml-Spritze
den) zunehmend häufiger mehrlumige zentrale (zum Aufziehen des Lokalanästhetikums
Venenkatheter (meist 2- oder 3-lumig) ver­ und der physiologischen Kochsalzlösung)
wendet. Bei diesen Kathetern kann z. B. der ● sterile Stahlkanülen
ZVD gemessen werden, während über einen (zum Aufziehen des Lokalanästhetikums,
anderen Schenkel weiterhin Medikamente (z. B. der physiologischen Kochsalzlösung, zum
Catecholamine; → S. 300) verabreicht werden Anlegen einer Lokalanästhesie sowie zur
können. evtl. Vorpunktion einer zentral gelegenen
Vene)

3.1.2 Indikationen
3.1.4 Vorbereitung
● Messung des zentralvenösen Drucks (=
ZVD) ● EKG anschließen,
● voraussichtlich blutreiche Operationen oder da beim Vorschieben des Katheters Herz-
grenzwertige Herzleistung (Beurteilung des rhythmusstörungen auftreten können
ZVD → S. 202)
186 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

● periphervenösen Zugang legen,


da während der Punktion therapiebedürftige
Komplikationen auftreten können
● sterile Handschuhe, Mundschutz und
Haube
(und steriler Kittel bei Seldinger-Technik;
→ S. 199)
● mehrmalige Desinfektion der Punktionsstel-

le
● steriles Lochtuch aufkleben

● Anlegen einer Lokalanästhesie beim wachen

Patienten
● richtige Lagerung des Patienten (→ unten)

3.1.5 Punktionsorte (vgl. Abb. 3-1)



Es wird zwischen periphervenösen (in der Ellen- Abb. 3-1 Punktionsorte für die Anlage eines zentralen
 beuge = 1) und zentralvenösen Punktionsorten Venenkatheters. 1 = Vena basilica; 2 = Vena jugularis
(Vena jugularis interna = 2, Vena jugularis externa interna; 3 = Vena jugularis externa; 4 = Vena subclavia;
= 3 und Vena subclavia = 4) unterschieden. Bei 5 = Vena cephalica.
allen Zugangswegen sollte möglichst rechtsseitig
punktiert werden, um einen kurzen intravasalen
Katheterverlauf zu erhalten.

Periphervenöse Punktion
Punktion in der Ellenbeuge (vgl. Abb. 3-2)

Lagerung
● Rückenlagerung, leicht ausgelagerter Arm

● Venenstauung mit einer Blutdruckmanschet-

te bzw. einem Stauschlauch

Vorteil
Die Punktion in der Ellenbeuge gelingt meist
leicht.

Gefahren
Das Vorschieben des Venenkatheters ist auf-
grund von Venenklappen oft erschwert. Durch
Außenrotation oder Abspreizen des Armes so-
wie Drehen des Kopfes lassen sich Hindernisse Abb. 3-2 Punktion der Vena basilica in der Ellenbeuge
beim Vorschieben oft überwinden. Die Vena zur Anlage eines zentralen Venenkatheters.
basilica, die an der Ellenbeugeninnenseite ver- (Zur besseren Detaildarstellung ist keine sterile Abdeck-
läuft (1 in Abb. 3-1), sollte stets der Vena cepha- ung dargestellt.)
3.1  Zentraler Venenkatheter 187

lica (5 in Abb. 3-1), die an der Ellenbeugenau- Zentralvenöse Punktionsorte


ßenseite verläuft, vorgezogen werden. Die Vena
cephalica sollte nur ausnahmsweise punktiert Punktion der Vena jugularis interna
werden, da sie im Bereich der Schulter fast (vgl. Abb. 3-3)
rechtwinklig in die Vena axillaris einmündet
(vgl. Abb. 3-1). Dadurch treten oft unüberwind- Normalerweise wird die rechte Vena jugularis
bare Probleme beim Vorschieben des Katheters interna punktiert. Hierzu wird mit der linken
auf. Katheterfehllagen sind bei der peripherve- Hand der Verlauf der rechten Arteria carotis
nösen Punktion häufig. Bei Armbewegungen palpiert (Abb. 3-3a). Knapp lateral davon wird
können Lageveränderungen der Katheterspit- in Höhe des Kehlkopfes punktiert. Die Stich-
ze um bis zu 15 cm (!) auftreten. Liegt der Ka- richtung ist ungefähr in Richtung der rechten
theter mehrere Tage, so drohen aufgrund des Brustwarze.
engen Venenlumens relativ schnell Thrombo- Das Risiko von Fehlpunktionen und evtl. Ver-
sen und Thrombophlebitiden der Armvenen. letzungen kann deutlich verringert werden, in-
dem für die Vena jugularis interna eine ultra-
Kontraindikationen schallgesteuerte Punktion durchgeführt wird
● entzündliche Hautveränderungen im Punk- (Abb. 3-3b). Eine ultraschallgesteuerte Punkti-
tionsbereich on scheint auch bei anatomischen Veränderun-
● voraussichtlich langfristige parenterale Er- gen (z. B. Struma, Adipositas, Zustand nach La-
nährung ryngektomie) ähnlich erfolgreich zu sein wie
bei Patienten ohne anatomische Besonderhei-
ten. Die Zahl der erfolglosen Erstpunktionen
kann dadurch sehr stark reduziert werden. Die

Abb. 3-3 Punktion der Vena jugularis interna. (Zur


besseren Detaildarstellung ist keine sterile Abdeckung
dargestellt.) a Konventionelle Punktion: Orientierung an
anatomischen Strukturen und Orientierung durch Palpa-
tion der medial der Vena jugularis interna tastbaren (pul-
sierenden) Arteria carotis. b Ultraschallgesteuerte Punk-
tion. Orientierung über die Lage der Vena jugularis mit-
b
tels Ultraschall.
188 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

ultraschallgesteuerte Punktion wird dennoch bei einer versehentlichen arteriellen Punkti-


bisher relativ selten eingesetzt. Ursachen schei- on zu einem Hämatom mit Kompression der
nen die noch geringe Verfügbarkeit entspre- Vena jugularis interna und Drosselung des
chender Geräte und die relativ zeitaufwendigen venösen Abflusses aus dem Gehirn kommt.
Vorbereitungen zu sein. Nach dem ersten oder Es empfiehlt sich z. B. die Punktion der Vena
zweiten Fehlversuch wird zum Teil ein Wechsel jugularis externa oder der Vena subclavia
auf eine ultraschallgesteuerte Punktionstech- (→ S. 189).
nik, und bei erschwerten Punktionsbedingun-
gen (z. B. Adipositas, anatomische Besonderhei- Kontraindikationen
ten) wird eine primär ultraschallgesteuerte ● Gerinnungsstörungen (Quick-Wert bzw.
Punktion empfohlen. INR? PTT? Thrombozyten? → S. 161)
● entzündliche Hautveränderungen im Punk-
Lagerung tionsbereich
Durch Oberkörpertieflage sowie durch Einstel- ● starke Schilddrüsenvergrößerung (große
len eines PEEP (→ S. 23) bei beatmeten Patien- Struma)
ten kann eine bessere Venenfüllung erzielt und ● Voroperationen im Halsbereich (z. B. neck

damit die Punktion erleichtert werden. Außer- dissection; → S. 283)


dem kann hierdurch der Gefahr einer Luftem-
bolie während der Punktion vorgebeugt wer-
den. Der Kopf des Patienten sollte etwas zur Punktion der Vena subclavia (vgl. Abb. 3-4)
Gegenseite gedreht werden. Der Katheter muss
beim Erwachsenen durchschnittlich 16–17 cm Direkt unterhalb der Mitte des Schlüsselbeines
tief eingeführt werden. (Clavicula) wird die Kanüle eingestochen und
zuerst nach kranial bis zum Knochenkontakt
Vorteile mit der Clavicula vorgeschoben. Danach wird
Die Gefahr eines Pneumo- oder Hämatothorax die Stichrichtung geändert und die Kanüle wird
ist relativ gering. Thrombosen und Thrombo- direkt unterhalb des Schlüsselbeines (direkter
phlebitiden sind eindeutig seltener als bei den Knochenkontakt) in Richtung Jugulum (Ein-
anderen Punktionsorten. kerbung direkt oberhalb des Brustbeines, des
Sternums) unter ständiger Aspiration vorge-
Nachteil schoben. Das Jugulum sollte mit dem (Zeigefin-
Die Punktion kann jedoch unter Umständen ger) der linken Hand aufgesucht werden (vgl.
schwierig sein. Abb. 3-4a). Eventuell kann eine Punktion unter
Ultraschallkontrolle (→ S. 187) versucht wer-
Gefahren den.
● versehentliche Punktion der unmittelbar

medial verlaufenden Arteria carotis in ca. Vorteile


1 % der Fälle (3–5 Minuten komprimieren!) Durch eine bindegewebige Verspannung wird
● Luftembolie das Lumen der Vena subclavia immer, auch im
● Pneumo- oder Hämatothorax hypovolämischen Schock, offen gehalten. Ins-
● Verletzung des Plexus brachialis besondere bei schwer verletzten Patienten mit
● Verletzung des Halssympathikus (mit sog. Volumenmangelschock wird daher häufig die
Horner-Syndrom) Vena subclavia punktiert. Zur Punktion ist also
● Bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellem eine Oberkörpertieflagerung nicht prinzipiell
Druck (z. B. SHT) sind eine Oberkörpertief- notwendig. Daher wird die Vena-subclavia-
lage sowie ein PEEP zu vermeiden (→ S. Punktion bei Patienten mit Schädel-Hirn-Ver-
268). Außerdem besteht die Gefahr, dass es letzungen, bei denen eine Kopftieflagerung ver-
3.1  Zentraler Venenkatheter 189

Abb. 3-5 Punktion der Vena jugularis externa (zur


besseren Detaildarstellung ist keine sterile Abdeckung
dargestellt)

● Verletzung des Plexus brachialis


● Luftembolie
● Verletzung des Ductus thoracicus bei links-
Abb. 3-4 Punktion der Vena subclavia. (Zur besseren seitiger Punktion
Detaildarstellung ist keine sterile Abdeckung dar­gestellt.)
Die Kanüle wird in Richtung Jugulum vorgeschoben (→ Kontraindikationen
Text). ● Gerinnungsstörungen

● entzündliche Hautveränderungen im Punk-

tionsbereich
mieden werden muss (→ S. 268), oft vorgezogen. ● Frakturen des Schultergürtels

Zur Verhinderung einer evtl. Luftembolie bei (veränderte Anatomie!)


der Punktion empfiehlt sich dennoch, sofern ● schweres Lungenemphysem

erlaubt, eine Oberkörpertieflage. (erhöhte Gefahr eines Pneumothorax)

Gefahren
● Pneumothorax (!): Punktion der Vena jugularis externa
Wegen der relativ großen Gefahr eines Pneu- (vgl. Abb. 3-5)
mothorax darf bei erfolgloser Punktion nicht
auf der anderen Seite ebenfalls punktiert
werden! Die meist gut sichtbare und subkutan liegende
● Hämatothorax Vena jugularis externa wird – ungefähr auf
● Punktion der lateral verlaufenden Arteria Höhe des Kehlkopfes – ähnlich wie eine Vene
subclavia (3–5 Minuten komprimieren!) am Handrücken (→ S. 34) punktiert.
190 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

Vorteile onsflasche 10–20 cm über Herzniveau gehalten


Die Punktion ist meist einfach und komplikati- wird, so spricht dies für eine korrekte intrave-
onslos (bei leichter Kopftieflage) möglich. In- nöse Lage des Katheters. Bei versehentlich in-
zwischen wird die Punktion der Vena jugularis traarterieller Lage würde das Blut weiter in die
externa oft als zentraler Punktionsort der ersten Infusion hochsteigen. Die Tropfgeschwindig-
Wahl bezeichnet. keit der Infusion muss außerdem atemabhängig
sein. Stets muss sich aus dem Katheter leicht
Gefahren Blut aspirieren lassen.
Das Vorschieben des Katheters ist oft schwierig,
da die Vena jugularis externa fast rechtwinklig
in die Vena subclavia einmündet (vgl. Abb. 3-1). Röntgenaufnahme des Thorax
Bei Verwendung von Kathetern mit J-förmiger
Spitze (z. B. Cavafix Certodyn-Katheter, Fa. Nach einer (auch ggf. erfolglosen) zentralvenö-
Braun) lässt sich der Katheter auch über die sen Punktion scheint eine Röntgenaufnahme des
Vena jugularis externa meist richtig platzieren. Thorax sinnvoll. (Lediglich nach einer Punktion
der Vena jugularis externa scheint dies nicht not-
Kontraindikationen wendig.) Es sind folgende Fragen zu klären:
● entzündliche Hautveränderungen im Punk- ● Verlauf des Kavakatheters (z. B. Schlingen-

tionsbereich bildung)?
● Lage der Katheterspitze?

● Pneumothorax?

3.1.6 Lagekontrolle des Katheters ● Hämatothorax?

Die Spitze des Kavakatheters sollte in der Vena


cava superior ca. 2 cm vor deren Einmündung Intrakardiale Elektrokontrolle
in den rechten Vorhof liegen (= ca. 4 cm unter-
halb des Sternoklavikulargelenks). Bei Punkti- Inzwischen stehen auch zentrale Venenkathe-
on der Vena jugularis externa oder interna auf ter mit integriertem EKG-Lagekontroll-Sys­
der rechten Seite ist der Katheter bei Erwachse- tem zur Verfügung. Diese Katheter enthalten
nen meist ca. 16–17 cm einzuführen. Durch einen stromleitenden Mandrin, über den ein in-
Auflegen des herausgezogenen Mandrins ent- trakardiales EKG abgeleitet werden kann (z. B.
lang des ungefähren Katheterverlaufs kann die Cavafix Certodyn-Katheter). Hierzu wird ein
Lage der Katheterspitze grob abgeschätzt wer- steriles Verbindungskabel einerseits mit einer
den. Wird der Kavakatheter oder der Seldinger- Kontaktbuchse am distalen Ende des Mandrins
Draht (→ S. 199) zu tief eingeführt, so können und andererseits mit einem speziellen Patien-
leicht Herzrhythmusstörungen auftreten. ten-EKG-Kabel verbunden. Dieses spezielle
Patienten-EKG-Kabel muss dann vom externen
auf den intrakardialen Ableitungsmodus umge-
Infusionsprobe schaltet werden. Wird der ZVK unter intrakar-
dialer Ableitung vorgeschoben, so kommt es zu
Wird eine angeschlossene Infusion unter Herz- einer starken P-Wellen-Erhöhung, sobald sich
niveau gehalten, so muss Blut in den Katheter die Katheterspitze dem Sinusknoten nähert.
zurücklaufen (= intravasale Lage). (Bei Infusi- Anschließend muss der Katheter wieder zu-
onssystemen mit Rückschlagventil ist diese rückgezogen werden, bis die P-Zacke wieder
Kontrolle nicht durchführbar. Zur Kontrolle ist ihre normale Größe erreicht (vgl. Abb. 3-6).
hier eine Aspiration notwendig). Fängt die In- Nun muss der Katheter weitere 1–2 cm zurück-
fusion wieder an zu tropfen, wenn die Infusi- gezogen werden, um die richtige Position zu
3.2  Blutige arterielle Druckmessung 191

3.2.2 Ort der Messung

Eine blutige arterielle Druckmessung sollte vor-


Abb. 3-6 Intrakardiale EKG-Ableitung über einen zugsweise in der Arteria radialis (vorzugsweise
(stromleitenden) zentralen Venenkatheter. Links: Nor- der nicht dominanten Hand, d. h. beim Rechts-
males EKG. Mitte: Überhöhte P-Zacke, die Spitze des zen- händer links) vorgenommen werden. Nur aus-
tralen Venenkatheters liegt im Bereich des Sinusknotens. nahmsweise sollte die Messung in der Arteria
Rechts: Der zentrale Venenkatheter wurde zurückgezo-
femoralis oder gar in der Arteria dorsalis pedis
gen, bis sich die EKG-Kurve wieder normalisierte und
oder der Arteria brachialis erfolgen, da hierbei
danach nochmals um 1–2 cm zurückgezogen.
mögliche Komplikationen wesentlich häufiger
sind.
erreichen. Danach kann das Patienten-EKG-
Kabel wieder auf externe Ableitung umgeschal-
tet werden. Bei Verwendung solcher Kavaka- 3.2.3 Allen-Test
theter kann evtl. (problemlose Punktion,
P-Zacken-Überhöhung nach üblicher Einführ- Vor der Punktion der Arteria radialis wird häu-
tiefe nachweisbar) auf eine anschließende rönt- fig der sog. Allen-Test empfohlen (die Aussage-
genologische Lagekontrolle verzichtet werden. kraft des Allen-Tests wird allerdings zum Teil
Liegt ein Vorhofflimmern bei dem Patienten auch angezweifelt). Der Allen-Test beruht auf
vor, dann ist die intrakardiale Elektrokontrolle der Tatsache, dass die Hohlhand sowohl von
zumeist nicht möglich. der Arteria radialis als auch von der Arteria ul-
naris versorgt wird.

Geprüft werden soll, ob die Arteria ulnaris notfalls


3.2 Blutige arterielle ! allein ausreicht, um die Hohlhand genügend mit
Druckmessung Blut zu versorgen.

Hierzu werden am Handgelenk die Arteria ra-


3.2.1 Indikationen dialis und die Arteria ulnaris des Patienten ab-
gedrückt. Der Patient wird aufgefordert, die
Eine blutige arterielle Druckmessung sollte Faust rhythmisch zu öffnen und zu schließen
durchgeführt werden, falls engmaschige Kon- (vgl. Abb. 3-7a und b). Innerhalb kurzer Zeit
trollen von wird die Hohlhand aufgrund der Mangeldurch-
● arteriellem Blutdruck notwendig sind, z. B. blutung blass und fahl. Wird nun plötzlich die
bei Patienten im Schock; bei Durchführung Arteria ulnaris wieder freigegeben, während die
einer kontrollierten Hypotension (→ S. 273); Arteria radialis weiterhin komprimiert bleibt
bei großen Herz-Thorax- oder Gefäßopera- (vgl. Abb. 3-8), so kommt es nur dann relativ
tionen; bei Operationen mit voraussichtlich rasch zur normalen Rötung der Hohlhand,
großen Blutverlusten; bei Patienten, die wenn die Blutversorgung der Hohlhand durch
durch intraoperative Blutdruckschwankun- die Arteria ulnaris ausreicht. Kommt es zur Rö-
gen besonders gefährdet sind, z. B. bei der tung der Hohlhand innerhalb von 10 Sekunden,
Operation eines zerebralen Aneurysmas; so kann die Arteria radialis kanüliert werden.
oder bei Patienten mit schwerer Koronar- Auch im Falle einer vorübergehenden Throm-
sklerose, einem frischen Herzinfarkt usw. bosierung der Arteria radialis braucht nun nicht
● arteriellen Blutgasen notwendig sind, z. B. mit einer Mangeldurchblutung der Hohlhand
bei der kontrollierten Hyperventilation (→ S. gerechnet werden.
272) usw.
192 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

Abb. 3-8 Durchführung des Allen-Tests. Bei weiterhin


komprimierter Arteria radialis wird die Arteria ulnaris
freigegeben und die wieder einsetzende Durchblutung
der Hand beobachtet.

● (rotes) Klebeschild, idealerweise mit der


Aufschrift: „ARTERIE – keine Injektion“
● 2-ml-Spritze (mit NaCl 0,9 % gefüllt) zum

Durchspülen des Zugangs nach erfolgreicher


Punktion
● Druckmesssystem:
Abb. 3-7 Durchführung des Allen-Tests. Unter kontinu­
ierlichem Komprimieren der Arteria radialis und der
Inzwischen werden zumeist fertig zusam-
Arteria ulnaris wird der Patient gebeten, rhythmisch die mengebaute Druckmesssysteme verwendet,
Hand a zu schließen und b zu öffnen. die meist aus folgenden Teilen zusammenge-
setzt sind:
– Druckdom (1 in Abb. 3-9):
Über den Druckdom wird der in der
3.2.4 Material
Druckleitung herrschende (arterielle)
● Desinfektionsspray und sterile Tupfer Druck auf den Druckwandler (→ S. 193;
● 2-ml-Spritze mit z. B. Lidocain 1 % und auf den der Druckdom aufgesetzt wird)
26-G-Stahlkanüle für die lokale Betäubung übertragen.
● 20-G-Teflonkanüle für Erwachsene, 22-G- – Mikrospülsystem (2 in Abb. 3-9) zur lang-
Teflonkanüle für Kinder (z. B. Abbocath-Ka- samen, kontinuierlichen Spülung der
nülen) bzw. idealerweise ein spezieller Druckleitung:
arterieller Katheter, der mittels Seldinger- Die Spülflüssigkeit wird mit einem Druck-
Technik (→ S. 199) gelegt wird (z. B. Leader beutel unter einen Druck von 250–300
cath, Fa. Vygon) mm Hg gesetzt (1 in Abb. 3-13). Das Mi-
● 2 schmale und 2 breite Pflasterstreifen zum krospülsystem garantiert eine kontinuier-
Fixieren des arteriellen Zugangs bzw. einen liche Spülung mit 4 ml/h. Bei Bedarf kann
sterilen Faden mit Nadel, um die Kanüle durch Drücken eines entsprechenden
festzunähen Kipphebels (3 in Abb. 3-9) auch eine
3.2  Blutige arterielle Druckmessung 193

Abb. 3-9 Elektromechanischer
Druckwandler. 1 = Druckdom;
2 = Zuleitung für Mikrospülsystem;
3 = Hebel für Schnellspülung;
4 = roter Dreiwegehahn für
Nullpunktkalibrierung;
5 = blauer Dreiwegehahn für ZVD-
Messung; 6 = starre Druckleitung.

Abb. 3-10 Vorrichtung zur blutigen


arteriellen Druckmessung, die an einem
entsprechenden Monitorgerät ange-
schlossen ist. 1 = Druckdom;
2 = Zuleitung für Mikrospülsystem;
3 = Hebel für Schnellspülung;
4 = roter Dreiwegehahn für Nullpunkt-
kalibrierung; 5 = blauer Dreiwegehahn
für ZVD-Messung; 6 = starre Druck­
leitung; 7 = zweiter roter Dreiwege-
hahn zur Abnahme von Blutproben;
8 = kurzes Druckleitungsstück
(mit Rückschlagventil [= 9]).

Schnellspülung betätigt werden (z. B. nach – starre Druckleitung (6 in Abb. 3-9)


einer Blutentnahme aus dem arteriellen – weiterer (roter) Dreiwegehahn (7 in Abb.
Zugang). 3-10) zur Abnahme von Blutproben
– 2 druckdomnahe Dreiwegehähne: ● zweites kurzes Druckleitungsstück (mit

Der dem Druckdom am nächsten liegen- Rückschlagventil) zum Anschluss an die in-
de erste (rote) Dreiwegehahn (4 in Abb. traarterielle Kanüle (8 in Abb. 3-10)
3-9) ist für die Nullpunktkalibrierung ● Druckwandler (= Transducer):

(→ S. 196), der zweite (blaue) Dreiwege- Zumeist werden wieder verwendbare Druck-
hahn (5 in Abb. 3-9) ist für den Anschluss wandler verwendet. Zum Teil gibt es auch
einer Druckleitung zur intermittierenden Druckmesssysteme, die einen Einwegdruck-
Messung des zentralen Venendrucks wandler enthalten.
(ZVD). ● Monitor mit „Druckeinschub“ (Abb. 3-10)
194 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

● Spülflüssigkeit (500 ml NaCl, die in manchen Erwachsenen mit einer 20-G-Teflonkanüle oder
Kliniken mit 500–1 000 IE Heparin versetzt vorzugsweise mit der Stahlkanüle eines Seldin-
wird) für eine kontinuierliche Spülung des ger-Bestecks in einem Winkel von ca. 30 Grad
arteriellen Zugangs. Da diese Spülflüssigkeit die Arterie im Bereich des Handgelenks punk-
unter Druck gesetzt werden muss, wird noch tiert (vgl. Abb. 3-11c). Hierbei wird mit dem
ein Druckbeutel benötigt (1 in Abb. 3-13). Zeige- und dem Ringfinger der anderen Hand
der Arterienverlauf ertastet. Nach erfolgreicher
Punktion der Arterie wird der Seldinger-Draht
3.2.5 Vorbereitung durch die Punktionskanüle (Abb. 3-11d) vorge-
schoben. Die Punktionskanüle wird über den
Für die kontinuierliche Druckmessung werden Seldinger-Draht entfernt und nun wird über
inzwischen zumeist fertig zusammengebaute den Seldinger-Draht die intraarterielle Kunst-
Druckmesssysteme für den Einmalgebrauch stoffverweilkanüle vorgeschoben (Abb. 3-11e)
verwendet. Deren Vorbereitung ist relativ ein- und dann mittels Naht fixiert (Abb. 3-11f). An-
fach und wenig zeitaufwendig. Dieser Einweg- schließend wird der Seldinger-Draht entfernt
druckdom sowie die bereits konnektierten Ver- und die Druckleitung des Messsystems an die
bindungsschläuche brauchen lediglich mit NaCl intraarterielle Verweilkanüle konnektiert.
0,9 % luftblasenfrei durchgespült und einerseits Nachdem die arterielle Kanüle mittels der
an die arterielle Kanüle und andererseits an den Schnellspülung (3 in Abb. 3-9) des konnektier-
Druckwandler angeschlossen werden. Das Ka- ten Einwegdrucksystems durchgespült ist, wird
bel des Druckwandlers ist noch in das entspre- sie penibel, z. B. wie in Abbildung 3-12 und 3-13
chende Monitorgerät einzustecken und das gezeigt, fixiert. Durch das zwischen der intraar-
Druckmesssystem muss abschließend noch ka- teriellen Kanüle und dem dritten (roten) Drei-
libriert werden (Kalibration → S. 196). Nun ist wegehahn (7 in Abb. 3-10) eingebaute kurze
eine Druckmessung möglich. Druckleitungsstück (8 in Abb. 3-10) braucht
z. B. beim Blutabnehmen aus dem arteriellen
Zugang am Dreiwegehahn kein Wackeln, Ab-
3.2.6 Punktion der Arteria radialis knicken oder Verrutschen der intraarteriellen
Verweilkanüle befürchtet werden.
Wenn immer möglich, sollte die arterielle Druck-
! messung bereits vor Narkoseeinleitung beim noch Absolut zwingend ist das Kenntlichmachen des
wachen Patienten vorgenommen werden. Denn ! Zugangs als Arterie, z. B. durch Aufkleben von
hiermit ist die fortlaufende Blutdruckkontrolle vorgedruckten Klebeschildern oder deutliche Be-
während der Narkoseeinleitung, einem der gefah- schriftung eines aufgeklebten Pflasterstreifens
renträchtigsten Momente jeder Narkose, möglich. (vgl. Abb. 3-12). Bei Verwechslung mit einem ve-
Außerdem kann noch eine Blutprobe zur Bestim- nösen Zugang und Injektion von z. B. Thiopental
mung einer arteriellen Blutgasanalyse (= BGA) droht der Verlust der Hand (!) (→ S. 51).
vor Narkoseeinleitung, also unter Spontanat-
mung, abgenommen werden. Über die starre Druckleitung, die 3 Dreiwege-
hähne und den Druckdom wird der arterielle
Für die Punktion sollte die Hand im Handge- Druck auf den elektromechanischen Druck-
lenk über eine Tuchrolle nach dorsal überstreckt wandler, der den mechanischen Druck in ein
und in dieser Lagerung sollten die Finger mit- elektrisches Signal umwandelt, angeschlossen.
tels Pflasterstreifen fixiert werden (vgl. Abb. Das Kabel des Druckwandlers ist in den Druck-
3-11a). Nach mehrmaliger Desinfektion, dem einschub eines geeigneten Gerätes einzustecken,
Anlegen einer Lokalanästhesie beim wachen der das Signal des Druckwandlers verstärkt und
Patienten (vgl. Abb. 3-11b) und evtl. Vorpunk- auf einem Monitor digital als Zahlenwert und
tion der Haut mit einer Stahlkanüle wird bei analog als Druckkurve anzeigt (Abb. 3-10).
3.2  Blutige arterielle Druckmessung 195

Abb. 3-11 Punktion der Arteria radialis mittels Vorschieben des Seldinger-Drahtes durch die Punktions­
Seldinger-Technik. a Richtige Lagerung und Fixierung kanüle. e Nach Entfernen der Punktionskanüle über den
des Armes zur Punktion der Arteria radialis. b Sterile An- Seldinger-Draht wird die intraarterielle Verweilkanüle
lage einer Lokalanästhesie. c Tasten des Arterienverlaufs über den Seldinger-Draht eingeführt. f Die intraarterielle
und Punktion der Arterie. d Nach erfolgreicher Punktion Verweilkanüle wird fest genäht.
196 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

3.2.7 Nullpunktabgleich
und Kalibration
Der rote Dreiwegehahn direkt vor dem Druck-
wandler (4 in Abb. 3-9) wird so gestellt, dass die
Verbindung Druckleitung/Druckwandler un-
terbrochen und der Druckwandler zur Atmo-
sphäre hin geöffnet ist. Auf das Druckelement
wirkt nun der atmosphärische Luftdruck. Die-
ser wird als Bezugspunkt gleich Null gesetzt.
Nach Drücken der entsprechenden Nulltaste
am Monitor muss die angezeigte Linie mit der
Abb. 3-12 Fixierte intraarterielle Kanüle und Mark­ie­ Null-Linie des Monitors übereinstimmen (=
rung der intraarteriellen Kanüle durch entsprechenden Nullpunktabgleich). Mit der (nur bei älteren
Aufkleber. An die intraarterielle Kanüle ist ein kurzes Geräten noch durchzuführenden) Kalibrierung
Druckleitungsstück (mit speziellem Rückschlagventil) wird kontrolliert, ob ein definierter Druck im-
konnektiert (1). 2 = starre Druckleitung, die zum Druck- mer einen bestimmten Kurvenausschlag ergibt;
wandler führt.
z. B. muss ein Druck von 100 mm Hg immer
einen 5 cm hohen Ausschlag ergeben. Nach
Drücken der entsprechenden Kalibrierungs­
taste muss eine Eichzacke definierter Höhe er-
scheinen. Auch während der Kalibrierung muss
der Druckwandler zur Atmosphäre hin offen
sein. Bei modernen Monitorgeräten genügt es,
nach Öffnen des Druckwandlers zur Atmo-
sphäre lediglich den Kalibrationsknopf zu drü­
cken. Es werden dann sowohl die Nullpunktab-
gleichung als auch die Kalibration automatisch
durchgeführt.
Nach dem Nullpunktabgleich und der Kalibrie-
rung des Gerätes wird die Verbindung Druck-
leitung/Druckwandler wieder freigegeben. Der
Druckwandler muss noch auf Höhe des rechten
Vorhofs (ca. Mitte des Thoraxdurchmessers
beim liegenden Patienten) angebracht werden.
Nun kann der aktuelle Druck am Monitor abge-
lesen werden.
Anschließend sollte nochmals sorgfältig über-
prüft werden, ob alle Schraubverbindungen der
Druckleitung fest angezogen sind, damit eine
versehentliche Lösung mit einer drohenden
Abb. 3-13 Vorrichtung zur blutigen arteriellen Druck- Entblutung nicht möglich ist.
messung mit angeschlossenem Druckbeutel (1) mit
Spülflüssigkeit für das Mikrospülsystem.
3.3  Pulmonalarterienkatheter 197

3.2.8 Probleme 3.3 Pulmonalarterienkatheter
● abgerundeter, sog. gedämpfter Kurvenver-
Ein Pulmonalarterienkatheter (= Pulmonaliska-
lauf:  theter, Swan-Ganz-Katheter, Einschwemmkathe-
Ursache sind meist Luftblasen oder ein Blut- ter) ist ein meist 4-lumiger Katheter, dessen Spit-
koagel im System oder eine ungünstige Lage- ze über das venöse System und durch das rechte
rung des kanülierten Arms bzw. ein zu langer Herz bis in einen Ast der Arteria pulmonalis einge-
Druckschlauch. führt wird.
● falsch hohe oder falsch niedrige Druckanzei-

ge: Mithilfe eines Pulmonaliskatheters können das


Dies ist der Fall, wenn der Druckwandler an- Herzminutenvolumen (= HMV = cardiac out-
statt auf Herzniveau unterhalb oder oberhalb put), der Druck in der Pulmonalarterie sowie
davon angebracht ist. Dies ist vor allem dann der sog. pulmonalkapilläre Verschlussdruck (=
möglich, wenn der Druckwandler ausnahms- pulmo-capillary wedge-pressure = PCWP, kurz
weise nicht am Operationstisch oder am Pa- Wedge-Druck genannt) und der ZVD gemessen
tienten, sondern z. B. am Infusionsständer werden. Werden diese Daten sowie die Körper-
befestigt ist. Wird zu einem späteren Zeit- größe, das Körpergewicht, die aktuelle Herzfre-
punkt von den Operateuren eine Verstellung quenz und der arterielle Blutdruck in ein ent-
der Operationstischhöhe gewünscht, so muss sprechendes Computerprogramm eingegeben,
unbedingt die Höhe des Druckwandlers so können der Gefäßwiderstand im Lungen-
nachjus­tiert werden! kreislauf, der Gefäßwiderstand im großen Kreis-
● Thrombosierung der arteriellen Kanüle: lauf, der Herzindex (= HMV/Körperoberfläche)
Falls das kontinuierliche Mikrospülsystem und die Schlagarbeit des linken und des rechten
(→ S. 192; Abb. 3-10) nicht funktioniert (z. B. Ventrikels errechnet werden. Dieses errechnete
Spülflüssigkeit steht nicht unter Druck), „hämodynamische Profil“ ist bei Risikopatien-
droht eine Thrombosierung der intraarteri- ten wichtig für eine differenzierte Catechol­
ellen Verweilkanüle. amin-, Vasodilatanzien- und Volumentherapie.
In den letzten Jahren wurden heftige Diskussio-
nen über Zweck, Nutzen und Risiken des Pul-
3.2.9 Komplikationen monaliskatheters geführt. Eine unkritische An-
wendung kann von Nachteil für den Patienten
● Hämatombildung im Punktionsbereich sein. Bei korrekter Indikationsstellung und Be-
vor allem bei Fehlpunktionen oder nach herrschung der Methode wird dieses Überwa-
Entfernen der arteriellen Kanüle; mindestens chungsverfahren jedoch weiterhin positiv ein-
3 Minuten komprimieren! geschätzt. Insgesamt werden Pulmonaliskatheter
● Infektionen zunehmend seltener eingesetzt. Immer öfter
● arteriovenöse Fistel wird anstatt eines Pulmonaliskatheters das
● Durchblutungsstörungen mit z. B. nekroti- PiCCO-Monitoring (→ Kap. 3.4) angewandt.
schen Fingern (extrem selten)
● versehentliche intraarterielle Medikamen-

teninjektion 3.3.1 Indikationen
● arterielle Entblutung

bei unbemerkter Diskonnektion in der arte- ● septischer Schock


riellen Druckleitung ● kardiovaskuläre Risikopatienten
(z. B. nach kürzlich durchgemachtem Herz-
infarkt oder bei vielen Operationen am Her-
zen; → S. 296)
198 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

● multiples Organversagen Distaler Schenkel (2)


● Lungenversagen

● massive Volumenumsätze Der distale Schenkel (häufig gelber Anschluss)


(z. B. Schwerstverbrannte) endet an der Katheterspitze (2b) und dient zur
● längerfristige Therapie mit Catecholaminen Messung des Drucks in der Pulmonalarterie so-
(z. B. Noradrenalin und Adrenalin; → S. wie des pulmonalkapillären Verschlussdrucks
300) (= pulmo-capillary wedge-pressure = PCWP,
Wedge-Druck, → S. 201) und zur Entnahme
von gemischtvenösem Blut (→ S. 201).
3.3.2 Aufbau (vgl. Abb. 3-14)
Proximaler Schenkel (3)
Ballonzuleitung (1)
Der proximale Schenkel (häufig blauer An-
Sie dient zum Aufblasen (= blocken, wedgen) schluss) endet 30 cm vor der Katheterspitze (3b)
des kurz vor der Katheterspitze befindlichen und sollte kurz vor dem rechten Herzen liegen;
Ballons (1b). Der Ballon wird mit 1–1,5 ml Luft über ihn kann der ZVD gemessen werden. Au-
aufgeblasen. ßerdem wird über diesen proximalen Schenkel
die meist eisgekühlte 0,9%ige NaCl-Lösung zur
Messung des HMV injiziert.

Thermistorzuleitung (4)
Sie dient zur Verbindung des kurz vor der Ka-
theterspitze befindlichen Temperaturfühlers (=
Thermistor; 4b) mit einem HMV-Gerät (= Car-
diac-Output-Monitor).
Daneben verfügen manche Pulmonaliskatheter
über einen weiteren Schenkel (häufig weißer
Anschluss), der unmittelbar neben dem proxi-
malen Schenkel endet. Er wird meist zur herz-
nahen Applikation von Medikamenten, vor al-
lem von Catecholaminen, verwendet.

3.3.3 Material
● Kopfhaube, Mundschutz, sterile Handschu-
he, steriler Kittel
● Hautdesinfektionsspray
Abb. 3-14 Pulmonalarterienkatheter. 1 = Ballonzulei-
● steriles Lochtuch
tung; 2 = distaler Schenkel; 3 = proximaler Schenkel;
● steriles Abdecktuch (ca. 100 × 100 cm) zum
4 = Thermistorzuleitung. Aufblasbarer Ballon (1b) sowie
Mündung des distalen (2b) und proximalen (3b) Schen- großflächigen Abdecken
kels; 4b = Thermistor (Temperaturfühler) (nähere Be­ ● Lokalanästhetikum

schreibung → Text). (z. B. Lidocain 1 %)


3.3  Pulmonalarterienkatheter 199

● physiologische Kochsalzlösung mit einer Stahlkanüle punktiert. Nach der er-


● sterile 5-ml- und 10-ml-Spritze folgreichen Punktion wird durch die Stahlka-
(zum Aufziehen des Lokalanästhetikums nüle ein flexibler Stahldraht (= Seldinger-
und der physiologischen Kochsalzlösung) Draht) eingeführt. Nun wird bei liegen
● sterile Stahlkanülen bleibendem Seldinger-Draht die ursprüngliche
(zum Aufziehen des Lokalanästhetikums, Punktionskanüle entfernt und neben dem Sel-
der physiologischen Kochsalzlösung, zum dinger-Draht mit einem spitzen Skalpell eine
Anlegen der Lokalanästhesie sowie evtl. zum Stichinzision vorgenommen, damit eine groß-
Vorpunktieren einer zentralen Vene) lumige Einführungsschleuse (= Introducer)
● mehrere sterile Kompressen über den Seldinger-Draht in die Vene vorge-
● 1 steriles, spitzes Skalpell schoben werden kann. Zuvor wird durch den
● 3 Dreiwegehähne großlumigen Introducer ein sog. Dilatator ge-
(für einen 4-lumigen Pulmonaliskatheter) steckt. Dieser Dilatator ragt etliche Zentimeter
● 1 Pulmonaliskatheter aus dem großlumigen Introducer heraus und
(Größe beim Erwachsenen: 7,5 Charr) weist eine sich verjüngende Spitze auf. Dilatator
● Einführungsschleuse und Introducer werden gemeinsam über den
(sog. Introducer-Set, → unten; Größe beim Seldinger-Draht vorgeschoben. Die sich verjün-
Erwachsenen: 9 oder evtl. 8,5 Charr) gende Spitze des Dilatators dehnt beim Vor-
● Nahtmaterial, Nadelhalter und sterile Schere schieben den Punktionskanal auf und ermög-
zum Festnähen des platzierten Katheters licht dadurch das Einführen des großlumigen
Introducers. Danach werden der Seldinger-
Draht und der Dilatator entfernt, und der Pul-
3.3.4 Vorbereitung monaliskatheter kann über den Introducer ein-
der Druckmessung geführt werden.
Vorher muss der Pulmonaliskatheter jedoch
● Druckmesssysteme herrichten noch auf Funktionstüchtigkeit überprüft wer-
(zumeist werden inzwischen fertig zusam- den: Nachdem der Ballon des Pulmonaliskathe-
mengebaute Systeme verwendet [→ S. 192]) ters versuchsweise mit Luft aufgeblasen und auf
● Druckdom des Messsystems auf den Druck- Dichtigkeit geprüft wurde, müssen alle Schen-
wandler aufschrauben (→ S. 192) kel des Pulmonaliskatheters mit 0,9%iger NaCl-
● Druckwandler an ein Monitorgerät mit ent- Lösung durchgespült werden. Der proximale
sprechendem Druckeinschub anschließen Schenkel des Pulmonaliskatheters wird an den
(→ S. 192) zweiten (blauen) Dreiwegehahn hinter dem
● Nullpunktabgleich (→ S. 196) Druckdom angeschlossen (5 in Abb. 3-9).
● Kalibrierung (→ S. 196) Durch Umschalten dieses Dreiwegehahns kann
über diesen proximalen Schenkel ggf. der zen-
trale Venendruck gemessen werden. Der distale
3.3.5 Einführen Schenkel des Pulmonaliskatheters wird mit der
eines Pulmonaliskatheters an den Druckdom angeschlossenen Druck-
messleitung verbunden. Der erste (rote) Drei-
Ein Pulmonaliskatheter wird vorzugsweise über wegehahn nach dem Druckdom wird so einge-
die rechte Vena jugularis interna eingeführt. stellt (4 in Abb. 3-9), dass die Verbindung Dom/
Prinzipiell kommen jedoch alle für einen Kava- distaler Schenkel freigegeben ist. Dann wird der
katheter möglichen Punktionsorte (→ S. 186) an der Katheterspitze herrschende Druck regis­
infrage. Ein Pulmonaliskatheter wird nach der triert.
Seldinger-Technik ins venöse Gefäßsystem Nun wird der Katheter unter kontinuierlicher
eingeführt. Hierzu wird die ausgewählte Vene Kontrolle der Druckkurve über den Introducer
200 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

Abb. 3-15 Über den Pulmonalar-


terienkatheter abgeleitete Druckkurve
beim Einschwemmen des Katheters.
1 = zentraler Venendruck; 2 = Druck
im rechten Ventrikel; 3 = Druck in der
Arteria pulmonalis; 4 = pulmonal­
kapillärer Verschlussdruck.

in die Vena jugularis interna vorgeschoben. die Druckkurve eindrucksvoll. Während der
Nachdem die Katheterspitze ca. 15 cm eingeführt Systole des rechten Herzens lässt sich ein
ist, wird der unmittelbar hinter der Katheterspit- Druck von ca. 25 (± 8) mm Hg, während der
ze befindliche Ballon mit 1–1,5 ml Luft aufgebla- Diastole des rechten Herzens ein Druck von
sen und der Katheter langsam vorgeschoben. Der ca. 4 (± 3) mm Hg ableiten.
aufgeblasene Ballon, und damit die Katheterspit- ● 3 in Abb. 3-15:

ze, wird mit dem Blutstrom über die Vena cava Wird die Katheterspitze weiter durch die
nach ca. 20 cm in den rechten Vorhof, nach ca. 30 Pulmonalklappe bis in die Arteria pulmona-
cm in den rechten Ventrikel und nach ca. 45 cm lis geschwemmt, ändert sich die Druckkurve
in die Arteria pulmonalis „eingeschwemmt“. Der erneut. Der systolische Druck bleibt mit 25
Pulmonaliskatheter wird deshalb zum Teil auch (± 8) mm Hg gleich. In der Arteria pulmona-
als „Einschwemmkatheter“ bezeichnet. Da sich lis herrscht jedoch ein diastolischer Druck
die Arteria pulmonalis in immer kleiner werden- von ca. 9 (± 4) mm Hg, sodass der Druck
de Äste aufzweigt, bleibt der aufgeblasene Ballon jetzt nicht mehr so weit wie bei der Ventri-
meist nach 50–60 cm in einem kleineren Ast der kelkurve abfällt.
Arteria pulmonalis stecken. ● 4 in Abb. 3-15:

Wird die Spitze des Pulmonaliskatheters so-


Während der Pulmonaliskatheter bis in die Arteria weit vorgeschoben, bis der aufgeblasene Bal-
! pulmonalis „eingeschwemmt“ wird, muss über lon an der Katheterspitze einen Ast der Arte-
den distalen Schenkel kontinuierlich der an der ria pulmonalis total verschließt, dann
Katheterspitze herrschende Druck registriert wer- verschwinden plötzlich diese Druckschwan-
den. kungen zwischen 25 und 9 mm Hg. Der
Druck fällt auf durchschnittlich 9 (± 4)
Dabei ergibt sich eine charakteristische Kurve mm Hg ab. Die Kurve zeigt nur noch mini-
(vgl. Abb. 3-15): male Druckschwankungen. Hinter der ver-
● 1 in Abb. 3-15: schlossenen Pulmonalarterie findet jetzt kei-
Befindet sich die Katheterspitze in der Vena ne Durchblutung mehr statt. Der nun an der
cava, so kann eine typische atemverschiebli- Katheterspitze gemessene Druck entspricht
che ZVD-Kurve abgelesen werden. Der nor- dem im Lungenkapillarsystem herrschenden
male Druckbereich in der Vena cava beträgt Druck. Dieser wird als pulmonalkapillärer
1–10 mm Hg. Verschlussdruck (= pulmo-capillary wedge-
● 2 in Abb. 3-15: pressure = PCWP oder kurz: Wedge-Druck)
Wenn die Katheterspitze in den rechten Ven- bezeichnet (→ S. 202).
trikel eingeschwemmt wird, verändert sich
3.3  Pulmonalarterienkatheter 201

● 3 in Abb. 3-15: durch den rechten Ventrikel in die Arteria pul-


Wird nun der an der Katheterspitze befindli- monalis transportiert. Auf diesem Weg wird die
che Ballon wieder entleert (= entblockt), so Injektionslösung erwärmt und verdünnt. Kurz
wird der hinter der Katheterspitze befindli- vor der Spitze des Pulmonaliskatheters befindet
che Pulmonalarterienast wieder durchblutet. sich ein Temperaturfühler (= Thermistor, 4b in
Es lässt sich jetzt wieder die für die Arteria Abb. 3-14), mit dem Temperaturschwankungen
pulmonalis typische Druckkurve ableiten. in der Arteria pulmonalis registriert werden
Durch Aufblasen (= blocken, wedgen) des können. Die Thermistorzuleitung (4 in Abb.
Ballons kann wiederholt der Wedge-Druck 3-14) wird an einen Computer angeschlossen,
gemessen werden. der anhand des Injektionszeitpunktes und der
Temperaturänderungen am Thermistor das
Der Pulmonaliskatheter darf immer nur für kur- Herzminutenvolumen errechnen kann; das Ge-
! ze Zeit in Wedge-Position sein; ist er versehent- rät wird deshalb als HMV-Gerät oder meist als
lich längere Zeit in dieser Position, so droht ein Cardiac-Output-Monitor bezeichnet. Dieses
Infarkt der hinter der Katheterspitze gelegenen Verfahren zur Bestimmung des HMV beruht
Lungengebiete, die jetzt nicht durchblutet sind auf der Kälteverdünnungsmethode (= Ther-
(!). Um dies zu vermeiden, muss die Druckkurve modilutionsmethode). Es sollte der Mittelwert
der Pulmonalarterie stets auf dem Monitor darge- mehrerer Messungen verwendet werden.
stellt sein, damit eine versehentliche Wedge-Posi- Inzwischen sind auch Pulmonaliskathetermo-
tion des Katheters sofort erkennbar ist. delle verfügbar, die eine kontinuierliche Mes-
sung des Herzminutenvolumens erlauben (=
Außer diesem distalen Schenkel zur Messung continuous cardiac output = CCO). In deren
des Wedge-Drucks und des Drucks der Arteria distalem Ende ist zusätzlich eine Heizspirale
pulmonalis verfügt ein Pulmonaliskatheter eingebaut. Die von dieser Heizspirale abgegebe-
noch über einen proximalen Schenkel (häufig nen Wärmeimpulse führen zu lokalen Ände-
blauer Anschluss), der 30 cm vor der Katheter- rungen der Bluttemperatur. Diese werden vom
spitze mündet. Diese Öffnung sollte normaler- Temperaturfühler (Termistor) registriert und
weise kurz vor dem rechten Herzen liegen und ermöglichen die Errechnung des HMV. Bei
erlaubt die Messung des ZVD. Hierzu wird der CCO-Kathetern braucht keine NaCl-Lösung
entsprechende (blaue) Dreiwegehahn (5 in Abb. injiziert werden. Es entsteht dadurch keine
3-9) am Druckdom umgeschaltet und die Ver- Flüssigkeitsbelastung, was bei Intensivpatienten
bindung Dom/distaler Schenkel verschlossen unter Umständen wichtig sein kann. Auf dem
und die Verbindung Dom/proximaler Schenkel zugehörigen CCO-Monitor wird kontinuierlich
freigegeben. Nach dem Messen des ZVD muss das aktuelle HMV angezeigt.
der Dreiwegehahn wieder so eingestellt werden,
dass die Verbindung Dom/distaler Schenkel
freigegeben ist. Auf dem Monitor muss norma- 3.3.6 Interpretation
lerweise immer der pulmonalarterielle Druck
(3 in Abb. 3-15) angezeigt werden. Der ZVD
der gemessenen Werte
wird nur kurzfristig gemessen.
Zur Bestimmung des Herzminutenvolumens Gemischtvenöse Sättigung
(= HMV) wird über den proximalen Schenkel
ein definiertes Volumen (z. B. 10 ml) einer meist Über den distalen Schenkel des Pulmonaliska-
eisgekühlten NaCl-Lösung möglichst schnell theters kann gemischtvenöses Blut aus der Ar-
(in weniger als 5 Sekunden) injiziert. Diese teria pulmonalis entnommen werden. Dieses
meist eiskalte 0,9%ige NaCl-Lösung wird mit Blut wird als gemischtvenös bezeichnet, da in
dem Blutstrom durch den rechten Vorhof und der Arteria pulmonalis Blut aus der Vena cava
202 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

inferior (Blut aus der unteren Körperhälfte) und Wedge-Druck


Blut aus der Vena cava superior (Blut aus der
oberen Körperhälfte) gemischt ist. Aus einem Der Wedge-Druck entspricht weitgehend dem
Kavakatheter, dessen Spitze in der Vena cava su- Druck im linken Vorhof. Unter der Vorausset-
perior liegt, wird zentralvenöses Blut entnom- zung, dass das Blut während der Diastole unge-
men. Es repräsentiert nur das Blut aus der obe- hindert vom linken Vorhof in den linken Ven-
ren Körperhälfte. Gemischtvenöses Blut wird trikel fließen kann, dass also keine Stenose
vor allem abgenommen, um die gemischtvenö- der Mitralklappe besteht (→ S. 313), entspricht
se Sättigung zu messen. Der Normalwert be- der Druck vor dem linken Herzen annähernd
trägt ca. 75 %. Fällt die gemischtvenöse Sätti- dem linksventrikulären enddiastolischen Fül-
gung ab, so hat dies (bei konstantem Hb-Wert, lungsdruck (→ S. 297). Dieser ist ein Maß für
konstanter arterieller Sättigung und gleichblei- die Leistungsfähigkeit des linken Ventrikels.
bendem Sauerstoffverbrauch) seine Ursache in Mithilfe des Wedge-Drucks kann also die Leis­
einer vermehrten Ausschöpfung des Blutes auf- tungsfähigkeit des linken Ventrikels beurteilt
grund eines niedrigen HMV. Bei der Abnahme werden.
einer gemischtvenösen Blutprobe muss das Blut
langsam aspiriert werden. Wird zu schnell aspi-
riert, so kann unter Umständen bereits oxyge- Zentralvenöser Druck
niertes Blut aus dem Lungenkapillargebiet an-
gesaugt werden, was eine falsch hohe Der zentralvenöse Druck (= ZVD) entspricht
Sauerstoffsättigung ergibt. weitgehend dem Druck im rechten Vorhof.
Inzwischen gibt es bereits Pulmonaliskatheter- Er wird jedoch auch durch die Atmung/Beat-
modelle (CCO-Katheter; → S. 201), die eine mung, durch einen PEEP (→ S. 23), durch die
kontinuierliche Messung der gemischtvenösen Körperlage sowie durch den Kontraktionszu-
Sättigung an der Katheterspitze ermöglichen stand und den Füllungszustand des venösen
(Reflektionsspektrophotometrie), ohne dass Gefäßsystems beeinflusst. Deshalb kann der
hierzu eine Blutprobe entnommen werden ZVD nur mit Vorbehalt dem rechtsventrikulä-
muss. ren enddiastolischen Druck und damit der
rechtsventrikulären Leistungsfähigkeit gleich-
gesetzt werden.
Herzminutenvolumen
Das Herzminutenvolumen (= HMV = cardiac Gefäßwiderstand im großen
output) des Erwachsenen beträgt normalerwei- Kreislauf
se 4–8 l/min; erniedrigt ist es bei einer Herzin-
suffizienz und im Volumenmangelschock; im Der Gefäßwiderstand im großen Kreislauf (=
septischen Schock ist es meist erhöht. systemic vascular resistance = SVR) wird mit-
hilfe eines Computers (aus dem arteriellen
Mitteldruck, dem ZVD und dem HMV) er­
Herzindex rechnet. Er fällt ab bei einer Sepsis und bei Gabe
von gefäßerweiternden Medikamenten (= Va-
Der Herzindex wird errechnet, indem das HMV sodilatanzien, z. B. Nitroprussidnatrium oder
durch die Körperoberfläche des Patienten ge- Nitroglycerin; → S. 304) und wird erhöht z. B.
teilt wird (HMV/Körperoberfläche). Der Nor- durch die Gabe von gefäßverengenden Medi­
malwert liegt bei 2,5–4 l/min × m2. kamenten, z. B. Noradrenalin (→ S. 300). Der
Normalwert beträgt 900–1 500 dyn × s × cm–5.
3.3  Pulmonalarterienkatheter 203

Gefäßwiderstand Wedge-Druck entspricht weitgehend dem


im Lungenkreislauf Druck im linken Vorhof und ist damit erhöht.
Das HMV ist erniedrigt, die Herzfrequenz ist
Der Gefäßwiderstand im Lungenkreislauf (= kompensatorisch erhöht.
pulmonal vascular resistance = PVR) wird mit-
hilfe eines Computerprogramms (aus dem arte-
riellen Mitteldruck, dem Wedge-Druck und Insuffizienz des rechten
dem HMV) errechnet. Er ist erhöht z. B. bei ei- und des linken Herzens
ner Lungenembolie. Der Normalwert beträgt
90–150 dyn × s × cm–5. Bei Insuffizienz des rechten und des linken Her-
zens (= biventrikuläre Herzinsuffizienz) sind
ZVD und Wedge-Druck erhöht. Das HMV ist
Druck in der Pulmonalarterie erniedrigt, die Herzfrequenz ist kompensato-
risch erhöht.
Der Druck in der Pulmonalarterie (= pulmo­
nary artery pressure = PAP) wird über den dis­
talen Schenkel des Pulmonaliskatheters gemes- Volumenmangel
sen. Er ist erhöht z. B. bei einer Lungenembolie.
Der Normalwert für den Mitteldruck in der Bei Volumenmangel sind der ZVD, der Wedge-
Pulmonalarterie beträgt 9–19 mm Hg. Druck, das HMV und der Blutdruck erniedrigt.
Die Herzfrequenz ist kompensatorisch erhöht.

3.3.7 Veränderung
der Kreislaufparameter Sepsis
Während einer Sepsis ist das Gefäßsystem durch
Rechtsherzinsuffizienz Bakterientoxine weitgestellt. Der Gefäßwider-
stand im großen Kreislauf ist deutlich ernied-
Bei Rechtsherzinsuffizienz ist der rechte Ventri- rigt. Folge der Gefäßweitstellung ist ein relativer
kel nicht mehr in der Lage, das ihm angebotene Volumenmangel mit niedrigem ZVD und nied-
Blutvolumen adäquat wegzupumpen. Das Blut rigem Wedge-Druck. Das HMV und die Herz-
staut sich vor dem rechten Herzen. Klinische frequenz sind kompensatorisch erhöht.
Zeichen sind z. B. gestaute Halsvenen und präti-
biale Ödeme. Der ZVD ist erhöht, das HMV
erniedrigt, die Herzfrequenz kompensatorisch 3.3.8 Gefahren
erhöht.
● Herzrhythmusstörungen beim Einführen
des Pulmonaliskatheters
Linksherzinsuffizienz ● Ruptur eines Pulmonalarterienasts bei zu

starkem Blocken des Ballons


Bei Linksherzinsuffizienz ist der linke Ventrikel ● Lungeninfarkt bei versehentlicher länger

nicht mehr in der Lage, das ihm angebotene dauernder Wedge-Position des Katheters
Blutvolumen adäquat wegzupumpen. Das Blut ● Verletzungen der Herzklappen des rechten

staut sich vor dem linken Herzen. Unter Um- Herzens und der Papillarmuskeln
ständen kann sich das Blut bis in die Lungen ● erhöhte Thrombosegefahr aufgrund des di­

zurückstauen und zum Lungenödem führen. cken Katheterlumens


Der über den Pulmonaliskatheter messbare ● Infektionsgefahr
204 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

● Knotenbildung des Katheters im Herzen, vor HMV), das Schlagvolumen (SV) und der syste-
allem bei zu schnellem Vorschieben mische Gefäßwiderstand (SVR) ermittelt wer-
● Komplikationen der Gefäßpunktion (Pneu- den. Die Ermittlung der PC-HMV erfolgt
mo- oder Hämatothorax, arterielle Punkti- anhand der Fläche unter der arteriellen Druck-
on; → S. 188): kurve, der Form der Druckkurve, der Herzfre-
Aus diesem Grunde muss nach dem Legen quenz, einem patiententypischen Kalibrations-
eines Pulmonaliskatheters (auch nach einem faktor (→ oben) und der Compliance der Aorta
vergeblichen Versuch) stets eine Röntgen- (die anhand der transpulmonalen Thermodilu-
aufnahme des Thorax durchgeführt werden! tion und der Blutdruckkurve ermittelt wird).
● Sonstiges: Anhand der transpulmonalen Thermodilution
Mittels Pulmonaliskatheter können zahlrei- können u. a. das transpulmonale HMV, das in-
che hämodynamische Parameter genau über- trathorakale Blutvolumen (ITBV), das extrava-
wacht werden. Es konnte jedoch bisher nicht sale Lungenwasser (EVLW), das globale end-
bewiesen werden, dass durch Einführung des diastolische Volumen (GEDV = Summe aus
Pulmonalarterienkatheters die Überlebensra- dem enddiastolischen Volumen des rechten so-
te schwerstkranker Patienten erhöht werden wie linken Vorhofs und Ventrikels) gemessen
konnte. werden. Die transpulmonale Messung des HMV
soll mindestens so genau sein wie das mithil­-
fe eines Pulmonalarterienkatheters ermittelte
Herzminutenvolumen. Die Interpretation der
ermittelten PiCCO-Werte ist einfacher als die
3.4 PiCCO mittels Pulmonalarterienkatheter erhobenen
Werte.
1997 wurde mit PiCCO ein neues Verfahren zur Als mögliche Indikationen für PiCCO werden
wenig invasiven Bestimmung hämodynami- vor allem schwere Herzinsuffizienz, Schock,
scher Parameter (z. B. Herzminutenvolumen) ARDS, Polytrauma und Verbrennungen ge-
und sog. volumetrischer Parameter (z. B. extra- nannt.
vasales Lungenwasser) eingeführt. PiCCO ist
bei Erwachsenen sowie auch bei Kindern (ab
ca. 2 kg KG) einsetzbar. Hierzu wird ein (evtl.
bereits platzierter, möglichst mehrlumiger) zen- 3.5 Echokardiographie
traler Venenkatheter (an den ein sog. Injektat-
Temperatur-Sensor-Kabel angeschlossen wird) In den letzten Jahren wird die Echokardiogra-
und ein spezieller arterieller PiCCO-Katheter phie zunehmend von Anästhesisten und Inten-
(der z. B. in der Arteria femoralis oder Arteria sivmedizinern angewandt.
brachialis platziert wird) benötigt. Ein Pulmo- Mittels Echokardiographie können zahlreiche
nalarterienkatheter ist nicht notwendig. wichtige anästhesiologische, intensiv- und not-
PiCCO beruht auf der transpulmonalen Ther- fallmedizinische Fragestellungen untersucht
modilution und der sog. Pulskonturanalyse der werden (Tab. 3-1). Damit können vor allem
arteriellen Druckkurve. Bei der transpulmona- bei solchen Patienten Informationen erhalten
len Thermodilution wird über den ZVK ein de- werden, bei denen die Ursache einer Kreislauf­
finiertes Volumen an eiskaltem oder raumtem- instabilität unklar ist, bei denen eine unklare
periertem Injektat injiziert. Hierbei kann ein intravasale Volumensituation (Hypo- oder Hy-
patiententypischer Kalibrationsfaktor ermittelt pervolämie) besteht oder bei denen der Erfolg
werden. Anhand der kontinuierlichen Pulskon- einer medikamentösen Herz-Kreislauf-Stüt-
turanalyse der arteriellen Druckkurve können zung (z. B. mit Catecholaminen; → S. 300) be-
u. a. das Pulskontur-Herzminutenvolumen (PC- urteilt werden muss. Die sachgerechte Anwen-
3.5  Echokardiographie 205

Tab. 3-1  Fragestellungen, die mittels echokardiographischer Untersuchung beurteilt werden können
Fragestellung Mögliche Befunde oder Bemerkungen
Größe der Vorhöfe und Ventrikel? Dilatation?
Herzklappen? Beweglichkeit, Klappenfunktion, Klappengröße, endokarditische Auflage-
rungen?
Wandbeweglichkeit? regionale Wandbeweglichkeitsstörungen, die Hinweis auf eine Infarktnar-
be oder eine myokardiale Ischämie sind
Wanddicke? Myokardhypertrophie
Vorhof-, Ventrikelseptum? Septumdicke, Verlagerung
Luft in den Herzbinnenräumen? empfindlichste Methode zum Nachweis einer Luftembolie (v. a. bei neuro-
chirurgischer Operation in sitzender Lage; einzige Nachweismethode für
stattfindende paradoxe Luftembolie; → S. 271)
Herztumor? z.B. Vorhofmyxom
Darstellung der linken proximalen z.B. Stenose
Koronararterie?
Kontraktilität? Herzinsuffizienz
Kongenitaler Herzfehler?
Aortendissektion?
Vorhof-, Herzohrthromben?
Perikarditis? Perikarderguss? Nachweisgrenze bereits bei ca. 50 ml
Herzwandaneurysma?
Lungenarterienembolie? hämodynamisch wirksame Lungenembolien verursachen Vergrößerung
des rechten Ventrikels, Erweiterung der Arteria pulmonalis, abnorme
Bewegungen des Ventrikelseptums
Intrakardiale Shunts? Untersuchung ggf. nach Injektion einer kontrastgebenden Lösung

dung der Echokardiographie und die korrekte Die 2-dimensionale Echokardiographie (= 2D-
Interpretation der Ergebnisse setzen eine große Echokardiographie) stellt inzwischen das Stan-
Erfahrung voraus und die Geräte sind noch re- dardverfahren dar.
lativ teuer.
Bei der Echokardiographie werden Schallwellen
mit hoher Frequenz (Ultraschall) in den Körper 3.5.1 Doppler-Effekt
geleitet. Diese werden an Organoberflächen so-
wie an Innenstrukturen der Organe – je nach Während unbewegte Grenzflächen von Orga-
deren Strukturdichte – mehr oder weniger stark nen den Ultraschall lediglich reflektieren, füh-
reflektiert bzw. absorbiert. Die reflektierten ren bewegte Grenzflächen dazu, dass sich zu-
Schallwellen werden vom Schallkopf wieder re- sätzlich die Frequenz der reflektierten
gistriert. Damit ist es möglich, (1- oder) 2-di- Ultraschallwellen ändert. Dieser Frequenzun-
mensionale Bilder der inneren Organe zu er- terschied zwischen ausgesendeten und empfan-
stellen. Das Auflösungsvermögen moderner genen Ultraschallwellen ist proportional zu der
Echokardiographiegeräte beträgt inzwischen Geschwindigkeit der Organbewegungen. Die-
1–2 mm. ses Phänomen wird als Doppler-Effekt bezeich-
206 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

Tab. 3-2  Wichtige Indikationen für die transösophage- net. Mithilfe dieses Doppler-Effektes ist es mög-
ale Echokardiographie in Anästhesie, Intensiv- und Not- lich, die Fließgeschwindigkeit von Blut, z. B. im
fallmedizin Bereich der Herzklappen, darzustellen.
TEE-Indikationen in der Anästhesie Das Doppler-Verfahren sowie die 2D-Echokar-
diographie können kombiniert werden. Es wird
● Patienten mit hohem kardialem Risiko
dann von Doppler-Echokardiographie gespro-
● chirurgische Eingriffe mit hohem Risiko einer
hämodynamischen Entgleisung chen. Wird hierbei die Richtung des Blutstroms
● embolieträchtige Eingriffe (z.B. neurochirurgi- farbkodiert, wird von Farb-Doppler-Echokar-
sche Operation in sitzender Lagerung; → S. 270) diographie gesprochen. Blutfluss zur Sonde hin
● Operationen am Herzen (z.B. Klappenrekon­ wird bei fast allen Geräten mit roter Farbe, Blut-
struktionen, Korrektur angeborener Herzfehler, fluss von der Sonde weg wird normalerweise
Klappenprothetik, Verdacht auf myokardiale mit blauer Farbe kodiert.
Ischämien, minimalinvasive kardiochirurgische Die Echokardiographie kann transthorakal
Operationen) oder transösophageal erfolgen. Bei der transt-
TEE-Indikationen in der Intensiv- und Notfall- horakalen Echokardiographie (= TTE) wird der
medizin Schallkopf entweder direkt unterhalb des Rip-
● Diagnostik bei unklarer Kreislaufinstabilität penbogens und neben dem Brustbeinfortsatz
(Kontraktilität? Volumenstatus? grobe, (im Rippenwinkel), direkt oberhalb des Brust-
diskontinuierliche HZV-Abschätzung) beins im Bereich des Jugulum sternae oder im
● Beurteilung der Klappenfunktion Rippenzwischenraum auf die Haut aufgesetzt.
● Verdacht auf kardiale Ischämie Bei der transösophagealen Echokardiographie
● Beurteilung der rechts- und linksventrikulären wird ein kleiner Schallkopf, der in einen gastro-
Füllung skopähnlichen, steuerbaren Schlauch integriert
● Verdacht auf Lungenembolie ist, durch den Mund in den Ösophagus einge-
● Verdacht auf Perikardtamponade führt. Das unmittelbar ventral des Ösophagus
liegende Herz kann bei der TEE ohne störende
Zwischenstrukturen gut beurteilt werden.
Die 2-dimensionale transoesophageale Echo-
kardiographie (= TEE) findet zunehmenden
Einsatz auch in der Anästhesiologie und Inten-
Tab. 3-3  Kontraindikationen für die transösophageale sivmedizin. Die häufigsten Indikationen sind
Echokardiographie vor allem die Überwachung während kardio-
Absolute Kontraindikationen chirurgischer Eingriffe, die Überwachung neu-
● unzureichende Ausbildung des Untersuchers
rochirurgischer Patienten in sitzender Position
● Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts
(bei denen das erhöhte Risiko einer Luftembolie
(Pharynx, Larynx, Ösophagus, Magen) besteht) sowie anästhesiologische oder inten-
sivmedizinische Patienten mit hohem kardi-
Relative Kontraindikationen
alem Risiko. Indikationen zur transösophage-
● anatomische Missbildungen des oberen alen Überwachung in der Anästhesiologie und
Verdauungstraktes Intensivmedizin bestehen vor allem bei den in
● Zustand nach chirurgischen Eingriffen am Tabelle 3-2 dargestellten Krankheitsbildern
oberen Verdauungstrakt oder operativen Eingriffen.
● schwieriges Einführen der TEE-Sonde in den Bei der Durchführung einer TEE sind die in Ta-
Ösophagus belle 3-3 angegebenen Kontraindikationen zu
● Ösophagusvarizen beachten.
● klinisch relevante Blutungen im Bereich Vor Beginn der TEE-Untersuchung ist eine Ver-
des oberen Verdauungstrakts
tiefung der Narkose bzw. bei Intensivpatienten
3.5  Echokardiographie 207

eine Vertiefung der Analgosedierung wichtig.


Falls bei dem Patienten eine Magensonde liegt,
sollte über diese das Magensekret abgesaugt und
anschließend sollte die Magensonde vorher ent-
fernt werden. Bei beatmeten Patienten kann das
Einführen der TEE-Sonde durch den liegenden
Endotrachealtubus erschwert sein.
Stets ist darauf zu achten, dass bei einer TEE ein
zirkulärer Beißring zwischen die Zahnreihen
eingeführt wird, durch den die TEE-Sonde ein-
geführt wird. Hierdurch kann eine Beschädi-
gung des Gerätes verhindert werden, falls der
Patient die Zähne zusammenbeißen sollte.
Mögliche Komplikationen sind z. B. Stimm-
bandverletzungen, Ösophagusverletzung; Öso-
phagusperforation, Aspiration, Bronchospas-
mus, Herzrhythmusstörungen.
Für die Position der TEE-Sonde sind vor allem
folgende 3 Schallkopfpositionierungen wichtig
(Abb. 3-16):
● hohe ösophageale Sondenposition
Abb. 3-16 Schallkopfpositionen bei der transösopha-
● tiefe ösophageale Sondenposition
gealen Echokardiographie (= TEE); standardisierte Schall-
● transgastrische Sondenposition kopfpositionen und quere Schnittebenen durch das Herz.
1 = hohe ösophageale; 2 = tiefe ösophageale; 3 = trans-
Anhand der echokardiographisch erhobenen gastrische Sondenposition.
Daten können die in Tabelle 3-4 aufgelisteten
Parameter ermittelt und daraus weitere Größen Tab. 3-4  Mittels Echokardiographie ermittelbare Grö-
abgeleitet werden. ßen
Mit der transösophagealen 2D-Echokardiogra- ● Schlagvolumen (= SV)
phie können Myokardischämien sehr gut beur- ● Herzminutenvolumen (= HF × SV)
teilt werden. Die TEE ist bei intraoperativ auf- Das mittels TEE ermittelte Herzminutenvolumen
tretenden Myokardischämien empfindlicher als (= HMV) ist weniger zuverlässig als das mittels
das EKG. Neu auftretende regionale Wandbewe- Pulmonalarterienkatheter erfasste HMV
gungsstörungen sind früher zu erwarten als ent- (→ S. 202).
sprechende EKG-Veränderungen oder ein An- ● Ejektionsfraktion (derjenige Prozentsatz des
stieg des pulmonalkapillären Verschlussdrucks Ventrikelvolumes, der während der Systole
bzw. pektanginöse Beschwerden. Bei einer Myo- ausgeworfen wird; Normalwert: 55–75 %). Die
kardischämie tritt innerhalb von Sekunden eine EF stellt einen Anhaltswert für die myokardiale
nachweisbare Wandbewegungsstörung (Hypo- Kontraktilität dar (→ S. 297).
kinesie, Akinesie, Dyskinesie) auf. ● Abschätzung der Vorlast (anhand des enddias-
tolischen Ventrikelvolumens; → S. 297)
● Abschätzung der Nachlast (anhand der Zunah-
me der Ventrikeldicke während der Systole; →
3.5.2 Stressechokardiographie S. 297)
● Druckgradienten
Falls bei einem Patienten mit einer koronaren
● Klappenöffnungsfläche
Herzkrankheit (= KHK), z. B. aufgrund von
● Regurgitationsvolumen
Nebenerkrankungen (z. B. einer Arthrose) kein
208 3  Spezielle Narkosevorbereitungen

Belastungs-EKG durchführbar ist, kann zur steigert werden. Es wird nach Änderungen der
präoperativen Beurteilung eine sog. Stressecho- Wandbewegungen, des arteriellen Blutdrucks
kardiographie durchgeführt werden. Hierbei sowie nach Änderungen in der 12-Kanal-EKG-
wird eine pharmakologische Belastung des Ableitung gesucht. Bei der Dipyridamol-Stress­
Myokards, zumeist mit Dobutamin oder Dipy- echokardiographie wird die Tatsache ausge-
ridamol, durchgeführt. Es kann hierzu auch ein nutzt, dass Dipyridamol in den gesunden
Phosphodiesterasehemmer (z. B. Milrinon, Myokardarealen zu einer starken koronaren Va-
Enoximon) verwendet werden. Bei z. B. der sodilatation mit Anstieg des Blutflusses um den
Dobutamin-Stressechokardiographie wird das Faktor 4–5 führt. Aufgrund der Dilatation ge-
Catecholamin Dobutamin (→ S. 300) in stei- sunder Koronararterien mit Luxusperfusion
gender Dosierung verabreicht. Hierdurch kön- kommt es zu einer Minderdurchblutung mit Is-
nen – ähnlich wie bei einer körperlichen Belas­ chämie distal von Koronarstenosen. Hierdurch
tung – Herzfrequenz, Herzkraft (Inotropie), kann es zu nachweisbaren, neu auftretenden
Schlagvolumen und Herzminutenvolumen ge- Wandbewegungsstörungen kommen.
209

4  Typische Narkoseprobleme

4.1 Nicht nüchterner Patient Bei einem nicht nüchternen Patienten besteht


während einer Allgemeinnarkose die große Ge-
4.1.1 Allgemeine Bemerkungen fahr einer Regurgitation (= passives Zurücklau-
fen von Mageninhalt entlang eines Druckgradi-
Für eine geplante Operation wird beim Erwach- enten zwischen Magen und Pharynx) oder eines
senen normalerweise eine Nahrungskarenz von Erbrechens (aktiver reflektorischer Vorgang).
mindestens 6 Stunden gefordert (→ S. 5, 144, Ist der narkotisierte Patient hierbei nicht intu-
238). In den letzten Jahren erschienen jedoch biert, so droht, da die Schutzreflexe bei einer
mehrere Publikationen, die die Gabe von klarer Allgemeinnarkose ausgeschaltet sind, ein Ein-
(!) Flüssigkeit bis zu ca. 2 Stunden vor Narkose- dringen von Mageninhalt in das Tracheobron-
beginn befürworten (→ S. 5). Liegt der Zeit- chialsystem (= Aspiration; → S. 211).
punkt der letzten Aufnahme von fester (bzw. (Durch eine > 12-stündige Nicotinabstinenz
klarer flüssiger) Nahrung weniger als 6 (bzw. 2) kann die durch das Rauchen im Blut erhöhte
Stunden zurück oder ist der Zeitpunkt der letz- Kohlenmonoxidkonzentration und das peri-
ten Nahrungsaufnahme nicht bekannt, so ist operative Risiko kardialer Probleme vermindert
der Patient als nicht nüchtern zu betrachten. werden. Eine Verminderung des Aspirationsri-
Auch jeder Notfallpatient ist als nicht nüchtern sikos scheint durch eine perioperative Nicotin-
zu betrachten, da hier eine gestörte Magen- abstinenz – entgegen der zumeist üblichen An-
Darm-Tätigkeit anzunehmen ist. Außerdem nahme – nicht möglich zu sein. Aus Gründen
gelten prinzipiell als nicht nüchtern: der „Nüchternheit“ braucht also eine Operation
● Patienten mit einem Ileus nicht verschoben werden, falls der Patient –
(daher der Name „Ileuseinleitung“; → S. entgegen der präoperativen Empfehlung – doch
210) noch vor der Operation geraucht haben sollte,
● Patientinnen ab dem zweiten Drittel der ansonsten aber „nüchtern“ ist.)
Schwangerschaft
(ab ca. 14. Schwangerschaftswoche; z. T. wird
auch erst die 20. Schwangerschaftswoche als 4.1.2 Wahl des Narkoseverfahrens
Grenze angegeben)
● Patienten nach einem Unfall Wenn irgend möglich, ist eine Lokal- oder Re-
(verzögerte Magenentleerung durch starke gionalanästhesie vorzuziehen, da hierbei die
Schmerzen und Schock) Schutzreflexe stets erhalten sind. Falls eine Voll-
● Patienten mit einer Peritonitis narkose nicht vermeidbar ist, muss (!) eine In-
● Patienten mit Blutungen im Nasen-, Rachen- tubationsnarkose durchgeführt werden (Siche-
oder Ösophagusbereich rung der Luftwege gegen eine Aspiration; → S.
(Verschlucken von Blut) und Patienten mit 82). Eine Maskennarkose (→ S. 109) sowie eine
Magenblutungen Narkose unter Verwendung einer Larynxmaske
● Patienten mit einer Magenausgangsstenose, verbieten sich (!).
einem Ösophagusdivertikel oder einer Hia-
tushernie
210 4  Typische Narkoseprobleme

4.1.3 Aspirationsprophylaxe ● Legen einer großlumigen Magensonde und


Absaugen des Mageninhaltes:
Um die Gefahr einer schweren Lungenschädi- Eine komplette Magenentleerung ist damit
gung im Falle einer Aspiration zu vermindern, jedoch nicht garantiert. Meist wird empfoh-
kann eine medikamentöse Prophylaxe bei not- len, unmittelbar vor der Narkoseeinleitung
wendiger Intubationsnarkose durchgeführt die Magensonde wieder zu entfernen, da sie
werden. Hierdurch soll der pH-Wert des Ma- als Leitschiene für eine mögliche Regurgita-
gensekrets angehoben und/oder das Magensaft- tion während der Narkoseeinleitung dienen
volumen vermindert werden. könnte. (Manchmal wird auch empfohlen,
Mittels Antacida kann die Magensäure neutrali- die abgeleitete Magensonde zur Intubation
siert und der pH-Wert des Magens angehoben zu belassen.)
werden. Zumeist werden hierfür bei Erwachse- ● Lagerung:

nen 30 ml Natriumcitrat (ca. 5–10 Minuten vor Der Oberkörper wird ca. 30 Grad hochgela-
Narkoseeinleitung) verwendet. gert, um eine Regurgitation zu vermeiden.
Mittels H2-Rezeptoren-Blocker kann die Bil- Selten (vor allem bei akuten Blutungen im
dung von Magensäure blockiert und der pH- Nasen- und/oder Rachenraum) kann es auch
Wert des Magensekrets angehoben werden. sinnvoll sein, eine starke Oberkörpertieflage
Hierfür wird oft eine orale Gabe von z. B. Cime- durchzuführen.
tidin (Tagamet®) oder Ranitidin (Sostril®) ca. ● eingeschaltete, funktionsgeprüfte Absaug-

1–2 Stunden vor Narkoseeinleitung empfohlen. vorrichtung griffbereit legen


Durch Gabe von Metoclopramid (Paspertin®) ● Präoxygenierung (→ S. 113)

kann die Magenentleerung beschleunigt und ● Präcurarisierung (→ S. 116)

der Tonus des Mageneinganges (des unteren ● Einleitungshypnotikum (→ S. 114)

Ösophagussphinkters) erhöht werden. Es wer- ● keine Maskenbeatmung (!):

den hierfür beim Erwachsenen 10 mg Metoclo- Bei Maskenbeatmung kann Luft in den Ma-
pramid intravenös empfohlen. gen eingeblasen und eine Regurgitation pro-
Auch durch Gabe eines sog. Protonenpumpen- voziert werden.
hemmers kann die Bildung von Magensäure ● Succinylcholin

und eine Anhebung des pH-Wertes des Magen- sofort nach dem Einleitungshypnotikum
sekretes erzielt werden. Hierfür wird Omepra- spritzen. Obwohl die routinemäßige Gabe
zol (Antra®) oder Pantoprazol (Pantozol®) ca. 2 von Succinylcholin bei Wahleingriffen in-
Stunden präoperativ oral oder 1 Stunde präope- zwischen wegen möglicher Nebenwirkungen
rativ intravenös empfohlen. (maligne Hyperthermie; Rhabdomyolyse;
→ S. 76) abgelehnt wird, stellt die Ileuseinlei-
tung (falls keine absolute Kontraindikation
4.1.4 „Ileuseinleitung“ gegen Succinylcholin vorliegt) noch eine kla-
re Indikation für Succinylcholin dar. Der
Die Aspirationsgefahr ist bei der Narkoseeinlei- sehr schnelle Wirkungseintritt überwiegt
tung am größten. Mit Beginn der Narkose fallen hier normalerweise die möglichen Neben-
die Schutzreflexe aus, die Luftwege müssen aber wirkungen. Besteht eine Kontraindikation
erst noch durch die Intubation gesichert wer- gegen Succinylcholin, dann ist das schnell
den. Um in diesem Zeitraum die Gefahr eines wirkende Rocuronium das Relaxans der
Erbrechens oder einer Regurgitation zu ver- Wahl. In diesem Falle kann auf eine Präcur-
mindern, wird eine spezielle Einleitungsform, arisierung bzw. Priming-Dosis verzichtet
eine sog. „Ileuseinleitung“ (rapid sequence in- werden (→ S. 116).
duction = RSI) gewählt. Es hat sich bei Erwach- ● Sellik-Handgriff:

senen folgendes Vorgehen bewährt: Ein Helfer drückt vom Eintritt des Bewusst-
4.2  Aspiration 211

seinsverlusts beim Patienten bis kurz nach der Häufig handelt es sich um die Aspiration von
Intubation (mit Daumen und Zeigefinger) auf erbrochenem oder regurgitiertem Magen-
den Ringknorpel des Patienten. Durch dieses Darm-Inhalt. Bei einer Aspiration von Magen-
„Nach-hinten-Drücken“ des Ringknorpels Darm-Inhalt drohen eine Epithelschädigung
wird der Ösophagus zwischen Ringknorpel des Bronchialsystems mit Schleimhautödem
und Halswirbelsäule komprimiert, dadurch und spastischer Bronchitis sowie eine Schä­
kann eine passive Regurgitation verhindert digung des Alveolarepithels bzw. ein Lun­
werden. Der Sellik-Handgriff muss jedoch genödem. Folgen sind Tachypnoe, Zyanose,
während eines aktiven Erbrechens unterlas- Hypoxämie, Tachykardie und Hypotonie. Wei-
sen werden, da hierbei unter Umständen eine tere mögliche Probleme sind Lungenatelekta-
Ösophagusruptur drohen kann. sen, Lungenentzündungen sowie Lungenab-
● Blitzintubation (= crash intubation) szesse.
● sofortiges Blocken des Tubus:

Unmittelbar nach der gelungenen Intubation


muss der Tubus schnell und sicher geblockt 4.2.2 Therapie
werden. Diese erste Blockung erfolgt bei ei-
ner Ileuseinleitung nicht wie normalerweise ● sofortige Intubation
nach Gehör (→ S. 96), sondern so schnell ● 100 % Sauerstoff
wie möglich, da der Patient evtl. kurz nach ● PEEP (→ S. 23)
der Intubation regurgitieren oder erbrechen ● Bronchialtoilette:
könnte. Zu einem späteren Zeitpunkt kann Aspirierte Flüssigkeiten müssen umgehend
dann die Blockung des Tubus nochmals nach abgesaugt werden. Auf ein früher öfter emp-
Gehör oder mittels Cuff-Druckmesser neu fohlenes mehrmaliges Spülen mit kleinen
vorgenommen werden. Mengen physiologischer Kochsalzlösung
● Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97): (5–10 ml) sollte verzichtet werden. Wurde
Nach der Intubation kann die Narkose als z. B. Magensäure aspiriert, dann könnte
(T)IVA (→ S. 125), als Inhalationsanästhesie durch eine solche Spülung eine weitere Aus-
(→ S. 116) oder balancierte Anästhesie (→ S. breitung in die Lungenperipherie provoziert
124) weitergeführt werden. Falls die Magen- werden. Es empfiehlt sich stets eine geziel­-
sonde zur Intubation wieder entfernt wurde, te Absaugung mit dem flexiblen Fiberbron-
muss erneut eine Magensonde gelegt und ab- choskop. Größere feste Partikel müssen auf
geleitet werden. Da während der Narko- jeden Fall bronchoskopisch entfernt werden,
seausleitung ebenfalls ein Erbrechen oder um die Ausbildung von Atelektasen distal
eine Regurgitation droht, darf die Extubati- des Fremdkörpers zu verhindern.
on erst durchgeführt werden, wenn die ● Steroidtherapie

Schutzreflexe wieder voll zurückgekehrt sind wird normalerweise abgelehnt.


und der Patient den Tubus fast „aushustet“. ● Antibiotikatherapie:

Eine prophylaktische Antibiotikatherapie


wird inzwischen abgelehnt. Erst beim Auf-
treten von Sekundärinfektionen werden An-
4.2 Aspiration tibiotika entsprechend dem Bronchialab-
strich und dessen Austestung verordnet. Nur
4.2.1 Allgemeine Bemerkungen bei Aspiration von infiziertem Material (z. B.
Darminhalt oder Eiter aus einem Peritonsil-

Unter einer Aspiration wird das Eindringen von larabszess) muss eine sofortige Antibiotika-
 Fremdkörpern in das Tracheobronchialsystem ver- therapie begonnen werden.
standen.
212 4  Typische Narkoseprobleme

● Beta-2-Mimetikum der Muskulatur (mit erhöhter intrazellulärer Calci-


bei spastischer Bronchitis. Beta-2-Mimetika umkonzentration) kommt es zu einer Muskelrigi-
werden per inhalationem verabreicht. Sie sti- dität und zu einer exzessiven Stoffwechselsteige-
mulieren die Beta-2-Rezeptoren des Bron- rung in der Muskulatur mit enormer Wärmepro-
chialsystems und verursachen eine starke duktion.
Bronchodilatation (→ S. 500). Eventuell kann
auch Theophyllin (Bronchoparat®) verab- Während die Mortalität vor 20 Jahren noch bei
reicht werden, das ebenfalls bronchodilatie- ca. 75 % lag, konnte sie durch neue Therapie-
rend wirkt. möglichkeiten drastisch reduziert werden. Bei
● Verlegung auf eine Intensivstation, frühzeitiger Diagnosestellung und Therapie soll-
auch wenn es dem Patienten relativ gut geht. te die Mortalität inzwischen nahezu Null sein.
Pulmonale Probleme können unter Umstän-
den erst nach einigen Stunden auftreten.
● Arterielle Blutgasanalysen 4.3.2 Erkennungszeichen
sind engmaschig durchzuführen. Eine ent-
sprechende Korrektur der inspiratorischen ● Muskelrigidität:
Sauerstoffkonzentration und des PEEP-Ni- Früher, als zur Intubation zumeist routine-
veaus (→ S. 23) können notwendig werden. mäßig Succinylcholin verwendet wurde, fiel
● Röntgenaufnahmen des Thorax meist als erstes Zeichen bei der Intubation
sind wiederholt durchzuführen. eine ungenügende Erschlaffung der Unter-
kiefermuskulatur auf (= Kieferklemme).
Wurde wegen anscheinend ungenügender
Wirkung Succinylcholin nachinjiziert, dann
4.3 Maligne Hyperthermie kam es meist zu einer weiteren Verstärkung
der Muskelsteifheit (Frühsymptom).
4.3.1 Allgemeine Bemerkungen ● Tachykardie und tachykarde Rhythmusstö-

rungen (Frühsymptom)

Bei der malignen Hyperthermie (= MH) handelt ● Hypoxämie oder Zyanose
 es sich um eine sehr seltene, aber gefürchtete ● metabolische und respiratorische Acidose
Narkosekomplikation. Bei Patienten mit einer ent- (pH-Abfall):
sprechenden genetischen Disposition kann durch Durch die massive Stoffwechselsteigerung in
bestimmte Narkosemedikamente eine MH ausge- der Muskulatur kommt es zu einer exzessiven
löst werden. Eine MH führt über eine exzessive CO2-Produktion. Bei relaxierten und volu-
Steigerung des Stoffwechsels letztlich zu einem menkonstant beatmeten Patienten entwickelt
extremen Anstieg der Körpertemperatur. Unbe- sich ein enormer Anstieg des arteriellen CO2-
handelt führt die MH zum Tode. Wertes. Bei spontan atmenden Patienten
ergibt sich eine auffällige Steigerung von
Die Häufigkeit einer Disposition zur MH be- Atemzugvolumen und Atemfrequenz. Die
trägt bei Jugendlichen und Kindern 1 : 15 000, CO2-Absorber sind bald erschöpft und verfär-
bei Erwachsenen 1 : 50 000. Bei Kindern unter 2 ben sich schnell. Außerdem kommt es zur
Jahren und bei älteren Patienten ist die MH ex- Ausbildung einer metabolischen Acidose. Ur-
trem selten. Die Neigung zur malignen Hyper- sache ist eine Gewebshypoxie mit beginnender
thermie ist erblich (Familienanamnese?!). anaerober Glykolyse und Lactatbildung.
● Hyperkaliämie:

Die Ursache liegt in einer noch nicht ganz geklär- Durch eine Rhabdomyolyse (= Auflösung
! ten Störung der Skelettmuskulatur. Durch eine quergestreifter Muskelfasern) wird Kalium
plötzlich ausgelöste Störung im Calciumhaushalt aus den Muskelzellen freigesetzt (→ S. 76).
4.3  Maligne Hyperthermie 213

● Fieber bis über 42 °C: Falls innerhalb dieser Zeit keine eindeutige
Fieber ist nicht die Ursache der MH, sondern Wirkung erkennbar wird, ist die Diagnose in
die Folge des erhöhten Muskelstoffwechsels. Zweifel zu ziehen. Dantrolen greift in den Cal-
Daher ist der Fieberanstieg kein Früh-, son- ciumhaushalt ein.
dern ein Spätsymptom der MH. Je höher
der Fieberanstieg, desto schlechter ist die Die bisher genannten Maßnahmen sind mit Ab-
Prognose. stand die wichtigsten. Sie sind sofort durchzu-
● Myoglobinämie, Myoglobinurie durch auf- führen. Von nachgeordneter Wichtigkeit sind:
tretende Rhabdomyolyse ● Kontrolle der Plasmakaliumkonzentration
● instabiler Blutdruck (Hypertonie oder Hy- (ggf. Therapie einer Hyperkaliämie)
potonie) ● pH-Korrektur

● Aktivitätsanstieg der Kreatinkinase (CK) durch Gabe von Natriumbicarbonat (= Na-


● Oligurie triumhydrogencarbonat; initial 1,0 mmol/
kg KG)
● Oberflächenkühlung des Patienten

4.4.3 Mögliche auslösende bis ca. 38 °C (Eispackung, kalte Infusionen)


● Legen eines Blasenkatheters
Faktoren
● Einleitung einer forcierten Diurese:

● verdampfbare Inhalationsanästhetika falls durch das im Dantrolen enthaltene


(Isofluran, Sevofluran, Desfluran) Mannit (osmotisches Diuretikum) keine
● Succinylcholin Ausscheidung von 1,5 ml/kg KG/h erreicht
● Stress wird; gleichzeitig gesteigertes Volumenange-
bot sowie Lasix®-Gabe
● nach dem Abklingen einer MH-Krise sollte

4.3.4 Therapie noch über 24 Stunden eine Dantroleninfu­


sion mit 10 mg/kg KG/d durchgeführt wer-
● entscheidend: den.
frühe Diagnosestellung (!) ● mehrere intravenöse Zugänge sowie eine in-

● sofort Zufuhr möglicher auslösender Fakto- traarterielle Kanüle platzieren


ren unterbrechen ● intensivmedizinische Überwachung

● 100 % Sauerstoff ● engmaschige Laborbestimmungen:

● sofort Erhöhung des Atemminutenvolumens Plasma: K, Na, CK, GOT, GPT, LDH, Blut-
auf den ca. 3- bis 4-fachen Ausgangswert zucker, Gerinnungsstatus, Lactat, BGA;
(Frischgasfluss für Sauerstoff auf den Maxi- im Serum und Urin: Myoglobin
malwert (ca. 15 l/min) erhöhen, um den An- ● MH-Krise muss am Ort des Auftretens be-

teil der Rückatmung zu minimieren; → S. herrscht werden. Erst danach erfolgt die Ver-
12 f.). Es sind ein normaler arterieller CO2- legung (z. B. auf Intensivstation oder in ein
Wert und eine normale arterielle Sauerstoff- anderes Krankenhaus).
sättigung anzustreben. ● initial keine Therapie des Fiebers; initial The-

● Dantrolen mit einer Dosierung von 2,5 mg/ rapie des Hypermetabolismus!
kg KG intravenös als Schnellinfusion. Diese ● keine Calciumkanalblocker (z. B. Verapamil)

Dosis von 2,5 mg/kg KG ist (ggf. mehrfach) zu verabreichen (Unverträglichkeit mit Dantro-
wiederholen, bis sich eindeutige Zeichen eines len)
Therapieerfolges einstellen oder bis zu einer ● keine Digitalispräparate verabreichen

Gesamtdosis von ca. 20 mg/kg KG intravenös. ● „MH-Hotline“:

Innerhalb von 20–30 Minuten nach Infusions- 0 71 31-48 20 50 (Städt. Krankenhaus Heil-
beginn ist ein Wirkungsbeginn zu erwarten. bronn)
214 4  Typische Narkoseprobleme

Einem Patienten mit Verdacht auf eine Neigung 4.4 Laryngospasmus


(= Prädisposition) zur MH sollte – sowie auch
seinen Verwandten – eine definitive Abklärung 4.4.1 Allgemeine Bemerkungen
mittels Muskelbiopsie empfohlen werden.

Unter einem echten Laryngospasmus wird ein
 Krampfzustand der gesamten Kehlkopfmuskula-
4.3.5 Anästhesie bei bekannter tur verstanden. Neben den Stimmbändern ver-
Neigung zur MH schließen sich auch die sog. Taschenfalten (= fal-
sche Stimmbänder) und die sog. aryepiglottischen
Es ist auf eine tiefe präoperative Anxiolyse und Falten.
Sedierung des Patienten zu achten, um den
möglichen Auslösemechanismus „Stress“ zu Der Kehlkopfeingang ist zumeist ganz ver-
vermeiden! Hierzu eignet sich z. B. eine Präme- schlossen und jegliche Atmung unmöglich. Ein
dikation mit Midazolam. Es scheint ausrei- Laryngospasmus ist oft nur schwer zu durch-
chend, Dantrolen in Bereitschaft zu haben. brechen, und es kann schnell eine akute Hyp-
oxie entstehen.
Das Narkosegerät muss vor Gebrauch „dekon- Bei einem Glottiskrampf (= Stimmritzen-
! taminiert“ werden, das heißt Absorberkalk und krampf) sind dagegen nur die echten Stimm-
Atemschläuche sind zu erneuern und der Vapor ist bänder mehr oder weniger verschlossen. Die
zu entfernen. Anschließend ist das Gerät für min- Einatmung ist deutlich behindert. Der Glottis­
destens 10 Minuten mit einem Frischgasfluss von krampf ist meist nur inkomplett und lässt sich
ca. 10 l/min durchzuspülen. leichter überwinden. Im klinischen Sprachge-
brauch werden allerdings unkorrekterweise die
An zusätzlichen Überwachungsmaßnahmen Begriffe Laryngospasmus und Glottiskrampf oft
sind mindestens notwendig: kontinuierliche gleichgesetzt.
endexspiratorische CO2-Messung, Pulsoxyme- Unter einem Stridor wird ein pfeifendes Atem-
trie, kontinuierliche Temperaturmessung, wie- geräusch verstanden. Ein exspiratorischer Stri-
derholt arterielle BGAs, Bestimmung der dor ist meist durch eine teilweise Verengung der
CK-Aktivität prä-, intra- und postoperativ. distalen Atemwege, ein inspiratorischer Stridor
Nach einer kleineren Operation sollte der Pati- meist durch eine teilweise Verlegung der oberen
ent > 4–6 Stunden, nach einer größeren Opera- Luftwege bedingt.
tion > 24 Stunden überwacht werden.
Erlaubte Medikamente:
● Barbiturate, Propofol, Etomidat 4.4.2 Erkennungszeichen
● Opioide

● nicht depolarisierende Relaxanzien Bei einem Laryngospasmus mit meist komplet-


wie Atracurium, cis-Atracurium, Pancuroni- tem Verschluss des Kehlkopfeingangs ist keine
um, Vecuronium, Rocuronium, Mivacurium Luftströmung möglich. Der Patient versucht
● Lachgas normalerweise verzweifelt, das Atemhindernis
● Droperidol zu überwinden, was an den krampfhaften Tho-
● Benzodiazepine (z. B. Midazolam; → S. 6) rax- und Bauchbewegungen erkennbar wird.
● Lokalanästhetika vom Amid- und Estertyp Bei der vergeblichen Inspiration kommt es zur
(vgl. Tab. 2-1) Senkung des Brustkorbs und zur Vorwölbung
● Propofol des Bauches, also zu einer paradoxen Atembe-
● Catecholamine und Vasodilatanzien können, wegung (= Schaukelatmung). Ein Laryngospas-
falls notwendig, eingesetzt werden mus führt schnell zu Atemnot, Sauerstoffmangel
● Antagonisten für Opioide oder nicht depola- und Zyanose. Löst er sich nicht innerhalb weni-
risierende Muskelrelaxanzien
4.4  Laryngospasmus 215

ger Minuten oder kann er nicht durchbrochen Stimulus, also den irritierenden Fremdkörper
werden, so droht der Tod durch Sauerstoffman- (z. B. Guedel-Tubus), am Kehlkopfeingang zu
gel. Insbesondere bei Kleinkindern entsteht sehr entfernen oder die schmerzhafte Manipulation
schnell eine kritische Situation (→ S. 234). in zu flacher Maskennarkose zu unterbrechen.
Durch die energische Anwendung des Es-
march-Handgriffs (= Überstreckung des Kop-
4.4.3 Mögliche Ursachen fes und Subluxation des Unterkiefers nach vorn;
→ S. 323) kann es gelingen, den Laryngospas-
● Ein Laryngospasmus kann vor allem nach mus zu durchbrechen.
der Extubation auftreten, wenn der Kehl- Kommt es bei der Narkoseeinleitung zu einem
kopfeingang durch Sekret, Blut oder sonstige Laryngospasmus, so kann durch eine Vertie-
Fremdkörper gereizt wird. fung des Narkosestadiums mit einem intrave-
● Auch ein Intubationsversuch oder das Ein- nösen Hypnotikum der Reflex zentral im Ge-
führen eines Guedel-Tubus bei zu oberfläch- hirn durchbrochen werden. Alternativ kann
licher Narkose oder eine Extubation während auch (frühzeitig!) Succinylcholin verabreicht
des Exzitationsstadiums (→ S. 106) können werden. Der Patient muss dann kurzfristig mit
einen Laryngospasmus hervorrufen. der Maske beatmet werden. Nach einer Relaxa-
● Des Weiteren tritt manchmal während einer tion mit Succinylcholin kann der Patient ggf.
Maskennarkose ein Laryngospasmus auf, auch intubiert werden.
wenn sehr schmerzhafte Manipulationen in Zumeist lässt sich der Laryngospasmus durch
zu oberflächlicher Narkose vorgenommen die beschriebenen Maßnahmen beheben. Durch
werden. einen Laryngospasmus kann u. U. eine hoch-
dramatische Situation entstehen, die z. B. das
Einstechen mehrerer großlumiger Stahlkanülen
4.4.4 Therapie durch das Ligamentum cricothyreoideum (beim
Kind) oder eine Notkoniotomie (beim Erwach-
Der Versuch, durch eine Maskenbeatmung mit senen; → S. 229) notwendig macht.
hohem Beatmungsdruck zu beatmen, mag bei
einem Glottiskrampf meist gelingen. Bei einem
echten Laryngospasmus ist dies nicht (!) mög- 4.4.5 Prophylaxe
lich. Hier besteht lediglich die große Gefahr, das
Beatmungsgemisch in den Magen zu blasen. Durch korrektes Vorgehen kann ein Laryngo-
Dem Patienten sollte die Maske mit einem ho- spasmus meistens vermieden werden. Vor der
hen Sauerstofffluss nur dicht vors Gesicht ge- Extubation ist der Mund-Rachen-Raum von
halten werden. Auch der zumeist unkluge und Blut und Sekreten sorgfältig zu reinigen. Bei
vergebliche Versuch, sofort einen Tubus durch Operationen im Mund-Rachen-Bereich oder
den spastischen Kehlkopf zu zwängen, sollte sonstigem Verdacht auf Fremdkörper im Ra-
vermieden werden. Hierdurch können schwere chenraum sollte immer eine Absaugung un­-
Verletzungen des Kehlkopfes gesetzt werden. ter laryngoskopischer Sicht durchgeführt wer-
Der manchmal empfohlene Versuch, den La- den. Eine Extubation im sog. Exzitationsstadium
ryngospasmus mit intravenöser Atropingabe zu (→ S. 106) muss vermieden werden. Ebenso
durchbrechen, ist ebenfalls nicht erfolgreich. ist das Einlegen eines Guedel-Tubus oder
Die einfachste Maßnahme, um einen Laryngo- die Intubation in zu flacher Narkose zu unter-
spasmus zu durchbrechen, ist, den auslösenden lassen.
216 4  Typische Narkoseprobleme

4.5 Bronchospasmus 4.5.4 Therapie

4.5.1 Allgemeine Bemerkungen Es empfiehlt sich eine manuelle Beatmung mit


erhöhter inspiratorischer Sauerstoffkonzentra-

Bei einem Bronchospasmus kommt es zu einer tion. Zumeist kann ein Bronchospasmus durch
 plötzlichen Engstellung der Bronchialwege, ver- Vertiefung der Narkose (vorzugsweise mit ei-
gleichbar einem akuten Asthma-bronchiale-Anfall. nem der bronchodilatierend wirkenden volati-
Typisch sind hohe Beatmungsdrücke, verlängertes len Inhalationsanästhetika) durchbrochen wer-
Exspirium sowie Giemen und Brummen. Ursachen den. Auch die intravenöse Gabe von Propofol
eines Bronchospasmus sind häufig operative bzw. (ca. 2 mg/kg KG) kann zur Vertiefung der Nar-
sonstige Manipulationen im Bereich der Atemwe- kose sinnvoll sein. Propofol scheint deshalb be-
ge (z. B. endotracheale Intubation) in zu flacher sonders geeignet, da es die laryngobronchialen
Narkose. Reflexe besser dämpft als andere Induktions-
hypnotika. Lässt sich der Bronchospasmus
durch eine Vertiefung der Narkose nicht über-
4.5.2 Erkennungszeichen winden, muss ggf. ein Beta-2-Mimetikum in-
travenös (Reproterol, Bronchospasmin®; 1 Amp.
Während eines Bronchospasmus sind die Atem- = 90 µg) oder per inhalationem (Berotec®, Bri-
wegswiderstände und die notwendigen Beat- canyl®, Sultanol®) verabreicht werden. Es wer-
mungsdrücke deutlich erhöht. Das verabreich- den z. B. mindestens 2 Hübe alle 10 Minuten
bare Atemhubvolumen nimmt ab. Im Extremfall empfohlen. Bei schwerem Bronchospasmus
ist der Patient (fast) nicht mehr zu beatmen. Es kann evtl. auch die intravenöse Gabe von
drohen Hyperkapnie und Hypoxie. Die Kapno- Ketamin (ca. 1–2 mg/kg KG) erfolgreich sein.
graphiekurve zeigt einen verzögerten exspirato- Falls ein Bronchospasmus trotz Therapie mit
rischen CO2-Anstieg. Beta-2-Agonisten fortbesteht, kann eine zusätz-
liche Gabe von Corticosteroiden (z. B. 1–2 mg/
kg KG Methylprednisolon) und Theophyllin
4.5.3 Mögliche Ursachen (initial bis 5 mg/kg KG langsam i. v.; dann 0,5–
1,0 mg/kg KG/h i. v.) indiziert sein.
Bronchospasmus gefährdet sind vor allem Pati- Häufiger ist ein Bronchospasmus durch eine
enten mit Asthma bronchiale, akutem Atem- anaphylaktoide Reaktion bedingt. Die Therapie
wegsinfekt, chronisch obstruktiver Lungener- einer anaphylaktoiden Reaktion wird ausführ-
krankung, Nicotinabusus, allergischer Rhinitis lich auf Seite 219 beschrieben.
oder Neigung zu allergischen Reaktionen. Auch Bei einem Bronchospasmus ist auch zumeist
eine Aspiration bzw. eine anaphylaktoide Reak- noch eine gewisse Ventilation möglich, sodass
tion führt häufig zu einem Bronchospasmus. nur relativ selten eine akut bedrohliche Situati-
on auftritt. Unter anästhesiologischen Gesichts-
Häufig wird allerdings ein schwerer Bronchospas- punkten stellt ein schwerer Laryngospasmus
! mus nur vorgetäuscht. Mögliche Ursachen hierfür (→ S. 214) das größere praktische Problem dar.
sind abgeknickter oder fast verlegter Tubus, Pneu-
mothorax, Aspiration, einseitige Intubation, Lun-
genödem, Lungenembolie oder anaphylaktoide 4.5.5 Prophylaxe
Reaktion.
Bei Patienten, die für einen Bronchospasmus
prädisponiert sind, sollte eine suffiziente Prä-
medikation durchgeführt werden. Prophylak-
tisch können auch 2–4 Hübe eines Beta-2-Mi-
4.7  Herzrhythmusstörungen 217

metikums 20–40 Minuten vor der geplanten 4.7 Herzrhythmusstörungen


Intubation verabreicht werden. Es sollte ein Re-
gionalanästhesieverfahren vorgezogen werden, 4.7.1 Allgemeine Bemerkungen
da die endotracheale Intubation den wichtig-
sten Auslösefaktor darstellt. Ist eine Allgemein- Manchmal treten während einer Narkose Herz-
anästhesie notwendig, kann eine Maskennarko- rhythmusstörungen auf. Zumeist handelt es
se oder die Verwendung einer Larynxmaske sich hierbei um ventrikuläre Extrasystolen.
vorteilhaft sein, da die Atemwege dabei weniger
irritiert werden als bei einer Intubationsnarko-
Ventrikuläre Extrasystolen zeichnen sich da-
se. Falls eine Intubationsnarkose notwendig ist,  durch aus, dass der QRS-Komplex im Vergleich
stellt eine tiefe Narkoseführung zumeist die bes- zum normalen Rhythmus verfrüht einfällt, stark
te Prophylaxe dar. Als Induktionshypnotikum deformiert (also völlig anders aussieht als die an-
ist insbesondere Propofol geeignet, da es die deren QRS-Komplexe) und von einer kompensato-
Atemwegsreflexe stärker dämpft als andere rischen Pause gefolgt ist (vgl. Abb. 7-7).
Hypnotika. Auch Ketamin ist gut geeignet. Zur
Aufrechterhaltung der Narkose bieten sich ein
volatiles Inhalationsanästhetikum und die zu- 4.7.2 Ursachen
sätzliche Gabe eines Opioids an. Es sollten
Medikamente vermieden werden, von denen Als Ursachen für ventrikuläre Extrasystolen
bekannt ist, dass sie häufiger eine Histaminfrei- kommen infrage:
setzung verursachen (z. B. Atracurium, Miva- ● zu flache Narkose:

curium). Ventrikuläre Extrasystolen treten häufig bei


der Intubation in zu flacher Narkose auf. Die
Narkose muss rasch vertieft werden. Auch
bei der Narkoseausleitung treten manchmal
4.6 Singultus ventrikuläre Extrasystolen auf, wenn der
noch intubierte Patient den Tubus als sehr
4.6.1 Allgemeine Bemerkungen schmerzvoll empfindet.
● Elektrolytstörungen:

Unter Singultus (= Schluckauf) wird eine unwill- Es muss vor allem an einen Kaliummangel
! kürliche rasche Kontraktion des Zwerchfells mit gedacht werden, der bei Patienten, die mit
gleichzeitigem Stimmritzenverschluss und nach- Diuretika behandelt sind, häufig anzutreffen
folgender brüsker Einatmung verstanden. Bei der ist. Digitalisierte Patienten reagieren auf ei-
brüsken Einatmung wird ein hoher Ton hervorge- nen Kaliummangel besonders empfindlich.
rufen. Außerdem ist zu beachten, dass durch eine
Hyperventilation (= respiratorische Alkalo-
Intraoperativ kann es (v. a. bei abdominalen se) der Kaliumwert abfällt. Kalium muss in
Eingriffen) manchmal zu einem hartnäckigen Form von Kaliumchlorid zentralvenös sub-
Singultus kommen. stituiert werden. Nur im Ausnahmefall darf
Kaliumchlorid über einen periphervenösen
Zugang verabreicht werden (venenreizend
4.6.2 Therapie und schmerzhaft!). Es sollten nicht mehr als
20 mmol/h verabreicht werden.
● Vertiefung der Narkose ● Catecholamingabe oder Catecholaminaus-

● mäßige Hyperventilation schüttung:


● Legen einer Magensonde Werden Catecholamine verabreicht (z. B. ad-
● ggf. Relaxation renalinhaltige Lokalanästhetika in der HNO
218 4  Typische Narkoseprobleme

und Kieferchirurgie; → S. 280) oder werden 4.8 Hypotonie


bei zu flacher Narkose durch den Stress Ca-
techolamine von der Nebennierenrinde aus-
geschüttet, so treten leicht Rhythmusstörun-

Unter einer Hypotonie wird ein zu niedriger Blut-
 druck (unterhalb des Normalbereichs) verstanden.
gen auf. Eine zu flache Narkose sollte auch
Hat ein Patient normalerweise hypotone Blut-
unter diesem Aspekt vermieden werden.
druckwerte, so hat dies keinen Krankheitswert.
● Herzmuskelschädigung
Kommt es aber bei vorher normalem oder zu ho-
● Hypoxie
hem Blutdruck zu einem akuten Abfall auf hypo-
● Hyperkapnie
tone Werte, so ist meist eine Therapie notwendig.
● Digitalisüberdosierung
● Succinylcholin:
Vor allem nach zweiter Gabe können öfter ven- Ursachen einer Hypotonie sind fast immer in ei-
trikuläre Extrasystolen auftreten. ! ner Überdosierung von Medikamenten (z. B. von
verdampfbaren Inhalationsanästhetika, Thiopen-
tal, Propofol) oder in einem nicht adäquat thera-
pierten Volumenmangel zu sehen. Auch beim An-
4.7.3 Therapie legen einer rückenmarksnahen Leitungsanästhe-
sie kommt es häufig zu einem Blutdruckabfall.
Wenn ventrikuläre Extrasystolen häufiger als
5-mal pro Minute auftreten und nicht kausal Selten tritt während der Narkose eine kardiale
therapierbar sind (z. B. durch Vertiefung der Dekompensation auf, die eine Unterstützung
Narkose) oder wenn sie hämodynamische der Herz-Kreislauf-Funktion mit Catecholami-
Probleme bereiten, so wird manchmal zur The- nen (→ S. 300) notwendig macht. Ursache ist
rapie solcher ventrikulärer Tachyarrhythmien oft eine übermäßige Infusionstherapie bei Pa­
Amiodaron (Cordarex®) in einer Dosierung tienten mit vorbestehender Herzinsuffizienz.
von 5 mg/kg KG langsam intravenös verab- Manchmal kann auch eine allergische Reaktion
reicht. Früher stellte der Natriumkanalblocker die Ursache eines plötzlichen Blutdruckabfalls
Lidocain intravenös (1 mg/kg KG initial) das sein.
Mittel der Wahl dar. Es kann auch der Natrium-
kanalblocker Ajmalin (Gilurytmal®) eingesetzt
werden. Antiarrhythmika aus der Gruppe der
Natriumkanalblocker wie z. B. Lidocain (→ S. 4.9 Hypertonie
155) werden inzwischen allerdings zunehmend
seltener verwendet (insbesondere bei Patienten
mit frischem Myokardinfarkt ist Vorsicht gebo-
Unter einer Hypertonie wird ein zu hoher Blut-
ten; → S. 498). Treten ventrikuläre Extrasysto-  druck (oberhalb des Normalbereichs) verstanden.
len als Folge einer Digitalisüberdosierung auf, Hat ein Patient normalerweise einen zu hohen
so sollte zunächst versucht werden, die Kalium- Blutdruck, so hat dies einen Krankheitswert und
konzentration in den oberen Normbereich ist behandlungsbedürftig. Perioperativ kann es
(4,5–5,0 mmol/l) anzuheben. Sollen diese ven- aus verschiedensten Ursachen zu einem akuten
trikulären Extrasystolen schnell therapiert wer- Anstieg des Blutdruckes kommen.
den, dann ist Phenytoin das Mittel der Wahl
(bis zu 5 mg/kg KG langsam i. v.). Es kann auch Ursache einer Hypertonie in der perioperativen
Ajmalin (Gilurytmal®; 50 mg) langsam intrave- ! Phase ist meist ein schmerzbedingter Blutdruck-
nös verabreicht werden. anstieg bei zu flacher Narkoseführung oder eine
unzureichende postoperative Schmerzmedikation
(→ S. 328).
4.10  Anaphylaktoide Reaktionen 219

Die Therapie besteht in einer Vertiefung der Sowohl bei den allergischen als auch bei den
Narkose oder einer adäquaten postoperativen pseudoallergischen Reaktionen kommt es zur
Analgesie. Auch bei einer Überdosierung von Freisetzung einer großen Anzahl von Mediato-
Medikamenten wie Catecholaminen (→ S. 300), ren (= chemischen Überträgerstoffen). Einer
Akrinor® (→ S. 117) oder Theophyllin (→ S. der bedeutendsten Mediatoren ist das Hist-
501) kann ein übermäßiger Blutdruckanstieg amin. Histamin wird insbesondere aus Mast-
auftreten. Des Weiteren kann es bei der Antago- zellen sowie basophilen Leukozyten freigesetzt.
nisierung eines postoperativen Opioidüber- Histamin übt seine Wirkungen über spezifische
hangs zu einem plötzlichen Blutdruckanstieg H1- und H2-Rezeptoren aus. H1-Rezeptoren
kommen (da hierdurch die opioidbedingte vermitteln eine Gefäßweitstellung (= Vasodila-
Dämpfung der postoperativen Schmerzen tation) mit Zunahme der Gefäßdurchlässigkeit
plötzlich wegfällt und akut Schmerzen auftreten (= Permeabilität) sowie eine Bronchokonstrik-
können, → S. 61). Diese Medikamente müssen tion und eine Konstriktion im Bereich des Ma-
entsprechend vorsichtig dosiert werden. gen-Darm-Trakts. H2-Rezeptoren vermitteln
Manchmal kann es sich aber auch um einen Pa- Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Steige-
tienten mit einem schlecht eingestellten Blut- rung der Magensaftproduktion sowie eine
hochdruck handeln. Die Therapie wird auf Seite verzögert auftretende und länger andauernde
325 beschrieben. Vasodilatation mit Steigerung der Gefäßper-
meabilität. Für die H2-vermittelte Vasodilatati-
on und Zunahme der Gefäßpermeabilität (=
kapilläres Leck) sind allerdings relativ hohe
4.10 Anaphylaktoide Histaminkonzentrationen notwendig.
Reaktionen
4.10.2 Einteilung
4.10.1 Allgemeine Bemerkungen der Schweregrade

Unter einer Allergie werden immunologische Anaphylaktoide Reaktionen können in ver-
 Reaktionen verstanden, die durch Kontakt mit schiedene Schweregrade unterteilt werden (vgl.
solchen körperfremden Substanzen ausgelöst Tab. 4-1). Die Stadieneinteilung gibt aber kei-
werden, gegen die eine vorausgegangene Sensi- neswegs die Reihenfolge des Auftretens der ein-
bilisierung besteht. zelnen Symptome wieder. Es kann auch initial
Unter einer Anaphylaxie wird die Maximalvari- ein Kreislaufstillstand auftreten und erst nach
ante einer allergischen Reaktion verstanden. erfolgreicher Therapie können dann z. B. Haut-
Unter dem Begriff Pseudoallergie werden da- quaddeln (= eine Urtikaria) erkennbar werden.
gegen Unverträglichkeitsreaktionen verstanden,
die klinisch einer allergischen Reaktion gleichen,
denen jedoch keine immunologische Reaktion 4.10.3 Häufigkeit
zugrunde liegt. Eine pseudoallergische Reaktion
kann bereits beim Erstkontakt mit einer bestimm- In ca. 1–5 % aller Narkosen kommt es zu einer
ten Substanz auftreten, während bei einer echten klinisch nachweisbaren anaphylaktoiden Reak-
allergischen Reaktion immer eine Sensibilisierung tion unterschiedlichster Ausprägung. Bei ca.
vorausgehen muss. Klinisch sind allergische und 1 : 5 000 bis 1 : 25 000 Narkosen kommt es zu
pseudoallergische Reaktionen nicht zu unter- einer schweren anaphylaktoiden Reaktion. Le-
scheiden. Allergische und pseudoallergische Re- diglich bei ca. 30 % der Fälle liegt eine immuno-
aktionen werden unter dem Oberbegriff anaphy- logisch vermittelte Allergie zugrunde. Die häu-
laktoide Reaktionen zusammengefasst. figste Ursache für eine anaphylaktoide Reaktion
220 4  Typische Narkoseprobleme

Tab. 4-1  Schweregrade und Symptomatik anaphylak- sind auch in Kosmetika, industriellen Lösungs-
toider Reaktionen mitteln und Chemikalien (z. B. Haushaltsreini-
Schweregrade Symptomatik gern) weit verbreitet, wodurch es bei Frauen rela-
tiv oft zu einer Sensibilisierung kommt.
0 lokal (am Ort des lokal begrenzte kutane
Kontakts mit dem Reaktion
Auslöser)
1 leichte disseminierte kutane
4.10.4 Therapie
Allgemeinreaktion Reaktion
Bei Auftreten einer anaphylaktoiden Reaktion
(z.B. Flush, generalisierte
Urtikaria, Pruritus) muss – falls noch möglich – die weitere Zufuhr
Schleimhautreaktion des auslösenden Präparates sofort gestoppt wer-
(z.B. Nase, Konjunktiven) den. Zur Therapie einer anaphylaktoiden Reak-
Allgemeinreaktionen tion haben sich nur wenige Medikamente bzw.
(z.B. Unruhe, Kopfschmerz) Maßnahmen bewährt.
2 ausgeprägte Kreislaufregulations-

Allgemeinreaktion störungen Stadium 0/I:
! Therapie normalerweise nicht notwendig. Le-
(Blutdruck-,
Pulsveränderung) diglich bei subjektiven Beschwerden kann eine
Luftnot (leichte Dyspnoe, H1- oder H2-Rezeptor-Blockade durchgeführt wer-
beginnender den.
Bronchospasmus) Stadium II:
3 lebensbedrohliche Schock (schwere Sauerstoffgabe, Volumengabe, H1- oder H2-Rezep-
Allgemeinreaktion Hypotension, Blässe) tor-Blockade, pulmonale Probleme können meist
Bronchospasmus mit mit Beta-2-Mimetika gebessert werden. Wird ein
bedrohlicher Dyspnoe fortschreitendes Geschehen vermutet, kann ein
Bewusstseinstrübung Glucocorticoid verabreicht werden.
oder -verlust
Stadium III:
ggf. mit Stuhl-
Volumengabe, Catecholamingabe, bei pulmonaler
und/oder Urinabgang
Symptomatik sollten Beta-2-Mimetika und Corti-
4 vitales Atem- und/oder costeroide verwendet werden. Wird ein fortschrei-
Organversagen Kreislaufstillstand
tendes Geschehen vermutet, zusätzlich H1- oder
H2-Rezeptor-Blockade.
Stadium IV:
bei Erwachsenen sind Muskelrelaxanzien. Wei- Vorgehen nach den Richtlinien für die kardiopul-
tere wichtige Auslöser sind Knochenzement, monale Reanimation.
Latex, Röntgenkontrastmittel, Antibiotika und
Protamin.
Volumengabe
Muskelrelaxanzien sind in 60–80 % der Fälle die
! Ursache für eine anaphylaktoide Reaktion wäh- Da Elektrolytlösungen zum großen Teil inner-
rend der Narkose. halb kurzer Zeit aus dem Intravasalraum ins
Gewebe diffundieren, haben sie einen relativ
In ca. 85 % der Fälle handelt es sich um Frauen. geringen Volumeneffekt. Es müssen daher gro-
Eine Sensibilisierung gegen Muskelrelaxanzien ße Volumina verabreicht werden. Als Volumen-
tritt deshalb vor allem bei Frauen auf, da Muskel- ersatzmittel wird oft auch HES verwendet. HES
relaxanzien quartäre Ammoniumverbindungen besitzt jedoch selbst ein (geringes) anaphylak­
darstellen. Quartäre Ammoniumverbindungen toides Potenzial. Die Volumenzufuhr hat bei
4.10  Anaphylaktoide Reaktionen 221

deutlicher Kreislaufreaktion großzügig zu erfol- Beta-2-Mimetika


gen, oft sind 2 000–3 000 ml innerhalb kurzer
Zeit notwendig. Gelingt bereits initial eine Zur Therapie pulmonaler Reaktionen bieten
großzügige Volumenzufuhr, so ist eine medika- sich auch Beta-2-Mimetika wie Terbutalin, Fe-
mentöse Therapie oft nicht notwendig. noterol und Salbutamol als Dosieraerosol oder
Reproterol (Bronchospasmin®) zur intravenö-
sen Gabe an.
Catecholamine
Catecholamine sind indiziert, wenn eine stärke- Antihistaminika
re Kreislaufproblematik und/oder Bronchokon-
striktion vorliegen. Das Catecholamin der erste Antihistaminika werden vor allem zur Prophy-
Wahl ist Adrenalin. Adrenalin bewirkt eine laxe anaphylaktoider Reaktionen (→ S. 222) so-
Stimulation der Alpharezeptoren mit Vasokon- wie zur Therapie kutaner Reaktionen verab-
striktion. Über eine Stimulation der Beta-2- reicht. Es liegen inzwischen auch Berichte vor,
Rezeptoren führt es zu Tachykardie und Bron- dass eine schwere akute anaphylaktoide Reakti-
chodilatation. Ein großer Vorteil des Adrenalins on durch die Gabe eines H1- und H2-Rezeptor-
ist darin zu sehen, dass es meist sofort verfügbar Antagonisten positiv beeinflusst werden kann.
ist. Außerdem kann es sowohl intravenös als Diese Therapie scheint insbesondere dann ge-
auch z. B. endotracheal verabreicht werden, falls rechtfertigt, wenn die Gabe von Catecholami-
kein intravenöser Zugang verfügbar ist. nen und Volumen nicht innerhalb kurzer Zeit
Für die intravenöse Therapie empfiehlt es sich, zur Kreislaufstabilisierung führt. In diesem Fall
1 mg Adrenalin auf 10 ml mit NaCl 0,9 % zu kann evtl. eine anhaltende Histaminfreisetzung
verdünnen und beim Erwachsenen 0,1 mg (= 1 vorliegen.
ml dieser Verdünnung) im Abstand von ca. ei-
ner Minute, ggf. mehrfach zu repetieren. Ein-
zeldosen von 0,1 mg Adrenalin beim Erwachse- Glucocorticoide
nen entsprechen einer Dosierung von ca. 1–2
µg/kg KG. Liegt ein Kreislaufzusammenbruch Die Wirkungen der Glucocorticoide können in
vor, so empfehlen sich höhere Einzeldosen von spezifische und unspezifische Wirkungen un-
2–5 µg/kg KG. Zumeist wird nicht mehr als 1 terteilt werden. Unter den spezifischen Wirkun-
mg Adrenalin benötigt. gen wird der Einfluss der Glucocorticoide auf
Für die endotracheale oder endobronchiale die Produktion verschiedener Zellproteine ver-
Gabe sollten 2- bis 3-fach höhere Boli verab- standen. Diese spezifischen Zellantworten, die
reicht werden. Ist eine kontinuierliche Adrena- an eine veränderte Neusynthese von Proteinen
linzufuhr notwendig, dann empfiehlt sich eine gebunden sind, können frühestens nach 1–2
Infusion von 0,1–0,3 µg/kg KG/min. Stunden wirksam werden. Unter unspezifischen
Wirkungen der Glucocorticoide werden deren
Falls sich innerhalb von ca. 10 Minuten keine allgemein membranstabilisierende Wirkungen
! ausreichende Kreislaufstabilisierung mit Adrena- verstanden. Diese können bereits nach 10–30
lin erzielen lässt, bietet sich vor allem das die Al- Minuten wirksam werden. Indikationen für
pharezeptoren stimulierende Noradrenalin an. Glucocorticoide werden im Rahmen anaphy-
Es empfiehlt sich ggf. die wiederholte Gabe von laktoider Reaktionen vor allem bei kutanen und
0,05–0,1 mg (= 0,5–1 ml) einer verdünnten Lö- pulmonalen Problemen gesehen. Im Rahmen
sung (1 mg auf 10 ml NaCl 0,9 %) im 1-Minuten- langsam zunehmender Haut- und Schleimhaut-
Abstand. symptome im Stadium I hat sich die Gabe von
50–125 mg Prednisolonäquivalent als sinnvoll
222 4  Typische Narkoseprobleme

erwiesen. Bei pulmonalen Reaktionen kann Medikamente, die selten zu einer anaphylakto-
durch eine Glucocorticoidgabe die Wirkung iden Reaktion führen, sind z. B.:
der zusätzlich verabreichten Beta-2-Mimetika ● Inhalationsanästhetika

verstärkt werden. Im Stadium II reichen meist ● Etomidat

50–150 mg Prednisolonäquivalent aus. ● Propofol

● Ketamin

Corticosteroide bieten sich auch für die Rezidiv- ● Midazolam


! prophylaxe an. Beispielsweise kann es nach Kon- ● Fentanyl, Alfentanil, Sufentanil
trastmittelunverträglichkeiten oder nach anaphy- ● Bupivacain ohne Adrenalin
laktoiden Reaktionen nach einem Insektenstich
zu einer zweiten, verspätet auftretenden Sym-
ptomverschlimmerung kommen. Hier erscheint ei- Medikamentöse Maßnahmen
ne Rezidivprophylaxe mit z. B. 3-mal 40–125 mg
Prednisolonäquivalent (über 24 Stunden) sinn- Bei der Anamnese ist der Patient nach evtl. be-
voll. kannten Unverträglichkeiten zu fragen. Sind
anaphylaktoide Zwischenfälle anamnestisch
bekannt, das auslösende Agens aber unbekannt,
Theophyllin dann sollte diskutiert werden, ob ein Lokal-
oder ein Regionalanästhesieverfahren mit
Theophyllin hat bei der Therapie anaphylakto- einem Amidlokalanästhetikum möglich ist.
ider Reaktionen mit bronchopulmonaler Kon- Hierbei sind allergische Reaktionen extrem sel-
striktion nur einen engen Indikationsbereich. ten.
Theophyllin wirkt deutlich schwächer broncho-
dilatatorisch als Beta-2-Mimetika und sollte Wird eine Allgemeinnarkose durchgeführt, dann
nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine Re- ! sollten Medikamente mit geringem anaphylakto-
sistenz gegen Beta-2-Mimetika und Glucocorti- idem Risiko verwendet werden. Wichtig ist auch
coide vorliegt. die langsame Injektion möglichst verdünnter Me-
Die Dosierung für Theophyllin (Bronchopa- dikamentenlösungen. Da Angst und Stress ana-
rat®) beträgt initial 5 mg/kg KG. Gegebenenfalls phylaktoide Reaktionen begünstigen, ist auf eine
ist eine anschließende Dosierung von 0,5–1,0 entsprechende Prämedikation zu achten.
mg/kg KG/h möglich (optimale Plasmakonzen-
tration: 8 µg/ml; toxische Grenze: 20 µg/ml). Es konnte gezeigt werden, dass eine Vorbehand-
lung mit H1- und H2-Rezeptor-Blocker die Hist-
aminwirkungen vermindern oder verhindern
Calcium kann. Die Prophylaxe mit H1- plus H2-Rezep-
tor-Blocker ist sowohl bei erwarteten allergi-
Calcium hat keinen nachweisbar positiven Ef- schen als auch pseudoallergischen Reaktionen
fekt bei anaphylaktoiden Reaktionen. sinnvoll.
Als Prophylaxe wird der H1-Rezeptor-Blocker
Dimetinden (Fenistil®) in einer Dosierung von
4.10.5 Prophylaxe 0,1 mg/kg KG sowie der H2-Rezeptoren-Blocker
Ranitidin (Sostril®) in einer Dosierung von 1 mg/
Um anaphylaktoide Reaktionen zu vermeiden, kg KG ca. 15 Minuten vor Narkoseeinleitung über
ist eine angstfreie Atmosphäre (Stress des Pati- mindestens 5 Minuten empfohlen (1 Ampulle =
enten begünstigt anaphylaktoide Reaktionen) 50 mg Sostril®, 1 Ampulle = 4 mg Fenistil®).
sowie die langsame Injektion möglichst ver- Auch mit der Kombination von Dimetinden
dünnter Medikamentenlösungen zu empfehlen. (Fenistil®) plus Cimetidin (Tagament®: 5 mg/
4.11  (Un-)erwartete Probleme bei der Intubation 223

kg KG) oder Clemastin (Tavegil®: 0,05 mg/ sind mehrfache Intubationsversuche notwendig,
kg KG) plus Cimetidin (Tagamet®) liegen posi- und bei 0,05–0,35 % der Patienten gelingt die
tive Ergebnisse vor. laryngoskopische endotracheale Intubation
Für folgende Risikogruppen wird z. B. meist nicht. Bei 0,0001–0,02 % der Patienten ist weder
eine Vorbehandlung mit H1- und H2-Rezeptor- die endotracheale Intubation noch die Masken-
Blockern empfohlen: narkose möglich (,,can’t ventilate, can’t intu­
● Patienten, die eine Überempfindlichkeit ge- bate“).
gen intravenös applizierte Medikamente Von einer schwierigen Intubation wird meist
oder Röntgenkontrastmittel aufweisen dann gesprochen, wenn zur Intubation
● Patienten, die eine Neigung zu anaphylakto- ● Hilfsmittel eingesetzt werden müssen

iden Reaktionen in der Anamnese haben, wie ● mehr als 3 Intubationsversuche notwendig

z. B. Heuschnupfen, Nahrungsmittelallergie sind


● Patienten, bei denen eine Implantation von ● ein erfahrener Arzt unterstützend hinzuge-

Knochenzement (z. B. Palacos®) vorgenom- zogen werden muss


men wird ● die Intubation von einem erfahrenen Anästhe-

● Patienten, bei denen eine große Gefäßopera- sisten als schwierig eingeschätzt wird
tion (z. B. Bauchaortenaneurysma) durchge-
führt wird Bei Intubationsproblemen lässt sich zumeist die
Glottis nicht oder nur unzureichend mit dem
Laryngoskop einstellen. Die Einstellbarkeit der
Glottis mithilfe des Laryngoskops kann (nach
4.11 (Un-)erwartete Cormack) in Grad I bis IV unterteilt werden
(vgl. Abb. 4-1).
Probleme bei der Intubation
Grad I:
4.11.1 Allgemeine Bemerkungen ! Die gesamte Larynxöffnung ist einsehbar.
Grad II:
Etwa 30 % der anästhesiebedingten Todesfälle Lediglich der hintere Anteil der Larynxöffnung ist
sind darauf zurückzuführen, dass ein Offenhal- erkennbar.
ten der Atemwege und eine suffiziente Ventilati- Grad III:
on nicht gelingen. Bei ca. 1–18 % der Patienten Lediglich die Epiglottis ist erkennbar.

Abb. 4-1 Sicht auf die Glottis bei


laryngoskopischer Einstellung.
Von links nach rechts: Grad I bis IV.
224 4  Typische Narkoseprobleme

Grad IV: öffnen und die Zunge möglichst weit herauszu-


Weder Larynxeingang noch Epiglottis sind sicht- strecken. Die Patienten sollten beim Beurteilen
bar. Es ist lediglich der Zungengrund erkennbar. des „Mallampati-Zeichens“ nicht zum „A“-Sa-
gen aufgefordert werden. Es wird beurteilt, wel-
Bei Intubationsschwierigkeiten muss unter- che Pharynxstrukturen sichtbar sind.
schieden werden zwischen erwarteten und un- Bei Patienten mit Mallampati Grad I (vgl. Abb.
erwarteten Intubationsproblemen. 4-2) lässt sich laryngoskopisch in 99–100 % der
Fälle die Glottis voll einstellen (Grad I nach Cor-
mack). Bei Patienten mit Mallampati-Zeichen
4.11.2 Beurteilungskriterien Grad IV (vgl. Abb. 4-2) ist in nahezu 100 % der
für Schweregrad der Intubation Fälle lediglich die Epiglottis (Grad III nach Cor-
mack) oder lediglich der Zungengrund (Grad
Um beurteilen zu können, ob möglicherweise IV nach Cormack) laryngoskopisch einstellbar.
Schwierigkeiten bei der endotrachealen Intuba- Bei Patienten mit einem Mallampati-Zeichen
tion zu erwarten sind, bieten sich folgende Be- Grad II oder III (vgl. Abb. 4-2) kann die Einstell-
urteilungskriterien an: barkeit der Glottis sehr unterschiedlich sein.
● Beurteilung der Zungengröße in Relation

zum Pharynx
● Überstreckbarkeit im Atlantookzipitalgelenk Überstreckbarkeit
● Größe des Mandibularraumes im Atlantookzipitalgelenk
● (Beurteilung des Zahnstatus)

Der aufrecht sitzende Patient mit geradeaus ge-


richtetem Kopf (horizontaler Biss der oberen
Beurteilung der Zungengröße Zahnreihe) wird gebeten, den Kopf im Atlan-
in Relation zum Pharynx tookzipitalgelenk zu überstrecken (Schnüffel-
position). Normalerweise ist eine Überstre­
Von Mallampati wurde vorgeschlagen, die Zun- ckung um ungefähr 35 Grad möglich. Ist eine
gengröße im Verhältnis zur Mundhöhle zu be- Überstreckung im Atlantookzipitalgelenk gut
urteilen. Hierbei wird der aufrecht sitzende Pa- möglich, so können Mund, Pharynx und La-
tient, dessen Kopf in neutraler Position ist, rynx leicht in eine gemeinsame Achse (Schnüf-
gebeten, seinen Mund soweit wie möglich zu felposition) gebracht werden.

Abb. 4-2 Mallampati I bis IV
4.11  (Un-)erwartete Probleme bei der Intubation 225

Größe des Mandibularraumes Intubationsversuch in tiefer Inhalationsanäs-


thesie oder ein laryngoskopischer Intubations-
Der Mandibularraum (der Raum vor dem La- versuch unter Schleimhautanästhesie, Sedie-
rynx) kann in Form des Abstandes zwischen rung und Analgesie sollten möglichst nicht
Kinn und Zungenbein oder des Abstandes zwi- mehr zur Anwendung kommen.
schen Kinn und Kieferwinkel abgeschätzt wer- Die fiberoptische (fiberbronchoskopische) In-
den. Je größer dieser Mandibularraum ist, desto tubation stellt das sicherste Verfahren dar.
besser kann der Pharynx mithilfe des Laryngo-
skops eingestellt werden. Ist beim Erwachsenen
der Abstand zwischen Kinn und Zungenbein Fiberoptische Intubation
größer als 6 cm oder der Abstand zwischen
Kinn und Unterkieferwinkel größer als 9 cm, Die wichtigsten Indikationen für eine fiber-
dann lässt sich der Rachen mithilfe des Mallam- bronchoskopische Intubation sind:
pati-Zeichens (→ S. 224) normalerweise gut ein- ● erwartete Intubationsschwierigkeiten

sehen, und die laryngoskopische Einstellbarkeit ● keine (!) Überstreckung der Halswirbelsäule

des Kehlkopfeingangs ist meist relativ einfach.


Mallampati-Zeichen, Überstreckbarkeit im At- Die fiberoptische Intubation kann vorzugsweise
lantookzipitalgelenk und Beurteilung der Grö- nasotracheal, ausnahmsweise aber auch orotra-
ße des Mandibularraumes sind schnell und cheal durchgeführt werden. Der Erfolg der fi-
leicht durchführbar. Sie können zur präoperati- beroptischen Intubation hängt vor allem davon
ven Beurteilung des Schwierigkeitsgrades der ab, dass deren Notwendigkeit frühzeitig erkannt
endotrachealen Intubation empfohlen werden. wird und dass entsprechende Vorbereitungen
Werden alle 3 Kriterien berücksichtigt, so kann getroffen werden. Wird die fiberoptische Intu-
relativ sicher der zu erwartende Schwierigkeits- bation allerdings erst dann erwogen, nachdem
grad einer endotrachealen Intubation abge- mehrfache frustrane konventionelle Intubati-
schätzt werden. onsversuche durchgeführt wurden (und die
Schleimhaut des Rachens bereits blutet), dann
ist die Erfolgsrate gering. Inzwischen stehen
Zahnstatus auch sehr dünne flexible Fiberbronchoskope
zur Verfügung, die selbst durch 2,5er oder 3,0er
Zusätzlich ist es wichtig, den Zahnstatus des Pa- Endotrachealtuben eingeführt werden können.
tienten zu beurteilen. Vor allem instabile Front- Es empfiehlt sich die Verwendung der in Tabelle
zähne oder ein fliehendes Kinn können die In- 4-2 dargestellten Tuben bzw. Fiberbronchosko-
tubation deutlich erschweren. pe.
Entscheidende Maßnahme bei der Vorberei-
tung eines Patienten zur Wachintubation ist die
4.11.3 Vorgehen bei erwarteten Lokalanästhesie. Wird diese sorgfältig durchge-
Intubationsproblemen führt, so toleriert der Patient oft allein dadurch
die folgenden Maßnahmen. Zur Betäubung der
Falls abzusehen ist, dass die endotracheale Intu- Nasenschleimhaut eignet sich Lidocain 2 %.
bation (oder die Maskenbeatmung) schwierig (Alternativ wird manchmal auch die Betäubung
sein wird, dann sollte die endotracheale Intuba- mit Cocainlösung [5–10 %; 0,5 ml je Nasenöff-
tion beim wachen, noch spontan (!) atmenden nung] empfohlen. Cocain ist das einzige gefäß-
Patienten durchgeführt werden. Es sollte in sol- verengende Lokalanästhetikum.) Außerdem
chen Situationen nur eine fiberoptische Intuba- sollte eine schleimhautabschwellende Lösung
tion durchgeführt werden. Früher häufig prak- (z. B. Nasivin®) in die Nase gegeben werden. Zu-
tizierte Verfahren wie ein laryngoskopischer sätzlich zur Schleimhautanästhesie sind eine
226 4  Typische Narkoseprobleme

Tab. 4-2 Maximale Fiberbronchoskopdurchmesser, die Das Fiberbronchoskop sollte normalerweise so


gerade noch durch die entsprechenden Endotrachealtu- ! gehalten werden, dass ausgelöste Bewegungen
ben einführbar sind der flexiblen Fiberbronchoskopspitze nach ventral
Altersgruppe Innendurch- Außendurch- bzw. dorsal gerichtet sind. Manchmal wird emp-
messer des messer des fohlen, während der fiberoptischen Intubation
Tubus (mm) Fiberbroncho- nicht über den Biopsiekanal abzusaugen, da hier-
skops (mm) durch die Objektivlinse leicht verlegt wird. Es soll-
Erwachsener 6,0–7,5 5,0; 4,0 te ggf. über einen zusätzlichen, oral eingeführten
Kind 4,5–5,5 4,0 Katheter abgesaugt werden.
4,0 3,7
Während der fiberbronchoskopischen Intubati-
Säugling 3,0–3,5 2,7 on sollte zusätzlich Sauerstoff verabreicht wer-
Neugeborenes 2,5–3,0 2,2 (kein den (ggf. über den Absaugkanal des Fiberbron-
Arbeitskanal) choskops). Um das anschließende Einführen
des Fiberbronchoskops in die Trachea zu er-
leichtern (vgl. Abb. 4-3), sollte der Patient
entsprechende psychologische Patientenfüh- mehrfach zum tiefen Durchatmen aufgefordert
rung, die Aufrechterhaltung einer suffizienten werden. Dadurch öffnet sich die Glottis
Spontanatmung und Oxygenierung sowie ggf. weit. Nachdem das Fiberbronchoskop erfolg-
eine bedarfsadaptierte Sedierung und Analgesie reich durch die Glottis vorgeschoben und
wichtig. die Trachealspangen und die Karina sicher
identifiziert wurden, wird der nasotracheale
Tubus über das (nun als Führungsschiene
Nasale fiberoptische Intubation dienende) Fiberbronchoskop in die Trachea
vorgeschoben. Wenn sichergestellt ist, dass
Wichtig ist eine entsprechende Vorbereitung der Tubus richtig liegt (Luftströmungen
des Patienten (z. B. Lokalanästhesie der Nasen- am Ende des Tubus bzw. Bewegungen des
schleimhaut; → S. 225). Nach Entfernen des Ad- Volumeters nach Anschluss des Narkosegerä-
apters wird der Tubus zuerst maximal weit auf tes), wird die Allgemeinnarkose mittels intrave-
das Bronchoskop aufgefädelt und in dieser Stel- nöser Gabe eines Induktionshypnotikums ein-
lung am Fiberbronchoskop mit einem Pflaster- geleitet.
streifen fixiert. Nun wird das aus der Tubusspit-
ze herausragende Ende des Fiberbronchoskops
über die Nase bis in den Rachenraum einge- Orale fiberoptische Intubation
führt. Es ist nun der Kehlkopfeingang einzustel-
len. Über den Biopsiekanal des flexiblen Fiber- Relativ selten wird eine primäre orotracheale
bronchoskops sollte nun der Kehlkopfeingang fiberoptische Intubation vorgenommen. Nach
mit Lidocain betäubt werden. Es hat sich be- entsprechender Lokalanästhesie des Rachens
währt, hierzu z. B. 3 Spritzen à 10 ml mit jeweils wird ein Beißschutz mittig zwischen die Zahn-
2 ml Lokalanästhetikum (vorzugsweise Lido- reihe eingeführt, um eine Beschädigung des Fi-
cain 2 %) und ca. 8 ml Luft aufzuziehen. Unter berbronchoskops durch Zusammenbeißen der
fiberoptischer Sicht wird nun das Lokalanästhe- Zähne zu verhindern. Nach Entfernung des Ad-
tikum auf den Kehlkopfeingang gespritzt. apters wird der Endotrachealtubus ganz auf das
Mit den ca. 8 ml Luft wird der Arbeitskanal Fiberbronchoskop aufgefädelt und mit einem
anschließend durchgespült, sodass das Lokal- kurzen Pflasterstreifen am proximalen Ende des
anästhetikum mit Druck versprüht werden Fiberbronchoskops fixiert.
kann.
4.11  (Un-)erwartete Probleme bei der Intubation 227

Abb. 4-3 Schematische Darstellung
der nasotrachealen fiberbronchoskopis-
chen Intubation

Die orale fiberbronchoskopische Intubation erfor-


! dert mehr Geschicklichkeit als die nasale fiberop-
tische Intubation, da beim Vorschieben vom Oro-
in den Hypopharynx ein fast rechter Winkel über-
wunden werden muss.

Wenn das Fiberbronchoskop erfolgreich in die


Trachea eingeführt wurde (→ S. 226), wird der
Endotrachealtubus über das nun als Führungs-
hilfe dienende Fiberbronchoskop in die Trachea
vorgeschoben.
Die orale fiberoptische Intubation wird vor
allem dann durchgeführt, wenn beim bereits
narkotisierten Patienten eine unerwartet
schwierige Intubation auftritt und sich der Pati-
ent gut über eine Gesichtsmaske beatmen lässt.
Bei der Durchführung der Maskennarkose
kann nun zwischen Winkelstück und Gesichts-
maske ein Spezialadapter (Mainzer Universal­
adapter) eingesetzt werden, der ein Einführen
des Fiberbronchoskops unter Maskenbeatmung
durch die Gesichtsmaske in den Mund und
Rachen ermöglicht (vgl. Abb. 4-4). Zum
Teil stehen auch spezielle Gesichtsmasken
mit integriertem Adapter zur Verfügung (vgl. Abb. 4-4 Adapter (Mainzer Universaladapter)
Abb. 4-5).
228 4  Typische Narkoseprobleme

Abb. 4-5 Schematische Darstellung
der orotrachealen fiberbroncho-
skopischen Intubation über eine
spezielle Gesichtsmaske

Werden große Intubationshindernisse erwartet, stützung hinzugezogen werden. Falls die Ope-
! dann ist es ratsam, dass die HNO-Ärzte zuerst in ration nicht dringend durchgeführt werden
Lokalanästhesie eine Tracheostomie durchführen. muss, sollte man bei großen Operationen den
Während der nachfolgenden Narkose wird der Pa- Patienten wach werden lassen und ihn später
tient über das Tracheostoma beatmet. nach entsprechender Vorbereitung primär fi-
berbronchoskopisch (→ S. 225) intubieren. Falls
die Operation dringend ist und sich der Patient
4.11.4 Unerwartete Intubations- gut mit Maske ventilieren lässt, kann eine klei-
probleme beim bereits nere, periphere Operation evtl. auch in Mas-
kennarkose durchgeführt werden. Falls sich der
anästhesierten Patienten Patient gut über Maske beatmen lässt, es sich
um eine dringende und größere Operation han-
Ein entscheidendes Problem bei Intubations- delt, kann nun versucht werden, den Patienten
! schwierigkeiten besteht häufig darin, dass frustra- unter Maskenbeatmung fiberbronchoskopisch
ne Intubationsbemühungen so lange fortgeführt oral zu intubieren (→ S. 226).
werden, bis es aufgrund von Schwellungen und
Blutungen im Rachenraum letztlich nicht mehr Bei unerwarteten Intubationsproblemen kann ins-
möglich ist, den Patienten mittels Maske zu beat- ! besondere auch versucht werden, dem Patienten
men. eine Larynxmaske einzulegen, über die dann blind
oder idealerweise mithilfe eines Fiberbroncho-
Werden mehrere vergebliche Intubationsversu- skops ein Tubus eingeführt wird. Für dieses Vorge-
che durchgeführt, so ist es wichtig, zwischen hen stehen inzwischen auch spezielle Larynxmas-
den einzelnen Versuchen eine suffiziente Mas- ken (sog. Intubationslarynxmasken; LM-Fastrach)
kenbeatmung sicherzustellen. Wenn sich der zur Verfügung (Abb. 1-72b).
Patient trotz Verbesserung der Kopflagerung
und trotz Verwendung der richtigen Spatelgrö- Über eine erfolgreich platzierte Kehlkopfmaske
ße nicht intubieren lässt, sollte bereits nach kann (möglichst nicht blind, sondern unter fi-
wenigen frustranen Intubationsversuchen ein beroptischer Kontrolle) ein dünnerer Endotra-
besonders erfahrener Anästhesist zur Unter- chealtubus (der auf ein Fiberbronchoskop auf-
4.11  (Un-)erwartete Probleme bei der Intubation 229

gefädelt wurde) in die Trachea eingeführt


werden. Durch eine 1er-, 2er- bzw. 2,5er-La-
rynxmaske kann maximal ein 3,5er-, 4,5er- oder
5,0er-Tubus (ohne Blockermanschette) einge-
führt werden. Durch eine 3er-, 4er- bzw. 5er-
Larynxmaske kann maximal ein 6,0er-, 6,5er-
bzw. ein 6,5er-Tubus (mit Blockermanschette)
eingeführt werden.
Nachteilig bei diesem Verfahren ist, dass ein re-
lativ kleiner Endotrachealtubus verwendet wer-
den muss. Nach erfolgreicher endotrachealer
Intubation kann der Cuff der Larynxmaske ent-
blockt werden.

Falls sich bei unerwarteten Intubationsschwie-


! rigkeiten der Patient auch mittels Gesichtsmas-
ke nicht beatmen lässt (sog. „can’t intubate, can’t
ventilate“-Situation), sollte sofort ein erfahrener
Anästhesist zu Hilfe gerufen werden. Häufig lässt
sich auch bei diesen Patienten eine Larynxmaske
erfolgreich platzieren, über die dann beatmet und
ggf. fiberoptisch endotracheal intubiert werden
kann (→ S. 225).
Abb. 4-6 Kehlkopf, Trachea und Hauptbronchien: Pfeil
Falls die Larynxmaske nicht erfolgreich einge- = Ort der Koniotomie = Ligamentum cricothyreoideum
führt werden kann, bieten sich vor allem eine
Koniotomie oder transtracheale Jet-Ventilation
an. Transtracheale Jet-Ventilation
Falls ein narkotisierter Patient weder intubiert
Koniotomie noch mittels Maske beatmet werden kann (und
© das Platzieren einer Larynxmaske nicht gelingt),

Unter einer Koniotomie wird die notfallmäßige bietet sich die transtracheale Jet-Ventilation an.
 Durchtrennung des Bandes zwischen Schild- und Hierzu wird eine großkalibrige Verweilkanüle
Ringknorpel (Ligamentum cricothyreoideum; Abb. durch das Ligamentum cricothyreoideum ein-
4-6) verstanden. geführt. Der Plastikteil der intravenösen Ver-
weilkanüle wird so weit als möglich vorgescho-
Sie ist indiziert bei Erstickungsgefahr infolge ei- ben und der Stahlmandrin entfernt. Die
ner Atemwegsverlegung oberhalb oder im Be- Punktion erfolgt in ca. 30 Grad nach kaudal.
reich der Stimmbänder, und falls die oben be- Zur Bestätigung der erfolgreichen Punktion der
schriebenen Maßnahmen nicht gelingen. Die Trachea muss es möglich sein, 20 ml Luft über
Haut wird hierbei längs, das Ligamentum crico- die intravenöse Verweilkanüle zu aspirieren. Es
thyreoideum wird quer eingeschnitten. Durch stehen hierfür auch spezielle Transtracheal­
die Koniotomieöffnung kann nun eine Trache- katheter (nach Ravussin) zur Verfügung, die
alkanüle oder ein Tubus eingeführt und der Pa- ähnlich einer Trachealkanüle beim tracheosto-
tient beatmet werden. mierten Patienten mit einem um den Hals ge-
schlungenen Band fixiert werden.
230 4  Typische Narkoseprobleme

Tab. 4-3  Wichtige Parameter zur Durchführung der


transtrachealen Jet-Ventilation mit dem Manujet-III-
Gerät
Alters- Kathe- Beat- Aus- Beat-
gruppe ter mungs- gangs- mungs-
(nach fre- druck volu-
Ravus- quenz (bar) men
sin) (l/min)
Frühge- 18 G 40 0,5   3–3,5
borenes
Säugling 18 G 40 1   4–6
Kind 14 G 20–30 2 16–21
Erwach- 13 G 12–13 3 24–30
sener

Abb. 4-7 Manujet-III-Gerät
Bei Durchführung dieser transtrachealen Jet-Ven-
! tilation muss sichergestellt werden, dass das ein-
Für Säuglinge werden 18-G-Transtrachealka- geblasene Gas über die Glottis und den Mund-
theter, für Kinder 14-G-Transtrachealkatheter Rachen-Raum nach oben sicher entweichen kann,
und für Erwachsene 13-G-Transtrachealkathe- da ansonsten ein Barotrauma der Lunge droht!!
ter empfohlen. Sehr wichtig ist es, dass die Thoraxbewegungen
Die manuelle Beatmung, z. B. mit einem Ambu®- während der transtrachealen Jet-Beatmung beob-
Beutel oder einem Beatmungsbeutel des Kreis- achtet und die Lungen auskultiert werden.
systems, ist über eine solche Kanüle nicht mög-
lich. An eine solche transtracheal platzierte
Kanüle muss nun ein Jet-System angeschlossen 4.11.5 Extubation
werden. Es sind hierfür Jet-Pistolen verfügbar, nach schwieriger Intubation
die an die zentrale Sauerstoff- oder Druckluft-
versorgung konnektiert und von Hand bedient Bei der Extubation von Patienten, die schwierig
werden (Manujet-III-Gerät; Abb. 4-7). An dem zu intubieren waren, sollte so vorgegangen wer-
Manujet-III-Gerät muss durch Betätigen eines den, dass ggf. eine sichere Reintubation mög-
Druckreglerknopfes noch der gewünschte lich ist. Hierfür bietet sich die Extubation unter
Druck eingestellt werden. Verwendung eines speziellen Katheters an (Tu-
Für Säuglinge ist ein Druck von < 1,0 bar, für buswechselstab mit Luftzufuhransatz, Fa.
Kinder ein Druck von 1–2,5 bar und für Er- Cook). Ein solcher Tubuswechselstab ist ein
wachsene ein Druck von 2,5–4,0 bar einzustel- langer, relativ rigider, hohler, zigarettendicker
len. Stab, der vor der Extubation über den Endotra-
Empfehlenswert ist es, mit einem niedrigen chealtubus bis in die Trachea vorgeschoben
Druck zu beginnen und diesen dann ggf. zu wird. Nun kann der Endotrachealtubus über
steigern. Da bei dieser Beatmung ein Teil diesen Tubuswechselstab zurückgezogen oder
des insufflierten Volumens über die oberen ganz entfernt werden. Auf das orale Ende dieses
Atemwege entweicht, sind höhere Volumina Katheters kann ein spezieller Konnektor aufge-
pro Minute zur Beatmung notwendig. Die emp- steckt werden, sodass eine Steckverbindung mit
fohlenen Parameter sind in Tabelle 4-3 angege- dem Y- bzw. Winkelstück des Beatmungsgerä-
ben. tes (bzw. mit einem Beatmungsbeutel) möglich
4.13  Intraoperative Wachheit 231

ist. Dem spontan atmenden Patienten kann ● Warmluftsysteme

Sauerstoff über diesen endotracheal liegenden (fönartige Gebläse, die Warmluft in eine spe-
Katheter zugeführt werden. Falls Probleme auf- zielle Körperdecke blasen, z. B. Warm
treten, kann ggf. erneut ein Endotrachealtubus Touch, Fa. Mallinckrodt). Diese Systeme
über diesen relativ rigiden Tubuswechselstab sind besonders effektiv.
vorgeschoben werden. ● Warmwasserzirkulationsmatte

● Heizstrahler

Anstatt eines solchen Tubenwechselkatheters (bei Säuglingen, Neugeborenen)


! kann auch ein Fiberbronchoskop verwendet wer- ● Aufheizen des Operationssaales
den. (bei Neugeborenen)
● Abdecken des Patienten

Nach Einführen des Fiberbronchoskops bis in ● Anwärmen der Infusions- und Transfusionslö-

die Trachea wird der Tubus über das Fiberbron- sungen


choskop zurückgezogen. Über den Absaugka-
nal des Fiberbronchoskops kann ggf. Sauerstoff Die Therapie von postoperativem Kältezittern
direkt in die Trachea insuffliert werden. Gege- wird auf Seite 336 beschrieben.
benenfalls kann bei auftretenden Problemen
der Tubus über das Fiberbronchoskop wieder
endotracheal vorgeschoben werden. Atmet der
Patient ausreichende Zeit suffizient spontan, 4.13 Intraoperative Wachheit
dann wird dieser Tubuswechselstab bzw. das Fi-
berbronchoskop entfernt. Selten berichtet ein Patient von intraoperativer
Wachheit (= awareness), das heißt, er war nicht
in ausreichend tiefer Allgemeinnarkose und
kann sich spontan (!) an Wortwechsel oder be-
4.12 Perioperative stimmte Maßnahmen während der Allgemein-
anästhesie erinnern. Manchmal wird eine in­
Unterkühlung traoperative Wachheit als ein schreckliches
Ereignis geschildert, das mit Angst und evtl. mit
Perioperativ drohen beim Patienten erhebliche Schmerzen verbunden war. Die Häufigkeit von
Wärmeverluste. Bis zu 60 % der Patienten sind intraoperativer Wachheit ohne eine Schmerzer-
am Ende der Operation unterkühlt. Mangelnde innerung wird meist mit ca. 0,2 % (1 : 500), die
Bekleidung, kalte Desinfektions- oder Infusi- Inzidenz von intraoperativer Wachheit mit be-
onslösungen, Gefäßweitstellung durch Anäs- wusster Schmerzwahrnehmung meist mit ca.
thetika, fehlendes Kältezittern in Narkose sowie 0,01 % (1 : 10 000) angegeben.
die Beatmung mit kalten Atemgasen begünsti- Fast immer sind relaxierte Patienten betroffen.
gen die Auskühlung des Patienten. Eine Unter- Aufgrund der Relaxation können sich diese zu
kühlung wiederum begünstigt Wundheilungs- flach narkotisierten Patienten nicht bemerkbar
störungen, beeinträchtigt die Blutgerinnung, machen. Sollte dagegen ein nicht relaxierter Pa-
vermindert den Metabolismus von Medika- tient zu flach narkotisiert sein, dann kommt es
menten (Wirkungsverlängerung) und führt in zumeist schon zu Abwehrbewegungen, bevor
der frühen postoperativen Phase zu Kältezit- der Patient intraoperativ „wach“ wird. Norma-
tern, erhöhtem Sauerstoffverbrauch, zu Tachy- lerweise ist eine unzureichende Narkosetiefe
kardie und Blutdruckanstieg, wodurch vor al- zwar an Tachykardie, Blutdruckanstieg, tränen-
lem kardiovaskuläre Risikopatienten gefährdet den Augen, Schwitzen oder Abwehrbewegun-
werden. Um eine Unterkühlung zu vermeiden, gen des Patienten erkennbar, in Einzelfällen
sind folgende Maßnahmen wichtig: können aber trotz intraoperativer Wachheit
diese vegetativen Symptome fehlen.
232 4  Typische Narkoseprobleme

Zu intraoperativer Wachheit kommt es vor al- hoch dosiert wurden, während die hypnotische
lem in besonderen Situationen wie Kreislaufin- Komponente eher gering war und meist nur
stabilität mit sehr niedrigem Blutdruck oder bei durch Lachgas in Kombination mit einem
einer Sectio caesarea vor Abnabelung des Kin- Opioid aufrechterhalten wurde. Bei Durchfüh-
des, also in Situationen, in denen manchmal rung der inzwischen zunehmend häufiger ange-
vorübergehend bewusst eine relativ flache Nar- wandten total intravenösen Narkose (bei der
kose angestrebt wird. Auch bei kardiochirur­ auf ein volatiles Inhalationsanästhetikum und
gischen Operationen scheint das Risiko einer auf Lachgas verzichtet wird) ist das Risiko einer
intraoperativen Wachheit erhöht zu sein. Insbe- intraoperativen Wachheit möglicherweise er-
sondere auch bei der noch vor ca. 20 Jahren sehr höht. Durch eine tiefe Inhala­tionsanästhesie
populären Neuroleptanästhesie (→ S. 130) war kann das Risiko einer intraoperativen Wachheit
das Risiko einer intraoperativen Wachheit er- am sichersten vermieden werden.
höht, da hierbei die Muskelrelaxanzien relativ
233

5  Anästhesie – spezieller Teil

5.1 Anästhesie bei Kindern low birth weight infants; < 1 500 g] und ex-
trem untergewichtige Neugeborene [= ELBW
5.1.1 Allgemeine Bemerkungen = extremely low birth weight infants;
< 1 000 g]).
Zwischen Kindern und Erwachsenen bestehen ● Neugeborene:
nicht nur hinsichtlich Größe und Gewicht (vgl. bis zum 28. Lebenstag
Tab. 5-1) erhebliche Unterschiede. Auch bezüg- ● Säuglinge:
lich der Anatomie, Physiologie und Pathophy- bis zum Ende des ersten Lebensjahrs
siologie und der Psychologie sind zum Teil gro- ● Kleinkinder:
ße Unterschiede zu beachten. zweites bis fünftes Lebensjahr
Daraus ergibt sich: ● Schulkinder:
sechstes bis 14. Lebensjahr
In der Kinderanästhesie müssen folgende Alters-
! gruppen unterschieden werden:
5.1.2 Physiologische
Frühgeborene:
Besonderheiten

vor der 38. Schwangerschaftswoche gebore-


ne Kinder. Oft wird auch bei einem Geburts-
gewicht unter 2 500 g von einem Frühgebo- Respiratorisches System
renen gesprochen. (Bezüglich des Gewichtes
wird bei Frühgeborenen oft unterschieden in Kinder haben einen relativ großen Kopf und ei-
untergewichtige Neugeborene [= LBW = low nen kurzen Hals. Bei der Intubation fällt eine
birth weight infants; < 2 500 g], sehr unter­ große Zunge sowie eine überdimensionierte,
gewichtige Neugeborene [= VLBW = very sehr weiche Epiglottis auf, was die Kehlkopfein-
stellung mit dem Laryngoskop erschweren
kann. Häufig imponieren Wucherungen der
Rachenmandeln oder der Gaumenmandeln.
Tab. 5-1  Richtwerte für Gewicht und Größe im Kindes- Der Kehlkopf steht beim Kind höher und wei-
alter ter vorn, seine engste Stelle ist nicht wie beim
Erwachsenen die Stimmritze, sondern liegt bis
Alter Gewicht Größe
(kg KG) (cm)
zum Alter von 8–10 Jahren kurz unterhalb der
Stimmritze im Bereich des Ringknorpels (=
Neugeborenes  3   50 Cartilago cricoidea; → S. 82). Das zarte Gewebe
  6 Mo.  8   67 des Kehlkopfes und der Trachea neigt bei Trau-
  1 J. 10   77 matisierung besonders leicht zur Ödembil-
dung.
  6 J. 20 117
Die Luftröhre ist sehr kurz und beim Neugebo-
10 J. 30 140 renen nur ca. 4 cm, beim 5-Jährigen nur ca. 5
Im Alter von 1–7 J. beträgt die jährliche Gewichtszu- cm lang. Bei zu tiefem Einführen des Tubus
nahme ca. 2 kg. droht deshalb sehr schnell eine einseitige Intu-
234 5  Anästhesie – spezieller Teil

bation in einen Hauptbronchus. Zumeist gleitet (→  S. 236). Wegen dieses unvermeidbaren Ap-
der Tubus – wie auch beim Erwachsenen – in paratetotraums empfiehlt es sich, bei der kon-
den rechten Hauptbronchus. trollierten Beatmung intubierte Kinder mit ei-
Bedingt durch einen nahezu horizontalen Rip- nem Atemhubvolumen von ca. 10 ml/kg KG
penverlauf und eine nur schwach ausgebildete und einer etwas erniedrigten Atemfrequenz (→
Interkostalmuskulatur kann das Kind fast nur oben) zu beatmen.
mit dem Zwerchfell atmen. Jegliche Einschrän-
kung der Zwerchfellatmung, z. B. durch eine
Erhöhung des intraabdominalen Drucks, kann Herz-Kreislauf-System
daher schnell zu einer unzureichenden Ventila-
tion führen. Die alveoläre Ventilation pro Kurz nach der Geburt kommt es zum vorerst
kg KG ist im Verhältnis zum Erwachsenen 2- nur funktionellen (und erst später, ca. am Ende
bis 3-mal höher. Die Ursache liegt in einer ent- des dritten Lebensmonats, zum definitiven)
sprechend höheren Stoffwechselrate und einem Verschluss der für den fetalen Kreislauf not-
2- bis 3-fach höheren Sauerstoffverbrauch. Da wendigen Kreislaufkurzschlüsse. Das Foramen
beim Kind die funktionelle Residualkapazität ovale (= Verbindung zwischen rechtem und lin-
(→ S. 342) pro kg KG vergleichbar groß ist wie kem Vorhof) und der Ductus arteriosus Botalli
beim Erwachsenen, die alveoläre Ventilation (= Verbindung zwischen Aorta und Arteria pul-
und der Sauerstoffverbrauch pro kg KG und monalis) verschließen sich.
Minute aber deutlich höher sind, wird verständ-
lich, dass es bei Ventilationsstörungen des Kin- Bei Auftreten eines Sauerstoffmangels oder einer
des viel schneller zu einem Sauerstoffmangel ! Acidose in der Neugeborenenzeit droht eine Wi-
und zu einer Zyanose kommt als beim Erwach- derstandserhöhung im Lungenkreislauf mit Wie-
senen. dereröffnen dieser fetalen Kurzschlüsse!
Die Atemfrequenz des Neugeborenen liegt bei
40–60/min, beim Säugling bei 30–60/min, beim Hierdurch kommt es zu einer weiteren Ver-
3-Jährigen bei 30–40/min und beim 8-Jährigen schlechterung der Kreislaufsituation, wodurch
bei ca. 20/min. Das spontane Atemzugvolu- Hypoxie und Acidose verstärkt werden. Ein
men von Kindern beträgt ca. 7 ml/kg KG, beim Teufelskreislauf beginnt.
Neugeborenen also nur ca. 20 ml; davon sind Eine Hypoxie sowie eine Acidose müssen ver-
⅓ (= 7 ml) Totraumventilation. Jegliche Ver- mieden werden!
größerung des Totraums geht auf Kosten der Die Herzfrequenz des Kindes ist relativ hoch,
alveolären Ventilation. der Blutdruck relativ niedrig (vgl. Tab. 5-2).
Eine Steigerung des Herzminutenvolumens ist
Bereits eine Vergrößerung des Totraums um 3 ml nur über eine Steigerung der Herzfrequenz
! bedeutet beim Neugeborenen, dass der Totraum möglich, jedoch kaum durch eine Vergröße-
jetzt 10 ml, also schon 50 % des Atemzugvolu- rung des Schlagvolumens des Herzens. Bei Auf-
mens, beträgt. treten eines Sauerstoffmangels reagiert das
kindliche Herz, im Gegensatz zu dem des Er-
Bei Verwendung von Anästhesiezubehör wie wachsenen, typischerweise mit einer sofortigen
einer Gesichtsmaske, eines Winkel- oder Y- Frequenzverlangsamung.
Stückes oder einer Messküvette für die endex-
spiratorische CO2-Messung zwischen Tubus Bei Auftreten einer Bradykardie ist bei Kindern im-
und Winkel- bzw. Y-Stück, kommt es zwangs- ! mer zuerst an einen Sauerstoffmangel zu denken!
läufig zu einer Vergrößerung des Totraumvolu- Bei unklarer Bradykardie ist Sauerstoff die Thera-
mens. Es darf daher nur spezielles Kinderzube- pie der Wahl!
hör mit minimalem Totraum verwendet werden
5.1  Anästhesie bei Kindern 235

Tab. 5-2  Richtwerte für Herzfrequenz und Blutdruck im durch Wärmeleitung (Konduktion; durch kalte Un-
Kindesalter terlage) und Wärmeabstrahlung (Radiation; Ab-
Alter Herz- Blutdruck Blutdruck strahlung z. B. an kalte Wände des OP-Saales) ent­
frequenz systo- diasto- stehen.
(Herz- lisch lisch
schläge/min) (mm Hg) (mm Hg) Des Weiteren sind Neugeborene und Kleinkin-
Neuge- 130   75 50 der noch nicht in der Lage, durch Muskelzit-
borenes tern Wärme zu produzieren. Eine Wärmepro-
  3 Mo. 130   80 50 duktion ist nur über eine Steigerung des
Stoffwechsels möglich. Da hierbei Glykogen,
  1 J. 125   90 65
Lipide und Sauerstoff verstoffwechselt werden,
  5 J. 100   95 50 drohen eine metabolische Acidose durch die bei
10 J.   90 100 60 der Lipidverstoffwechselung entstehenden Ke-
tonkörper sowie eine Hypoglykämie und Hyp-
oxie. Perioperativ ist eine Unterkühlung der
Führt dies nicht sofort zum Erfolg, sollte zu- Kinder unbedingt zu vermeiden! Neugeborene
sätzlich Atropin intravenös (0,01–0,02 mg/ dürfen erst unmittelbar vor Narkoseeinleitung
kg KG) verabreicht werden. aus dem Inkubator genommen werden. Der
Durch die intravenöse Gabe von Atropin kön- Operationssaal sollte auf 26–28 °C geheizt sein.
nen oft Frequenzsteigerungen von 160–190/ Der Operationstisch sollte über eine beheizbare
min auftreten. Wärmematte verfügen, idealerweise sollte ein
Bei Neugeborenen sind der Hb-Wert mit 18– Warmluftsystem (z. B. Warm Touch®, Fa. Mal-
20 g % und der Hkt-Wert mit 45–55 % relativ linckrodt) verwendet werden (→ S. 231). Zur
hoch. Bis zum dritten Monat fallen diese Werte Ein- und Ausleitung sollte das Früh- bzw. Neu-
auf ein Minimum ab (= Trimenonanämie). Der geborene in warme Tücher eingewickelt wer-
Hb-Wert beträgt hier ca. 10 g %, der Hkt-Wert den. Solange es aufgedeckt sein muss, sollte es
ca. 35 %. In den folgenden Jahren werden die unter eine Wärmelampe (Infrarotlampe) gelegt
Erwachsenenwerte erreicht. Das Blutvolumen werden. Des Weiteren dürfen keine kalten Infu-
beträgt beim Neugeborenen ca. 8,5 % des Kör- sions- oder Transfusionslösungen verwendet
pergewichts und ist damit etwas höher als das werden.
Blutvolumen des Erwachsenen (ca. 7,5 % des Bei Eingriffen, die länger als 30 Minuten dau-
Körpergewichts). ern, sollte stets die Körpertemperatur gemessen
Ein Neugeborenes mit 3 kg KG hat also nur ca. werden, am besten mittels einer ösophagealen
250 ml Blut! Bereits „geringe“ Blutverluste kön- oder rektalen Temperatursonde. Da bei jungen
nen zu einem bedrohlichen Volumenmangel Säuglingen eine Hypothermie zu einer Hypo-
und Blutdruckabfall führen! ventilation führt, sollten unterkühlte Kinder am
Ende der Operation bis zur Wiedererwärmung
nachbeatmet werden.
Temperaturregulation

Je kleiner das Kind, desto größer ist dessen Kör- Wasser- und Elektrolythaushalt
! peroberfläche bezogen auf das Körpergewicht.
Hierdurch werden ein großer Wärmeverlust und Während beim Erwachsenen der Flüssigkeits-
eine schnelle Unterkühlung begünstigt. Wärme- ! anteil ca. 60 % des Gesamtkörpergewichts aus-
verluste können durch Verdunstung (Evaporati- macht, beträgt er beim Neugeborenen und beim
on; z. B. von Desinfektionsmitteln), durch Zugluft Kleinkind ca. 75 %. Insbesondere der extrazellulä-
(Konvektion; z. B. bei offenen Türen im OP-Saal), re Flüssigkeitsanteil ist relativ hoch.
236 5  Anästhesie – spezieller Teil

Da sich wasserlösliche, intravenös applizierte


Medikamente vor allem im Extrazellulärraum
verteilen, benötigen Kleinkinder meist eine re-
lativ hohe Dosierung dieser Medikamente. Eine
auf das Körpergewicht bezogene Dosierung von
Medikamenten ist bei Kindern nicht sehr zu-
verlässig. Wesentlich genauer wäre es, die Do-
sierung der Medikamente an der Größe des Ex-
trazellulärraums zu orientieren, dessen Größe
eng mit der Körperoberfläche korreliert. Auf
diesem Prinzip (Dosierung nach der Kör-
peroberfläche) beruhen die meisten pädiatri-
schen Dosierungsempfehlungen. Abb. 5-1 Rendell-Baker-Masken der Größen 0, 1, 2, 3
Kinder haben einen relativ hohen Basisbedarf
an Flüssigkeit. Flüssigkeitsverluste werden sehr
schlecht toleriert. Die Niere des Neugeborenen
ist noch unreif. Bei Störungen des Wasserhaus-
halts ist sie kaum in der Lage, den Urin stärker
zu konzentrieren bzw. vermehrt Wasser auszu-
scheiden. Des Weiteren verliert sie verhältnis-
mäßig viel Natrium, selbst bei einem bestehen-
den Natriummangel. Es ist also auf eine sehr
genaue Bilanzierung des Wasser-Elektrolyt-
Haushalts zu achten. Als Richtlinien für die in-
traoperative Infusionstherapie gelten die auf
Seite 143 angegebenen Richtwerte.

5.1.3 Spezielles Narkosezubehör

Gesichtsmasken
Abb. 5-2 Gesichtsmaske für Erwachsene. Beachte: rela-
Bei der Anästhesie von Kindern haben sich tiv großer Totraum.
die sog. Rendell-Baker-Masken bewährt (vgl.
Abb. 5-1). Sie passen sich optimal der kindli-
chen Gesichtsform an und zeichnen sich im Ge- Die Rendell-Baker-Masken liegen in 4 Größen
gensatz zu den Masken für Erwachsene (vgl. ! vor:
Abb. 5-2) durch einen minimalen Totraum aus 0 für Frühgeborene
(vgl. Abb. 5-3). Der Innenraum dieser Masken = ca. 2 ml Totraum
wird fast vollständig vom kindlichen Gesicht 1 für Neugeborene
ausgefüllt. = ca. 4 ml Totraum
2 für das erste bis dritte Lebensjahr
= ca. 8 ml Totraum
3 für das vierte bis achte Lebensjahr
= ca. 15 ml Totraum
5.1  Anästhesie bei Kindern 237

Endotrachealtuben

Die Größe des benötigten Endotrachealtubus


kann der Tabelle 5-3 entnommen werden.
Als Anhalt für die Tubusgröße kann auch die-
nen, dass der Tubus ungefähr die Dicke des
kleinen Fingers des Kindes haben sollte. Für die
Intubation muss jeweils der nächstkleinere und
der nächstgrößere Tubus bereitgelegt werden!

Laryngoskope (→ S. 88)


Neben dem gebogenen Laryngoskop nach Mac­
Intosh kommt in der Kinderanästhesie oft auch
der gerade Laryngoskopspatel (z. B. nach
Miller) zur Anwendung. Für ein MacIntosh-
Laryngoskop sollten in der Kinderanästhesie
Abb. 5-3 Rendell-Baker-Maske. Beachte: minimaler Tot- die Spatelgrößen 0, 1 und 2, für ein gerades Mil-
raum. Die Maske passt sich optimal der kindlichen ler-Laryngoskop ebenfalls die Spatelgrößen 0, 1
Gesichtsform an. und 2 vorhanden sein.

Guedel-Tuben Magill-Zange (→ S. 90)


In der Kinderanästhesie kommen vor allem die Für die Kinderanästhesie steht eine kleine Ma-
Größen 00, 0, 1, 2 und 3 zur Anwendung. gill-Zange zur Verfügung.

Tab. 5-3  Richtwerte für die Tubuswahl im Kindesalter


Alter Gewicht Innendurchmesser Einführtiefe ab Zahnleiste1
(kg KG) (mm) (cm)
Extrem untergewichtige   < 0,1 2,0  7
Neugeborene
Frühgeborene   < 2,5 2,5  8
Neugeborene     3,3 3,0  9
6 Mo.     8 3,5 10
1 J.    10 4,0 12
2–3 J.    13 5,0 13
4–5 J.    17–19 5,5 14
6 J.    22 6,0 15
8 J.    28 6,5 16
Bei Kindern unter 8–10 J. sollte immer ein ungeblockter Tubus verwendet werden.
1
Für die Einführtiefe gilt im Alter von 2–10 J.: 12 + (Alter/2) = cm Einführtiefe.
238 5  Anästhesie – spezieller Teil

5.1.4 Narkosesysteme
Ein Narkosesystem für Kinder unter 15 kg KG dünne (kleinvolumige)
muss folgenden Anforderungen gerecht wer- Beatmungsschläuche
den:
● minimaler Totraum

● minimaler Atemwiderstand O2

Konventionelle Narkosekreissysteme (→ S. 13)


können auch bei Kindern unter 15 kg KG einge-
setzt werden, wenn bestimmte Bedingungen
erfüllt werden:
Beatmungsbeutel 0,5 l
● Es müssen dünnere, kleinvolumige Beat-

mungsschläuche verwendet werden. dünner Schlauch


● Es darf nur ein (!) Kalkabsorber verwendet
Narkosegasabsaugung Gaszufuhr
werden.
● Es müssen spezielle Winkel- bzw. Y-Stücke
Abb. 5-4 Kinderkreissystem
mit besonders kleinem Totraum verwendet
werden.
● Es müssen ein kleiner Beatmungsbeutel und

ein kleiner Beatmungsbalg verwendet werden 5.1.5 Durchführung


(vgl. Abb. 5-4).

Durch diese Maßnahme soll das (kompressible) Präoperative Visite


Volumen sowie die Compliance des Systems
minimiert werden. Wenn irgend möglich, sollte die Anamnese des
Vorteile des modifizierten Kreissystems sind Kindes nicht nur aus den Akten, sondern auch
die Möglichkeiten zur Messung der Atemvolu- durch ein Gespräch mit den Eltern erhoben
mina (= Volumetrie), der Atemwegswiderstän- werden. Bei der körperlichen Untersuchung ist
de (= Manometrie) sowie der endexspiratori- besonders auf akute Infekte der Luftwege zu
schen CO2-Konzentration. Bei der CO2-Messung achten. Bei bestehendem Infekt muss ein Wahl­
im Hauptstrom, das heißt zwischen Tubus und eingriff verschoben werden. Bei kürzlich durch-
Winkel- bzw. Y-Stück, muss eine spezielle Kin- gemachten Kinderkrankheiten sollte bei einem
derküvette mit minimalem Totraum verwendet Wahleingriff ein Mindestabstand von 4–6
werden. Die Beatmung über dieses Kinderkreis- Wochen eingehalten werden. Nach einer Tot-
system ist inzwischen zur Routinemethode ge- bzw. Lebendimpfung sollte ein Abstand von
worden! mindestens 3 bzw. 14 Tagen beachtet werden.
Besonders geachtet werden muss bei Kindern
Für Kinder, die schwerer als 15 kg sind, kann be- auch auf evtl. lockere Zähne.
! denkenlos ein übliches Erwachsenenkreissystem Nach den neuen Empfehlungen dürfen Patien-
verwendet werden (→ S. 13). ten und insbesondere Kinder bis ca. 2 Stunden
vor der Operation noch kleinere Mengen klare
(!) Flüssigkeit zu sich nehmen (→ S. 5). Diese
Karenzzeiten sollten nicht wesentlich über-
schritten werden, damit die Kinder nicht mit
einem ausgeprägten Flüssigkeitsmangel zur
Operation kommen (→ S. 144). Neugeborene
5.1  Anästhesie bei Kindern 239

und Säuglinge können bis 4 Stunden vor Beginn aber auch spezielle, auf den Spritzenkonus auf-
der Narkoseeinleitung gestillt werden oder Fla- steckbare Applikatoren zur Verfügung. Hiermit
schennahrung erhalten. Neugeborene und wird das Medikament rektal (kurz hinter den
Säuglinge sollten stets am Anfang des Operati- Analsphinkter) injiziert.
onsprogramms operiert werden.
Der große Vorteil der rektalen Prämedikation liegt
! in der Schmerzfreiheit. Außerdem wird sie von
Prämedikation Kindern meist gut toleriert, da ihnen diese rek-
talen Maßnahmen vom Fiebermessen oder von
Orale Prämedikation „Fieber-“ und „Schmerzzäpfchen“ her bekannt
sind.
Bei der oralen Prämedikation wird eine Medi-
kamentenflüssigkeit oder eine Tablette mit ei- Für die rektale Prämedikation mit Midazolam
nem Schluck Wasser verabreicht. Durch die ge- wird eine Dosierung von 0,5–1,0 mg/kg KG
ringe Menge der hierbei nötigen Flüssigkeit empfohlen. Es wird die für die intravenöse In-
wird das Nüchternheitsgebot (→ S. 5, 209) nicht jektion übliche Lösung (1 ml = 1 mg) rektal ver-
gebrochen. Zur oralen Prämedikation kann abreicht. Die Kinder schlafen meist nicht tief
vorzugsweise Midazolamflüssigkeit (0,4–0,5 ein. Nach 5–7 Minuten tritt aber ein Stim-
mg/kg KG) verabreicht werden. Die Kinder mungswandel von „ängstlich-traurig“ zu „hei-
schlafen hierbei meist nicht ein, sondern wer- ter-gelöst“ auf, in der die Kinder die intravenöse
den lediglich schläfrig und heiter-gelassen. Einleitung oder die Maskeneinleitung gut tole-
Nach ca. 10 Minuten setzt die Wirkung ein, die rieren.
ungefähr 30 Minuten anhält. Aufgrund des bit- Auf die Prämedikation kann auch (selten) zu-
teren Geschmacks von Midazolam sollten ge- gunsten einer rektalen Narkoseeinleitung (→ S.
schmackskorrigierte Lösungen verwendet wer- 240) im Operationssaal verzichtet werden.
den. So ist z. B. der Zusatz von Fanta oder
Orangenaroma zu der handelsüblichen Mida-
zolamlösung möglich. In der Regel können sol- Narkoseeinleitung
che speziellen Midazolamsäfte von der Kran-
kenhausapotheke hergestellt werden. Sinnvoll Die Narkoseeinleitung beim Kind verlangt Zeit
erscheint eine Konzentration von 2 mg/ml. und Einfühlungsvermögen. Kleinere Kinder
weinen oft, da sie Trennungsängste empfinden,
Großer Vorteil der oralen Prämedikation ist ihre wenn sie die Eltern verlassen müssen. Ältere
! Schmerzfreiheit bei der Applikation. Kinder haben daneben noch direkte Angst vor
der Operation und der Narkose. Durch gutes
Zureden, Spielen lassen, z. B. mit einem aufge-
Rektale Prämedikation blasenen Latexhandschuh oder mit einer Sprit-
ze, können die Kinder meistens abgelenkt wer-
Zur rektalen Prämedikation von Kindern hat den. Wichtig ist es, die Kinder niemals bezüglich
sich insbesondere Midazolam (→ S. 53) be- der durchzuführenden Maßnahmen zu belü-
währt. Die rektale Prämedikation wird zuguns­ gen, da sie sonst sehr schnell jegliches Vertrau-
ten der oralen Prämedikation jedoch nur noch en verlieren.
selten durchgeführt. Die Medikamente für die
rektale Prämedikation werden in einer Spritze
aufgezogen, auf deren Konus das abgeschnitte-
ne und mit Xylocain®-Gel bestrichene Ende ei-
nes Absaugkatheters aufgesetzt wird. Es stehen
240 5  Anästhesie – spezieller Teil

Intravenöse Einleitung ● schmerzhafte Analleiden


● Schockzustand
Sie ist die sicherste Einleitungsmethode und
sollte bei allen Risikokindern zur Anwendung Zurückhaltend sollte die rektale Narkoseeinlei-
kommen. Bei den anderen Kindern ist sie wün- tung auch unter folgenden Bedingungen durch-
schenswert, scheitert jedoch in der Praxis oft an geführt werden:
der Venenpunktion beim wachen Kind. Um die ● HNO-Eingriffe wie Adenotomien oder Ton-

Venenpunktion beim wachen Kind weitgehend sillektomien (→ S. 281)


schmerzlos zu ermöglichen, hat sich bestens die ● Kinder unter 6 Monaten (es liegen hier zu we-

sog. EMLA®-Creme (EMLA = eutectic mixture nige Erfahrungen vor)


of local anesthetics; eine spezielle Mischung aus
Lidocain und Prilocain) bewährt. Diese Salbe Für die rektale Narkoseeinleitung werden ca. 25
ist in der Lage, auch die intakte Haut zu anäs- mg/kg KG Methohexital verwendet. Da die Kin-
thesieren, während normale Lokalanästhetika der postoperativ oft verzögert aufwachen, ist
lediglich die Schleimhaut betäuben können. die rektale Einleitung mit Methohexital bei
Die EMLA®-Creme muss jedoch ca. 30–60 Mi- Adenotomien und Tonsillektomien zu vermei-
nuten zuvor auf die voraussichtliche Venen- den. Hier müssen die Kinder schnell wach wer-
punktionsstelle aufgetragen und mit einem Ok- den, um Blutreste und Speichel aushusten zu
klusionsverband versehen werden. können. Inzwischen wird anstatt der rektalen
Narkoseeinleitung mit Methohexital zumeist
eine rektale oder vor allem eine orale Prämedi-
Rektale Einleitung kation mit Midazolam (→ S. 53) vorgezogen.

Die rektale Narkoseeinleitung mit Methohexital


(→ S. 51) war vor Einführung der rektalen oder Einleitung per inhalationem
oralen Prämedikation mit Midazolam relativ
beliebt. Auf eine übliche Prämedikation kann Voraussetzung für eine Einleitung per inhalatio-
hierbei verzichtet werden (500 mg Methohexi- nem (= „Maskeneinleitung“) ist zumeist eine
tal werden in 5 ml Aqua ad injectionem aufge- sedierende Prämedikation. Nach Einstellen ei-
löst, 1 ml = 100 mg; Dosierung: 20–30 mg/ nes hohen Frischgasflusses (z. B. 2 Liter O2/4 Li-
kg KG (= 0,2–0,3 ml dieser Lösung pro kg KG). ter N2O/min bzw. 6 Liter O2/min wird dem Kind
Diese rektale Narkoseeinleitung mit Methohe- die Maske leicht vor das Gesicht gehalten. So-
xital ist für Kinder > 18 Monate und maximal 25 bald das Kind durch das evtl. verabreichte Lach-
kg KG zugelassen. Sobald das Kind nach ca. 6–8 gas benommen wird, kann die Maske fest aufs
Minuten eingeschlafen ist, muss es in die Sei- Gesicht gesetzt und vorzugsweise Sevofluran in
tenlage gebracht werden, um eine Verlegung steigender Dosierung zugesetzt werden. Bei
der Atemwege durch die in Rückenlage evtl. zu- ängstlichen Kindern kann durch Ablenken meist
rückfallende Zunge zu vermeiden (!). Die rekta- dennoch per Maske eingeleitet werden. Wehrt
le Narkoseeinleitung verlangt eine intensive sich ein Kind energisch gegen diese „Masken-
Überwachung, da die Kinder tief „einschlafen“ einleitung“, so sollte zugunsten einer anderen
(bewusstlos sind). In diesem Zustand wird eine Narkoseeinleitungsform darauf verzichtet wer-
Maskennarkose problemlos toleriert. Bei man- den. Die Einleitung per inhalationem erfolgt bei
chen Kindern kommt es nach der rektalen Ap- Kindern schneller als bei Erwachsenen. Grund
plikation zum Absetzen von Stuhl. ist vor allem die höhere alveoläre Ventilation
Prinzipielle Kontraindikationen für die rektale (→ S. 38, 234) sowie das Verhältnis von alveolä-
Narkoseeinleitung sind: rer Ventilation zu funktioneller Residualkapazi-
● nicht nüchterne Kinder tät (5 : 1; beim Erwachsenen 1,5 : 1) (→ S. 342).
5.1  Anästhesie bei Kindern 241

Zu beachten ist, dass bei älteren Säuglingen und


! Kleinkindern höhere Konzentrationen der ver-
dampfbaren Inhalationsanästhetika benötigt
werden; Grund hierfür ist der bei Kindern etwas
erhöhte MAC-Wert (→ S. 39).

Beim Kind sollte die Maskenbeatmung folgen-


dermaßen durchgeführt werden: Ring- und
Kleinfinger liegen wie beim Erwachsenen hin-
ter dem Unterkieferwinkel. Gleichzeitig sollte
jedoch der Mund mit dem unteren Pol der Ge-
sichtsmaske und mit dem Zeigefinger offen (!)
gehalten werden (vgl. Abb. 5-5 und 5-6).
Wenn das Kind in tiefer Inhalationsnarkose ist,
wird es normalerweise das Legen eines peri-
phervenösen Zugangs widerstandslos tolerie-
ren. Während der Maskenbeatmung sollte das
Kind stets mit einem präkordialen Stethoskop Abb. 5-5 Maskenhaltung beim Säugling
überwacht werden.

Intramuskuläre Einleitung

Hierzu kann z. B. Ketamin bzw. Esketamin in


einer Dosierung von ca. 4–8 mg/kg KG bzw.
2–4 mg/kg KG verwendet werden. Intramusku-
läre Injektionen sollten jedoch bei Kindern eine
extrem seltene Ausnahme darstellen.

Venöser Zugang

Bei jeder Narkose – selbst wenn sie nur wenige


! Minuten dauert – muss ein venöser Zugang ge-
legt werden!

Der venöse Zugang muss spätestens vor Intuba-


tions- bzw. Operationsbeginn gelegt sein. Hier-
Abb. 5-6 Fingerhaltung bei der Maskenbeatmung eines
zu werden die Handrückenvenen bevorzugt Säuglings (möglichst bei geöffnetem Mund)
(vgl. Abb. 1-24). Auch an der Handgelenkin-
nenseite (vgl. Abb. 5-7) sowie an den Füßen,
insbesondere im Bereich des Innenknöchels,
finden sich oft gut zu punktierende Venen. Bei Soll der Zugang auch noch postoperativ liegen
Säuglingen muss manchmal auf die Schädel­ bleiben, so empfiehlt sich die Ruhigstellung
venen zurückgegriffen werden. Ist die Venen- der entsprechenden Extremität auf einer Schie-
punktion gelungen, so ist auf eine besonders ne oder das Eingipsen eines Zugangs am Schä-
gute Fixierung des venösen Zugangs zu achten. del.
242 5  Anästhesie – spezieller Teil

Abb. 5-7 Venenpunktion beim Kind

Intubation (→ S. 92) Gegen die früher übliche routinemäßige Intuba-


tion von Kindern unter Relaxation mit Succinyl-
Die Indikation zur Intubation sollte bei Neuge- cholin spricht insbesondere die Gefahr, dass es
! borenen und Säuglingen aufgrund der physiolo- zu einer Rhabdomyolyse kommen kann, falls bei
gischen Schwäche des respiratorischen Systems Kindern evtl. eine hierzu prädestinierende Mus-
(→ S. 233) eher großzügig gestellt werden. Alle kelerkrankung vorliegt, die aber klinisch noch
Risikokinder sollten stets intubiert werden. Teil- nicht (sondern meist erst im späteren Lebensal-
weise wird auch empfohlen, Neugeborene und ter) erkannt werden kann (→ S. 76). Die routine-
Säuglinge unter 6 Monaten prinzipiell zu intu- mäßige Verwendung von Succinylcholin wird
bieren. inzwischen offiziell abgelehnt. Falls ausnahms-
weise Succinylcholin sinnvoll ist (Ileuseinleitung,
Bei Kindern unter 8–10 Jahren sollte ein Tubus akutes Atemwegsproblem; → S. 76), ist bei Kin-
ohne Blockung verwendet werden. Durch die dern eine Dosierung von ca. 1,5–2,0 mg/kg KG
Wahl der richtigen Tubusgröße ist eine gute Ab- (bei Neugeborenen und Säuglingen von ca. 2–3
dichtung im Bereich des Ringknorpels zu erzie- mg/kg KG) zu empfehlen. Die Vorgabe eines
len; dazu muss der größte Tubus, der gerade nicht depolarisierenden Muskelrelaxans ist bei
noch problemlos einzuführen ist, gewählt wer- Kindern unter ca. 6 Jahren nicht notwendig, da
den. Bei der Beatmung muss bei einem Druck bei diesen Kindern keine Muskelfaszikulationen
von über 20 cm H2O noch etwas Luft am Tubus nach Succinylcholingabe auftreten. Nach Succi-
vorbei entweichen. Es sollte nicht gezögert wer- nylcholingabe treten jedoch bei Kindern häufi-
den, einen Tubus, der nicht dicht sitzt bzw. zu ger reflektorische Bradykardien auf (→ S. 75).
groß ist (d. h. nicht problemlos durch die Deshalb sollte vorweg immer Atropin intravenös
Stimmritze eingeführt werden kann bzw. ab ei- gegeben werden. Succinylcholin ist langsam und
nem Druck von ca. 20 cm H2O nicht undicht unter Kontrolle der Herzfrequenz zu injizieren.
wird), sofort gegen den nächstgrößeren bzw.
nächstkleineren auszutauschen. Bei der Intuba- Es hat sich bewährt, das 2%ige
tion muss auf ein steriles Tubusmaterial und ! Succinylcholin (1 ml = 20 mg) zu verdünnen:
besonders behutsames Vorgehen geachtet wer- z. B. 1 ml = 20 mg + 4 ml NaCl 0,9 % =
den. 5 ml; 1 ml dieser Lösung = 4 mg Succinylcholin.
5.1  Anästhesie bei Kindern 243

ser zu fixieren ist, nicht so leicht disloziert und


besser toleriert wird).

Narkoseführung
Lediglich bei kurzen, unproblematischen Nar-
kosen ist eine Maskennarkose zu empfehlen.
Zunehmend häufiger wird auch in der Kinder-
anästhesie eine Larynxmaske eingesetzt. Dies
erfordert jedoch entsprechende Erfahrung mit
dieser Methode und der Anästhesie bei Kin-
dern. Bei Risikokindern oder Unsicherheit des
Anästhesisten sollte eine Intubationsnarkose
Abb. 5-8 Einstellung des Kehlkopfes beim Kind durchgeführt werden.

Für die voraussichtlich unkomplizierte Intuba- Im Zweifelsfalle


tion sollte eine Vollrelaxierung mit einem nicht ! immer Intubation!
depolarisierenden Muskelrelaxans (z. B. Miva-
curium, Rocuronium, Atracurium, Vecuroni- Die Narkoseform der Wahl ist im Kindesalter
um) durchgeführt werden. die Inhalationsnarkose, vorzugsweise mit Se-
Der Kopf des Kindes braucht zur Intubation vofluran. Zunehmend häufiger wird bei Kin-
wegen des großen Hinterhauptes nicht hochge- dern auch eine IVA bzw. TIVA (→ S. 125)
lagert werden. Zur Fixierung des Kopfes haben durchgeführt. Inzwischen sind die meisten Pro-
sich in der Kinderanästhesie vor allem Ringe pofolpräparate, z. B. Propofol Fresenius1 % (Fa.
oder eine mit einem Loch versehene Schaum- Fresenius), schon für Säuglinge älter als ein Mo-
stoffplatte bewährt, die unter das Hinterhaupt nat zugelassen. Als Einleitungsdosis werden bei
gelegt werden. Es kann auch eine Nackenrolle Kindern (2–)3(–5) mg/kg KG, als Erhaltungs-
aus zusammengerolltem Stoff unter den Nacken dosis für eine IVA/TIVA ca. 5–15 mg/kg KG/h
gelegt werden. Der Kopf wird aber kaum über- Propofol empfohlen. Bei Kindern unter 3 Jah-
streckt, es sollte möglichst in neutraler Kopfpo- ren sollte Propofol nur bei zwingenden Indika-
sition intubiert werden. Das Laryngoskop wird tionen länger als 60 Minuten verabreicht wer-
vorsichtig zwischen Daumen, Zeige- und Ring- den.
finger der linken Hand gehalten. Mit dem klei-
nen Finger der linken Hand wird ggf. auf den
Kehlkopf gedrückt, um die Glottis besser einzu- Intraoperatives Monitoring
stellen (vgl. Abb. 5-8). Auch bei Kleinkindern
sollte im Regelfall eine orotracheale Intubation ● klinische Überwachung:
vorgezogen werden. Bei der nasalen Intubation Mindestens eine Hand oder ein Fuß des Kin-
droht durch den Tubus eine Keimverschlep- des sollte stets sichtbar (!) sein. Eine evtl.
pung aus der Nase in die Trachea sowie eine Zyanose ist am Finger- bzw. Zehennagelbett
Verletzung von Nasenschleimhaut und evtl. relativ gut zu erkennen.
vergrößerten Rachenmandeln (= Adenoide). ● präkordial aufgeklebtes Stethoskop:

(Soll ein Neugeborenes, ein Säugling oder ein Der Anästhesist sollte über ein Ohrstück
Kleinkind jedoch mehrere Tage intubiert blei- ständige Verbindung zu einem linksthorakal
ben, dann wird zumeist eine nasotracheale In- aufgeklebten, sog. präkordialen Stethoskop
tubation vorgezogen, da hierbei der Tubus bes- haben. Mit dem Stethoskop kann sowohl die
244 5  Anästhesie – spezieller Teil

Herzfrequenz als auch die Lautstärke der Rocci ist jedoch insbesondere bei Säuglingen
Herztöne beurteilt werden. Die Lautstärke und Kleinkindern schwierig und oft unzu-
der Herztöne verändert sich bei Kleinkin- verlässig. Bewährt hat sich die Blutdruck-
dern parallel zum Blutdruck. Außerdem messung mit der oszillometrischen Methode
kann natürlich das Atemgeräusch beurteilt (z. B. mit dem Dinamap®-Gerät). Nur bei
und damit eine Kontrolle des Atemhubvolu- sehr kritischen Operationen mit hohen Vo-
mens vorgenommen werden. Ist ein präkor- lumenumsätzen und bei Kindern mit kar-
diales Stethoskop aus operationstechnischen diorespiratorischem Versagen wird eine blu-
Gründen nicht zu platzieren, sollte ein Öso- tige arterielle Druckmessung notwendig
phagusstethoskop eingeführt werden. werden.
● Messung der Körpertemperatur:

Das präkordiale Stethoskop ist bei Kindern die rektal oder tief ösophageal
! mit Abstand wichtigste Überwachungsmaß- ● Blutgasanalyse:
nahme! Hierzu eignet sich arterialisiertes Kapillar-
blut, z. B. aus der hyperämisierten Finger-
● Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung beere, der Ferse oder dem Ohrläppchen. Zur
mittels Pulsoxymetrie (→ S. 405) exakten Beurteilung des Sauerstoffpartial-
● endexspiratorische CO -Messung: drucks ist jedoch arterielles Blut notwendig.
2
Da in der Kinderanästhesie häufig eine ma- ● Blutzuckerkontrolle:

nuelle Ventilation durchgeführt wird und Diese ist vor allem bei Frühgeborenen wegen
manche älteren Volumeter bei sehr kleinen der Gefahr einer Hypoglykämie notwendig.
Atemhubvolumina nicht ausreichend genau Aber auch eine Hyperglykämie (durch Infu-
arbeiten, empfiehlt sich bei jeder Intubati- sionstherapie oder starke Stresssituation) ist
onsnarkose eine kontinuierliche endexspira- bei Früh- und Neugeborenen unbedingt zu
torische CO2-Messung (→ S. 405). Bei der vermeiden.
Messung im Hauptstrom, das heißt zwischen
Tubus und Y- bzw. Winkelstück, müssen
spezielle Kinderküvetten mit besonders klei- Perioperative Infusionstherapie
nem Totraumvolumen verwendet werden.
Anhand der endexspiratorischen CO2-Mes- Bezüglich der perioperativen Infusions- und
sung kann auch sofort und zuverlässig er- Transfusionstherapie sei auf die ausführlichen
kannt werden, ob das Kind richtig, das heißt Beschreibungen auf den Seiten 136 und 143
endotracheal intubiert ist (→ S. 98). verwiesen.
● EKG-Ableitung: Bei Kindern < 2 Jahren bietet sich für den Ersatz
Ihre Durchführung ist obligat. des Basisbedarfs eine Halbelektrolytlösung mit
● Blutdruckmessung: 2,5 % Glucose an (z. B. 0,45 % Natriumchlorid
Es ist auf eine korrekte Manschettenbreite zu – 2,5 % Glucoselösung, 77 mmol/l Natrium,
achten. Die Breite der Blutdruckmanschette 2,5 % Glucose, Fa. Serag-Wiessner) und für den
sollte ca. ⅔ der Oberarmlänge betragen. Zu Ersatz des Nachhol- und Verlustbedarfs kann
breite Manschetten ergeben zu niedrige, zu (wie bei Erwachsenen; → S. 144) Vollelektro­
schmale Manschetten zu hohe Blutdruck- lytlösung verwendet werden (→ S. 133). Bei
werte. Die Blutdruckmessung ist der zuver- Kindern > 2 Jahren kann prinzipiell Vollelektro-
lässigste Parameter für die Kreislaufüberwa- lytlösung verwendet werden. Bei großen Ope-
chung beim Kind. Der systolische Blutdruck rationen (z. B. Omphalozele) wird meist auch
ist ein guter Gradmesser für einen Volumen- eine großzügige Proteinzufuhr durchgeführt.
mangel. Die Blutdruckmessung nach Riva-
5.1  Anästhesie bei Kindern 245

Tab. 5-4  Dosierungsempfehlungen für die in der Kinderanästhesie gebräuchlichen Medikamente


Wirkstoff Dosierung
Adrenalin Neugeborene unmittelbar nach der Geburt: 0,01–0,03 mg/kg KG
zur Reanimation 1 ml = 1 mg mit 9 ml NaCl 0,9% verdünnen;
(→ auch S. 544, 548) davon: 0,1–0,3 ml/kg KG i. v. bzw. endotracheal

Neugeborene, Säuglinge und Kinder bis 8 J.: 0,01 mg/kg KG i. v. oder intraossär
1 ml = 1 mg mit 9 ml NaCl 0,9% verdünnen;
davon: 0,1 ml/kg KG

für endotracheale Gabe 0,1 mg/kg KG = 0,1 ml/kg KG der unverdünnten Lösung
Wiederholungsdosen ggf. alle 3–5 Minuten

Atracurium Vollrelaxierung: 0,3–0,5 mg/kg KG i. v.


Wiederholungsdosis: 0,15–0,3 mg/kg KG i. v.

Atropin 0,01–0,02 mg/kg KG i. v.


Folgende Verdünnung hat sich bewährt:
1 ml = 0,5 mg + 4 ml NaCl 0,9% = 5 ml
1 ml = 0,1 mg

Diazepam 0,1–0,3 mg/kg KG i. v.

Fentanyl Initialdosierung: 0,005–0,01 mg/kg KG i. v. bei großen Operationen


(z. B. Zwerchfellhernie)
Wiederholungsdosis: 0,001–0,002 mg/kg KG i. v.

Ketamin i. v.: Initialdosierung 1–2 mg/kg KG; Wiederholungsdosis 0,5 mg/kg KG


i. m: (4–8 mg/kg KG)
(bei Esketamin jeweils halbe Dosierung)

Lidocain 1 mg/kg KG i. v.

Methohexital 1–2 mg/kg KG i. v.

Mivacurium Vollrelaxierung: 0,2 mg/kg KG i. v. (erst ab dem 3. Lebensmonat zugelassen)

Naloxon 0,001–0,003 mg/kg KG i. v.


bei unzureichender Wirkung: als Wiederholungsdosis ca. die Hälfte der Initialdosis
Naloxon DeltaSelect: 1 ml = 0,4 mg

Natriumbicarbonat BE × ⅓ × kg KG = mmol Natriumbicarbonat


zur Reanimation (= Natriumhydrogencarbonat) 8,4%, 1 ml = 1 mmol
(→ auch S. 545, 550) Natriumbicarbonat: bei Neugeborenen 1 : 1 mit Glucose 5% verdünnen
bei längerem Kreislaufstillstand trotz guter Beatmung und Herzdruckmassage
1 mmol/kg KG i. v. zur „Blindpufferung”

Neostigmin 0,07 mg/kg KG i. v.

Pancuronium Vollrelaxierung: 0,08–0,1 mg/kg KG i. v.


Wiederholungsdosis: 0,02 mg/kg KG i. v.

Pethidin 0,25–0,5 mg/kg KG i. v. (mittlere Erfolgsdosis im Rahmen der postoperativen Schmerz-
therapie; → S. 328)
246 5  Anästhesie – spezieller Teil

Tab. 5-4  (Fortsetzung)


Wirkstoff Dosierung
Phenobarbital 5–10 mg/kg KG i. v.

Piritramid 0,05(–0,1) mg/kg KG i. v. (→ S. 328)

Prednisolon im anaphylaktischen Schock: 10 mg/kg KG i. v.

Promethazin 0,5 mg/kg KG i. v.

Propofol (2–)3(–5) mg/kg KG i. v. zur Narkoseeinleitung


Aufrechterhaltung einer (T)IVA: ca. 5–15 mg/kg KG/h i. v. (die meisten Präparate sind
inzwischen nach dem 1. Lebensmonat zugelassen; z.B. Propofol Fresenius 1%,
Fa. Fresenius)

Pyridostigmin 0,1–0,2 mg/kg KG i. v.

Rocuronium Vollrelaxierung: 0,6 mg/kg KG i. v.

Succinylcholin Kinder: 1,5–2 mg/kg KG i. v.


Wiederholungsdosis: 0,25 mg/kg KG i. v.
Neugeborene, Säuglinge: 2–3 mg/kg KG i. v.
Folgende Verdünnung hat sich bewährt:
1 ml 2%ige Lösung = 20 mg + 4 ml NaCl 0,9% = 5 ml in einer 5-ml-Spritze
1 ml = 4 mg
(2 mg/kg KG i. m.)

Thiopental 5(–8) mg/kg KG i. v.

Vecuronium 0,08 mg/kg KG i. v.

Volumenzufuhr bei Hypovolämie und Schock 5–10–20 ml/kg KG i. v. HES (Voluven®) oder
Humanalbumin 5%, bei Bedarf wiederholen

Blutverluste sind sehr genau zu registrieren. Bei Als Parameter für eine ausreichende intraopera-
älteren Säuglingen und Kindern können Blut- ! tive Volumensubstitution können der systolische
verluste bis ca. 25–30 % des Blutvolumens (Hb- Blutdruck, die Urinausscheidung sowie der ZVD
Abfall bis auf ca. 7 g/dl), bei Frühgeborenen, (falls ein Kavakatheter liegt) gelten.
Neugeborenen und jungen Säuglingen können
meist Blutverluste bis (10–)15 % (Hb-Abfall bis
auf ca. 10 g/dl) durch HES (Voluven®; → S. 135) Extubation
oder 5%iges Humanalbumin ersetzt werden.
Bei noch größeren Blutverlusten wird eine Blut- Da Kinder zu einer stärkeren Speichelbildung
transfusion notwendig. Die Substitution von neigen, ist der Mund vor der Extubation stets
Blut, Humanalbumin oder HES erfolgt am bes­ sorgfältig von Speichel freizusaugen. Bei Ope­
ten über 10-ml-Spritzen oder eine Spritzen- rationen im Nasen-Rachen-Bereich muss
pumpe, um eine möglichst genaue Dosierung das Blut vor der Extubation gezielt (ggf. unter
zu garantieren. Blut- und Humanalbumingabe laryngoskopischer Sicht) abgesaugt werden.
können auch mittels Spritzenpumpe verabreicht Ein endobronchiales Absaugen sollte bei der
und so genau dosiert werden. Extubation normalerweise nicht vorgenom­-
5.1  Anästhesie bei Kindern 247

men werden. Falls dies unbedingt notwendig Säuglinge unter 3 Monaten sollten immer erst
erscheint, muss danach die Lunge mehrmals ge- extubiert werden, wenn sie wieder richtig wach
bläht werden. sind. Auch bei älteren Kindern empfiehlt sich
die Extubation erst dann, wenn die Kehlkopfre-
Auf keinen Fall darf beim Herausziehen des Tubus flexe zurückgekehrt sind. Eine Extubation in
! endotracheal abgesaugt werden. Die Gefahr der tiefer Narkose sollte nur in Ausnahmefällen,
Ausbildung von Atelektasen ist bei Kindern sehr z. B. bei bekanntem Asthma bronchiale oder bei
groß. Neigung zu Laryngospasmen, durchgeführt

Tab. 5-5  Häufiger eingesetzte Antibiotika für die perioperative Antibiose in der Kinderchirurgie
Wirkstoff (Handelsnamen) Alter Einzeldosis Tagesdosis
Ampicillin (z. B. Binotal )
®
NG < 7 d 50 mg/kg KG 3 × 50 mg/kg KG
NG > 7 d bis 12 J. 50 mg/kg KG 4 × 50 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl./Erw. ED = 2 g 2×2g
Cefazolin (z. B. Cephazolin®) NG < 7 d 20 mg/kg KG 2 × 20 mg/kg KG
NG > 7 d 20 mg/kg KG 3 × 20 mg/kg KG
> 1 Mon. bis 12 J. 30 mg/kg KG 3 × 30 mg/kg KG
12 J./Jgdl. 1,5 g 3 × 1,5 g
Erw. 2,0 g 3×2g
Cefotaxim (z. B. Claforan®) NG < 7 d bis 12 J. 35 mg/kg KG 3 × 35 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl./Erw. mit 2g 3×2g
> 50 kg KG
Cefuroxim (z. B. Zinacef®) NG < 7 d bis 3 Mo. 30 mg/kg KG 2 × 30 mg/kg KG
> 3 Mon. bis 12 J. 35 mg/kg KG 3 × 35 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl./Erw. ED = 1,5 g 3 × 1,5–2 g
Flucloxacillin (z. B. Staphylex®) NG < 7 d 25 mg/kg KG 3 × 25 mg/kg KG
NG > 7 d bis 3 Mo. 30 mg/kg KG 3 × 30 mg/kg KG
> 3 Mon. bis 12 J. 25 mg/kg KG 4 × 25 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl. 1g 4×1g
Erw. 2g 3×2g
Metronidazol (z. B. Clont®) NG < 7 d initiale loading danach 24 h Pause, anschließend
dose: 15 mg/ 2 × 7,5 mg/kg KG
kg KG
NG > 7 d/Sgl./Jgdl. initiale loading anschließend 3 × 7,5 mg/kg KG
dose: 15 mg/
kg KG
Erw. (> 50 kg KG) 500 mg 2 × 500 mg
Mezlocillin (Baypen®) NG < 7 d bis 12 Mo. 75 mg/kg KG 3 × 75 mg/kg KG
1–12 J. 100 mg/kg KG 3 × 100 mg/kg KG
> 12 J. bis Jgdl. 2g 4×2g
Erw. 4g 3×4g
Erw. = Erwachsene, Jgdl. = Jugendliche, NG = Neugeborene, Sgl. = Säugling; ED = Einzeldosis
248 5  Anästhesie – spezieller Teil

werden. Eine Extubation während des Exzitati- diese Patienten oft Digitalispräparate, blut-
onsstadiums ist zu vermeiden, da hier die große drucksenkende Medikamente sowie Diuretika
Gefahr eines Laryngospasmus besteht. Zur Ex- einnehmen, ist auf Elektrolytverschiebungen
tubation hat es sich bewährt, die Lunge noch- (vor allem Kaliummangel) zu achten. Die Herz-
mals zu blähen und den Tubus unter Blähen frequenz ist meist langsam und nicht selten
herauszuziehen. Hiermit wird eine Sauerstoff- durch Rhythmusstörungen beeinträchtigt. Die
reserve in der Lunge geschaffen und die Kinder Gesamtproteinkonzentration kann vermindert
werden nach der Extubation zur Ausatmung sein, was bei intravenösen Medikamenten zu
gezwungen. beachten ist, die stark an Proteine gebunden
Postoperativ sollte das Kind in stabiler Seitenla- sind (→ S. 48).
ge in ein vorgewärmtes Bett gelegt werden. Die
Seitengitter der Betten müssen unbedingt hoch-
gezogen werden, damit die Kinder nicht her- Atmung
ausfallen können, falls sie sich unruhig hin und
her wälzen. Eine zunehmende Thoraxstarre im hohen Alter
Dosierungsempfehlungen für die in der Kin- bedingt eine bevorzugte Bauchatmung. Häufig
deranästhesie häufig verwendeten Medikamen- ist ein Altersemphysem anzutreffen. Die funk-
te sind der Tabelle 5-4 zu entnehmen. Insbeson- tionelle Residualkapazität ist vergrößert, was
dere bei abdominalchirurgischen Eingriffen ein verzögertes An- und Abfluten der Inhalati-
(z. B. Appendektomie) ist öfter eine perioperati- onsanästhetika zur Folge hat (→ S. 38).
ve Antibiotikagabe auf Wunsch des Operateurs
durchzuführen. Die hierzu häufig verwendeten
Antibiotika sowie deren Dosierungen und Do- 5.2.2 Präoperative Visite (→ S. 2)
sierungsintervalle sind in Tabelle 5-5 zusam-
mengestellt. Einer der wichtigsten Punkte bei der Anästhe-
sie von älteren Patienten ist die gründliche Vor-
bereitung des älteren Patienten auf Operation
und Narkose. Besonderes Augenmerk ist auf die
5.2 Anästhesie im hohen Atmung zu richten.
Lebensalter
Die Abnahme einer präoperativen arteriellen Blut-
! gasanalyse sollte bei jedem Verdacht auf eine
5.2.1 Allgemeine Bemerkungen ernste Lungenerkrankung oder bei der Möglich-
keit einer postoperativen Nachbeatmung auf ei-
Herz-Kreislauf-System ner Intensivstation vorgenommen werden (Aus-
gangswert!). Besonders wichtig ist es auch, dar-
Bei älteren Patienten liegt häufig eine arterio- auf zu achten, dass die Patienten bereits präope-
sklerotische Veränderung der Zerebral- und rativ Atemgymnastik erlernen.
Koronararterien vor. Das Herz weist oft eine la-
tente oder manifeste Schwäche (= Insuffizienz) Präoperativ bestehende Entgleisungen eines
auf. Das Herzminutenvolumen ist vermindert, Diabetes mellitus, eines arteriellen Hypertonus
die Kreislaufzeit kann dadurch deutlich verlän- oder einer Herzinsuffizienz müssen bei einem
gert sein. Ältere Patienten leiden außerdem Wahleingriff erst medikamentös gebessert wer-
häufig an Bluthochdruck. Das Gefäßsystem den.
zeigt einen chronischen Volumenmangel. Da
5.2  Anästhesie im hohen Lebensalter 249

5.2.3 Prämedikation Medikamente

Es ist auf eine niedrige Dosierung der Medi­ Prinzipiell kommen die gleichen Medikamente
kamente für die Prämedikation zu achten. wie in anderen Altersgruppen zur Anwendung.
Oft muss weniger verordnet werden, als z. B. Wichtig erscheint nur eine sehr vorsichtige, be-
anhand des Körpergewichts theoretisch er­ darfsorientierte Dosierung.
rechnet wird. Bei Patienten über ca. 80 Jahren
sollten keine Benzodiazepine verabreicht
werden, da eine stärkere Atemdepression und Kreislauf
eine paradoxe Reaktion (Erregungszustand
anstatt Anxiolyse/Sedierung) auftreten kön­- Aufgrund der verlängerten Kreislaufzeit tritt die
nen. Eventuell kann die sedierende Neben­ ! Wirkung von intravenösen Medikamenten oft
wirkung eines Antihistaminikums (z. B. Di- wesentlich verzögert ein. Vor einem voreiligen
menhydrinat; Vomex®; → S. 334) ausgenutzt Nachinjizieren wegen vermeintlich zu niedriger
werden. Dosierung ist zu warnen.

Besonderes Augenmerk gilt dem Blutdruck-


5.2.4 Narkoseführung verhalten. Insbesondere müssen stärkere Blut-
druckabfälle vermieden werden, um bei einem
arteriosklerotischen Patienten keine Mangel-
Wahl des Narkoseverfahrens durchblutung vor allem des Herzens oder des
Gehirns zu riskieren. Ebenso sind übermäßige
Prinzipiell kommen die gleichen Narkosever- Blutdrucksteigerungen zu vermeiden. Zur bes-
fahren wie in anderen Altersgruppen zur seren Blutdrucküberwachung sollte großzügig
Anwendung. Operationen an der unteren Kör- von der blutigen arteriellen Druckmessung Ge-
perhälfte, wie z. B. urologische oder trauma­ brauch gemacht werden. Sie sollte bereits vor (!)
tologische Eingriffe, werden häufig in Spinal­ Narkoseeinleitung angeschlossen werden, da
anästhesie durchgeführt. Bei älteren Patien­- die Einleitungsphase einen besonders kritischen
ten mit pulmonalen Problemen scheint es Moment jeder Narkose darstellt. Falls noch
vorteilhaft zu sein, auf die Intubation zugunsten nicht geschehen, sollte hierbei auch eine arteri-
einer rückenmarksnahen Leitungsanästhesie elle Blutgasanalyse vor (!) der Narkoseeinlei-
zu verzichten. Gute Ergebnisse lassen sich tung bestimmt werden. Die spätere Extubation
oft auch durch die Kombination einer Regional- sollte nicht an einer bereits vorbestehenden,
anästhesie mit einer oberflächlichen Vollnar­ aber unerkannt gebliebenen Gasaustauschstö-
kose erzielen. Der endgültige Beweis, dass rung scheitern!
die Methoden der rückenmarksnahen Regio- Bei Verdacht auf eine vorbestehende oder sich
nalanästhesie einer Vollnarkose überlegen intraoperativ manifestierende Herzinsuffizienz
sind, steht allerdings noch aus. Bei bestehender ist auf negativ inotrope Medikamente, wie z. B.
Herzinsuffizienz oder einem Volumenmangel Thiopental, zugunsten kreislaufneutraler Medi-
sollte eine Allgemeinanästhesie einer rücken- kamente, wie z. B. Etomidat und Fentanyl, zu
marksnahen Regionalanästhesie vorgezogen verzichten. Zur evtl. notwendigen Stärkung der
werden. Herzkraft sollte intraoperativ vorzugsweise Do-
butamin (Dosierung: bis zu 15 µg/kg KG/min;
→ S. 300) verabreicht werden.
250 5  Anästhesie – spezieller Teil

Ventilation 5.3 Anästhesie
Bei der Respiratoreinstellung sollte eine Nor-
in der Geburtshilfe
moventilation angestrebt werden. Eine stärkere
Hyperventilation ist zu vermeiden, da hier- 5.3.1 Allgemeine Bemerkungen
durch auch eine zerebrale und koronare Gefäß­
engstellung (→ S. 272) eintritt. Bei bereits Im Verlauf einer Schwangerschaft kommt es zu
grenzwertiger Durchblutung aufgrund einer zahlreichen physiologischen Veränderungen
Arteriosklerose könnte dies zu einer Mangel- des mütterlichen Organismus. Für den Anäs-
durchblutung führen. thesisten sind besonders wichtig:
Bei optimaler Narkoseführung ist die intraope- ● Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems

rative anästhesiologisch bedingte Mortalität ● Veränderungen der Atmung

beim älteren Patienten nicht wesentlich höher ● Veränderungen des Magen-Darm-Traktes

als in anderen Altersgruppen.

Veränderungen des Herz-Kreislauf-


5.2.5 Postoperative Systems
Nachbehandlung
Der systolische Blutdruck bleibt weitgehend
Das größte Problem in der Alterschirurgie ist unverändert, und der diastolische Blutdruck
die postoperative Phase. Insbesondere sind hier fällt während der Schwangerschaft leicht ab. Ur-
pulmonale Probleme, wie die Ausbildung einer sache ist eine Ausweitung des Kapillarbettes
Pneumonie, oft nicht zu vermeiden. Ganz ent- und eine Abnahme des peripheren Gefäßwider-
scheidend ist daher die Fortsetzung der bereits standes. Erst unter der Geburt steigt der Blut-
präoperativ geübten Atemgymnastik sowie die druck wieder an. Der Venendruck bleibt in der
möglichst frühzeitige Mobilisation der Patien- oberen Körperhälfte weitgehend normal. In der
ten. unteren Körperhälfte ist er deutlich erhöht, da
Bei älteren Patienten treten in der postoperati- der venöse Rückfluss durch den vergrößerten
ven Phase öfter vorübergehende Verwirrtheits- Uterus behindert wird. Das Herzminutenvolu-
zustände auf. Als mögliche Ursachen werden men nimmt durch eine Steigerung der Herzfre-
vor allem der perioperative Stress, Störungen quenz (um 10–12 Schläge/min) sowie durch
des Wasser-Elektrolyt-Haushalts, zerebrale eine Zunahme des Schlagvolumens um bis zu
Minderperfusion, Nachwirkungen von Anäs- 50 % zu. Das Blutvolumen ist um 30–50 % er-
thetika, die postoperative Analgetikatherapie höht. Da jedoch das Plasmavolumen stärker zu-
und viele andere perioperative Veränderungen nimmt als die Erythrozytenzahl, resultiert eine
angeschuldigt. Die Inzidenz solcher Verwirrt- Blutverdünnung mit leichter Abnahme des Hb-
heitszustände ist unabhängig vom Narkosever- und Hkt-Werts.
fahren und bestimmten Narkosemedikamen-
ten.
Kavakompressionssyndrom

Bereits ab der 20. Schwangerschaftswoche, vor


allem aber im letzten Drittel der Schwanger-
schaft, kann das sog. Kavakompressionssyn-
drom auftreten. Ursache ist ein Zurückfallen
des schwangeren Uterus in Rückenlage mit
Kompression der Vena cava inferior. Die da-
5.3  Anästhesie in der Geburtshilfe 251

durch bedingte Verminderung des venösen Die Steigerung der alveolären Ventilation sowie
Rückflusses verursacht einen plötzlichen Abfall ! die Abnahme der funktionellen Residualkapazi-
des Herzminutenvolumens mit den Zeichen ei- tät bedingen ein schnelleres An- und Abfluten der
nes Volumenmangelschocks. Inhalationsanästhetika (→ S. 38) und damit eine
Die Symptome sind: schnellere Ein- und Ausleitung einer Inhalations-
● Schwindel, Benommenheit, Bewusstlosig- narkose bei einer Schwangeren.
keit
● Blässe, Schwitzen, kalte Haut

● Blutdruckabfall Veränderungen des Magen-Darm-


● Tachykardie Traktes
Die Symptome treten nur bei ca. 10 % der hoch- Der sich ausdehnende Uterus verdrängt Därme
schwangeren Frauen auf, da normalerweise ein und Magen nach kranial. Hierdurch kommt es
ausreichender venöser Kollateralkreislauf (über zur Kompression des Magens mit Zunahme des
paravertebrale und peridurale Venengeflechte Mageninnendrucks. Außerdem wird der Ver-
und die Vena azygos) vorhanden ist. schlussmechanismus am Übergang vom Öso-
Durch den zurückfallenden Uterus kann es phagus in den Magen gestört. Des Weiteren
auch zu einer Kompression der Aorta kommen, wird durch eine Verminderung der Magen-
wodurch die Uterusdurchblutung gedrosselt Darm-Aktivität die Magenentleerung verzö-
werden kann (= aortokavales Kompressions- gert. Auch Angst und Schmerz sowie eine anal-
syndrom). getische Medikation während der Geburt
verzögern die Magenentleerung zusätzlich.
Therapie Hieraus ergibt sich:
Die Patientin sollte sofort in Linksseiten­
lagerung gebracht werden. Damit wird der ve- Jede Schwangere ab der ca. 14. Schwangerschafts-
nöse Rückfluss wieder ermöglicht, und die ! woche muss prinzipiell als nicht nüchtern betrach-
Kreislaufverhältnisse normalisieren sich meist tet werden! (Manchmal wird als Grenze auch die
rasch. 20. Schwangerschaftswoche angegeben.)

Veränderungen der Atmung 5.3.2 Physiologie der Geburt


Während der Schwangerschaft kommt es zu ei- Der Geburtsbeginn wird durch verschiedene
ner Steigerung der alveolären Ventilation um hormonelle Vorgänge eingeleitet. Besonders
ca. 40–50 %. Ursache dieser physiologischen wichtig erscheint hierbei das aus dem Hypo-
Hyperventilation ist vor allem eine Zunahme physenhinterlappen vermehrt freigesetzte Hor-
des Atemzugvolumens bei kaum erhöhter mon Oxytocin. Es bewirkt eine Kontraktion
Atemfrequenz (Normalwerte bei Hochschwan- der Uterusmuskulatur und damit eine Austrei-
geren: paCO2 = 32–33 mm Hg; paO2 = ca. 106 bung des Kindes. Bei unzureichender Wehentä-
mm Hg). Der schwangere Uterus verdrängt das tigkeit kann mit künstlichen Oxytocinpräpara-
Zwerchfell nach kranial und schränkt dessen ten (z. B. Syntocinon®, Orasthin®) die Geburt
Beweglichkeit ein. Daraus resultiert ein vor al- eingeleitet oder unterstützt werden (sog. We-
lem thorakaler Atmungstyp sowie eine Abnah- hentropf).
me der funktionellen Residualkapazität (→ S.
342).
252 5  Anästhesie – spezieller Teil

Der Geburtsablauf wird normalerweise in fol-


gende Perioden eingeteilt:
1. Eröffnungsperiode
2. Austreibungsperiode
3. Nachgeburtsperiode

1. Eröffnungsperiode

Die Eröffnungsperiode ist definiert von den ersten



regelmäßigen Wehen bis zur vollständigen Eröff-
nung des Muttermundes auf ca. 10 cm.

In dieser Phase der Geburt entsteht der Schmerz


vor allem durch die Dehnung des Muttermun-
des aufgrund des tiefer tretenden kindlichen
Kopfes. Da der Muttermund von sensiblen Fa-
sern aus den Thorakalsegmenten 10, 11 und 12
sowie dem Lumbalsegment 1 (Th10–L1) ver-
sorgt wird (1 in Abb. 5-9), kann durch Blockade
dieser Bahnen mittels einer Periduralanästhesie
(→ S. 176) der Eröffnungsschmerz gezielt aus-
geschaltet werden.

2. Austreibungsperiode

Die Austreibungsperiode ist definiert von der voll-



ständigen Eröffnung des Muttermundes bis zur
Geburt des Kindes.

Die Aktivität des Uterus erreicht dabei ihr Ma-


ximum. Charakteristisch für die Austreibungs-
periode ist, dass die Gebärende neben den Abb. 5-9 Die schmerzleitenden Fasern aus Muttermund
und Uterus (= 1) ziehen zu den Rückenmarkssegmenten
schmerzhaften Wehen einen starken Zwang
Th10 bis L1. Die schmerzleitenden Fasern des Dammes
zum aktiven Mitpressen verspürt. Während die-
(= 2) ziehen über die Nervi pudendi zu den Segmenten
ser Austreibungsperiode entsteht der Schmerz S2 bis S4.
außer durch Dehnung des Muttermundes (Th-
1–L1) auch durch Dehnung der Scheide und des
Dammes. Die Scheide und der Damm werden
durch die Sakralsegmente 2–4 (= S2–S4) inner-
3. Nachgeburtsperiode
viert (2 in Abb. 5-9). Durch die Blockade der
Segmente Th10–S4 (vgl. auch Abb. 2-19) mittels Die Nachgeburtsperiode ist definiert von der Ge-
einer PDA (→ S. 176) kann also der Austrei-

burt des Kindes bis zur Ausstoßung der Plazenta.
bungsschmerz ausgeschaltet werden.
Während dieser Phase sowie noch einige Zeit
danach besteht wegen einer Nachblutungsge-
5.3  Anästhesie in der Geburtshilfe 253

fahr aus dem Uterus ein besonders hohes müt- bei einer Schwangeren sollte daher dem er-
terliches Risiko. Um in dieser Phase atonische fahrenen Anästhesisten vorbehalten sein.
Uterusblutungen zu therapieren oder um ihnen ● Lokalanästhetikum:

vorzubeugen, wird vom Anästhesisten – auf Bupivacain, Ropivacain und Levobupivacain


Verlangen des Operateurs – nach einem Kaiser- sind die Lokalanästhetika der Wahl, da nur
schnitt häufig ein Oxytocinpräparat (Synto­ ein relativ geringer Anteil von der Mutter auf
cinon® oder Orasthin® = synthetische Oxy­- das Kind übertritt. Durch Verwendung des
to­cinpräparate) oder gar Methylergometrin niederprozentigen (0,25%igen!) Bupivacains
(Methergin® = ein Mutterkornpräparat) injiziert. bzw. Levobupivacains oder des 0,2%igen Ro-
Manchmal kommt auch ein Mischpräparat aus pivacains kann eine selektive Blockade nur
Oxytocin und Methylergometrin (Syntometrin®) der dünnen Nervenfasern, also der sympathi-
oder das Prostaglandin Sulproston (Nalador®) schen Fasern, der Temperaturfasern und der
zur Anwendung. Diese Medikamente bewirken Schmerzfasern, erzielt werden (→ S. 160).
eine starke Uteruskontraktion und vermindern Die dicken motorischen Fasern werden hier-
damit eine Blutung aus dem Uterus. bei nicht blockiert, das heißt, die Patientin
kann die Geburt durch die Bauchpresse un-
terstützen. Da jedoch der Wehenschmerz
5.3.3 Narkoseführung ausgeschaltet ist, verspürt die Patientin bei ei-
ner Wehe keinen unwillkürlichen Drang zum
Pressen mehr, sondern muss von der Hebam-
PDA zur vaginalen Entbindung me zum Mitpressen aufgefordert werden.
● Injektion und Dosierung:

Bezüglich Anatomie, Technik, Vorgehen sowie Das Lokalanästhetikum sollte immer in ei-
Komplikationen und Kontraindikationen für ner Wehenpause injiziert werden, da es bei
die Periduralanästhesie (= PDA) sei auf Seite der Injektion während einer Wehe (durch ei-
176 verwiesen. Hier sollen nur die Besonder- nen Druckanstieg im Periduralraum) zu ei-
heiten hervorgehoben werden, die bei der PDA nem unkontrollierbar hohen Aufsteigen der
im Kreißsaal zu beachten sind. Blockade kommen kann.
Bei 20-jährigen Patienten müssen normaler-
Vorgehen weise ca. 1,5 ml Lokalanästhetikum pro aus-
● periphervenösen Zugang legen: zuschaltendem Segment verabreicht werden
ca. 500(–1 000) ml kristalloide Lösung vor (→ S. 179). Bei Schwangeren wird aufgrund
Anlage der PDA infundieren, da Schwangere des erhöhten Drucks im Periduralraum emp-
oft mit einem stärkeren Blutdruckabfall nach fohlen, ca. ⅓ weniger Volumen an Lokalan-
Einsetzen der sympathischen Blockade rea- ästhetikum zu geben, bei einer 20-jährigen
gieren Frau also ca. 1,0 ml/Segment.
● Lagerung: ● evtl. Zusatz von Sufentanil:

sitzend oder in Linksseitenlage In den letzten Jahren wird im Rahmen einer


● Punktion: geburtshilflichen PDA zunehmend häufiger
Bedingt durch die hormonellen Veränderun- zum Lokalanästhetikum Bupivacain noch
gen während der Schwangerschaft kommt es Sufentanil (meist 10 µg; 1 Ampulle Sufentanil
zu einer Wassereinlagerung ins Gewebe und epidural = 2 ml = 10 µg) zugemischt. Dadurch
auch zu einer Auflockerung der Gewebs- kann eine deutliche Verbesserung der Anal-
und Bandstrukturen im Bereich der Wirbel- gesie erzielt werden. Gegebenenfalls kann im
säule. Damit kann das Auffinden des Peridu- Laufe der Geburt im Rahmen von Nachinjek-
ralraums mit der Widerstandsverlustmethode tionen eine maximale Gesamtdosis von 30 µg
erschwert werden. Das Anlegen einer PDA Sufentanil verabreicht werden.
254 5  Anästhesie – spezieller Teil

Zur Ausschaltung der Eröffnungswehen wür- ● Einleitung der Geburt mit einem Wehen-
de die Blockade der Segmente Th10–L1, also tropf
die Blockade von 4 Segmenten, ausreichen. Im ● Herz- und/oder Lungenerkrankung der

Idealfall könnten hierfür 4 ml Lokalanästheti- Mutter


kum genügen. Zumeist werden zur Ausschal- ● Zustände, bei denen ein starkes Pressen der

tung der Eröffnungswehen jedoch 6–8(–10) ml Mutter vermieden werden muss


Bupivacain 0,25 % (!) bzw. Ropivacain 0,2 % (!) (z. B. Hernie, Ablatio retinae, erhöhter intra-
benötigt. Der Grund, warum in der Praxis ein kranieller Druck, Hirnödem)
höheres als das theoretisch so errechnete Volu-
men benötigt wird, liegt darin, dass die Kathe- Kontraindikationen
terspitze meist bei L2/L3 zu liegen kommt, also ● prinzipielle Kontraindikationen für eine

nicht in der Mitte, sondern unterhalb der zu PDA (→ S. 181)


blockierenden Segmente. Das Medikament ● Zustand nach Kaiserschnitt:

wird sich von der Katheterspitze jedoch nicht Bei Patientinnen, die bei einer früheren Ge-
nur nach oben zu den auszuschaltenden Seg- burt durch einen Kaiserschnitt entbunden
menten hin ausbreiten, sondern auch teilweise haben, besteht die erhöhte Gefahr einer Ute-
nach unten abfließen. Daher muss das Volumen rusruptur an der alten Uterusnaht. Da dies
höher als die berechnete Dosis liegen. unter einer PDA nur schwer zu erkennen ist,
Zur Ausschaltung der Austreibungsschmer- besteht eine relative Kontraindikation für
zen müssen die Segmente Th10–S4 blockiert, eine PDA. Falls dennoch eine PDA angelegt
also insgesamt 12 Segmente (Th10–Th12, wird, wird häufig zusätzlich eine intrauteri-
L1–L5, S1–S4) ausgeschaltet werden. Hierzu ne Druckmessung (= IUD) durchgeführt.
werden ca. 12 ml Bupivacain 0,25 % (!) bzw. Ro- ● notfallmäßiger Kaiserschnitt (= „Notsec-

pivacain 0,2 % (!) benötigt. Da hierbei insbe- tio“):


sondere die tiefen Sakralsegmente S2–S4 be- Hierbei geht es um Minuten, deshalb muss
täubt werden müssen, wird manchmal immer die schneller durchführbare Intubati-
empfohlen, die Hauptdosis an der sitzenden Pa- onsnarkose gewählt werden.
tientin zu injizieren und sie danach ca. 5–10
Minuten sitzen zu lassen. Hierdurch soll ein Nachteile
Absinken des Lokalanästhetikums begünstigt ● Die Geburtsdauer wird öfter verlängert.

und die tiefen Sakralsegmente sicherer ausge- ● Zangen- und Saugglockenentbindungen


schaltet werden. werden häufiger.
● Die Anlage einer PDA ist bei Schwangeren

Die mit Bupivacain bzw. Ropivacain erzielte Anal- schwieriger und sollte nur von einem erfah-
! gesie hält bei einer Schwangeren ca. 2 Stunden an renen Anästhesisten vorgenommen werden
und verlangt dann ggf. eine meist gleichvolumi- (Duraperforation!).
ge Nachinjektion. ● Ein evtl. übermäßiger Blutdruckabfall kann

zu einer Verminderung der Uterusdurchblu-


Indikationen tung und damit zu einer Gefährdung des
● Wunsch einer schmerzfreien Geburt Kindes führen. Die Therapie eines übermä-
● Mehrlingsschwangerschaft ßigen Blutdruckabfalls besteht in:
● Diabetes mellitus (großes Kind!) – Volumengabe
● Präeklampsie (→ S. 257) – Hochlagerung der Beine
● Beckenendlage (= Autotransfusion)
(ist häufig jedoch eine Indikation für einen – gefäßkontrahierende Medikamente:
primären Kaiserschnitt) Diese sollten möglichst vermieden wer-
● Frühgeburt den, da sie auch am Uterus zu einer Ge-
5.3  Anästhesie in der Geburtshilfe 255

fäß­engstellung mit Mangeldurchblutung Injektion


führen können. Wenn ein gefäßkontra- Damit auch die tiefen Sakralsegmente betäubt
hierendes Medikament unvermeidbar ist, werden, wird manchmal empfohlen, ca. die
so stellt Ephedrin (10–20 mg i. v.) das Mit- Hälfte der Dosis an der sitzenden Patientin zu
tel der Wahl dar, da es die Uterusdurch- injizieren. Die Patientin soll danach ca. 5–10
blutung am geringsten beeinträchtigt. Minuten sitzen bleiben. Hierdurch soll ein Ab-
Ephedrin ist jedoch in Deutschland nicht sinken des Lokalanästhetikums und eine Betäu-
im Handel. Alternativ kann Akrinor® bung der Sakralsegmente begünstigt werden.
(→ S. 117) gut verabreicht werden.

Geplanter Kaiserschnitt
Geplanter Kaiserschnitt in PDA in Spinalanästhesie (→ S. 168)
(→ S. 176) In den letzten Jahren wird zunehmend häufiger
auch eine Spinalanästhesie für eine geplante
Lokalanästhetikum und Dosierung Sectio caesarea empfohlen. Es wird die gleiche
Es ist eine Blockade von Th4 (knapp unterhalb Ausbreitung der sensiblen und motorischen
der Brustwarze) bis S4, also von 18 Segmenten Blockade wie bei einer PDA (→ S. 253) ange-
(Th4–Th12, L1–L5, S1–S4) anzustreben (vgl. strebt. Als Lokalanästhetikum werden ca. 2,5–
Abb. 2-19). Bei ca. 20-jährigen Schwangeren 3,0 ml Bupicavain 0,5 % isobar oder 2,0–2,5 ml
wird ca. 1 ml pro auszuschaltendem Segment Bupivacain hyperbar verwendet. Nachteil ist ein
empfohlen (→ S. 253), insgesamt ist also ein evtl. schnell auftretender Blutdruckabfall, der
Volumen von ca. 18 ml Bupivacain bzw. Ropi- durch Vorgabe von ca. 1 000–1 500 ml Elektro-
vacain notwendig. Um neben einer Analgesie lytlösung bzw. Gabe von Akrinor® zumeist ver-
auch eine Muskelerschlaffung der Bauchdecke, hindert bzw. schnell therapiert werden kann.
also eine Blockade der dicken motorischen
Nervenfasern zu erreichen, wird 0,5%iges (!)
Bupivacain, 0,5%iges Levobupivacain oder Geplanter Kaiserschnitt
0,75%iges Ropivacain benötigt (→ S. 179). in Vollnarkose

Bupivacain 0,75 %, Ropivacain 1 % und Levo­ Da eine Schwangere ab dem 2. Trimenon der
! bupivacain 0,75 % sind in der Geburtshilfe nicht ! Schwangerschaft (ca. 14. Schwangerschaftswo-
erlaubt! che; z. T. wird als Grenze auch die 20. Schwanger-
schaftswoche angegeben) stets als nicht nüchtern
Obwohl Sufentanil epidural (→ S. 253) offiziell zu betrachten ist (→ S. 251), darf ein in Vollnar-
nur in Kombination mit Bupivacain für Ge- kose durchgeführter Kaiserschnitt normalerwei-
burtswehen und vaginale Entbindung zugelas- se nicht in Maskennarkose bzw. unter Verwen-
sen ist, wird Sufentanil epidural [meist 10 µg] dung einer Larynxmaske erfolgen, sondern muss
inzwischen sehr häufig auch für eine Sectio cae- als Intubationsnarkose durchgeführt werden. Da-
sarea in Periduralanästhesie eingesetzt. Auch in bei muss stets eine sog. Ileuseinleitung (→ S. 210)
Kombination mit Ropivacain wird Sufentanil vorgenommen werden.
epidural öfter angewendet, obwohl es offiziell
nur in Kombination mit Bupivacain zugelassen Der Schwangeren ist zu erklären, dass die Nar-
ist.) kose aus Rücksicht auf ihr Kind erst begonnen
wird, wenn die Operateure den Bauch desinfi-
ziert und steril abgedeckt haben und schnittbe-
reit sind. Die Zeit zwischen Narkosebeginn und
256 5  Anästhesie – spezieller Teil

Abnabelung ihres Kindes muss so kurz wie ● ggf. auf Wunsch des Operateurs z. B. 0,025
möglich gehalten werden. mg Partusisten® intravenös zur Verminde-
Bei einem Kaiserschnitt (einer Sectio caesarea) rung von Uteruskontraktionen:
hat sich folgendes anästhesiologisches Vorge- 1 Ampulle Partusisten® intrapartal = 1 ml =
hen bewährt: 0,025 mg. 1 ml wird normalerweise mit 4 ml
● Lagerung: Glucose 5 % (oder NaCl 0,9 %) aufgezogen.
Oberkörperhochlagerung zur Verminde- ● 2–3 Minuten vor Abnabelung, meist mit Be-

rung der Regurgitationsgefahr und damit ginn der Uterusinzision: 


der Aspirationsmöglichkeit und Linksseiten- 100 % Sauerstoff
lagerung (ca. 15–20 Grad) zur Vermeidung ● nach der Abnabelung:

eines Kavakompressionssyndroms – Nachrelaxierung, z. B. mit 10 mg Mivacu-


● Absaugung: rium oder 4 mg Vecuronium. Meist kann
Funktionsgeprüfte, eingeschaltete Absaug- aber auch auf eine Nachrelaxation ver-
vorrichtung muss griffbereit sein. zichtet werden.
● Präoxygenieren (→ S. 113) – volatiles Inhalationsanästhetikum, z. B.
● Präcurarisierung (→ S. 116), Isofluran, wieder einschalten:
z. B. 1 mg Vecuronium, 2 mg Mivacurium Die Konzentration sollte jedoch möglichst
● Einleitungshypnotikum: niedrig gehalten werden, um nicht die
vorzugsweise Thiopental (4–5 mg/kg KG i. v.) Gefahr einer atonischen Nachblutung aus
oder Methohexital (ca. 1,5–2 mg/kg KG i. v.), dem Uterus zu erhöhen. Aus diesem
und sofort hinterher Grunde können nach (!!) der Abnabelung
● Succinylcholin: z. B. 0,1–0,15 mg Fentanyl verabreicht
ca. 1,5 mg/kg KG intravenös werden. Dadurch kann die notwendige
● keine Maskenbeatmung (!!!) Konzentration des volatilen Inhalations-
● Sellik-Handgriff (= Krikoiddruck; → S. 210) anästhetikums niedrig gehalten werden.
● Blitzintubation ● Volumensubstitution:

● sofortiges Blocken des Tubus und Lagekon- Die Blutverluste betragen normalerweise
trolle 500(–1000) ml und müssen durch ein Plas-
● sofortiger Beginn der operativen Entbindung: maersatzmittel, z. B. HES steril 6 %, ersetzt
Zur Verbesserung der Operationsbedingun- werden; eine Bluttransfusion ist nur sehr sel-
gen wird der Operationstisch meist noch in ten notwendig.
Kopftieflage gebracht (und die Linksseitenla- ● Tonisierung des Uterus:

ge wird manchmal aufgehoben). Auf Wunsch des Operateurs müssen meist 3


● Luft bzw. N O : O = 1 : 1, IE Syntocinon® (oder Orasthin®) als Bolus
2 2
z. B. 2 Liter Luft/min bzw. 2 Liter N2O/min intravenös und anschließend häufig noch
und 2 Liter O2/min. Manchmal wird vor der zusätzlich 9 IE Syntocinon® (oder Orasthin®)
Abnabelung auf Lachgas verzichtet und statt in einer Infusion verabreicht werden. Manch-
einem Gemisch aus Sauerstoff und Lachgas mal wird auch die Gabe von z. B. Methergin®
ein Gemisch aus Sauerstoff und Luft oder (z. B. 1 Ampulle = 0,2 mg = 1 ml) oder Sul-
reiner Sauerstoff verabreicht. proston (Nalador®) notwendig, um eine an-
● volatiles Inhalationsanästhetikum: haltende, intensive Uteruskontraktion zu er-
z. B. bis ca. 0,6 Vol.-% Isofluran endexspirato- zielen und damit eine atonische Nachblutung
risch aus dem Uterus zu vermeiden (→ S. 252).
● ggf. Nachinjektion von Thiopental oder Suc- ● Extubation:

cinylcholin erst dann, wenn die Schutzreflexe wieder si-


cher zurückgekehrt sind, der Magen abge-
saugt wurde und die Patientin den Tubus fast
aushustet (→ S. 211)
5.3  Anästhesie in der Geburtshilfe 257

Notfallmäßiger Kaiserschnitt ein Opioidüberhang beim Neugeborenen anta­


gonisiert werden, so wird Naloxon (Naloxon
Ein notfallmäßiger Kaiserschnitt (= „Notsectio“) DeltaSelect; → S. 61) in einer Initialdosierung
ist immer eine Indikation für eine Intubations- von 0,01 mg/kg KG intravenös empfohlen, ggf.
narkose und verläuft prinzipiell genauso wie ein sind Wiederholungsdosen notwendig.
geplanter Kaiserschnitt in Intubationsnarkose (→ Lokalanästhetika können in unterschiedlichem
S. 255). Jedoch ist dabei ein zielgerichtetes, schnel- Maße die Plazenta überschreiten.
les Arbeiten nötig. Es geht um Minuten (!!).
Bupivacain und Ropivacain zeichnen sich durch
Eine Notsectio wird notwendig, wenn es während ! sehr niedrige Plasmakonzentrationen beim unge-
! der Geburt plötzlich zu einer Gefährdung von Kind borenen Kind aus und eignen sich daher beson-
und/oder Mutter kommt. ders zur Anwendung in der Geburtshilfe.

Mögliche Ursachen für eine Notsectio sind: Kommt es dennoch zu toxisch hohen Blutkon-
● Nabelschnurvorfall (Minderperfusion des zentrationen beim ungeborenen Kind, so dro-
Kindes!) hen Nebenwirkungen vonseiten des Herzens
● schwere Eklampsie (→ unten) (bradykarde Rhythmusstörungen; → S. 158)
● Tetanus uteri (Rupturgefahr des Uterus) und des zentralen Nervensystems (→ S. 157).
● vorzeitige Plazentaablösung

● blutende Placenta praevia: Die gebräuchlichen Muskelrelaxanzien sind was-


Bei einer Placenta praevia reicht die Plazenta ! serlöslich, von höherem Molekulargewicht und
untypischerweise bis in den Gebärmutter- ionisiert. Sie passieren daher die Plazentaschran-
hals. Bei der Dehnung des Gebärmutterhal- ke nicht.
ses kann es zu massiven Blutungen aus der
Placenta praevia kommen. In üblichen Dosierungen können daher depola-
● Geburtsstillstand risierende sowie nicht depolarisierende Mus-
kelrelaxanzien zu keiner kindlichen Muskeler-
schlaffung führen; sie haben auch keinen Effekt
5.3.4 Unerwünschte auf die Uterusmuskulatur (glatte Muskulatur!).
Arzneimittelwirkungen Verdampfbare Inhalationsanästhetika führen
dosisabhängig zu einer Uteruserschlaffung bis
Substanzen mit einem niedrigen Molekularge- hin zur Uterusatonie. Dies kann nach der Ent-
! wicht, einer guten Lipidlöslichkeit und einer ge- bindung eine verstärkte Blutung aus dem Ute-
ringeren Ionisierung passieren gut die Plazenta- rus begünstigen.
schranke, treten damit leicht in den kindlichen
Kreislauf über und können zu einer Beeinträchti-
gung des neugeborenen Kindes führen. 5.3.5 Präeklampsie
und Eklampsie
Nahezu alle zentral wirkenden Medikamente,
die in der Anästhesie verwendet werden, weisen
diese Merkmale auf (z. B. Thiopental, Methohe- Allgemeine Bemerkungen
xital, Inhalationsanästhetika). Auch Opioide
passieren leicht die Plazentaschranke. Fentanyl Präeklampsie und Eklampsie sind Krankheitsbilder,
darf deshalb bei einer Sectio nicht vor (!) der 
die nur bei Schwangeren ab der 20. Schwanger-
Abnabelung des Kindes gegeben werden, da schaftswoche auftreten können und meist inner-
sonst mit einer Atemdepression des Neugebore- halb von 48 Stunden nach der Entbindung wieder
nen zu rechnen ist. Muss aus irgendeinem Grund verschwinden.
258 5  Anästhesie – spezieller Teil

Hauptsymptome einer Präeklampsie sind: Elementen in den mütterlichen Kreislauf ausge-


–  Hypertonie (> 140/90 mm Hg bei vorher nor- löst werden soll. Viele Symptome können auch
motonen Schwangeren) durch eine Störung in der Synthese von Throm-
–  Proteinurie (> 0,3 g Protein/l im 24-Stunden- boxan und Prostacyclin erklärt werden. Bei ge-
-Urin) sunden Schwangeren ist die Konzentration des
gefäßerweiternden Prostacyclins ca. doppelt so
Ödeme sind für die Diagnosestellung Präek- hoch wie die Konzentration des gefäßverengen-
lampsie kein zwingendes Zeichen mehr. Ledig- den Thromboxans, wodurch es zu der für die
lich bei massiver Ödembildung (> 2 kg Ge- normale Schwangerschaft typischen Gefäßweit-
wichtszunahme/Woche) sind sie auf eine stellung mit leichtem Blutdruckabfall kommt.
Präeklampsie hinweisend. Von einer schweren Bei präeklamptischen Schwangeren ist dagegen
Präeklampsie wird gesprochen, wenn mindes­ die Konzentration des gefäßverengenden
tens eines der folgenden Symptome vorliegt: Thromboxans 5- bis 7-mal höher als die des ge-
● Blutdruck > 160/110 mm Hg fäßerweiternden Prostacyclins.
● Proteinurie > 5 g/d Selbst bei den leichten Formen einer Präek-
● zerebrale Symptome wie Kopfschmerzen, lampsie ist die kindliche Mortalität erhöht.
Schwindel, Sehstörungen u. Ä. Die Ursache ist vor allem eine plazentare Man-
● Oligurie (< 400 ml Urin/d) geldurchblutung. Bei schweren Formen der
● Schmerzen im Oberbauch Präeklampsie kann die kindliche Mortalität bis
● Lungenödem und/oder Zyanose 30 % betragen. Beim Auftreten von eklampti-
● Thrombozytopenie schen Anfällen besteht daneben auch eine Ge-
● HELLP-Syndrom (→ S. 259) fahr für das Leben der Mutter (10–15 % Letali-
tät).
Beim Auftreten zerebraler Symptome wie Kopf-
schmerz, Schwindel, Ohrensausen, Sehstörun-
gen, motorische Unruhe und Hyperreflexie Wichtigste Organstörungen
wird auch von einer drohenden Eklampsie ge-
sprochen. Beim Vollbild der Eklampsie kommt Im Mittelpunkt der Präeklampsie steht ein gene-
es durch das Auftreten von tonisch-klonischen ! ralisierter Gefäßspasmus, der sowohl die Hyper-
Krämpfen zu einem dramatischen Verlauf. tonie als auch lokale Gefäßspasmen in den ver-
Nach einem eklamptischen Anfall sinkt die Pa- schiedensten Organen mit entsprechenden funk-
tientin in einen vorübergehenden komatösen tionellen Veränderungen verursachen kann.
Zustand. Folgt ein eklamptischer Anfall auf den
anderen, ohne dass die Patientin dazwischen
wieder zu Bewusstsein kommt, so wird von ei- Zentralnervensystem
nem Status eclampticus gesprochen. Etwa 50 %
der eklamptischen Anfälle ereignen sich unter Das Zentralnervensystem (= ZNS) kann durch
der Geburt, jeweils ca. 25 % ereignen sich wäh- intravasale Fibrin- und Thrombozytenablage-
rend der Schwangerschaft bzw. kurz nach der rungen, durch petechiale Hirnblutungen und
Geburt. Nekrosen geschädigt werden. Hierdurch kann
Die Ursache einer Präeklampsie und Eklamp- ein eklamptischer Anfall ausgelöst werden.
sie ist noch umstritten. Eine wichtige Rolle Während eines eklamptischen Anfalls kann es
scheint eine uteroplazentare Entwicklungsstö- zu Hypoxie, Aspiration und Acidose kommen.
rung mit nachfolgender Minderdurchblutung Vor allem bei der Intubation kann evtl. ein mas-
der Plazenta zu spielen. Es wird auch eine Anti- siver Blutdruckanstieg auftreten, der unter Um-
gen-Antikörper-Reaktion für möglich gehalten, ständen sogar zu einer Hirnblutung führen
die durch eine Einschwemmung von fetalen kann.
5.3  Anästhesie in der Geburtshilfe 259

Herz-Kreislauf-System travasale Volumen bereits vermindert ist. Es ist


eine vorsichtige Volumengabe notwendig. Zur
Das Herz-Kreislauf-System ist durch einen Kontrolle der Urinausscheidung muss ein Dau-
meist erhöhten peripheren Gefäßwiderstand erkatheter gelegt werden.
und ein erhöhtes Herzminutenvolumen ge-
kennzeichnet. Unter Umständen kann ein
Herzversagen mit Lungenödem auftreten. Die Leber
Patientinnen reagieren sehr empfindlich auf
Catecholamine. Das intravasale Volumen ist re- Die Leber wird vermindert durchblutet, was
duziert (= relative Hypovolämie), was sich oft sich in einem Anstieg der Leberenzyme bis hin
an erhöhten Hb- (> 14 g %) und Hkt-Werten zum Leberversagen äußern kann. Stehen die
(> 40 %) zeigt. Lebersymptomatik und die Gerinnungsproble-
matik ganz im Vordergrund, liegt ein HELLP-
Syndrom vor. HELLP ist die Abkürzung für
Uteroplazentare Durchblutung hemolysis (= Hämolyse: LDH > 600 IE, freie
Hämoglobinkonzentration erhöht, Haptoglo-
Die uteroplazentare Durchblutung ist deutlich binkonzentration erniedrigt, Bilirubinwert er-
reduziert, was eine Mangeldurchblutung des höht), elevated liver enzymes (= erhöhte Leber-
Kindes bedeutet. werte: ASAT [SGOT] und ALAT [SGPT]
erhöht) und low platelet count (= niedrige
Thrombozytenzahl).
Lunge

Die Lunge neigt zum interstitiellen Lungen- Therapie


ödem. Ursache ist der erniedrigte Proteingehalt
mit einem Abfall des kolloidosmotischen Die einzige kausale Therapie der Präeklampsie
Drucks sowie eine erhöhte Kapillarpermeabili- ! ist die Entbindung. Es wird deshalb meist eine
tät. Bei einem eklamptischen Anfall besteht au- vorzeitige Entbindung zwischen der 36. und 38.
ßerdem die Gefahr einer Aspiration mit nach- Schwangerschaftswoche angestrebt.
folgenden Komplikationen.
Beim Vollbild der Eklampsie wird teilweise eine
sofortige Entbindung durch eine Sectio caesa-
Blutgerinnung rea notwendig. In letzter Zeit geht die Tendenz
dazu, einen Status eclampticus medikamentös
Die Blutgerinnung kann gestört sein, häufiger zu durchbrechen und 24–48 Stunden nach dem
besteht ein Thrombozytenmangel. letzten eklamptischen Anfall die Geburt durch
einen Wehentropf (→ S. 251) einzuleiten. Ist
der Status eclampticus nicht zu durchbrechen
Niere oder ist die Patientin länger als 24 Stunden
komatös oder tritt eine Anurie ein, so muss
Die Niere wird schlechter durchblutet, was sich umgehend ein Kaiserschnitt durchgeführt wer-
in einer Abnahme der Urinproduktion bis hin den.
zum anurischen Nierenversagen äußern kann.
Bei abnehmender Harnausscheidung sollte Als allgemeine Therapieprinzipien gelten blut-
nicht versucht werden, mittels Furosemid ! drucksenkende Medikamente, vorsichtige Volu-
(Lasix®) und Mannit (einem Osmodiuretikum) mengabe, strenge Bettruhe und eine Abschirmung
eine Diuresesteigerung zu erzwingen, da das in- gegenüber Umweltreizen.
260 5  Anästhesie – spezieller Teil

Zur Blutdrucksenkung wird vor allem Dihy- Anästhesiologische Probleme


dralazin (Nepresol® ca. 5 mg/h; 50 mg/50 ml in
Spritzenpumpe) eingesetzt. Inzwischen ist hier- An präoperativer Diagnostik sind erforderlich:
für auch Urapidil (Ebrantil®) zugelassen. Der ! Blutdruck, Proteinausscheidung im Urin, Blutbild,
Blutdruck sollte langsam auf einen diastolischen Elektrolyte, Kreatinin und Harnstoff, Gesamtprote-
Wert von ca. 90–100 mm Hg gesenkt werden. ine, Transaminasen, LDH und Bilirubin, der Gerin-
Ein abruptes Absenken kann zu einer weiteren nungsstatus einschließlich den Thrombozyten so-
Gefährdung der uteroplazentaren Durchblu- wie eine arterielle Blutgasanalyse.
tung führen. Die Patientin sollte möglichst in
Seitenlage liegen. In Rückenlage behindert der Durch die generalisierte Vasokonstriktion und
vergrößerte Uterus die Blutströmung in der Ödembildung ist bei diesen Patientinnen meist
Aorta, in der Vena cava inferior sowie in den mit einem intravasalen Volumenmangel und ei-
Nierengefäßen (→ S. 250). ner Verschiebung des Elektrolythaushalts zu
rechnen. Die meist vorbehandelte Hypertonie
Bei einer drohenden Eklampsie wird versucht, die schränkt die hämodynamische Kompensation
! Erregbarkeit des ZNS durch Magnesiumsulfatga- ein. Bei der Narkoseeinleitung droht meist ein
be zu erniedrigen. starker Blutdruckanstieg oder evtl. ein stärkerer
Blutdruckabfall. Auf eine ausreichende Volu-
Als Initialdosis werden 4 g intravenös über ca. mensubstitution mit Normalisierung des zen-
10–15 Minuten empfohlen. Anschließend wird tralen Venendrucks (= ZVD) ist sowohl vor ei-
ca. 1 g Magnesiumsulfat pro Stunde per Sprit- ner Vollnarkose als auch vor Anlage einer PDA
zenpumpe verabreicht. Unter dieser Therapie zu achten. Folge der Proteinurie ist meist eine
muss der Patellarsehnenreflex noch auslösbar erniedrigte Albuminkonzentration. Bei den zu-
bleiben. Als Antidot muss Calcium griffbereit meist stark an Albumin gebundenen intravenös
sein. Da Magnesium über die Nieren ausge- verabreichten Narkosemedikamenten führt dies
schieden wird, muss es bei eingeschränkter Nie- allerdings noch zu keinen klinisch relevanten
renfunktion vorsichtig dosiert werden. Bei einer Veränderungen.
Überdosierung droht eine periphere Atemläh- Die kontinuierliche PDA wird seit vielen Jah-
mung und evtl. ein Herzstillstand. Bei der Gabe ren als Therapie bei der Präeklampsie durchge-
höherer Magnesiumdosen muss eine Wirkungs- führt. Hierdurch kann der Blutdruck graduell
verstärkung und Wirkungsverlängerung der gesenkt und die uteroplazentare Durchblutung
Muskelrelaxanzien beachtet werden. gesteigert werden. Zur Schmerztherapie wäh-
rend der vaginalen Geburt ist bei diesen Patien-
Ein eklamptischer Anfall muss umgehend mit tinnen eine PDA die Methode der Wahl. Vor
! einem kurz wirksamen Barbiturat (z. B. Thiopen- der Durchführung einer PDA muss stets eine
tal) oder z. B. mit Diazepam durchbrochen wer- bei diesem Krankheitsbild häufigere Blutgerin-
den. Wichtig ist stets die Verabreichung von Sau- nungsstörung ausgeschlossen werden! Außer-
erstoff. dem ist auf eine ausreichende Volumengabe zu
achten. Eine akute Senkung des Blutdrucks
Lässt sich ein Status eclampticus nicht durch- muss auf alle Fälle vermieden werden. Eine Spi-
brechen, so muss die Patientin sofort intubiert, nalanästhesie zur Durchführung einer Sectio
relaxiert, kontrolliert beatmet und sectioniert caesarea ist aufgrund eines evtl. schnell auftre-
sowie anschließend auf eine Intensivstation ver- tenden stärkeren Blutdruckabfalles nicht geeig-
legt werden. net. Bei Vorliegen eines HELLP-Syndroms
(→ S. 259) verbietet sich eine Spinal- oder Peri-
duralanästhesie.
5.4  Anästhesie in der Gynäkologie 261

Muss bei eklamptischen Patienten ein Kaiser- 5.4.2 Operationen


schnitt in Vollnarkose durchgeführt werden,
dann müssen sowohl weitere Blutdruckanstiege Ausschabung
als auch starke Blutdruckabfälle vermieden wer-
den. Eine engmaschige, möglichst blutige arteri- Die zumeist nur ca. 10 Minuten dauernde Cu-
elle Druckmessung (→ S. 191) ist angezeigt. Zur rettage (= Ausschabung) wird normalerweise in
Therapie eines evtl. massiven Blutdruckanstiegs Maskennarkose (→ S. 112) durchgeführt.
unter der Intubation sollte ein gut steuerbares Durch die starke sensible Versorgung der
Antihypertensivum (z. B. Nitroglycerin 1 : 100 Dammregion und des Gebärmutterhalses kann
verdünnt) bereitliegen. Da auch die oberen Luft- es bei einer zu flachen Narkoseführung evtl.
wege oft ödematös geschwollen sind, ist meist zum Auslösen von vegetativen Reflexen wie La-
ein kleinerer Tubus notwendig. Muskelrelaxan- ryngospasmus (→ S. 214) oder Singultus (→ S.
zien sind vorsichtig zu dosieren, da sowohl ver- 217) kommen.
abreichtes Magnesiumsulfat als auch Diazepam
die Wirkung von nicht depolarisierenden Mus- Singultus und Husten der Patientin müssen bei ei-
kelrelaxanzien verstärken; ggf. ist die Gabe von ! ner Ausschabung unbedingt vermieden werden,
Calcium oder eine Nachbeatmung nötig. um nicht eine versehentliche Uterusperforation
bei der Ausschabung zu riskieren. Inzwischen wird
in vielen Kliniken eine Kombination aus Propofol
(initial 2,0–2,5 mg/kg KG, Nachinjektionen à ca.
5.4 Anästhesie 20–30 mg ungefähr alle 3 Minuten oder bei Ga-
in der Gynäkologie be per Spritzenpumpe von ca. 6–8 mg/kg KG/h),
Alfentanil oder Fentanyl (z. B. 0,5–1,0 mg oder
0,05–0,1 mg), Sauerstoff (und ggf. Lachgas) für
5.4.1 Lagerung diese Kurznarkosen verwendet, und auf die Ga-
be eines volatilen Anästhetikums wird meist ganz
Die meisten gynäkologischen Operationen wer- verzichtet (vgl. IVA; → S. 125).
den in der Steinschnittlagerung (vgl. Abb. 5-10)
durchgeführt.

Abb. 5-10 Steinschnittlagerung
262 5  Anästhesie – spezieller Teil

Bei einer Ausschabung nach einem Spätabort Extrauteringravidität


müssen großlumige periphervenöse Zugänge
gelegt werden, da es unter Umständen zu er- Da es bei der Extrauteringravidität (= EU) un-
heblichen Blutungen kommen kann. Blut­ ter Umständen zu starken Blutungen kommen
konserven müssen bereitgestellt sein und die kann, müssen mehrere großlumige peripherve-
Patientin muss intubiert werden (mit Ileusein- nöse Zugänge gelegt werden, außerdem muss
leitung). Blut bereitgestellt sein. Die Operation wird in
Intubationsnarkose durchgeführt.

Abdominale Uterusexstirpation
Die abdominale Uterusexstirpation (= Hyster- 5.5 Anästhesie
ektomie) wird stets in Intubationsnarkose
durchgeführt.
in der Urologie

5.5.1 Allgemeine Bemerkungen
Laparoskopie
Häufig sind in der Urologie ältere Patienten mit
Eine Intubation und eine kontrollierte Beat- entsprechenden Nebenerkrankungen zu ope-
mung sind bei einer Laparoskopie (= Bauch- rieren (→ S. 248). Die Eingriffe werden oft in
spiegelung) zwingend. Um die Bauchspiegelung einer rückenmarksnahen Leitungsanästhesie,
besser durchführen zu können, wird die Bauch- insbesondere einer Spinalanästhesie, durchge-
höhle nach Einstechen eines Trokars zuerst mit führt (→ S. 168).
CO2 aufgeblasen. Außerdem muss die Patientin
in eine starke Kopftieflage gebracht werden. Da-
durch rutschen die Därme aus dem kleinen 5.5.2 Operationen
Becken nach kopfwärts. Da ein Teil des einge-
blasenen CO2 resorbiert wird und zum anderen
die starke Kopftieflage die Beatmung behindert, Nierenoperationen
droht ein Anstieg des CO2-Gehalts im Blut. Zur
genauen Ventilationskontrolle ist eine endex- Lagerung
spiratorische CO2-Messung (→ auch minimal- Seitliche Lagerung mit extremer Abknickung
invasive Chirurgie; S. 288) empfehlenswert. des Operationstisches (= Nierenlagerung; Abb.
5-11).

Hysteroskopie Durch diese Nierenlagerung kommt es zur Beein-


! trächtigung der Lungendurchblutung (= Perfusi-
Unter einer Hysteroskopie wird die endoskopi- on) und der Lungenbelüftung (= Ventilation).
sche Inspektion der Gebärmutterhöhle verstan-
den. Hierbei wird ggf. mithilfe einer Elektro- Die untere Lunge ist zwar gut durchblutet (per-
schlinge und unter kontinuierlicher Spülung fundiert), aber schlecht belüftet (ventiliert). Die
mit einer elektrolytfreien Spüllösung die Ute- obere Lunge dagegen ist schlecht perfundiert,
rushöhle freigespült. Dabei können Probleme aber gut ventiliert. Es wird von Störungen des
auftreten, wie sie auch bei der transurethralen Ventilations/Perfusions-Verhältnisses gespro-
Resektion der Prostata auftreten können (vgl. chen. In Lungenbezirken, die gut durchblutet,
TUR-Prostatasyndrom; → S. 264). aber schlecht belüftet werden, fließt das Blut
durch das Lungenkapillargebiet, ohne dass es
5.5  Anästhesie in der Urologie 263

Abb. 5-11 Lagerung für
Nierenoperationen

ausreichend mit Sauerstoff aufgesättigt wird. Oxygenierung führen. Der Grund für eine evtl.
Folge dieser Ventilations-Perfusions-Störungen PEEP-bedingte Verschlechterung der Oxyge-
ist also, dass ein Teil des Blutes vom rechten nierung wäre darin zu sehen, dass sich der PEEP
Herzen durch die Lunge zum linken Herzen vor allem auf die leichter dehnbare und oben
fließt, ohne dass es ausreichend mit Sauerstoff liegende Lunge auswirkt, weniger aber auf die
gesättigt wird. Dieses Phänomen wird als schlechter dehnbare und minder ventilierte un-
Rechts-links-Shunt bezeichnet und bedingt ten liegende Lunge. Dadurch können die vorbe-
eine entsprechende Verminderung des Sauer- stehenden Ventilations-Perfusions-Störungen
stoffgehaltes im arteriellen Blut. unter Umständen sogar verstärkt werden. Der
Außerdem neigt die untere Lunge durch die Erfolg eines PEEP ist daher anhand einer arte-
schlechte Belüftung zum Kollabieren der Alveo- riellen Blutgasanalyse zu überprüfen. Vor der
len, das heißt zur Ausbildung von Atelektasen, Extubation muss der Patient erst in Rückenlage
wodurch ein Rechts-links-Shunt noch verstärkt gebracht und die Lunge muss mehrmals manu-
wird. Durch diese Lagerung werden auch die ell gebläht werden, um evtl. Atelektasen wieder
Bewegungen des Zwerchfells deutlich einge- aufzudehnen.
schränkt. Des Weiteren kann bei dieser „Nie-
renlagerung“ unter Umständen die Vena cava Mögliche Komplikationen
inferior komprimiert werden, wodurch der ve- Neben einer Verletzung von großen venösen
nöse Rückstrom zum Herzen behindert ist. Fol- Gefäßen mit der Gefahr einer akuten Blutung
ge davon kann ein deutlicher Blutdruckabfall oder einer Luftembolie kann auch eine Verlet-
sein. zung von großen arteriellen Gefäßen auftreten.
Des Weiteren kommt es manchmal zu einer
Narkoseführung Verletzung der Pleurahöhle. Wird hierbei keine
Die beschriebenen Ventilationsprobleme ma- Pleuradrainage eingelegt, sondern nach manu-
chen immer eine Intubationsnarkose notwen- ellem Blähen der Lungen die Pleurahöhle wie-
dig, um eine möglichst gute Ventilation zu ga- der verschlossen, so muss die Narkose ohne (!)
rantieren. Aus den erwähnten Gründen sollen Lachgas zu Ende geführt werden (→ S. 40).
in dieser Lagerung ca. 50 % Sauerstoff einge- Postoperativ ist eine Röntgenaufnahme des
schaltet werden. Ein PEEP kann bei dieser La- Thorax durchzuführen.
gerung zu einer Verbesserung, unter Umstän-
den aber auch zu einer Verschlechterung der
264 5  Anästhesie – spezieller Teil

Transurethrale Resektion Transurethrale Elektroresektion


eines Blasentumors der Prostata
Lagerung Operationstechnik
Bei der transurethralen Resektion eines Blasen- Operativer Goldstandard für die Resektion ei-
tumors (= TUR-Blase) kommt die Steinschnitt- nes Prostataadenoms ist immer noch die trans-
lagerung (vgl. Abb. 5-10) zur Anwendung. urethrale Elektroresektion der Prostata (= TUR-
Prostata = TUR-P). Hierbei wird durch eine am
Narkoseführung Ende eines Endoskops befindliche U-förmige
Es bieten sich eine rückenmarksnahe Leitungs- Drahtschlinge Strom geleitet. Dadurch wird die
anästhesie, vor allem eine Spinalanästhesie, an Schlinge glühend heiß erhitzt und damit kann
(→ S. 168). Liegt der Tumor an der lateralen das Prostatagewebe abgehobelt werden.
Blasenwand, dann wurde bis vor einigen Jahren
oft zusätzlich zu einer rückenmarksnahen Re- Lagerung
gionalanästhesie noch ein 3-in-1-Block ange- ● Steinschnittlagerung (vgl. Abb. 5-10)

legt. Hierbei soll versucht werden, in der Leiste


von einer Punktionsstelle aus (ca. 1 cm lateral Narkoseführung
der dort tastbaren Arteria femoralis) 3 Nerven Es bietet sich eine rückenmarksnahe Leitungs-
(Nervus femoralis, Nervus obturatorius, Nervus anästhesie, insbesondere eine Spinalanästhesie,
cutaneus femoralis lateralis) zu blockieren. an (→ S. 168). Falls eine Vollnarkose durchge-
Hierdurch soll der sog. Obturatoriusreflex un- führt wird, sollten bei der Extubation sowie
terdrückt werden, der bei der Elektroresektion postoperativ kräftigeres Husten und Pressen
eines Blasentumors an der lateralen Blasenwand des Patienten vermieden werden, da hierdurch
ausgelöst werden kann und zu störenden Zu­ eine verstärkte Nachblutung begünstigt werden
ckungen des Beines (Adduktion des Beines) kann.
führen kann. Hierfür wurden meist ca. 30 ml
Prilocain 1 % verwendet. In den letzten Jahren Mögliche Komplikationen
wird allerdings darauf hingewiesen, dass es ● sog. TUR-Prostatasyndrom:

meist nicht gelingt, alle 3 genannten Nerven auf Während der transurethralen Resektion der
einmal zu blockieren. Deshalb wird die Be- Prostata mit der Elektroschlinge muss das
zeichnung 3-in-1-Block zunehmend als nicht Operationsfeld laufend mit einer nicht strom-
zutreffend bezeichnet. Daher wird inzwischen leitenden, daher elektrolytfreien Spülflüssig-
häufig von einer inguinalen paravaskulären keit klargespült werden. Da elektrolytfreies,
Blockade des Plexus lumbalis gesprochen. Es destilliertes Wasser stark hypoton ist und bei
sollte ggf. zusätzlich eine isolierte Blockade des einer Einschwemmung ins Gefäßsystem
Nervus obturatorius durchgeführt werden. großteils nach intrazellulär (auch in die Ery-
throzyten) abdiffundieren würde, käme es zu
Mögliche Komplikationen einem Platzen der Erythrozyten, zu einer Hä-
Eine evtl. Blasenperforation äußert sich bei molyse. Daher werden der elektrolytfreien
einer rückenmarksnahen Leitungsanästhesie Spülflüssigkeit hochmolekulare Kohlenhy-
meist in plötzlichen Bauchschmerzen, in ge- drate (z. B. 27 g/l Mannit, 5,4 g/l Sorbit; Os-
spanntem Abdomen, in Übelkeit, Blässe und molarität: 178 mOsmol) zugesetzt. Dadurch
Hypotonie. Bei beatmeten Patienten äußert sich ist die Spülflüssigkeit weniger hypoton, eine
eine Perforation meist nur in einem Anstieg des Hämolyse kann somit vermieden werden. Da
Beatmungsdrucks. bei der Elektroresektion der Prostata zahlrei-
che Venen der Prostatakapsel unvermeidbar
eröffnet werden, droht ein Einschwemmen
5.5  Anästhesie in der Urologie 265

der Spülflüssigkeit durch diese eröffneten Ve- von (v. a. gramnegativen) Bakterien mit ei-
nen in den Kreislauf. Kommt es zur Ein- nem meist in der frühen postoperativen
schwemmung großer Mengen von Spülflüs- Phase beginnenden septischen Schock kom-
sigkeit, so kann es zur Kreislaufüberladung men. Bei einem postoperativen Zittern und
mit einem Lungenödem kommen. Da die einem Fieberanstieg nach urologischen Ope-
Spülflüssigkeit elektrolytfrei ist, kommt es bei rationen muss unbedingt an eine beginnen-
größeren Einschwemmungen durch den Ver- de Sepsis gedacht werden!
dünnungseffekt zu einer Erniedrigung des ● größere Blutverluste:
Natriumgehalts im Blut. Folge dieser Ver- Wegen der permanenten Spülung des Ope-
dünnungshyponatriämie kann ein Hirnödem rationsfeldes mit Spülflüssigkeit ist die verlo-
mit Unruhe, Verwirrtheit und Brechreiz sein. rene Blutmenge oft sehr schwer abzuschät-
Außerdem kann es auch zu einer metaboli- zen. In ca. 5–10 % der Fälle wird eine
schen Acidose kommen. Von einer schweren Bluttransfusion notwendig.
Verdünnungshyponatriämie wird gespro- ● Nachblutung:
chen, wenn der Natriumwert bis auf 120 evtl. mit einer Blasentamponade (= Ausfül-
mmol oder weniger abgesunken ist. Es emp- lung der Blase mit Blutgerinnseln)
fiehlt sich eine wiederholte Elektrolytbestim- ● Blutgerinnungsstörungen:
mung. Das Prostatagewebe enthält reichlich Sub-
Prophylaxe: zurückhaltende Infusionsthera- stanzen, die die Fibrinolyse steigern. Bei Ein-
pie. Es sollten jedoch ausschließlich Vollelek- schwemmung dieser Substanzen in den
trolytlösungen eingesetzt werden. Hypotone Kreislauf kann es über eine gesteigerte Fibri-
Lösungen wie Glucose 5 % sind kontraindi- nolyse zu einer verstärkten Blutungsneigung
ziert! kommen. Die Therapie besteht in der Gabe
Therapie: Lasix® 20–40 mg intravenös. Bei von Fibrinolysehemmern (z. B. Cyclokap­
schwerer Hyponatriämie: 5,85%ige NaCl- ron® i. v.).
Lösung intravenös (1 ml = 1 mmol). ● stärkere Auskühlung
der Patienten, da die Spüllösung normaler-
(Natriumsoll – Natriumist) × kg KG × 0,2 = mmol weise nur Raumtemperatur hat.
! des Natriumdefizits
(Der Faktor 0,2 ergibt sich aus der Tatsache,
dass der Verteilungsraum für Natrium, d. h.
Transurethrale Holmiumlaser-
der Extrazellulärraum, ca. 20 % des Körperge-
wichts ausmacht.) Enukleation der Prostata

● Perforation der Prostatakapsel: Inzwischen wird für die Entfernung eines Pro-
Eine versehentliche Perforation der Prosta- stataadenoms anstatt einer transurethralen
takapsel äußert sich bei einer rückenmarks- Elektroresektion der Prostata (= TUR-P; → S.
nahen Leitungsanästhesie zumeist in plötz­ 264) zunehmend häufiger eine transurethrale
lichen Bauchschmerzen, in gespannten Holmiumlaser-Enukleation der Prostata (=
Bauchdecken, in Übelkeit und Blutdruckab- HoLEP) durchgeführt. Wichtiger Vorteil einer
fall. Bei beatmeten Patienten äußert sich eine HoLEP-Operation ist, dass es bei der Gewebe-
Perforation meist nur in einer Erhöhung des zerschneidung mit dem Laser zu einer gleich-
Beatmungsdrucks. zeitigen guten Koagulation der Blutgefäße
● Sepsis: kommt. Dadurch kann sehr blutarm operiert
Bei Operationen an einem infizierten harn­ werden und es kommt (im Unterschied zur
ableitenden System kann es durch die ope­ TUR-P; → S. 264) zu keiner Einschwemmung
rative Manipulation zum Einschwemmen größerer Mengen an Spülflüssigkeit. Eine Blut-
266 5  Anästhesie – spezieller Teil

transfusion wird (im Gegensatz zur TUR-P- In Absprache mit den Operateuren ist
Operation) so gut wie nie notwendig. Im Unter- Heparin (ca. 300 IE/kg KG; zumeist 25 000 IE)
schied zur Elektroresektion (→ S. 264) braucht zu verabreichen.
auch keine elektrolytfreie (nicht stromleitende) Nach der Organentnahme wird der Tote extu-
Spülflüssigkeit verwendet werden. Dadurch biert. Bis auf zentralvenöse Katheter sollten alle
kommt es (im Gegensatz zur TUR-P) zu keiner Zugänge entfernt werden.
Verdünnungshyponatriämie. Die Nachteile ei- Als Todeszeitpunkt gilt der Zeitpunkt der Hirn-
ner HoLEP-Operation sind: todfeststellung.
● Die Operationszeit ist meist länger als bei ei-

ner TUR-P.
● Diese Operationstechnik verlangt eine große Nierentransplantation
Erfahrung des Operateurs.
Da Patienten, bei denen eine Transplantation
Häufig wird eine HoLEP-Operation in Allge- vorgenommen werden soll, meist seit vielen
meinanästhesie durchgeführt. Jahren nierenkrank und dialysepflichtig sind,
liegen oft folgende Befunde vor:
● Hypertonus
Nierenentnahme beim hirntoten ● schwere, chronische Anämie
Patienten ● Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säu-

re-Basen-Haushalts
Absolute Voraussetzung für eine Nierenentnahme ● Gerinnungsstörungen
! (= Spendernephrektomie) ist ein nachgewiese- ● Diabetes mellitus, der eine perioperative
ner und schriftlich bestätigter Hirntod des Patien- Blutzuckerkontrolle notwendig macht
ten, also ein irreversibler Ausfall aller (!) Hirnfunk- ● deutlich reduzierter Allgemeinzustand
tionen. Daneben muss ein Organspenderpass des ● häufig eine koronare Herzkrankheit oder
Hirntoten oder die Einwilligung der Angehörigen eine latente Herzinsuffizienz
vorliegen. Sind keine Angehörigen bekannt, so ist ● Proteinmangel
die Einwilligung der Staatsanwaltschaft notwen-
dig. Innerhalb der letzten 24 Stunden vor der Ope-
ration werden die Patienten dialysiert. Die Elek-
Da mit dem Ausfall aller zerebralen Funktionen trolytwerte sowie die Blutgerinnungswerte und
auch die zentrale Kreislaufregulation versagt, der Säure-Basen-Haushalt müssen nach der
müssen diese Toten unter Volumen- und Ca- Dialyse nochmals kontrolliert werden.
techolamingabe (z. B. Dobutamin; → S. 300)
kreislaufstabil gehalten werden. Die Diurese Narkoseführung
sollte nicht unter 100 ml/h abfallen. Die Beat- Periphervenöse Zugänge sowie die Blutdruck-
mung erfolgt während der Explantation immer manschette dürfen nicht am Shunt-Arm ange-
mit 100 % Sauerstoff. Es ist eine Normoventila- legt werden! Der Shunt-Arm muss gut gepols­
tion anzustreben. Die Gabe von Hypnotika und tert und geschützt werden!
Analgetika ist bei einem Toten (!) nicht notwen-
dig. Da durch operative Maßnahmen aufgrund Da die Patienten bei einer Organtransplantation
spinaler Reflexe eine (organschädigende) Ta- ! immunsuppressiv behandelt werden (mit Pred-
chykardie und Hypertension auftreten können, nisolon und Ciclosporin A), sind sie besonders in-
kann die Gabe von z. B. Esmolol (→ S. 327) und fektionsgefährdet. Aus diesem Grunde ist bei al-
Nitroglycerin (→ S. 304) sinnvoll sein. Außer- len Injektionen, Infusionen, Zugängen usw. auf ei-
dem kann die Gabe eines Relaxans für den ne absolut sterile Vorgehensweise zu achten!
Operateur vorteilhaft sein.
5.6  Anästhesie in der Neurochirurgie 267

Als Anästhesieverfahren wird meist eine balan- 5.6 Anästhesie


cierte Anästhesie durchgeführt. Häufig wird
hierbei dem Isofluran bzw. Desfluran der Vor- in der Neurochirurgie
zug gegeben, da bei der Metabolisierung von
Sevofluran geringe Mengen an nierentoxischen 5.6.1 Allgemeine Bemerkungen
Fluoridionen entstehen. Die Intubation sollte
unter einer Vollrelaxierung mit einem nicht de- Hirndurchblutung
polarisierenden Muskelrelaxans durchgeführt
werden. Dafür bietet sich vor allem Atracurium Durch eine Autoregulation des zerebralen Ge-
oder cis-Atracurium an, da deren Metabolisie- ! fäßsystems kann die Hirndurchblutung im Be-
rung unabhängig von der Nierenfunktion ist. reich eines arteriellen Mitteldrucks von 60–150
Die anderen nicht depolarisierenden Muskelre- mm Hg nahezu konstant gehalten werden. Da-
laxanzien müssen vorsichtig dosiert werden. mit ist die Hirndurchblutung beim Gesunden fast
Zur Intubation kann bei normalen Kaliumwer- unabhängig vom arteriellen Blutdruck. Verändert
ten – falls eine Ileuseinleitung (= rapid sequence wird die Hirndurchblutung vor allem durch den ar-
induction) indiziert ist – auch Succinylcholin teriellen CO2-Partialdruck (paCO2).
verwendet werden. Bei erhöhtem Kaliumwert
bietet sich Rocuronium an. Alternativ zu einer Eine Hypoventilation mit Anstieg des paCO2
balancierten Anästhesie kann auch eine (T)IVA führt zu einer zerebralen Gefäßweitstellung (=
durchgeführt werden. Vasodilatation) mit Zunahme der Hirndurch-
Vor Perfusionsfreigabe der angeschlossenen blutung. Eine Hyperventilation mit einem Ab-
Niere wird die Gabe von 125–250 ml Mannit fall des paCO2 führt zu einer zerebralen Gefäß­
20 % oder die Gabe von z. B. 20–40 mg Furose- engstellung (= Vasokonstriktion) mit Abnahme
mid (Lasix®) empfohlen. Der ZVD sollte bis da- der Hirndurchblutung.
hin auf ca. 10 cm H2O angehoben sein. Die Pati-
enten kommen oft mit einem Volumenmangel
zur Operation. Manchmal wird zusätzlich Fu- Intrakranieller Druck
rosemid verabreicht.
Da die Patienten an ihre chronische Anämie gut Der intrakranielle Druck (= „Hirndruck“) ent-
adaptiert sind, sollte eine Transfusion nur zu- ! spricht dem intrakraniellen Liquordruck und kann
rückhaltend durchgeführt werden. Gegebenen- mit einem in einen Hirnventrikel gelegten Kathe-
falls ist die Gabe von Erythrozytenkonzentraten ter (= Ventrikelkatheter), einer vorzugsweise im
notwendig. (Die immunsuppressive Wirkung Hirngewebe liegenden (und optisch arbeitenden)
einer Bluttransfusion ist bei Patienten mit Nie­ Drucksonde (Camino-Sonde) oder mittels einer
rentransplantation ausnahmsweise erwünscht.) epiduralen Drucksonde gemessen werden.
Als zusätzliche Überwachungsmaßnahmen
sind ein zentralvenöser Katheter (→ S. 185) so- Der intrakranielle Druck beträgt normalerwei-
wie ein Dauerkatheter unverzichtbar. Eine arte- se im Liegen 10–15 mm Hg. Da das Gehirn von
rielle Druckmessung sollte nur im Ausnahme- dem unnachgiebigen, knöchernen Schädel um-
fall vorgenommen werden (zukünftiger Shunt geben ist, hat es fast keine Möglichkeit, sich bei
an diesem Arm?). krankhaften Prozessen (Ödem, Tumor, Häm­
atom) auszudehnen. Bereits eine geringe Zu-
nahme des Hirnvolumens oder des intrakrani-
ellen Blut- bzw. Liquorvolumens kann bei einem
erhöhten intrakraniellen Druck zu einem weite-
ren exponentiellen Anstieg des intrakraniellen
Drucks führen (vgl. Abb. 5-12).
268 5  Anästhesie – spezieller Teil

● Sonstiges:
75 Eine Hypoxie führt zu einer Steigerung des
intrakraniellen Drucks. Ketanest® kann evtl.
den intrakraniellen Druck steigern.
50
ICP (mmHg)

Senkung
Eine Senkung des intrakraniellen Drucks ist da-
gegen möglich, wenn das zerebrale Blutvolu-
25
men, das Hirnvolumen oder das zerebrale Li-
quorvolumen abnimmt.
Eine Verminderung des intrakraniellen Blutvo-
0 lumens ist möglich durch:
intrakranielle Volumenzunahme (ml)
● zerebrale Vasokonstriktion aufgrund einer

Abb. 5-12 Druckvolumenkurve des Gehirns kontrollierten Hyperventilation (→ S. 272),


Barbituratgabe oder Hypothermie
● Verbesserung des venösen Rückflusses aus
Erhöhung dem Gehirn aufgrund einer Oberkörper-
Eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks ist hochlagerung von ca. 30 Grad und einem
möglich, wenn der Schädelinhalt, also das Hirn- geradeaus blickend gelagerten Kopf, einer
volumen, das zerebrale Blutvolumen oder das tiefen Narkoseführung und dem Vermeiden
zerebrale Liquorvolumen zunimmt. von Husten und Pressen
● Eine Zunahme des Hirnvolumens ist mög- ● operative Ausräumung einer intrakraniellen

lich bei einem Hirnödem oder einem Hirn- Blutung


tumor.
● Eine Zunahme des zerebralen Blutvolumens Eine Reduktion des Hirnvolumens ist möglich
ist vor allem möglich bei zerebraler Vasodi- durch:
latation aufgrund einer Hypoventilation ● Osmodiuretika wie Mannit, die dem Gehirn

(→ S. 267), der Anwendung von Inhalations- Wasser entziehen (→ S. 269)
anästhetika wie Isofluran, Sevofluran, Des- ● Steroide, die ein Hirnödem vermindern sollen.

fluran, Lachgas (→ S. 39) oder der Anwen- Erfolg versprechend sind Steroide beim peritu-
dung von Vasodilatanzien wie z. B. Nitro­ morösen Ödem. Beim Hirnödem nach einem
glycerin (→ S. 304). Schädel-Hirn-Trauma (SHT) sind sie dagegen
● Der venösen Rückfluss aus dem Gehirn ist wirkungslos.
bei einer Kopftieflagerung, bei Husten oder
Pressen infolge zu flacher Narkose, bei einem Eine Verminderung des intrakraniellen Liquor-
PEEP (→ S. 23) oder seitlich gedrehtem Kopf volumens ist möglich durch:
und bei Faszikulationen nach Succinylcho- ● Liquordrainage mittels Ventrikelkatheter

lingabe behindert.
● Eine intrakranielle Blutung, z. B. eine epidu-

rale, subdurale oder intraparenchymatöse Gefahren eines erhöhten


Blutung, führt zu einer deutlichen Zunahme intrakraniellen Drucks
des intrakraniellen Blutvolumens.
● Eine Zunahme des intrakraniellen Liquor- Bei einer Verletzung des Gehirns (z. B. einem
volumens ist möglich bei einem Hydroze- Hirnödem) ist die Autoregulation des zerebra-
phalus aufgrund einer gesteigerten Liquor- len Gefäßsystems (→ S. 267) gestört. Damit
produktion, einer gestörten Liquorresorption wird die Hirndurchblutung direkt abhängig
oder einer Liquorzirkulationsstörung. vom sog. zerebralen Perfusionsdruck.
5.6  Anästhesie in der Neurochirurgie 269

Der zerebrale Perfusionsdruck (= cerebral per-


! fusion pressure = CPP) ist abhängig vom arteri-
ellen Mitteldruck (= mean arterial pressure =
MAP) und vom intrakraniellen Druck (= intracra-
nial pressure = ICP). Es gilt die Beziehung CPP =
MAP – ICP.

Eine Erhöhung des intrakraniellen Drucks be-


wirkt eine Verminderung des zerebralen Perfu-
sionsdrucks (CPP) und damit eine Verminde-
rung der Hirndurchblutung, unter Umständen
bis zur Mangeldurchblutung. Ist der intrakrani-
elle Druck (ICP) im Extremfall gleich dem arte-
riellen Mitteldruck (MAP), so findet keine
Hirndurchblutung mehr statt (CPP = MAP–
ICP).
Durch einen hohen intrakraniellen Druck kann
es außerdem zu einer Druckschädigung des Ge- Abb. 5-13 Querschnitt durch den Schädel eines Pa-
tienten mit epiduralem Hämatom. Aufgrund des Häm­
hirns, unter Umständen auch zur druckbeding-
atoms droht die Verlagerung von Hirnanteilen mit evtl.
ten Verlagerung von Hirnteilen kommen.
Hirnschädigung. 1 = epidurales Hämatom; 2 = Einklem-
Möglich ist z. B. eine Herniation (= Hineinpres- mung am Tentoriumschlitz; 3 = Einklemmung ins Fo-
sen) von Teilen des Temporallappens in den ramen occipitale magnum; 4 = verlagerte Seitenven-
Tentoriumschlitz (vgl. 2 in Abb. 5-13). Hier- trikel; 5 = vierter Hirnventrikel; 6 = Nervus oculomoto-
durch kommt es zu einer Kompression („Ein- rius; 7 = Tentorium.
klemmung“) des Mittelhirns mit Ausbildung
einer einseitig weiten Pupille auf der Seite der
Einklemmung, da hierbei auch der Nervus ocu- Therapie
lomotorius (mit seinen pupillenverengenden ● Oberkörperhochlagerung (ca. 30 Grad)

parasympathischen Fasern) gequetscht wird. ● Intubation und sofortiger Beginn einer Hy-

Wird diese Situation nicht erkannt oder unzu- perventilation evtl. bis zu einem paCO2 von
reichend therapiert und steigt der „Hirndruck“ 28–30 mm Hg (3,7–4,0 kPa) (= forcierte Hy-
weiter an, so können auch Teile der Kleinhirn- perventilation; → S. 272)
tonsillen ins Foramen magnum occipitale hin- ● sofort Barbiturat intravenös (z. B. wiederholt

eingepresst werden und eine Kompression des 250 mg Thiopental)


unteren Hirnstamms verursachen. Dadurch ● evtl. Osmodiuretikum (Mannit), das dem

kann es zu beidseits weiten Pupillen und durch Gehirn Wasser entzieht:


Kompression des Kreislaufzentrums zum sog. Nach Gabe eines Osmodiuretikums kommt
Cushing-Reflex kommen. Der Cushing-Reflex es zu einem initialen Abfall des intrakraniel-
ist gekennzeichnet durch einen plötzlichen len Drucks. Später kann es jedoch unter Um-
Blutdruckanstieg und einen Abfall der Herzfre- ständen zu einem überschießenden ICP-
quenz. Anstieg kommen (Rebound-Effekt). Die
Ursache für einen möglichen Rebound-Ef-
Die Entwicklung einer weiten und lichtstarren fekt ist darin zu sehen, dass die Osmodiure-
! Pupille stellt eine lebensgefährliche Situation dar tika bei einer Schädigung der Blut-Hirn-
und zwingt zum sofortigen Handeln. Der intrakra- Schranke evtl. auch ins Gehirngewebe
nielle Druck muss sofort gesenkt werden. Es geht gelangen. Fällt dann die Konzentration des
um Minuten (!!!). Osmodiuretikums im Plasma (durch z. B.
270 5  Anästhesie – spezieller Teil

schnelle Ausscheidung) deutlich (unter die


Konzentration im Gehirn) ab, dann entwi­
ckelt sich ein umgekehrter osmotischer Gra-
dient, der dazu führt, dass Wasser aus dem
Gefäßsystem ins Gehirn diffundiert und ein
ICP-Anstieg provoziert wird.
● weitere Maßnahmen zur Senkung eines er-

höhten intrakraniellen Drucks → Seite 268


● sofortige Abklärung der Ursache, evtl. mit-

tels zerebralem Computertomogramm


(Frage: Hirnödem oder operativ angehbare
intrakranielle Blutung?)
● Na, K, Hb, p O und Blutzucker normalisie-
a 2
ren Abb. 5-14 Lagerung für Bandscheibenoperationen

5.6.2 Spezielle neurochirurgische abfälle bei der Umlagerung sowie eine druck-


Lagerungen (→ auch S. 35) freie Lagerung der Augen und des Bauches. Für
die Extubation wird der Patient zuerst wieder in
die Rückenlage gebracht.
Knie-Ellenbogen-Lage

Die Knie-Ellenbogen-Lage (= Mekka-Lage; vgl. Sitzende Lagerung


Abb. 5-14) wird oft bei Operationen an der
Wirbelsäule gewählt (z. B. bei Bandscheiben- Die sitzende Lagerung (vgl. Abb. 5-15) wird vor
operationen). Nach Narkoseeinleitung wird der allem bei Operationen in der hinteren Schädel-
Patient auf einen anderen Operationstisch in grube gewählt. Nach Narkoseeinleitung darf
die Knie-Ellenbogen-Lage umgelagert. Hierbei der Patient nur vorsichtig unter Blutdruckkon-
kann es zu erheblichen Blutdruckabfällen kom- trolle schrittweise aufgesetzt werden. Dem hier-
men, da die Kreislaufregulationsmechanismen bei drohenden Blutdruckabfall kann durch
narkosebedingt zum Teil ausgeschaltet sind. Es Wickeln der Beine vorgebeugt werden. Die sit-
muss auf eine druckfreie Lagerung der zuge- zende Position ist eine der gefahrenträchtigsten
klebten Augen sowie des Bauches geachtet wer- Operationslagerungen, da sie das Entstehen ei-
den. Eine sichere Tubusfixierung ist notwendig, ner Luftembolie begünstigt (→ unten).
da bei versehentlicher Extubation eine Reintu-
bation in dieser Lagerung nicht möglich ist. Für
die Extubation wird der Patient zuerst wieder in Gefahr einer Luftembolie
die Rückenlage gebracht.
In der sitzenden Position ist der Venendruck im
! Kopfbereich negativ. Beim Eröffnen von Venen
Bauchlagerung kann es daher zu einem Lufteintritt in die venö-
sen Gefäße mit der Folge einer Luftembolie kom-
Die Bauchlagerung wird manchmal bei Eingrif- men.
fen in der hinteren Schädelgrube vorgenom-
men. Nach Narkoseeinleitung wird der Patient Eingetretene Luft kann sich im rechten Herzen
vorsichtig umgelagert. Zu achten ist auf eine ansammeln, wodurch die Pumpfunktion des
gute Tubusfixierung, auf mögliche Blutdruck- rechten Herzens versagen kann. Gelangen grö-
5.6  Anästhesie in der Neurochirurgie 271

Luftblasen festzustellen. Eine Dopplersonde


wird rechts parasternal im dritten bis fünften
Interkostalraum festgeklebt. Zur Überprü-
fung der korrekten Lage werden einige Milli-
liter physiologische Kochsalzlösung schnell
über einen (ausnahmsweise mit der Spitze
im rechten Vorhof liegenden) Kavakatheter
(→ S. 185) gespritzt. Bei korrekter Lage der
Dopplersonde ist das für eine Luftembolie
typische fauchende Geräusch zu hören.
● plötzlicher Abfall des endexspiratorischen

CO2-Wertes:
Die durch eine Luftembolie verlegten Anteile
Abb. 5-15 Sitzende Lagerung für neurochirurgische der Lungenstrombahn werden plötzlich
Operationen in der hinteren Schädelgrube nicht mehr durchblutet. In diesen Lungenbe-
reichen kann daher auch kein CO2 mehr aus-
geschieden werden. Der CO2-Partialdruck
ßere Luftmengen durch das rechte Herz bis in im Blut steigt an. Der CO2-Gehalt der Aus­
die Lungenstrombahn, dann kann es zu einer atemluft nimmt plötzlich ab.
Verlegung der Lungenstrombahn durch Luft-
blasen kommen (= Luftembolie), wodurch der Durch eine kontinuierliche Messung der CO -
Widerstand im Lungenkreislauf so stark zuneh- ! Konzentration im endexspiratorischen Gas-2
men kann, dass das rechte Herz nicht mehr in gemisch (z. B. mittels Kapnometer) kann also
der Lage ist, dagegen anzupumpen. Unter Um- eine Luftembolie sofort erkannt werden. Die
ständen tritt ein akutes Rechtsherzversagen ein. Alarmgrenzen der CO2-Messung müssen stets
Hat der Patient zufällig noch ein funktionell of- sehr eng eingestellt sein!
fenes Foramen ovale (was bei ca. 20–30 % der
Erwachsenen der Fall ist), dann könnte bei ei- ● transösophageale Echokardiographie
nem Lufteintritt ins Gefäßsystem ein Teil dieser (= TEE):
Luft aus dem rechten in den linken Vorhof Neuerdings wird auch die intraoperative
übertreten und zu einer sog. paradoxen Luft- transösophageale Echokardiographie (TEE)
embolie im arteriellen Systemkreislauf führen. als ein sehr empfindliches Verfahren zum
Bei einer Embolisation in den Bereich der Ko- Nachweis evtl. Luftembolien empfohlen
ronararterien bzw. des Zerebralkreislaufs kann (→ S. 206). Bei dieser Ultraschalldiagnostik
es zu einem Herz- bzw. Hirninfarkt kommen. des Herzens erfolgt die Schalleinstrahlung
Um ein evtl. noch vorhandenes offenes Fora- über einen in den Ösophagus eingeführten
men ovale zu erfassen, wird inzwischen eine schlauchförmigen Schallkopf.
präoperative transthorakale Echokardiographie Wird nach Narkoseeinleitung eine TEE-Son-
empfohlen (→ S. 204). Falls das Foramen ovale de in den Ösophagus eingeführt (→ S. 207),
noch funktionell offen ist, wird zumeist auf eine dann können im Falle einer Luftembolie die
Operation in sitzender Lagerung verzichtet und durch das rechte Herz strömenden Luftbläs-
in Seiten- oder Bauchlage operiert. chen online auf dem TEE-Bildschirm er-
kannt werden. Die TEE-Überwachung wird
Hinweise bisher noch relativ selten durchgeführt.
● präkordiale Dopplersonographie: ● Blutdruckabfall, Tachykardie, Herzrhyth-

Die präkordiale Dopplersonographie ist ein musstörungen


empfindliches Verfahren, um selbst kleine ● Zyanose
272 5  Anästhesie – spezieller Teil

● Pulmonaliskatheter (falls vorhanden): ● evtl. medikamentöse Unterstützung des


Durch die Verlegung der Lungenstrombahn rechten Herzens, z. B. mit einer Dobutamin-
kommt es zu einem plötzlichen Anstieg des infusion (→ S. 300)
Drucks in der Pulmonalarterie (→ S. 203).

Therapie 5.6.3 Anästhesiologische
● sofort den Operateur informieren, Besonderheiten
der das Gefäß zuhält, unterbindet oder, wenn
es nicht auffindbar ist, das Operationsgebiet
unter Wasser setzt, um einen weiteren Luft- Volumenzufuhr
eintritt zu verhindern.
● Absaugen der Luft aus dem rechten Vorhof/ Bei Gehirnoperationen ist eine übermäßige Vo-
Herzen: lumenzufuhr zu vermeiden. Blutverluste sollten
Über einen Kavakatheter, dessen Spitze bei durch Plasmaersatzmittel oder Blut ersetzt wer-
solchen Operationen ausnahmsweise im den. Auf reine Glucoselösungen (z. B. Glucose
rechten Vorhof platziert wird, kann versucht 5 %) muss verzichtet werden, da nach Metaboli-
werden, die Luft abzusaugen. Um eine sierung der Glucose freies Wasser, also eine hy-
schnelle Absaugmöglichkeit zu garantieren, potone Lösung, übrig bleibt. Dieses freie Wasser
muss eine 20-ml-Spritze oder besser eine Va- diffundiert großteils ins Gewebe und kann zu
kuumflasche über einen geschlossenen Drei- einer Verstärkung eines Hirnödems führen.
wegehahn bereits vor Operationsbeginn an
den Kavakatheter angeschlossen werden.
Am Ende der Operation ist beim liegenden Kontrollierte Hyperventilation
Patienten der Kavakatheter wieder einige
Zentimeter zurückzuziehen, sodass die Spit- Bei vielen neurochirurgischen Patienten besteht
ze kurz vor Einmündung der Vena cava su- bereits präoperativ ein erhöhter intrakranieller
perior in den rechten Vorhof zu liegen Druck. Durch die Hirnoperation kommt es
kommt (→ S. 190). meist zu einem Ödem des Gehirns mit Gefahr
● Lachgas (falls verwendet) sofort abstellen der weiteren postoperativen Steigerung des in-
und 100 % Sauerstoff einschalten: trakraniellen Drucks (→ S. 268).
Lachgas diffundiert in die embolisierten
Luftblasen (→ S. 39) und führt zu deren Grö- Durch eine kontrollierte mäßige Hyperventilati-
ßenzunahme und damit zur Verschlimme- ! on mit einem angestrebten arteriellen p CO -Wert
a 2
rung der Symptomatik. Inzwischen wird bei von ca. 4,0–4,7 kPa (= 30–35 mm Hg) kann ei­-
einer Operation in sitzender Lagerung zu- ne zerebrale Vasokonstriktion (→ S. 267) mit Ab-
meist prinzipiell auf eine Lachgasgabe ver- nahme der Hirndurchblutung und damit des in­
zichtet. trakraniellen Drucks (→ S. 267) erzielt werden.
● PEEP einschalten: In Ausnahmefällen kann auch eine forcierte Hy-
Hierdurch wird der venöse Rückfluss aus perventilation durchgeführt werden, wobei ein
dem Gehirn reduziert; weiteren Luftemboli- paCO2 von 3,7–4,0 kPa (= 28–30 mm Hg) notwen-
en soll dadurch vorgebeugt werden. Die pro- dig ist.
phylaktische Anwendung eines PEEP ist da-
gegen sehr umstritten. Die normale Hirndurchblutung beträgt ca. 50
● (evtl. Senken des Kopfteils des Operationsti- ml/100 g Hirngewebe pro Minute. Durch eine
sches) Änderung des paCO2 um 1 mm Hg ändert sich
● (evtl. manuelle Kompression der Venae ju- die Hirndurchblutung um 1(–1,5) ml/100 g
gularis internae) Hirngewebe pro Minute. Wird beispielsweise
5.6  Anästhesie in der Neurochirurgie 273

der paCO2 von normalerweise 40 auf 30 mm Hg ● Die Rupturgefahr eines Aneurysmas einer
gesenkt, dann nimmt die Hirndurchblutung Hirnarterie kann während der operativen Frei-
von ca. 50 auf 40(–35) ml/100 g Hirngewebe legung vermindert werden.
pro Minute ab. In den letzten Jahren wird eine
starke (forcierte) Hyperventilation zunehmend Insgesamt wird eine kontrollierte Hypotension
kritisch beurteilt. Falls sie durchgeführt wird, aufgrund verbesserter Operationsbedingungen
sollte sie nur möglichst kurzfristig angewandt nur noch selten durchgeführt.
werden. Spätestens nach 24 Stunden wird sie
auch wirkungslos, da – aufgrund von Kompen-
sationsmechanismen – die Hirndurchblutung Medikamente
wieder zunimmt.
Die kontrollierte Hyperventilation ist anhand Nitroglycerin (Trinitrosan®)
einer kontinuierlichen endexspiratorischen Nitroglycerin (in der Praxis oft nur als „Nitro“
CO2-Messung zu überwachen. Zur exakten Be- bezeichnet; eigentlich Glyceroltrinitrat) wirkt
urteilung der endexspiratorischen CO2-Mes- vor allem auf die venösen Kapazitätsgefäße di-
sung muss mehrmals eine arterielle Blutgasana- latierend.
lyse vorgenommen werden. Beim Vergleich des
kontinuierlich angezeigten endexspiratorischen Vorteile: keine Toxizität, gute Steuerbarkeit,
CO2-Wertes mit dem CO2-Wert der arteriellen kurze Plasmahalbwertszeit
Blutgasanalyse lässt sich feststellen, dass der ar-
terielle Wert etwas höher ist. Diese alveoloarte- Nachteile: Auch die intrakraniellen venösen
rielle CO2-Partialdruckdifferenz (AaDCO2) ist Gefäße werden weitgestellt mit der Gefahr, dass
bei gleichbleibender Lungenfunktion konstant. ein bereits erhöhter intrakranieller Druck wei-
Je schlechter die Lungenfunktion, desto größer ter ansteigt (→ S. 268). Bei neurochirurgischen
ist dieser Differenzbetrag. Der genaue arterielle Patienten mit Verdacht auf einen erhöhten in-
CO2-Wert ist also um diesen Differenzbetrag trakraniellen Druck darf Nitroglycerin deshalb
höher als der aktuell angezeigte endexspiratori- erst nach Eröffnung der Dura eingesetzt wer-
sche CO2-Wert. den. In ca. 20 % ist die blutdrucksenkende Wir-
kung des Nitroglycerins jedoch nicht ausrei-
chend.
Kontrollierte Hypotension
Lösung: z. B. 1 Ampulle Trinitrosan® = 50 mg/10
Durch eine vorübergehende, medikamentös er- ml in einer Perfusorspritze auf 50 ml aufziehen
zielte Blutdrucksenkung (= kontrollierte Hypo- (1 mg/ml)
tension) bis auf einen minimalen arteriellen
Mitteldruck von ca. 50 mm Hg kann Folgendes Dosierung: nach Wirkung, bis zu 10(–15) ml/h
erreicht werden: über einen Perfusor
● Bei voraussichtlich sehr blutreichen Opera-

tionen kann der Blutverlust (um ca. 50 %)


reduziert werden (z. B. gefäßreiche Hirntu- Nitroprussidnatrium (nipruss®)
moren). Nitroprussidnatrium (= NPN) wird nur relativ
● Durch Verminderung der Blutungen im selten eingesetzt. Es sollte jedoch für kritische
Operationsgebiet können bessere Operati- Situationen (z. B. Aneurysmaruptur) möglichst
onsbedingungen geschaffen werden. Dies ist aufgezogen griffbereit sein. NPN wirkt vor al-
vor allem wichtig bei mikrochirurgischen lem auf die arteriellen, zum Teil auch auf die
Operationen (z. B. mikrochirurgische Ein- venösen Gefäße dilatierend.
griffe am Gehirn oder Mittelohr).
274 5  Anästhesie – spezieller Teil

Vorteile: Die Wirkung setzt sofort ein und ist Stammlösung


nach Infusionsstopp sofort wieder beendet. Es ! 1 Amp. = 60 mg Trockensubstanz mit 6 ml
kann jede beliebige Blutdrucksenkung erzielt Lösungsmittel auflösen. 1 ml verwerfen.
werden. Die Dosierung muss streng nach Wir- = 50 mg nipruss® in 5 ml Lösungsmittel
kung erfolgen! + 45 ml Glucose 5 %
= 50 ml in Perfusorspritze (1 ml = 1 mg)
Nachteile:
● reflektorische Tachykardie, In einer zweiten Spritzenpumpe sollten 5 ml
die unter Umständen die Gabe eines 10%ige Natriumthiosulfatlösung und 45 ml
β-Rezeptoren-Blockers notwendig macht Glucose 5 % auf 50 ml (1 ml = 10 mg) aufgezo-
● Weitstellung auch der intrakraniellen Gefä- gen werden. Die Natriumthiosulfatlösung sollte
ße: mit der gleichen Infusionsgeschwindigkeit wie
Bei neurochirurgischen Patienten mit einem die NPN-Lösung verabreicht werden, sodass
erhöhten intrakraniellen Druck darf NPN ein Milligrammverhältnis von NPN zu Natri-
erst nach Eröffnen der Dura eingesetzt wer- umthiosulfat wie 1 zu 10 gewährleistet ist.
den, um einen weiteren Anstieg des intra-
kraniellen Drucks zu vermeiden (→ S. 268). Dosierung:
● Tachyphylaxie: ● streng nach Wirkung: 0,2–10 µg/kg KG/min

Unter Umständen tritt eine sehr schnelle ● Beginn mit 0,2 µg/kg KG/h; langsame, be-

„Gewöhnung“ an das Medikament (= Ta- darfsorientierte Dosissteigerung


chyphylaxie) auf. Für die gleiche Wirkung ● maximale Gesamtdosis: 1–1,5 mg/kg KG in-

werden immer höhere Dosen benötigt. nerhalb von 2–3 Stunden


● Toxizität:

Beim Abbau von NPN wird Cyanid freige- Inhalationsanästhetika


setzt. Bei hoher Cyanidkonzentration wird Im Prinzip kann mit einem Inhalationsanästhe-
die Sauerstoffverwertung im Gewebe blo­ tikum jede gewünschte Blutdrucksenkung ein-
ckiert. Es kommt daher zur anaeroben Gly- gestellt werden. Hierzu wären jedoch zum Teil
kolyse mit Ausbildung einer metabolischen sehr hohe Konzentrationen mit entsprechenden
Acidose (Abfall von pH-Wert und Standard- Nebenwirkungen notwendig. Inhalationsanäs-
bicarbonat). Durch Zusatz von Natriumthio- thetika werden heute nur noch in Kombination
sulfat kann die Cyanidtoxizität des NPN ver- mit Nitroglycerin (oder Nitroprussidnatrium)
mindert werden. eingesetzt. Bei neurochirurgischen Patienten
● Rebound-Effekt: mit Verdacht auf einen erhöhten intrakraniellen
Das heißt, bei plötzlichem Abbrechen der Druck dürfen Inhalationsanästhetika nur nach
NPN-Infusion kann ein überschießender (!) Eröffnen der Dura eingesetzt werden, da sie
Blutdruckanstieg auftreten. Deshalb muss eine zerebrale Vasodilatation mit der Gefahr ei-
NPN immer langsam reduziert werden. ner Steigerung des intrakraniellen Drucks ver-
ursachen (→ S. 267). Vorzugsweise wird hierzu
Lösung: Nitroprussidnatrium (nipruss®) liegt Isofluran verwendet, da es von den verdampf-
als Trockensubstanz vor und muss aufgelöst baren Inhalationsanästhetika den intrakraniel-
werden. Die Lösung darf erst kurz vor Anwen- len Druck am wenigsten steigert. Außerdem
dung hergestellt werden, da sie nur ca. 4 Stun- führt Isofluran zu einer deutlichen Verminde-
den haltbar ist. Aufgrund der Lichtempfindlich- rung des Hirnstoffwechsels.
keit müssen eine schwarze Perfusorspritze und
Perfusorleitung verwendet werden. Es hat sich
folgende Lösung bewährt:
5.6  Anästhesie in der Neurochirurgie 275

Propofol (Disoprivan®) Überwachungsmaßnahmen


Zunehmend häufiger wird bei der kontrollier- bei intrakraniellen Eingriffen
ten Hypotension auf die Gabe eines volatilen
Anästhetikums verzichtet und eine totale intra- ● arterielle Blutdruckmessung (→ S. 191)
venöse Anästhesie (→ S. 125) unter Verabrei- ● Kavakatheter (→ S. 185):
chung von Propofol und Remifentanil über eine Bei Gefahr einer Luftembolie muss die Spitze
Spritzenpumpe durchgeführt. Durch eine rela- des Kavakatheters ausnahmsweise im rech-
tiv hohe Propofol- und Remifentanildosierung ten Vorhof platziert werden. Über einen
kann zumeist ebenfalls eine mäßige Hypotensi- Dreiwegehahn muss eine 20-ml-Spritze oder
on erzielt werden. besser eine Vakuumflasche für ein evtl.
schnelles Absaugen von Luft aus dem rech-
ten Herzen angeschlossen werden (→ S.
Durchführung 270).
● kontinuierliche Temperaturmessung

Es hat sich folgendes Vorgehen bewährt: Mittel über eine rektale oder ösophageale Tempera-
der ersten Wahl ist Trinitrosan® (→ S. 273). Falls tursonde. Der Auskühlungsgefahr sollte
die Hypotension unzureichend sein sollte, kann durch eine Wärmedecke, Wolldecke oder
zusätzlich bis 1 Vol.-% Isofluran zugegeben oder idealerweise durch eine Warmluftdecke vor-
notfalls auf NPN übergewechselt werden. Bei gebeugt werden (→ S. 231).
Durchführung einer totalen intravenösen An- ● Dauerkatheter

ästhesie (→ S. 125) unter Gabe von Propofol ● Ultraschall-Dopplersonographie

und Remifentanil mittels Spritzenpumpe ge- oder transösophageale Echokardiographie


lingt mittels zusätzlicher Trinitrosan®-Gabe bei Gefahr einer Luftembolie (→ S. 270)
meist eine ausreichende Blutdrucksenkung. ● EKG mit akustischem Signal:

Bei Operationen am Hirnstamm können


Überwachungsmaßnahmen plötzliche Rhythmusstörungen, insbesonde-
● kontinuierliche blutige arterielle Druckmes- re Bradykardien, auftreten. Diese müssen
sung (→ S. 191) sofort dem Operateur mitgeteilt werden.
● regelmäßige Messung des ZVD ● kontinuierliche endexspiratorische CO2-
● EKG Messung (→ S. 272)
● Kontrolle der Körpertemperatur ● Relaxometrie:

● Kontrolle der Urinausscheidung Während intrakranieller Eingriffe ist es wich-


● Laborkontrollen: tig, dass sich der Patient sicher nicht bewegt.
regelmäßig arterielle Blutgasanalysen, Säure- Aus diesem Grunde sind eine tiefe Relaxati-
Basen-Haushalt, Hb, Hkt on sowie eine Überwachung des Relaxati-
● während Hypotension mindestens 50 % Sau- onsgrades mittels Relaxometrie (→ S. 76)
erstoff verabreichen angezeigt.
● langsames Ausschleichen der blutdrucksen- ● Laborbestimmungen:

kenden Medikamente Arterielle Blutgasanalysen, Na, K, Blutzu­


cker, bei Bedarf Hb, Gerinnung. Bei unklarer
Kontraindikationen Polyurie: BZ, Urinzucker und spezifisches
● koronare oder zerebrale Durchblutungsstö- Gewicht des Urins sowie Osmolarität von
rungen Plasma und Urin zur Unterscheidung zwi-
● Anämie schen „Zuckerdiurese“ und Diabetes insipi-
● Niereninsuffizienz dus.
● Hypertonus Eine Zuckerdiurese entsteht normalerwei­-
se, wenn die Blutzuckerkonzentration über
276 5  Anästhesie – spezieller Teil

180 mg % ansteigt. Dann wird Zucker über Narkoseeinleitung


den Urin ausgeschieden (= Glucosurie). Da
Zucker Wasser an sich bindet, kommt es zu- Bei Patienten mit Verdacht auf einen erhöhten
sätzlich zur vermehrten Urinausscheidung intrakraniellen Druck muss eine besonders
(osmotische Diurese). Es lässt sich Zucker schonende Narkoseeinleitung vorgenommen
im Urin nachweisen. Therapie: Insulingabe werden. Jegliche Maßnahme, die zu einer weite-
zur Senkung des Blutzuckers. Um die Blut- ren Steigerung des intrakraniellen Drucks füh-
zuckerkonzentration um 100 mg % zu sen- ren kann, ist zu vermeiden (→ S. 268). Als Ein-
ken, werden ca. 4 IE Altinsulin benötigt. leitungshypnotikum eignet sich insbesondere
Ein Diabetes insipidus kann z. B. entstehen, Thiopental (→ S. 49), da es den intrakraniellen
wenn es aufgrund einer Schädigung des Ge- Druck senkt. Barbiturate führen zu einer Ver-
hirns zu einer verminderten Ausschüttung minderung des zerebralen Stoffwechsels. Da die
des antidiuretischen Hormons (= ADH) aus Hirndurchblutung eng an den Hirnstoffwechsel
dem Hypophysenhinterlappen kommt. Fol- gekoppelt ist, führt eine deutliche Senkung des
ge ist eine massive Diurese (fast wasserklarer zerebralen Stoffwechsels auch zu einer Ernied-
Urin). Ein spezifisches Gewicht von 1 004 g/l rigung der zerebralen Durchblutung. Diese Ab-
oder weniger spricht für einen Diabetes insi- nahme des zerebralen Blutvolumens führt zu
pidus. Typisch ist auch, dass die Osmolari­- einem Abfall des intrakraniellen Drucks.
tät des Urins (Normalwert ca. 500–1 300
mosmol/l) beim Diabetes insipidus meist so-
gar niedriger ist als die des Plasmas (denn es Narkoseführung
erfolgt eine verminderte Natriumausschei-
dung über den Urin). Im Plasma kommt es Bei erhöhtem intrakraniellem Druck müssen
aufgrund der massiven Ausscheidung von Maßnahmen zur Senkung des intrakraniellen
reinem Wasser zu einer Dehydratation und Drucks unternommen werden (z. B. mäßige
hohen Natriumkonzentration, einer sog. hy- kontrollierte Hyperventilation; → S. 272) und
pertonen Dehydratation. Therapie: Desmo- Maßnahmen unterlassen werden, die zu einer
pressin (Minirin®). Steigerung des intrakraniellen Drucks führen
● Sonstiges: können (z. B. Isofluran-, Sevofluran- oder Des-
Befeuchtung der Einatmungsgase bei langen flurangabe). Es ist eine totale intravenöse Anäs-
Operationen. Bei Operationen von Hirntu- thesie (= TIVA; → S. 125) durchzuführen.
moren muss die bereits präoperativ begon-
nene Steroidtherapie weitergeführt werden
(z. B. 8 mg Fortecortin® alle 4 Stunden). Narkoseausleitung
Eine schonende Narkoseausleitung ohne Hus­
ten und Pressen ist anzustreben, um einen An-
5.6.4 Allgemeine Bemerkungen stieg des intrakraniellen Drucks und um das
zur Narkose erhöhte Risiko von Nachblutungen zu vermei-
den. Falls die Gefahr eines Hirnödems besteht,
Prämedikation der Patient nicht ansprechbar ist, Schluckstö-
rungen oder keine gesicherte Spontanatmung
Bewusstseinsgetrübte Patienten dürfen zur zu erwarten sind, muss der Patient intubiert auf
Prämedikation kein sedierendes oder atemde- die Intensivstation verlegt werden. In den letz-
pressives Medikament erhalten. Bei Krampfnei- ten Jahren wird nach unkomplizierten Hirn-
gung muss auf Neuroleptika verzichtet werden operationen häufig eine primäre Extubation
(→ S. 8). noch auf dem Operationstisch angestrebt.
5.6  Anästhesie in der Neurochirurgie 277

5.6.5 Operationen Narkoseführung
Es ist eine TIVA (→ S. 125) durchzuführen. Bei
Bandscheibenvorfall diesen Patienten ist ein erhöhter intrakranieller
Druck (ICP = intracranial pressure) anzuneh-
Bei degenerativen Veränderungen der Bandschei- men. Jegliche Maßnahme, die eine weitere Stei-

ben kann der Kern einer Bandscheibe durch einen gerung des intrakraniellen Drucks provozieren
Riss des äußeren Faserringes hernienartig hervor- könnte, ist zu unterlassen (→ S. 268). Mindes­
treten (Prolaps). Ein solcher Bandscheibenvorfall tens bis zur Eröffnung der Dura sollte der Pati-
(= BSV) kann auf eine Spinalnervenwurzel drücken ent leicht kontrolliert hyperventiliert werden
und zu starken, ausstrahlenden Schmerzen oder (→ S. 272).
zu motorischer Schwäche bzw. Lähmung im Ver-
sorgungsgebiet des betroffenen Nerven führen. Extubation
Nach Rücksprache mit dem Operateur ist post-
operativ die Extubation oder die Verlegung des
Prämedikation intubierten Patienten auf die Intensivstation an-
Bei stärkeren präoperativen Schmerzen sollte zustreben.
ggf. ein Analgetikum im Rahmen der Prämedi-
kation verabreicht werden. Besser scheint die
intravenöse bedarfsadaptierte Opioidtitration, Hämatomausräumung bei akuter
z. B. beim Umlagern des Patienten vom Bett auf Steigerung des ICP
den Operationstisch, zu sein (→ S. 10).

Lagerung Eine akute Steigerung des ICPs ist zumeist Fol-


● Knie-Ellenbogen-Lage (vgl. Abb. 5-14) ge eines akuten epi- oder subduralen Häm­
atoms, einer intrakraniellen Blutung oder eines
Extubation akuten Hydrozephalus.
● in Rückenlage schonende Extubation ohne

Husten und Pressen, um Nachblutungen Es handelt sich um eine absolut dringliche


nicht zu begünstigen ! Operationsindikation (!!), da ein stark erhöhter in-
trakranieller Druck (= ICP) mit all seinen Ge­fahren
Mögliche Komplikationen anzunehmen ist (→ S. 268). Es darf keine Zeit mit
Ein unklarer Blutdruckabfall kann Hinweis auf dem Legen eines Dauerkatheters, eines Kavaka-
eine operationsbedingte Verletzung der Aorta theters usw. verloren gehen. Diese Maßnahmen
oder der Arteria iliaca sein (sehr selten). dürfen erst nach der operativen Entlastung vorge-
nommen werden. Es geht um Minuten (!!).

Hämatomausräumung
bei chronischer Steigerung des ICP Narkoseführung
Es ist eine TIVA (→ S. 125) durchzuführen. Jeg-
Eine chronische Steigerung des ICPs ist zumeist liche Maßnahme, die eine Steigerung des intra-
Folge eines chronischen sub- oder epiduralen kraniellen Drucks provozieren könnte, ist streng
Hämatoms oder eines chronischen Hydroze- zu vermeiden (→ S. 268). Maßnahmen zur Sen-
phalus. kung des intrakraniellen Drucks sind durchzu-
führen (→ S. 269). Postoperativ wird der Patient
intubiert auf die Intensivstation verlegt.
278 5  Anästhesie – spezieller Teil

Operationen an der Halswirbelsäule Narkoseführung


Tiefe Narkose, um Blutdruckanstiege zu ver-
Lagerung meiden. Erweiterte Überwachungsmaßnahmen
● Rückenlagerung oder sitzende Lagerung (→ S. 275). Bei schwierigen Operationsbedin-
(→ S. 270) gungen ist nach Rücksprache mit dem Opera-
● Gefahr einer Luftembolie bei Operationen in teur ggf. eine kontrollierte Hypotension (→ S.
sitzender Lagerung beachten! (→ S. 270) 273) durchzuführen, um die Rupturgefahr zu
vermindern. Da bei Patienten mit einem zere-
Extubation bralen Aneurysma eine Neigung zu zerebralen
Bei komplizierten Operationen ist die Extubati- Gefäßspasmen besteht, sollte höchstens eine
on nur nach Rücksprache mit dem Operateur mäßige Hyperventilation (→ S. 272) durchge-
durchzuführen. führt werden. Bei einer forcierten Hyperventi-
lation besteht die Gefahr, dass ein Gefäßspas-
Medikamente mus mit Mangeldurchblutung und Infarkt
Öfter wünscht der Operateur die Gabe eines provoziert wird. Kommt es zur Aneurysmarup-
Glucocorticoids (z. B. 40 mg Fortecortin®) um tur, so muss sofort eine extreme kontrollierte
einer Ödembildung des Rückenmarks vorzu- Hypotension durchgeführt werden, bis die Blu-
beugen. tung im Griff ist. Postoperativ wird der nasal
umintubierte Patient auf die Intensivstation
Komplikationen verlegt.
Eine stärkere Ödembildung des Rückenmarks
kann im Extremfall zu einer vorübergehenden
Querschnittssymptomatik führen. Wird dies Aneurysma-Coiling
befürchtet, sollte der Patient postoperativ be-
sonders engmaschig neurologisch überwacht In den letzten Jahren wird zunehmend häufiger
werden. mittels interventioneller radiologischer Techni-
ken ein sog. Aneurysma-Coiling durchgeführt.
Hierbei wird unter Durchleuchtung ein speziel-
Aneurysma-Clipping ler Katheter bis zum Aneurysma vorgeschoben
und in den Aneurysmasack werden Platinspira-
Bei der operativen Versorgung eines zerebralen len eingebracht. Dadurch soll das Aneurysma
Aneurysmas wird versucht, den Hals des Aneu- thrombosieren und somit ausgeschaltet werden.
rysmas mit einem Metallklipp abzuklemmen Dieses Coiling wird normalerweise in der Rönt-
(zu klippen). Hierbei droht die Gefahr, dass das genabteilung (ebenfalls in Allgemeinanästhesie)
Aneurysma rupturiert (platzt), vor allem beim durchgeführt.
Freipräparieren des Aneurysmas oder während
eines Blutdruckanstiegs. Narkoseeinleitung und -führung
Bezüglich der Narkoseeinleitung und -führung
Narkoseeinleitung sind die gleichen Angaben zu beachten wie
Es muss unbedingt ein Blutdruckanstieg ver- beim operativen Aneurysma-Clipping (→
mieden werden. Als Einleitungshypnotikum oben).
eignet sich Thiopental wegen seiner blutdruck-
senkenden Nebenwirkung. Zur Intubation
empfehlen sich Fentanyl oder Sufentanil und
ein Einleitungshypnotikum in hoher Dosie-
rung.
5.7  Anästhesie in der HNO- und Kieferchirurgie 279

Kraniotomien bei Hirntumoren Narkoseführung


● kontrollierte mäßige Hyperventilation (→ S.
Narkoseführung 272)
● erweiterte Überwachungsmaßnahmen (→ S. ● bei halbsitzender Lagerung: Gefahr einer

275) Luftembolie (→ S. 270)


● kontrollierte mäßige Hyperventilation (→ S.

272) Besonderheiten
● bei gefäßreichen Tumoren evtl. kontrollierte ● am Operationstag:

Hypotension (→ S. 273) 3 × 100 mg Hydrocortison in 500 ml Glucose


● intubierter Patient postoperativ auf die In- 5 % über jeweils 8 Stunden
tensivstation verlegen (vgl. Aneurysma-
Clipping; → S. 278)

Besonderheiten 5.7 Anästhesie in der HNO-


● 8 mg Fortecortin alle 4 Stunden (→ S. 268)
®
und Kieferchirurgie
zur Therapie des perifokalen Hirnödems

5.7.1 Allgemeine Bemerkungen
Tumoren der hinteren Schädelgrube
Ungünstigerweise liegt in der HNO- und Kie-
Lagerung ferchirurgie das Operationsgebiet zumeist im
● meist sitzende Lagerung (→ S. 270) oder Bereich der Luftwege. In diesen Fällen ist zur
Bauchlagerung Sicherung der Luftwege normalerweise eine In-
tubationsnarkose durchzuführen.
Narkoseführung
● Gefahr einer Luftembolie (→ S. 270)

● bei gefäßreichen Tumoren evtl. Durchführung Tubus


einer kontrollierten Hypotension (→ S. 273)
● intubierter Patient postoperativ auf Intensiv- Zum Teil werden flexible, nicht knickbare
station verlegen Woodbridge-Tuben, zunehmend häufiger aber
speziell vorgeformte Plastiktuben (vgl. Abb.
Besonderheiten 5-16) verwendet. Wird im Nasenraum operiert,
● 8 mg Fortecortin alle 4 Stunden (→ S. 268)
®

zur Therapie des perifokalen Hirnödems

Hypophysentumoren
Lagerung
● Rückenlagerung

● halbsitzende Lagerung oder

● Seitenlagerung

Tubus
Bei transnasaler Operation muss mit einem
Woodbridge-Tubus (→ S. 85) oral intubiert Abb. 5-16 Vorgeformter Tubus für HNO- oder kiefer-
werden. chirurgische Eingriffe (sog. RAE-Tubus)
280 5  Anästhesie – spezieller Teil

Abb. 5-17 Sicherung der Steck-


verbindungen zwischen Beatmungs-
schläuchen, Y-Stück und Tubus durch
Pflasterstreifen

dann wird oft der Rachen austamponiert, damit Inspektion der oberen Luftwege, notfalls unter
es nicht neben dem liegenden Tubus zu einer leichter Sedierung und mithilfe des Laryngo-
Blutaspiration kommen kann. Bei HNO- und skops, durchzuführen. Außerdem ist Rückspra-
kieferchirurgischen Narkosen kommt es über- che mit dem HNO-Arzt zu halten, ob er auf-
durchschnittlich häufig zum versehentlichen grund seiner präoperativen Kehlkopfspiegelung
Lösen der Steckverbindungen: Tubus – Kon- Intubationsprobleme vermutet. Sind Intubati-
nektor – Y-Stück – Atemschläuche. Da während onsprobleme zu vermuten, so sollte ein Intuba-
der Operation diese Steckverbindungen zumeist tionsversuch nur am spontan atmenden Pati-
unter den Abdecktüchern liegen und nicht ein- enten vorgenommen werden. Es sollte eine
sehbar sind, sollten diese Steckverbindungen fiberbronchoskopische Intubation am spontan
mit Pflasterstreifen gesichert werden (vgl. Abb. atmenden Patienten angestrebt werden.
5-17). Die Pflasterstreifen sollten am Ende leicht Müssen in der HNO- und Kieferchirurgie Pati-
umgeschlagen sein, damit notfalls sofort das enten mit schweren Gesichts- und Kieferverlet-
Pflaster gefasst und abgezogen werden kann. zungen versorgt werden, dann ist mit Intubati-
Außerdem empfiehlt es sich, mittels eines onsschwierigkeiten zu rechnen. Daher sollte
linksthorakal über der Herzspitze aufgeklebten auch in diesen Fällen ein fiberoptischer Intuba-
sog. präkordialen Stethoskops Kontakt zum Pa- tionsversuch am spontan (!) atmenden Patien-
tienten zu halten. An der Kapnographiekurve ten vorgenommen werden (→ S. 225).
kann eine Diskonnektion oder eine versehentli-
che Extubation sofort erkannt werden. Bei la- Bei Verdacht auf einen Schädelbasisbruch darf der
serchirurgischen Eingriffen müssen spezielle ! Patient nicht nasal intubiert werden!
Lasertuben verwendet werden.

Narkoseführung
Intubation
Häufig werden in der HNO- und Kieferchirur-
Sehr häufig ist in der HNO- und Kieferchirurgie gie adrenalinhaltige Lösungen in das Operati-
mit Intubationsproblemen zu rechnen, z. B. bei onsgebiet eingespritzt, um eine Verminderung
Patienten mit einem Zungengrundkarzinom der Blutung anzustreben. Bei schnellerer Re-
oder einem Kehlkopfkarzinom oder bei Patien- sorption des Adrenalins kann es zu Blutdruck-
ten, bei denen ein Halstumor bereits operiert anstieg und Tachykardie kommen. Oft wird in-
wurde (und nun atypische pathologisch-anato- zwischen eine (T)IVA unter Verwendung von
mische Verhältnisse vorliegen) oder bei Patien- Propofol und Remifentanil durchgeführt. Insbe-
ten mit einer Kieferklemme usw. Bei diesen Pa- sondere bei Kindern kommt meist eine Inhalati-
tienten ist vor der Intubation eine sehr genaue onsanästhesie mit Sevofluran zur Anwendung.
5.7  Anästhesie in der HNO- und Kieferchirurgie 281

Extubation deshalb vorher abpunktiert werden. Besteht bei


einem Patienten eine Kieferklemme, so kann
Bei Operationen im Bereich der oberen Luftwe- nicht davon ausgegangen werden, dass diese
ge sollte vor der Extubation der Mund-Rachen- durch eine Relaxierung sicher aufgehoben wird.
Raum (ggf. unter laryngoskopischer [!] Sicht) Es muss dann eine Intubation am spontan at-
abgesaugt werden, um zu vermeiden, dass ver- menden Patienten vorgenommen werden (→ S.
bliebene Blut- oder Sekretreste oder eine zu- 225).
rückgelassene Rachentamponade nach der Ex-
tubation aspiriert werden oder zu einer Reizung Bei einer AT oder TE besteht während der Opera-
des Kehlkopfes mit Auslösung eines Laryngo- ! tion die große Gefahr, dass der Tubus versehent-
spasmus (→ S. 214) führen könnten. lich aus der Trachea herausrutscht oder zu tief
in die Trachea gleitet (= einseitige Intubation;
Die Extubation sollte immer erst vorgenommen → S. 97).
! werden, wenn die Schutzreflexe sicher zurückge-
kehrt sind (!). Der Grund sind notwendige Manipulationen
des Operateurs am Tubus und am Kopf des Pa-
Nach der Extubation sollte der Patient, falls tienten, z. B. das Einsetzen und Herausnehmen
möglich, in Seitenlage und leichte Kopftieflage eines Mundspreizers. Außerdem wird für diese
gebracht werden, damit Blut aus dem Mund- Operationen der Kopf des Kindes massiv über-
Rachen-Raum abfließen kann. streckt und abgesenkt (= „hängender Kopf “).
Auch bei Änderung dieser Kopflagerung kann
der Tubus verrutschen. Des Weiteren kann der
5.7.2 Operationen bzw. Tubus durch den Mundsperrer abgedrückt wer-
den. Es empfiehlt sich daher ein präkordial fest-
Untersuchungen geklebtes Stethoskop. Außerdem sollte die end­
exspiratorische CO2-Kurve genau beobachtet
Entfernung der Rachen- werden. Hierdurch können eine versehentliche
und der Gaumenmandeln Extubation oder Diskonnektion sofort erkannt
werden. Die Extubation sollte erst erfolgen,
Die Entfernung der Rachenmandeln (= Adeno- nachdem die Schutzreflexe sicher zurückge-
tomie = AT) und der Gaumenmandeln (= Ton- kehrt sind. Oft ist bei diesen Patienten nach der
sillektomie = TE) sind sehr häufige Operationen Extubation mit dem Auftreten eines Glottis­
im Kindesalter. Bei den meist sonst gesunden krampfes oder eines Laryngospasmus zu rech-
Kindern muss gezielt nach aktuellen Infekten nen (→ S. 214). In der postoperativen Phase
der oberen Luftwege und nach gelockerten Zäh- muss auf mögliche Nachblutungen geachtet
nen gefragt werden. Für die Intubation werden werden. Die Patienten sollten postoperativ auf-
oft speziell vorgeformte Plastiktuben verwendet gefordert werden, das Blut nicht zu verschlu­
(RAE-Tuben; Abb. 5-16). Der Tubus sollte mit- cken, sondern auszuspucken. Hierdurch ist eine
tig über die Unterlippe abgeleitet und am Un- bessere Kontrolle einer evtl. Nachblutung mög-
terkiefer fixiert werden. lich.
Bei Patienten mit einem Peritonsillarabszess
muss immer überprüft werden, ob der Patient Muss ein Patient wegen einer Nachblutung nach
den Mund noch genügend weit öffnen kann ! einer AT oder einer TE nochmals operiert werden,
oder ob evtl. eine Kieferklemme vorliegt. Bei so ist davon auszugehen, dass er bereits größe-
der Intubation ist darauf zu achten, dass der re Mengen Blut verschluckt hat und nicht mehr
Abs­zess nicht aufplatzt und der Patient keinen nüchtern ist (!).
Eiter aspiriert. Ein großer, reifer Abszess sollte
282 5  Anästhesie – spezieller Teil

Es muss also eine Ileuseinleitung (!) vorgenom-


men werden (→ S. 210). Bei stärkeren Blutungen
empfiehlt es sich, während der Intubation über
einen nasal eingeführten Absaugkatheter das
Blut laufend abzusaugen. Da die Patienten infol-
ge der oft erheblichen Blutungen meist hypovolä-
misch sind, muss vor Narkoseeinleitung ein Plas-
maersatzmittel oder ggf. Blut verabreicht werden.
Es müssen Blutkonserven gekreuzt werden.

Kehlkopfuntersuchung und
Mikrochirurgie im Kehlkopfbereich
Damit die Operateure neben dem Tubus im Be-
reich des Kehlkopfes noch inspizieren und ope-
rieren können, muss ein sehr dünner Tubus
(beim Erwachsenen ein 5,0er bis 6,5er Tubus) Abb. 5-18 Stützautoskopie
verwendet werden (sog. MLT-Tubus; Mikrola-
ryngealtubus). Auch die Anwendung der Hoch-
frequenz-Jet-Ventilation (= high frequency jet Zur guten Sicht auf den Kehlkopf wird dieser
ventilation) ist möglich. vom Operateur oft mit einem sog. Stützauto-
skop eingestellt (vgl. Abb. 5-18). Es gibt auch
Bei der Hochfrequenz-Jet-Ventilation wird das spezielle Stützautoskope, die eine eingebaute

Atemgas über einen sehr dünnen Katheter in die Düse für die Hochfrequenz-Jet-Ventilation be-
Trachea geleitet. Dieser Katheter wird wie ein na- sitzen.
saler Tubus in die Trachea eingeführt. Die Atemga-
se können aber auch über eine dünne Kanüle (z. B.
14 G), die durch das Ligamentum cricothyreoide- Tympanoplastik
um (→ S. 229) gestochen wird, in die Trachea ge-
leitet werden. Bei einer Tympanoplastik wird der Schalllei-
tungsapparat im Mittelohr operativ wiederher-
Mithilfe eines speziellen Hochfrequenz-Jet- gestellt. Da hierbei mit dem Operationsmikro-
Ventilators werden nun kleine Gasstöße mit ho- skop gearbeitet wird, darf der Operationstisch
her Geschwindigkeit und sehr hoher Frequenz nicht versehentlich erschüttert werden! Vor
(bis mehrere Hundert pro Minute) in das Tra- dem operativen Verschluss des Trommelfells
cheobronchialsystem geblasen. Hiermit ist bei muss evtl. verabreichtes Lachgas abgestellt wer-
minimalem Platzbedarf im eng begrenzten den. Bei Verwendung von Lachgas muss mit
Operationsgebiet eine ausreichende Beatmung einer Lachgasdiffusion in die luftgefüllte Pau-
möglich. Die Hochfrequenz-Jet-Ventilation hat kenhöhle gerechnet werden. Falls die Ohrtrom-
sich inzwischen für Laryngoskopien, Broncho- pete (Verbindung: Mittelohr – Rachenraum)
skopien und mikrochirurgische Eingriffe im nicht durchgängig sein sollte, würde es hier-
Kehlkopf bewährt. Gegebenenfalls kann – wie durch zur Drucksteigerung im Mittelohr kom-
im Falle einer nicht möglichen Intubation und men, wodurch unter Umständen das wieder
nicht möglichen Beatmung empfohlen – eine adaptierte Trommelfell bzw. ein Trommelfell-
transtracheale (manuelle) Jet-Ventilation durch- transplantat abgehoben werden könnte.
geführt werden (→ S. 229).
5.8  Anästhesie in der Augenheilkunde 283

Parazentese HNO-Arztes (in Koniotomiebereitschaft; → S.


230) vorgenommen werden. Eventuell bietet
Da die Parazentese (= Durchstechen des Trom- sich auch die Verwendung eines sog. Tubus-
melfells bei Mittelohrentzündungen) nur einige wechselstabes an, über den ggf. erneut intubiert
Minuten dauert, wird meist eine Maskennarko- werden kann (→ S. 230).
se durchgeführt (→ S. 112).

Halsdissektion 5.8 Anästhesie
Bei Halsdissektionen (= neck dissection = sub-
in der Augenheilkunde
totale operative Ausräumung der Halsweichtei-
le bei einem Karzinom im Halsbereich) handelt
es sich meist um lange Operationen. Die Patien- 5.8.1 Allgemeine Bemerkungen
ten benötigen oft einen Kavakatheter (→ S.
185), der jedoch nicht an der Halsseite, an der Augeninnendruck
operiert wird, gelegt werden darf. Manchmal
wird auch eine arterielle Blutdruckmessung Im Auge herrscht normalerweise ein Augenin-
vorgenommen (→ S. 191). nendruck von 15 (± 5) mm Hg. Eine chronische
Bei der Präparation am Hals im Bereich des Erhöhung oder Herabsetzung des Augeninnen-
Nervus vagus oder des Sinus caroticus kann es drucks führt zu einer Schädigung des Auges.
zum Auslösen von bradykarden Herzrhyth- Für den Anästhesisten besonders wichtig sind
musstörungen kommen. Die Operation muss akute Änderungen des Augeninnendrucks wäh-
dann kurzfristig unterbrochen werden. Wird rend der Narkose.
hierdurch keine sofortige Unterbrechung des
Reflexes erzielt, sollten 0,5 mg Atropin intrave- Ist der Augapfel operativ oder traumatisch er-
nös verabreicht werden. ! öffnet, so kann eine plötzliche Erhöhung des
Häufig können im Verlaufe dieser oft mehr- Augeninnendrucks zum Herauspressen von Au-
stündigen Operationen erhebliche Blutverluste ­geninhalt und damit zum Verlust der Sehkraft
auftreten. Bei der Eröffnung größerer Venen be- führen (!).
steht die Gefahr einer Luftembolie (→ S. 270).
Zur Verringerung der Gefahr einer Luftembolie Eine Erhöhung des Augeninnendrucks ist
wird oft ein PEEP (→ S. 353) von ca. 5–8 cm möglich durch: Ketamin, Succinylcholin, Hy-
Wassersäule eingestellt. Oft werden die Patien- poventilation, Hypoxie, Erhöhung des Venen-
ten während dieser Operation tracheostomiert. drucks beim Husten, Pressen, Würgen, eine zu
Falls nicht, so werden sie meist auf der Intensiv- flache Narkose, durch Druck auf das Auge bei
station nachbeatmet, bis die Schwellung wieder unvorsichtiger Maskenbeatmung während der
weitgehend abgeklungen ist. Eine unmittelbar Narkoseeinleitung oder bei lokaler Anwendung
postoperative Extubation sollte nur dann vorge- von Atropin.
nommen werden, wenn der Operateur keine Eine Senkung des Augeninnendrucks ist mög-
Schwellungsgefahr befürchtet. Die unmittelbar lich durch: Hypnotika, Neuroleptika, Opioide,
postoperative Extubation dieser Patienten ist Tranquilizer, Inhalationsanästhetika, nicht de-
oft problematisch, da postoperativ die gesamten polarisierende Muskelrelaxanzien, Hyperventi-
Halsweichteile stark angeschwollen sind. Da lation und eine tiefe Narkoseführung. Außer-
eine evtl. Reintubation erfahrungsgemäß sehr dem kann durch verschiedene Medikamente,
schwierig oder unmöglich sein kann, sollte eine wie z. B. Acetazolamid (Diamox®) die Produkti-
evtl. Extubation möglichst im Beisein eines on des Augenkammerwassers vermindert und
284 5  Anästhesie – spezieller Teil

damit der Augeninnendruck gesenkt werden. Tubus und Larynxmaske


Auch durch die Gabe von Osmotherapeutika
wie Mannit kann der Augeninnendruck gesenkt Es empfiehlt sich die Verwendung der flexiblen
werden. Woodbridge-Tuben oder speziell vorgeformter
Plastiktuben (sog. RAE-Tubus; vgl. Abb. 5-16).
Gelegentlich werden auch (v. a. flexible) La-
Okulokardialer Reflex rynxmasken eingesetzt.

Bei Druck auf den Augapfel oder bei Zug an den



äußeren Augenmuskeln (vor allem bei Schielope- Narkoseführung
rationen oder beim Aufnähen einer sog. Plombe
wegen einer Netzhautablösung) kann der sog. Falls eine Vollnarkose nötig ist, muss diese fast
okulokardiale Reflex ausgelöst werden. Hierbei ausnahmslos in Intubationsnarkose oder unter
kommt es über eine indirekte Stimulierung des Verwendung einer Larynxmaske durchgeführt
Nervus vagus zu einer Bradykardie, einer AV-Blo­ werden. Hierbei ist auf eine schonende Narko-
ckierung oder gar einem Herzstillstand. seeinleitung, -führung und -ausleitung zu ach-
ten, um einen akuten Anstieg des Augeninnen-
Der Operateur muss sofort die Manipulationen drucks zu vermeiden. Bei augenchirurgischen
am Auge unterbrechen. Verschwinden hier- Eingriffen wird oft ein Serotoninantagonist
durch die Reflexsymptome nicht umgehend, so (z. B. 1 mg Granisetron; Kevatril; → S. 335) zur
muss Atropin (beim Erwachsenen 0,5 mg; bei Narkoseeinleitung empfohlen, um der nach
Kindern 0,01–0,02 mg/kg KG) intravenös inji- diesen Operationen häufig auftretenden Übel-
ziert werden. Bei bestimmten augenchirurgi- keit vorzubeugen. Inzwischen werden häufiger
schen Operationen muss deshalb eine kontinu- auch 4(–8) mg Dexamethason (z. B. Fortecor-
ierliche EKG-Ableitung mit relativ lautem tin®) als Antiemetikum intravenös verabreicht.
akustischem Signal angebracht werden, sodass Auch, falls Propofol zur Aufrechterhaltung ei-
eine Bradykardie gehört werden kann. Außer- ner Narkose verwendet wird (IVA/TIVA; → S.
dem muss Atropin stets griffbereit sein. Besteht 125), ist die Häufigkeit von postoperativer Übel-
bei einer Operation (z. B. einer Schieloperation) keit deutlich erniedrigt. Inzwischen wird vieler-
die erhöhte Gefahr eines okulokardialen Refle- orts für die meist kurzen augenchirurgischen
xes (= ORC), dann empfiehlt sich die prophy- Eingriffe eine (T)IVA unter Verwendung von
laktische intravenöse Atropingabe. Propofol, Remifentanil und Mivacurium durch-
geführt. Zunehmend häufiger wird bei ophthal-
mologischen Operationen prinzipiell auf Lach-
Prämedikation gas verzichtet. Da während der Narkose die
Steckverbindungen Tubus – Konnektor – Y-
Inzwischen wird auch vor augenchirurgischen Stück – Beatmungsschläuche unter den Ab-
Operationen meist eine orale Prämedikation decktüchern nicht einsehbar sind, sollten diese
mit z. B. Midazolam bevorzugt. Bei Patienten, Steckverbindungen fest konnektiert und ggf.
die sich einer Augenoperation unterziehen noch durch Pflasterstreifen gesichert werden,
müssen, handelt es sich zumeist um ältere um einer Diskonnektion vorzubeugen (vgl.
Patienten die häufig einen Diabetes mellitus, Abb. 5-17). Die Pflasterstreifen sollten jedoch
eine koronare Herzkrankheit, einen Hyper­ am Ende umgeschlagen sein, sodass sie notfalls
tonus und/oder Herzrhythmusstörungen auf- sofort gefasst und abgezogen werden können.
weisen. Zusätzlich empfiehlt sich noch die Überwa-
chung der Atmung mithilfe eines linkspräkor-
dialen Stethoskops. Während der Operation ist
5.8  Anästhesie in der Augenheilkunde 285

eine Ruhigstellung des Auges Voraussetzung dierung evtl. bedingte stärkere Dämpfung der
für den Operationserfolg. Dies kann durch eine Atmung kann hierdurch frühzeitig erkannt
tiefe Inhalationsnarkose oder durch eine werden und so können die Analgosedativa si-
(T)IVA mit Relaxation erzielt werden. Da ins- cherer dosiert werden. Jedem Patienten sollten
besondere bei augeneröffnenden Operationen ca. 5 Liter O2/min vor das Gesicht geleitet wer-
Augenbewegungen sowie andere Bewegungen den. Dadurch kann eine Ansammlung von
des Patienten unbedingt zu vermeiden sind, CO2-haltiger Exspirationsluft unter den Ab-
wird meist eine tiefe Relaxation vorgenommen. decktüchern (die über das Gesicht des Patien-
Es empfiehlt sich die Überwachung des Relaxa- ten gelegt werden) verhindert bzw. weggespült
tionsgrades mithilfe eines Relaxometers (→ S. werden und eine erhöhte FiO2 erzielt werden.
76). Auch postoperativ ist auf eine ausreichende Häufiger tritt bei diesen Patienten ein stärkerer
Ruhigstellung sowie eine Analgesie des Patien- Blutdruckanstieg auf, der ggf. die Gabe eines
ten zu achten, um übermäßige Augenbewegun- Antihypertensivums (z. B. 10–15 mg Urapidil;
gen, Husten und Pressen zu vermeiden. Die Ebrantil®; → S. 522) notwendig macht.
Patienten sollten mit leicht erhöhtem Oberkör-
per auf die Seite des nicht operierten Auges ge-
lagert werden. Je nach Anweisung des Augen-
arztes muss der Patient postoperativ für einige 5.8.2 Operationen
Zeit auch z. B. eine Bauchlagerung oder eine an-
dere Lagerung einnehmen. Insbesondere bei Strabismusoperation
Kindern ist darauf zu achten, dass sie nicht nach
dem operierten Auge fassen und den Verband Eine Strabismus-(Schiel-)Operation wird zu-
abreißen. Bei Patienten mit einem Diabetes meist bei ansonsten gesunden Kinder durchge-
mellitus ist perioperativ wiederholt die Blutzu­ führt. Bei einer Schieloperation besteht durch
ckerkonzentration zu messen. Zug an den äußeren Augenmuskeln die erhöhte
Gefahr, einen okulokardialen Reflex auszulösen
(→ S. 284). Atropin muss griffbereit sein. Even-
Stand-by tuell kann es prophylaktisch intravenös gegeben
werden.
Wird der Anästhesist zu einem Stand-by für
eine ophthalmologische Operation in Regional-
oder Lokalanästhesie gebeten, so ist auf das üb- Versorgung einer perforierenden
liche Monitoring (EKG, Pulsoxymetrie, nicht Augenverletzung
invasive Blutdruckmessung) zu achten. Gut be-
währt hat sich die fraktionierte Dosierung von Bei jeder augeneröffnenden Verletzung (und Ope-
Fentanyl (z. B. Boli à 0,025 mg) und/oder die ! ration) kann eine akute Steigerung des Augenin-
Gabe kleiner Propofolboli. Stets sollte der Pati- nendrucks zum Herauspressen von Augeninhalt
ent dabei noch kooperativ und ansprechbar mit Verlust der Sehkraft führen (!). Jegliche aku-
bleiben. Um eine gute Überwachung der At- te Erhöhung des Augeninnendrucks ist absolut zu
mung dieser intraoperativ großteils abgedeck- vermeiden (!).
ten Patienten zu ermöglichen, ist eine Kapno-
metrie im Seitenstrom sehr wertvoll. Hierzu Patienten mit einer perforierenden Augenver-
wird – wie bei der nasalen Applikation von letzung müssen notfallmäßig operiert werden,
Sauerstoff – ein kleines Schläuchlein in ein sie sind daher als nicht nüchtern zu betrachten.
Nasenloch eingelegt, an dem aber der Proben- Es muss deshalb eine sog. Ileuseinleitung durch-
absaugschlauch der Seitenstromkapnometrie geführt werden (→ S. 210). Allerdings darf
angeschlossen wird. Eine durch die Analgose- nicht, wie sonst üblich, vorher eine Magenson-
286 5  Anästhesie – spezieller Teil

de gelegt werden, da die Patienten hierbei meist Operativ wird – zur Erniedrigung des Augenin-
würgen und pressen, wodurch ein akuter An- nendrucks – eine Abflussmöglichkeit für das
stieg des Augeninnendrucks mit Gefahr für die Kammerwasser nach außen (unter die Binde-
Sehkraft droht (!). Die Intubation muss in tie- haut, in den subkonjunktivalen Raum) geschaf-
fer Narkose durchgeführt werden. Bei der Rela- fen (d. h. eine sog. Goniotrepanation durchge-
xation zur Intubation sollte Succinylcholin nur führt). Ein Anstieg des Augeninnendrucks
verwendet werden, falls eine ganz eindeutige muss während der Narkose unbedingt vermie-
Indikation hierfür besteht (→ S. 76), da es nach den werden. Bei einem sog. Engwinkelglaukom
Succinylcholingabe zu einem Anstieg des Au- ist eine Atropingabe zu vermeiden, da durch die
geninnendrucks kommen kann (→ S. 283). Pupillenerweiterung der Abfluss des Augen-
Durch eine entsprechende Präcurarisierung kammerwassers weiter behindert wird und der
können diese Muskelfaszikulationen und damit Augen­innendruck noch höher ansteigt.
der Anstieg des Augeninnendrucks zumeist
vermieden werden. Daher wird Succinylcholin
meist nicht als absolut kontraindiziert angese- Kataraktoperation
hen. Dennoch scheint es ratsam zu sein, Succi-
nylcholin möglichst zu vermeiden. Es empfiehlt Unter einer Katarakt wird eine Linsentrübung
sich auch bei einer „Ileuseinleitung“ zumeist

(= grauer Star) verstanden.
die Gabe des schnell wirkenden, nicht depolari-
sierenden Relaxans Rocuronium (ca. 0,9 mg/ Diese meist nur 10–15 Minuten dauernde Ope-
kg KG). Während der Narkose muss bei augen­ ration wird häufig in Lokalanästhesie und zu-
eröffnenden Operationen eine tiefe Relaxation sätzlicher Analgosedierung durchgeführt. Zu-
sichergestellt werden, sodass auch das auf Mus- meist handelt es sich um ältere Patienten, mit
kelrelaxanzien relativ unempfindliche Zwerch- den typischen Nebenerkrankungen (→ S. 248).
fell gelähmt ist und keine Zwerchfellkontraktio-
nen (z. B. Schluckauf) möglich sind. Eine
relaxometrische Überwachung ist empfehlens- Pars-plana-Vitrektomie
wert (→ S. 76). Bei der Extubation sollten Hus­
ten, Pressen und Würgen am Tubus vermieden Eine Pars-plana-Vitrektomie (= PPV) dauert
werden. Falls z. B. bei Glaskörperentfernung (= meist ca. 30–45 Minuten und wird oft in Allge-
Vitrektomie) das Auge mit Gas gefüllt wird, meinanästhesie durchgeführt. Wird die Opera-
sollte vorher das evtl. verwendete Lachgas aus- tion in Lokalanästhesie mit Analgosedierung
gestellt werden. Inzwischen wird zunehmend durchgeführt, dann ist es wichtig, dass der Pati-
häufiger bei augeneröffnenden Operationen ent vollkommen schmerzfrei ist und ruhig liegt,
prinzipiell auf Lachgas verzichtet und eine TIVA da nicht nur der Glaskörper abgesaugt und
durchgeführt. durch Flüssigkeit, Öl oder Luft ersetzt wird,
sondern zusätzlich zumeist im Bereich der
Netzhaut operiert und Membranen und Nar-
Glaukomoperation bengewebe entfernt werden.

Unter einem Glaukom (= grüner Star) wird eine



chronische Erhöhung des Augeninnendrucks ver-
standen, die zur Erblindung des Patienten führen
kann.
5.9  Anästhesie in der Abdominalchirurgie 287

5.9 Anästhesie Magensonde gelegt und eine sog. Ileuseinlei-


tung durchgeführt werden (→ S. 210).
in der Abdominalchirurgie Bei Operationen, die voraussichtlich länger als
ca. 2–3 Stunden dauern, sollte überlegt werden,
5.9.1 Allgemeine Bemerkungen ob ein Dauerkatheter benötigt wird. Häufig ist
es auch notwendig, einen Kavakatheter (meist
Narkoseverfahren nach Narkoseeinleitung) zu platzieren (Indika-
tionen für einen Kavakatheter; → S. 185).
Eingriffe in der Abdominalchirurgie werden in
der überwiegenden Zahl in Vollnarkose durch-
geführt. Oberbaucheingriffe müssen (!) in Intu- Narkoseführung
bationsnarkose mit kontrollierter Beatmung
durchgeführt werden. Eingriffe im Unterbauch Eine Vollnarkose kann in der Abdominalchir-
(z. B. Leistenbruchoperationen) können auch in urgie fast immer sowohl als Inhalationsanästhe-
Spinal- oder Periduralanästhesie bzw. unter sie, balancierte Anästhesie oder (T)IVA durch-
Verwendung einer Larynxmaske durchgeführt geführt werden. Zumeist wird eine balancierte
werden. Anästhesie gewählt. Auch bei Patienten mit ei-
ner leichten Erhöhung der Leberwerte, wie z. B.
bei einer Gallenoperation (= Cholezystekto-
Prämedikation mie), muss nicht auf Inhalationsanästhetika
verzichtet werden.
Prinzipiell gilt das auf den Seiten 5 f. Gesagte.
Je älter der Patient und je schlechter sein All­ Eine besondere Anforderung an eine Narkose bei
gemeinzustand, desto niedriger müssen die ! intraabdominalen Operationen ist eine gute Mus-
Prämedikationsmedikamente dosiert werden. kelerschlaffung, um dem Operateur möglichst op-
Sowohl bei alten Patienten als auch bei Patienten timale Operationsbedingungen zu schaffen. Der
mit einem Oberbaucheingriff sollte auf eine Verbrauch an Muskelrelaxanzien ist in der Abdo-
bereits präoperativ begonnene Atemgymnastik minalchirurgie relativ hoch.
geachtet werden. Dies erleichtert dem Patienten
die postoperativ notwendig werdenden Maß- Aufgrund der großen intraoperativen Wundflä-
nahmen wesentlich. Wird mit postoperativen che nach Eröffnen des Abdomens ist von einem
Lungenproblemen gerechnet, so sollte auf jeden hohen Infusionsbedarf auszugehen. Bezüglich
Fall eine präoperative Blutgasanalyse abgenom- der perioperativen Infusionstherapie sei auf die
men werden, um einen „Ausgangswert“ zu ha- Ausführungen auf den Seiten 143 ff. verwiesen.
ben. Der Blutverlust in der Abdominalchirurgie ist
oft sehr schwer abzuschätzen, da große Blutmen-
gen in die Operationstücher und Operationstup-
Narkoseeinleitung fer verloren gehen. Auch Verluste über Sonden,
Drainagen oder das Absaugen von größeren As-
Bei sämtlichen als nicht nüchtern zu betrach- zitesmengen müssen berücksichtigt werden.
tenden Patienten, also Patienten, die z. B. einen
Ileus, eine Magenausgangsstenose, eine Magen- Intraoperativ ist zu beachten, dass der Zug am Pe-
blutung oder Peritonitis haben, sowie bei Pati- ! ritoneum oder an inneren Organen, insbesonde-
enten, die über Brechreiz klagen, ist die große re an der Mesenterialwurzel, sehr schmerzhaft ist
Gefahr einer Aspiration vor allem bei der Nar- und zur Auslösung von vegetativen Reflexen füh-
koseeinleitung zu beachten. Deshalb muss vor ren kann; vor allem kann hierdurch eine Vagusrei-
Einleitung, falls noch nicht vorhanden, eine zung mit Bradyarrhythmie ausgelöst werden.
288 5  Anästhesie – spezieller Teil

Ein weiteres alltägliches Problem in der Abdo- keit. Zur postoperativen Schmerztherapie hat
minalchirurgie ist der Wiederverschluss der sich die Anlage eines Periduralkatheters (→ S.
Bauchdecken, vor allem des Peritoneums. 176) bewährt.
Hierzu ist meist eine gute Muskelerschlaffung
notwendig. Da beim Verschluss der Bauchde­
cken das baldige Ende der Operation abzusehen 5.9.2 Minimalinvasive Chirurgie
ist, muss bei Nachinjektion eines zumeist ver-
wendeten mittellang wirkenden nicht depolari- Sehr häufig werden in den letzten Jahren la­
sierenden Muskelrelaxans mit der Gefahr eines paroskopische Eingriffe (= minimalinvasive
postoperativen Relaxansüberhangs gerechnet Chirurgie = MIC; „Knopflochchirurgie“) durch-
werden. Daher wird dieses Vorgehen meist ab- geführt. Neben der laparoskopischen Cholezyst­
gelehnt. Empfehlenswert ist der Versuch einer ektomie wird inzwischen auch häufiger die
kurzfristigen Narkosevertiefung durch Erhö- laparoskopische Herniotomie oder z. B. Ap-
hung oder Zugabe eines Inhalationsanästheti- pendektomie durchgeführt. Bei laparoskopi-
kums sowie eine manuelle Beatmung, um die schen Eingriffen wird der Peritonealraum mit
Ventilation der momentanen Operationssitua- CO2 aufgefüllt (Pneumoperitoneum). Die da-
tion besser anpassen zu können. durch bedingte Steigerung des intraabdominalen
Drucks führt zur Behinderung der Zwerchfellbe-
Die Kunst einer guten abdominalchirurgischen weglichkeit. Der Beatmungsdruck steigt an. Eine
! Narkoseführung besteht unter anderem dar- CO2-Resorption bewirkt einen Anstieg des arte-
in, beim Verschluss des Abdomens, insbesondere riellen CO2-Partialdrucks. Es ist stets eine Intu-
bei der Naht des Peritoneums, eine ausreichende bationsnarkose mit kontrollierter Beatmung und
Narkosetiefe und eine ausreichende Relaxation zu kapnometrischer CO2-Überwachung notwendig.
garantieren und kurz danach bei Operationsende Beim Einführen des Trokars in die Bauchhöhle
einen spontan atmenden, extubationsbereiten Pa- kommt es in ca. 5 % der Fälle zu vasovagalen Re-
tienten zu haben. aktionen mit vor allem einer Sinusbradykardie.
Bei Operationen im Oberbauch (z. B. Cholezyst­
ektomie) wird eine Kopfhoch- und Beintieflage-
Extubation rung, bei Operationen im Unterbauch (z. B. Her-
niotomie oder gynäkologische Eingriffe im
Bei nicht nüchternen Patienten darf die Extuba- kleinen Becken) wird eine Kopftief- und Bein-
tion erst nach völliger Rückkehr der Schutzre- hochlagerung vorgenommen, damit die Gedär-
flexe durchgeführt werden. Bei bestimmten me nicht auf das Operationsgebiet drücken.
Operationen (z. B. einer Leistenbruchoperati- Die Erhöhung des intraabdominalen Drucks
on) sollten die Patienten im Rahmen der Extu- führt zu einer Behinderung des venösen Rück-
bation möglichst wenig husten. stroms zum Herzen (Vorlasterniedrigung). Au-
ßerdem kommt es durch eine Kompression der
intraabdominalen Gefäße zu einer Steigerung
Postoperative Nachbetreuung des peripheren Gefäßwiderstandes (Nachlaster-
höhung). Auch die vermehrte Freisetzung des
Vor allem nach Oberbaucheingriffen ist post- gefäßverengenden Hormons Vasopressin führt
operativ eine schmerzbedingte Atemschonhal- zu einer Steigerung des peripheren Gefäßwider-
tung zu beobachten. Die Patienten atmen meist standes. Folge ist eine Steigerung des arteriellen
un­zureichend durch und husten kaum ab. Eine Blutdrucks.
ausreichende postoperative Analgesie sowie Aufgrund der Vorlasterniedrigung und der
eine intensive, bereits präoperativ erlernte Nachlasterhöhung kommt es zum Abfall des
Atemgymnastik sind von besonderer Wichtig- Herzminutenvolumens. Die hämodynamischen
5.9  Anästhesie in der Abdominalchirurgie 289

Veränderungen während eines Pneumoperitone- Vor Narkoseeinleitung muss deshalb bereits


ums können durch die Anwendung eines PEEP eine Volumentherapie mit möglichst isotonen
noch verstärkt werden, sodass eine Beatmung Lösungen begonnen werden. Ansonsten kann
mit höherem PEEP möglichst vermieden werden es durch die Narkoseeinleitung zu einem ausge-
sollte. Postoperativ treten nach laparoskopischen prägten Blutdruckabfall kommen. Daneben
Eingriffen häufiger Übelkeit und Erbrechen auf. kommt es bei einem Darmverschluss meist auch
zu einer Entgleisung des Elektrolythaushalts
Vorteile minimalinvasiver Operationstechniken (Kaliummangel!) sowie des Säure-Basen-Haus-
! sind die geringere postoperative Schmerzintensi- halts.
tät, die schnellere Mobilisierbarkeit der Patienten,
ein kürzerer Krankenhausaufenthalt, weniger in-
traabdominale Verwachsungen sowie ein schöne- Operationen an der Leber
res kosmetisches Ergebnis (kleinere Narben).
Auf die Bereitstellung einer großen Zahl von
Blutkonserven sowie auf eine ausreichende Zahl
von großlumigen periphervenösen Zugängen
5.9.3 Operationen ist zu achten. Bei operativtechnischen Proble-
men muss stets mit einem plötzlichen großen
Cholezystektomie Blutverlust gerechnet werden. Besondere
Überwachungsmaßnahmen sind:
Trotz meist leicht erhöhter Leberwerte kann für ● Anlage eines Kavakatheters (→ S. 185)

eine Cholezystektomie auch eine Inhalations- ● blutige arterielle Blutdruckmessung (→ S.

narkose bzw. eine balancierte Anästhesie, vor- 191)


zugsweise mit Desfluran, durchgeführt werden.
Cholezystektomien werden inzwischen zumeist
laparoskopisch durchgeführt (→ laparoskopi- Operationen bei Leberzirrhose
sche Operationen; S. 288).
Aufgrund der Leberschädigung ist von einer Stö-
! rung der Syntheseleistung der Leber auszugehen,
Operationen bei Ileus die vor allem die Gerinnungsfaktoren, das Albu-
min sowie die Cholinesterase betrifft. Folge ist ei-
Die Gesamtmenge der täglich sezernierten Ma- ne Gerinnungsstörung mit typischerweise niedri-
gen-Darm-Sekrete beträgt ca. 8 Liter (!). Bei Pa- gem Quick-Wert.
tienten mit einem Ileus (= Darmverschluss)
können diese ins Darmlumen sezernierten Se- Bei intraoperativen Blutungen ist an die groß-
kretmengen aufgrund einer Resorptionsstörung zügige Gabe von frisch gefrorenem Plasma
der Darmschleimhaut kaum noch rückresor- (enthält Gerinnungsfaktoren; → S. 138) zu den-
biert werden. Wenn diese Sekretmengen nicht ken. Durch den niedrigen Albumingehalt kann
über eine Sonde abgeleitet werden, dann droht unter Umständen bei stark an Proteine gebun-
das Erbrechen dieser oft riesigen Sekretmengen. denen, intravenös verabreichten Medikamenten
die Bindungskapazität des Albumins über-
Bei einem Patienten mit Ileus ist deshalb vor al- schritten werden (→ S. 48). Dadurch ist der
! lem während der Narkoseeinleitung die Gefahr nicht an Albumin gebundene Anteil, der für die
der Regurgitation mit Aspiration zu beachten (!). Wirkung entscheidend ist, erhöht. Eine entspre-
Außerdem ist bei einem solchen Patienten erfah- chend vorsichtige Dosierung und langsame In-
rungsgemäß mit einem entsprechend ausgepräg- jektion von stark an Albumin gebundenen Me-
ten intravasalen Volumenmangel zu rechnen. dikamenten (z. B. Thiopental) ist zu beachten.
290 5  Anästhesie – spezieller Teil

Eine erniedrigte Cholinesterase kann unter serven ist notwendig. Unter laufender Transfu-
Umständen einen verlangsamten Abbau von sion ist eine Ileuseinleitung (→ S. 210) vorzu-
Mivacurium und Succinylcholin verursachen, nehmen.
was durch eine entsprechend niedrigere Dosie-
rung zu berücksichtigen ist.
Kolon- und Rektumoperationen
Bei Transfusion mehrerer Konserven sollte beim
! lebergeschädigten Patienten ausnahmsweise zu- Bei der anterioren Rektumresektion werden
sätzlich Calcium verabreicht werden, denn die ge- das Colon sigmoideum und das Rektum (der
schädigte Leber ist nicht mehr in der Lage, das im Mastdarm) bis kurz vor den Analkanal entfernt.
Stabilisator des konservierten Blutes enthaltene Es wird eine den Schließmuskel (die Kontinenz)
Citrat schnell genug abzubauen. erhaltende End-zu-End-Anastomose angelegt.
Bei einer abdominoperinealen Rektumexstir-
Die dadurch evtl. auftretenden hohen Citrat- pation wird das gesamte Rektum und das dista-
konzentrationen binden das körpereigene Cal- le Sigma entfernt. Es wird ein Anus praeter na-
cium, wodurch es für Gerinnungsvorgänge, für turalis sigmoideus angelegt.
die es unabdingbar ist, nicht mehr in ausrei- Bei einer Operation nach Hartmann, die z. B.
chender Menge zur Verfügung steht. Die Folge bei einer Perforation des Sigmas durchgeführt
wäre eine Verstärkung der bereits vorbestehen- wird, werden das Colon sigmoideum und das
den Gerinnungsstörung (→ S. 289). proximale Rektum entfernt. Das verbleibende
Rektum wird proximal blind verschlossen. Das
Colon descendens wird endständig ausgeleitet.
Später kann die Darmkontinuität wiederherge-
Operationen bei gastrointestinalen
stellt werden.
Blutungen Bei der gleichzeitig von abdominal und perine-
al durchgeführten Rektumresektion bzw. Rek-
Eine akute gastrointestinale Blutung, die z. B. tumexstirpation ist auf einen oft großen Blut-
gastroskopisch nicht zu stillen ist, stellt eine ab- verlust zu achten, der allerdings schwer zu
solut dringliche Operationsindikation dar. Der kalkulieren ist und deshalb oft unterschätzt
Blutverlust wird oft unterschätzt. wird. Große Mengen von Blut können in die
Abdecktücher verloren gehen. Inzwischen wer-
Zu beachten ist, dass bei einer akuten Blutung der den auch größere Darmoperationen zuneh-
! Hb- und der Hkt-Wert keine zuverlässigen Para- mend häufiger laparoskopisch operiert.
meter für den Blutverlust sind. Sie sind bei aku- Besondere Überwachungsmaßnahmen sind:
ten Blutungen falsch hoch (!). Selbst wenn z. B. ● Anlage eines Kavakatheters (→ S. 185)
akut (!) 50 % des Blutvolumens verloren gehen, ● evtl. blutige arterielle Druckmessung (→ S.
sind im verbleibenden Blutvolumen der Hb- und 191)
Hkt-Wert noch normal hoch, solange kein Verdün-
nungseffekt durch Gabe von Infusionslösungen
oder durch Resorption von Flüssigkeit aus dem in- Operationen in der Analregion
terstitiellen Raum erfolgt ist. Aussagekräftiger als
der Hb- und Hkt-Wert bei einer akuten Blutung Als Narkoseform bei Operationen in der
ist zumeist ein Blick in die anämische Bindehaut Analregion (z. B. Analfissuren, -fisteln, Hämor-
(Konjunktiva) des Patienten (!). rhoiden) bietet sich die Spinalanästhesie, ein
Sattelblock, eine Masken- oder Larynxmasken-
Die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl narkose oder eine Intubationsnarkose an. Bei
von evtl. vorerst noch ungekreuzten Blutkon- zu flacher Narkoseführung kann es durch die
5.9  Anästhesie in der Abdominalchirurgie 291

starke sensible Versorgung dieser Region zum ● intraoperative Maßnahmen:


Auslösen von heftigen Schmerzreaktionen Operationstechnik: Um die postoperative
kommen. Außerdem kann es (z. B. bei der Anal- Schmerzintensität und eine postoperativ
spreizung) zum Auslösen einer Bradykardie drohende Einschränkung der Lungenfunkti-
oder eines Laryngospasmus kommen. on zu vermindern, sind bestimmte Schnitt-
führungen bei einer evtl. durchgeführten
Laparotomie zu beachten (z. B. ist anstatt ei-
5.9.4 Fast-Track-Verfahren ner medianen Laparotomie eine quere oder
eine bogenförmige Schnittführung zu bevor-
Im Jahr 2004 wurde in Deutschland ein neues zugen, die postoperativ zu einer geringeren
Abrechnungssystem verbindlich für Kranken- Schmerzintensität führen. Oft wird inzwi-
häuser eingeführt. In diesem sog. DRG-System schen auch eine laparoskopische Kolonre-
(DRG = diagnosis related groups) wird nicht sektion durchgeführt. Eine für die Operation
mehr eine Tagespauschale für jeden Tag, den gelegte Magensonde sollte am Ende der Ope-
der Patient im Krankenhaus ist, gezahlt, son- ration bereits wieder entfernt werden. Auf
dern es wird eine Pauschale für einen bestimm- intraperitoneale Drainageschläuche sollte
ten Fall (eine bestimmte Diagnose) bezahlt. Um möglichst verzichtet werden.
im DRG-System kostendeckend arbeiten zu Narkoseführung: Um die Inzidenz von post-
können, muss größten Wert auf optimale Pro- operativer Übelkeit und Erbrechen zu mini-
zessabläufe und einen möglichst kurzen peri- mieren, wird zum Teil eine TIVA unter Ver-
operativen Krankenhausaufenthalt der Patien- wendung von Propofol propagiert. Zusätzlich
ten gelegt werden. Um eine Verkürzung des wird die Anlage eines (thorakalen) Peridural-
Krankenhausaufenthalts erreichen zu können, katheters empfohlen, um eine optimale post-
müssen vor allem eine optimale Patientenbe- operative Schmerztherapie zu ermöglichen.
treuung sichergestellt, perioperative Komplika- Dieser wird mit einer Kombination aus nied-
tionen vermieden und eine möglichst rasche rigprozentigem Lokalanästhetikum plus
Rehabilitation erreicht werden. Hierzu ist ein Opioid (z. B. Bupivacain 0,25 % plus 0,5 µg
enges, interdisziplinäres Zusammenarbeiten Sufentanil pro Milliliter Lokalanästhetikum;
(vor allem zwischen Chirurgie, Anästhesie, → S. 182) beschickt. Wichtig ist auch eine
Pflege) wichtig. In diesem Zusammenhang wird eher restriktive Volumenzufuhr. Eine über-
das sog. Fast-Track-Verfahren (Schnellspurver- mäßige Volumenzufuhr ist unbedingt zu ver-
fahren) propagiert. meiden, da ansonsten eine ödematöse Auf-
Am Beispiel von Kolonresektionen soll das quellung der Darmwände angenommen wird.
Fast-Track-Verfahren in der Allgemeinchirur- Diese Gefahr besteht vor allem bei der Gabe
gie beschrieben werden (vgl. auch S. 290). größerer Mengen an kristalloiden Lösungen.
Die Patienten sollten für eine bestimmte Opera- Kolloidale Lösungen (HES, z. B. Voluven®,
tion (z. B. eine Kolonresektion) nach einem oder Gelatinepräparate, z. B. Gelafundin
festgelegten klinischen Behandlungspfad (= clin­- 4 %®) sollten ebenfalls nur in mäßigen Men-
ical pathway) behandelt werden. Die Behand- gen verabreicht werden. Ein größerer Wert ist
lungsstrategien sollten an modernen und wis- auch darauf zu legen, dass es zu keiner intra-
senschaftlich belegten Therapieempfehlungen operativen Auskühlung des Patienten kommt.
orientiert sein. Bei einer geplanten Kolonresek- Es sind entsprechende wärmekonservierende
tion werden z. B. empfohlen: Maßnahmen (z. B. Warmluftdecke; vgl. S.
● präoperative Maßnahmen: 231) anzuwenden. Zur Prophylaxe von post-
Nach neueren Erkenntnissen kann vor einer operativer Übelkeit wird oft die routinemäßi-
Kolonresektion auf eine orthograde Darm- ge Gabe eines Antiemetikums (z. B. 1 mg Ke-
spülung verzichtet werden. vatril®; → S. 335) empfohlen.
292 5  Anästhesie – spezieller Teil

● postoperative Maßnahmen: 10–17 Tage. Durch konsequente Umsetzung


Im Rahmen der postoperativen Schmerzthe- des Fast-Track-Verfahrens kann bei Kolonre-
rapie wird normalerweise für ca. 2–3 Tage der sektionen die postoperative Krankenhausver-
Periduralkatheter notwendig sein. Zusätzlich weildauer auf ca. 3–4 Tage verkürzt werden.
ist im Sinne einer balancierten Analgesie noch
eine systemische Basisanalgesie (z. B. mittels
Paracetamol; → S. 330) durchzuführen. Am
zweiten postoperativen Tag wird ein Auslass­ 5.10 Anästhesie
versuch des Periduralkatheters vorgenommen.
Große Bedeutung hat die frühzeitige und kon-
in der Traumatologie
sequente Mobilisierung der Patienten. Bereits und Orthopädie
am Nachmittag/Abend des Operationstages ist
damit zu beginnen und die Patienten sollten
noch am Operationstag möglichst 2 Stunden
5.10.1 Notfallmäßige
lang im Stuhl sitzen und sie sollten auch bereits Operationen
einige Schritte laufen. Am ersten postoperativen
Tag sollten die Patienten bereits 8 Stunden au- Verletzte Patienten werden normalerweise über
ßerhalb des Bettes verbringen und 2-mal über die Notfallaufnahme eingeliefert. Bei der Ver-
die Station geführt werden. Bereits am zweiten sorgung von Schnittwunden kommen vor allem
postoperativen Tag sollten die Patienten voll- die verschiedenen Formen der Lokalanästhe-
ständig mobilisiert werden und z. B. auch Trep- sie, z. B. die Infiltrationsanästhesie (→ S. 159),
pen steigen oder im Garten spazieren geführt zur Anwendung. Diese Lokalanästhesien wer-
werden. Der enterale Nahrungsaufbau sollte den vom versorgenden Operateur selbst vorge-
noch am Nachmittag/Abend des Operationsta- nommen. Bei größeren Operationen, wie z. B.
ges, also wenige Stunden nach Operationsende der sofortigen Versorgung einer Fraktur am
begonnen werden. Die Patienten sollten an die- Bein oder am Arm, einer Sehnennaht an der
sem Tag ab ca. 2 Stunden postoperativ Tee ad Hand oder der Replantation eines abgetrennten
libitum erhalten und ca. 5 Stunden postoperativ Fingers, bieten sich vor allem die Methoden der
noch z. B. 2 Joghurts oder Proteindrinks zu sich Regionalanästhesie an, wie z. B. eine axillare
nehmen. Am 1. postoperativen Tag wird leich- Blockade des Plexus brachialis. Großer Vorteil
te Kohlenhydrat-Protein-Kost (teils püriert) der Regionalanästhesien ist, dass die Schutzre-
serviert und am zweiten und dritten postope- flexe dieser als nicht nüchtern zu betrachtenden
rativen Tag erfolgt eine weitere Steigerung der Notfallpatienten erhalten bleiben. Die große
Nahrungsaufnahme. Innerhalb weniger Tage Gefahr einer Aspiration bei der Ein- und Aus-
wird wieder normale Krankenhauskost ser- leitung einer Vollnarkose bei diesen, als nicht
viert. Zusätzlich sollten die Patienten ca. 2 Liter nüchtern zu betrachtenden Patienten, kann da-
Flüssigkeit pro Tag trinken. Der Dauerkatheter mit umgangen werden. Muss jedoch eine Intu-
sollte sobald als möglich gezogen werden. Zu- bationsnarkose durchgeführt werden, so sind
meist muss er jedoch so lange wie der Peridu- die Ausführungen des Kapitels „Nicht nüchter-
ralkatheter liegen bleiben (denn während der ner Patient“ (→ S. 209) zu berücksichtigen. Bei
rückenmarksnahen Gabe von Lokalanästhetika Patienten mit Mehrfachverletzungen sei auf das
oder Opioiden kommt es oft zu einer vorüber- Kapitel „Polytraumatisierter Patient“ (→ S. 316)
gehenden Blasenentleerungsstörung). verwiesen. Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Ver-
letzungen und Verdacht auf einen erhöhten in-
Bei der konventionellen perioperativen Thera- trakraniellen Druck ist außerdem das Kapitel
pie nach Kolonresektionen beträgt die postope- „Anästhesie in der Neurochirurgie“ (→ S. 267)
rative Krankenhausverweildauer meist ca. zu beachten.
5.10  Anästhesie in der Traumatologie und Orthopädie 293

5.10.2 Geplante Operationen ralanästhesie sollten diesen Patienten z. B. ins-


gesamt 0,05–0,1 mg Fentanyl verabreicht
Bei den geplanten (= elektiven) Eingriffen in werden, damit sie die notwendigen Lagerungs-
der Traumatologie handelt es sich vor allem um manöver tolerieren können. Alternativ kann
Operationen an den Extremitäten. An den Ex- auch in Rückenlage zuerst in der Leiste eine in-
tremitäten werden oft Osteosynthesen, Metall- guinale paravaskuläre Blockade des Plexus lum-
entfernungen, Bänder- und Sehnennähte usw. balis (→ S. 264) angelegt werden, wodurch eine
durchgeführt. Hierzu eignen sich bei Operatio- Schmerzlinderung möglich ist und Lagerungs-
nen an den unteren Extremitäten eine Spinal- manöver relativ gut toleriert werden. Häufig
oder Periduralanästhesie (→ S. 176). Bei Ope- werden diese Operationen aber auch in einer
rationen an den oberen Extremitäten bietet sich Allgemeinanästhesie durchgeführt.
z. B. eine axillare Blockade des Plexus brachialis Ist mit einem größeren Blutumsatz zu rechnen,
an. wie z. B. beim Auswechseln einer lockeren Tota-
lendoprothese (= TEP-Wechsel), so sind die
alleinigen rückenmarksnahen Leitungsanästhe-
5.10.3 Operationen sien nicht zu empfehlen. Häufig kann hier mit-
im Hüftbereich tels einer Periduralanästhesie in Kombination
mit einer Intubationsnarkose eine schonende
Eine häufige Operation ist die Versorgung einer Anästhesie und gute postoperative Schmerzthe-
Oberschenkelhalsfraktur, die meist bei alten Pa- rapie durchgeführt werden. Der Periduralka-
tienten vorkommt. Es sei deshalb auch auf das theter sollte jedoch möglichst erst nach Stillung
Kapitel „Anästhesie im hohen Lebensalter“ stärkerer Blutungen, also erst gegen Ende der
(→ S. 248) verwiesen. Oberschenkelhalsfrak- Operation, mittels Lokalanästhetikum bestückt
turen können z. B. durch Verschraubung oder werden. Ansonsten droht bei einer stärkeren
durch Resektion des Oberschenkelkopfes und Blutung aufgrund der Nervenblockaden (mit
Ersatz durch eine künstliche Oberschenkel- Gefäßweitstellung) unter Umständen ein mas-
kopfprothese (= Kopfendoprothese) operativ siver Blutdruckabfall, falls keine ausreichende
behandelt werden. Volumensubstitution durchgeführt wurde
Bei degenerativen Veränderungen der Hüfte (Blockade der körpereigenen kompensatori-
muss oft eine künstliche Oberschenkelkopfpro- schen Vasokonstriktion). Bei einer TEP-Opera-
these sowie eine künstliche Hüftgelenkpfanne tion ist zu beachten, dass oft große Blutmengen
(= Totalendoprothese = TEP) eingesetzt wer- in die Abdecktücher verloren gehen können.
den. Um die Zahl der transfundierten Konserven zu
Für die operative Versorgung einer Schenkel- reduzieren, empfiehlt es sich, bei blutreichen
halsfraktur hat sich mancherorts eine Spinalan- traumatologischen Operationen eine sog. ma-
ästhesie gut bewährt. Wird zum Anlegen der schinelle Autotransfusion durchzuführen.
Spinalanästhesie der Patient auf die kranke Sei- Hierbei wird das abgesaugte Wundblut (nach
te gelegt und außerdem ein hyperbares Lokal- entsprechender vollautomatischer Aufbereitung
anästhetikum verwendet (→ S. 172), so kann in einem Autotransfusionsgerät) retransfun-
gezielt nur das kranke Bein anästhesiert wer- diert. Die Zahl der Fremdblutkonserven kann
den. Hierdurch kann auch der nach einer Spi- hiermit oft deutlich reduziert werden. Eine Au-
nalanästhesie oft auftretende Blutdruckabfall totransfusion darf jedoch niemals durchgeführt
vermindert werden. Wird für diese Operation werden, wenn im Wundbereich eine Infektion
eine Periduralanästhesie mit Katheter gewählt, besteht oder wenn im Bereich eines Karzinoms
dann kann durch wiederholte Nachinjektion operiert wird (!). Bei voraussichtlich blutrei-
auch eine postoperative Analgesie ermöglicht chen Operationen wird inzwischen bei vielen
werden. Vor Anlage einer Spinal- oder Peridu- Patienten eine präoperative Eigenblutspende
294 5  Anästhesie – spezieller Teil

durchgeführt. Die Patienten müssen inzwischen Lungenfunktionsprüfung und einer arteriellen


über diese Möglichkeit aufgeklärt werden, falls Blutgasanalyse zu achten. Außerdem muss be-
das Transfusionsrisiko größer als 10 % ist. Falls dacht werden, dass die Patienten bereits prä-
intraoperativ Blutkonserven benötigt werden, operativ die Atemgymnastik erlernen, die post-
müssen stets zuerst die Eigenblutkonserven operativ wichtig für sie ist.
transfundiert werden, bevor evtl. zusätzlich
Fremdblut verabreicht wird.
Wird bei Hüftoperationen ein Knochenzement Intubation
verwendet, so muss bei dessen Einbringung be-
sonders auf hierbei mögliche, unter Umständen Bei bestimmten Operationen muss nach Rück-
drastische Blutdruckabfälle geachtet werden. sprache mit dem Operateur ein Doppellumen-
Die Indikation zur arteriellen Blutdruckmes- tubus (z. B. ein Broncho-Cath; → S. 86) ver-
sung sollte hierbei großzügig gestellt werden. wendet werden, mit dem eine seitengetrennte
Zumeist wird vor Narkoseeinleitung ein H1- und Beatmung der beiden Lungen erreicht werden
H2-Rezeptoren-Blocker empfohlen (→ S. 222), kann. Auf Wunsch des Operateurs kann nun
da als mögliche Ursachen des Blutdruckabfalls z. B. nur eine Lunge belüftet werden, während
unter anderem anaphylaktoide Reaktionen auf die andere kollabiert ist. Außerdem kann hier-
den Knochenzement angenommen werden. durch wirkungsvoll verhindert werden, dass
Material wie Eiter, Sekret, Blut oder Tumormas-
sen während der Operation von der kranken in
die gesunde Lungenseite verschleppt werden.
5.11 Anästhesie Die korrekte Lage des Tubus muss sorgfältig
auskultatorisch überprüft werden (!). Bei der
in der Thoraxchirurgie auskultatorischen Überprüfung wird mittels ei-
ner Klemme der tracheal endende (= weiße)
5.11.1 Allgemeine Bemerkungen Tubusschenkel abgeklemmt und der Cuff des
endobronchial endenden (= blauen) Schenkels
Die meisten Eingriffe in der Thoraxchirurgie mit einer 2-ml-Spritze gerade so stark geblockt,
werden in Seitenlage durchgeführt. Oft wird zu- bis keine Luft mehr neben der Manschette hör-
sätzlich noch der Operationstisch abgeknickt, bar entweicht. Während der Beatmung muss
ähnlich wie bei der Nierenlagerung (→ S. 262). hierbei linksthorakal ein Beatmungsgeräusch,
Hierdurch sind deutliche Störungen der Lungen- rechtsthorakal dagegen kein Beatmungsge-
durchblutung und Lungenbelüftung, sog. Venti- räusch auskultierbar sein. Nun wird die Klem-
lations-Perfusions-Störungen (→ S. 262, 344), zu me auf den endobronchial endenden (= blauen)
erwarten. Folge ist ein Rechts-links-Shunt mit Tubusschenkel gesetzt und der endotracheal
einer entsprechenden Verminderung des Sauer- endende (= weiße) Tubusschenkel wird mit ei-
stoffgehalts im arteriellen Blut. Außerdem kommt ner 5-ml-Spritze so stark geblockt, dass gerade
es in der unteren Lunge durch die schlechte Be- keine Luft mehr am Cuff vorbei hörbar ent-
lüftung zu einem Kollabieren der Alveolen, das weicht. Bei der Beatmung darf nun nur ein
heißt zur Ausbildung von Atelektasen; hierdurch rechtsseitiges Beatmungsgeräusch auskultierbar
wird der Rechts-links-Shunt noch verstärkt. sein. Anschließend wird nochmals nur der
bronchiale Tubusschenkel geblockt und kon-
trolliert ob nur rechtsthorakal ein Atemge-
Präoperative Visite räusch auskultierbar ist. Danach wir nochmals
der tracheale Schenkel geblockt und kontrol-
Vor Thoraxoperationen ist auf eine ausführliche liert, ob nur ein linksseitiges Atemgeräusch
Beurteilung der Lungenfunktion anhand einer hörbar ist. Nach Entfernen der Klemme wird
5.11  Anästhesie in der Thoraxchirurgie 295

nun der Tubus genau in dieser geprüften Lage Seite hin mit starker Mediastinalverlagerung
sorgfältig kontrolliert. Nach der Fixierung und und Abklemmung der herznahen Gefäße dro-
auch nach einer evtl. Umlagerung des Patienten hen würde.) Nach einer Pneumektomie muss
(z. B. in die Seitenlage) hat nochmals eine Lage- der Wasserschlossstab (mittlere Flasche in Abb.
kontrolle des Tubus zu erfolgen. Gegebenenfalls 15-10c) aus dem Wasser zurückgezogen wer-
kann eine fiberbronchoskopische Lagekontrolle den, damit es nicht bei jedem Hustenstoß zu
des Doppellumentubus notwendig sein. einer weiteren Verlagerung des Mediastinums
kommt.
Spezielle Überwachungsmaßnahmen sind:
Narkoseführung ● Anlage eines Kavakatheters (→ S. 185)

● blutige arterielle Druckmessung (→ S. 190):

Wird intraoperativ durch den Operateur ei­- Bei Punktion der Arteria radialis sollte der
ne Lunge komprimiert oder eine Lunge auf bei der Seitenlagerung oben liegende Arm
Wunsch des Operateurs gar vollständig von der vorgezogen werden.
Belüftung abgeschaltet (durch Abklemmen ei- ● engmaschige arterielle Blutgasanalysen

nes Schenkels des Doppellumentubus), so ist


mit einer massiven Zunahme des bereits durch
die Lagerung bedingten Rechts-links-Shunts zu 5.11.2 Transport des Patienten
rechnen. Es muss deshalb auf eine entspre- auf die Intensivstation
chend hohe inspiratorische Sauerstoffkon-
zentration sowie auf regelmäßige arterielle Falls möglich, sollte der Patient am Ende der
Blutgaskontrollen geachtet werden. Notwendig Operation extubiert werden. Manchmal ist das
ist eine kontinuierliche Überwachung der arte- jedoch nicht möglich. Nach Austausch eines
riellen Sauerstoffsättigung mittels Pulsoxyme- Doppellumentubus gegen einen normalen oro-
trie. Es sollten stets mindestens 50 % Sauerstoff trachealen Tubus wird der Patient dann auf die
im Inspirationsgemisch eingestellt werden. Oft Intensivstation gebracht. Während des Trans-
ist vorübergehend eine manuelle Ventilation ports kann an der Thoraxdrainage nicht gesaugt
der maschinellen Beatmung vorzuziehen. Hier- werden.
durch kann die Beatmung meist besser der ak-
tuellen Operationssituation angepasst werden. Es ist jedoch unbedingt zu beachten, dass beim
Bei thorakalen Eingriffen werden zumeist eine ! beatmeten (!) Patienten eine Thoraxdrainage nie-
oder mehrere Thoraxsaugdrainagen eingelegt, mals (!) abgeklemmt werden darf.
über die evtl. aus der operierten Lunge noch
entweichende Luft abgesaugt werden kann. Vor Nach einer Lungenoperation besteht häufig eine
dem definitiven Verschluss des Thorax ist auf kleine Fistel zwischen Lunge und Pleuraspalt,
eine manuelle Blähung der Lunge zu achten. durch die bei maschineller Beatmung Luft in
Hierdurch entfaltet sich die Lunge wieder und den Pleuraspalt entweicht (sog. Fistelung).
legt sich der Thoraxwand an. An die Tho- Kann diese Luft nicht über die Thoraxdrainage
raxdrainagen muss ein Absaugsystem ange- und ein angeschlossenes (!) Wasserschloss aus
schlossen werden; bewährt hat sich z. B. das dem Pleuraspalt nach außen entweichen, so
Einmalgerät Pleur-evac® (→ unten; → S. 436; droht über kurz oder lang ein Spannungspneu-
Abb. 7-15d). Meist muss mit einem Sog von –15 mothorax. Wird z. B. das Pleur-evac®-System
bis –20 cm Wassersäule gesaugt werden. (Wur- an die Thoraxdrainage auch während des Trans-
de jedoch eine Lungenhälfte total entfernt, so ports angebracht, obwohl nicht gesaugt werden
darf nur mit einem geringen Sog von –5 cm H2O kann, dann ist die Thoraxdrainage steril abge-
gesaugt werden, da ansonsten eine massive Ver- schlossen, und außerdem verfügt dieses Pleur-
lagerung des Mediastinums zur resezierten evac®-System über ein sog. Wasserschloss, das
296 5  Anästhesie – spezieller Teil

heißt, dass die im Pleuraspalt befindliche Luft


bei Überdruck über dieses Wasserschloss ent-
weichen kann (ausführliche Beschreibung → S.
436; Abb. 7-15). Bei Unterdruck im Pleuraspalt
kann jedoch keine Luft in den Pleuraspalt ein-
treten. Sobald als möglich sollte auf der Inten-
sivstation wieder die Saugung angeschlossen
werden.

5.11.3 Postoperative
Nachbehandlung
Die postoperative Analgesie (ggf. mittels thora-
kalem Periduralkatheter) ist bei Thoraxeingrif-
fen sehr wichtig, um einer schmerzbedingten
Atemschonhaltung mit mangelhafter Sekret­-
abhustung und damit einer Pneumoniegefahr
vorzubeugen.

Abb. 5-19 Herzkranzgefäße. 1 = Hauptstamm der lin­


5.12 Anästhesie ken Koronararterie; 2 = rechte Koronararterie; 3 = Aorten-
wurzel.
in der Herzchirurgie

5.12.1 Allgemeine Bemerkungen Sauerstoffbedarf des Herzmuskels

Koronararterien Die Sauerstoffausschöpfung des Koronararteri-


enbluts beträgt ca. 70 % und ist damit höher als
Die Herzmuskulatur wird von 2 Koronararteri- in allen anderen Organen. Steigt der Sauerstoff-
en (vgl. Abb. 5-19) mit Blut versorgt. Beide, so- bedarf der Herzmuskulatur unter Belastung an,
wohl der Hauptstamm der linken (1) als auch so ist eine stärkere Sauerstoffausschöpfung des
die rechte Koronararterie (2), entspringen aus Blutes kaum noch möglich.
der Aortenwurzel (3), also unmittelbar ober-
halb der Aortenklappe. Der Hauptstamm der Ein vermehrter Antransport von Sauerstoff zur
linken Koronararterie teilt sich in 2 Äste ! Herzmuskulatur ist nur durch eine Zunahme der
(Ramus circumflexus und Ramus interventri- Koronardurchblutung möglich. Ein gesundes Ko-
cularis anterior) auf und versorgt vor allem ronarsystem kann die Durchblutung auf das 5- bis
die Muskulatur des linken Ventrikels und der 7-Fache (!) der Ruhedurchblutung steigern (= Ko-
Herzscheidewand. Patienten mit einer Haupt- ronarreserve).
stammstenose sind besonders gefährdet. Die
rechte Koronararterie verläuft um das rechte Der Sauerstoffbedarf des Herzmuskels (= myo-
Herz zur Herzhinterwand, wo sie zur Herzspit- kardialer Sauerstoffbedarf) wird vor allem von
ze absteigt. Die rechte Koronararterie versorgt folgenden 3 Faktoren beeinflusst, die als Haupt-
den größten Teil der Muskulatur des rechten determinanten des myokardialen Sauerstoffbe-
Herzens. darfs bezeichnet werden:
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 297

● Herzfrequenz Die Nachlast (= afterload) des linken (rechten)


● Kontraktilität der Herzmuskeln 
Ventrikels ist die notwendige Wandspannung, die
● Wandspannung des Herzmuskels während der Systole aufgebracht werden muss,
damit sich die Aortenklappe (Pulmonalklappe)
Herzfrequenz öffnet und Blut aus dem linken (rechten) Herzen
Eine Beschleunigung der Herzfrequenz erhöht ausgeworfen werden kann.
die Arbeit des Herzmuskels und damit den Sau-
erstoffverbrauch des Herzmuskels. Je höher die Nachlast, desto höher die Wand-
spannung und damit der Sauerstoffbedarf. Die
Kontraktilität des Herzmuskels Nachlast des linken Ventrikels hängt entschei-
Unter Kontraktilität (= Inotropie) wird die Ver- dend vom diastolischen Aortendruck und vom
kürzungsgeschwindigkeit der Herzmuskulatur linksventrikulären enddiastolischen Volumen
verstanden. Je schneller sich der Herzmuskel ab.
kontrahiert (= zusammenzieht) und je schnel-
ler damit während der Systole der Druck im
Herzen ansteigt, desto höher ist der Sauerstoff- Koronardurchblutung
bedarf des Herzmuskels.
Die Koronardurchblutung weist beim Gesun-
Wandspannung des Herzmuskels den eine Autoregulation auf. Sie ist daher weit-
Während der Systole wird Blut in den großen gehend unabhängig vom Blutdruck. Steigt der
Kreislauf gepumpt. In der Diastole (= Füllungs- Blutdruck an bzw. fällt der ab, dann ziehen sich
phase) strömt wieder Blut aus dem kleinen die Koronararterien zusammen bzw. sie erwei-
Kreislauf der Lungengefäße in den linken Ven- tern sich, sodass der koronare Blutfluss (inner-
trikel. Dadurch nimmt am Ende der Diastole halb eines relativ großen Blutdruckbereiches)
die Wandspannung im Ventrikel zu. weitgehend konstant bleibt (vgl. auch zerebrale
Autoregulation; → S. 267).
Diese enddiastolische Wandspannung (Vordeh- Der koronare Blutfluss wird vor allem durch

nung) der Ventrikelmuskulatur wird als Vorlast den myokardialen Sauerstoffbedarf gesteuert.
(= preload) bezeichnet. Liegt eine Koronarstenose vor, dann ist diese
Autoregulation jedoch beeinträchtigt und die
Eine Steigerung der Vorlast, das heißt eine Zu- Koronardurchblutung hängt vor allem von fol-
nahme der Wandspannung des Herzmuskels genden Faktoren ab:
führt zu einem vermehrten Sauerstoffbedarf. ● koronarer Perfusionsdruck:

Die Vorlast des linken Ventrikels kann unter be- Die Koronardurchblutung erfolgt fast aus-
stimmten Voraussetzungen vereinfachend mit schließlich während der Diastole. Die Kraft,
dem enddiastolischen Druck im linken Ventri- die das Koronarblut durch die Herzkranzge-
kel gleichgesetzt werden. Dieser kann jedoch fäße treibt, ist der diastolische arterielle
nicht direkt gemessen werden. Der linksventri- Druck. Dem wirkt der im Ventrikel herr-
kuläre enddiastolische Druck entspricht nor- schende enddiastolische Druck entgegen.
malerweise (falls z. B. keine Mitralklappenste-
nose vorliegt) weitgehend dem über einen Der koronare Perfusionsdruck des linken Ventri-
Pulmonaliskatheter messbaren pulmonalkapil- ! kels ergibt sich also aus der Differenz des dia-
lären Verschlussdruck (= Wedge-Druck; → S. stolischen arteriellen Drucks bzw. des Drucks
202). Während der systolischen Kontraktion distal einer Koronarstenose minus dem links-
des Herzmuskels steigt der Druck im Ventrikel ventrikulären enddiastolischen Druck.
und gleichzeitig die Wandspannung des Herz-
muskels.
298 5  Anästhesie – spezieller Teil

Dem linksventrikulären enddiastolischen funktion der Lunge übernehmen kann. Beim


Druck kann normalerweise der über einen Anschluss an eine Herz-Lungen-Maschine wird
Pulmonaliskatheter messbare Wedge-Druck zunächst die Aorta (oder selten die Arteria fe-
(→ S. 202) gleichgesetzt werden. moralis) und dann in der Regel der rechte Vor-
● Koronarwiderstand: hof kanüliert (bei manchen Operationen wer-
Eine Erhöhung des Koronararterienwider- den auch aus technischen Gründen die Vena
stands, z. B. aufgrund einer arterioskleroti- cava inferior und die Vena cava superior kanü-
schen Verengung der Koronararterien, be- liert). Das venöse Blut wird über ein Schlauch-
hindert die Koronardurchblutung. system in diese Herz-Lungen-Maschine geleitet.
● Herzfrequenz: Die Durchblutung der Koronararterien erfolgt
Die Durchblutung der Koronararterien erfolgt fast ausschließlich in der Diastole. Bei einer
fast ausschließlich in der Diastole. Bei einer Steigerung der Herzfrequenz wird vor allem die
Steigerung der Herzfrequenz wird vor allem Dauer der Diastole und damit die Dauer der
die Dauer der Diastole und damit die Dauer Koronardurchblutung verkürzt. In einem sog.
der Koronardurchblutung verkürzt. Oxygenator werden die Gasaustauschfunktion
der Lunge, also die Oxygenierung des Blutes
Ist bei einem Patienten mit Koronarstenosen mit Sauerstoff sowie die Elimination des Koh-
die Koronarperfusion (aufgrund eines zu lendioxids, übernommen. Eine sog. Roller-
niedrigen Perfusionsdrucks, eines zu hohen pumpe übernimmt die Funktion des Herzens
Koronarwiderstandes oder einer zu hohen und pumpt das Blut über eine Filtereinrichtung
Herzfrequenz) zu gering, dann droht eine un- zurück in die kanülierte Aorta (oder die Arteria
zureichende Sauerstoffversorgung des Myo- femoralis). Dieser beschriebene, außerhalb des
kards mit Angina pectoris oder gar einem Herz- Körpers (= extrakorporal) stattfindende Kreis-
infarkt. Auch ein Abfall des arteriellen Sauer- lauf (= Zirkulation) wird auch als extrakorpora-
stoffgehaltes im Blut (vor allem durch Hypoxie le Zirkulation (= EKZ) bezeichnet.
oder Anämie) beeinträchtigt die Sauerstoffver-
sorgung des Myokards. Ebenso ist auch ein er- Wird das gesamte venöse Blut über die Herz-Lun-
höhter Sauerstoffbedarf des Myokards (hohe 
gen-Maschine geleitet, wird von einem „totalen“
Herzfrequenz, hohe Inotropie und/oder hohe Bypass gesprochen. Hierbei sind die um die kanü-
Wandspannung [= hoher pre- und afterload]) lierte obere und untere Hohlvene geschlungenen
ungünstig. Während der Narkoseführung ist Bänder zugezogen. Das ganze venöse Blut fließt
darauf zu achten, dass diese Parameter nicht in die Herz-Lungen-Maschine (vgl. Abb. 5-20).
ungünstig verändert werden und keine myokar-
diale Ischämie auftritt. Das Herz sowie die Lunge werden nicht mehr
durchblutet. Der Patient braucht hierbei nicht
beatmet zu werden. Die Beatmung würde den
5.12.2 Herz-Lungen-Maschine Operateur nur stören. Auch während des zen-
(vgl. Abb. 5-20) tralen Bypasses gelangt noch etwas Blut in den
leeren Ventrikel (über die kleinen Venen [= Ve-
Bei vielen Herzoperationen muss das Herz aus nae thebesii], die direkt in die Herzhöhlen
operationstechnischen Gründen völlig ruhig münden, und über die bronchiale Venen), so-
gestellt werden. Das Herz kann also seiner dass dieses Blut über einen Ventrikelsauger (=
Pumpfunktion vorübergehend nicht mehr Vent) aus dem linken Herzen abgesaugt werden
nachkommen. Deshalb muss hierbei eine sog. muss (vgl. Abb. 5-20). Vor Beginn und nach Be-
Herz-Lungen-Maschine (= HLM) verwendet endigung des „totalen“ Bypasses wird für einige
werden, also eine Apparatur, welche die Pump- Minuten ein sog. „partieller“ (= teilweiser) By-
funktion des Herzens und die Gasaustausch- pass vorgenommen.
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 299

Abb. 5-20 Funktionsprinzip der Herz-


Lungen-Maschine. 1 = Aortenklemme;
2 = die um die kanülierte obere und
untere Hohlvene geschlungenen
Bänder sind zugezogen (= totaler
Bypass).

Bei einem „partiellen“ Bypass wird nur ein des Herzens zu erhöhen, wird das Herz mit eis-

Teil des venösen Blutes durch die Herz-Lungen- gekühlter Ringer-Lactatlösung oder mit eisge-
Maschine geleitet, der andere Teil wird noch vom kühlter 0,9%iger NaCl-Lösung übergossen. Au-
rechten Herzen durch die Lungen zum linken Her- ßerdem wird noch eine spezielle, ebenfalls
zen gepumpt. Die um die kanülierte obere und un- eisgekühlte, sog. kardioplegische Lösung über
tere Hohlvene geschlungenen Bänder sind noch die Aortenwurzel ins Koronarsystem gepresst
nicht ganz zugezogen. (= Koronarperfusat). Diese kardioplegische Lö-
sung erzeugt einen schlaffen, asystolischen Zu-
Während des partiellen Bypasses wird der Pati- stand des Herzens (= Kardioplegie) und senkt
ent mit 100 % Sauerstoff beatmet. den Stoffwechsel der Herzmuskulatur weiter.
Da während dieser Herzoperationen die Koro- Während der EKZ wird außerdem eine Abküh-
nararterien nicht durchblutet sein dürfen, wird lung des Blutes auf ca. 30 °C vorgenommen, um
die Aortenwurzel mit einer sog. Aortenklem- den Sauerstoffbedarf des Körpers zu senken. In-
me abgeklemmt (1 in Abb. 5-20). Das von der zwischen wird zunehmend in mehreren Zen-
HLM in die Aorta zurückgepumpte Blut kann tren nur noch in einer milden Hypothermie (ca.
also nicht in die Aortenwurzel und in die dort 34 °C) oder gar in Normothermie operiert. (Bei
entspringenden Koronararterien fließen. Auf- der Operation bestimmter angeborener Herz-
grund dieser „Nichtdurchblutung“ der Koro- fehler wird die Temperatur unter Umständen
nararterien droht eine ischämische Schädigung bis auf 18–20 °C gesenkt. Bei einer so tiefen
der Herzmuskulatur. Um die Ischämietoleranz Körpertemperatur kann dann für bis zu ca. ei-
300 5  Anästhesie – spezieller Teil

ner Stunde in Herz- und Kreislaufstillstand Sympathisches Nervensystem


[ohne behindernde Schläuche] operiert wer-
den). Alle sympathischen Nerven bestehen aus je-
weils 2 hintereinander geschalteten Nervenzel-
len (= Neuronen). Das erste Neuron wird als
5.12.3 Medikamentöse präganglionäres Neuron, das zweite Neuron als
postganglionäres Neuron bezeichnet. Die Im-
Besonderheiten pulsübertragung vom ersten auf das zweite
Neuron erfolgt durch die Überträgersubstanz
Catecholamine (vgl. Tab. 5-6) Acetylcholin (= ACh). Die Übertragung vom
zweiten Neuron auf das Erfolgsorgan, z. B. auf
In der herzchirurgischen Anästhesie werden die Gefäßmuskulatur oder das Herz, erfolgt
zur Herz-Kreislauf-Unterstützung sehr häufig durch den Transmitter Noradrenalin.
Catecholamine eingesetzt. Zumeist werden sie
per Spritzenpumpe intravenös verabreicht. Noradrenalin wird von diesen postganglionären
! Neuronen freigesetzt und wirkt nur lokal (!), al-
Catecholamine kommen normalerweise als Über- so nur an dem von diesen sympathischen Nerven
! trägersubstanzen (= Transmitter) im sympathi- versorgten Erfolgsorgan.
schen Nervensystem vor.
Zum sympathischen Nervensystem wird auch
Zum besseren Verständnis der Catecholamine das Nebennierenmark gezählt. Es wird als eine
sollen ihre Wirkung im sympathischen Nerven- Anhäufung von sympathischen, postganglionä-
system sowie der Aufbau des sympathischen ren Neuronen aufgefasst. Bei einer Stimulierung
Nervensystems nachfolgend kurz wiederholt des Sympathikus setzt daher das Nebennieren-
werden (vgl. Abb. 5-21; → auch S. 66). mark seine Überträgersubstanz frei. Die Über-

Tab. 5-6  Wichtige Catecholamine und deren Wirkung auf die Alpha-, Beta- und Dopaminrezeptoren
Catecholamin Alpha- Beta-1- Beta-2- Dopamin-
Rezeptoren Rezeptoren rezeptoren rezeptoren
Noradrenalin +++ + 0 0
Adrenalin in niedriger Dosierung + +++ ++ 0
Adrenalin in hoher Dosierung +++ +++ + 0
Dobutamin (Dobutamin Solvay Infus)
®
0 +++ + 0
Dopamin in niedriger Dosierung + ++ 0 ++
(Dopamin-ratiopharm®)
Dopamin in hoher Dosierung ++ ++ 0 ++
(Dopamin-ratiopharm®)
Dopexamin (Dopacard®) 0 (+) +++ ++

}
0 =  keine
(+) =  evtl. geringe
+ =  geringe Stimulation der entsprechenden Rezeptoren
++ =  mittlere
+++ =  starke
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 301

Vegetatives Nervensystem

Sympathikus Parasympathikus

erstes = präganglionäres Neuron

ACh

ACh

Nebenniere
ACh
Adrenalin

zweites = postganglionäres Neuron

NA ACh

Abb. 5-21 Schematische Darstellung
des sympathischen und parasympathi- • glatte Muskulatur:
schen Nervensystems. ACh = Acetyl- Magen-Darm- und Bronchialmuskulatur, Gefäße, Drüsen
cholin; NA = Noradrenalin. • Herz

trägersubstanz des Nebennierenmarks ist je- Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin werden als
doch nicht Noradrenalin, sondern Adrenalin. ! physiologische (= körpereigene) Catecholami-
Das Nebennierenmark gibt bei Stimulation das ne bezeichnet. Diese Catecholamine wirken an
Adrenalin ins Blut ab. den Erfolgsorganen über spezifische Rezeptoren.

Da Adrenalin über das Blut zu den verschiedens­ Es kann zwischen Alpha-, Beta-1- und Beta-2-
! ten Organen transportiert wird, entfaltet es keine sowie Dopaminrezeptoren unterschieden wer-
lokale, sondern generalisierte systemische (!) Wir- den.
kungen im gesamten Körper.
Alpharezeptoren
In den Nervenzellen und im Nebennierenmark Inzwischen werden die Alpharezeptoren in Al-
wird aus der Aminosäure l-Tyrosin über meh- pha-1- und Alpha-2-Rezeptoren unterteilt (sub-
rere Zwischenstufen Dopamin hergestellt. In klassifiziert). Eine Stimulation der postsynapti-
verschiedenen Gehirnarealen, vor allem im ex- schen Alpha-1-Rezeptoren führt vor allem zu
trapyramidalen System, wird Dopamin als einer Gefäßkonstriktion und damit zu einem
Transmitter freigesetzt. In den postganglionä- Anstieg des systolischen und diastolischen Blut-
ren Nervenzellen des sympathischen Nervensys­ drucks. Das aus den postganglionären sympa-
tems wird Dopamin weiter zu Noradrenalin thischen Nervenzellen als Transmitter frei­
umgewandelt, das als Transmitter freigesetzt gesetzte Noradrenalin (sowie ein extern
wird. Nur im Nebennierenmark wird Noradre- zugeführtes Catecholamin) bindet an die post-
nalin noch weiter umgewandelt, nämlich bis synaptischen Alpha-1-Rezeptoren. Ist ausrei-
zum Adrenalin, das dann als Transmitter ins chend Noradrenalin in die Synapse abgegeben
Blut freigesetzt wird. worden und ist die Noradrenalinkonzentration
302 5  Anästhesie – spezieller Teil

im Synapsenbereich hoch, dann bindet Norad- on zu einer ausgeprägten Blutdrucksteigerung.


renalin auch an präsynaptische Alpha-2-Rezep- Seine Wirkung auf die Beta-1-Rezeptoren ist
toren. Deren Stimulation hemmt die weitere deutlich schwächer als bei den anderen Ca-
Noradrenalinfreisetzung im Sinne einer negati- techolaminen. Eine Steigerung der Herzfre-
ven Rückkoppelung. Das Medikament Clonidin quenz bleibt zudem aus, da es aufgrund der
stimuliert diese präsynaptischen Alpha-2-Re- Blutdrucksteigerung oft zu einer Reizung der
zeptoren und bewirkt dadurch eine verminder- Barorezeptoren mit einer reflektorischen Bra-
te Freisetzung von Noradrenalin und dadurch dykardie kommt.
unter anderem einen Blutdruckabfall (→ S.
336). Dosierung: Als Dosierungsempfehlung für Nor-
adrenalin werden 0,015–0,25 µg/kg KG/min an-
Beta-1-Rezeptoren gegeben, es kann jedoch im Extremfall (z. B.
Eine Stimulierung der Beta-1-Rezeptoren führt Sepsis) auch deutlich höher dosiert werden. Die
vor allem zu einer Steigerung der Herzkraft (= Dosierung muss streng nach Wirkung erfolgen.
positiv inotrope Wirkung) mit Zunahme des
Schlagvolumens und des Herzminutenvolu- Adrenalin (Suprarenin®)
mens sowie zu einer Zunahme der Herzfre- Wirkungen: Adrenalin wirkt sowohl auf die Al-
quenz. pha- als auch auf die Beta-1- und Beta-2-Rezep-
toren. Welche Wirkung überwiegt, hängt von
Beta-2-Rezeptoren der Dosierung ab. Durch Stimulation der Beta-
Eine Stimulierung der Beta-2-Rezeptoren be- 2-Rezeptoren wirkt Adrenalin auf das Bronchi-
wirkt vor allem eine Weitstellung der Bronchien alsystem erweiternd. Auf den Stoffwechsel wirkt
sowie eine Weitstellung der Gefäße mit Blut- Adrenalin über die Erregung der Beta-2-Rezep-
druckabfall. Außerdem bewirkt eine Erregung toren stimulierend und steigert den Fett- und
der Beta-2-Rezeptoren eine positiv inotrope Glykogenabbau. Die Stimulation der Beta-1-
Wirkung sowie eine Stimulierung des Stoff- Rezeptoren bewirkt eine Steigerung der Herz-
wechsels. frequenz und des Herzminutenvolumens mit
Anstieg des systolischen Drucks, die der Beta-
Dopaminrezeptoren 2-Rezeptoren eine Gefäßdilatation vor allem in
Eine Stimulation der Dopaminrezeptoren führt der Muskulatur mit Abnahme des diastolischen
zu einer Gefäßweitstellung vor allem im Bereich Drucks. Der arterielle Mitteldruck bleibt oft
der Nieren und des Darmbereichs (aber auch konstant.
im Bereich der Koronar- und Hirngefäße). In-
zwischen werden die Dopaminrezeptoren in Dosierung: In niedrigen Konzentrationen
Dopamin-1- und Dopamin-2-Rezeptoren sub- (0,015–0,03 µg/kg KG/min) überwiegt die Wir-
klassifiziert. kung an Beta-1- und Beta-2-Rezeptoren. Bei
mittlerer Dosierung (0,03–0,15 µg/kg KG/min)
kommt es sowohl zu einer Stimulierung der
Medikamente Alpha- als auch der Betarezeptoren. In hoher
Konzentration (0,15–0,3 µg/kg KG/min) über-
Noradrenalin (Arterenol®) wiegt die vasokonstriktorische Wirkung der
Wirkungen: Noradrenalin wirkt vor allem auf Alpharezeptoren mit einer Blutdrucksteige-
die Alpharezeptoren, das heißt, je nach Dosie- rung. Zumeist wird eine mittlere Dosis verab-
rung kommt es über eine starke Vasokonstrikti- reicht.
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 303

Dopamin (Dopamin-ratiopharm) Dosierung: Als Dosierung wird die Gabe von 2


Dopamin ist die Vorstufe von Noradrenalin. bis maximal 15 µg/kg KG/min empfohlen.
Dopamin bewirkt eine Stimulierung der Alpha-
und Beta-1-Rezeptoren. Daneben wirkt es an Dopexamin (Dopacard®)
spezifischen dopaminergen Rezeptoren, die Dopexamin ist ein neuerer Dopaminabkömm-
sich vor allem im Bereich der Nierengefäße und ling.
der Darmgefäße (aber auch im Bereich der Ko-
ronar- und Hirngefäße) befinden. Vor allem in Wirkungen: Dopexamin führt vor allem zu einer
niedrigen (1–3 µg/kg KG/min), aber auch in Stimulation der Beta-2-Rezeptoren (mit Gefäß-
mittleren (3–8 µg/kg KG/min) Dosierungen weitstellung) und der Dopaminrezeptoren (wo-
führt Dopamin über eine Stimulierung dieser durch es zu einer verbesserten Durchblutung vor
dopaminergen Rezeptoren zu einer Steigerung allem im Nieren- und Darmbereich kommen
der Darm- und Nierendurchblutung mit einer soll. Inzwischen ist jedoch klar, dass es zu keiner
vermehrten Urinproduktion. Dass durch Gabe selektiven Wirkung im Bereich des Magen-
von Dopamin in „Nierendosis“ (1–3 µg/kg KG/ Darm-Trakts kommt. Die Verbesserung der
min) allerdings das Risiko eines Nierenversa- Durchblutung im Magen-Darm-Bereich ist
gens vermindert werden kann, ist inzwischen durch die allgemein positiv inotrope Wirkung
widerlegt. Dopamin in „Nierendosis“ kann da- von Dopexamin mit Steigerung des Herzminu-
her nicht mehr empfohlen werden. Bei mittlerer tenvolumens bedingt). Außerdem hemmt Do-
Dosierung kommt es über eine zusätzliche Sti- pexamin die Wiederaufnahme von freigesetztem
mulierung der Beta-1-Rezeptoren zu einer Stei- Noradrenalin in die Nervenendigungen und ver-
gerung der Herzkraft und zu einer Zunahme stärkt damit dessen Wirkung. Dopexamin führt
des Herzminutenvolumens mit leichtem Blut- zu einer Steigerung des Herzminutenvolumens
druckanstieg. Bei hoher Dosierung (> 10 µg/ aufgrund einer Verminderung des peripheren
kg KG/min bis maximal 30 µg/kg KG/min) Widerstandes (→ oben) und einer positiv ino-
kommt es über eine zunehmende Stimulierung tropen Wirkung (Beta-2-Stimulation und Hem-
der Alpharezeptoren zu einer Vasokonstriktion mung der Wiederaufnahme von Noradrenalin).
(auch im Nieren- und Darmbereich) mit einer
deutlichen Blutdrucksteigerung. Catecholamine führen also am Herzen zu einer
Dopamin wird inzwischen zunehmend seltener ! Steigerung der Inotropie, der Herzfrequenz und des
eingesetzt und scheint in der Anästhesie und in Blutdrucks. Hierdurch wird jedoch auch der Sau-
der operativen Intensivmedizin entbehrlich zu erstoffbedarf des Herzmuskels erhöht (→ S. 296),
sein. und zwar unter Umständen mehr, als es der gestei-
gerten Herzleistung entspricht. Deshalb können bei
Dobutamin (Dobutamin Solvay® Infus) vorgeschädigtem Koronarkreislauf durch die An-
Dobutamin ist ein synthetisches Catecholamin. wendung von Catecholaminen unter Umständen
pektanginöse Beschwerden ausgelöst werden (!).
Wirkungen: Dobutamin verfügt über eine aus-
geprägte Wirkung an Beta-1-Rezeptoren. Die Indikation: Dopexamin wird bei der schweren
positiv inotrope Wirkung mit Steigerung des Herzinsuffizienz dann empfohlen, wenn andere
Herzminutenvolumens steht also deutlich im Therapiemaßnahmen nicht ausreichend sind.
Vordergrund. Die Wirkung auf Beta-2-Rezep-
toren ist nur gering. Vor allem in hohen Dosie- Dosierung: Die Dosierung wird von 0,5 µg/
rungen kann es zu einer Vasodilatation durch kg KG/min schrittweise gesteigert, bis die er-
Stimulierung der Beta-2-Rezeptoren kommen. wünschte hämodynamische Wirkung erreicht
Mit einer Steigerung der Herzfrequenz ist vor ist. Die maximale Dosierung beträgt ca. 4 µg/
allem bei hohen Dosierungen zu rechnen. kg KG/min.
304 5  Anästhesie – spezieller Teil

Phosphodiesterasehemmer In der Herzchirurgie werden als Vasodilatato-


Wirkungen: Catecholamine (→ S. 300) wirken ren vor allem Nitroglycerin, Nifedipin, Urapidil
über die an den Zellmembranen sitzenden Ca- und Nitroprussidnatrium verwendet, da sie sich
techolaminrezeptoren. Durch deren Stimulation durch einen schnellen Wirkungseintritt und
wird in der Zelle zyklisches Adenosinmono- eine gute Steuerbarkeit auszeichnen. Zumeist
phosphat (= cAMP) gebildet, das über eine Er- werden diese Medikamente per Spritzenpumpe
höhung der intrazellulären Calciumkonzentrati- intravenös verabreicht.
on seine Wirkungen entfaltet. Zyklisches
Adenosinmonophosphat wird durch das En­- Nitroglycerin (Trinitrosan®) (→ S. 273)
zym Phosphodiesterase inaktiviert. Phospho- Wirkungen: Nitroglycerin (oft nur als „Nitro“
diesterasehemmer blockieren diese Phospho- bezeichnet; eigentlich Glyceroltrinitrat) wirkt
diesterase, hemmen den Abbau von cAMP und vor allem auf die venösen Kapazitätsgefäße di-
führen daher (wie Catecholamine) zu einer Kon- latierend. Das Blut „versackt“ in den venösen
zentrationssteigerung von cAMP in den Zellen. Kapazitätsgefäßen (= venöses Pooling). Da-
Phosphodiesterasehemmer wirken also über die durch nimmt der venöse Rückstrom zum Her-
gleiche Endstrecke wie die Catecholamine. zen ab. Folge ist eine verminderte Füllung des
Herzens in der Diastole, also eine Abnahme des
Indikation: Phosphodiesterasehemmer werden enddiastolischen Füllungsdrucks und der end-
vor allem bei einer schweren Herzinsuffizienz diastolischen Wandspannung (Vorlast = pre-
mit niedrigem Herzminutenvolumen (= low load, → S. 297). Die rechts- und linksventriku-
cardiac output syndrome) als zusätzliche Medi- lären Füllungsdrücke, also der ZVD (→ S. 202)
kation empfohlen. und der Wedge-Druck (→ S. 202, 297), sinken
ab. Eine Abnahme der Vorlast bedeutet eine
Medikamente: Zu den Phosphodiesterasehem- Entlastung und damit eine Abnahme des Sauer-
mern gehören z. B. Enoximon (Perfan®) und stoffbedarfs des Herzens (→ S. 297).
Milrinon (Corotrop®). Nitroglycerin wirkt auch in geringem Maße auf
die arteriellen Gefäße dilatierend, wodurch der
Dosierung: arterielle Blutdruck und damit die Nachlast (=
● Enoximon (Perfan ): Afterload; → S. 297) abfällt. Ein Abfall der
®

– Initialdosis: Nachlast bedeutet ebenfalls einen Abfall des


0,5 mg/kg KG langsam als Bolus myokardialen Sauerstoffbedarfs. Nach Nitro-
– Erhaltungsdosis: glyceringabe kommt es manchmal zu einer re-
2,5–10 µg/kg KG/min flektorischen Tachykardie.
● Milrinon (Corotrop ):
®

– Initialdosis: Indikationen:
50 µg/kg KG sehr langsam intravenös ● Senkung eines erhöhten Blutdrucks (vgl.

– Erhaltungsdosis: kontrollierte Hypotension)


0,375–0,75 µg/kg KG/min ● Senkung eines erhöhten ZVD, z. B. bei

Rechtsherzinsuffizienz
● Senkung eines erhöhten Wedge-Drucks, z. B.
Vasodilatatoren bei Linksherzinsuffizienz
● Senkung des Sauerstoffbedarfs bei ischämi-

Vasodilatatoren sind gefäßerweiternde und damit scher Herzerkrankung, z. B. Koronarsklero-



blutdrucksenkende Medikamente. Sie spielen in se, Herzinfarkt
der Herzchirurgie eine wichtige Rolle und werden
zur Senkung eines erhöhten Blutdrucks sowie (in Dosierung: Die Dosierung in der Herzanästhe-
Kombination mit Catecholaminen) zur Therapie sie wird mit ca. 2–10 mg/h angegeben.
einer Herzinsuffizienz angewandt.
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 305

Urapidil (Ebrantil®) Pooling (→ S. 304). Der Rückstrom zum Herzen


Wirkung: Urapidil bewirkt durch eine Blockade ist vermindert, der enddiastolische Füllungs-
der Alpharezeptoren vor allem eine Dilatation druck und damit die enddiastolische Wand-
der arteriellen Gefäße und dadurch einen Blut- spannung und die Vorlast fallen ab. Folge ist
druckabfall. eine weitere Verminderung des myokardialen
Sauerstoffbedarfs. Die Verbesserung der Pump-
Dosierung: Initial werden zumeist 5–25 mg in- funktion bei Herzinsuffizienz beruht also auf
travenös langsam als Bolus injiziert. Gegebe- einer mechanischen Entlastung des Herzens.
nenfalls können Wiederholungsdosen verab- Nach NPN-Gabe tritt oft eine ausgeprägte re-
reicht und evtl. eine kontinuierliche Gabe von flektorische Tachykardie auf.
initial 2 mg/min und danach im Mittel von 9
mg/h durchgeführt werden. Eine reflektorische Indikationen:
Tachykardie oder ein stärkerer Blutdruckan- ● Senkung eines erhöhten Blutdrucks

stieg beim Absetzen des Medikamentes (sog. ● Senkung der linksventrikulären Nachlast

Rebound-Hypertonie) tritt nicht auf. und damit des linksventrikulären Sauerstoff-


bedarfs

Nifedipin (Adalat®) Nachteile: ausführliche Beschreibung → Seite


Wirkung: Nifedipin hemmt die Calciumkanäle 274
und vermindert dadurch den Gefäßtonus. Nach
intravenöser Gabe kommt es innerhalb weniger Herstellung der Lösung: ausführliche Beschrei-
Minuten zu einem Abfall des Blutdrucks und zu bung → Seite 274
einer Dilatation der Koronararterien.
Dosierung: 0,3–3 µg/kg KG/min
Indikationen: Nifedipin wird zur kontrollierten
Blutdrucksenkung und zur Therapie der va-
sospastischen Angina pectoris eingesetzt. 5.12.4 Allgemeine Bemerkungen
Dosierung: Zur intravenösen Infusion kommt
zur Narkose
das Adalat® pro infusione (5 mg/50 ml) zur An-
wendung. Die Dosierung beträgt 0,4–1,7 mg/h Präoperative Visite
beim erwachsenen Patienten (= 0,1–0,4 µg/
kg KG/min). Es muss über eine lichtgeschützte Bei der präoperativen Visite (→ S. 2) muss be-
(schwarze) Perfusorspritze und -leitung verab- sondere Aufmerksamkeit der zugrunde liegen-
reicht werden. den Herzerkrankung gelten. Die vorliegenden
Ergebnisse der Herzkatheteruntersuchungen
sowie der Echokardiographie, die EKG-Befun-
Nitroprussidnatrium (nipruss®) (→ S. 273) de, die Röntgenbilder des Thorax und der Lun-
Wirkungen: Nitroprussidnatrium (= NPN) be- genfunktionstest müssen eingehend bewertet
wirkt eine Dilatation der Arteriolen. Der arteri- werden.
elle Blutdruck und damit die Nachlast des lin-
ken Ventrikels sinkt. Die Herzarbeit und der Bei Erhebung der Anamnese ist detailliert nach
myokardiale Sauerstoffbedarf werden gesenkt. ! den aktuellen Herzbeschwerden, der kardialen
NPN führt außerdem zu einer Dilatation der Belastbarkeit sowie nach der medikamentösen
venösen Kapazitätsgefäße mit einem venösen Dauertherapie zu fragen.
306 5  Anästhesie – spezieller Teil

Da die Patienten häufig nicht nur mit einer an- ten (!). Insbesondere bei Patienten mit schwerer
tihypertensiven Medikation, sondern auch mit Koronarsklerose oder schwerer Mitralstenose
Diuretika eingestellt sind, ist insbesondere auch kann dies evtl. fatale Folgen haben.
auf die möglicherweise durch Diuretika beding- Als Schlafmedikation für die präoperative
ten Störungen des Kaliumhaushalts (Hypokali- Nacht haben sich Benzodiazepine wie z. B.
ämie) zu achten. Eventuell auch digitalisierte Flunitrazepam (Rohypnol®, 1–2 mg oral; → S.
Patienten neigen bei einer Hypokaliämie leicht 6) bewährt. Auch zur Prämedikation hat sich
zu Herzrhythmusstörungen. Nimmt der Patient der anxiolytische Effekt der Benzodiazepine be-
β-Rezeptoren-Blocker (Hemmung vor allem währt. Bei Erwachsenen empfehlen sich z. B.
der Beta-1-Rezeptoren zur Senkung der Herz- 1–2 mg Flunitrazepam oral.
frequenz, der Inotropie und des Blutdrucks und
damit des myokardialen Sauerstoffbedarfs; → S.
296) oder Hochdruckmedikamente ein, so dür- Narkosevorbereitung
fen diese Medikamente nicht vor der Operation
abgesetzt werden (→ S. 5). (Lediglich für ACE- Sobald der Patient in den Narkoseeinleitungs-
Hemmer wird oft empfohlen, diese am Opera­ raum kommt, sind Pulsoxymeter, EKG und os-
tionstag morgens nicht zu verabreichen, da an- zillometrische Blutdruckmessung anzuschlie-
sonsten während der Narkose stärkere Blut- ßen und es ist ein periphervenöser Zugang zu
druckabfälle begünstigt werden können.) Bei legen.
plötzlichem Absetzen z. B. einer Hochdruck­ Sind die Patienten, wenn sie in den Narkosevor-
medikation kann es zu unerwünschten, über- bereitungsraum kommen, noch ängstlich-auf-
schießenden Blutdruckanstiegen kommen. geregt und haben sie eine Tachykardie sowie
Auch Nitroglycerinpräparate (z. B. Nitrolingu- einen hohen Blutdruck, dann empfiehlt sich zu-
al®), die die Patienten wegen ihrer pektanginö- erst eine intravenöse Gabe z. B. von Midazolam
sen Beschwerden einnehmen, müssen bis zum oder Flunitrazepam zur stärkeren Anxiolyse
Operationstermin verabreicht werden. Dagegen und Sedierung. Die Dosierung muss streng
muss eine evtl. Marcumar®-Therapie ausrei- nach Wirkung erfolgen. Eventuell kann auch
chend lange vor der Operation abgesetzt wer- eine bedarfsadaptierte Applikation von Fenta-
den. Ist eine Therapie mit Antikoagulanzien je- nyl (Boli à 25 µg) durchgeführt werden, wobei
doch unbedingt notwendig, so muss auf Hepa- (aufgrund dessen atemdepressiver Wirkung)
rin umgestellt werden. Falls vertretbar, sollten auf eine ausreichende Spontanatmung zu ach-
Diuretika und Digitalis 1–2 Tage vor der Opera- ten ist. Klagt ein Patient gar über pektanginöse
tion abgesetzt werden. Eine Digitalisierung bis Beschwerden, muss ein Nitrospray oder eine
zum Operationstermin sollte z. B. nur bei mani- Nitrolingual®-Kapsel verabreicht werden. Zu-
fester Herzinsuffizienz und bei Vorhofflimmern sätzlich empfiehlt sich ebenfalls eine Sedierung
durchgeführt werden. und Anxiolyse. Nitroglycerin bewirkt eine
Weitstellung der venösen Kapazitätsgefäße (=
Bei der Verordnung der Prämedikation ist auf venöses Pooling). Dadurch wird der venöse
! eine ausreichende anxiolytische und sedierende Rückstrom zum Herzen vermindert. Das Herz
Wirkung zu achten, denn vor einer Herzoperation muss weniger Blut pumpen und wird entlastet.
haben Patienten oft besonders viel Angst. Der Sauerstoffbedarf des Herzens ist damit ge-
ringer. Nitroglycerin ist daher das Mittel der
Bei unzureichender Dosierung droht eine Wahl bei pektanginösen Beschwerden (→ S.
stressbedingte Herzfrequenz- und Blutdruck- 304).
steigerung in der unmittelbar präoperativen Da die Narkoseeinleitung eine besonders kriti-
Phase, wodurch die engen kardialen Reserven sche Situation darstellt, muss bereits vorher eine
unter Umständen überschritten werden könn- blutige arterielle Druckmessung angelegt wer-
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 307

den (→ S. 191). Es sollte vorzugsweise am nicht zu einem deutlichen Abfall des Blutdrucks
dominanten Handgelenk (bei Rechtshänder führen.
also links) punktiert werden. (Es ist jedoch ● Vollrelaxierung mit einem nicht depolarisie-

vorher zu klären, ob nicht für die Anlage eines renden Muskelrelaxans; z. B. 0,6 mg/kg KG
aortokoronaren Bypasses evtl. die Entnahme ei- Rocuronium (ca. 50 mg beim Erwachsenen)
nes Teils der linken Arteria radialis geplant ist; ● schonende orotracheale Intubation:

→ S. 313). Bei Operationen an der Aorta sollte Die Narkoseeinleitung ist besonders schonend
stets die rechte Arteria radialis punktiert wer- mit möglichst konstantem Verhalten von Blut-
den, da beim Abklemmen der Aorta manchmal druck und Herzfrequenz durchzuführen.
die linke Arteria subclavia mit abgeklemmt
wird. Nach der Narkoseeinleitung wird ein (unter
Umständen mehrlumiger) zentraler Venenka-
theter gelegt. Er dient der herznahen Applikati-
Narkoseeinleitung on von Medikamenten und der Kontrolle des
zentralen Venendrucks. Häufig wird die Punkti-
Als Narkoseform wird normalerweise eine on der Vena jugularis interna rechts bevorzugt.
TIVA (→ S. 125) oder balancierte Anästhesie In seltenen Fällen muss evtl. ein Pulmonaliska-
(→ S. 124) gewählt. theter eingeführt werden (→ S. 197), mit dem
das Herzminutenvolumen, der Druck in der
Alle Medikamente müssen stets sehr langsam Arteria pulmonalis sowie der pulmonalkapillä-
! und nach Bedarf unter Kontrolle der hämodyna- re Verschlussdruck (= Wedge-Druck) gemessen
mischen Parameter injiziert werden (!!). werden können. Das Einführen eines Pulmona-
liskatheters ist z. B. bei schweren Formen einer
Die Narkoseeinleitung kann z. B. folgenderma- Mitralstenose angezeigt. In manchen Kliniken
ßen durchgeführt werden: wurde früher grundsätzlich ein Pulmonalarte-
● Anxiolytikum: rienkatheter für alle Herzoperationen gelegt.
Falls der Patient nicht ausreichend angst- Seit einigen Jahren wird in der Kardioanästhe-
und stressfrei ist, sollte im Einleitungsraum sie allerdings zunehmend häufiger auf das Ein-
während der Vorbereitungen intravenös ein schwemmen eines Pulmonaliskatheters ver-
Anxiolytikum verabreicht werden (z. B. Boli zichtet.
à 0,5 mg Midazolam, 0,25 mg Flunitrazepam Wird ein Pulmonaliskatheter bereits vor Narko-
oder Fentanylboli à 25 µg; → S. 306). seeinleitung gelegt, so sind bei der Narkoseein-
● Präoxygenierung (→ S. 113) leitung optimale Überwachungsmöglichkeiten
● großzügige Opioidgabe gegeben. Außerdem können dann bereits vor
z. B. 0,5 mg Fentanyl oder eine entsprechen- Narkoseeinleitung der ZVD, das HMV sowie
de Dosis an Sufentanil (ca. 70 µg). Es ist auf der Wedge-Druck gemessen werden. Diese
eine langsame Injektion zu achten. Zuneh- Ausgangswerte bieten wichtige Vergleichsmög-
mend häufiger wird als Opioid Remifentanil lichkeiten für intraoperativ gemessene Werte.
per Spritzenpumpe (initial oft 0,2–0,3 µg/ Anschließend müssen neben einem Dauerka-
kg KG/min) eingesetzt. theter und einer Magensonde noch eine rektale
● den Patienten zum Einatmen auffordern und eine ösophageale Temperatursonde gelegt
(Kommandoatmung) werden. Es ist auf eine ausreichende Anzahl ve-
● Hypnotikum nöser Zugänge zur Volumensubstitution zu
z. B. Etomidat (0,2–0,3 mg/kg KG), Propofol achten.
(ca. 1,5–2 mg/kg KG) oder Thiopental (ca. Inzwischen wird auch in der Kardioanästhesie
4–5 mg/kg KG). Bei Patienten mit einge- zunehmend häufiger eine TIVA unter Verwen-
schränkter Ventrikelfunktion kann Propofol dung von Remifentanil (meist 0,25–0,5 µg/
308 5  Anästhesie – spezieller Teil

kg KG/min), Propofol (3–6 mg/kg KG/h), nicht Rocuronium oder Pancuronium) und einem
depolarisierendes Relaxans und Sauerstoff Hypnotikum (z. B. Propofol) durchgeführt. Das
durchgeführt. Hypnotikum (z. B. Propofol) und das Opioid
Wird im Rahmen einer balancierten Anästhesie (z. B. Sufentanil) sollten per Spritzenpumpe ver-
ein volatiles Inhalationsanästhetikum eingesetzt abreicht werden.
(bei Patienten ohne Zeichen einer Herzinsuffi- Eventuell kann auch ein verdampfbares Inhala-
zienz), so scheint hierfür in der Kardioanästhe- tionsanästhetikum, vor allem Sevofluran oder
sie das Sevofluran besonders geeignet. Es weist Isofluran, über den Oxygenator der Herz-Lun-
eine gute Kreislaufstabilität auf und in neueren gen-Maschine verabreicht werden. Der Bedarf
Studien wird ihm auch eine gute kardioprotek- an Narkosemitteln ist individuell recht unter-
tive Wirkung (mit Erhöhung der Ischämietole- schiedlich und hängt auch von dem Ausmaß
ranz) zugeschrieben. der Hypothermie ab.

Während der extrakorporalen Zirkulation sollten


Narkoseführung bis zum Anschluss ! Medikamente möglichst über den venösen Schen-
an die Herz-Lungen-Maschine kel der Herz-Lungen-Maschine (und nicht über die
zentralen Venenkatheter) appliziert werden, weil
Während dieser Narkosephase ist auf eine aus- dadurch der Applikationsweg sicherer ist.
reichende Opioidgabe zu achten (z. B. ca. 1 µg/
kg KG/h Sufentanil per Infusionspumpe). 5–10 Während des partiellen Bypasses (der meist nur
Minuten vor dem Hautschnitt sollte nochmals wenige Minuten dauert) darf kein Lachgas ver-
ein Fentanyl- oder Sufentanilbolus nachinjiziert abreicht werden. Der Grund ist, dass wenn im
werden oder eine Remifentanilinfusion ent- Bereich des Operationsgebietes oder im Bereich
sprechend erhöht werden (ggf. bis ca. 0,5 µg/ der Herz-Lungen-Maschine evtl. Luftblasen ins
kg KG/min). Bis zum Hautschnitt werden meist Blut eingeschwemmt werden, dann würden die-
ungefähr 1,0 mg Fentanyl oder ca. 150 µg Sufen- se unter Lachgasgabe eine Größenzunahme er-
tanil verabreicht. Vor allem zum Hautschnitt, fahren (→ S. 271). Es ist mit 100 % Sauerstoff zu
zur Sternotomie und bei der Freipräparierung beatmen. Mit Beginn des totalen Bypasses ist
der herznahen großen Gefäße ist eine tiefe Nar- die Beatmung sofort zu beenden. Infusionen
kose erforderlich. Treten trotz ausreichender sind zu stoppen und Medikamente bzw. ein vo-
Analgesie und Narkosetiefe nicht beherrschba- latiles Inhalationsanästhestikum sind nur über
re Blutdrucksteigerungen auf, so muss ggf. eine die HLM zu verabreichen.
kontrollierte Blutdrucksenkung (→ S. 273) Während der extrakorporalen Zirkulation müs-
durchgeführt werden, z. B. mittels Vasodilatan- sen vor allem die folgenden Größen kontinuier-
zien wie Nitroglycerin oder einem volatilen In- lich überwacht werden:
halationsanästhetikum. Bei der Beatmung wird ● Gerinnung

eine Normoventilation angestrebt. Der Patient ● Blutungsprophylaxe

wird meist mit 50 % Sauerstoff beatmet. ● arterieller Druck

● EKG

● Neurologie
Narkoseführung während ● ZVD und ggf. Wedge-Druck

der extrakorporalen Zirkulation ● Urinausscheidung

● Beatmung
Die Aufrechterhaltung der Narkose wird zu- ● Relaxierung

meist mit einem Opioid (z. B. Fentanyl oder ● Labor

Sufentanil oder Remifentanil), einem nicht de- ● Temperatur

polarisierenden Relaxans (z. B. Vecuronium,


5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 309

Gerinnung selten der Konzentration der Gerinnungsfakto-


ren (durch Gerinnungsaktivierung an den
Um während der EKZ eine Blutgerinnung in Oberflächen der Herz-Lungen-Maschine mit
der Herz-Lungen-Maschine zu verhindern, Verbrauch von Thrombozyten und Gerinnungs-
wird der Patient kurz vor der operativen Kanü- faktoren) bedingt sein. Eine Blutungsneigung
lierung der großen Gefäße (→ S. 298) initial mit kann auch durch eine Überdosierung von
ca. 300–400 IE Heparin/kg KG heparinisiert. Protamin, eine sehr lange Bypass-Zeit, Hypoto-
Das Heparin ist über den zentralen Venenka- nie oder eine sehr starke Hämodilution bedingt
theter zu injizieren. Die ausreichende Heparini- sein.
sierung kann z. B. mithilfe der sog. activated
clotting time (= ACT) kontrolliert werden.
Wird hierzu das automatische Hemochrongerät Blutungsprophylaxe
verwendet, dann müssen 2 ml Blut in ein Spezi-
alröhrchen injiziert werden. Danach wird die Durch die Gabe des Proteasehemmers Tran­
Zeitmessung des Hemochrongerätes gestartet, examsäure (der die Fibrinolyse hemmt = Anti­
das Röhrchen ca. 5 Sekunden lang geschüttelt fibrinolytikum) konnte bei kardiochirurgischen
und anschließend in die Messkammer des He- Operationen der perioperative Blutverlust um
mochrongerätes gesteckt. Bei Beendigung der ca. 50 % vermindert werden. Tranexamsäure
Messung zeigt das Gerät den entsprechenden wird initial mit 10 mg/kg KG dosiert. Anschlie-
ACT-Wert an. ßend wird ca. 1 mg/kg KG/h infundiert.
Der über viele Jahre in der Kardiochirurgie ver-
Der Normalwert der ACT liegt bei ca. 90–130 Se- wendete Proteasehemmer Aprotinin (Trasylol)
! kunden. Während der EKZ sollte ein Wert von ca. wurde im November 2007 überraschend vom
400–600 Sekunden angestrebt werden. Erst wenn Markt genommen (da es zu einer Erhöhung des
der ACT-Zielwert (> 400 Sekunden) erreicht ist, Risikos für Nierenversagen, Schlaganfall und
werden die Hohlvenen kanüliert und der Bypass kardialen Komplikationen führt).
wird begonnen.

Der ACT-Wert sollte ungefähr alle 30 Minuten Arterieller Druck


kontrolliert werden und bei Abfall unter 400 Se-
kunden muss Heparin (ca. ⅓ der Initialdosis) Während der extrakorporalen Zirkulation sollte
nachinjiziert werden. Nach Beendigung der ! der arterielle Perfusionsdruck bei 60–100 mm Hg
EKZ wird das Heparin durch die Gabe von liegen. (Vor allem zu Beginn des Bypasses und
Protaminsulfat antagonisiert und ein dem Aus- während der Wiedererwärmungsphase kann der
gangswert entsprechender ACT-Wert ange- Perfusionsdruck abfallen.)
strebt. Mit ca. 100–130 IE Protaminsulfat kön-
nen 100 IE Heparin antagonisiert werden. Bei einem konstanten Perfusionszeitvolumen
Wegen der erhöhten Gefahr einer anaphylakto- der Herz-Lungen-Maschine hängt der arterielle
iden Reaktion und eines Blutdruckabfalls muss Perfusionsdruck nur vom peripheren Wider-
Protamin sehr langsam verabreicht werden. Im stand ab. Es gilt die Beziehung: Perfusionsdruck
Rahmen von herzchirurgischen Operationen (≈ MAP) = HMV × peripherer Gefäßwider-
kommt es häufiger zu Blutungen. Diese können stand; → S. 403). Da das HMV an der HLM auf
vor allem chirurgisch bedingt oder seltener Fol- ca. 2,2–2,5 l/min/m2 eingestellt wird, das heißt
ge einer Gerinnungsstörung sein. Eine Gerin- konstant ist, kann der Perfusionsdruck (≈ MAP)
nungsstörung kann durch eine unzureichende dadurch erhöht bzw. erniedrigt werden, sodass
Antagonisierung des Heparins, häufiger durch der periphere Gefäßwiderstand erhöht bzw. er-
einen Abfall der Thrombozytenzahl oder sehr niedrigt wird. Der periphere Gefäßwiderstand
310 5  Anästhesie – spezieller Teil

wird vor allem durch den Sympathikotonus, die Zentraler Venendruck und Wedge-Druck
Anästhesie, die Temperatur, den pH-Wert und
durch vasoaktive Medikamente beeinflusst. Der zentrale Venendruck (= ZVD) sollte wäh-
Ein systolischer, arterieller Blutdruck von mehr rend der extrakorporalen Zirkulation bei oder
als 100 mm Hg spricht bei einem normalen Per- unter 0 mm Hg liegen. Auch der evtl. gemessene
fusionszeitvolumen der Herz-Lungen-Maschi- Wedge-Druck sollte während des Bypasses bei
ne für einen hohen peripheren Gefäßwider- ca. 0 mm Hg liegen.
stand. Durch eine Vertiefung der Narkose sowie
durch Vasodilatanzien, wie z. B. Nitroglycerin,
Urapidil oder Nitroprussidnatrium (→ S. 304), Urinausscheidung
kann der periphere Widerstand und damit der
arterielle Druck gesenkt werden. Falls der arte- Die Urinproduktion sollte nicht unter 1 ml/
rielle Perfusionsdruck trotz eines normalen kg KG/h abfallen. Eine unzureichende Diurese
oder erhöhten Perfusionszeitvolumens mit der kann z. B. Folge eines zu niedrigen HMV, eines
Herz-Lungen-Maschine unter 60 mm Hg ab- Volumenmangels oder einer tiefen Hypotonie
fällt, so scheint eine Drucksteigerung durch Va- sein. Kommt es zu einer starken Hämolyse (zu-
sopressoren wie Noradrenalin und/oder eine meist aufgrund einer mechanischen Schädi-
Senkung der Körpertemperatur notwendig. gung der Erythrozyten vor allem durch das Ab-
saugen des Blutes) mit einer Verfärbung des
Urins, so sollte die Diurese mit Furosemid (z. B.
EKG Lasix®) oder einem Osmodiuretikum wie Man-
nit gesteigert werden.
Während der Kardioplegie ist das Herz asysto-
lisch.
Beatmung

Neurologie Direkt nach Beginn der EKZ müssen die O2-


und CO2-Partialdrücke, der pH-Wert sowie die
Nach Herzoperationen mit der Herz-Lungen- Sauerstoffsättigung sowohl im arteriellen als
Maschine kann es vor allem durch Luftemboli- auch im zentral- oder gemischtvenösen Blut
sationen in den Hirnkreislauf oder durch Em- kontrolliert werden. Der arterielle pO2 liegt (bei
bolisation von losgelösten Gefäßplaques oder einer Beatmung mit ca. 50 % Sauerstoff) meist
Fettpartikeln in den Hirnkreislauf zu zerebralen bei 150–300 mm Hg (= 20–40 kPa), der ge-
Komplikationen kommen. Hierdurch kann es mischtvenöse pO2 (→ S. 201) sollte mindestens
zu neurologischen Ausfällen, einem apoplekti- 40 mm Hg (= 5,3 kPa) betragen. Eine Hyper-
schen Insult, einem verzögerten postoperativen ventilation ist zu vermeiden. Der arterielle
Erwachen, Verwirrtheitszuständen oder gar zu pCO2 sollte bei ca. 40 ± 4 mm Hg (= 5,3 kPa)
einem postoperativen Koma kommen. Sinnvoll liegen (Normoventilation). Die arterielle Sätti-
ist intraoperativ die wiederholte Kontrolle und gung muss mindestens 95 % betragen, der pH-
Dokumentation der Pupillenweite, die unter Wert sollte im Normbereich von 7,4 ± 0,04 lie-
Fentanyl-, Sufentanil- oder Remifentanilgabe gen. Eine metabolische Acidose (pH-Wert
beidseits eng sein muss. kleiner als 7,36 und Standardbicarbonat unter
22 mmol/l) ist meist Folge einer ungenügenden
Perfusion!
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 311

Relaxierung Beendigung der extrakorporalen


Zirkulation
Um den für die Operation notwendigen Still-
stand des Zwerchfells zu garantieren, ist auf eine Gegen Ende der Herzoperation wird mit der
ausreichende Relaxierung zu achten. Durch Wiedererwärmung des Patienten begonnen.
spontane Inspirationsversuche könnte im Ope- Bei einer zu schnellen Erwärmung kann es zu
rationsgebiet auch eine Luftembolie begünstigt einer starken Gefäßdilatation mit einem Abfall
werden. des arteriellen Drucks kommen, was den Ein-
satz von vasokonstringierenden Medikamenten
erforderlich machen kann.
Labor Nachdem der Operateur das Herz sorgfältig
entlüftet hat, wird die Aortenklemme (vgl. Abb.
Die Elektrolyte Natrium, Kalium und Calcium 5-20) entfernt. Das aus der HLM in die Aorta
sowie die Blutzuckerkonzentration müssen gepumpte Blut strömt nun auch in die Aorten-
mehrfach kontrolliert werden. Außerdem ist wurzel, und es kommt wieder zur Durchblutung
der Hb-Wert regelmäßig zu überprüfen. Wäh- der Koronararterien. Die sog. Reperfusions-
rend der extrakorporalen Zirkulation liegt er phase beginnt. Meist stellt sich innerhalb weni-
meist zwischen 20 und 30 %, er sollte jedoch ger Minuten wieder ein normaler Herzrhyth-
nicht unter 20 % abfallen. Bei einem Abfall un- mus ein. Bleibt jedoch ein Kammerflimmern
ter diesen Wert ist eine Bluttransfusion notwen- bestehen, muss das Herz durch direktes Aufle-
dig. gen von Defibrillatorelektroden mit ca. 10–30
Wattsekunden defibrilliert werden. Tritt wieder-
holt Kammerflimmern auf, so empfiehlt sich vor
Temperatur einer erneuten Defibrillation die Gabe von 5
mg/kg KG Amiodaron (Cordarex®) intravenös.
Während der EKZ wird der Patient über den
Wärmeaustauscher der HLM meist mehr oder Vor dem Abgehen von der HLM sollte die Blut-
weniger stark gekühlt. Inzwischen wird meist ! temperatur wieder auf > 35 °C angehoben wer-
nur noch eine milde Hypothermie (ca. 34 °C) den, die Blutgase, der pH-Wert sowie die Elektro-
durchgeführt. Etwa 10 Minuten vor Beendigung lyte sollten im Normbereich liegen (insbesondere
der EKZ wird die Körpertemperatur wieder auf die Kaliumkonzentration sollte > 4,0 mmol/l be-
den Normalwert angehoben. Durch Erniedri- tragen und auch für die Calciumkonzentration ist
gung der Körperkerntemperatur um jeweils ein Normalwert sicherzustellen). Wurde während
1 °C kann der Sauerstoffverbrauch des Körpers der extrakorporalen Zirkulation ein verdampfba-
um je ca. 7 % vermindert werden. Durch die res Inhalationsanästhetikum verwendet, so soll-
Hypothermie wird die Narkose vertieft bzw. der te es mindestens 15–20 Minuten vor Abgang von
Anästhetikabedarf wird vermindert. In tiefer der HLM abgestellt werden.
Hypothermie ist keine Narkotikagabe mehr
notwendig. Die Entwöhnung von der HLM, der „Abgang
Die Temperatur wird mittels einer ösophage- von der Maschine“, beginnt mit dem schrittwei-
alen und einer rektalen Temperatursonde über- sen Übergang zum partiellen Bypass. Im parti-
wacht. Daneben wird mit der HLM die Blut- ellen Bypass muss der Patient mit 100 % Sauer-
temperatur kontrolliert. stoff beatmet werden. Der venöse Rückfluss in
die HLM wird gedrosselt, das Herz muss einen
zunehmend größeren Anteil des Herzminuten-
volumens wieder übernehmen. Ist der vollstän-
dige Abgang von der HLM gelungen und sind
312 5  Anästhesie – spezieller Teil

die venöse sowie die arterielle Kanüle entfernt, ● HMV weitgehend normal, arterieller Druck
wird nach Rücksprache mit dem Operateur das weitgehend normal, ZVD hoch, Wedge-
Heparin mittels langsamer Protamininfusion Druck hoch:
antagonisiert (→ S. 309). ⇒ Die Gabe von Nitroglycerin (→ S. 304) ist
Der Abgang von der HLM kann je nach Myo- zu empfehlen.
kardfunktion wenige Minuten bis einige Stun- ● HMV hoch, Blutdruck niedrig, Gefäßwi-

den dauern. Während der Entwöhnung können derstand im großen Kreislauf niedrig:
unter Umständen erhebliche hämodynamische ⇒ Die Infusion von Noradrenalin ist indiziert.
Probleme auftauchen. Wichtig ist der direkte
Blick auf das schlagende Herz. Eine gezielte Un- Bei bradykarden Rhythmusstörungen kann
terstützung des Kreislaufs in dieser Situation ist auch die Gabe von Atropin, Orciprenalin oder
möglich, wenn der arterielle Druck, das Herz- eine Herzschrittmacherstimulation notwendig
minutenvolumen sowie der ZVD (und der werden. (Bei den Patienten werden meist intra-
Wedge-Druck) bekannt sind. Mithilfe dieser operativ passagere Schrittmacherelektroden am
Größen können außerdem die Gefäßwiderstän- Vorhof und am linken Ventrikel platziert. Die
de im Lungenkreislauf sowie im großen Kreis- elektrische Stimulation ist dann der medika-
lauf errechnet werden. Je nach Situation müssen mentösen Stimulation vorzuziehen.)
die folgenden Maßnahmen getroffen werden: Bleibt trotz einer differenzierten medikamentö-
● HMV niedrig, Blutdruck niedrig, ZVD nied- sen Therapie die Herzleistung zu niedrig (= low
rig, Wedge-Druck niedrig: cardiac output syndrome), kann zur Unter-
⇒ Dem Patienten muss Volumen zugeführt stützung des insuffizienten Herzens über die
werden. Falls bei einer solchen hämodyna- Arteria femoralis ein aufblasbarer Ballon in die
mischen Konstellation der Hb-Wert zu nied- thorakale Aorta eingeführt werden. Abhängig
rig ist, sollten (möglichst frische) Erythrozy- vom EKG wird dieser Ballon während der frü-
tenkonzentrate transfundiert werden. Ist es hen Diastole aufgepumpt und während der Sy-
zu einem starken Abfall der Thrombozyten- stole entleert. Dieser Ballon pulsiert entgegen-
zahl gekommen, kann auch die Gabe eines gesetzt zum Herzen; das Prinzip wird deshalb
Thrombozytenkonzentrats notwendig wer- als intraaortale Ballongegenpulsation be-
den (Thrombozytenverbrauch in der HLM zeichnet. Der in der frühen Diastole aufge-
und im extrakorporalen Kreislauf). Auch die pumpte Ballon verhindert den schnellen Ab-
Gabe von FFP (= fresh frozen plasma) kann fluss des in die Aorta ausgeworfenen Blutes und
notwendig werden. Eine übermäßige Blu- verbessert damit die koronare und zerebrale
tung kann verschiedene Ursachen haben Durchblutung. Kurz vor der Systole entleert
(→ S. 309), ist aber zumeist durch ein opera- sich der Ballon schlagartig, wodurch der Druck
tives Problem bedingt. in der Aorta plötzlich abfällt und die Nachlast
● HMV niedrig, Blutdruck niedrig, ZVD nor- (→ S. 297) und damit auch der Sauerstoffbedarf
mal oder erhöht, Wedge-Druck normal oder für das sich jetzt kontrahierende linke Herz re-
erhöht: duziert wird.
⇒ Die Gabe von Catecholaminen (z. B. Do-
butamin) zur Unterstützung der Herzleis­
tung ist notwendig. 5.12.5 Häufige Herzoperationen
● HMV niedrig, Gefäßwiderstand hoch, ZVD

hoch, Wedge-Druck hoch: Die häufigsten Operationen in der Herzchirur-


⇒ Die Gabe von Vasodilatatoren (z. B. Nitro- gie sind Operationen an arteriosklerotisch ver-
prussidnatrium; → S. 305) in Kombination engten (= stenosierten) Koronararterien. Im
mit Catecholaminen (z. B. Dobutamin) ist zu Bereich einer Gefäßstenose ist die Durchblu-
empfehlen. tung gedrosselt. Die maximal noch durch die
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 313

Stenose fließende Blutmenge reicht bei Belas­


tung nicht mehr aus, um die Herzmuskulatur
hinter der Stenose mit genügend Sauerstoff zu
versorgen. Folge dieser Mangeldurchblutung
des Herzmuskels sind pektanginöse Beschwer-
den oder schlimmstenfalls ein Herzinfarkt. Da
der Sauerstoffbedarf der Herzmuskulatur bei
einer Blutdrucksteigerung und vor allem bei ei-
ner Beschleunigung der Herzfrequenz erhöht
ist (→ S. 296), wird verständlich, dass bei diesen
Patienten stärkere Blutdruckanstiege und ins-
besondere Herzfrequenzsteigerungen zu ver-
meiden sind. Diese Stenosen der Koronararteri-
en können operativ dadurch behandelt werden,
dass mit einem autologen (= körpereigenen)
Venentransplantat (meist aus der Vena saphena
magna) oder einem autologen Arterientrans-
plantat (meist aus der linken Arteria radialis)
ein künstlicher Umgehungskreislauf (= Bypass)
von der Aorta zur poststenotischen Koronarar-
terie hergestellt wird (1 in Abb. 5-22). Diese
Operation wird als aortokoronarer Bypass (=
aorto-coronary bypass = ACB) bezeichnet. Es Abb. 5-22 Aortokoronarer Bypass (1) bei Stenosierung
kann auch eine direkte Anastomosierung zwi- der Arteria circumflexa
schen der Arteria mammaria interna und der
betroffenen Koronararterie durchgeführt wer-
den. das Blut vor der Mitralklappe, also im linken
Andere häufige Operationen in der Herzchirur- Vorhof, oder bis zurück in die Lungenstrom-
gie sind z. B. Operationen an veränderten bahn stauen. Folge einer Rückstauung bis in die
Herzklappen, insbesondere an der Aortenklap- Lungenstrombahn ist ein Lungenödem. Kommt
pe und der Mitralklappe. Meistens müssen die- es bei Patienten mit einer Mitralstenose zu einer
se veränderten Klappen entfernt und durch Beschleunigung der Herzfrequenz, so wird sich
Klappenprothesen ersetzt werden. die Symptomatik akut verschlechtern, denn bei
einer Herzfrequenzsteigerung wird vor allem
Die Mitralklappe ist die Herzklappe zwischen die Dauer der Diastole verkürzt (→ S. 297).

linkem Vorhof und linkem Ventrikel. Während der Hierdurch hat das Blut weniger Zeit, durch die
Diastole fließt das Blut durch die Mitralklappe aus enge Mitralklappe zu fließen und wird sich des-
dem linken Vorhof in den linken Ventrikel. halb stärker vor dem linken Herzen anstauen.
Durch eine Tachykardie können diese Patienten
Bei Patienten mit einer hochgradigen Veren- akut in ein Lungenödem kommen. Bei einer
gung der Mitralklappe (= Mitralstenose) kann Mitralinsuffizienz ist dagegen eine Bradykar-
das Blut während der Diastole nur noch unge- die zu vermeiden, da ansonsten während der
nügend vom linken Vorhof in den linken Ven- relativ langsamen Ventrikelsystole viel Blut in
trikel einströmen. In schweren Fällen wird sich den Vorhof zurückfließen kann.
314 5  Anästhesie – spezieller Teil

5.12.6 Minimalinvasive – off-pump coronary artery bypass (= OP-


Operationstechniken CAB) am schlagenden Herzen; Zugang
über mediane Sternotomie
Seit einigen Jahren kommen in der Kardiochir- ● Operationen an Aortenklappe, Mitralklappe

urgie zunehmend sog. minimalinvasive Techni- oder Vorhofseptum unter Verwendung der
ken zum Einsatz. Hierbei wird zum Teil am HLM bei Vermeidung einer kompletten Ster-
schlagenden Herzen ohne Einsatz der Herz- notomie (über eine Ministernotomie)
Lungen-Maschine operiert. Von minimalinva- ● thorakoskopische Präparation der Arteria

siver Herzchirurgie wird aber auch dann ge- mammaria


sprochen, wenn eine HLM eingesetzt, aber auf
eine komplette Durchtrennung des Brustbeins Vorteil der minimalinvasiven kardiochirurgi-
(= Sternotomie) verzichtet und der Thorax nur schen Techniken am schlagenden Herzen ist
minimal eröffnet wird. Unter einer nur mini- u. a., dass die Risiken der EKZ (z. B. zerebrale
malen Eröffnung des Thorax wird z. B. eine par- Mikroembolien, systemische Entzündungsre-
tielle Sternotomie oder eine Minithorakotomie aktionen durch Aktivierung von Mediatoren
(vor allem eine linksanteriore Minithorakoto- aufgrund des Kontaktes von Blutzellen mit den
mie = left-anterior small thoracotomy = LAST; inneren Oberflächen der Herz-Lungen-Maschi-
zumeist im vierten oder fünften Interkostal- ne, stärkere postoperative Beeinträchtigung der
raum links) verstanden. Minimalinvasive Ein- Lungen- und Nierenfunktion) vermieden wer-
griffe ohne HLM am schlagenden Herzen sind den können. Bei minimalinvasiven kardiochir-
nur bei Operationen an den Koronararterien urgischen Operationen sind jedoch zum Teil
möglich. Bei minimalinvasiven Eingriffen unter deutlich längere Operationszeiten zu beachten.
Verwendung der HLM ist fast das gesamte Da der Zugang zum Herzen bei diesen Tech­
Spektrum der kardiochirurgischen Operatio- niken begrenzt ist, müssen neue, herzferne Ka-
nen möglich. nülierungstechniken zum Anschluss an die
Insgesamt wird jedoch bisher erst ein geringer HLM eingesetzt werden (Zugang über die
Prozentsatz der kardiochirurgischen Operatio- Femoralgefäße durch den Chirurgen, zum
nen minimalinvasiv durchgeführt. Die Tendenz Teil Zugang über die Vena jugularis interna
ist allerdings steigend. In mehr als 75 % der Fäl- durch den Anästhesisten). Lediglich bei der
le handelt es sich hierbei um koronarchirurgi- partiellen Sternotomie ist noch eine direkte Ka-
sche Eingriffe. Zu den minimalinvasiven kar- nülierung der Aorta möglich. Bei minimalinva-
diochirurgischen Eingriffen gehören vor allem: siven Operationen am schlagenden Herzen
● koronarchirurgische Eingriffe: wird die Überwachung der Herzaktionen mit-
– minimalinvasive direkte koronararterielle tels transösophagealer Echokardiographie not-
Bypässe (= minimally invasive direct[-vi- wendig.
sion] coronary artery bypass = MIDCAB) Zumeist können die Patienten am Ende einer
am schlagenden Herzen; Zugang über minimalinvasiven koronarchirurgischen Ope-
LAST (= left anterior small thoracotomy; ration am schlagenden Herzen früh extubiert
→ oben). Für eine MIDCAB eignen sich werden (vgl. Fast-Track-Verfahren; → S. 315).
vor allem Patienten mit einer Stenose des Bei minimalinvasiven herzchirurgischen Ein-
Ramus interventricularis anterior der lin- griffen, vor allem denjenigen, die am schlagen-
ken Koronararterie. Um während der Ge- den Herzen (d. h. unter Umgehung der HLM)
fäßanastomose gute Operationsbedingun- durchgeführt werden, sollen die peri- und post-
gen zu ermöglichen, werden mechanische operative Morbidität und Mortalität geringer,
Haltesysteme verwendet, die im Bereich die Krankenhausverweildauer kürzer, der Blut-
der Anastomosennaht eine „mechanische verlust kleiner, die Nachbeatmungszeiten kür-
Ruhigstellung“ ermöglichen. zer und die Kosten niedriger sein.
5.12  Anästhesie in der Herzchirurgie 315

Bei minimalinvasiven Herzoperationen hat der schine gewechselt werden und damit wird auch
Anästhesist eine besonders große Verantwor- eine Vollheparinisierung notwendig.
tung und muss einen wichtigen Beitrag zum
Gelingen der Operation leisten. Dem Operateur
ist eine direkte Beurteilung und Befühlung des 5.12.7 Verlegung
Herzens deutlich erschwert. Der Anästhesist auf die Intensivstation
muss hämodynamische Störungen oder myo-
kardiale Ischämien sofort richtig erkennen, the- Unter kontinuierlichem Monitoring wird der
rapieren und dem Operateur mitteilen. An zu- Patient anschließend auf die Intensivstation
sätzlichem erweitertem Monitoring ist bei transportiert. Der Patient wird weiterhin anal-
minimalinvasiven kardiochirurgischen Eingrif- gesiert und sediert, bis Körpertemperatur und
fen vor allem die transösophageale Echokardio- Oxygenierung eine Entwöhnung vom Respira-
graphie zu nennen (→ S. 204). Während die tor zulassen. Es ist auch darauf zu achten, dass
TEE beispielsweise bei der konventionellen eine gute periphere Durchblutung vorliegt. Hä-
Klappenchirurgie wünschenswert ist, ist sie bei modynamisch instabile Patienten werden erst
minimalinvasiver Klappenchirurgie zwingend, dann von der Beatmung entwöhnt, wenn die
um Volumenstatus, Kontraktilität und evtl. Catecholamin- und Vasodilatanziendosis auf
Luftblasen erkennen zu können. ein vertretbares Maß reduziert werden konnten.
Im Rahmen der operationstechnisch bedingten In der Aufwachphase können durch Stresssitua-
Herzdislokation und beim Einsatz mechani- tionen erhebliche Kreislaufbelastungen auftre-
scher Stabilisationssysteme kann eine hämody- ten.
namische Instabilität auftreten. Zum Teil wird
auch eine Einlungenanästhesie (z. B. bei MID-
CAB-Operationen) zwingend notwendig. Eine 5.12.8 Fast-Track-Verfahren
entsprechende präoperative Überprüfung der
Lungenfunktion (Beurteilung von Lungenfunk- Während früher nach kardiochirurgischen
tionstests, Blutgasanalyse, Röntgenaufnahme Operationen meist routinemäßig eine postope-
des Thorax und eine ausführliche pulmonale rative Nachbeatmung bis zum nächsten Morgen
Anamnese) ist wichtig. durchgeführt wurde, wird in den letzten Jahren
Zur Narkoseeinleitung empfiehlt sich z. B. die versucht, diese Nachbeatmung zu verkürzen
Gabe von Sufentanil, Etomidat sowie eines nicht und die Patienten früh zu extubieren (innerhalb
depolarisierenden Relaxans (häufig Atracurium von ca. 1–6 Stunden nach Operationsende). Die
oder Vecuronium). Öfter wird für Operationen zunehmend häufigeren minimalinvasiven kar-
am schlagenden Herzen inzwischen auch das diochirurgischen Eingriffe sowie Änderungen
Opioid Remifentanil verwendet. Die Narkose des perioperativen anästhesiologischen Ma-
wird oft als IVA/TIVA weitergeführt. Zur Auf- nagements (Verwendung von Propofol plus
rechterhaltung der Narkose werden häufig auch Sufentanil oder Remifentanil) begünstigen
50 % O2, 50 % Luft bzw. N2O, Propofol plus eine ein solches Vorgehen. Dieses Vorgehen wird
thorakale PDA (Punktion vor allem bei Th5/6; in der Literatur als sog. Fast-Track-Verfahren
Injektionen von Bupivacain plus Sufentanil) („Schnellspurverfahren“) bezeichnet (→ S.
empfohlen. Die thorakale PDA ist bereits am 291).
Vortag anzulegen. Damit kann sichergestellt Durch eine frühzeitige Extubation können Risi-
werden, dass zwischen Punktion und intraope- ken einer Nachbeatmung vermieden (z. B. pul-
rativer Heparingabe ein ausreichendes Zeitin- monale Infekte) und es kann ein Beitrag zur
tervall besteht. Unter Umständen muss bei ope- Effektivitätssteigerung geleistet werden. Ziel des
rationstechnischen Problemen sogar auf eine Fast-Track-Verfahren ist es auch, die Verweil-
Operation unter Einsatz der Herz-Lungen-Ma- dauer des Patienten auf der Intensivstation so-
316 5  Anästhesie – spezieller Teil

wie die gesamte Krankenhausverweildauer zu Außerdem besteht bei einem Mehrfachver-


verkürzen. Eine zu frühzeitige Extubation kann letzten zusätzlich fast immer auch eine Hyp-
aber auch zu einer nachteiligen Stresssituation oxie.
mit erhöhtem myokardialem Sauerstoffbedarf ● Oligurie oder Anurie

führen. Wichtig ist daher eine richtige Patien- ● evtl. Gerinnungsstörungen

tenselektion, das heißt, es müssen diejenigen ● Hyperkaliämie (durch Acidose und Zerstö-

Patienten erfasst werden, die für eine Frühextu- rung von Zellen)
bation ohne Risikoerhöhung geeignet sind bzw.
solche Patienten erkannt werden, bei denen kei- Ganz entscheidend für den Behandlungserfolg
ne Frühextubation zu empfehlen ist. ! eines polytraumatisierten Patienten ist die opti-
male Organisation und Koordination der bei
der Diagnostik und Behandlung mitwirkenden
Helfer.
5.13 Polytraumatisierte
Patienten
5.13.2 Diagnostik
5.13.1 Allgemeine Bemerkungen Nach einer kurzen Anamneseerhebung durch
Befragen des begleitenden Notarztes oder einer
Unter einem Polytrauma (= einer Mehrfachver- evtl. Begleitperson muss sofort mit Diagnostik

letzung) werden gleichzeitig entstandene Verlet- und Therapie begonnen werden.
zungen mehrerer Körperteile verstanden, wobei
wenigstens eine oder die Kombination mehrerer
Verletzungen lebensbedrohlich ist. Anästhesiologische Untersuchung
Ein polytraumatisierter Patient kann die unter- Es sind die Vitalfunktionen Atmung und Herz
schiedlichsten Verletzungsmuster aufweisen. und Kreislauf zu beurteilen.
Trotzdem enden die auftretenden pathophysio-
logischen Veränderungen immer in einem Vo- Atmung:
lumenmangelschock mit all seinen Folgen. Bei ● normale Atmung?

Aufnahme eines Mehrfachverletzten in den ● unzureichende Atmung (= Ateminsuffizi-

Notfallbehandlungsraum bietet sich daher meist enz)?


folgendes Bild: ● Atemstillstand (= Apnoe)?

● Hypovolämie (= Volumenmangel)

● Hypotonie Kreislauf:
● Tachykardie ● normale Kreislaufverhältnisse?

● Acidose: ● Kreislaufverhältnisse wie im Volumenman-

Einerseits kommt es im Volumenmangel- gelschock


schock zu einer Störung der Mikrozirkulati- (das heißt niedriger Blutdruck und hohe
on mit Beginn einer anaeroben Glykolyse Herzfrequenz)?
und einem Anfall von Milchsäure (Lactat). ● Kreislaufstillstand?

Hierdurch entsteht eine metabolische Aci-


dose. Andererseits kommt es durch eine Während der Anästhesist sich sofort um die Si-
fast obligatorische Ventilationsstörung (z. B. cherung und Stabilisierung der Atmung und
durch eine schmerzbedingte Atemschonhal- des Herz-Kreislauf-Systems bemüht, sollte der
tung) zu einem CO2-Anstieg, wodurch eine Patient von einem Neurochirurgen und einem
zusätzliche respiratorische Acidose entsteht. Traumatologen kurz untersucht werden.
5.13  Polytraumatisierte Patienten 317

Neurologische Untersuchung 5.13.3 Versorgungsphasen


Bewusstsein:
● klar orientiert (= adäquat)?
Phase 1:
● somnolent (= schlaftrunkener Zustand, Sicherung der Vitalfunktionen
leicht weckbar)?
● soporös (= durch starke Reize nur kurzfristig Atmung:
erweckbar)? ● Freimachen der Atemwege:

● komatös (= Bewusstlosigkeit)? Beim bewusstlosen Patienten müssen ggf.


Fremdkörper aus Mund und Rachen entfernt
Die genaue Beurteilung und Überwachung der und durch Überstrecken des Kopfes ein Zu-
Hirnfunktion (z. B. mittels Glasgow-Koma-Ska- rückfallen der Zunge und eine Verlegung der
la) sowie die Einteilung des Schädel-Hirn-Trau- oberen Luftwege verhindert werden (→ S.
mas in unterschiedliche Schweregrade (SHT I°, 323). (Besteht jedoch der Verdacht auf eine
II°, III°) wird im Kapitel über Intensivmedizin Halswirbelsäulenverletzung, dann darf die
(Überwachung der Hirnfunktion; → S. 407) be- Kopflagerung möglichst nicht wesentlich
schrieben. Es ist zu klären, ob der Verdacht auf verändert werden.)
ein Schädel-Hirn-Trauma (= SHT), auf ein ● Sicherstellung einer ausreichenden Venti­

Hirnödem oder eine Hirnblutung besteht? Sind lation:


die Pupillenreflexe normal? Daneben gehört Hierbei gilt:
zur orientierenden neurologischen Untersu-
chung noch die Frage nach einer möglichen Jeder polytraumatisierte Patient sollte intu-
(Hals-)Wirbelsäulenverletzung oder gar Quer- ! biert werden!
schnittslähmung sowie nach peripheren Ner-
venverletzungen. Kann der Patient die Beine Die Gründe für die Intubation sind vielfältig.
bewegen? Hat er eine intakte Sensibilität in den Oft besteht eine Verletzung des knöchernen
Beinen? Bei einer Querschnittslähmung sind Thorax (z. B. Rippenserienfraktur), eine Lun-
Motorik und Sensibilität in den Beinen ausge- genkontusion oder die Gefahr einer Aspiration
fallen. Die Beine sind warm, die Gefäße unter- (→ S. 211), da der Patient (z. B. aufgrund eines
halb der Querschnittshöhe weitgestellt (quer- Schädel-Hirn-Traumas) bewusstlos ist. Oft ha-
schnittsbedingte Gefäßweitstellung). ben die Patienten bereits am Unfallort erbro-
chenen Mageninhalt aspiriert. Außerdem haben
diese Patienten meist schmerzbedingt eine
Traumatologische Untersuchung deutliche Atemschonhaltung. Daneben ist aus
der Erfahrung bekannt, dass aufgrund des
Die Frage nach Knochenbrüchen, nach einem Schockzustandes bei Mehrfachverletzten sich
Pneumo- oder Hämatothorax, einer intraabdo- bald pulmonale Probleme einstellen (Schock-
minalen Blutung oder einer retroperitonealen lunge). Dies alles sind Gründe, den Patienten
Blutung ist zu klären. Verletzungen der Wirbel- zu intubieren. Bestehen keine Kontraindikatio-
säule sind auszuschließen. Besteht auch nur der nen, z. B. ein SHT mit Verdacht auf einen er-
Verdacht auf eine intraabdominale Blutung höhten intrakraniellen Druck (→ S. 267), so
(z. B. stumpfes Bauchtrauma, zunehmender sollte der Patient mit PEEP beatmet werden.
Bauchumfang, zunehmende Bauchdeckenspan- Bei der Intubation ist stets davon auszugehen,
nung), so muss umgehend eine Sonographie dass der Patient nicht nüchtern ist, deshalb
des Bauchraumes durchgeführt werden. Bei po- muss eine sog. Ileuseinleitung (→ S. 210) durch-
sitivem Befund sind eine sofortige Laparotomie geführt werden. Wegen der meist besonderen
und operative Blutstillung angezeigt. Dringlichkeit zur Intubation oder dem häufigen
318 5  Anästhesie – spezieller Teil

Verdacht auf einen erhöhten intrakraniellen ter (z. B. ein Shaldon-Katheter) in der Vena
Druck (SHT?) muss auf das Legen einer Ma- subclavia oder Vena femoralis platziert wer-
gensonde vor (!) Intubation zumeist verzichtet den.
werden. Vor Narkoseeinleitung sollte aber eine ● sofort (!) Beginn der Volumensubstitution (!),

adäquate Volumentherapie bereits begonnen auch dann, wenn der Blutdruck noch schein-
werden, um drastische Blutdruckabfälle durch bar ausreichend ist und keine großen äuße-
die Narkosemedikamente zu vermeiden. ren Blutungen erkennbar sind (innere Blu-
Prinzipiell müssen bei Patienten im Schock die tungen?!, Weichteilblutungen?!):
Medikamente vorsichtig dosiert werden. Au- Es handelt sich dann meist um einen durch
ßerdem muss auf blutdrucksenkende Medika- maximale Kreislaufzentralisation gerade
mente (z. B. Propofol, Inhalationsanästhetika) noch kompensierten Schockzustand, der je-
verzichtet werden. Die Narkose wird meist mit derzeit dekompensieren kann!
einem Hypnotikum wie Etomidat oder Thio- ● sofort (!) Abnahme von Kreuzblut

pental eingeleitet und mit Sauerstoff/Luft, ei- zur Bestimmung der Blutgruppe und Anfor-
nem Opioid (z. B. Fentanyl oder Sufentanil), ei- derung von mindestens 6–8 vorerst noch un-
nem nicht depolarisierenden Relaxans (z. B. gekreuzten Blutkonserven. Nur in absolut
Rocuronium, Vecuronium) und einem Hypno- lebensbedrohlichen Ausnahmefällen sollten
tikum (z. B. Midazolam) aufrechterhalten. Bei als „Universalspenderblut“ Erythrozyten-
Patienten mit starker Hypotonie kann die Intu- konzentrate der Blutgruppe 0 Rhesus-nega-
bation auch nach intravenöser Gabe von tiv transfundiert werden (→ S. 141). In der
Ketamin durchgeführt werden. Hierbei bleibt Regel können jedoch einige Minuten abge-
ein weiterer Blutdruckabfall normalerweise wartet werden, bis die Blutgruppe festgestellt
aus. und ungekreuztes, blutgruppengleiches Blut
bereitgestellt ist. Dies ist bei guter Organisa-
Kreislauf: Die einzige kausale Therapie des vor- tion innerhalb von wenigen Minuten mög-
liegenden Volumenmangelschocks ist die Volu- lich! Bis dahin sollten vor allem Plasmaer-
mengabe! Nur damit ist eine Normalisierung satzmittel wie Hydroxyethylstärke (= HES)
des Kreislaufs, eine kausale Therapie der meta- zur Anwendung kommen (→ S. 135). Trans-
bolischen Acidose sowie ein Wiedereinsetzen fusionen und Infusionen müssen mithilfe
der Urinausscheidung zu erwarten. Ebenso eines Druckbeutels vorgenommen werden.
kann drohenden Gerinnungsstörungen am
besten dadurch vorgebeugt werden, dass der Bei einer evtl. notwendigen Massivtransfusi-
Volumenmangelschock schnell unterbrochen ! on ist daran zu denken, dass Erythrozytenkon-
wird. Daher gilt: zentrate keinerlei funktionsfähige Thrombozy-
ten mehr enthalten und eine verminderte Akti-
Sofortige großzügige vität vor allem der Gerinnungsfaktoren V und
! Volumengabe! VIII aufweisen.

Bei jedem Mehrfachverletzten müssen folgende ● Es muss deshalb frühzeitig zusätzlich FFP (=
Maßnahmen erfolgen: fresh frozen plasma; enthält Gerinnungs­
● sofort (!) EKG und Pulsoxymeter anschlie- faktoren; → S. 138) und manchmal gegen
ßen Ende der operativen Blutstillung Thrombo-
● sofort (!) Blutdruck messen zytenkonzentrat transfundiert werden, um
● sofort (!) mehrere, möglichst großlumige pe- einer Entgleisung der Blutgerinnung vorzu-
riphervenöse Zugänge legen: beugen.
Bei schlechten peripheren Venenverhältnis-
sen sollte frühzeitig ein großlumiger Kathe-
5.13  Polytraumatisierte Patienten 319

● sofort (!) Abnahme von Laborwerten wie Die Ausräumung eines epiduralen Hämatoms
Na, K, Hb, Hkt, Quick-Wert, PTT, Thrombo- wäre sinnlos, wenn der Patient inzwischen an
zyten, BZ seiner Milzruptur verblutet. Sofort anschlie-
ßend muss dann das epidurale Hämatom entlas­
Bei einer akuten Blutung sind Hb- und Hkt- tet werden.
! Wert keine zuverlässigen Parameter für das Im Anschluss an diese lebensrettenden Notope-
Ausmaß des Blutverlustes. Sie sind bei akuten rationen wird eine ausführliche röntgenologi-
Blutungen oft falsch hoch! Aussagekräftiger sche Diagnostik durchgeführt. Besteht der Ver-
ist zumeist ein Blick in die anämische Binde- dacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma, so muss,
haut (Konjunktiva) des Patienten (!). sobald die Vitalfunktionen einigermaßen stabi-
lisiert sind, ein kranielles Computertomo-
● Möglichst bald sollte eine arterielle Blut- gramm (= cranial computerized tomography =
druckmessung (→ S. 191) angelegt und eine CCT) durchgeführt werden. Die Frage nach ei-
arterielle Blutgasanalyse abgenommen wer- nem therapiebedürftigen Hirnödem oder nach
den. einer operativ angehbaren intrakraniellen Blu-
● Möglichst bald sollte ein Dauerkatheter ge- tung oder nach einer Verletzung der Halswir-
legt werden, um die Urinausscheidung und belsäule muss beantwortet werden. Bereits im
damit die Suffizienz der Volumentherapie Zweifelsfalle müssen Manipulationen unterlas-
beurteilen zu können. sen werden, die den intrakraniellen Druck stei-
● Das Platzieren eines Kavakatheters ist wün- gern könnten und Maßnahmen durchgeführt
schenswert, aber zweitrangig (→ S. 185). Bei werden, die zu einem Abfall des intrakraniellen
schlechten Kreislaufverhältnissen bietet Drucks führen (vgl. dazu die ausführliche Dar-
hierbei die Punktion der Vena subclavia die stellung im Kapitel „Intrakranieller Druck“ auf
besten Erfolgsaussichten (→ S. 188). Treten S. 267). Das knöcherne Skelett sowie die Lunge
trotz ausreichender Volumenzufuhr unklare müssen geröntgt werden. Ergeben sich hieraus
Kreislaufprobleme auf, muss stets auch an keine neuen operativen Konsequenzen, so wird
die Möglichkeit eines Spannungspneumo- der Patient auf eine operative Intensivstation
thorax gedacht werden. zur Stabilisierung seines Zustandes verlegt.

Phase 2: Phase 3:
lebensrettende Notoperationen Stabilisierungsphase
Liegen Verletzungen vor, die eine endgültige Alle anderen nicht unmittelbar lebensbedrohli-
Stabilisierung der Vitalfunktionen Atmung und chen Verletzungen sollten erst operiert werden,
Kreislauf nicht erlauben, z. B. ein Pneumotho- wenn sich der Zustand des Patienten durch eine
rax oder eine Milzruptur, so müssen entspre- entsprechende intensivmedizinische Therapie
chende lebensrettende Eingriffe (Thoraxdraina- (ca. zweiter bis vierter Tag) stabilisiert hat (=
ge bzw. Milzexstirpation) ohne jegliche Ver­- Stabilisierungsphase).
zögerungen (1. Tag) durchgeführt werden.

Liegen mehrere lebensbedrohliche Verletzungen Phase 4:


! vor, z. B. eine Milzruptur und ein epidurales Häm­
zweite Operationsphase
atom, so haben die kreislaufstabilisierenden Maß-
nahmen – falls ein gleichzeitiges Operieren von 2 Hat sich der Zustand des Patienten stabilisiert,
Operationsteams nicht möglich ist – den Vorrang. so wird er – im Rahmen der zweiten Operati-
onsphase (ca. fünfter bis zehnter Tag) – von der
320 5  Anästhesie – spezieller Teil

Intensivstation in den Operationssaal gebracht. Phase 5:


Als Narkoseform ist die (T)IVA das Verfahren Erholungsphase
der Wahl, wobei meist ein enormer Medika-
mentenverbrauch auffällt. Aufgrund der inzwi- Die Erholungsphase umfasst das Ausschleichen
schen längeren Immobilisation und der oft gro- der intensivmedizinischen Therapie sowie die
ßen Muskelverletzungen verbietet sich im Falle Entwöhnung vom Beatmungsgerät.
einer notwendig werdenden „Ileuseinleitung“
die Anwendung von Succinylcholin (→ S. 73).
Als Relaxans sollte Rocuronium verabreicht
werden.
321

6  Aufwachraum

6.1 Allgemeine Bemerkungen werden musste, ob der Verdacht auf einen Me-


dikamentenüberhang besteht, welche Infusio-
Nach Beendigung der Narkose wird der Patient nen der Patient im Aufwachraum erhalten soll,
vom Operationstisch in ein frisches, möglichst welche Schmerzmedikation er bei Bedarf erhal-
vorgewärmtes Bett gelegt und darin in den Auf- ten kann und was die Aufwachraumschwester
wachraum gefahren. Der Aufwachraum sollte bei diesem Patienten besonders zu beachten
sich in enger räumlicher Verbindung zum Ope- hat.
rationstrakt befinden und untersteht der Anäs- Nach der Übernahme des Patienten muss sich
thesie. Im Aufwachraum werden die Patienten die Pflegekraft im Aufwachraum selbst einen
so lange überwacht, bis sie wach und wieder im Eindruck vom Patienten verschaffen. Insbeson-
Vollbesitz ihrer Schutzreflexe sind und eine Ge- dere muss sie den Wachheitsgrad (= die Vigi-
fährdung durch eine narkose- oder operations- lanz) des Patienten, die Effektivität seiner Spon-
bedingte Atmungs- oder Kreislaufproblematik tanatmung sowie seine Kreislaufsituation und
ausgeschlossen werden kann. Im Normalfall seine Hautbeschaffenheit (Zyanose, zentralisiert
beläuft sich der Aufenthalt im Aufwachraum und kalt?) kontrollieren.
auf mindestens 30 Minuten bis höchstens ca. 3
Stunden. Anschließend werden die Patienten
wieder auf ihre jeweilige Station gebracht. In
problematischen Fällen sollte der Patient auf 6.3 Wachheitsgrad
eine Intensivstation verlegt werden.
Der Wachheitsgrad kann folgendermaßen un-
terteilt werden:
● wach und adäquat:
6.2 Übernahme des Patienten Der Patient ist wach und kommt Aufforde-
rungen korrekt nach.
Bei der Übernahme eines Patienten in den Auf- ● somnolent:

wachraum muss eine „Übergabe“ des Patienten schlaftrunkener Zustand. Der Patient kann
stattfinden; das heißt, der für die Narkose ver- leicht erweckt werden. Wird er in Ruhe ge-
antwortliche Anästhesist berichtet der für den lassen, so schläft er wieder ein.
Aufwachraum zuständigen Pflegekraft bzw. ● soporös:

dem zuständigen Arzt, welche Operation und Nur auf lautes Zurufen versucht sich der Pa-
welches Narkoseverfahren durchgeführt wur- tient kurz zu orientieren. Auf Schmerzreize
den und welche Probleme während der Narko- reagiert er mit gezielten Abwehrbewegun-
se aufgetreten sind. Wichtig ist auch zu berich- gen. Er ist aber unfähig zu jeglicher sponta-
ten, an welchen Nebenerkrankungen der Patient nen Aktivität.
leidet. Besonderer Erwähnung bedarf es, ob bei ● komatös:

dem Patienten z. B. ein Opioid oder ein nicht Der Patient ist bewusstlos.
depolarisierendes Muskelrelaxans antagonisiert
322 6  Aufwachraum

6.4 Atmung Die Pupillen sind typischerweise eng (steckna-


delkopfgroße Pupillen; → S. 8). Der Patient gibt
an, keine Schmerzen zu haben. Bei Verdacht auf
6.4.1 Überwachung
einen Opioidüberhang muss der verantwort­
Die Überwachung der Atmung erfolgt klinisch liche Anästhesist informiert werden, der über
und wünschenswerterweise auch apparativ- eine evtl. notwendige Antagonisierung des
technisch mithilfe der Pulsoxymetrie und bei Opioids (→S. 61) entscheiden muss. Patienten,
drohender Apnoe (z. B. Frühgeborene) auch bei denen ein Fentanyl- oder Sufentanilüber-
mittels Apnoematratze oder mittels Bioimpe- hang antagonisiert wurde, sollten mindestens
danzverfahren. Beim Bioimpedanzverfahren noch 2 Stunden im Aufwachraum verbleiben,
können über die EKG-Elektroden atemabhän- denn in seltenen Fällen kann nach Wirkungs-
gige Widerstandsänderungen des Thorax und ende des Antidots (= Gegenmittels) der Opioid-
damit die Atemfrequenz erfasst werden (→ S. überhang erneut auftreten. Nach Verwendung
404; Überwachung der Atmung). des ultrakurz wirkenden Remifentanils ist ein
postoperativer Überhang weitgehend ausge-
schlossen.
6.4.2 Ursachen unzureichender
Atmung
Relaxansüberhang?
Ein Opioidüberhang (z. B. Fentanyl) sowie ein
Überhang an Muskelrelaxanzien sind häufige Bei einem noch anrelaxierten Patienten ist die
Ursachen einer unzureichenden postoperativen Kraft der Atemmuskulatur unzureichend, au-
Spontanatmung des Patienten. ßerdem droht in Rückenlage die Zunge auf-
grund des schlaffen Muskeltonus nach hinten
zu fallen und die oberen Luftwege zu verlegen.
Opioidüberhang? Bei der Aufforderung, die Augen ganz zu öff-
nen, wird ein noch anrelaxierter Patient die
Die Aufwachraumschwester muss sich stets Stirn runzeln, versucht also unter Mithilfe der
darüber informieren, wann der Patient das letz- Stirnmuskulatur die Augen zu öffnen. Der Auf-
te Mal ein Opioid (z. B. Fentanyl) erhalten hat. forderung, die Hand zu drücken, den Kopf
Mit einer Atemdepression nach Fentanyl oder hochzuheben oder die Zunge herauszustrecken,
Sufentanil muss gerechnet werden, wenn die kann der Patient nur andeutungsweise nach-
letzte Opioidgabe weniger als 30 Minuten zu- kommen.
rückliegt, die letzte Fentanyl- oder Sufentanil-
dosis mehr als 0,1 mg bzw. 15 µg betrug oder Der Atemtypus ist eher tachypnoisch mit kleinen
während der Operation eine relativ hohe Ge- ! Atemzugvolumina.
samtdosis an Opioid verabreicht wurde. Auf di- Zumeist sind die Patienten sehr unruhig und ma-
rekte Aufforderung atmen diese Patienten kurz- chen ungezielte, unkoordinierte Bewegungen.
fristig tief durch.
Bei Verdacht auf einen Relaxansüberhang muss
Wird ein Patient mit Opioidüberhang ganz in der verantwortliche Anästhesist informiert wer-
! Ruhe gelassen, so hat er eine sehr langsame den, der über eine evtl. notwendige Antagoni-
Atem­frequenz mit relativ großem Atemzugvolu- sierung (→ S. 71) entscheiden muss.
men oder er „vergisst“ gar ganz zu atmen und
„schläft“ ein.
6.4  Atmung 323

Überhang an Narkosegas?
Bei Patienten mit einem Isofluran-, Sevofluran-
oder Desfluranüberhang kann die Bewusst-
seinslage von somnolent bis bewusstlos (→ S.
321) reichen.

Der Atemtypus ist eher tachypnoisch mit kleinen


! Atemzugvolumina. Die Ausatemluft weist den ty-
pischen Geruch nach Narkosegas auf.

Bei bewusstlosen Patienten kann es in Rücken-


lage zu einer Verlegung der oberen Luftwege
durch die zurückfallende Zunge kommen.

Abb. 6-1 Verlegung der oberen Luftwege durch zurück-


Verlegung der oberen Luftwege? gefallene Zunge

Bei Patienten mit Operationen im Halsbereich,


wie z. B. einer Strumektomie, kann es postope-
rativ zu einer Einengung der oberen Luftwege
und vor allem einem inspiratorischen Stridor
aufgrund einer Schwellung, eines Hämatoms
oder einer intraoperativen Nervenverletzung
kommen. Bei einer erschwerten Atmung sind
der Operateur und der Anästhesist zu informie-
ren, ggf. muss z. B. ein Hämatom operativ aus-
geräumt werden. Bei einem starken Ödem ist
unter Umständen die Gabe eines abschwellen-
den Medikamentes notwendig (z. B. 250 mg
Solu-Decortin®-H i. v.). Bei bewusstlosen Pati-
enten oder bei Patienten mit einem Medika-
mentenüberhang (z. B. Relaxansüberhang) kann
es in Rückenlage zu einem Zurückfallen der Abb. 6-2 Freie obere Luftwege bei überstrecktem Kopf
Zunge und damit zu einer teilweisen oder tota-
len Verlegung der oberen Luftwege kommen
(vgl. Abb. 6-1). Durch Überstre­ckung des Kop- Häufig ist der Esmarch-Handgriff auch wirk-
fes und Anwendung des sog. Esmarch-Hand- sam, wenn die ungenügende Atmung nicht
griffs wird die Zunge von der Rachenhinter- durch eine Verlegung der oberen Luftwege,
wand abgehoben (vgl. Abb. 6-2), und der Patient sondern z. B. durch eine opioidbedingte Atem-
kann wieder frei durchatmen. depression verursacht ist. Da der Esmarch-
Handgriff bei kräftiger Anwendung sehr unan-

Beim Esmarch-Handgriff wird mit den am Un- genehm ist, führt er in diesem Fall zu einer
 terkieferwinkel angreifenden Zeige- und Mittelfin- schmerzbedingten Ventilationssteigerung. An-
gern der Unterkiefer hochgezogen und hierdurch schließend muss dann ggf. der Opioidüberhang
gleichzeitig der Kopf überstreckt. Zusätzlich wird antagonisiert werden.
mit beiden Daumen gegen das Kinn gedrückt und Auch durch das Einführen eines Wendl-Tubus
so der Mund geöffnet (vgl. Abb. 6-3). (= Nasopharyngealtubus; Abb. 6-4) kann ein
324 6  Aufwachraum

Abb. 6-3 Durchführung des Esmarch-Handgriffs

Abb. 6-5 Sauerstoffsprudler (1) mit Sauerstoffleitung


(2) und konnektierter Nasensonde (3), die ein Schaum­
stoffschwämmchen (4) an der Spitze aufweist

Das Einführen eines Guedel-Tubus (→ S. 90)


sollte vermieden werden, da dieser zu einer we-
sentlich stärkeren Reizung des Zungengrundes
und der Rachenwand führt und evtl. einen
Würge- und Brechreiz auslösen kann.
Sind die Schutzreflexe eines Patienten noch
Abb. 6-4 Eingeführter Wendl-Tubus. 1 = Verstellbare nicht zurückgekehrt, so sollte er, falls es die
Ringplatte zur Fixierung des Wendl-Tubus. Operation erlaubt, in eine flache Seitenlage ge-
bracht werden. Hierdurch kann einer Verlegung
der oberen Luftwege durch die zurückfallende
Offenhalten der oberen Luftwege erzielt wer- Zunge sowie einer Aspiration im Falle eines Er-
den. Der Wendl-Tubus muss über den unteren brechens vorgebeugt werden.
Nasengang, also nach dorsal (und nicht nach Nach Überprüfung der Spontanatmung erhält
kranial-dorsal!) so weit vorgeschoben werden, normalerweise jeder Patient im Aufwachraum
wie es dem Abstand Ohr – Nasolabialfalte (Na- über eine Nasensonde ca. 2 Liter O2/min. Der
sen-Mund-Falte) des Patienten entspricht. Bei Sauerstoff sollte über einen Sprudler angefeuch-
korrekter Lage des Wendl-Tubus ist eine deutli- tet werden (vgl. Abb. 6-5). Ein zu hoher Sauer-
che Luftströmung am Ende des Tubus zu hören. stofffluss ist für den Patienten unangenehm und
Durch eine verstellbare Ringplatte, die nach führt sehr schnell zum Austrocknen der Luft-
korrekter Positionierung bis an den Nasenein- wege. Mehr als ca. 6 Liter O2/min über eine Na-
gang vorgeschoben wird, kann der Wendl-Tu- sensonde sind sinnlos (entweicht über Mund
bus in dieser Position fixiert werden. und Nase)! Die Nasensonde wird mit dem
6.5  Kreislauf 325

Schwämmchen nur in den Naseneingang einge- 6.5.2 Komplikationen


führt. Das Schwämmchen ermöglicht einen gu-
ten Halt der Sonde in der Nase und verhindert Frequenz- und Blutdruckanstieg
auch, dass der Sauerstoff großteils wieder sofort
aus der Nase strömt. Frequenz- und Blutdruckanstieg in der unmit-
Bei Patienten mit schwerem chronischem Lun- telbaren postoperativen Phase haben ihre Ursa-
genleiden (mit niedrigem paO2, hohem paCO2 = che meist im Auftreten von Wundschmerzen
Globalinsuffizienz; → S. 346) wird bei der Sauer- und machen eine Schmerztherapie nötig (→ S.
stoffgabe oft zur Vorsicht gemahnt. Diese Pati- 328). Daneben können aber auch eine überfüll-
enten sollen sich an ihre pathologisch hohe te Blase sowie eine Ventilationsstörung mit
CO2-Konzentration gewöhnt haben, und der Hypoxie und Hyperkapnie einen Blutdruck-
Atemantrieb soll bei ihnen nicht mehr über ei- und einen Frequenzanstieg verursachen. Insbe-
nen erhöhten CO2-Wert, sondern über ihren sondere nach Narkosen, bei denen nur das sehr
gleichzeitig erniedrigten O2-Wert erfolgen. Die- kurz wirksame Opioid Remifentanil verwendet
se Behauptung scheint jedoch nicht zuzutreffen. wurde, treten im Aufwachraum meist frühzeitig
Auch bei diesen Patienten wird der Atemantrieb starke Schmerzen auf.
offensichtlich über den pH-Wert reguliert.

Wird Patienten mit schwerem chronischem Lun- Frequenzanstieg und


! genleiden Sauerstoff verabreicht, so könnte ih-
Blutdruckabfall
nen der Atemantrieb genommen werden. Sauer-
stoff soll bei diesen Patienten also unter Umstän- Frequenzanstieg und Blutdruckabfall sind meist
den atemdepressiv wirken! Bei notwendiger Sau- Ausdruck eines intravasalen Volumenmangels.
erstoffgabe ist also eine engmaschige Überwa- Ursachen können eine ungenügende intraope-
chung dieser Patienten wichtig. rative Volumenzufuhr oder eine postoperative
Nachblutung sein. Hinweise hierauf können ne-
ben der Frequenzsteigerung und dem Blut-
druckabfall ein niedriger ZVD, eine geringe
6.5 Kreislauf Urinproduktion von weniger als 1 ml/kg KG/h,
eine schnelle Füllung der Redonflaschen, eine
Zunahme des Bauchumfangs nach Bauchopera-
6.5.1 Kontrolle tionen, anämische Bindehäute (!) sowie ein
niedriger Hb- und Hkt-Wert sein. Der zustän-
Die Kontrolle des Kreislaufes erfolgt idealerwei- dige Anästhesist und ggf. der Operateur müs-
se mittels oszillometrischer Blutdruckmessung sen benachrichtigt werden. Eine Blutung in die
(z. B. Dinamap®-Gerät) oder ersatzweise an- Bauchhöhle kann mittels Ultraschalluntersu-
hand der auskultatorischen Blutdruckmessung. chung bestätigt oder ausgeschlossen werden!
Bei kritisch kranken Patienten sollte auch im Eine Volumengabe und evtl. eine Reoperation
Aufwachraum eine bereits intraoperativ vorge- sind notwendig.
nommene arterielle Blutdruckmessung oder
ZVD-Kontrolle vorübergehend weitergeführt
werden. Im Folgenden sollen kurz die häufig- Blutdruckanstieg
sten Komplikationen vonseiten des Kreislaufes
besprochen werden. Manchmal treten postoperative Blutdruckan-
stiege auf, bei denen keine Schmerzreaktion,
keine Ventilationsstörung, keine überfüllte Bla-
se und keine Übertransfusion oder Ähnliches
326 6  Aufwachraum

als Ursache infrage kommt. Oft handelt es sich Darreichungsform:


um Patienten mit bekanntem Hochdruckleiden, ● z. B. Nitrolingual
®
Kapseln à 0,8 mg; 1–2
bei denen manchmal eine medikamentöse Blut- Kapseln sublingual
drucksenkung notwendig wird. Dazu eignen oder Nitrolingual® Spray: 1 Sprayhub à 0,4
sich folgende Medikamente: mg; 1–3 Sprayhübe in die Mundhöhle bei
● Urapidil angehaltenem Atem
● Nitrendipin ● evtl. Nitroglycerin (Trinitrosan -)Injekti-
®

● Nitroglycerin onslösung: 1 Ampulle mit 1 ml = 5 mg:


● Dihydralazin Es hat sich eine Verdünnung 1 : 100 bewährt.
● Clonidin 1 ml = 5 mg wird mit 9 ml NaCl 0,9 % ver-
● β-Rezeptoren-Blocker dünnt. 9 ml dieser Mischung werden ver-
worfen. Der verbleibende 1 ml = 0,5 mg wird
wiederum mit 9 ml NaCl 0,9 % verdünnt. 1
Medikamente zur Blutdrucksenkung ml enthält nun 0,05 mg Nitroglycerin.

Urapidil (Ebrantil®) Dosierung: 0,05–0,1 mg intravenös (= 1–2 ml


Wirkung: Urapidil wirkt über eine Blockade der dieser Verdünnung); ggf. mehrere Wiederho-
Alpharezeptoren vor allem auf das arterielle lungsdosen
Gefäßsystem dilatierend und bewirkt dadurch
einen Blutdruckabfall. Urapidil führt zu keiner Dihydralazin (Nepresol®)
reflektorischen Tachykardie. Wirkung: Dihydralazin bewirkt eine Tonusver-
minderung vor allem der Arteriolen und damit
Darreichungsform: 1 Ampulle à 5/10 ml zu eine Blutdrucksenkung.
25/50 mg; 1 ml = 5 mg
Nebenwirkungen: Tachykardie
Dosierung: Initial werden meist 10–25 mg in-
travenös verabreicht. Gegebenenfalls kann nach Darreichungsform: 1 Ampulle mit 25 mg
ca. 5 Minuten eine Wiederholungsdosis erfol-
gen. Dosierung: ₁₄⁄ –½ Ampulle intravenös; ggf. eine
Wiederholungsdosis
Nitrendipin (Bayotensin®)
Indikation: Nitrendipin ist ein Calciumkanal- Clonidin (Catapresan®)
blocker und eignet sich vor allem bei älteren Wirkung: Clonidin blockiert die Alpharezepto-
Patienten zur Hochdruckbehandlung. ren (→ S. 301, 336) und verursacht damit eine
Blutdrucksenkung. Clonidin sollte nur bei
Darreichungsform: Phiole à 5 mg schwer behandelbaren Hypertensionen verab-
reicht werden. Es wird auch bei einem hyper-
Dosierung: Zum sofortigen Wirkungsbeginn tensiven Notfall empfohlen (→ S. 523).
sollte der Inhalt der Phiole unter der Zunge aus-
gedrückt werden. Die Wirksubstanz wird sub- Nebenwirkungen: Bradykardie
lingual resorbiert.
Darreichungsform: 1 Ampulle = 1 ml = 0,15 mg
Nitroglycerin (→ S. 304)
Indikation: Nitroglycerin eignet sich vor allem Dosierung: 1 Ampulle = 0,15 mg sollten auf 10
bei Patienten mit zusätzlicher Koronarsklerose ml verdünnt werden. Davon 5 ml = 0,075 mg =
zur Blutdrucksenkung. 75 µg intravenös.
6.6  Sonstige Maßnahmen 327

β-Rezeptoren-Blocker (z. B. Esmolol; Brevibloc® 6.6 Sonstige Maßnahmen


– Metoprolol; Beloc®)
Wirkungen: Esmolol und Metoprolol sind kar-
dioselektive β-Rezeptoren-Blocker (die nur 6.6.1 Allgemeine pflegerische
über Beta-1-Rezeptoren wirken) und die Beta- Maßnahmen
2-Rezeptoren des Bronchialsystems nicht rele-
vant beeinflussen. Brevibloc® ist durch einen Sind der Wachheitszustand, die Atmung sowie
schnellen Wirkungsbeginn und eine ultrakurze die Kreislaufsituation des Patienten überprüft
Wirkdauer gekennzeichnet. Die Wirkdauer be- und als zufriedenstellend befunden, wird dem
trägt nur wenige Minuten, da die Substanz Patienten ein frisches Flügelhemd angezogen
schnell (durch Esterasen) gespalten wird. und er wird warm zugedeckt.

Indikationen: β-Rezeptoren-Blocker eignen sich Der Arm, an dem der Zugang liegt, muss jedoch
vor allem bei jüngeren Patienten zur Hoch- ! sichtbar auf (!) der Bettdecke liegen, damit eine
druckbehandlung. Esmolol stellt in der Anäs- evtl. Diskonnektion mit Blutung aus der Kanüle
thesie inzwischen den β-Rezeptoren-Blocker sofort erkennbar ist (dies gilt insbesondere auch
der ersten Wahl dar. bei liegender arterieller Kanüle).

Kontraindikationen: Bei dekompensierter Herz- Die Kreislaufparameter Herzfrequenz und Blut-


insuffizienz, bei AV-Block zweiten oder dritten druck müssen nun mindestens in 10- bis 15-mi-
Grades, bei obstruktiven Lungenerkrankungen nütigem Abstand kontrolliert und im Narkose-
(z. B. Asthma bronchiale) und bei Bradykardie protokoll dokumentiert werden (→ S. 148).
sind β-Rezeptoren-Blocker kontraindiziert, da Gleichzeitig müssen immer auch die Atmung
deren Symptome durch β-Rezeptoren-Blocker und der Wachheitszustand des Patienten über-
verstärkt werden können. prüft und der Patient muss zum tiefen Durchat-
men aufgefordert werden.
Darreichungsform: Zu den weiteren Aufgaben der Pflegekraft im
● Brevibloc : Aufwachraum gehört es, die angeordnete Infu-
®

Durchstechflasche à 10 ml = 100 mg (10 mg/ sionstherapie durchzuführen und regelmäßig


ml) für Bolusinjektionen; Ampulle à 10 ml = den Verband des Patienten zu kontrollieren, um
2,5 g (250 mg/ml) zur kontinuierlichen Infu- zu prüfen, ob der Verband aufgrund einer stär-
sion; stets verdünnen auf 10 mg/ml. keren Nachblutung durchnässt ist. Außerdem
● Beloc : müssen Sonden, Drainagen und Redonflaschen
®

1 Ampulle = 5 ml = 5 mg; 1 ml = 1 mg korrekt abgeleitet und regelmäßig kontrolliert


bzw. gewechselt werden; ggf. ist der verantwort-
Dosierung: liche Anästhesist oder Operateur auf Auffällig-
● Brevibloc : keiten hinzuweisen.
®

– initial:
0,5 mg/kg KG über 2–3 min
– Erhaltungsdosis:
0,1–0,2 mg/kg KG/min 6.6.2 Einschätzung
● Beloc :
® anhand postanästhetischer
5 ml = 5 mg; ggf. eine Wiederholungsdosis Checkliste
Zur postoperativen Beurteilung des Patienten
können auch bestimmte Checklisten verwendet
werden. In Tabelle 6-1 ist der PARS (= post­
328 6  Aufwachraum

Tab. 6-1  Postanästhetische Checkliste (= postanes­ 6.7 Schmerzbekämpfung


thetic recovery score = PARS)
Kriterium Punktzahl Eine der wichtigsten Aufgaben im Aufwach-
raum ist die Schmerzbekämpfung. Nach einer
Bewusstseinslage Isofluran-, Sevofluran- oder Desflurannarkose
Adäquate Reaktion auf Ansprache 2 Punkte treten nach Erwachen des Patienten meist rela-
Erweckbar durch Ansprache 1 Punkt tiv bald Schmerzen auf, sodass frühzeitig ein
Analgetikum notwendig wird. Nach einer Nar-
Keine Reaktion auf Ansprache 0 Punkte kose unter Verwendung des ultrakurz wirken-
Atmung den Opioids Remifentanil treten typischerweise
Auf Aufforderung tiefes Durchatmen, 2 Punkte
sehr schnell nach dem Erwachen aus der Nar-
ausreichender Hustenstoß kose meist starke Schmerzen auf. Es wird daher
schon eine intraoperative Gabe von z. B. Piritra-
Luftnot oder eingeschränkte Atmung 1 Punkt mid oder eine unmittelbar postoperative Piri-
Apnoe 0 Punkte tramidtitration (→ S. 329) empfohlen.
Kreislauf
Systolischer Blutdruck < 20 % 2 Punkte 6.7.1 Bedarfsadaptierte
Abweichung vom Ausgangswert
Opioiddosierung
Systolischer Blutdruck 20–50 % 1 Punkt
Abweichung vom Ausgangswert Das Schmerzempfinden und damit auch der
Systolischer Blutdruck > 50 % 0 Punkte Opioidbedarf kann von Patient zu Patient zum
Abweichung vom Ausgangswert Teil enorm schwanken. Die Verabreichung ei-
ner mittleren Erfolgsdosis kann daher beim ei-
Motorik
nen Patienten unzureichend sein, beim nächs­
4 Extremitäten zielgerichtet bewegbar 2 Punkte ten Patienten aber eine Atemdepression
2 Extremitäten zielgerichtet bewegbar 1 Punkt verursachen. Das sicherste Vorgehen ist eine
bedarfsadaptierte intravenöse Opioidtitration.
0 Extremitäten zielgerichtet bewegbar 0 Punkte
Für eine bedarfsadaptierte intravenöse Opioidti-
SaO2 (pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung) tration haben sich Geräte zur patientenkontrol-
SaO2 > 92 % bei Raumluft 2 Punkte lierten Analgesie (= patient controlled analgesia
= PCA) bestens bewährt. Per Knopfdruck kann
SaO2 > 90 % mit Sauerstoffgabe 1 Punkt
sich hierbei der Patient von einer mikroprozes-
SaO2 < 90 % trotz Sauerstoffgabe 0 Punkte sorgesteuerten Infusionspumpe, die an einen in-
Gesamtpunktzahl 0–10 Punkte travenösen Zugang angeschlossen ist, so oft klei-
ne intravenöse Opioidboli abverlangen, bis er
sich an seinen individuellen Opioidbedarf her-
antitriert hat und weitgehend schmerzfrei ist
anesthetic recovery score) beschrieben. Auf (vgl. Abb. 6-6). Aus Sicherheitsgründen kann an
dieser Checkliste kann der Patient maximal 10 diesen PCA-Geräten programmiert werden, wie
Punkte (Score von 10) erreichen. Hat der Pa­ viele Milligramm Opioid sich der Patient pro
tient 7 oder weniger Punkte, dann ist eine Bolus abverlangen kann und wie lange das sog.
engmaschige Kontrolle notwendig. Eine Punkt- Sperrintervall ist, also die Zeitspanne, bis die
zahl von 8–10 wird als sichere Punktzahl be- PCA-Maschine auf einen erneuten Knopfdruck
zeichnet. Normalerweise sollten Patienten vor wieder mit der Abgabe eines Opioidbolus rea-
ihrer Verlegung eine Punktzahl von 10 erreicht giert, und wie hoch z. B. die Stunden- oder
haben. 4-Stunden-Maximaldosis sein darf. Zumeist
6.7  Schmerzbekämpfung 329

Abb. 6-6 Patientenkontrollierte
Analgesie

wird eine PCA-Maschine mit einer verdünnten nötigt werden, muss die Pflegekraft vorher den
Piritramidlösung (→ unten) gefüllt (z. B. 1 ml = zuständigen Anästhesisten informieren.
2 mg). Als Bolus werden bei Erwachsenen zu- Dieses Vorgehen scheint die beste Annäherung
meist 2 mg und als Sperrintervall meist 10 Minu- an die Prinzipien der PCA darzustellen und er-
ten programmiert. Die 4-Stunden-Maximaldosis laubt ebenfalls eine bedarfsadaptierte intravenö-
wird z. B. mit 25 mg eingestellt. Es sollte keine se Opioidtitration.
Hintergrundinfusion (Basalinfusion) eingestellt
werden. Mit einem solchen PCA-Gerät kann Zur postoperativen Schmerztherapie eignen
eine sehr gute und sehr sichere postoperative sich besonders die Analgetika vom Opioidtyp.
Schmerzlinderung erzielt werden. Ein Problem Die Wirkungen und Nebenwirkungen dieser
ist jedoch, dass diese mikroprozessorgesteuerten Analgetika werden auf Seite 8 ausführlich be-
PCA-Geräte relativ teuer sind (ca. 1 500 Euro). schrieben. Für den Aufwachraum eignen sich
vor allem die folgenden Opioide:
Opioidtitration: praktisches Vorgehen im Auf- ● Piritramid
! wachraum ● Buprenorphin
Für die postoperative Schmerztherapie im Auf-
wachraum hat sich, falls keine PCA-Geräte
(→ oben) zur Verfügung stehen, folgendes Vor- 6.7.2 Postoperativ häufig
gehen bestens bewährt: 1 Ampulle Dipidolor®
eingesetzte Opioide
(2 ml = 15 mg) wird mit NaCl 0,9 % auf 10 ml
verdünnt. 1 ml entspricht 1,5 mg Dipidolor®. Der
Anästhesist protokolliert auf dem Narkosebo- Piritramid (Dipidolor®)
gen: „Dipidolor® bitte nach Bedarf titrieren. In-
itial beim Erwachsenen (z. B.) 3,0 oder 4,5 (oder Wirkungsdauer:
6) mg.“ Die Pflegekraft im Aufwachraum verab- ● ca. 6 Stunden
reicht bei Bedarf diese relativ niedrige Initial-
dosis. Sollte diese nicht ausreichen, so kann al- Nebenwirkungen:
le 10 Minuten ca. ¹⁄³–½ der Initialdosis nachinji- ● bei Überdosierung Atemdepression
ziert werden, bis der Patient weitgehend schmerz- ● relativ selten Übelkeit
frei ist. Sollte eine zweiten Ampulle Dipidolor® be-
330 6  Aufwachraum

Darreichungsform: Opioiden nicht (!) atemdepressiv wirken. Für


● 1 Ampulle = 2 ml = 15 mg den Aufwachraum haben sich vor allem die fol-
genden antipyretischen Analgetika bewährt:
Mittlere Erfolgsdosis: ● Paracetamol

● ⅓–½(–1) Ampulle intravenös bei Erwachse- ● Ibuprofen

nen (→ S. 329) ● Metamizol

● Dosierung bei PCA (→ S. 328) ● Acetylsalicylsäure

● Diclofenac

● selektive Cyclooxygenase-2-(COX-2-)Hemmer

Buprenorphin (Temgesic®)
In zahlreichen Untersuchungen konnte gezeigt
Wirkungsdauer: werden, dass durch den perioperativen Einsatz
● 6–8 Stunden eines antipyretischen Analgetikums eine signi-
fikante Einsparung an Opioiden erzielt werden
Nebenwirkungen: kann. Als alleiniges Analgetikum reicht ein an-
● Müdigkeit und Schlaf tipyretisches Analgetikum in der frühen post-
● bei Überdosierung Atemdepression operativen Phase nach größeren Operationen
● manchmal Übelkeit jedoch meistens nicht aus. Antipyretische Anal-
● relativ langsamer Wirkungsbeginn getika werden inzwischen oft als Basisanalgeti-
kum im Rahmen einer sog. balancierten (kom-
Darreichungsform: binierten) Analgesie eingesetzt. Bei der rektalen
● 1 Ampulle = 1 ml = 0,3 mg Gabe eines antipyretischen Analgetikums ist
der langsame Wirkungsbeginn zu beachten.
Mittlere Erfolgsdosis: Wird z. B. ein Paracetamolsuppositorium erst
● ½–1 Ampulle intravenös (→ S. 239) bei Er- am Ende der Operation verabreicht, dann ist
wachsenen keine signifikante Schmerzlinderung in den
ers­ten 60 postoperativen Minuten zu erwarten.
Überdosierung:
Eine Überdosierung ist durch die üblichen Ein antipyretisches Analgetikum sollte spätestens
Opioidantagonisten nicht sicher aufhebbar! Bu- ! zu Beginn der Operation rektal, idealerweise aber
prenorphin hat eine höhere Rezeptoraffinität als schon im Rahmen der Prämedikation oral oder
Naloxon oder andere Opioide. rektal verabreicht werden. Zunehmend häufiger
wird intra- oder postoperativ Perfalgan® intrave-
nös verabreicht.
6.7.3 Antipyretische Analgetika
Zur postoperativen Schmerztherapie eignet sich Paracetamol
oft auch ein Medikament aus der Gruppe der (ben-u-ron®, Perfalgan®)
antipyretischen Analgetika, die vor allem die
Bildung der Entzündungssubstanzen (z. B. Pro- Nebenwirkungen:
staglandine) im Wundgebiet blockieren. Dies ● Leberschädigung bei Überdosierung

wird dadurch erreicht, dass sie das für die Bil-


dung der Entzündungsmediatoren wichtige Darreichungsformen:
Enzym Cyclooxygenase hemmen. Diese Sub- ● Suppositorien zu 75/125/250/500/1 000 mg

stanzen werden daher oft auch als Cyclooxyge- ● Tropfen

nasehemmer bezeichnet. Ihr großer Vorteil be- ● Infusionslösung (Perfalgan ) à 50/100 ml =


®

steht darin, dass sie im Gegensatz zu den 500/1 000 mg


6.7  Schmerzbekämpfung 331

Dosierung: Ibuprofen (Nurofen®-Saft)


● ben-u-ron Suppositorien:
®

(Oft werden für Paracetamol folgende, weni- Nebenwirkungen:


ger genaue schematische Dosierungsemp- Ibuprofen scheint am Magen-Darm-Trakt we-
fehlungen angegeben: niger Nebenwirkungen zu verursachen als an-
– erstes Lebensjahr: dere nicht steroidale Antirheumatika. Es ist –
ca. 75–125 mg rektal neben Paracetamol – bei Kindern besonders
– zweites bis sechstes Lebensjahr: geeignet und bereits ab einem Alter von > 3 Mo-
ca. 250 mg rektal naten zugelassen.
– Schulkinder:
ca. 500 mg rektal Indikationen:
– Erwachsene: Ibuprofen wird bei Kindern (z. B. vor HNO-
ca. 1 000 mg rektal) Operationen) oft schon im Rahmen der Präme-
Empfehlenswert sind für Paracetamol die fol- dikation verabreicht, um dadurch eine postope-
genden Dosierungsempfehlungen: rative Schmerzlinderung zu erzielen.
Bei Säuglingen > 6 Monaten, bei Kleinkin-
dern, Kindern, Jugendlichen und Erwach­ Darreichungsform:
senen werden ca. 4 × 20 mg/kg KG/d em­ ● Nurofen -Fiebersaft für Kinder;
®

pfohlen. Die Maximaldosierung wird bei 1 ml = 20 mg


Säug­lingen > 6 Monaten, bei Kleinkin-
dern, Kindern, Jugendlichen und Erwachse- Dosierung:
nen mit ca. 90 mg/kg KG/d angegeben; ab ● für Kinder > 3 Monate bis 12 Jahre:

ca. 150 mg/kg KG/d muss mit einer Leber- 20–30 mg/kg KG/d, verteilt auf 3–4 Dosen;
schädigung gerechnet werden. Bei Säug­- z. B. 3 × 10 mg/kg KG/d
lingen < 6 Monaten sollten nur 3 Dosen à
20 mg/kg KG/d und bei Frühgeborenen ma-
ximal 2 Dosen à 20 mg/kg KG/d verabreicht Metamizol (Novalgin®)
werden. Die Maximaldosierung wird bei
Neugeborenen und Säuglingen < 6 Monaten Metamizol wird oft als das Analgetikum der
mit 60 mg/kg KG/d angegeben. Wahl bei ehemaligen opioidabhängigen Patien-
● Perfalgan : ten bezeichnet.
®

maximale Tagesdosierung: 60 mg/kg KG


– über 50 kg KG: bis 4 × 1 Infusionsflasche à Nebenwirkungen:
1 g (Mindestabstand zwischen 2 Infusio- Blutdruckabfall vor allem bei schnellerer intra-
nen 4 Stunden) venöser Injektion, selten Blutbildungsstörungen
– 10–50 kg KG: 15 mg Paracetamol pro (hochgradige Verminderung der weißen Blut-
kg KG = 1,5 ml pro kg KG pro Anwen- körperchen, der Granulozyten; Agranulozyto-
dung; maximal 4 × pro Tag; Mindestab- se) und allergische Reaktionen. (Aufgrund der
stand zwischen 2 Infusionen 4 Stunden Gefahr einer Agranulozytose ist Metamizol in
– reife Neugeborene, Säuglinge, Kleinkin- manchen Ländern nicht [mehr] zugelassen.)
der < 10 kg KG: bis 4 × 7,5 mg/kg KG/d, Eine zurückhaltende Anwendung scheint sinn-
Mindestabstand zwischen 2 Infusionen voll (→ S. 332). Es empfiehlt sich die Gabe über
4 Stunden eine Kurzinfusion. Eine Allergie auf Metamizol
muss stets ausgeschlossen werden.
332 6  Aufwachraum

Indikationen: Darreichungsform:
Als Anwendungsindikationen für Metamizol ● Suppositorien à 12,5, 25, 50, 100 mg

werden offiziell nur „akute starke Schmerzen


nach Verletzungen und Operationen, Koliken, Dosierung:
Tumorschmerzen, sonstige akute oder chroni- ● Kinder < 15 Jahre:

sche starke Schmerzen, soweit andere therapeu- nicht mehr zugelassen!


tische Maßnahmen nicht indiziert sind“ sowie ● ältere Kinder und Erwachsene:

„hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen maximal ca. 2 mg/kg KG/d


nicht anspricht“, genannt.

Darreichungsform: Selektive Cyclooxygenase-


Metamizol sollte – falls es indiziert ist – als 2-Hemmer
Kurzinfusion verabreicht werden. 1 Ampulle zu
2 oder 5 ml, 1 ml = 500 mg. Seit den 1990er Jahren ist bekannt, dass das En-
zym Cyclooxygenase (→ S. 330) 2 Isoenzymfor-
Dosierung: men aufweist, die Cyclooxygenase 1 (COX-1)
● 1–2 ml = 500–1 000 mg intravenös bei Er- und die Cyclooxygenase 2 (COX-2). Die oben
wachsenen beschriebenen antipyretischen Analgetika blo­
ckieren sowohl die COX-1 als auch die COX-2.
● Die Hemmung der COX-1 wird für eine Rei-

Acetylsalicylsäure (Aspirin® i. v.) he von Nebenwirkungen der antipyretischen


Analgetika (gastrointestinale Erosionen,
Kontraindikation: Thrombozytenfunktionsstörungen) verant-
Acetylsalicylsäure ist kontraindiziert bei Patien- wortlich gemacht.
ten mit Asthma bronchiale (unter Umständen ● Die Hemmung der COX-2 wird vor allem für

Auslösung eines asthmatischen Anfalls). die analgetische, antipyretische und entzün-


dungshemmende Wirkung verantwortlich ge-
Darreichungsform: macht.
● 1 Stechampulle mit 500 mg Wirksubstanz

sowie 5 ml Lösungsmittel Seit einigen Jahren stehen selektiven COX-2-


Hemmer zur Verfügung. Selektive COX-2-
Dosierung: Hemmer führen auch bei maximaler Dosierung
● 0,5–1–2,0 Ampullen intravenös bei Erwach- zu keiner klinisch relevanten Hemmung der
senen COX-1. Die COX-2-Hemmer scheinen ver-
gleichbar gute analgetische Wirkungen zu be-
sitzen wie die konventionellen antipyretischen
Diclofenac (Voltaren®) Analgetika, aber gastrointestinal besser verträg-
lich zu sein. An Nebenwirkungen wurden initi-
Wirkungen und Indikationen: al vor allem mögliche Nierenfunktionsstörun-
Es weist gute entzündungshemmende (= anti- gen beschrieben. Inzwischen sind zum Teil
phlogistische) Wirkungen auf, ist daher vor al- ernste Nebenwirkungen im Zusammenhang
lem bei orthopädischen oder traumatologischen mit bestimmten COX-2-Hemmern beschrieben
Operationen gut geeignet. worden (insbesondere eine Begünstigung von
Herzinfarkten und zerebralen Schlaganfällen).
Nebenwirkungen: Diese Nebenwirkungen scheinen jedoch nicht
● gastrointestinale Erosionen ein Problem bestimmter COX-2-Hemmer zu
6.8  Übelkeit und Brechreiz 333

sein, sondern es scheint sich um ein prinzipiel- Parecoxib (Dynastat®)


les Problem der COX-2-Hemmer zu handeln.
Inzwischen wird darauf hingewiesen, dass un- Parecoxib ist ein selektiver COX-2-Hemmer. Er
ter COX-2-Hemmern auch schwere Hautreak- ist seit 2002 verfügbar und stellt den ersten Cy-
tionen auftreten können. clooxygenase-2-Hemmer dar, der intravenös
verabreicht werden darf.

Rofecoxib Indikationen:
Parecoxib ist für die Kurzzeitbehandlung von
Rofecoxib war früher unter dem Namen Vioxx® (postoperativen) Schmerzen bei Erwachsenen
und Vioxx® Dolor zugelassen. Rofecoxib ist ein zugelassen.
selektiver COX-2-Hemmer, der u. a. für die Be-
handlung akuter Schmerzen bei Erwachsenen Kontraindikationen:
zugelassen war. Im Jahr 2004 wurde es überra- Dynastat® ist inzwischen kontraindiziert bei
schenderweise weltweit vom Markt genommen, koronarer Herzkrankheit, zerebrovaskulärer
da bei Langzeitanwendung eine Begünstigung Erkrankung, Herzinsuffizienz oder nach einer
von Herzinfarkten und zerebralen Schlaganfäl- koronaren Bypass-Operation. Es ist eine ent-
len bekannt wurde. sprechende Nutzen-Risiko-Abwägung wichtig.

Darreichungsform:
Celecoxib (Celebrex ) ® ● Durchstechflasche mit Pulver à 20 oder 40

mg, das mit NaCl 0,9 % aufzulösen ist


Celecoxib ist ein selektiver COX-2-Hemmer.
Die maximale Plasmakonzentration ist bei ora- Dosierung:
ler Gabe nach ca. 2–4 Stunden zu erwarten. ● 40 mg initial,

ggf. Nachinjektion à 20–40 mg nach 6–12


Indikationen: Stunden
Celecoxib ist zur Behandlung der chronischen ● Maximaldosierung:

Polyarthritis (rheumatoide Arthritis) und der 80 mg/d


Osteoarthrose zugelassen.

Darreichungsform:
● Hartkapseln à 100/200 mg 6.8 Übelkeit und Brechreiz
Dosierung:
● 2 Dosen/d 6.8.1 Allgemeine Bemerkungen
● Osteoarthrose:

100 bis maximal 200 mg/d Ein weiteres, häufig auftretendes Problem im
● chronische Polyarthritis: Aufwachraum ist eine postoperative Übelkeit
200 bis maximal 400 mg/d mit Brechreiz. Dies kann sowohl nach einer In-
● Maximaldosierung: halationsnarkose als auch nach einer balancier-
400 mg/d ten Anästhesie, seltener auch nach einer IVA/
TIVA auftreten. Bei Patienten, bei denen die
Schutzreflexe noch nicht sicher zurückgekehrt
sind, kann Erbrechen zu einer Aspiration füh-
ren (→ S. 211). Sind die Schutzreflexe eines Pa-
tienten noch nicht zurückgekehrt, so sollte er,
334 6  Aufwachraum

falls es die Operation erlaubt, in eine Seitenlage ● Kinder:

gebracht werden. Hierdurch kann einer Verle- 0,1–0,15 mg/kg KG intravenös


gung der oberen Luftwege durch die zurückfal-
lende Zunge sowie einer Aspiration im Falle ei-
nes Erbrechens vorgebeugt werden. Dimenhydrinat (Vomex-A®)
Wirkung:
6.8.2 Therapie Dimenhydrinat ist ein Antihistaminikum, das
jedoch nicht nur an den H1- und H2-Rezeptoren
Zur Therapie von Übelkeit und Brechreiz eig- antagonistisch wirkt (→ S. 221), sondern über
nen sich im Aufwachraum vor allem die folgen- eine zusätzliche Blockade an dopaminergen
de Antiemetika: und muscarinergen Rezeptoren auch eine gute
● Dexamethason antiemetische Wirkung aufweist.
● Dimenhydrinat

● Serotoninantagonisten Indikationen:
● Droperidol Dimenhydrinat ist zur Prophylaxe und sympto-
● Metoclopramid matischen Therapie von Übelkeit und Erbre-
chen unterschiedlicher Genese zugelassen.

Dexamethason (Fortecortin) Darreichungsform:


● Suppositorien mit 40/70/150 mg
Wirkung: ● Injektionslösung:

Durch die intravenöse Gabe von 4–8 mg Dexa- 1 Amp. = 10 ml = 62 mg


methason beim Erwachsenen (bzw. 0,1–
0,15 mg/kg KG bei Kindern) kann eine gute an- Dosierung:
tiemetische Wirkung erzielt werden. Der ● Suppositorien:

antiemetische Effekt von Dexamethason scheint – Säuglinge und Kleinkinder: 40 mg


vergleichbar gut zu sein wie derjenige von Sero- – Schulkinder: 70 mg
toninantagonisten. – Erwachsene: 150 mg
● Injektionslösung:
Indikationen: – Erwachsene: 1–3 Ampullen (62–186
Seit 2002 ist Dexamethason zur Therapie von mg)/d
postoperativer Übelkeit zugelassen. – Kinder 6–14 Jahre: 1–3 × täglich 25–50
mg intravenös
Kontraindikationen: – Kinder unter 6 Jahre: 1–3 × 1,25 mg/
Bei Patienten mit Gastritis- oder Ulkusaname- kg KG intravenös
se, Diabetes mellitus oder hohem Infektionsri-
siko sollte jedoch Dexamethason vermieden
werden. Serotoninantagonisten
Darreichungsform: Serotoninantagonisten wurden ursprünglich
● Ampulle à 1, 2, 5 oder 10 ml à 4, 8, 40 oder mit großem Erfolg zur Therapie von Übelkeit
100 mg und Brechreiz im Rahmen von Chemotherapi-
en (und Bestrahlungen) eingesetzt, denn hier-
Dosierung: bei werden aus der Darmschleimhaut größere
● Erwachsene: Mengen an Serotonin freigesetzt. In den letzten
4–8 mg intravenös Jahren wurden Serotoninantagonisten erfolg-
6.8  Übelkeit und Brechreiz 335

reich in die Anästhesie eingeführt. Ondanse- Dolasetron (Anemet®)


tron (Zofran®) ist der Prototyp der Serotoni­n­
antagonisten. Es stellt einen selektiven Sero- Darreichungsform:
toninantagonisten(5-Hydroxytryptamin-An­ ● 1 Ampulle = 0,625 ml à 12,5 mg

tagonisten = 5-HT-Antagonisten) dar. Bei den ● Tablette à 50 mg

5-HT-Rezeptoren können 4 Subtypen unter-


schieden werden, wobei insbesondere der Dosierung:
5-HT3-Rezeptor-Typ Übelkeit und Brechreiz ● 12,5 mg intravenös oder 50 mg oral im Rah-

vermittelt. 5-HT3-Antagonisten scheinen vor men der Prämedikation bei Erwachsenen


allem dann wirksam zu sein, wenn Übelkeit
und Erbrechen durch eine Freisetzung von
Serotonin bedingt sind. Typische Ursachen Granisetron (Kevatril®)
hierfür sind Dehnung und mechanische Rei-
zung der Magen- und Darmwand sowie perito- Darreichungsform:
neale Reize, z. B. bei laparoskopischen Eingrif- 1 Ampulle = 1 ml/3 ml = 1 mg/3 mg
fen. Hierdurch kann 5-HT aus Zellen der
Mukosa des oberen Gastrointestinaltrakts frei- Dosierung:
gesetzt werden. ● 1–3 mg intravenös bei Erwachsenen

Bei Übelkeit und/oder Erbrechen aufgrund va- ● perioperativ 1 mg intravenös (im Rahmen

galer Reize, einer Opioidgabe oder einer Stimu- einer Strahlentherapie 3 mg als Kurzinfusi-
lation des Gleichgewichtsorgans sind Sero- on)
toninantagonisten weniger wirksam.
Die prophylaktische Gabe von Ondansetron
war perioperativ in mehreren Studien allerdings Droperidol (Xomolix®) (→ S. 61)
nicht signifikant besser antiemetisch wirksam
als Droperidol. Darreichungsform:
Neben Ondansetron (Zofran®) sind auch Dola- ● 1 Ampulle = 1 ml = 2,5 mg

setron (Anemet®) und Granisetron (Kevatril®)


zur Therapie der postoperativen Übelkeit zuge- Dosierung:
lassen. Serotoninantagonisten sind relativ teuer. ● 0,25–0,5(–1) ml = 0,625–1,25(–2,5) mg in-

travenös

Ondansetron (Zofran®)
Metoclopramid (Paspertin®)
Nebenwirkungen:
Bei jeweils 3 % der Patienten ist mit Kopf- Wirkung:
schmerzen bzw. einem Anstieg der Leberwerte Nach neueren Studien scheint Metoclopramid
durch Ondansetron zu rechnen. Sonstige rele- nur eine geringe bzw. keine relevante antiemeti-
vante Nebenwirkungen sind selten. sche Wirkung bei postoperativer Übelkeit zu
haben.
Darreichungsform:
● 1 Ampulle à 4/8 mg Nebenwirkungen:
● Filmtablette à 4/8 mg ● Bewegungsstörungen (nicht bei Kindern un-

ter 14 Jahren anwenden)


Dosierung:
● 4–8 mg intravenös oder 8 mg oral bei Er- Darreichungsform:
wachsenen ● 1 Ampulle = 2 ml = 10 mg
336 6  Aufwachraum

Dosierung: Medikamente
● 10 mg intravenös bei Erwachsenen
Clonidin (Catapresan®)

Hauptwirkung:
6.9 Kältegefühl Clonidin (stimuliert die präsynaptischen Al-
pha-2-Rezeptoren [→ S. 301], hemmt dadurch
die weitere Freisetzung des Neurotransmitters
6.9.1 Allgemeine Bemerkungen Noradrenalin und)wwirkt sympathikolytisch
und führt daher zu einem Blutdruckabfall. Es
Häufig klagen Patienten im Aufwachraum über wird daher primär zur Blutdrucksenkung ein-
ein ausgeprägtes Kältegefühl. gesetzt. (Daneben führt es auch zu einer Ver-
langsamung der Herzfrequenz, zu einer Unter-
Die Ursache liegt in der intraoperativen Ausküh- drückung von Kältezittern und zu einer
! lung der Patienten vor allem aufgrund der ungenü- Sedierung.)
genden Bekleidung und Bedeckung in den kalten
Operationsräumen, einem Wärmeverlust über die Indikation:
Lungen aufgrund der kalten Atemgase (→ S. 14) In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden,
sowie in einer oft medikamentös bedingten Gefäß- dass sich das (sympathikolytisch wirkende) An-
weitstellung, was die Wärmeabgabe über die Haut tihypertensivum Clonidin zur Therapie des
noch verstärkt. Perioperativ sind daher wärmekon- Kältezitterns (= shivering) eignet.
servierende Maßnahmen (→ S. 231) wichtig.
Darreichungsform:
Postoperativ klagen daher viele Patienten nicht ● 1 Ampulle = 1 ml = 0,15 mg

nur über ein starkes Kältegefühl, sondern es


tritt oft ein nicht kontrollierbares Kältezittern Dosierung:
auf. Durch dieses Kältezittern kann es zu einem ● 1(–2) µg/kg KG; ca. 75(–150) µg =

stark erhöhten Sauerstoffbedarf kommen, was 0,075(–0,15) mg bei Erwachsenen intrave-


insbesondere bei koronarsklerotischen Patien- nös bei Kältezittern
ten vermieden werden muss (→ S. 296).

Pethidin (Dolantin®) (→ S. 9)


6.9.2 Therapie
Hauptwirkung:
Die Therapie besteht neben der Vorbeugung, ● Analgetikum vom Opioidtyp

das heißt z. B. einem intraoperativen Abdecken


der Patienten oder dem Einsatz von Warmluft- Indikation:
decken (z. B. Warm Touch®, Fa. Mallinckrodt) Vor der Einführung von Clonidin zur Therapie
und der Verwendung angewärmter Infusions- des Kältezitterns wurde hierfür zumeist Pethi-
und Transfusionslösungen, vor allem auch in din verwendet.
einem Vorwärmen der Betten und evtl. im Ge-
brauch von heizbaren Wärmedecken im Auf- Nebenwirkungen:
wachraum. Außerdem muss über eine Nasen- ● evtl. Atemdepression!

sonde Sauerstoff zugeführt werden. In ● häufiger Übelkeit!

besonderen Fällen kann versucht werden, z. B.


mit Clonidin (oder Pethidin) dieses postopera- Darreichungsform:
tive Zittern (= shivering) zu blockieren. ● 1 Ampulle = 1 ml, 1 ml = 50 mg
6.12  Verlegung auf die Allgemeinstation 337

Mittlere Erfolgsdosis: Kinder sind postoperativ meist sehr unruhig.


● 12,5(–25) mg intravenös bei Kältezittern; Damit ein Sturz aus dem Bett verhindert wer-
ggf. eine Wiederholungsdosis den kann, müssen Kleinkinder in ein Gitterbett
gelegt werden. Es ist darauf zu achten, dass die
Gitter stets hochgezogen sind! Bei größeren
Nachbeatmung Kindern hat es sich bewährt, die Bettdecke quer
zu legen und rechts und links unter die Matrat-
Intraoperativ stark unterkühlte Patienten wer- ze zu stecken. Dies verhindert das Wegstram-
den meist intubiert in den Aufwachraum ge- peln der Decke und bietet einen gewissen Schutz
bracht, wo sie so lange nachbeatmet und ge- vor einem Sturz aus dem Bett; ggf. sind Gitter
wärmt werden sollten, bis die Temperatur an das Bett anzubringen.
wieder ausreichend (bis ca. 36 °C) angestiegen In seltenen Fällen kann eine postoperative Un-
ist. Zur Sedierung und Analgesie bieten sich ruhe oder Verwirrung auch durch ein sog. zen-
hierfür z. B. Propofol (oder Midazolam) plus trales anticholinerges Syndrom (ZAS) bedingt
Sufentanil oder Fentanyl an. sein (→ S. 63). Dieses kann durch zahlreiche
Medikamente ausgelöst werden. Die Therapie
besteht in der langsamen intravenösen Gabe
von 1–2 mg Physostigmin (Anticholium®).
6.10 Unruhe
Fällt ein Patient im Aufwachraum durch beson-
dere Unruhe auf, so muss unbedingt nach der 6.11 Rückenmarksnahe
Ursache gesucht werden. Als Gründe kommen
vor allem infrage:
Leitungsanästhesien
● Schmerzen (→ S. 328)

● Durchlaufen eines Exzitationsstadiums nach Bei Patienten, die eine rückenmarksnahe Lei-
einer Inhalationsnarkose tungsanästhesie, also eine Spinalanästhesie oder
● eine überfüllte Blase aufgrund einer post- eine PDA hatten, muss im Aufwachraum mehr-
operativ häufig auftretenden Blasenentlee- mals die Höhe der Blockade kontrolliert wer-
rungsstörung: den. Dies kann am besten mit einem Kältespray
Der Patient muss katheterisiert werden, falls oder Eiswürfel erfolgen (→ S. 173). Im noch be-
eine spontane Blasenentleerung nicht mög- täubten Gebiet hat der Patient kein Kälteemp-
lich ist. finden. Vor der Verlegung muss die Höhe der
● pulmonale Probleme: Blockade eindeutig rückläufig sein und mindes­
– Hypoxie und Hyperkapnie, tens unterhalb von Th10 (= Nabelhöhe; Abb.
z. B. aufgrund eines Relaxansüberhangs 2-19) liegen.
oder einer Verlegung der oberen Luft­wege
– beginnendes Lungenödem
aufgrund einer Überinfusion oder Über-
transfusion oder durch eine kardiale De- 6.12 Verlegung
kompensation
– Pneumothorax,
auf die Allgemeinstation
z. B. aufgrund einer Pleuraverletzung bei
einer Fehlpunktion für einen zentralve- Damit ein Patient aus der Überwachung des
nösen Katheter (→ S. 185) oder aufgrund Aufwachraumes entlassen werden kann, müs-
eines Barotraumas mit Pneumothorax sen folgende Punkte erfüllt sein:
unter maschineller Beatmung ● Der Patient muss wach sein.
338 6  Aufwachraum

● Die Schutzreflexe müssen sicher vorhanden gekraft derjenigen Station, auf der der Patient
sein. normalerweise liegt, informiert werden, dass
● Die Spontanatmung muss zufriedenstellend der Patient im Aufwachraum abgeholt werden
sein. kann. Bei der Übergabe an die Pflegekraft der
● Der Kreislauf muss stabil sein. Station müssen intraoperativ und postoperativ
aufgetretene Probleme des Patienten mitgeteilt
Zur Überprüfung der Verlegungsfähigkeit bie- werden. Außerdem müssen Anordnungen für
ten sich ggf. spezielle Check-Listen (→ PARS- die folgende Zeit weitergegeben werden, z. B.
Score; → S. 327) an. Die beabsichtigte Verle- dass der Patient ab jetzt alle 8 Stunden ein
gung eines Patienten auf die Normalstation Antibiotikum erhalten muss, dass noch Labor-
muss vom verantwortlichen Anästhesisten be- kontrollen notwendig sind oder dass eine Infu-
stätigt werden. Der Zeitpunkt der Verlegung auf sionstherapie bzw. eine Schmerztherapie ange-
die Normalstation sollte im Narkoseprotokoll ordnet sind.
vermerkt werden. Anschließend muss eine Pfle-
339

7  Intensivmedizin

7.1 Allgemeine Bemerkungen ● klinische und apparative Überwachung des


Patienten

Unter einer Intensivstation wird eine spezielle ● Verordnung von Medikamenten
 Betteneinheit für die intensive Diagnostik und ● Erstellung eines Ernährungsplanes
Therapie lebensbedrohlich oder kritisch erkrank- ● Durchführung bzw. Organisation von dia-
ter Patienten verstanden. Hierzu gehören z. B. gnostischen und therapeutischen Maßnah-
Patienten mit akutem Herzinfarkt, Polytrauma, men
schwerer akuter Blutung, Vergiftung, Verbren- ● Überwachung der fachgerechten Ausfüh-
nungen, Schädel-Hirn-Trauma, bedrohlichen At- rung ärztlicher Anordnungen
mungsstörungen oder Schock. ● Dokumentation

● Teilnahme an Stationsvisiten

Eine Hauptaufgabe der Intensivmedizin ist ne-


ben der Therapie, das heißt der Wiederherstel- Zu den wichtigsten Aufgaben des Pflegeperso-
lung bzw. Erhaltung der bedrohten Vitalfunk- nals gehören:
tionen, das exakte Überwachen (= Monitoring) ● Überwachung des Patienten

des Patienten. Auf Intensivstationen wird au- ● Kontrolle der Überwachungsgeräte

ßerdem ein weit über das normale Maß hinaus- ● allgemeine und spezielle pflegerische Maß-

gehender pflegerischer Aufwand betrieben. In- nahmen am Intensivpatienten


tensivmedizinische Maßnahmen können daher ● fachgerechte Lagerung des Patienten

unterteilt werden in ● Inhalationstherapie

● Intensivtherapie, ● Durchführung von enteraler und parentera-

● Intensivüberwachung und ler Ernährung


● Intensivpflege. ● Bereitstellung und Funktionsprüfung von

Geräten
Die empfohlene Anzahl an Intensivbetten wird ● Erkennung und sachgerechte Beseitigung

mit ungefähr 5 % der Gesamtbettenzahl eines von Gerätestörungen


Krankenhauses angegeben. Eine Intensivstation ● Vorbereitungen von und Assistenz bei ärztli-

sollte etwa 5–12 Betten umfassen. chen Tätigkeiten


Eine Intensivstation sollte nicht nur durch ei- ● Pflegedokumentation

nen hohen apparativen Standard, sondern auch ● Teilnahme an Stationsvisiten

durch besonders qualifiziertes ärztliches und


pflegerisches Personal ausgezeichnet sein. Obwohl bei schwerkranken Intensivpatienten
Der Tätigkeits- und auch der Verantwortungs- eine Vielzahl von Organfunktionen apparativ
bereich von Ärzten und Pflegepersonal einer überwacht wird, darf sich das Interesse von
Intensivstation überschneiden sich deutlich Ärzten und Pflegepersonal nicht nur auf die
und machen daher eine gute Zusammenarbeit Kontrolle von Überwachungsgeräten und La-
notwendig. borwerten beschränken. Unverzichtbar ist eine
Zu den wichtigsten ärztlichen Aufgaben gehö- engmaschige klinische Überwachung der Pati-
ren: enten.
340 7  Intensivmedizin

Die Arbeit auf einer Intensivpflegestation be- fließt dann über die Venae pulmonales zum lin-
deutet sowohl für Ärzte als auch für das Pflege- ken Herzen.
personal eine große körperliche und seelische Zwischen den Alveolarendothelzellen gibt es
Belastung. Da das Pflegepersonal zumeist einen vereinzelt sog. große Alveolarzellen. Diese sind
engeren Kontakt zum Patienten hat als der Arzt, die Produzenten eines Antiatelektasefaktors
scheint dessen seelische Belastung besonders (des sog. Surfactants).
hoch zu sein.

Der Surfactant kleidet die Alveolen als eine dünne
 Schicht aus, erniedrigt deren Oberflächenspan-
nung und vermindert deren Tendenz, zu kollabie-
7.2 Beatmungstherapie ren.

Der Großteil der Intensivpatienten muss vor- Ein Mangel an Surfactant spielt z. B. beim Atem-
übergehend künstlich beatmet werden. Die Be- notsyndrom des Frühgeborenen eine große
atmungstherapie sowie die entsprechenden Rolle.
Grundlagen sollen daher ausführlich dargestellt
werden.
Atemmechanik
7.2.1 Physiologie und Pathophy- Der knöcherne Thorax funktioniert nach dem
siologie der Atmung Prinzip einer Saug-Druck-Pumpe. Bei der akti-
ven Einatmung (= Inspiration) werden die
schräg (nach ventrokaudal) verlaufenden Rip-
Blut-Luft-Schranke pen durch die äußeren Interkostalmuskeln an-
gehoben. Der (dorsoventrale) Durchmesser des

Aufgabe der Atmung ist der Gasaustausch des Thorax nimmt zu (thorakale Atmung). Gleich-
 Organismus mit der Umgebung. Sauerstoff wird zeitig kontrahiert sich das Zwerchfell und be-
als lebensnotwendiges Substrat über die Lungen wegt sich nach kaudal. Die (kraniokaudale)
in den Organismus aufgenommen, und Kohlen- Ausdehnung der Lunge nimmt zu (Bauchat-
dioxid wird als Abfallprodukt des Stoffwechsels mung). Die Lunge folgt dieser Volumenzunah-
abgeatmet. me des Thoraxraumes. Hierdurch entsteht ein
Unterdruck in der Lunge und Luft strömt in die
Die Arteria pulmonalis (welche aus dem rech- Lungen. Bei körperlicher Anstrengung können
ten Herzen kommt und sauerstoffarmes Blut vor allem die Halsmuskeln, die Brustmuskeln
enthält) teilt sich entsprechend dem Bronchial- und die Schultermuskeln als zusätzliche Atem-
baum in immer kleinere Gefäße auf. Die Kapil- hilfsmuskeln zur Einatmung benutzt werden.
laren liegen geflechtartig unmittelbar den Al- Die Ausatmung (= Exspiration) erfolgt norma-
veolen auf. lerweise passiv aufgrund der elastischen Rück-
stellkräfte von Lunge und Thorax sowie der Er-

Die aneinandergrenzenden Kapillar- und Alveolar- schlaffung des Zwerchfelles. Bei erschwerter
 membranen bilden die sog. Blut-Luft-Schranke. Ausatmung können die inneren Interkostal-
muskeln sowie die Bauchmuskeln die Rippen
Der in die Alveolen eingeatmete Sauerstoff dif- kraftvoll nach unten ziehen. Gleichzeitig wird
fundiert durch die Blut-Luft-Schranke in die (in meist der Oberkörper gebeugt, wodurch die
den Kapillaren fließenden) Erythrozyten. In Baucheingeweide und damit auch das Zwerch-
den Erythrozyten bindet sich der Sauerstoff an fell nach kranial gedrückt und eine forcierte
das Hämoglobin. Das sauerstoffbeladene Blut Ausatmung unterstützt wird.
7.2  Beatmungstherapie 341

Aufgrund der elastischen Eigenschaft des Lun- des Trachealbaumes entstehen) und zum klei-
gengewebes und der Oberflächenspannung der neren Teil (10–20 %) aus nicht elastischen Ge-
Alveolen tendiert die Lunge zum Kollabieren. webswiderständen zusammen. Die Resistance
Im Pleuraspalt herrscht daher ein Negativdruck ist insbesondere bei asthmatischen Erkrankun-
von ca. –4 cm H2O. gen, bei Trachealstenosen oder bei Sekretan-
sammlung in den Luftwegen erhöht.

Compliance der Lunge Die Resistance kann anhand des Atemstoßtests


! nach Tiffeneau (= 1-Sekunden-Kapazität oder

Die Compliance (C) der Lunge ist ein Maß für die FEV1 = forciertes exspiratorisches Volumen in 1
 elastische Dehnbarkeit der Lunge. Sie ist definiert Sekunde) beurteilt werden. Der Normalwert be-
als Volumenänderung (∆V) pro Druckänderung trägt ca. 75 % der Vitalkapazität (VK) (FEV1/VK).
(∆P). Es gilt: C = ∆V/∆P (ml/mbar). Der Absolutwert beträgt ca. 3–3,5 l/s. Normaler-
weise wird der Quotient FEV1/VK angegeben.
Bei einem Atemzug von ca. 600 ml sinkt der
Druck im Pleuraspalt um ca. 3 cm H2O. Die Vo-
lumenänderung pro Druckänderung beträgt Atemarbeit
damit 0,6 l/3 cm H2O, also normalerweise ca.
0,2 l/cm H2O. Bei vielen Lungenerkrankungen, Bei der aktiven Einatmung müssen die elasti-
z. B. einer Pneumonie, einem Lungenödem oder schen und die viskösen Widerstände überwun-
einer Fibrose, ist das Lungengewebe nicht mehr den werden. Die Ausatmung erfolgt passiv, da
so elastisch; die Lunge folgt nur schwer der Ver- die elastischen Rückstellkräfte die viskösen Wi-
größerung des knöchernen Thorax. Bei der In- derstände übertreffen. Bei Lungenerkrankun-
spiration entsteht ein größerer Negativdruck im gen mit einer Erniedrigung der Compliance
Pleuraspalt. Die elastische Dehnbarkeit, die oder Erhöhung der Resistance kann die Atem-
Compliance, ist vermindert. arbeit enorm zunehmen. Im Extremfall droht
die körperliche Erschöpfung.
Die leicht messbare Vitalkapazität, das heißt die
! Summe aus Atemzugvolumen und in- und exspi- Eine drohende Erschöpfung durch erhöhte Atem-
ratorischem Reservevolumen (→  S. 343), ist ein ! arbeit kann, trotz normaler Blutgase, eine Intuba-
Parameter für die Compliance. tionsindikation darstellen.

Resistance Lungenvolumina

Die Resistance (R) ist ein Maß für die nicht elas­ Die meisten Lungenvolumina (vgl. Abb. 7-1)
 tischen (= viskösen) Strömungswiderstände in können mithilfe eines Blasebalgs (= Spirome-
den Atemwegen, die sowohl bei der Inspiration ters) oder eines modernen Pneumotachogra-
als auch bei der Exspiration zu überwinden sind. phen gemessen werden. Sie hängen von Alter,
Die Resistance ist definiert als Druckdifferenz (∆P) Geschlecht, Körpergröße, Körperlage, Körper-
zwischen Anfang und Ende des gemessenen Luft- bau und anderen Faktoren ab.
weges pro Atemstromstärke (Vol/Zeit). Es gilt: R =
∆P/Vol/s (mbar/l/s).
Atemzugvolumen
Sie setzt sich zum größeren Teil (ca. 80–90 %)
aus den Strömungswiderständen in den Luftwe- Das Atemzugvolumen ist das Luftvolumen, das
gen (bedingt durch Turbulenzen, die vor allem bei einem normalen Atemzug spontan venti-
bei schnellem Gasfluss an den Aufzweigungen liert wird. Das spontane Atemzugvolumen
342 7  Intensivmedizin

maximale
Inspirationslage

TC VC IC IRV FEV1

FVC

AZV
Atem-
ruhelage
IVC ER V
maximale
Exspirationslage
RV FRC RV

Abb. 7-1 Messbare Lungenvolumina und Lungenkapazitäten (weitere Erläuterungen vgl. Text)

(= AZV) beträgt in allen Lebensaltern ca. 7 bis 8 mung noch maximal ausgeatmet werden kann.
ml/kg KG. Beim Erwachsenen sind dies ca. Beim Erwachsenen sind dies ca. 1,3 Liter.
500 ml. Etwa ⅓ des Atemzugvolumens ist Tot­
raumvolumen, lediglich ⅔ des Atemzugvolu-
mens nehmen an der alveolären Ventilation Residualvolumen
(also am Gasaustausch) teil (→ S. 350).
Das Residualvolumen ist das Luftvolumen, das

Während bei Spontanatmung definitionsgemäß nach einer maximalen Ausatmung noch in der
 von Atemzugvolumen gesprochen wird, wird bei Lunge verbleibt. Beim Erwachsenen sind dies
der Beatmung eines Patienten von Atemhubvolu- ca. 1,2 Liter.
men gesprochen.

Funktionelle Residualkapazität
Inspiratorisches Reservevolumen
Die funktionelle Residualkapazität stellt die
Das inspiratorische Reservevolumen ist das Summe aus exspiratorischem Reservevolumen
Luftvolumen, das nach einer normalen Einat- und Residualvolumen dar. Beim Erwachsenen
mung zusätzlich noch maximal eingeatmet sind dies ca. 2,5 Liter. Die funktionelle Residu-
werden kann. Beim Erwachsenen sind dies ca. 3 alkapazität (= FRC) ist eine für den Anästhe­
Liter. sisten und Intensivmediziner besonders wichti-
ge Größe.
Die FRC übernimmt eine Art Pufferfunktion.
Exspiratorisches Reservevolumen Das Volumen eines Atemzuges verteilt sich zu-
erst in der FRC.
Das exspiratorische Reservevolumen ist das
Luftvolumen, das nach einer normalen Ausat-
7.2  Beatmungstherapie 343

Vitalkapazität mit ca. 21 % von 760 mm Hg = 159 mm Hg (21,2
kPa) aus. Dies wird als Teil- oder als Partial-
Die Vitalkapazität ist die Summe aus exspirato- druck des Sauerstoffs bezeichnet. Da die einge-
rischem Reservevolumen, inspiratorischem Re- atmete Luft in den Luftwegen maximal ange-
servevolumen und Atemzugvolumen. Beim feuchtet wird, entsteht dadurch ein zusätzlicher
Erwachsenen sind dies ca. 4,5 Liter. Bei einer Wasserdampfdruck von 47 mm Hg (6,3 kPa).
Erniedrigung der Compliance ist die Vitalkapa- Der Gesamtdruck der Gase in den Atemwegen
zität vermindert. bleibt konstant. Der Sauerstoffpartialdruck in
den zuleitenden Strukturen macht daher nur
noch 21 % von 760 mm Hg – 47 mm Hg = 149
Totalkapazität mm Hg (19,8 kPa) aus. Im Bereich der Alveolen
befindet sich auch das aus den Lungenkapilla-
Die Totalkapazität entspricht der Summe aus ren in die Lunge abdiffundierte Kohlendioxid.
Vitalkapazität und Residualvolumen. Beim Er- Zur Errechnung des Sauerstoffpartialdrucks in
wachsenen sind dies ca. 6 Liter. den Alveolen muss der dort vorhandene Koh-
lendioxidpartialdruck noch subtrahiert werden.
Der Kohlendioxidpartialdruck in den Alveo-
Atemfrequenz len ist normalerweise nahezu identisch mit dem
Kohlendioxidpartialdruck im arteriellen Blut,
Die Atemfrequenz ist altersabhängig. Sie be- also ca. 40 mm Hg (5,3 kPa).
trägt beim Frühgeborenen ca. 60/min, beim rei-
fen Neugeborenen in Ruhe ca. 40–50/min, beim Der Sauerstoffpartialdruck in den Alveolen
6 Monate alten Säugling ca. 30/min, beim Ein- ! beträgt damit näherungsweise
jährigen ca. 25/min, beim 6-Jährigen ca. 20/min (760 – 47) × 21 % – paCO2 = 109 mm Hg
und beim Erwachsenen ca. 12–16/min. (14,5 kPa).

Aus dieser Formel wird auch ersichtlich, warum


Atemminutenvolumen z. B. ein hypoxischer Patient mit einer Lungen-
entzündung hyperventiliert. Durch eine Hyper-
Das Atemminutenvolumen ergibt sich durch ventilation fällt der paCO2-Wert von 40 mm Hg
Multiplikation des Atemzugvolumens mit der (5,3 kPa) auf z. B. 30 mm Hg (4,0 kPa) ab. Der
Atemfrequenz. Der 70 kg schwere Patient hat alveoläre Sauerstoffpartialdruck (760 – 47) ×
ein spontanes Atemminutenvolumen von 0,5 l/ 21 % – paCO2 = 149 – 30 beträgt jetzt 119 mm Hg
Atemzug × 15 Atemzüge/min = 7,5 l/min. Ein (15,9 kPa) anstatt nur 109 mm Hg (14,5 kPa), ist
Neugeborenes mit 3 kg KG hat ein spontanes also höher.
Atemminutenvolumen von 21 ml × 50 Atemzü-
ge/min = 1 050 ml/min. Je höher der Sauerstoffpartialdruck in der Alveo-
! le (p O ), desto höher ist auch der arterielle Sau-
A 2
erstoffpartialdruck (paO2).
Sauerstoffkaskade
Beim lungengesunden Patienten ist der arteriel-
Der Luftdruck beträgt auf Meereshöhe ungefähr le Sauerstoffpartialdruck (paO2) bei Atmung
760 mm Hg (101,3 kPa). Luft besteht zu 79 % von Raumluft nur wenige mm Hg niedriger als
aus Stickstoff und zu 20,9 % aus Sauerstoff. Die der alveoläre Sauerstoffpartialdruck (pAO2) und
Konzentrationen der anderen noch vorhande- liegt damit bei ca. 100 mm Hg. Bei Atmung von
nen Gase sind mit insgesamt 0,1 % vernachläs- 100 % Sauerstoff beträgt die Differenz zwischen
sigbar niedrig. Der Sauerstoffdruck macht da- pO2 in den Alveolen und arteriellem pO2
344 7  Intensivmedizin

(= AaDO2) ca. 25 bis 60 mm Hg (3,3–8,0 kPa). Ventilations/Perfusions-Verhältnis


Bei einer pulmonalen Insuffizienz ist diese
AaDO2 wesentlich höher und ein guter Grad- Wie effektiv der Gasaustausch in der Lunge ist,
messer für deren Ausmaß (→  S. 346). Zur Be- ! hängt nicht nur von der alveolären Ventilation
urteilung der Oxygenierungsfunktion der Lun- und der Diffusionskapazität, sondern auch noch
ge wird oft auch der Quotient aus dem paO2, der von der Durchblutung (Perfusion) der Alveolen
bei einer bestimmten FiO2 erreicht wird, ange- ab.
geben (sog. Oxygenierungsindex = paO2/FiO2;
Normalwert: ca. 500; bei mäßigem Lungenscha- Normalerweise sind Ventilation und Perfusion
den, z. B. ALI: < 300 [→  S. 445], bei schwerem gut aufeinander abgestimmt. Es wird von einem
Lungenschaden, z. B. ARDS: < 200 [→  S. 445]). normalen Ventilations/Perfusions-Verhältnis
gesprochen. In Lungengebieten, die gut durch-
blutet, aber schlecht belüftet sind, fließt das Blut
Sauerstoffdiffusionskapazität durch die Lungenkapillaren, ohne dass es aus-
reichend mit Sauerstoff aufgesättigt wurde. Fol-

Die Sauerstoffdiffusionskapazität besagt, wie viel ge eines solchen Ventilations/Perfusions-Miss­
 Sauerstoff pro Zeiteinheit durch die Blut-Luft- verhältnisses ist, dass ein Teil des Blutes vom
Schranke diffundiert. Sie ist abhängig von der O2- rechten Herzen durch die Lunge zum linken
Partialdruckdifferenz zwischen den Alveolen und Herzen fließt, ohne dass es ausreichend mit
dem Kapillarblut, der Diffusionsfläche und der Sauerstoff aufgesättigt wurde. Dieses Phänomen
Bindungsaffinität des Sauerstoffs an das Hämo- wird als Rechts-links-Shunt bezeichnet und
globin. Eine Vergrößerung der Diffusionsstrecke bedingt eine entsprechende Verminderung des
(z. B. ein Ödem der alveolokapillären Membran Sauerstoffgehaltes im arteriellen Blut. Die The-
bei einem Lungenödem) führt zu keiner Abnah- rapie besteht hierbei nicht in der (fast erfolglo-
me der Diffusionskapazität. Ein Abfall des paO2 sen) Erhöhung der inspiratorischen Sauerstoff-
im Rahmen eines Lungenödems ist durch einen konzentration, sondern in der Beseitigung des
Rechts-links-Shunt bedingt (→ unten). Rechts-links-Shunts, z. B. durch Einschalten ei-
nes PEEP (→  S. 23, 263, 353).
Normalerweise beträgt die Sauerstoffdiffusions-
kapazität ca. 250–300 ml/min beim Erwachse-
Die inspiratorische Sauerstoffkonzentration wird
nen. Der Erwachsene verbraucht also ca. 250–  oft als FiO2 (= fraction of inspired oxygen) be-
300 ml O2/min. Daher muss auch z. B. beim zeichnet. 70 % inspiratorische Sauerstoffkonzen-
geschlossenen Narkosesystem (→  S. 13) ein tration entsprechen einer FiO2 von 0,7.
Frischgasfluss von mindestens 250–300 ml O2/
min, das heißt ca. 4 ml/kg KG/min sichergestellt
sein. Sauerstofftransport im Blut
Die Diffusionskapazität für Sauerstoff nimmt
bei einer Verringerung der Diffusionsfläche Der über die Lungen aufgenommene Sauerstoff
(z. B. Resektion eines Lungenflügels) und bei ei- wird durch das Blut zu den verschiedenen Or-
ner Verringerung des Partialdruckgefälles (er- ganen transportiert. Im Blut wird der Sauerstoff
niedrigte FiO2) ab. Eine Verlängerung der zum größten Teil an das Hämoglobin gebun-
Diffusionsstrecke (Ödem der alveolokapillären den. 1 g Hämoglobin kann bei Vollsättigung
Membran bei einem Lungenödem) führt da­ 1,34 ml Sauerstoff transportieren (= Hüfner-
gegen zu keiner Abnahme der Diffusionska­ Zahl). Normalerweise ist das Hämoglobin des
pazität. Ein Lungenödem führt über eine Stö- arteriellen Blutes zu ca. 97–99 % mit Sauerstoff
rung des Ventilations/Perfusions-Verhältnisses gesättigt.
(→ unten) zu einer Abnahme des paO2.
7.2  Beatmungstherapie 345

Der Gehalt des chemisch an das Hämoglobin ge- + 1,95 (= physikalisch gelöster Sauerstoff) =
! bundenen Sauerstoffs in 100 ml arteriellem Blut 21,45 Vol.-%. Dieser Wert ist nur unwesentlich
bei einem Hb von 15 g % und einer Sättigung von höher als die 19,8 Vol.-% bei Atmung von Raum-
97 % beträgt damit: 15 × 1,34 × 0,97 = 19,5 ml luft (→  oben).
O2/100 ml Blut.
Damit wird deutlich, dass bei einer Vollsätti-
Dass die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins gung des Hämoglobins (97–99 %) der Sauer-
nicht 100 % beträgt, hat seinen Grund darin, stoffgehalt im Blut nur noch über den physika-
dass immer ca. 2–4 % des Herzminutenvolu- lisch gelösten Sauerstoffanteil gesteigert werden
mens (HMV) über physiologische Rechts-links- kann. Die dadurch erzielbare Steigerung des
Shunts die Oxygenierung umgehen. Sauerstoffgehalts ist jedoch verschwindend
Der Sauerstoff ist zu einem verschwindend klei- klein und hat normalerweise keine Vorteile.
nen Teil auch physikalisch im Blut gelöst (ge-
nauso wie Sauerstoff in Quellwasser gelöst ist).
Der physikalisch gelöste Sauerstoff ist abhän- 7.2.2 Respiratorische Insuffizienz
gig vom Sauerstoffpartialdruck im Blut. Pro
1 mm Hg (0,13 kPa) paO2 werden 0,003 ml O2
gelöst. Im arteriellen Blut beträgt der paO2 bei Hypoxie und Hypoxämie
Atmung von Raumluft normalerweise ca. 100
mm Hg (13,3 kPa). Damit beträgt der physika-
Hypoxie ist definiert als ein erniedrigter Sauer-
lisch gelöste Sauerstoff 100 × 0,003 = 0,3 ml  stoffpartialdruck (paO2) im arteriellen Blut, Hyp-
O2/100 ml Blut. Der gesamte Sauerstoffgehalt oxämie ist ein erniedrigter Sauerstoffgehalt im
des Blutes errechnet sich aus dem physikalisch arteriellen Blut.
gelösten und dem ca. 60- bis 65-mal größeren
Anteil des chemisch an das Hämoglobin gebun- Der Körper versucht eine Hypoxie bzw. Hypox-
denen Sauerstoffanteils. ämie über eine Stimulierung des Sympathikus
zu kompensieren. Es kommt dabei anfänglich
Insgesamt ergibt sich: physikalisch gelöster Sau- zu Tachykardie, Steigerung von Herzminuten-
! erstoff (0,3 ml O /100 ml) plus chemisch gebun- volumen und Blutdruck mit dem Ziel, die
2
dener Sauerstoff (19,5 ml/100 ml O2) = ca. 19,8 Organdurch­blutung zu verbessern. Außerdem
ml O2/100 ml Blut, also ca. 20 Vol.-%. tritt eine Hyperventilation auf. Zeichen der un-
genügenden zerebralen und peripheren Oxyge-
Wird ein lungengesunder Patient anstatt mit ei- nierung sind Unruhe, Verwirrtheit, Zyanose.
ner FiO2 von 0,21 mit einer FiO2 von 1,0 beat- Bei länger bestehender, schwerer Hypoxie
met, so beträgt der paO2 anstatt ungefähr 100 kommt es zu den Zeichen der Organinsuffizi-
mm Hg ca. 650 mm Hg (86,6 kPa). Während der enz wie Bradykardie, Blutdruckabfall, Rhyth-
chemisch an das Hämoglobin gebundene Sau- musstörungen und Schläfrigkeit.
erstoff nicht mehr gesteigert werden kann, da
bereits bei einer FiO2 von 0,21 beim lungenge-
sunden Patienten eine maximale Sättigung von Hypokapnie und Hyperkapnie
97–99 % vorliegt, nimmt hierbei nur der physi-
kalisch gelöste Sauerstoffanteil zu. Er beträgt
Eine zu hohe alveoläre Ventilation (= Hyperven-
nun 0,003 × 650 = 1,95 ml/100 ml Blut.  tilation) führt zum vermehrten Abatmen von CO2
und damit zu einem Abfall des arteriellen Kohlen-
Der gesamte Sauerstoffgehalt bei einer F O von dioxidpartialdrucks (paCO2) (Hypokapnie).
! 1,0 beträgt also beim lungengesunden iPatien-
2
Eine zu geringe alveoläre Ventilation (= Hy-
ten 19,5 (= chemisch gebundener Sauerstoff) poventilation) führt zu einem Anstieg des paCO2
(Hyperkapnie).
346 7  Intensivmedizin

Zeichen der Hypoventilation Die Entscheidung zur Beatmung muss indivi-


● Schwitzen duell gestellt werden. Sie lässt sich nur schwer
● Tachykardie schematisieren, auch wenn es klinische und la-
● Herzrhythmusstörungen borchemische Grenzwerte gibt, bei deren Über-
● Blutdruckanstieg schreitung die Intubation bzw. Beatmung in-
● in extremen Fällen „CO -Narkose“ mit Som-
2
diziert erscheint (vgl. Tab. 7-1). Im Allgemeinen
nolenz und Bewusstlosigkeit ist die Trendentwicklung für die Entscheidung
wichtiger als das Abweichen einzelner Werte
von der Norm.
7.2.3 Indikationen zur Beatmung
Für die Beatmung eines intensivpflichtigen Pa- Therapeutische Beatmung
tienten wird ein reines Beatmungsgerät (Respi-
rator) verwendet. Dieser Respirator wird nor- Der Grund für eine therapeutische Beatmung ist
malerweise an den Endotrachealtubus, evtl. ! meist eine respiratorische Insuffizienz (Partial-
auch an eine Trachealkanüle angeschlossen. oder Globalinsuffizienz).
Selten kann auch eine maschinelle Unterstüt-
zung der Spontanatmung über eine Gesichts- Ursachen der respiratorischen Insuffizienz kön-
(Nasen-)Maske erfolgen (NIV; →  S. 363). nen sein:
Eine Indikation zur Beatmung besteht dann, ● zentrale Atemlähmung,

wenn bei Spontanatmung eine ausreichende z. B. aufgrund einer Depression des Atem-
Sauerstoffaufnahme über die Lungen und/oder zentrums durch Medikamente (Barbiturate,
eine ausreichende Kohlendioxidabatmung nicht Opioide) oder Gifte, einer Schädigung des
mehr gewährleistet sind (vgl. Tab. 7-1). Atemzentrums im Rahmen eines Schädel-
Hirn-Traumas (SHT) oder eines Hirntu-

Ist nur der paO2 zu niedrig, so wird von einer Par- mors
 tialinsuffizienz gesprochen. Ist der paO2 zu nied- ● periphere Atemlähmung,
rig und gleichzeitig der paCO2 zu hoch, so wird z. B. aufgrund einer hohen Querschnittsläh-
von einer Globalinsuffizienz gesprochen. mung oder der Wirkung von Muskelrelaxan-
zien

Tab. 7-1  Richtwerte für die Intubation und Beatmung


Parameter Normalwerte Indikation zur Intubation
und Beatmung
Atemfrequenz/min 12–16 > 35
paO2 75–100 mm Hg (10–13,3 kPa) < 60 mm Hg (< 8 kPa) trotz Sauerstoffgabe
paCO2 35–45 mm Hg (4,6–6 kPa) > 55 mm Hg (> 7,3 kPa)
Totraum/Atemzug 25–40 % > 60 %
Vitalkapazität 65–75 ml/kg KG < 15 ml/kg KG
FEV1 50–60 ml/kg KG < 10 ml/kg KG
AaDO2 bei 100 % 25–60 mm Hg (3,3–7,9 kPa) > 400 mm Hg (> 53,3 kPa)
Inspiratorische Atemstromstärke 75–100 cm H2O < 25 cm H2O
Atemminutenvolumen in Ruhe 5–8 l/min > 10 l/min (deutliche Hyperventilation)
7.2  Beatmungstherapie 347

● pulmonale Insuffizienz, 7.2.4 Auswahl


z. B. wegen Lungenödem, Pneumonie, Atel­ des Beatmungsweges
ektasen, Lungenkontusion, Lungenembolie
● gestörte Atemmechanik, Eine längerfristige Beatmung kann über einen En-
z. B. durch Rippenserienfraktur, Sternum- ! dotrachealtubus oder über ein Tracheostoma
fraktur erfolgen.
● enorme Zunahme der Atemarbeit,

z. B. bei stark erhöhter Resistance oder stark


erniedrigter Compliance mit drohender Er- Langzeitintubation
schöpfung
Für eine Langzeitintubation bei Erwachsenen
wird zumeist eine orotracheale Intubation be-
Prophylaktische Beatmung vorzugt. Eine nasotracheale Langzeitintubation
wird inzwischen nur noch sehr selten bei er-

Wird eine Beatmung durchgeführt, obwohl im wachsenen Intensivpatienten durchgeführt (in
 Moment (noch) keine respiratorische Insuffizienz ca. 2–3 %).
vorliegt, so handelt es sich um eine prophylakti- Die nasotracheale Intubation hat gegenüber
sche Beatmung. der orotrachealen Intubation zwar folgende
Vorteile:
Eine prophylaktische Beatmung ist z. B. indi- ● bessere Fixierungsmöglichkeit des Tubus

ziert: ● wird vom Patienten langfristig besser tole-

● bei bewusstlosen Patienten, riert


um einer möglichen Aspiration vorzubeu- ● gute Mundpflege möglich

gen, da hierbei die Schutzreflexe ausgeschal-


tet sind Die nasotracheale Intubation hat gegenüber
● nach einer schweren Aspiration, der orotrachealen Intubation jedoch vor allem
da sich hierbei innerhalb kurzer Zeit eine folgende Nachteile:
pulmonale Insuffizienz einstellen wird ● Sie ist technisch wesentlich schwieriger

● bei prolongiertem Schock durchzuführen.


● bei Sepsis ● Bei der Nasenpassage droht eine Kontamina-
● bei großflächiger Verbrennung tion des Tubus. Die Keime der Nase werden
● bei gewünschter Verminderung der kardio- mit dem Tubus in die Trachea verpflanzt.
pulmonalen Belastung, ● Entzündungen der Nasennebenhöhlen sind

z. B. während der Wiedererwärmung eines häufiger.


ausgekühlten koronarsklerotischen Patien- ● Oft ist ein englumigerer Tubus nötig.

ten nach einer langen Operation. Durch das ● Es drohen mögliche Knorpelschädigungen

Kältezittern eines unterkühlten Patienten der Nasenscheidewand.


kann es zu einem starken Anstieg des Sauer- ● Die endotracheale Absaugung durch den

stoffverbrauches kommen. Bei einem koro- meist dünneren Tubus ist schwieriger.
narsklerotischen Patienten mit bereits grenz-
wertiger Sauerstoffversorgung des Myokards
könnte hierdurch eine Myokardischämie Tracheostomie
verursacht werden.
● bei erhöhtem intrakraniellem Druck (z. B. Die Tracheostomie wird öfter der längerfristi-
SHT), gen endotrachealen Intubation vorgezogen. In-
um eine kontrollierte Ventilation und ggf. dikationen für eine Tracheostomie sind:
kontrollierte Hyperventilation durchzuführen ● Verletzungen des Kehlkopfes
348 7  Intensivmedizin

● Erkrankungen, Verletzungen oder ein Tu- bildet hat, kann das Einsetzen der neuen Kanüle
mor der oberen Luftwege, wodurch eine In- sehr schwierig bis unmöglich sein! Es müssen
tubation unmöglich ist stets ein Trachealspreizer (zur evtl. notwendi-
● eine frontobasale Schädelfraktur, die eine gen Aufdehnung des Tracheostomas) sowie ein
nasotracheale Intubation verbietet (Infekti- Intubationsbesteck und eine Beatmungsmög-
onsgefahr) lichkeit griffbereit sein. Eventuell ist es auch
● Kehlkopf- oder Trachealläsionen nach Lang- sinnvoll, die Trachealkanüle über einen zuvor
zeitintubation (als Leitschiene) eingeführten dünnen Katheter
● kieferchirurgische oder HNO-chirurgische (z. B. Absaugkatheter) vorzuschieben. Später
Operationen wird die Kanüle ca. 2-mal pro Woche gewech-
● wenn absehbar ist, dass der ansonsten stabile selt.
Patient noch für längere Zeit nicht extubiert Falls ein Patient spontan atmet und falls keine
und/oder nur langwierig vom Beatmungsge- Aspirationsgefahr besteht, kann die Trachealka-
rät abtrainiert werden kann (Entwöhnung des nüle entblockt werden. Vor dem Entblocken
langzeitbeatmeten Patienten; →  S. 371): sind Mund und Rachen und unmittelbar nach
Eine Verlegung solcher Patienten in ein klei- dem Entblocken ist die Trachea sorgfältig abzu-
neres Krankenhaus ist auch oft nur möglich, saugen. Zum Essen und Trinken muss die Ka-
wenn ein (pflegeleichteres) Tracheostoma an- nüle jedoch vorübergehend geblockt werden.
gelegt ist. Über ein Tracheostoma kann der Pa- Inzwischen wird zunehmend häufiger eine sog.
tient intermittierend spontan atmen, aber auch Punktions-(Dilatations-)Tracheostomie ange-
zu jeder Zeit wieder an das Beatmungsgerät legt. Zwischen dem ersten und zweiten oder dem
angeschlossen werden. zweiten und dritten Trachealring wird die Haut
inzidiert und das Gewebe mittels Schere stumpf
Die Tracheostomie wurde früher normalerwei- auseinandergedrängt. Danach erfolgt eine Punk-
se vom HNO-Arzt als geplanter Eingriff im tion der Trachea mittels einer Kanüle, über die
Operationssaal vorgenommen. Dabei wird zwi- dann ein Seldinger-Draht bis in die Trachea vor-
schen der epithelialisierten Stomaanlage, bei geschoben wird. Anschließend erfolgt über den
der die äußere Haut in die Trachea eingenäht Draht eine Aufdehnung mittels Dilatator, über
wird, und der nicht epithelialisierten Stomaan- den dann die Trachealkanüle vorgeschoben
lage unterschieden. Zunehmend häufiger wer- wird. Diese Punktionstracheostomie wird nor-
den auch perkutane Tracheostomietechniken malerweise auf der Intensivstation durchgeführt.
angewandt (Punktion und [mehrfache] Auf- Später braucht die Kanüle nur gezogen zu wer-
bougierung des Punktionskanals = Dilatations- den. Es kommt dann zum Spontanverschluss, es
tracheostoma; →  unten). Notfallmäßige Tra- ist keine Verschlussoperation notwendig.
cheostomien bei Erstickungsgefahr werden nur
noch sehr selten durchgeführt. In diesen Fällen
ist die Koniotomie oder die transtracheale Jet- Pflege des Tracheostomas
Ventilation meist das Verfahren der Wahl (→  S.
229). Das Tracheostoma muss normalerweise einmal
Nach einer operativen Tracheostomie wird vom pro Schicht gepflegt werden, je nach Sekretion
Operateur die Trachealkanüle (mit einem high und Hautverhältnissen ggf. auch häufiger oder
volume, low pressure cuff; →  S. 83) eingesetzt seltener. Hierzu wird der Kopf des Patienten
und fixiert. Nach normalerweise 48 Stunden leicht überstreckt gelagert und es wird der alte
wird zum ersten Mal die Trachealkanüle ge- Tracheostomaverband entfernt, Bronchialsekret
wechselt. Den ersten Wechsel sollte ein Arzt der aus dem Tracheostoma und um das Stoma her-
HNO-Abteilung vornehmen. Falls sich der Tra- um wird abgesaugt, die Haut gereinigt und ge-
cheostomiekanal noch nicht vollständig ausge- trocknet. Je nach Pflegestandard wird das Tra-
7.2  Beatmungstherapie 349

cheostoma auch desinfiziert und anschließend nun wiederholt aus seiner Umhüllung endotra-
mit etwas Olivenöl eingerieben, um die Haut cheal eingeführt und wieder in seine sterile
geschmeidig zu halten. Danach wird eine neue Umhüllung zurückgezogen werden. Der Kathe-
sterile Schlitzkompresse oder Metaline zwi- ter kann eingeführt werden, ohne dass die Beat-
schen Haut und Abschlussplatte der Tracheal- mung unterbrochen werden muss und ohne
kanüle eingebracht und die Trachealkanüle dass z. B. ein hoher positiver endexspiratori-
wird dann mit einem neuen Fixierband um den scher Druck (PEEP; →  S. 353) verloren geht.
Hals befestigt. Diese geschlossenen Absaugsysteme können je-
weils für 24 Stunden verwendet werden. Ob das
geschlossene Verfahren im Hinblick auf die In-
7.2.5 Bronchialtoilette zidenz nosokomialer Pneumonien Vorteile im
Vergleich zum herkömmlichen Absaugverfah-
Beim intubierten oder tracheostomierten Pati- ren hat, ist bisher nicht belegt.
enten ist je nach den Bedürfnissen des Patien-
ten eine mehr oder weniger häufige Bronchial- Das Absaugmanöver sollte nicht länger als 10–15
toilette notwendig. Mittels Auskultation ! Sekunden dauern. Insbesondere bei schwerkran-
(grobblasige Rasselgeräusche? →  S. 404) kann ken Patienten mit einer hohen FiO2 (→  S. 344)
am besten festgestellt werden, wann wieder ein kann es bei längeren Absaugmanövern zu schwe-
endobronchiales Absaugen nötig ist. Die endo- ren Hypoxämien (→  S. 345) und auch Bradykar-
bronchiale Absaugung muss unter sterilen Be- dien kommen.
dingungen durchgeführt werden. Jeder Patient
benötigt sein eigenes Absauggerät. Es sind ein Zum Absaugen der linken Lunge wird empfoh-
Mundschutz, sterile Handschuhe und ein steri- len, den Kopf des intubierten Patienten nach
ler Absaugkatheter zu benutzen. Vor dem Ab- rechts zu drehen, zum Absaugen der rechten
saugmanöver wird dem Patienten für einige Lunge wird empfohlen, den Kopf nach links zu
Minuten reiner Sauerstoff verabreicht, falls die drehen. Der Nutzen dieses Vorgehens scheint
FiO2 mehr als 0,5 beträgt. jedoch nicht sicher belegt. Nach dem Absaug-
Während der Absaugkatheter eingeführt wird, manöver empfiehlt sich ein mehrmaliges kräfti-
darf bei üblichen Kathetern nicht (!) gesaugt ges Blähen der Lunge mit 100 % O2. Anschlie-
werden. Es gibt inzwischen allerdings auch Ab- ßend wird der Patient wieder an den Respirator
saugkatheter, die unter Sog eingeführt werden angeschlossen und kurz danach wird wieder die
(AERO-JET®-Katheter, Fa. Sherwood Medical). übliche Sauerstoffkonzentration eingestellt.
Der Absaugkatheter – dessen Durchmesser Eine Gefahr beim endotrachealen Absaugen
höchstens 50 % des Tubusinnendurchmessers liegt immer in der Möglichkeit, einen Vagusreiz
betragen darf – wird bis zum Auftreten eines mit akuter Bradykardie auszulösen.
Widerstandes eingeführt. Nun wird der Kathe- Das Bronchialsekret sollte regelmäßig mikro-
ter einen Zentimeter zurückgezogen, mit dem biologisch untersucht werden (→  S. 389).
Finger das Y-Ventil bzw. der Fingertip ver-
schlossen und der Katheter unter Sog langsam
herausgezogen (Erwachsene 0,4 bar, Kinder 0,2 7.2.6 Langzeitbeatmung
bar Sog). Inzwischen gibt es auch geschlossene
Systeme zur endotrachealen Absaugung (z. B. Beatmungsparameter
TRACH CARE®, Fa. Kendall). Der Absaugka-
theter befindet sich in einer Schutzhülle. Das Die eingestellten Beatmungsparameter müssen
T-Stück dieses Systems wird zwischen Endotra- in regelmäßigen Abständen sowie bei einer Ver-
chealtubus und Y-Stück der Beatmungsschläu- änderung von Parametern in einem Beatmungs-
che konnektiert. Dieser Absaugschlauch kann protokoll schriftlich dokumentiert werden.
350 7  Intensivmedizin

Wird eine computergestützte Dokumentation ter paCO2 [z. B. permissive Hyperkapnie; →  S.
vorgenommen, dann ist es sinnvoll, dass die Be- 447] oder ein erniedrigter paCO2 [z. B. kontrol-
atmungsparameter direkt in den Dokumentati- lierte Hyperventilation; →  S. 272] angestrebt.)
onscomputer eingespeist werden. Durch ein relativ hohes Atemhubvolumen bei
relativ niedriger Atemfrequenz kann die pro-
zentuale Totraumventilation verringert und der
Inspiratorische Sauerstoffkonzentration Entstehung von Atelektasen vorgebeugt werden.
Ob allerdings die Beatmung mit hohem Hubvo-
Es ist wichtig, eine unnütz hohe Sauerstoffkon- lumen und niedriger Atemfrequenz tatsächlich
zentration (FiO2; →  S. 344) zu vermeiden. An- einer höherfrequenten Beatmung mit geringe-
zustreben ist eine (fast) normale Sauerstoffsätti- rem Hubvolumen überlegen ist, ist nicht bewie-
gung von 97–99 % und ein (fast) normaler paO2 sen. Handelt es sich um eine gesunde Lunge,
(ca. 12–13 kPa). Die Gefahren einer zu hohen dann sind vermutlich beide Konzepte vergleich-
FiO2 werden auf Seite 370 beschrieben. Für die bar gut. Sehr große Atemhubvolumina sind je-
meisten kritischen klinischen Situationen reicht doch auf jeden Fall zu vermeiden, da eine Über-
aber ggf. auch ein paO2 von > 60 mm Hg bzw. dehnung der Lunge und hohe Beatmungsdrücke
eine Sättigung von > 90 % aus (z. B. bei ARDS; (> 30 mbar) sehr schädlich sind. Hierdurch
→  S. 445). nimmt die Gefahr einer druck- bzw. volumen-
bedingten Lungentraumatisierung (Barotrauma
bzw. Volutrauma) zu (vgl. protektive Beatmung,
Atemhubvolumen z. B. bei ARDS; →  S. 445). Bei lungenkranken
Patienten mit schlechter Lungen-Compliance
Bei der Spontanatmung ist ca. ⅓ des Atemzug- sollte daher ein eher niedriges Hubvolumen an-
volumens (= AZV) Totraumventilation (anato- gestrebt werden. Oft wird dann ein Atemhubvo-
mischer Totraum der zuleitenden Atemwege: lumen von ca. 6 ml/kg KG eingestellt (vgl. lun-
Mund, Nase, Rachen, Trachea und Bronchien). genprotektive Beatmung; →  S. 446).
Beim Erwachsenen sind dies ⅓ von 500 ml und
damit ca. 150 ml Totraum. Die restlichen ⅔ = Bei der Ausbildung z. B. einer schweren Pneumo-
350 ml des AZV entsprechen der alveolären ! nie nimmt die Compliance der Lunge ab. Bei Beat-
Ventilation, die für den Gasaustausch entschei- mung mit einem konstanten Beatmungsvolumen
dend ist. Würde ein Patient bei gleichem AMV werden die Beatmungsdrücke daher höher.
mit einer erhöhten Atemfrequenz, dafür aber
mit nur 300 ml/Atemhub beatmet, würde die Da zu hohe Beatmungsdrücke die Gefahr
Totraumventilation von 150 ml bereits 50 % des einer druckbedingten Lungenschädigung (z. B.
Atemhubvolumens betragen. Pneumothorax) beinhalten (sog. Barotrauma),
Entscheidend ist jedoch die alveoläre Ventilati- wird versucht, den Beatmungsdruck möglichst
on. Um diese zu vergrößern, wird bei der nicht zu hoch ansteigen zu lassen. Vor allem
konventionellen künstlichen Beatmung des lun- durch folgende Methoden kann der Beatmungs-
gengesunden Erwachsenen (mit normaler Com- spitzendruck vermindert werden:
pliance) mit einem etwas über dem spontanen ● Erniedrigung des Atemhubvolumens

Atemzugvolumen (von ca. 7 ml/kg KG) liegen- (ca. 6 ml/kg KG) bei gleichzeitiger Erhöhung
den Atemhubvolumen von ca. 8–9 ml/kg KG der Atemfrequenz
und mit einer etwas unter der normalen Atem- ● Verlängerung der Inspirationszeit (→  S. 352)

frequenz (von 12–16/min) liegenden Atemfre- ● Verminderung des Flows (→ S. 351)

quenz von ca. 8–10/min beatmet. Ziel ist ein ● inspiratorische Druckbegrenzung

normaler paCO2 (40 ± 5 mm Hg). (Nur in be- (≤ 30 cm H2O)


stimmten Ausnahmesituationen wird ein erhöh-
7.2  Beatmungstherapie 351

Konventionelle Beatmungskonzepte und die Bei Verwendung eines dezelerierenden Flows


sog. lungenprotektive Beatmung (zur Minimie- tritt kein Beatmungsspitzendruck auf, sondern
rung des Beatmungsspitzendrucks) werden lediglich ein konstanter Plateaudruck und es
ausführlich auf Seite 446 abgehandelt. Da hohe wird eine gleichmäßigere Verteilung des Atem-
Beatmungsdrücke eine Lungenschädigung be- hubvolumens in der Lunge erreicht. In der In-
günstigen, wird bei bestimmten Lungenerkran- tensivmedizin sollte nur der dezelerierende
kungen (z. B. ARDS →  S. 445; COPD →  S. 449; Flow verwendet werden.
schwerem Asthma bronchiale →  S. 499) das Der Flow kann vor allem an älteren Beatmungs-
Atemminutenvolumen u. U. sogar unter die geräten noch direkt eingestellt werden (dieser
Norm vermindert, um den Beatmungsdruck Flow darf nicht mit dem Frischgas-Flow am
möglichst gering zu halten. Es wird dabei ein Narkosegerät verwechselt werden; →  S. 16). An
erhöhter paCO2 in Kauf genommen (sog. per- anderen älteren Respiratoren muss der Flow
missive Hyperkapnie). aus der Inspirationszeit und dem Atemhubvo-
lumen errechnet werden. Wird ein Patient z. B.
mit einem Atemhubvolumen von 700 ml und
Atemminutenvolumen einer Atemfrequenz von 10/min beatmet, so
dauert ein Atemzyklus 6 Sekunden. Beträgt das
Das Atemminutenvolumen ist so einzustellen, I : E-Verhältnis (Inspiration zu Exspiration) 1 : 2,
dass der gewünschte paCO2 erreicht wird. Häu- so dauert die Inspiration 2 Sekunden, das heißt,
fig reicht beim Erwachsenen ein Atemminuten- der Patient erhält sein eingestelltes Atemhubvo-
volumen von ca. 6–7 l/min aus. Im Extremfall lumen (z. B. 700 ml/Atemhub) in 2 Sekunden (=
kann aber ein AMV zwischen 4 l/min (z. B. bei ein Atemvolumen von 700 ml/2 s). Wird dies
Hypothermie) bis ca. 30 l/min (z. B. bei massi- auf eine Minute extrapoliert, so würde der Pati-
ver Stoffwechselsteigerung) notwendig werden. ent in 60 Sekunden mit 21 000 ml (= 21 l/min)
beatmet, also mit einem Flow von 21 l/min. Bei
einem I : E-Verhältnis von 1 : 2 steht also für die
Flow Inspiration lediglich ⅓ des Atemzyklus zur Ver-
fügung. Damit der Patient ausreichend beatmet

Unter einem Flow wird die Geschwindigkeit ver- wird, muss der Flow unter diesen Bedingungen
 standen, mit der das Atemhubvolumen in den Pa- also mindestens dem 3-fachen Wert des Atem-
tienten geblasen wird. minutenvolumens entsprechen.
Der Flow wird meist mit ca. 30–60 l/min einge-
Im Prinzip gibt es verschiedene Flow-Profile: stellt. Bei Wahl eines sehr hohen Flows kommt
Klinisch relevant sind nur der dezelerierende es an den Aufzweigungen des Bronchialsystems
(während der Inspiration abnehmenden) und zu stärkeren Turbulenzen, und der Beatmungs(-
der Rechteck-Flow. Bei der druckkontrollierten spitzen-)druck steigt an. Hierdurch wird auch
Beatmung handelt es sich stets um einen deze- eine ungleichmäßige Belüftung der verschiede-
lerierenden Flow (→  unten). Auch bei der volu- nen Lungenabschnitte begünstigt. Durch Er-
menkontrollierten Beatmung wird inzwischen niedrigung des Flows entstehen weniger Tur-
in der Intensivmedizin ein dezelerierender Flow bulenzen und der Beatmungsdruck sinkt. Die
eingestellt (sog. Autoflow bei Dräger-Geräten; Luftverteilung erfolgt bei niedrigem Flow
z. B. Evita XL). Ein Rechteck-Flow (mit Ausbil- gleichmäßiger in den verschiedenen Lungenbe-
dung eines Atemwegsspitzendrucks; vgl. Abb. reichen. Bei der Wahl eines zu niedrigen Flows
7-2a) kommt vor allem bei der intraoperativen wird jedoch unter Umständen das eingestellte
Beatmung von lungengesunden Patienten zur AMV nicht mehr erreicht.
Anwendung.
352 7  Intensivmedizin

Inspirationszeit/Exspirationszeit- atmung vermehrt Beatmungsgemisch in der


Verhältnis Lunge. Es bildet sich dadurch ein von der Lunge
selbst ausgehender, sog. „intrinsic“ oder Auto-
Das normale Atemzeitverhältnis Inspirati- PEEP aus. Ob ein „intrinsic“ PEEP vorliegt,
on : Exspiration (= I : E) beträgt beim Erwachse- kann vor allem an der (bei Intensivgeräten meist
nen 1,5 : 1 bis 1 : 2, beim Säugling und Kind 1 : 1. dargestellten) Flow-Kurve erkannt werden. Be-
Bei der Beatmung eines lungengesunden Pati- ginnt die Inspiration bevor die vorausgegangene
enten wird meist das normale Atemzeitverhält- Ausatmung ganz beendet war, das heißt der
nis gewählt. Mit zunehmender Lungenschädi- Flow auf Null abgefallen ist, dann hat sich ein
gung nimmt die Compliance der Lunge ab Auto-PEEP entwickelt (→ S. 354).
(→  S. 341), und der Beatmungsdruck steigt an. Bei vielen Beatmungsgeräten können die Dauer
Durch Verlängerung der Inspirationszeit kön- der Inspiration sowie die Dauer einer Inspirati-
nen der Beatmungsspitzendruck gesenkt wer- onspause in Prozent des Atemzyklus eingestellt
den, die Atemgase gleichmäßiger in den termi- werden.
nalen Luftwegen verteilt sowie auch eine bessere Während der Inspirationspause wird das aktiv in
Oxygenierung des Patienten, das heißt ein An- den Patienten geblasene Volumen noch für ei-
stieg des paO2 erzielt werden. nen kurzen Zeitraum im Patienten zurückgehal-
ten. Während der inspiratorischen Pause strömt
Je schlechter die Lungenfunktion und je höher der kein Beatmungsgemisch mehr in den Patienten
! Beatmungsdruck, desto länger sollte die Inspirati- (No-Flow-Phase). Es kommt zur Umverteilung
onszeit gewählt werden (z. B. beim ARDS). des Atemhubvolumens innerhalb der Lungen.
Auch Lungenbezirke, die langsamer aufdehnbar
Unter Umständen kann das normale Atemzeit- sind, werden nun verzögert aufgebläht.
verhältnis von 1 : 2 verändert werden in 1 : 1, 2 : 1, Allerdings verfügen nicht alle Beatmungsmus­
3 : 1, im Extremfall bis 4 : 1. Da nun die Inspirati- ter über eine inspiratorische Pause (nur bei zeit-
onsphase länger als die Exspirationsphase ist gesteuerter, nicht bei volumengesteuerter Beat-
(I : E > 1 : 1), wird von einem um­gekehrten mungsform möglich).
Atemzeitverhältnis oder von Inversed-Ratio- Nach der inspiratorischen Pause fängt die passi-
Beatmung gesprochen. Eine Inversed-Ratio- ve Exspiration an.
Ventilation (= IRV) kann druckkontrolliert oder Während einer volumenkontrollierten Beat-
volumenkontrolliert (→  S. 355) durchgeführt mung mit Rechteck-Flow (→  S. 351) – wie sie
werden. Um die Gefahr einer Überdehnung der nur noch für die Narkosebeatmung durchge-
Lunge zu vermeiden, sollte eine druckkontrol- führt wird – zeigt der Beatmungsdruck den in
lierte IRV durchgeführt bzw. bei der volumen- Abbildung 7-2a dargestellten charakteristischen
kontrollierten IVR sollte eine Druckbegrenzung Kurvenverlauf. Der Atemwegsspitzendruck
(→  S. 356) eingestellt werden. Die kardiovasku- überträgt sich nur zum Teil auf die Alveolen.
lären Nebenwirkungen sind bei einer IRV stär- Der (endinspiratorische) Plateaudruck (vgl.
ker ausgeprägt als bei einem normalen Arbeits- Abb. 7-2a) entspricht ungefähr dem Druck in
zeitverhältnis. Da für die Exspiration relativ den Alveolen. Er sollte möglichst nicht über ca.
wenig Zeit zur Verfügung steht, ist eine IRV bei 30 cm H2O betragen. (Beim Husten oder Niesen
Asthma bronchiale oder COLD zu vermeiden können Atemwegsspitzendrücke von 100–200
(bei diesen Erkrankungen ist die Exspiration cm H2O auftreten.)
verzögert, d. h. eine lange Exspirationszeit not- Der Druck fällt während der Exspiration bis auf
wendig). Wird die Exspirationszeit zu kurz ge- Null oder nur bis auf einen evtl. eingestellten
wählt, dann beginnt – bevor die Ausatmung positiven endexspiratorischen Druck (PEEP) ab
ganz beendet wurde – schon die nächste Einat- (8 in Abb. 7-2a).
mung. Es verbleibt also damit am Ende der Aus-
7.2  Beatmungstherapie 353

exspiratorischer Druck. (An modernen Beatmungs-


4 geräten kann zusätzlich noch der Atemwegsmitteldruck
5 6
abgelesen werden. Dieser entspricht dem mittleren
1 2 3 7 Druckniveau während des gesamten Atemzyklus.) In der
8
a Intensivmedizin wird inzwischen normalerweise eine
volumenkontrollierte Beatmung mit dezelerierendem
Flow (z. B. VCV plus Autoflow bei Evita XL, Fa. Dräger)
9 10
b eingesetzt. Dabei ergibt sich ein Verlauf der Druckkurve
wie bei der druckkontrollierten Beatmung (vgl. Abb.
12 7-2b). b Druckkontrollierte Beatmung. Initial wird – bis
11
das inspiratorische Druckniveau erreicht ist – ein hoher
c Flow verabreicht. Danach nimmt der Flow soweit ab
(dezelerierender Flow), wie für die Aufrechterhaltung
13 14 des Druckniveaus bis zum Ende der Inspirationszeit not-
wendig ist. 9 = Inspiration; 10 = Exspiration. c Assis­
d tierte/kontrollierte Beatmung. 11 = Jede Patienten-Trig-
15
20 22 gerung führt zu einem nachfolgenden assistierten Atem-
hub. 12 = keine Patienten-Triggerung: Es folgen kontrol-
17 19 18 21 16
e
lierte Atemhübe mit der vorgegebenen Frequenz. d SIMV
(= synchronized intermittent mandatory ventilation).
13 = spontaner Atemzug außerhalb des „Erwartungs-
23 23
fensters“, der deshalb keinen assistierten Atemhub aus-
f löst. 14 = spontaner Atemzug während des „Erwar-
tungsfenster“, der dadurch einen assistierten Atemhub
Abb. 7-2 Typische Beatmungsdruckkurven. triggert. e BIPAP (= biphasic positive airway pressure).
a Volumenkontrollierte Beatmung mit konstantem Flow 15 = oberes Atemwegsdruckniveau; 16 = unteres
(= Rechteck-Flow). 1 = Flow-Phase; 2 = No-Flow-Phase Atemwegsdruckniveau; 17 = Inspiration; 18 = Exspira-
(= inspiratorische Pause); (1 + 2 = Inspirationszeit); tion; 19 = keine überlagerte Spontanatmung; 20 = keine
3 = Exspirationszeit; 4 = Atemwegsspitzendruck; überlagerte Spontanatmung; 21 = überlagerte Spontan-
5 = Plateaudruck; 6 = Druck, der zur Überwindung der atmung; 22 = überlagerte Spontanatmung. f APRV
Resistance notwendig ist; 7 = Druck, der zur Überwin­ (= airway pressure release ventilation). 23 = überla-
dung der Compliance notwendig ist; 8 = positiver end­ gerte Spontanatmung.


Flow-Phase und Inspirationspause (vgl. Abb. 7-2a) PEEP
 werden zusammen als die Inspirationsdauer be-
zeichnet.
PEEP (= positive endexspiratory pressure = po-
 sitiver endexspiratorischer Druck) bedeutet, dass
25%ige Flow-Phase und 10%ige inspiratorische der Beatmungsdruck am Ende der Ausatmung
Pause bedeuten, dass die gesamte Inspirations- nicht wie normalerweise auf Null, sondern nur bis
phase 35 % des kompletten Atemzyklus dauert, auf einen eingestellten positiven Druck abfällt.
dies entspricht einem Atemzeitverhältnis I : E
von 35 : 65 % = 1 : 1,9. Ein evtl. PEEP wird meistens zwischen 5 und 15
Das I : E-Verhältnis kann jedoch nicht bei allen cm H2O (= mbar) eingestellt.
Beatmungsformen eingestellt werden (nur bei
zeitgesteuerter Beatmung). Ziel eines PEEP ist die Verbesserung des arteriel-
! len p O -Wertes und damit die Erniedrigung der
a 2
FiO2.
354 7  Intensivmedizin

Erreicht wird dies dadurch, dass mithilfe des Bei hohem PEEP-Niveau kann die dadurch be-
PEEP das am Ende der Ausatmung in der ! dingte Abnahme des HMV so groß sein, dass der
Lunge verbleibende Volumen vergrößert, positive Effekt durch die PEEP-bedingte Erhöhung
das heißt die funktionelle Residualkapazität des paO2 übertroffen wird, das heißt, die Sauer-
(FRC) (→  S. 342) erhöht wird. Dadurch wer- stofftransportkapazität ist aufgrund des stark er-
den Atelektasen aufgebläht und Rechts-links- niedrigten HMVs vermindert, obwohl der paO2 er-
Shunts werden vermindert. Besteht kein Rechts- höht ist.
links-Shunt, so kann durch den PEEP keine
Verbesserung der Oxygenierung erzielt wer- Es gilt nun, denjenigen PEEP einzustellen, mit
den. dem die größte Sauerstofftransportkapazität er-
reicht werden kann (= optimaler PEEP). Ein

Wird der PEEP am Beatmungsgerät eingestellt, gut geeigneter Parameter für die Ermittlung des
 dann wird von Extrinsic-PEEP gesprochen. Ent- optimalen PEEP ist die Compliance von Lunge
wickelt sich in der Lunge (z. B. durch zu kurze Aus- und Thorax. Dasjenige PEEP-Niveau, das eine
atmungszeit) ein PEEP, dann wird von Intrinsic- Beatmung mit der größten Compliance ermög-
bzw. Auto-PEEP gesprochen (→ S. 352). licht, entspricht dem optimalen PEEP: Ist der
PEEP zu niedrig, kommt es im Bereich geschä-
Bei einem Patienten mit Lungenödem ist das digter Lungenareale endexspiratorisch zum Al-
Einschalten eines relativ hohen PEEP aus ver- veolarkollaps. Bei der nächsten Inspiration
schiedenen Gründen sinnvoll. Durch einen müssen diese Alveolen wieder aufgedehnt (re-
PEEP wird der venöse Rückfluss zum rechten krutiert) werden. Ist der PEEP zu hoch, kommt
Herzen behindert (→  S. 358, 369). Dies hat es endinspiratorisch zu einer Überdehnung von
eine ähnliche Wirkung wie ein Aderlass oder Lungengewebe. In beiden Fällen ist die Dehn-
die Gabe von Nitroglycerin und entlastet das barkeit (Compliance) von Lunge und Thorax
Herz. vermindert. Eine weitere Möglichkeit zur Er-
Des Weiteren wird durch den erhöhten mecha- mittlung des optimalen PEEP ist die Bestim-
nischen Druck in den Alveolen das aus den mung der gemischtvenösen Sauerstoffsätti-
Kapillaren ins Lungengewebe ausgepresste gung (→  S. 201). Bei einem niedrigen paO2 oder
Lungenödem wieder zurückgedrängt bzw. bei einem erniedrigten HMV nimmt die Aus-
in der Entstehung behindert. Als weitere In­ schöpfung des Blutes im Gewebe zu, die ge-
dikationen für einen PEEP werden z. B. Pneu- mischtvenöse Sättigung fällt weiter ab als nor-
monie, ARDS und Lungenkontusion genannt. malerweise üblich. Ist unter PEEP der paO2
Ob ein prophylaktischer PEEP sinnvoll ist, hoch und ist auch das HMV noch hoch (d. h.
ist nicht eindeutig geklärt. (Mögliche Neben- PEEP-bedingt noch nicht abgefallen), so ist die
wirkungen eines höheren PEEP →  S. 268, 358, gemischtvenöse Sättigung ebenfalls hoch.
369.)
Durch das Einstellen eines PEEP nimmt Ein optimaler PEEP ist also dann auch eingestellt,
normalerweise der paO2 des arteriellen Blutes ! wenn die gemischtvenöse Sauerstoffsättigung am
und damit der Sauerstoffgehalt des Blutes (→  S. höchsten ist.
345) zu. Der Sauerstoffgehalt multipliziert
mit dem HMV ergibt die Sauerstofftransport-
kapazität des Blutes, die letztlich entscheidende Beatmungsgeräte
Größe, die besagt, wie viel Sauerstoff pro Zeit-
einheit dem Gewebe zur Verfügung gestellt Mit einem Beatmungsgerät wird ein bestimm-
wird. Mit steigendem PEEP-Niveau kommt es tes Hubvolumen mit Überdruck in die Lungen
jedoch zu einer Reduktion des HMV. des Patienten gepresst. Es wird von intermittie-
render Überdruckbeatmung (= intermittent
7.2  Beatmungstherapie 355

positive pressure ventilation = IPPV) gespro- ● volumengesteuert,


chen. Beatmungsgeräte können nach verschie- ● druckgesteuert,
denen Funktionsprinzipien arbeiten. ● zeitgesteuert oder

Die Einteilung der mit den verschiedenen Beat- ● Flow-gesteuert

mungsgeräten (Respiratoren) durchführbaren sein.


Beatmungsformen erfolgt am besten anhand
der sog. Kontrollvariablen, anhand des Steue- Volumensteuerung
rungsprinzips und anhand der sog. Begrenzung. Nach Abgabe eines einstellbaren Beatmungsvolu-
Es gibt allerdings noch zahlreiche andere Ein- ! mens schaltet der Respirator in die Ausatmung.
teilungskriterien.
Die volumengesteuerten Geräte sind in der In-
tensivmedizin sehr beliebt. Bei einer Diskon-
Kontrollvariable nektion oder bei einem Leck im Schlauchsystem
wird der Patient allerdings nicht richtig beat-
Je nachdem, welche Variable vom Beatmungs- met. Obwohl der Patient hierbei zu wenig oder
gerät beeinflusst wird, um das Inspirationsvolu- kein Atemhubvolumen erhalten hat, schaltet
men abzugeben, wird von das Gerät nach Abgabe des eingestellten Volu-
● volumenkontrollierter Beatmung mens in die Ausatmung um.
(= volume controlled ventilation = VCV; vgl.
Abb. 7-2a), Das Atemminutenvolumen muss immer im Aus-
● druckkontrollierter Beatmung
! atemschenkel gemessen werden. Bei einer Mes-
(pressure controlled ventilation = PCV; vgl. sung im Inspirationsschenkel würde ein Leck zwi-
Abb. 7-2b), schen Volumeter und Patient nicht erfasst wer-
● Flow-kontrollierter Beatmung oder den.
● (zeitkontrollierter Beatmung)

gesprochen. Zumeist kommt die PCV oder Eine Änderung der Compliance von Lunge oder
VCV zur Anwendung. Fast alle neueren Beat- Thorax hat fast keinen Einfluss auf das Beat-
mungsformen für Intensivpatienten sind druck- mungsvolumen. Volumengesteuerte Geräte be-
kontrolliert. Eine druckkontrollierte Beatmung atmen nahezu volumenkonstant. Allerdings
(vgl. Abb. 7-2b) ist stets auch druckbegrenzt kann bei einer Verschlechterung der Com­
(→  S. 356). Bei der volumenkontrollierten Be- pliance der Beatmungsdruck stark ansteigen
atmung wird bei Intensivpatienten durch An- (Gefahr des Barotraumas). Daher sollten bei
wendung eines dezelerierenden (während der solchen Beatmungsgeräten die Druckgrenzen
Inspiration abnehmenden) Flows der Beat- (→  S. 356) genau eingestellt werden.
mungsspitzendruck vermieden und eine ähnli-
che Druckkurve erzielt wie bei der PCV. VCV Drucksteuerung
mit dezelerierendem Flow und PCV sind ver- Bei Erreichen eines einstellbaren Drucks schaltet
gleichbar günstig. ! der Respirator in die Ausatmung.

Solange die Compliance konstant ist, kann mit


Steuerung diesen Geräten volumenkonstant beatmet wer-
den. Vermindert sich jedoch die Compliance,
Wie weiß der Respirator, dass er die Einatmung weil der Patient z. B. presst und verspannt ist
nun abbrechen und mit der Ausatmung begin- oder gegen die Maschine atmet, so wird der Be-
nen soll? Dieser Umschaltmechanismus von der atmungsdruck, bei dem in die Exspiration um-
Inspiration in die Exspiration wird als Steuerung geschaltet wird, schon erreicht, bevor das nötige
bezeichnet. Dieser Mechanismus kann Atemhubvolumen in den Patienten geblasen ist.
356 7  Intensivmedizin

Damit nimmt das Atemminutenvolumen (= gerade hustet oder ausatmet, so kann es unter
AMV) ab, die Atemfrequenz steigt an. Sobald Umständen zu einem enormen Druckanstieg
sich also die Compliance der Lunge oder des im Bronchialsystem kommen, da das volumen-
Thorax oder die Resistance ändert, muss das gesteuerte Gerät rücksichtslos die eingestellten
Gerät neu eingestellt werden. 700 ml Hubvolumen abgibt. Es ist nun möglich,
eine Druckbegrenzung einzuschalten.
Druckgesteuerte Geräte können also eine Ände-
! rung des Atemwiderstandes nicht kompensieren. Eine Druckbegrenzung von beispielsweise 30
! cm H O bedeutet, dass das volumengesteuerte
2
Deshalb sollten solche Geräte immer in Kombi- Gerät mit z. B. 700 ml Atemhubvolumen beatmet
nation mit einem Kapnometer (→  S. 405) be- wird, wobei ein Beatmungsdruck von 30 cm H2O
trieben werden, damit eine Änderung des AMVs nicht überschritten wird.
am Kapnometer erkannt werden kann. Außer-
dem sollten die Grenzwerte für das Atemminu- Wird hierbei jedoch ein Beatmungsdruck von
tenvolumen eng eingestellt werden. Druckge- 30 cm H2O erreicht, so wird der Druck auf 30
steuerte Geräte werden aus obigen Gründen nur cm H2O begrenzt, die Inspiration wird jedoch
selten zur maschinellen Beatmung, sondern fast nicht (!) abgebrochen, sondern fortgesetzt. Es
nur im Rahmen der Atemtherapie extubierter handelt sich damit um ein volumengesteuertes,
Patienten eingesetzt (als intermittent positive druckbegrenztes Beatmungsmuster.
pressure breathing = IPPB). Inzwischen wird Es gibt folgende prinzipielle Begrenzungsmög-
aber auch hierfür zumeist eine Form der druck- lichkeiten:
unterstützten Spontanatmung (= pressure sup- ● Volumenbegrenzung

port ventilation = PSV; →  S. 361) eingesetzt. ● Druckbegrenzung

● Flow-Begrenzung
Flow-Steuerung
Ein Flow-gesteuerter Respirator schaltet von der Die beiden wichtigsten Begrenzungsprinzipien
! Inspiration auf die Exspiration, wenn ein be- sind die Volumen- und die Druckbegrenzung.
stimmter Minimal-Flow (→  S. 351) von z. B. 25 % Es können in einem Respirator auch gleichzei-
des Spitzen-Flows unterschritten wird. tig z. B. eine Druck- und eine Volumenbegren-
zung vorhanden sein. Eine druckgesteuerte Be-
Eine Flow-Steuerung wird vor allem bei Beat- atmung kann nicht druckbegrenzt (oder
mungsformen verwendet, die die Spontanat- druckkontrolliert) sein. Sie ist meist Flow-be-
mung unterstützen (→  S. 361). grenzt (und Flow-kontrolliert).

Zeitsteuerung
Nach Ablauf eines einstellbaren Zeitintervalls Zuordnung von häufig verwendeten
! schaltet der Respirator in die Ausatmung. Respiratoren

Viele der modernen Respiratoren sind zeitge- Viele der modernen Respiratoren sind Misch-
steuert. formen bezüglich Steuerung und Begrenzung,
wie z. B.:
● Evita (Fa. Dräger; vgl. Abb. 7-3):

Begrenzung Volumen-Zeit- oder Druck-Zeit-gesteuert,


volumen-, zeit- oder druckbegrenzt
Wenn ein volumengesteuertes Beatmungsgerät ● Servo-Ventilator 900/900 B/900 C; 300

einem Patienten das eingestellte Beatmungsvo- (Siemens):


lumen von z. B. 700 ml einbläst, aber der Patient zeitgesteuert, druck- oder volumenbegrenzt
7.2  Beatmungstherapie 357

[→  S. 359], intermittent mandatory ventila-


tion = IMV [→  S. 359], synchronized inter-
mittent mandatory ventilation = SIMV [→  S.
359], biphasic positive airway pressure =
BIPAP [→  S. 360], airway pressure release
ventilation = APRV [→ S. 361])
● unterstützte (augmentierte) Spontanatmung

● reine Spontanatmung

Kontrollierte Beatmung

Atemmuster und Atemzyklus werden vorbestimmt


! und können vom Patienten nicht beeinflusst wer-
den. Die Atemhübe sind maschinell initiert (= ge-
triggert), maschinell begrenzt und maschinell
gesteuert. Die kontrollierte (mandatorische),
vom Gerät aufgezwungene Beatmungsform
(= continuous mandatory ventilation = CMV)
kann unterteilt werden in eine volumenkontrol-
lierte (= volume controlled = VC; Abb. 7-2a) und
eine druckkontrollierte (= pressure controlled =
PC; Abb. 7-2b) Beatmung (VC-CMV; PC-CMV).

Die kontrollierte Beatmungsform setzt voraus,


dass der Patient nicht mehr spontan atmet. Der
Patient muss tief sediert sein. Die kontrollierte
Beatmung wird (zumeist intraoperativ und) bei
pulmonal und kardiovaskulär schwerstkranken
Intensivpatienten sowie bei Patienten mit einem
frischen Schädel-Hirn-Trauma durchgeführt.
Da der Patient intermittierend mit Überdruck
Abb. 7-3 Modernes Intensivbeatmungsgerät beatmet wird, wird von einer intermittent posi-
(Evita XL, Fa. Dräger). a Gesamtansicht. b Bildschirm. tive pressure ventilation (= IPPV) gesprochen.
Hierbei fällt der Atemwegsdruck am Ende der
● Bennett 7200®: Exspiration auf Null ab. Fällt der Druck nur bis
zeit- oder druckgesteuert, volumen-, zeit- auf einen eingestellten PEEP-Wert ab, dann
oder druckbegrenzt wird von continuous positive pressure ventilati-
on (= CPPV) gesprochen.
Bei Intensivpatienten wird relativ häufig eine
Formen der Atmung/Beatmung VC-CMV (mit dezelerierendem Flow; →  S.
351) durchgeführt. Atemhub- und Atemminu-
Es können 4 prinzipielle Atmungs-/Beatmungs- tenvolumen sind hierbei fest vorgegeben. Auch
typen unterschieden werden: bei einer Änderung der Compliance bleiben die
● kontrollierte Beatmung eingestellten Parameter unverändert. Es kommt
● Mischformen aus Beatmung und Spontanat- dann jedoch zu einer Änderung der Beatmungs-
mung (assistierte/kontrollierte Beatmung drücke. Bei Abnahme der Compliance steigt
358 7  Intensivmedizin

der Beatmungsdruck (und die Gefahr eines Ba- Durch die Erhöhung des intrathorakalen
rotraumas) an. Bei einer Leckage erhält der Pa- Drucks bei der maschinellen Einatmung nimmt
tient weniger als das eingestellte Hubvolumen. auch der Druck im rechten Vorhof zu. Der ve-
Seit einigen Jahren wird zunehmend häufiger nöse Rückfluss zum Herzen ist gedrosselt. Dies
eine PC-CMV (v. a. bei schlechter Lungenfunk- ist um so gravierender, je höher die Beatmungs-
tion) durchgeführt. Ein vorgewählter maxima- drücke und je höher das PEEP-Niveau sind. Die
ler Atemwegsdruck (meist ≤ 30 cm H2O) wird Drosselung des venösen Rückflusses zum
hierbei nicht überschritten, auch nicht bei einer Herzen hat folgende Auswirkungen:
Abnahme der Compliance. Die Geräte arbeiten ● Anstieg des zentralen Venendrucks (ZVD)

mit einem dezelerierenden Flow. Das Risiko ei- ● Anstieg eines bereits erhöhten intrakraniel-

nes Barotraumas (und Volutraumas) ist ver- len Drucks


mindert. Eine Leckage wird bis zu einem gewis- ● Verminderung der Nierendurchblutung und

sen Grad kompensiert. Bei einer Änderung der der Urinausscheidung


Compliance ändert sich allerdings das abgege- ● Abfall des Herzminutenvolumens (HMV)

bene Minutenvolumen. Bei einer Abnahme der ● Abfall des arteriellen Blutdrucks

Compliance nimmt das AMV ab. ● Wasserretention:

Eine kontrollierte Beatmung sollte nur so kurz Dies ist als Kompensationsmechanismus des
wie möglich durchgeführt werden, z. B. wäh- Körpers zu verstehen, wodurch der vermin-
rend schwerer respiratorischer Probleme, einer derte venöse Rückstrom zum Herzen ausge-
kontrollierten Hyperventilation oder einer not- glichen werden soll.
wendigen Muskelrelaxation. Bei einer kontrol- ● Verminderung der Leberdurchblutung,

lierten Beatmung ist eine tiefere Analgosedie- wodurch es zu einem Anstieg der Transami-
rung notwendig als bei den moderneren nasenaktivität und der Bilirubinkonzentrati-
Beatmungsformen mit Spontanatmungsanteil on kommen kann
(z. B. ASB, BIPAP; →  S. 360). ● Rechtsherzbelastung:

Die kontrollierte Beatmung hat eine Reihe von Vor allem bei hohen Beatmungsdrücken
Nachteilen bzw. Nebenwirkungen. Beim spon- kann es zur Kompression der Lungenkapilla-
tan (!) atmenden Patienten entsteht bei der Ein- ren mit einer Druckerhöhung im Lungen-
atmung ein Unterdruck in der Lunge. Der kreislauf und damit zu einer Rechtsherzbelas­
Druck in der Lunge und im Pleuraspalt fällt ab. tung kommen.
Luft wird angesaugt. Gleichzeitig wird der ve- ● erhöhte Gefahr eines Barotraumas (→  S. 370)

nöse Rückfluss in die großen intrathorakalen


Gefäße erleichtert. Außerdem wird durch das Die bei der kontrollierten Beatmung auftreten-
sich nach unten bewegende Zwerchfell der den Nebenwirkungen (z. B. hämodynamische
Druck im Bauchraum erhöht, und das Blut aus Nebenwirkungen, Inaktivitätsatrophie der
dem Bauchraum wird ausgepresst. Es wird von Atemmuskulatur, hoher Bedarf an Sedativa;
einem Saug-Pump-Mechanismus gesprochen. →  S. 368) können dadurch minimiert werden,
Bei der Ausatmung steigt der Druck in der Lun- dass versucht wird, die Spontanatmung soweit
ge und im Pleuraspalt an, die Luft wird ausge- als möglich zu erhalten und sie ggf. maschinell
presst. nur zu unterstützen. Es sollte also möglichst
eine der unten aufgeführten Mischformen aus-
Beim beatmeten Patienten sind die Druckverhält- geführt werden.
! nisse umgekehrt. Während der Einatmung steigt
der Druck in der Lunge und im Pleuraspalt an.
Während der Ausatmung fällt der Druck in der
Lunge und im Pleuraspalt ab.
7.2  Beatmungstherapie 359

Mischformen aus Beatmung sprochen. Triggert der Patient das Gerät manch-
und Spontanatmung mal über einen bestimmten Zeitraum nicht,
dann beginnt das Beatmungsgerät mit einem
Assistierte/kontrollierte Beatmung maschinellen Beatmungshub (= assistierte/kon-
Die assistierte/kontrollierte Beatmung ist eine trollierte Beatmung). Bei der A/C-Beatmung
! Kombination aus kontrollierter Beatmung (= PC- kann durch jeden Inspirationsversuch des Pati-
CMV oder VC-CMV; →  S. 357) plus assistierter enten ein maschineller Atemhub getriggert
Beatmung. Bei der assistierten/kontrollierten Be- werden. Bei einer A/C-Beatmung benötigen die
atmung (= A/C = assist/control ventilation) darf Patienten meist eine etwas tiefere Analgosedie-
der Patient versuchen, selbst zu atmen. Erzeugt er rung als unter BIPAP oder druckunterstützter
dabei während der Einatmung einen festgelegten Spontanatmung (→  S. 361).
Negativdruck bzw. Flow, dann wird hierdurch ein
maschineller Atemhub ausgelöst (= getriggert) IMV
und der Respirator beginnt mit der volumen- oder
IMV ist die Abkürzung für intermittent mandatory
druckkontrollierten Inspiration (Abb. 7-2c).  ventilation, was mit intermittierender maschinel-
ler Ventilation übersetzt werden kann. IMV ver-
Diese Schwelle, bei deren Unterschreiten der Re- bindet die maschinelle Beatmung mit der Spon­
spirator sich einschaltet, wird als Trigger-Schwel- tanatmung des Patienten.
le, der Vorgang als Triggern der Maschine be-
zeichnet. Die Trigger-Schwelle wird meist ca. 1–3 Der Respirator arbeitet mit einer vorgegebenen,
cm H2O unterhalb des endexspiratorischen niedrigen Beatmungsfrequenz (z. B. 7/min). Die
Drucks eingestellt, das heißt 1–3 cm H2O unter- maschinellen Atemhübe können volumen- oder
halb des PEEP-Wertes, oder 1–3 cm H2O unter- druckkontrolliert sein (VC-IMV, PC-IMV).
halb des Nullwertes. Wird diese Trigger-Schwelle Dazwischen kann der Patient beliebig selbst at-
versehentlich über dem endexspiratorischen men. Es wechseln also maschinelle Atemhübe
Druck eingestellt, so triggert sich die Maschine mit Phasen der Spontanatmung. Es kann jedoch
selbst. Bevor der Druck bis auf den endexspirato- sein, dass der Patient gerade ausatmen will, die
rischen Druck abgefallen ist, ist die Trigger- Maschine ihm aber den jetzt fälligen Atemhub
Schwelle schon unterschritten und die Maschine aufzwingt. Mit Verbesserung der Atemfunktion
beginnt bereits mit der Inspiration. Der Patient kann die IMV-Frequenz zunehmend reduziert
wird dadurch fälschlicherweise stark hyperventi- werden und der Patient muss zunehmend mehr
liert. Die sog. Trigger-Latenz, das heißt die Zeit- Atemarbeit übernehmen. Reicht eine IMV-Fre-
spanne zwischen Triggerung und Auslösung des quenz ≤ 4/min aus (und ist die notwendige FiO2
Inspirations-Flows, sollte ≤ 0,1 Sekunden betra- ≤ ca. 0,4), dann kann ein Extubationsversuch
gen. Bei modernen Respiratoren wird inzwischen unternommen werden.
anstatt einem Druck-Trigger meist ein Flow-Trig- Im Rahmen der Entwöhnung vom Respirator
ger verwendet. Sobald der Patient einen Inspirati- wird IMV zunehmend seltener eingesetzt. Im-
ons-Flow von z. B. 33–100 ml/s (= 2–6 l/min) ein- mer häufiger wird hierbei eine Form der druck-
atmet, wird das Gerät getriggert. Häufig wird die unterstützten Spontanatmung (→  S. 361) ange-
Flowtrigger-Schwelle auf 3 l/min gestellt. wendet.
Bei einem getriggerten Atemhub ist es auch
wichtig, dass der Respirator initial einen ausrei- SIMV (Abb. 7-2d)
chend hohen Flow abgibt, damit der Patient bei SIMV ist die Abkürzung für synchronized intermit-
seinem Entwöhnungsversuch keinen „Luftman-  tent mandatory ventilation, was mit synchroni-
gel“ verspürt. sierter intermittierender maschineller Beatmung
Triggert der Patient das Beatmungsgerät jedes übersetzt werden kann. SIMV verbindet maschi-
Mal, dann wird von assistierter Beatmung ge- nelle Beatmung, Spontanatmung und assistierte
Beatmung.
360 7  Intensivmedizin

SIMV war eine logische Weiterentwicklung der Bei ausreichender Spontanatmung werden also
IMV. Hierbei können die intermittierenden keine maschinellen Atemhübe mehr aufge-
maschinellen Atemhübe an die Spontanatmung zwungen und z. B. aus einer MMV plus PEEP
des Patienten angepasst werden. Damit es nicht wird eine CPAP-Atmung (→  S. 362) und aus
wie bei der IMV vorkommen kann, dass der Pa- einer MMV plus PSV wird eine reine PSV-At-
tient gerade ausatmen will, die Maschine aber mung (→  S. 361).
in dem Moment mit dem Atemhub beginnt,
wurde bei der SIMV vor jedem maschinellen BIPAP
Atemhub ein gewisser Zeitraum, ein sog. Er- BIPAP ist die Abkürzung für biphasic positive
wartungsfenster eingebaut. Innerhalb dieses  airway pressure. Bei BIPAP (Abb. 7-2e) werden
Zeitraumes kann der Patient den maschinellen Spontanatmung und maschinelle, druckkontrol-
Atemhub triggern und damit an seine Atmung lierte Beatmung in einer voneinander unabhängi-
anpassen. Triggert er die Maschine in diesem gen Form überlagert.
Erwartungsfenster nicht, so beginnt der Atem-
hub nach Ablauf des Erwartungsfensters (Ma- Bei BIPAP (z. B. EVITA, Fa. Dräger) atmet der
schinen-Triggerung). Bei SIMV wechseln eben- Patient über das Gerät CPAP (→  S. 362). Das
falls maschinelle Atemhübe mit Phasen der Gerät schaltet gleichzeitig zwischen 2 verschie-
Spontanatmung. Während bei der A/C-Beat- denen CPAP-Niveaus hin und her. Das untere
mung jeder (!) Inspirationsversuch des Patien- BIPAP-Niveau wird initial auf das gewünschte
ten einen maschinellen Atembub triggern kann, PEEP-Niveau bzw. ca. 5–10 cm H2O eingestellt.
ist bei der SIMV nur eine Triggerung während Das obere BIPAP-Niveau wird auf einen ca.
des Erwartungsfensters möglich. 12–16 cm H2O höheren Wert eingestellt. Durch
Bei modernen Beatmungsgeräten können die eine Veränderung des oberen BIPAP-Niveaus
Spontanatmungen während der SIMV zusätz- kann das Atemhubvolumen ggf. verändert wer-
lich druckunterstützt (pressure support ventila- den.
tion = PSV) werden (SIMV plus PSV). Mit Ver- Wird allerdings ein hohes oberes BIPAP-Niveau
besserung der Atemfunktion kann die notwendig, dann muss beachtet werden, dass
SIMV-Frequenz zunehmend reduziert werden eine Spontanatmung auf einem hohen BIPAP-
und der Patient muss zunehmend mehr Atem- Niveau nur schwer möglich ist. Bei BIPAP ist
arbeit übernehmen. Reicht eine SIMV-Frequenz auch eine patientengetriggerte Form möglich.
von ≤ 4/min aus (und ist die notwendige FiO2 ≤ Innerhalb eines Zeitfensters kann der Patient
ca. 0,4 und eine evtl. Druckunterstützung ≤ ca. die Umschaltung auf das höhere CPAP-Niveau
10 mm Hg), dann kann ein Extubationsversuch triggern. Die Höhe der beiden CPAP-Niveaus
unternommen werden. sowie die Zeitdauer der unteren und oberen
Im Rahmen der Entwöhnung vom Respirator Druckniveaus können eingestellt werden. Wäh-
wird SIMV zunehmend seltener eingesetzt. Im- rend bei anderen Beatmungsformen wie z. B.
mer häufiger wird hierbei eine Form der unter- SIMV die maschinelle Beatmung und die Spon-
stützten Spontanatmung (→  S. 361) eingesetzt. tanatmung jeweils nacheinander ermöglicht
werden, können bei BIPAP maschinelle Beat-
MMV mung und spontane Atmung zeitgleich (überla-
MMV ist die Abkürzung für mandatory minute gert) erfolgen.
 ventilation. Während bei der (IMV oder) SIMV der Die Druckdifferenz zwischen den beiden CPAP-
Respirator kontrollierte Atemhübe mit der vorge- Niveaus sowie die Umschaltfrequenz bestim-
wählten (IMV- oder) SIMV-Frequenz auf jeden Fall men den maschinellen Anteil an der Atmung.
abgibt, erfolgen bei der MMV nur maschinelle Sind die Phasen mit hohem CPAP-Niveau län-
Atemhübe, falls eine eingestellte Untergrenze für ger als diejenigen mit niedrigem CPAP-Niveau,
das Atemminutenvolumen unterschritten wird. dann wird von „inversed“ BIPAP gesprochen.
7.2  Beatmungstherapie 361

Falls der Patient nicht mehr spontan atmet, Bei der druckunterstützten Spontanatmung
kann er über BIPAP auch rein maschinell kon- führt eine spontane Einatmung zur Triggerung
trolliert beatmet werden (CMV). Mittels BI- der Beatmungsmaschine. Die Einatmung wird
PAP-Beatmungsmodus kann auch eine übliche dann durch einen hohen, zusätzlichen Gasfluss
CPAP-Atmung (→  S. 362) erfolgen (oberes und unterstützt, bis ein einstellbarer Atemwegsdruck
unteres CPAP-Niveau sind hierbei identisch). erreicht ist. Eine druckunterstützte Spontanat-
mung lässt sich als eine assistierte, Flow-gesteu-
Auf vielen Intensivstationen stellt BIPAP inzwi- erte Beatmung beschreiben. Durch eine geringe
! schen die zumeist praktizierte Beatmungsform Druckunterstützung (ca. 3–5 cm H2O über
dar. PEEP-Niveau) kann die durch das Beatmungs-
gerät und den Tubus bedingte Atemarbeit aus-
APRV geglichen werden, durch eine hohe Druckunter-
APRV ist die Abkürzung für airway pressure re- stützung (ca. 20–25 cm H2O) kann dem Patienten
 lease ventilation. Bei APRV (Abb. 7-2f) werden die gesamte Atemarbeit abgenommen werden.
(wie bei BIPAP) Spontanatmung und maschinelle Eine übliche effektive Druckunterstützung be-
Unterstützung in einer voneinander unabhängi- trägt ca. 12–16 cm H2O über PEEP-Niveau. Ist
gen Form überlagert. nur noch eine Druckunterstützung von ca. 5
cm H2O notwendig, dann kann der Patient meist
Bei APRV atmet der Patient über ein CPAP- problemlos extubiert werden.
Sys­tem spontan. In diesem CPAP-System wird Unter einer druckunterstützten Spontanatmung
mit einer wählbaren Frequenz (ca. 6–15/min) nimmt die spontane Atemfrequenz ab, das
für meist 0,5–3 Sekunden das CPAP-Niveau Atemzugvolumen nimmt zu und der Sauer-
(durch Öffnen eines Exspirationsventils) abge- stoffverbrauch für die Atemarbeit nimmt ab.
senkt. Nach Ende dieses 0,5- bis 3-sekündigen Diese Beatmungsform kann während der Ent-
Intervalls steigt das CPAP-Niveau sehr schnell wöhnung eines Patienten von der maschinellen
wieder an, da es sich um ein CPAP-System mit Beatmung sowie auch als primäre Beatmungs-
sehr hohem Flow (ca. 100 l/min) handelt. APRV form durchgeführt werden.
scheint zu einer nur geringen Beeinträchtigung
der Hämodynamik zu führen. Bei fast allen un- Bei Intensivpatienten mit erhaltener Spontanat-
terstützten (augmentierten) Spontanatmungs- ! mung wird inzwischen sehr häufig eine CPAP-At-
formen wird stets die Einatmung, nur bei der mung (kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck;
APRV wird die Ausatmung unterstützt. →  S. 362) mit einer Druckunterstützung (ASB)
der spontanen Atemzüge kombiniert.
Druckunterstützte (augmentierte)
Spontanatmung Falls bei einer PSV der Atemantrieb des Patien-
Mit modernen Beatmungsgeräten kann meist ten nachlässt oder unterdrückt wird (z. B. durch
auch eine druckunterstützte Spontanatmung Opioidgabe), dann drohen eine Hypoventilation
(= inspiratorischer Assist = IA) durchgeführt oder Apnoe. Aus Sicherheitsgründen kann daher
werden. Andere Bezeichnungen für druckun- PSV mit MMV (→  S. 360) kombiniert werden.
terstützte Spontanatmung bzw. inspiratorischer
Assist sind:
● assisted spontaneous breathing (= ASB) Reine Spontanatmung
● inspiratory pressure support (= IPS)

● pressure support ventilation (= PSV) Die reine Spontanatmung (spontaneous venti-


● inspiratory help system (= IHS) lation = SV) erfolgt bei intensivpflichtigen Pati-
enten oft als CPAP oder manchmal noch über
„Querflöte“.
362 7  Intensivmedizin

sen eine sog. CPAP-Atmung durchgeführt wer-


den. Die Atmung über eine „Querflöte“ wird
inzwischen (zugunsten einer CPAP-Atmung;
→  unten) nur noch selten durchgeführt.

CPAP
CPAP ist die Abkürzung für continuous positive
 airway pressure, was mit kontinuierlichem posi-
tivem Atemwegsdruck übersetzt werden kann.
CPAP-Atmung stellt eine spezielle Spontanat-
mungsform (= spontaneous ventilation = SV) mit
PEEP dar. Durch CPAP kann die FRC vergrößert,
die Oxygenierung verbessert und die Atemarbeit
vermindert werden.

Ähnlich wie bei der Querflöte wird dem spon-


tan atmenden, intubierten Patienten auf den
Abb. 7-4 „Querflöte“ beim spontan atmenden, orotra- Tubus ein T-Stück aufgesetzt. Auf einen Schen-
cheal intubierten Patienten. Beachte: Frischgaszufuhr kel des T-Stücks wird ein Inspirationsschlauch
mit hohem Fluss. angeschlossen (konnektiert), über den ein In-
spirationsgemisch mit hohem (!) Flow zuge-
führt wird (Continuous-Flow-System). Im Un-
„Querflöte” terschied zur Querflöte ist am anderen Schenkel
Beim spontan atmenden, intubierten Patienten des T-Stücks noch ein Ausatmungsschlauch an-
! wird auf den Tubus ein sog. T-Stück aufgesetzt. gebracht, an dessen Ende ein PEEP-Ventil ange-
Über den einen Schenkel des T-Stücks wird dem schlossen ist (vgl. Abb. 7-5). Hierdurch besteht
Patienten Inspirationsgas mit so hohem (!) Flow in dem System kontinuierlich, also während In-
zugeführt, dass am offenen Ende des T-Stücks und Exspiration, ein positiver Druck von 5–10
auch während der Inspiration noch ein Luftstrom cm H2O. Wichtig hierbei ist ein hoher Frisch-
zu fühlen ist (vgl. Abb. 7-4) (Continuous-Flow- gas-Flow, damit der Patient selbst bei einem be-
Sys­tem). Über den anderen Schenkel des T-Stücks sonders tiefen Atemzug nicht einen negativen
atmet der Patient in die Umgebung aus. Druck erzeugen kann und damit Luft über den
Exspirationsschenkel anzusaugen versucht. Aus
Wird der Frischgas-Flow zu niedrig gewählt, so diesem Grund wird an den Inspirationsschen-
ist es bei einer tiefen Einatmung möglich, dass kel im Nebenanschluss noch ein großvolumiger
er nicht ausreicht und der Patient zusätzlich Reservoirbeutel gekoppelt, der dies sicher ver-
Luft aus dem offenen Ausatmungsschenkel des meidet. Des Weiteren befindet sich noch ein
T-Stücks ansaugt. Damit ist die im Inspirations- Manometer im System, um die Höhe des CPAP
schenkel gemessene FiO2 falsch hoch, da es zur ablesen zu können. CPAP ist eine beliebte Beat-
Zumischung von Raumluft (21 % O2) kommt. mungsform vor allem auf neonatologischen In-
Eine längerfristige Atmung über das T-Stück ist tensivstationen. Die Indikationen und Neben-
zu vermeiden, da hierdurch Atelektasen und wirkungen von CPAP entsprechen denen des
eine Abnahme der funktionellen Residualkapa- PEEP (→  S. 358). Moderne Beatmungsgeräte
zität (= FRC) begünstigt werden. Bei Säuglingen verfügen über einen CPAP-Modus, sodass kei-
und Kleinkindern verbietet sich die T-Stück- ne CPAP-Apparatur mehr notwendig ist. Für
Atmung, da sie besonders anfällig für solche extubierte Patienten stehen spezielle CPAP-
Veränderungen sind. Bei ihnen muss stattdes- Masken zur Verfügung.
7.2  Beatmungstherapie 363

Abb. 7-5 CPAP-System beim spontan


atmenden Patienten. Frischgaszufuhr
mit hohem Fluss. Im Inspirations­
schenkel sind Reservoirbeutel (1)
und Manometer (2) eingebaut.
An den Exspirationsschenkel wird
ein entsprechendes CPAP-Ventil (3)
angeschlossen.

Bei einer CPAP-Atmung mit 5 cm H2O ist die führt. NIV kann als CPAP, PSV, BIPAP oder
Atemarbeit ca. 20(–40) % niedriger als bei einer CMV durchgeführt werden. Um das Risiko ei-
Atmung über ein T-Stück. ner Insufflation in den Magen mit der Gefahr
CPAP kann nicht nur über einen Endotracheal- von Erbrechen und Aspiration zu vermeiden,
tubus, sondern ggf. auch über eine Gesichts- sollte ein PEEP auf ≤ 10 cm H2O und der Beat-
(Nasen-)Maske verabreicht werden (= Masken- mungsspitzendruck auf ca. 20 cm H2O begrenzt
CPAP). Hierfür bietet sich vor allem der werden.
Continuous-Flow-CPAP an. Die Maske wird mittels eines Gummibandes fi-
Neben dem oben beschriebenen Continuous- xiert. Die NIV wird meist nur intermittierend
Flow-CPAP gibt es auch einen sog. Demand- durchgeführt. Dieses Verfahren erfordert eine
Flow-CPAP. Moderne Respiratoren verfügen engmaschige Überwachung und einen höheren
über einen Demand-Flow-CPAP. Der Patient Pflegeaufwand als eine Beatmung über einen
muss hierbei durch eine Inspirationsanstren- Endotrachealtubus.
gung den Inspirations-Flow triggern. Zusätzlich
kann ggf. noch eine Druckunterstützung einge-
stellt werden. Die Atmungsform entspricht da- Anfeuchtung der Einatmungsluft
mit PSV plus PEEP.
Normalerweise wird die Einatmungsluft im
Bereich der oberen Luftwege erwärmt und
Nicht invasive Beatmung angefeuchtet. Dies ist wichtig, damit das Flim-
merepithel des Bronchialsystems normal funk-
Um die Risiken einer endotrachealen Intubati- tionieren und damit es Staubpartikel abtrans-
on zu vermeiden, wird in Grenzfällen (z. B. bei portieren kann. Fällt die Luftfeuchtigkeit unter
obstruktivem Schlafapnoesyndrom, neuromus- ca. 70 %, so droht das Tracheobronchialsekret
kulären Erkrankungen, Pneumonie, nach gro- einzudicken und zu verborken.
ßen Operationen oder einer Langzeitbeatmung)
manchmal über eine gutsitzende Gesichts- oder Bei einem intubierten Patienten ist die Anfeuch-
Nasenmaske eine sog. nicht invasive Beatmung ! tungs- und Erwärmungsfunktion der oberen Luft-
(= non-invasive ventilation = NIV) durchge- wege ausgeschaltet.
364 7  Intensivmedizin

Deshalb ist es zwingend erforderlich, das Inspi- nun tiefer sediert (oder gar relaxiert) wird, da-
rationsgemisch anzufeuchten. Außerdem ist auf mit er nicht mehr gegen den Respirator an-
eine gleichzeitige Erwärmung zu achten. Selbst kämpft, müssen stets folgende Fragen beant-
wenn die kalten, aus der zentralen Gasversor- wortet sein:
gung kommenden Gase zu 100 % mit Feuchtig- ● Auskultation?

keit beladen werden, ist dies ungenügend. Denn Die Lunge des Patienten muss auskultiert
die Fähigkeit, Feuchtigkeit aufzunehmen, ist werden, ob nicht ein Pneumothorax, eine
stark von der Temperatur abhängig. Je wärmer Tubusdislokation (z. B. einseitige Intubation,
die Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie auf- versehentliche Extubation) Ursache für die
nehmen. Beatmungsproblematik ist.
● fehlerhafte Respiratoreinstellung?

Eine bei ca. 20 °C zu 100 % mit Wasserdampf ge- Sehr oft ist das Beatmungsgerät falsch einge-
! sättigte Luft ist nach Erwärmung auf 37 °C nur stellt. Das Beatmungsmuster muss optimiert
noch zu 30 % mit Wasserdampf gesättigt! Ganz werden. Das Beatmungsgerät muss dem Pa-
wichtig sind also die Anfeuchtung und Erwär- tienten und nicht der Patient dem Beat-
mung der Inspirationsluft. mungsgerät angepasst werden!
● Schmerzen?

Zur Anfeuchtung stehen aktive Befeuchtungs- Es muss geklärt werden, ob der Patient stär-
systeme (Verdampfer) und passive Befeuch- kere Schmerzen und deshalb Beatmungspro-
tungssysteme (HME-Filter) zur Verfügung. bleme hat.
Früher kamen bei langzeitintubierten Patienten ● Sedierung?

routinemäßig Aktivbefeuchter, z. B. sog. Pass- Erst wenn die obigen Punkte ausgeschlossen
over-Verdampfer (z. B. RT 340, Fa. Fisher & sind, darf ein Patient zur Beatmung stärker
Paykel Healthcare) zum Einsatz. Hierbei wird sediert werden.
die Inspirationsluft über erwärmtes steriles ● Relaxierung?

Wasser geleitet und wird dabei erwärmt und Eine Relaxierung sollte nur in verzweifelter
mit Feuchtigkeit beladen. Es stehen auch Ein- Situation und möglichst nur kurzzeitig
malgeräte zur Anfeuchtung und Anwärmung durchgeführt werden, wenn z. B. anders eine
zur Verfügung. ausreichende Beatmung nicht mehr möglich
Inzwischen werden in der Intensivmedizin zu- ist.
nehmend häufiger sog. HME-Filter (HME =
heat and moisture exchanger = Wärme- und
Feuchtigkeitsaustauscher) verwendet. Diese Analgosedierung
Filter werden zwischen Endotrachealtubus und
Y-Stück konnektiert und vermindern den Wär- Während in der Vergangenheit bei beatmeten
me- und Feuchtigkeitsverlust über die Atmung. Intensivpatienten häufig für längere Zeit eine
Sie können anstelle von aktiven Befeuchtungs- kontrollierte Beatmung (CMV; →  S. 357)
und Erwärmungssystemen (z. B. Pass-over-Ver- durchgeführt wurde und hierfür eine relativ tie-
dampfer) eingesetzt werden. fe Analgesie und Sedierung (sog. Analgosedie-
rung) des Patienten notwendig war, werden in
den letzten Jahren möglichst frühzeitig Beat-
Anpassung des Beatmungsgerätes mungsformen eingesetzt, die eine Spontanat-
an den Patienten mung des Patienten ermöglichen und diese
unterstützen. Dadurch können die bei kontrol-
Bei der maschinellen Beatmung tritt manchmal lierter Beatmung häufig in den dorsobasalen
das Problem auf, dass der Patient gegen die Be- Lungenabschnitten auftretenden Atelektasen
atmungsmaschine ankämpft. Bevor der Patient (mit Ausbildung eines Rechts-links-Shunts)
7.2  Beatmungstherapie 365

vermindert werden. Als moderne Beatmungs- Tab. 7-2  Ramsay-Skala zur Einstufung des Sedierungs-
form kommt z. B. BIPAP häufig zum Einsatz grades bei Intensivpatienten
(oder auch PSV bzw. APRV; →  S. 361). Bei die- Sedie- Sedie- Reaktionen
sen modernen Beatmungsformen reicht ein rungs- rungsgrad
deutlich flacherer Analgesie- und Sedierungs- stufe
grad aus. Zumeist wird eine Sedierung der Stufe 0 wach voll orientiert
2 bis 3 auf der sog. Ramsay-Skala angestrebt
1 unzu- halbwach, ängstlich, agi-
(vgl. Tab. 7-2). Bei diesem Sedierungsgrad ist reichend tiert, unruhig
der intubierte Patient schläfrig und ruhig, tole-
2 erwünscht sediert, kooperativ,
riert die Beatmung, reagiert aber auf Stimulati-
orientiert, ruhig, toleriert
on und ist dann orientiert und kooperativ. Bei
Beatmung
der endotrachealen Absaugung ist ein heftiger
Hustenreflex auslösbar. Eine tiefere Analgose- 3 erwünscht sediert, schlafend, ange-
messene lebhafte Reaktion
dierung ist zumeist unerwünscht und würde zu
nach leichter Stimulation
einer Beeinträchtigung der Spontanatmung
führen. 4 nachts tief sediert, schlafend, nach
Für eine Analgosedierung wird stets ein Opioid­ erwünscht Stimulation träge Reaktion
analgetikum und häufig zusätzlich ein Sedati- 5 tief nur auf schmerzhafte
vum benötigt. Entscheidend ist eine gute Anal- Stimulation verlangsamte
gesie, um schmerzbedingte Atemschonhaltung Reaktion
und Stressreaktionen zu vermeiden. Bei richti- 6 zu tief nach Stimulation keine
ger Dosierung eines geeigneten Opioidanalgeti- Reaktion, Koma
kums reicht unter Umständen dessen sedieren-
de Wirkkomponente aus, um die zusätzlich
erwünschte Sedierung zu erzielen, sodass dann dierung von Intensivpatienten verwendet wurde
auf die Verabreichung eines Sedativums ver- – ist bei Sufentanil die hämodynamische Stabili-
zichtet werden kann. tät deutlich besser und die sedierende Kompo-
Häufig wird zur Analgosedierung eine Kombi- nente ist ebenfalls stärker ausgeprägt. Außerdem
nation aus einem potenten Opioid (Sufentanil, ist bei Sufentanil nach wiederholter (repetitiver)
Fentanyl, selten Alfentanil) und einem Benzo- Gabe bzw. bei längerfristiger Zufuhr über eine
diazepin (Midazolam, früher häufig Flunitraze- Spritzenpumpe mit einer wesentlich geringeren
pam) bzw. einem Sedativum/Hypnotikum (v. a. Kumulation als bei Fentanyl zu rechnen. Daher
Propofol) eingesetzt. Vor allem bei delirgefähr- ist die sog. kontextsensitive Halbwertszeit (Zeit-
deten Patienten werden das Opioid und das Se- spanne, die nach einer Beendigung einer konti-
dativum evtl. mit dem Alpha-2-Rezeptor-Ago- nuierlichen Medikamentenzufuhr vergeht, bis
nisten Clonidin kombiniert (→  S. 367, 479). die Plasmakonzentration auf 50 % des Wertes
Für die Analgosedierung von Intensivpatienten vor Zufuhrende abfällt) bei Sufentanil wesent-
hat sich in den letzten Jahren insbesondere das lich niedriger als bei Fentanyl. Die kontextsen­
Opioidanalgetikum Sufentanil gut bewährt. sitive Halbwertszeit ist abhängig von der In­
Sufentanil stellt das zurzeit potenteste Opioid­ fusionsdauer und berücksichtigt eine evtl.
analgetikum dar (→  S. 59). Die Stressabschir- Kumulation der Substanz (infusionsdauerab-
mung scheint unter Sufentanil besser zu sein als hängige Halbwertszeit). Bei einer Infusionsdau-
unter Fentanyl, denn unter Sufentanilgabe sind er von unter 8 Stunden ist diese kontextsensitive
beispielsweise die Plasmakonzentrationen von Halbwertszeit für Sufentanil sogar niedriger als
körpereigenem Adrenalin und Noradrenalin bei dem kurz wirksamen Alfentanil. Die kon-
niedriger als unter Fentanylgabe. Im Vergleich textsensitive Halbwertszeit beträgt nach einer
zu Fentanyl – das bisher zumeist zur Analgose- ca. einstündigen Infusion von Sufentanil unge-
366 7  Intensivmedizin

fähr 18 Minuten und nach einer ca. 2-stündigen Wird als Opioidkomponente Fentanyl verab-
Infusion ca. 22 Minuten. Damit ist sie ähnlich reicht, dann ist zumeist eine Dosierung von
niedrig wie die Werte der kontextsensitiven 0,05–0,4 mg/h beim Erwachsenen notwendig.
Halbwertszeiten bei einer entsprechenden Pro- Mit Fentanyl ist aufgrund der geringen sedieren-
pofolinfusion. Für Fentanyl beträgt dagegen die den Wirkung keine Monotherapie möglich. Fen-
kontextsensitive Halbwertszeit nach einer ein- tanyl muss stets mit einem Sedativum kombi-
stündigen Infusionsdauer ca. 35 Minuten. Sie niert werden. Inzwischen wird im Rahmen einer
beträgt nach einer 2-stündigen Infusionszeit ca. kurzfristigen Analgosedierung (< 3 Tage) als
100 Minuten und ist damit ca. 4-mal länger als Opioid häufiger auch Remifentanil eingesetzt.
nach einer 2-stündigen Sufentanilzufuhr. Vereinzelt kommt zur Analgosedierung auch
Falls initial eine kontrollierte Beatmung unter Ketamin (Ketanest® 30–60 mg/h beim Erwach-
Sufentanilgabe durchgeführt wird, empfiehlt sich senen) in Kombination mit einem Benzodiaze-
meist eine Anfangsdosis für Sufentanil von ca. pin (v. a. Midazolam) zum Einsatz.
0,75–1,0 µg/kg KG/h. Bei einer unterstützten
Spontanatmung kann die Sufentanildosierung Während der Entwöhnung nach einer längerfris­
meist auf ca. 0,25–0,35 µg/kg KG/h reduziert ! tigen Analgosedierung droht oft eine Hyperak-
werden. Aufgrund der sedierenden Eigenschaf- tivität des sympathischen Nervensystems (ähn-
ten des Sufentanils benötigen ca. 30 % der Patien- lich wie bei einem Alkoholentzugsdelir) mit Hy-
ten kein zusätzliches Sedativum. Mit Beginn der pertonie, Tachykardie, Tachypnoe, Zittern, mo-
Spontanatmungsphase sollte ein evtl. zusätzlich torischer Unruhe, Schwitzen und Delir.
verabreichtes Sedativum reduziert oder mög- Nach einer langfristigen Analgosedierung muss
lichst schon langsam ausgeschlichen werden. daher Wert darauf gelegt werden, dass die Sedie-
Für die kontinuierliche Zufuhr von Sufentanil rung langsam reduziert wird. Bei zu schneller Re-
hat es sich bewährt, 3 Ampullen Sufentanil à 5 duktion kann es zu stärkeren Entzugssymptomen,
ml (1 ml = 50 µg) mit 35 ml NaCl 0,9 % auf 50 Unruhe, Delir oder gar zerebralen Krampfanfällen
ml aufzuziehen (750 µg pro 50 ml = 15 µg pro kommen.
ml). Eine Dosierung von ca. 0,4 µg/kg KG/h
entspricht bei einem ca. 75 kg schweren Patien- Die Ursache von Entzugssymptomen ist folgen-
ten ca. 30 µg/h (= 2 ml dieser Verdünnung). Um dermaßen zu erklären: Durch zentral dämpfen-
eine zusätzliche Sedierung zu erzielen, bietet de Medikamente wie z. B. Benzodiazepine wird
sich für eine länger dauernde Analgosedierung die Erregbarkeit des Gehirns vermindert. Der
meist eine Kombination mit Midazolam (ca. Körper versucht bei längerfristiger Gabe eines
0,025–0,05 mg/kg KG/h; ca. 1,5–3,5 mg/h beim zentral dämpfenden Medikamentes dieser
Erwachsenen) an. Daneben wird – vor allem für Dämpfung entgegenzuregeln und die neuronale
eine kurze oder mittellange Analgosedierung – Aktivität kompensatorisch wieder zu steigern.
anstatt Midazolam häufig auch Propofol (zu- Haben sich nach einer längerfristigen Analgo-
meist Propofol 2 %; ca. 1,5–3 mg/kg KG/h = ca. sedierung solche neuronalen Kompensations-
100–200 mg/h beim Erwachsenen) eingesetzt. mechanismen eingestellt und werden nun
Eine Maximaldosierung von 4 mg/kg KG/h plötzlich die sedierenden und dämpfenden
sollte bei Propofol im Rahmen der Analgose- Medikamente abgesetzt, so überwiegt der
dierung nicht überschritten werden. Außerdem Kompensationsmechanismus mit neuronaler
darf es im Rahmen der Analgosedierung nicht Überaktivität und bedingt Unruhe, Erregungs-
bei Patienten < 16 Jahren und nicht länger als 7 zustände und unter Umständen zerebrale
Tage verabreicht werden. Bei höherer Dosie- Krampfanfälle. Diese Symptomatik ist ähnlich
rung (> 4 mg/kg KG/h) ist das Risiko eines Pro- dem Alkoholentzugsdelir (→  S. 478).
pofolinfusionssyndroms (PRIS) zu beachten Durch Gabe von Clonidin (Catapresan®, Parace-
(→  S. 55). fan®; →  S. 479) kann, vor allem nach einer länger-
7.2  Beatmungstherapie 367

fristigen Analgosedierung, diese sympathikotone sowie auf vermeidbare therapeutische Interven-


Überaktivität gedämpft werden. Häufig wird da- tionen verzichtet werden. Ansonsten sollte der
her vor Beginn der Entwöhnung von einer Lang- Patient mit Ausnahme kurzer Unterbrechungen
zeitbeatmung (sog. weaning) zusätzlich Clonidin zur Durchführung der wichtigsten pflegeri-
verabreicht. Als Dosierung werden ca. 0,3–1,3 µg/ schen Maßnahmen, wie z. B. der Mundpflege,
kg KG/h (= ca. 20–90 µg/h beim 70 kg schweren kontinuierlich hin- und hergekippt werden.
Patienten) empfohlen. Danach ist die Dosierung Nach dem Einbetten des Patienten in das Roto-
an den aktuellen Bedarf anzupassen. Durch Clo- Rest®-Bett sollte das Bett probeweise manuell
nidin kann der zusätzliche Opioidbedarf deutlich um 62 Grad in beide Richtungen gekippt wer-
reduziert werden. Clonidin wirkt nicht atemde- den, um die korrekte Fixierung des Patienten
pressiv. Während die Opioid-(Sufentanil-)Zufuhr und um den ausreichenden Spielraum sämtli-
normalerweise mit der Extubation beendet wird, cher Drainagen, Schläuche und Kabel zu über-
sollte die Clonidingabe oft noch über den Extuba- prüfen. Es gibt auch verlängerte Beatmungs-
tionszeitpunkt hinaus verabreicht und erst dann schläuche für die Anwendung am Patienten im
langsam ausgeschlichen werden. Roto-Rest®-Bett. Diese Schläuche sind aus Ein-
wegmaterial, in denen das Inspirationsgemisch
nicht erwärmt wird, um beim Drehen des Pati-
Unterstützende Maßnahmen enten eine Aspiration von evtl. entstandenem
Kondenswasser zu verhindern.
Roto-Rest®-Bett Im Roto-Rest®-Bett ist der Patient besonders
gefährdet, einen Dekubitus oder eine Nervenlä-
Das Roto-Rest®-Bett ist ein Spezialbett, das bei sion zu erleiden. Bei diesen Patienten hat jedoch
schwerer pulmonaler Schädigung zur Verbesse- die Therapie lebensbedrohlicher pulmonaler
rung des gefährdeten Ventilations/Perfusions- Schäden demgegenüber Vorrang.
Verhältnisses zum Einsatz kommt. Es lässt eine Bei jeder Körperpflege ist aber zumindest ein
Kippung um die Längsachse um maximal 62 genauer Hautstatus vorzunehmen und zu do­
Grad nach beiden Seiten zu. Dadurch ist eine kumentieren. Es können dabei auch durch­
kontinuierliche Lagerungsdrainage und Ver- blutungsfördernde Maßnahmen und eine
besserung der Lungenfunktion (Oxygenierung) Wundversorgung durchgeführt werden. Rücken
möglich. Die Patienten benötigen eine tiefe An- und Gesäß sind bei der Körperpflege sorgfältig
algosedierung, um neben der notwendigen „in- zu pflegen. Die Patienten können in diesem Spe-
vasiven“ Beatmungsform auch die schaukelnde zialbett allerdings nicht frei gelagert werden. Wo
Lagerung zu tolerieren. immer möglich, sollte durch entsprechende
Die Lagerung eines Patienten in ein Roto-Rest®- Pols­ter der Gefahr von Druckschäden (beson-
Bett ist sehr zeitaufwendig (etwa eine Stunde). ders an Ohren, Hinterkopf oder Schultern durch
Einmal täglich bei der Körperpflege sollte der die kräftige Einspannung in die Fixationspols­
Patient aus den Polstern, die ihn fixieren, ausge- ter) vorgebeugt werden. Besondere Aufmerk-
baut werden. Für diesen Zeitpunkt sind auch samkeit ist auf sämtliche Drainagen, Schläuche
diagnostische und therapeutische Maßnahmen, und Kabel zu lenken. Sie müssen besonders an
wie z. B. Röntgenaufnahme und Bronchosko­- den Stellen, an denen der Patient mit Polstern in
pie, einzuplanen. Das Bett wird für diese Zeit der richtigen Lage fixiert wird (Außenseiten des
etwa 2 Stunden lang in seinen automatischen Rumpfes!), mit individuell zugeschnittenen
Kippbewegungen angehalten. Bei schweren Schaumstoffen gut gepolstert und vor einer Lu-
pulmonalen Störungen kann bereits bei einem meneinengung oder einem Abknicken geschützt
vorübergehenden Stillstand des Bettes ein Sätti- werden. Drainagen und Schläuche müssen
gungsabfall am Pulsoxymeter registriert wer- durch Zwischenräume aus der Auflagefläche des
den. In diesen Fällen sollte auf pflegerische Bettes nach unten zugfrei (!) abgeleitet werden.
368 7  Intensivmedizin

Eine weitere Gefahr besteht in der Entstehung ● Herz- und/oder Kreislaufprobleme durch
von druckbedingten Nervenläsionen. Bedroht Drosselung des venösen Rückstroms:
ist vor allem der Nervus peronaeus an der Knie- Durch die beatmungsbedingte Behinderung
außenseite, der entsprechend abzupolstern ist. des venösen Rückstroms kommt es z. B. zu
einer Drosselung der Nierendurchblutung
Seitenlagerung mit Flüssigkeitsretention, zu einer Abnahme
(→  S. 431) der Durchblutung von Leber und Splanchni-
kusgebiet sowie zu einem Anstieg des intra-
Bauchlagerung kraniellen Drucks und zu einer Abnahme
(→  S. 431) des zerebralen Blutflusses (→  S. 358).
● Tracheal- und Kehlkopfschäden:

Bei Patienten mit endotrachealer Langzeitin-


Seitengetrennte Beatmung tubation nimmt das Risiko von tubusbeding-
ten Kehlkopf- und Tracheaschäden mit der
Eine einseitig verletzte oder geschädigte Lunge Intubationsdauer zu. Ursache für Trachea­
stellt unter Umständen die Indikation für eine schäden ist zumeist ein zu starkes Blocken
spezielle, zum Teil aggressive Beatmungsform des Cuffs. Der Cuff-Druck muss daher wie-
dar. Wird in diesem Fall die gesamte Lunge mit derholt (möglichst mit einem Cuff-Druck-
einem hohen PEEP beatmet, kommt es in der messer) kontrolliert und korrekt eingestellt
gesunden Lungenhälfte aufgrund der besseren werden. Inzwischen wird bei voraussehbar
Compliance zu einer stärkeren Blähung als in längerer Intubationspflicht (> 7–14 Tage)
den geschädigten Abschnitten. Als Folge der frühzeitig die Indikation zur Tracheotomie
stärkeren Lungenblähung steigt der pulmonale gestellt.
Gefäßwiderstand in den gesunden Arealen an,
sodass das Blut vermehrt über die geschädigte Bei tracheostomierten und langzeitbeatmeten
Lunge umgeleitet und damit schlechter oxyge- Patienten können folgende Probleme drohen:
niert wird. ● Fehllage der Trachealkanüle:

In dieser Situation kann es notwendig sein, die Vor allem beim ersten Wechseln der Kanüle
beiden Lungen getrennt zu beatmen. Dazu kann es vorkommen, dass die Kanüle nicht
erhält der Patient einen Doppellumentubus, durch den Tracheostomiekanal bis in die
der besonders sorgfältig platziert und in seiner Trachea, sondern subkutan vorgeschoben
Lage (bronchoskopisch) kontrolliert werden wird.
muss. Über jedes Lumen kann nun ein eigenes ● Druckulzera in der Trachea:

Beatmungsgerät angeschlossen werden. Die Ursache ist oft ein zu starkes Blocken der Ka-
Lungen können auf diese Weise bevorzugt syn- nülenmanschette. Beim Blocken der Trache-
chron, aber auch leicht asynchron (stärkere alkanüle gilt das Gleiche wie beim Endotra-
Scherkräfte sind dabei zu vermeiden!) mit un- chealtubus: Blocken nach Gehör (→  S. 96).
terschiedlichen Beatmungsparametern beatmet Durch Scheuerbewegungen der Trachealka-
werden. nüle oder durch Druckschädigungen vor al-
lem am Kanülenende kann es zu Ulzera oder
gar Gefäßverletzungen mit unter Umständen
Nebenwirkungen und erheblichen Blutungen kommen.
Komplikationen ● ösophagotracheale Fistel:

Drucknekrosen und Ulzera können unter


Durch eine (Langzeit-)Beatmung können eine Umständen zu einer ösophagotrachealen
Reihe von Nebenwirkungen oder Komplikatio- Fis­tel führen.
nen verursacht werden: ● Verlegung (Verborkung) des Kanülenlumens
7.2  Beatmungstherapie 369

Im Rahmen einer Langzeitbeatmung über ein Bei einem täglichen Wechsel der Beatmungs-
Tracheostoma bzw. über einen Endotrachealtu- schläuche und des Befeuchtertopfes ist die
bus können außerdem die folgenden Probleme nosokomiale Pneumonierate höher als bei ei-
häufiger auftreten: nem 48-stündigen Wechsel. Möglicherweise ist
● Infektionen sogar ein Wechsel in noch größeren Abständen
● Stress sinnvoll. Zunehmend häufiger kommen Ein-
● Gefahren eines PEEP malsysteme zur Anwendung. Der sich in den
● Barotrauma Beatmungsschläuchen niederschlagende Was-
● Atrophie der Atemmuskulatur serdampf ist als infiziert zu betrachten, und es
● Sekretstau ist nicht erlaubt, das in den Schläuchen befind-
● Schleimhautverbrennungen liche Kondenswasser zurück in den Verdamp-
● Schäden bei chronischer Sauerstoffanwen- fertopf zu leiten.
dung
● retrolentale Fibroplasie

Stress

Infektionen Insbesondere bei ungenügender Sedierung und


Analgesie kann es zu einer Ulzeration im Gast­
Langzeitbeatmete Patienten sind der großen rointestinaltrakt, unter Umständen mit starker
Gefahr einer bronchopulmonalen Infektion Blutung oder Perforation, kommen. Es ist des-
ausgesetzt. Die normale Reinigungsfunktion halb regelmäßig der pH-Wert des Magensekrets
des Flimmerepithels ist durch den Tubus unter- zu messen. Bei niedrigem (saurem) Magen-pH
brochen. Das Abhusten von Sekret ist behin- ist eine Pufferung zu fordern oder eine Therapie
dert, da der für ein kräftiges Husten notwendige mit H2-Rezeptoren-Blockern (z. B. Ranitidin)
Glottisverschluss nicht mehr möglich ist. Damit durchzuführen (→  S. 427). Mit der enteralen
werden die Patienten von einer regelmäßigen Gabe von Nahrung sollte so früh wie möglich
Bronchialtoilette, dem endobronchialen Ab- begonnen werden.
saugen, abhängig. Häufig handelt es sich außer-
dem um infektgeschwächte Patienten. Beim re-
gelmäßigen endobronchialen Absaugen sind Gefahren eines PEEP
genauso wie beim Wechseln von Endotracheal-
tuben oder Trachealkanülen strenge aseptische Die durch eine maschinelle Beatmung ausgelöste
Bedingungen zu fordern. Bei einer pulmonalen ! Drosselung des venösen Rückstromes mit negati-
Infektion sollte eine Antibiotikatherapie von ver Beeinflussung der Hämodynamik (→  S. 358)
den Antibiogrammen abhängig gemacht wer- wird durch das Einschalten eines PEEP noch ver-
den, die aus den regelmäßig entnommenen stärkt.
Bronchialabstrichen gewonnen werden.
Ein hoher PEEP kann die nachfolgend aufgelis­
Die prophylaktische Gabe eines Antibiotikums ist teten hämodynamischen Auswirkungen einer
! bei beatmeten Patienten abzulehnen. kontrollierten Beatmung (→  S. 357) noch ver-
stärken:
Die Befeuchtertöpfe, die zur Anwärmung des ● Anstieg von ZVD

Inspirationsgases verwendet werden, stellen ei- ● Abfall von HMV

nen guten Nährboden für Bakterien dar. Die ● Abfall des arteriellen Drucks

Befeuchtertöpfe dürfen daher erst unmittelbar ● Anstieg des intrakraniellen Drucks

vor Gebrauch mit sterilem Wasser gefüllt und ● Verminderung der Nierendurchblutung und

müssen danach regelmäßig gewechselt werden. Urinausscheidung


370 7  Intensivmedizin

● Verminderung der Leberdurchblutung Temperatur geregelt werden. Die Temperatur


● vermehrte Wasserretention des Inspirationsgemisches sollte bei vielen akti-
● Erhöhung des Gefäßwiderstandes in der ven Atemgasbefeuchtungssystemen am Y-Stück
Lunge mit vermehrter Belastung des rechten 39 °C betragen, damit im Patienten (nach leich-
Herzens ter Abkühlung in Gänsegurgel und Endotrache-
● erhöhte Gefahr eines Barotraumas altubus) 37 °C garantiert sind. Es ist jedoch si-
cherzustellen, dass die Temperaturmesssonden
korrekt angebracht sind, ansonsten könnten
Barotrauma dem Patienten zu heiße Gase zugeführt werden.
Das Aufwärmen eines unterkühlten oder das
Die Gefahr einer druckbedingten Lungenschä- Kühlen eines fiebernden Patienten durch Ver-
digung durch zu hohen Beatmungsdruck (sog. stellen der Temperatur des Inspirationsgemi-
Barotrauma), z. B. eines Pneumothorax, besteht sches ist nicht zulässig.
insbesondere bei alten Patienten, bei pulmona-
len Vorerkrankungen (z. B. Emphysem) oder
bei Lungeninfektionen mit einer Schwächung Schäden bei chronischer
des Lungengewebes (z. B. Pneumonie). Außer- Sauerstoffanwendung
dem besteht die Gefahr der Lungenschädigung
durch zu hohe Atemhubvolumina (sog. Volu­ Bei einer hohen inspiratorischen Sauerstoffkon-
trauma) (vgl. protektive Beatmung; →  S. 446). zentration kann es zur Lungenschädigung kom-
men. Werden bei einer Langzeitbeatmung mehr
als ca. 50 % Sauerstoff verabreicht, so drohen
Atrophie der Atemmuskulatur eine Schädigung von Flimmerepithelien, Sur­
factant und Alveolarepithelien. Bei Beatmung
Bei einer Langzeitbeatmung kann es zu einer mit 100 % Sauerstoff kommt es in schlecht be-
Inaktivitätsatrophie der Atemmuskulatur kom- lüfteten Arealen nach Resorption des Sauerstof-
men. fes zu Atelektasen, da der bei Atmung von Luft
normalerweise verbleibende, die Alveolen dann
noch offen haltende Stickstoff fehlt. Folge ist
Sekretstau eine Zunahme des Rechts-links-Shunts.

Durch Eintrocknen der Bronchialsekrete bei Bei der Beatmung mit einer F O von 1,0 ist schon
ungenügender Befeuchtung und unzureichen- ! innerhalb von 24 Stunden miti 2Lungenschädigun-
der Bronchialtoilette kann es zu einem Se- gen zu rechnen. Die FiO2 soll so niedrig wie mög-
kretstau und unter Umständen zu einer Verle- lich gehalten werden. Schädlicher als hohe Sauer-
gung des Tubus oder des Tracheostomas stoffkonzentrationen scheinen jedoch hohe Beat-
kommen. mungsdrücke und eine übermäßige Dehnung der
Lunge zu sein.

Schleimhautverbrennungen

Auf eine korrekte Temperatureinstellung des Retrolentale Fibroplasie


Verdampfers ist unbedingt zu achten. Die
Temperatur des Inspirationsgemisches sollte Vor allem beim früh-, aber auch beim reifgebo-
möglichst patientennah, z. B. kurz vor dem renen Neugeborenen ist die noch unreife Netz-
Winkelstück, gemessen und mittels eines Ser- haut (= Retina) sehr empfindlich. Diese hohe
voregulationsmechanismus auf die eingestellte Empfindlichkeit besteht bis zur ca. 46. Woche
7.2  Beatmungstherapie 371

nach der Empfängnis (der 46. postkonzeptio- wendig. Da die Trachealkanüle normalerweise
nellen Woche). Beispielsweise durch eine zu großlumiger als ein Endotrachealtubus ist, sind
hohe arterielle Sauerstoffspannung, aber auch die Atemwegswiderstände geringer und die
durch eine Acidose (z. B. im Rahmen einer Sep- Bronchialtoilette ist leichter durchzuführen.
sis) oder durch andere Störungen der Homö­ Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche
ostase kann das Krankheitsbild der retrolenta- Entwöhnung sind:
len Fibroplasie ausgelöst werden. Dadurch kann ● ausreichender p O
a 2
es unter Umständen zu irreversiblen Sehstörun- ● ausreichende Spontanatmung

gen, im Extremfall bis zur Erblindung des Kin- (Ausreichender Atemantrieb? Ausreichende
des kommen. Unnötig hohe arterielle Sauer- Kraft der Atemmuskulatur? Nicht zu hohe
stoffspannungen sind daher bei Früh- und Atembehinderung durch z. B. zu stark ver-
Neugeborenen zu vermeiden. minderte Compliance oder zu hohen Atem-
wegswiderstand?)
● ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt,
Entwöhnung des langzeit- damit der Patient z. B. nicht eine metaboli-
beatmeten Patienten sche Acidose durch eine Hyperventilation
auszugleichen versucht
Die Entwöhnung (= weaning) eines langzeitbe- ● weitgehende Fieberfreiheit,

atmeten Patienten von der Beatmungsmaschine weil Fieber einen höheren Stoffwechsel und
stellt oft ein großes Problem dar. Auf der einen damit eine gesteigerte Ventilation bedeuten
Seite sollte die Entwöhnung so bald als möglich würde
beginnen, um z. B. eine Schwächung der Atem- ● stabile Herz-Kreislauf-Funktion:

muskulatur durch Inaktivierung zu verhindern, Auch falls die Kreislaufverhältnisse nur unter
andererseits führt eine zu frühzeitige oder zu einer laufenden Catecholamininfusion stabil
schnelle Entwöhnung oft zu einem Abbrechen sind, ist ein Entwöhnungsversuch möglich.
des Entwöhnungsversuchs oder zu einer
Reintubation des Patienten. Bei ca. 20 % der Das weaning ist zwar bei einem bewusstseins-
Patienten mit einer Langzeitbeatmung muss klaren, kooperativen Patienten leichter als bei
mit Entwöhnungsproblemen gerechnet werden. einem nicht ansprechbaren, unkooperativen
Bei Patienten mit einer chronisch obstruk­- Patienten, dennoch spielt die Bewusstseinslage
tiven Lungenerkrankung (= chronic obstructive des Patienten für den Beginn der Entwöhnung
pulmonary disease = COPD; →  S. 451) treten keine entscheidende Rolle. Das heißt:
in ca. 50 % der Fälle Entwöhnungsprobleme
auf. Auch bewusstlose Patienten können von der Be-
! atmung entwöhnt werden. Allerdings kann die
Faustregel: Extubation erst nach Rückkehr der Schutzreflexe
! Die Entwöhnung vom Respirator dauert beim erfolgen.
langzeitintubierten Patienten ungefähr so lange,
wie die Zeitspanne zwischen der Intubation und Ist abzusehen, dass die Schutzreflexe über län-
dem Beginn der Entwöhnung. gere Zeit nicht oder überhaupt nicht mehr zu-
rückkehren werden, so bietet sich die Anlage
Häufig wird bei Langliegern und bei schwieri- eines Tracheostomas und die Verlegung dieser
ger Entwöhnung des Patienten eine Indikation pflegebedürftigen Patienten mit dem Tracheo-
zur Anlage eines Tracheostomas gesehen (→  S. stoma an. Bei der Entwöhnung sollte der Tag-
347). Eine Trachealkanüle wird vom Patienten Nacht-Rhythmus beachtet werden, das heißt, es
besser toleriert als ein Endotrachealtubus. Es ist sollte nicht nachts mit dem Entwöhnungsver-
hierbei eine geringere Analgosedierung not- such begonnen werden.
372 7  Intensivmedizin

Bei Beginn eines Entwöhnungsversuchs sollte das 7. Anstreben einer Spontanatmung,


! Atemminutenvolumen unter 10 l/min liegen, der z. B. CPAP (oder „Querflöte“)
paO2 sollte > 60 mg Hg bei einer FiO2 < 0,5, der 8. weitere Reduktion der FiO2
pCO2 sollte < 55 mm Hg, der PEEP sollte unter ca. 9. Extubation,
10 cm H2O und I : E sollte > 1 : 1 sein. Die Atem- falls FiO2 ≤ 0,4, PEEP und Druckunterstüt-
frequenz sollte < 35/min, das Atemzugvolumen zung nur noch ca. 5 cm H2O betragen und
> 5 ml/kg KG, die Totraumventilation (Totraum Schutzreflexe vorhanden sind
pro Atemzug) < 60 %, die inspiratorische Atem-
zugstärke > 25 cm H2O, die Vitalkapazität > 15 ml/
kg KG und der pH-Wert sollte > 7,3 betragen (vgl. Konventionelle (diskontinuierliche)
auch Tab. 7-1; →  S. 346; Richtwerte für die Intu- Entwöhnung
bation).
In unkomplizierten Fällen kann oft auch folgen-
dermaßen vorgegangen werden:
Schrittweise Entwöhnung Der zunehmend spontan atmende Patient wird
vom Respirator abgenommen und es wird eine
Falls es die apparative Ausstattung erlaubt, emp- CPAP-Atmung eingestellt. (Manchmal wird
fiehlt sich nach einer aggressiven Langzeitbeat- noch eine Atmung über „Querflöte“ durchge-
mung z. B. folgender Stufenplan für die Ent- führt.) Während dieser Spontanatmungsversu-
wöhnung des Patienten: che sollte der Oberkörper des Patienten um ca.
1. kontrollierte Beatmung 20–40 Grad aufgerichtet sein, was die Zwerch-
2. Reduktion der FiO2 möglichst auf 0,5 oder fellbewegung bei der Spontanatmung wesent-
weniger lich erleichtert. Es empfiehlt sich eine atemun-
3. falls eine inversed ratio ventilation notwen- terstützende Lagerung (→  S. 425), bei der der
dig war, schrittweise Verkürzung des Atem- Oberkörper gedehnt wird. Zur weiteren Unter-
zeitverhältnisses von z. B. 4 : 1 auf 1 : 2 (→  stützung können die Arme etwa in Schulterhö-
inversed ratio; S. 352) he gelagert werden.
4. Förderung der Spontanatmung durch An- Der Patient sollte bei den Entwöhnungsversu-
passung der Sedierung und Analgetikagabe chen unbedingt schmerzfrei sein. Die Analgose-
5. früher wurde nun meist eine SIMV ange- dierung sollte also nicht plötzlich abgebrochen
strebt (hierbei langsame Reduktion der ma- werden, sondern zugunsten der analgetischen
schinellen Hübe, wobei der Patient immer Komponente umgestellt werden (→  S. 364).
mehr Atemarbeit selbst übernehmen muss; Die Spontanatmungsversuche sollten anfangs
→  S. 359): für nur ca. 5–10 Minuten durchgeführt werden.
Inzwischen wird zumeist eine BIPAP-Beat- Die Entwöhnungsphasen können, falls der Pati-
mung durchgeführt, wobei die Druckdiffe- ent damit keine Probleme hat, länger und häufi-
renz und die Umschaltfrequenz zwischen ger durchgeführt werden. Es sollte aber darauf
den beiden BIPAP-Niveaus langsam redu- Rücksicht genommen werden, dass endotra-
ziert und dadurch der Anteil der maschinel- cheal intubierte Patienten aufgrund des Strö-
len Beatmung zunehmend vermindert wird. mungswiderstandes des Tubus eine erhöhte
6. Anstreben einer druckunterstützten (aug- Atemarbeit leisten müssen, was zu einer schnel-
mentierten) Spontanatmung, leren Erschöpfung führt als bei tracheostomier-
z. B. ASB (langsame Reduktion der Druck- ten Patienten.
unterstützung bis auf minimal ca. 5 cm H2O Kann der Patient einige Stunden problemlos eine
und langsame Reduktion des PEEP-Niveaus CPAP-Atmung durchführen (oder über eine
bis auf einen Minimalwert von ca. 5 cm H2O; „Querflöte“ atmen) und weist er eine unverän-
→  S. 361) dert gute Oxygenierung auf, wird er extubiert.
7.2  Beatmungstherapie 373

Entwöhnungsprotokolle Extubation
Oft wird die Entwöhnung nach persönlichen Der Patient ist über die geplante Extubation
Vorlieben und Erfahrungen des Arztes durch- aufzuklären. Vor der Extubation ist immer ein
geführt. Häufiger wird hierbei allerdings zu spät sorgfältiges Absaugen des Rachens erforder-
erkannt, dass der Patient bereits entwöhnungs- lich.
fähig ist und die Intubations- und Beatmungs-
dauer sind daher oft unnötig lange. Inzwischen Die Extubation sollte nur am ausreichend spontan
konnte gezeigt werden, dass durch die schema- ! atmenden Patienten mit zurückgekehrten Schutz-
tische Anwendung von Entwöhnungsprotokol- reflexen vorgenommen werden.
len (anhand derer z. B. täglich überprüft wird,
ob der Patient schon entwöhnungsfähig ist) die Vor der Extubation darf der Patient mindestens
Intubations- und Beatmungsdauer signifikant 6 Stunden keine enterale Ernährung mehr be-
gesenkt sowie die Erfolgsrate bei der Entwöh- kommen. Bei der Extubation müssen alle Uten-
nung signifikant erhöht werden können. Dabei silien für eine evtl. Reintubation (→  S. 82)
ist es zweitrangig, welches Entwöhnungsproto- griffbereit sein. Bei der Extubation kann es auch
koll verwendet wird. Wichtig ist, dass ein Ent- zum Erbrechen des Patienten kommen. Die
wöhnungsprotokoll angewandt wird. Magensonde sollte vor der Extubation noch
einmal abgesaugt werden. Sind hierbei die
Schutzreflexe noch nicht zurückgekehrt, so
Überwachung während Entwöhnung droht eine Aspiration (→  S. 211).

Während der Entwöhnung muss die Atmung


klinisch (→  S. 403) und apparativ (→  S. 404) Überwachung nach Extubation
besonders engmaschig überwacht werden.
Zeichen körperlicher und/oder psychischer Unmittelbar nach der Extubation sollte der Pa-
Überanstrengung des Patienten können sein: tient in sitzender (atemunterstützender) Positi-
● Tachykardie, Tachyarrhythmie on gelagert werden und ruhen können. Auch
● Tachypnoe, oberflächliche Atmung, Schau- nach der erfolgreichen Extubation müssen die
kelatmung, Luftnot, „Nasenflügeln“ Patienten noch einige Tage sorgfältig klinisch
● Kaltschweißigkeit und apparativ überwacht werden. Insbesondere
● Blutdruckanstieg ein Sekretstau durch ungenügendes Abhusten,
● Unruhe, Blässe ein Eintrocknen der Sekrete, vor allem falls der
● Sekretretention Patient Sauerstoff über eine Nasensonde appli-
ziert bekommt, oder eine körperliche Erschöp-
Nicht zu vernachlässigen ist nach einer Lang- fung sind mögliche Probleme. Auf eine konse-
zeitbeatmung auch eine psychische „Abhängig- quente physikalische Therapie (z. B. Atem­
keit“ der Patienten vom Respirator. Deshalb gymnastik, Atemtherapie [z. B. intermittierend
sollten diese Patienten anfangs bei den Entwöh- Masken-CPAP, incentive Spirometrie; →  S.
nungsversuchen nie allein gelassen werden und 426], Klopf- und Vibrationsmassage) sowie auf
detailliert über alle durchzuführenden Maß- eine psychologische Führung des Patienten und
nahmen informiert werden. konsequente Mobilisierung ist in dieser Phase
Bei Versagen des Weaning-Versuches sinken großen Wert zu legen.
Motivation und Selbstvertrauen des Patienten
und er wird weit zurückgeworfen!
374 7  Intensivmedizin

7.3 Künstliche Ernährung stratverlust (z. B. durch Fisteln, Wunden) oder


eine unzureichende Substratzufuhr (z. B. durch
Die wichtigsten Energielieferanten für den Kör- Mangelernährung) sein.
per sind Kohlenhydrate und Fette. Im Rahmen einer schweren Erkrankung (z. B.
Außerdem kann der Körper auch aus Lactat einer Sepsis, Verbrennung, schweren Ver­
und Ketonkörpern noch Energie produzieren. letzung, nach großen Operationen) ist die
Unter Umständen kann der Körper auch (uner- Stoffwechselaktivität gesteigert (= Hypermeta-
wünschterweise; →  unten) aus Proteinen (= aus bolismus). Es wird von einem Postaggressions-
Aminosäuren bestehend) Energie gewinnen. stoffwechsel gesprochen. Das Gleichgewicht
Die Aminosäuren sollen jedoch nicht zur Ener- zwischen aufbauenden (= anabolen) und ab-
giegewinnung, sondern zur Synthese von Funk- bauenden (= katabolen) Stoffwechselprozessen
tionsproteinen (z. B. zum Muskelaufbau) ver- ist im Postaggressionsstoffwechsel zugunsten
wendet werden. einer katabolen Stoffwechsellage verschoben.
Nicht jedes Organ kann allerdings alle verfüg- Ursachen sind unter anderem erhöhte Konzen-
baren Energiequellen nutzen. Beispielsweise trationen an Catecholaminen (z. B. Adrenalin),
kann in Gehirn, Knochenmark, Erythrozyten Cortisol und Glucagon. Aufgrund des Hyper-
und Granulationsgewebe nur Glucose (nicht metabolismus ist vor allem ein vermehrter Pro-
z. B. Fette oder Lactat) als Energielieferant ver- teinabbau zu befürchten. Da der Körper über
wertet werden. Daher ist für das Funktionieren keine Proteinreserven verfügt, bedeutet ein ver-
des Körpers ein Mindestbedarf von ca. 100–150 g mehrter Proteinabbau ein Verlust an vitaler
Glucose pro Tag notwendig. Wird der Körper Substanz. Proteine werden dann abgebaut und
nicht ausreichend mit Energielieferanten ver- (neben Kohlenhydraten und Fetten) als Ener-
sorgt, dann werden körpereigene Energiereser- gielieferanten verbrannt. Da beim Abbau von
ven abgebaut. Es kommt zu einer sog. katabolen Aminogruppen der Aminosäuren Ammoniak
Stoffwechsellage (= Abbaustoffwechsel, Hun- (NH3) anfällt und dieses durch Umwandlung in
gerstoffwechsel). Nach einer ca. 12- bis 24-stün- Harnstoff (NH2–CO–NH2; 2 NH3 + 1 CO2 → 1
digen Nahrungskarenz sind z. B. die Kohlenhy- Harnstoff + 1 H2O) entgiftet wird, sind im Kata-
dratvorräte aufgebraucht. Der Körper versucht bolismus die Harnstoffkonzentration im Blut
dann, diesen Glucosebedarf ggf. durch Gluco- (Normalwert: 2,5–6,7 mmol/l bzw. 15–40 mg/
seneubildung (= Gluconeogenese) in der Leber dl) und die im Blutharnstoff enthaltene Stick-
zu decken. Als Vorstufen werden hierfür Lactat stoffmenge (= blood urea nitrogen = BUN; →  S.
und vor allem Aminosäuren (insbesondere aus 463) sowie die im Urin bestimmbare Harnstoff-
Funktionsproteinen mit kurzer Halbwertszeit) Stickstoff-Produktionsrate (1 g Harnstoffstick-
verwendet (100 g Proteine ergeben 56 g Gluco- stoff entspricht ca. 6,25 g abgebauter Proteine)
se). Folge eines dadurch bedingten vermehrten erhöht. Anhand der zugeführten und der aus-
Proteinabbaues können u. a. Wundheilungsstö- geschiedenen Stickstoffmengen kann ggf. eine
rungen, verminderte Immunabwehr, Verdau- sog. Stickstoffbilanz ermittelt werden.
ungs- und Resorptionsstörungen sowie Ödem-
bildung sein. Ein solcher Proteinabbau ist Da Intensivpatienten zumeist sediert oder ko-
unbedingt zu minimieren. ! matös sind, können sie sich nicht selbst ernäh-
Bei intensivpflichtigen Patienten droht – falls ren. Es muss entweder eine parenterale Ernäh-
keine ausreichende künstliche Ernährung rung (i. v. Ernährung unter Umgehung des Gast­
durchgeführt wird – schnell eine katabole Stoff- rointestinaltraktes) oder eine enterale Ernäh-
wechsellage (ähnlich dem sog. Hungerstoff- rung (über den Gastrointestinaltrakt) durchge-
wechsel). Ursachen eines katabolen Stoffwech- führt werden. Die totale parenterale Ernährung
sels können ein erhöhter Substratbedarf (z. B. sollte sobald als möglich verlassen und zumin-
bei Fieber, Verletzungen), ein erhöhter Sub- dest zusätzlich sollten eine enterale Ernährung,
7.3  Künstliche Ernährung 375

also eine enterale und parenterale Ernäh- dadurch bereits einen Teil seines Energiebedarfs
rung durchgeführt werden. Anzustreben ist – so- im Postaggressionsstoffwechsel ab. In der Post-
bald eine ausreichende Darmfunktion vorhan- aggressionsphase liegt eine Verwertungsstörung
den ist – die rein enterale Ernährung. extern zugeführter Nährstoffe vor und die Zu-
Wichtiges Ziel der künstlichen Ernährung ist es, fuhr der theoretisch errechneten Kalorienmen-
das Ausmaß der Katabolie im Postaggressions- ge würde nicht verstoffwechselt. Es käme zu ei-
stoffwechsel zu minimieren. Ein erhöhter Prote- ner deutlichen Hyperglykämie und zu hohen
inabbau könnte zu verzögerter Wundheilung und Triglyceridwerten (→  S. 379). Es ist daher – je
verminderter Infektabwehr aufgrund eines Man- nach Verstoffwechselungskapazität – eine lang-
gels an Immunglobulinen führen. same Steigerung vorzunehmen. Oft wird mit ca.
12–20 kcal/kg KG/d (= 900–1 400 kcal/d) be-
Bei der künstlichen Ernährung müssen die not- gonnen (z. B. 1,5 g Kohlenhydrate/kg KG/d und
wendigen Bausteine Kohlenhydrate, Fette, Pro- 0,5 Fett/kg KG/d; →  S. 378).
teine, Wasser, Elektrolyte, Vitamine und Spu-
renelemente verabreicht werden. Die einzelnen
Bausteine müssen in adäquater Menge zuge- 7.3.1 Totale parenterale
führt werden (vgl. Tab. 7-3). Ernährung
Der Energiebedarf beim Intensivpatienten liegt in Ist wegen unzureichender Magen-Darm-Funk-
! der Größenordnung von 30–40 kcal/kg KG/d. Bei tion eine enterale Ernährung nicht möglich und
übergewichtigen Patienten soll zur Berechnung daher eine totale parenterale Ernährung (tpE)
des Energiebedarfs das Sollgewicht (Sollgewicht notwendig (vgl. Tab. 7-4), so müssen die Bau-
in kg KG = Körpergröße in cm – 100) verwendet steine der Ernährung, also
werden. ● Kohlenhydrate,

● Fette,

Der Energiebedarf des Menschen in Ruhe be- ● Proteine (in Form von Aminosäurelösungen

trägt ca. 25 kcal/kg KG/d. Je nach Aktivität, = ASL)


Stresssituation oder Fieber liegt der tatsächliche und außerdem
Energiebedarf mehr oder weniger über dem ● Flüssigkeit,

Ruheenergieumsatz von 25 kcal/kg KG/d. Bei ● Elektrolyte,

geringer Aktivität bzw. geringer Stresssituation ● Vitamine und

beträgt der Energiebedarf 1,2-mal Ruheener- ● Spurenelemente

gieumsatz. Bei mittlerer bzw. starker Stresssi- in einem ausgewogenen Verhältnis und einer
tuation ist der 1,4- bzw. 1,6-fache Ruheenergie- bedarfsadaptierten Menge verabreicht werden.
umsatz notwendig. Außerdem steigt der Mit der totalen parenteralen Ernährung (=
Energiebedarf pro Grad Fieber um ca. 10 % des Nährstoffzufuhr) sollte erst am ersten Tag nach
Ruheenergiebedarfs an. Bei den meisten Inten- der Operation bzw. dem Trauma begonnen
sivpatienten beträgt der Energiebedarf ca. 1,3- werden. Bis dahin sollte lediglich eine Flüssig-
mal Ruheenergieumsatz. Eine übermäßige keits- und Elektrolytsubstitution erfolgen. Bei
Nährstoffzufuhr (hyperkalorische Ernährung; schwerstkranken Patienten und auch nach gro-
Hyperalimentation) ist zu vermeiden, da hier- ßen Operationen muss zumeist eine vorüberge-
durch eine Leberverfettung droht. hende totale parenterale Ernährung durchge-
Es ist jedoch zu beachten, dass dieser Ernäh- führt werden, bis sich die Darmfunktion wieder
rungsbedarf in der Postaggressionsphase nicht zu normalisieren beginnt.
durch exogene Nährstoffzufuhr komplett abge- Um stärkere Schwankungen in der Infusionsge-
deckt werden kann, denn der Körper metaboli- schwindigkeit parenteraler Ernährungslösun-
siert eigene Fett- und Proteinreserven und deckt gen zu verhindern, sind diese über eine Infusi-
376 7  Intensivmedizin

Tab. 7-3  Beispiel für einen Ernährungsplan zur totalen parenteralen Ernährung bei einem 70 kg schweren Pati-
enten. Oben: konventioneller Ernährungsplan mit verschiedenen Einzelnährlösungen (ASL = Aminosäurelösung).
Unten: moderner Ernährungsplan mit Gesamtnährlösungen (Dreikammerbeutel).
Konventioneller Ernährungsplan mit verschiedenen Einzelnährlösungen
Zeit Infusionslösung ml K+ Na+ Cl– Zusätze kcal
(Uhr) (mmol) (mmol) (mmol)
5–17 Glucose 40 % 450 35 20 55 + 40 ml Inzolen 720
+ 30 ml Natriumgly-
cerophosphat (enthält
30 mmol Phosphat und
60 mmol Natrium)
17–5 Glucose 40 % 450 35 20 55 + 20 ml Mg-5-sulfat 720
10 % (enthält 8,1 mmol
Magnesium)
+ 30 ml Calcium-
Sandoz® 10 % (enthält
6,75 mmol Calcium)
5–17 ASL 10 % 350
17–5 ASL 10 % 350
5–17 Lipofundin MCT 20 % 250 450
17–5 Lipofundin MCT 20 % 250 450
Summe 2340
+ 1 Amp. Cernevit® als
Kurzinfusion (enthält alle
Vitamine außer Vitamin K)
+ 10 mg Vitamin K
(Konakion®) als Kurzinfusion
2 ×/Wo. (bzw. öfter je nach
Quick-Wert)
+ 1 Amp. Unizink®
(bei Langliegern)
+ 1 Amp. selenase® 100 pro
injectione (bei Langliegern)
Beispiel für einen modernen Ernährungsplan mit Gesamtnährlösung (Dreikammerbeutel)
Zeit Infusionslösung Zusätze kcal
(Uhr)
5–5 3 000 ml NuTRIflex® Lipid basal 1 Amp. Addel® N (Spurenelemente) 2652
(enthält: 300 g Glucose, 76,8 g Aminosäuren, 1,5 ml/kg KG Dipeptamin (enthält Glutamin;
120 g Lipide, Wasser, Elektrolyte) wichtig für intestinale Abwehrfunktion [→  S.
385]; nicht bei schwerer Niereninsuffizienz
verabreichen!
Summe 2652
+ 1 Amp. Cernevit als Kurzinfusion
®

(enthält alle Vitamine außer Vitamin K)


+ 10 mg Vitamin K (Konakion®) als Kurzinfu-
sion 2 ×/Wo. (bzw. öfter je nach Quick-Wert)
+ 1 Amp. Unizink® (bei Langliegern)
+ 1 Amp. selenase® 100 pro injectione
(bei Langliegern)
7.3  Künstliche Ernährung 377

Tab. 7-4  Basisbedarf pro Tag und Bedarf bei (postoperativer) Stresssituation
Bausteine der Ernährung Basisbedarf Bedarf bei (postoperativer)
Stresssituation
H2O 30 ml/kg KG 30(–40) ml/kg KG
Aminosäuren 1 g/kg KG 1,5(–2) g/kg KG
Na+ 1–1,5 mmol/kg KG bis 3 mmol/kg KG
K+ 0,5–1 mmol/kg KG bis 2 mmol/kg KG
Cl–
1 mmol/kg KG bis 3 mmol/kg KG
Ca 2+
0,1 mmol/kg KG bis 0,2 mmol/kg KG
PO4 3–
0,4 mmol/kg KG bis 0,8 mmol/kg KG
Mg2+ 0,1 mmol/kg KG bis 0,3 mmol/kg KG
kcal/kg KG 25 30–40
Verteilung der Kalorienträger
Glucose 3–5 g/kg KG 4–5(–6) g/kg KG
Fett 1–1,5 g/kg KG 1–1,5(–2) g/kg KG

onspumpe kontinuierlich über 24 Stunden zu kann aber auch wieder zum Aufbau von Glyko-
verabreichen. Ernährungslösungen mit einer gen und zur Umwandlung in Fette verwandt
Osmolarität über ca. 800 mOsmol/kg H2O sind und in dieser Form als Energielieferant gespei-
über einen zentralen Venenkatheter zu verab- chert werden.) Circa 60 % der benötigten Ener-
reichen, um eine Reizung und Schädigung der gie sollten in Form von Kohlenhydraten verab-
peripheren Venen zu vermeiden. reicht werden. Kohlenhydrate werden nor-
malerweise in Form von Glucose zugeführt.
Eine parenterale Ernährung macht eine (2- bis) Glucose kann in allen Geweben verstoffwech-
! 6-stündliche Kontrolle des Blutzuckers und Urin- selt werden. Bei ausreichender Sauerstoffver-
zuckers sowie eine (6- bis) 12-stündliche Kontrolle sorgung wird Glucose unter Sauerstoffver-
der Elektrolyte sowie eine einmalige Kontrolle pro brauch (aerob) zu CO2 und H2O metabolisiert.
Tag von Triglyceriden, pH-Wert, Blutgasen, Blutbild, (Bei übermäßiger Glucosezufuhr wird Glucose
BUN (= blood urea nitrogen; →  S. 374), Harnstoff auch in Glykogen sowie in Triglyceride und Fet-
und Kreatinin sowie bei Leberinsuffizienz auch von te umgewandelt und so als Energielieferant ge-
Ammoniak (NH3) notwendig. Magnesium, Cal­ speichert.) Die Glucoseaustauschstoffe Fructo-
cium, Phosphat, Albumin und Leberwerte sollten se, Xylit und Sorbit können dagegen nicht von
2- bis 3-mal pro Woche kontrolliert werden. allen Geweben, sondern vor allem von der Le-
ber metabolisiert werden. Von den Glucoseaus-
tauschstoffen dürfen Fructose und auch Sorbit
Kohlenhydrate (das in der Leber zu Fructose umgewandelt
wird) nur dann verabreicht werden, wenn eine
Zu den Kohlenhydraten gehören Glucose, Fruc- Fructose-Intoleranz (1 : 20 000) anamnestisch
tose, Xylit, Sorbit, Stärke und Glykogen. Diese oder anhand eines Fructosetoleranztests ausge-
Substanzen werden ggf. zuerst zu Glucose abge- schlossen ist. Fructose und Sorbit werden daher
baut. Glucose wird dann unter Energiegewin- nur noch sehr selten verwendet. Fructose wird
nung zu CO2 und H2O metabolisiert. (Glucose (unabhängig von Insulin) in der Leber zu Glu-
378 7  Intensivmedizin

cose metabolisiert. Sorbit wird in der Leber in- besondere bei Beginn einer totalen parenteralen
sulinunabhängig über Fructose ebenfalls zu Ernährung kann eine Glucoseverwertungsstö-
Glucose metabolisiert. Die Glucose kann dann rung mit Hyperglykämie auftreten, sodass an-
insulinabhängig in die Zellen aufgenommen fangs meist eine reduzierte Glucosezufuhr sinn-
und verwertet werden. Häufiger kommt noch voll ist. Noch vor wenigen Jahren wurde oft
der Glucoseaustauschstoff Xylit zur Anwen- empfohlen, dass bezüglich der Blutzuckerkon-
dung. Xylit wird zunächst insulinunabhängig zentration während der parenteralen Ernäh-
(v. a. in der Leber) verwertet und in Xylulose rung Werte bis ca. 150–180 mg/dl (aber mög-
umgewandelt und dann (v. a. in der Leber) lichst nicht über ca. 180 mg/dl) akzeptiert
großteils zu Glucose metabolisiert. Die Glucose werden können und dass die Zufuhr von Altin-
wird dann wiederum insulinabhängig in die sulin eher zurückhaltend gehandhabt werden
Zellen aufgenommen und weiter verwertet. Die sollte. Inzwischen ist belegt, dass durch eine
Tagesmaximaldosierung aller 3 Glucoseaus- sog. intensivierte Insulintherapie mit sehr enger
tauschstoffe beträgt 3 g/kg KG. Einstellung der Blutzuckerkonzentration auf
Der Glucosebedarf liegt normalerweise bei ca. ca. 80–110(–150) mg/dl (hierzu reichen meist
3–6 g/kg KG/d. Die Anfangsdosis wird mit 1,5– ≤ 4 IE Insulin/h aus) bei Intensivpatienten eine
2,0 g/kg KG/d angegeben. Die Dosis kann um 1 signifikante Reduktion der Letalität erzielt wer-
g/kg KG/d bis zu einer Maximaldosis von 5(–6) den kann. Es ist aber die Gefahr einer evtl. Hy-
g/kg KG/d gesteigert werden. Bei eingeschränk- poglykämie zu beachten. Diese droht vor allem
ten Stoffwechselbedingungen (z. B. periphere In­- dann, falls die Glucosezufuhr unterbrochen
sulinresistenz im Postaggressionsstoffwechsel, sein sollte, die Insulininfusion aber weiter läuft.
Hypoxie) sollten maximal 2–4 g/kg KG/d Glu- Bei einer vermehrten Glucoseaufnahme in die
cose verabreicht werden. Zellen wird auch vermehrt Kalium und Phos-
phat in die Zellen aufgenommen, sodass es häu-
1 g Kohlenhydrate liefert fig zu einem Kalium- und Phosphatmangel im
! ca. 4,0 kcal = 17 kJ. Blut kommen kann (Normalwert für Phosphat:
0,8–1,6 mmol/l).
Glucoselösungen mit bis zu 10 % Glucose dür-
fen über eine periphervenöse Kanüle verab-
reicht werden. Da höherprozentige Glucoselö- Fette
sungen (> 10 %) deutlich hyperton sind
(Glucose 10 %: 500 mOsm; Glucose 70 %: 3 500 Fette (Triglyceride) werden zu freien Fettsäuren
mOsm), dürfen sie nur über einen zentralen gespalten. Diese können unter Energiegewin-
Venenkatheter verabreicht werden (→  S. 185). nung zu CO2 und H2O metabolisiert werden
Glucose wird meist in Form hochprozentiger (oder wieder zum Fettaufbau verwendet und in
(bis 70%iger) Glucoselösungen verabreicht. dieser Form als Energielieferant gespeichert
Glucose wird (zusammen mit Kalium) in die werden). Normalerweise werden ca. 1–1,5(–2)
Zellen aufgenommen. Hierfür ist Insulin not- g/kg KG/d (Kinder bis 3 g/kg KG/d) oder ca.
wendig. Besteht ein Insulinmangel (Diabetes 40 % des gesamten Kalorienbedarfs in Form
mellitus) oder ist die Wirkung von Insulin ver- von 10- oder 20%igen Fettlösungen verabreicht
mindert (Insulinresistenz), was im Rahmen des (z. B. Lipofundin®). Inzwischen werden nicht
Postaggressionsstoffwechsels häufiger der Fall mehr Fettemulsionen der ersten Generation,
ist, dann wird weniger Glucose in die Zellen das heißt nur langkettige Fettsäuren (LCT),
aufgenommen. Es droht ein Anstieg der Blut- sondern Fettemulsionen der zweiten Generati-
zuckerkonzentration (eine Hyperglykämie). Bei on empfohlen, die ein Gemisch aus mittelketti-
Gabe von Glucoselösungen ist die Blutzucker- gen (MCT) und langkettigen (LCT) Triglyceri-
konzentration regelmäßig zu bestimmen. Ins- den (im Verhältnis 1 : 1) darstellen (Lipofundin®
7.3  Künstliche Ernährung 379

MCT). Mittelkettige Triglyceride werden z. B. Bevor die Fettzufuhr gesteigert wird, sollte die
schneller hydrolysiert. MCT enthalten jedoch Triglyceridkonzentration kontrolliert werden.
keine essenziellen Fettsäuren. LCT-Lösungen Kontraindikation für eine Fettzufuhr sind eine
werden aus Sojabohnenöl hergestellt. Die Fett- Hypertriglyceridämie (> 300 mg/dl bzw. 3,1
lösungen enthalten einen hohen Anteil an es- mmol/l), eine schwere Acidose (pH-Wert < 7,2)
senziellen Omega-6-Fettsäuren (die Vorläufer und eine Mikro- oder Makrozirkulationsstö-
für entzündungsfördernde Mediatoren sind) rung (Schock). Eine hyperdyname Sepsis, eine
und einen geringen Anteil an essenziellen Ome- Leberinsuffizienz oder ein akutes Nierenversa-
ga-3-Fettsäuren (die Vorläufer für entzün- gen sind keine Kontraindikationen für die Gabe
dungshemmende Mediatoren sind). Die Relati- von Fettlösungen.
on von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren Täglich sollten fettlösliche Vitamine (z. B.
beträgt in den LCT-Lösungen 1 : 7. Es sollte je- Vitalipid) verabreicht werden (→  S. 381).
doch bei schwerkranken Patienten (z. B. mit
Sepsis) eine Relation von 1 : 3 angestrebt wer-
den. Deshalb sollte bei diesen Patienten zusätz- Proteine
lich Fischöl (das eine hohe Konzentration an
Omega-3-Fettsäuren enthält; z. B. in Form von Die Bausteine der Proteine sind die Aminosäu-
Omegaven; →  S. 385) verabreicht werden. In- ren. Im menschlichen Organismus gibt es 20
zwischen liegen auch Fettlösungen vor, die ein verschiedene Aminosäuren, 8 davon sind sog.
Gemisch aus lang- und kurzkettigen Fettsäuren, essenzielle Aminosäuren, die der Organismus
aus Olivenöl und aus Fischöl darstellen (z. B. nicht herstellen kann und die daher mit der
SMOFlipid®, Fa. Fresenius). Diese Lösungen Nahrung aufgenommen werden müssen. La-
bieten sich bei schwerkranken Patienten anstatt gern sich bis zu 100 Aminosäuren zusammen,
der Kombination MCT/LCT-Gemisch plus wird von Peptiden gesprochen, lagern sich mehr
Omegaven® an. Am ersten postoperativen Tag als 100 Aminosäuren zusammen, wird von Pro-
werden normalerweise noch keine Fette zuge- teinen gesprochen.
führt. Am zweiten postoperativen Tag werden
meist nur 0,5 g/kg KG/d verabreicht. Die Dosis Proteine haben zwar einen Brennwert von ca. 4,0
sollte höchstens um 0,25–0,5 g/kg KG jeden Tag ! kcal/g (= ca. 17 kJ), sollten jedoch nicht mit dem
bis zu einer Maximaldosis von 1,5(–2) g/kg Ziel verabreicht werden, als Energieträger zu die-
KG/d gesteigert werden. Fette weisen einen sehr nen. Sie sind für die Synthese von Funktionsprote-
hohen Energiewert auf. inen gedacht.

1 g Fett liefert ca. 9,0 kcal = Proteine sollten daher immer zusammen mit
! ca. 38 kJ (1 kcal = 4,2 kJ). Energieträgern in Form von Kohlenhydraten
und/oder Fettinfusionen verabreicht werden.
Fette sind aufgrund ihrer Wasserunlöslichkeit Proteine werden im Rahmen der parenteralen
nicht osmotisch aktiv (ca. 270 mOsm), führen Ernährung in Form von (meist 10%igen) Ami-
zu keiner Venenreizung und könnten auch über nosäurelösungen in einer Dosierung von
eine dünne periphere Vene verabreicht werden. 1–1,5(–2) g/kg KG/d (bei Kindern bis 2,5 g/
Fettemulsionen sollten möglichst nicht mit kg KG/d) verabreicht, um einen Abbau körper-
Glucose- oder Aminosäurelösungen über einen eigener Proteine (katabole Stoffwechselsituati-
gemeinsamen Zugang verabreicht werden. Bei on) zu vermeiden (Aminosäurelösung, z. B.
einer ungenügenden Verstoffwechselung der Aminofusin® 10 %). Die Anfangsdosis beträgt
zugeführten Fettlösungen droht eine Hyperlipid­ 0,5–1,0 g/kg KG/d. Die Dosis kann pro Tag um
ämie mit Anstieg des Triglyceridwertes (Nor- bis zu 0,5 g/kg KG bis auf 1,5(–2) g/kg KG ge-
malwert: 50–180 mg/dl bzw. 0,4–2,3 mmol/l). steigert werden. Aminosäurelösungen sind hy-
380 7  Intensivmedizin

perosmolar und sind daher über einen zentra- Flüssigkeit, Elektrolyte, Vitamine
len Venenkatheter zu verabreichen. Bei Vor­- und Spurenelemente
liegen einer Niereninsuffizienz oder einer
schweren Leberschädigung (mit verminderter Der Flüssigkeitsbedarf beträgt 30(–40) ml/
Synthese von Gerinnungsfaktoren) ist der Ami- kg KG/d. Damit wird z. B. auch die Perspiratio
nosäurebedarf geringer (bei Leberinsuffizienz insensibilis (Flüssigkeitsverlust über Haut [ohne
0,6–1,0 g/kg KG/d; bei Niereninsuffizienz 0,8– Beteiligung der Schweißdrüsen] und Atmung)
1,4 g/kg KG/d). Es werden dann zum Teil modi- ersetzt. Die Perspiratio insensibilis wird mit 10–
fizierte Aminosäurelösungen verwendet (z. B. 12 ml/kg KG/d und pro Grad Fieber (> 37,5 °C)
Aminosteril® N-Hepa 8 %). „Leberlösungen“ mit zusätzlich 3 ml/kg KG/d angenommen. Bei
enthalten einen geringeren Anteil solcher Ami- einer Erhöhung der Körpertemperatur um je-
nosäuren, die hepatisch metabolisiert werden weils 1 Grad Celcius muss also jeweils ca. 10 %
müssen und einen erhöhten Anteil an Amino- mehr Flüssigkeit pro Tag verabreicht werden. Bei
säuren, die „peripher“ verstoffwechselt werden. intubierten Patienten mit Anfeuchtung des In-
(Die Ammoniakkonzentration darf unter Gabe spirationsgemisches wird die Perspiratio insensi-
dieser „Leberlösungen“ nicht ansteigen.) bilis lediglich mit 50 % veranschlagt. In dem
Inzwischen werden Glucose-, Fett- und Amino- Flüssigkeitsbedarf von 30(–40) ml/kg KG/d ist
säurelösungen meist nicht mehr über einzelne auch berücksichtigt, dass im Stoffwechsel des
separate Infusionsflaschen verabreicht, sondern Organismus ca. 300–400 ml sog. Oxidationswas-
es werden zumeist Mischlösungen, das heißt ser pro Tag anfallen. Falls der Patient schwitzt,
Gesamtnährlösungen (All-in-One-Lösungen) muss diese Perspiratio sensibilis beim Erwachse-
verwendet. Vorteile sind geringerer Arbeitsauf- nen meist mit ca. 1 000 ml/d veranschlagt wer-
wand, geringeres Kontaminationsrisiko und ge- den, diese kann aber bei starkem Schwitzen bis
ringere metabolische Nebenwirkungen. Diese zum ca. 10-fachen dieses Wertes betragen.
Gesamtnährlösungen enthalten Glucose, Fette, Die wichtigsten Elektrolyte sind Natrium, Kali-
Aminosäuren sowie Elektrolyte (z. B. NuTRI- um, Chlorid, Phosphat, Calcium und Magnesi-
flex® Lipid basal). Daneben gibt es auch Kombi- um. Der Basisbedarf folgender Elektrolyte be-
nationslösungen, die nur Kohlenhydrate und trägt (vgl. Tab. 7-4):
Aminosäuren sowie Elektrolyte enthalten (z. B. ● Natrium:

Glucoplasmal® 3,5 %, Aminomix®, NuTRIflex® 1–1,5 mmol/kg KG/d


basal). Diese Kombinationslösungen liegen als ● Kalium:

Zwei- oder Dreikammerbeutelsystem vor. Die- 0,5–1 mmol/kg KG/d


sen Kombinationslösungen können ggf. zusätz- ● Chlorid:

liche Elektrolyte sowie Spurenelemente und 1–1,5 mmol/kg KG/d


Vitamine zugesetzt werden.
Falls nur für wenige Tage (maximal 5 Tage) eine Zusätzlich sind zu ersetzen (vgl. Tab. 7-4):
parenterale Ernährung notwendig ist und eine ● Phosphat

stabile Stoffwechsellage vorliegt, dann können (Natriumglycerophosphat: 30 ml enthalten


auch Gesamtnährlösungen mit niedriger Kon- 30 mmol Phosphat und 60 mmol Natrium;
zentration an Glucose und Aminosäuren und evtl. Kaliumphosphat: 50 ml enthalten 30
daher niedriger Osmolarität (ca. 800 mOsmol/l) mmol Phosphat und 60 mmol Kalium),
verwendet werden. Diese Lösungen können für ● Calcium

einige Tage periphervenös verabreicht werden (z. B. Calcium-Sandoz 10 %: 30 ml enthal-


(z. B. NuTRIflex® Lipid peri [enthält Glucose, ten 6,75 mmol) und
Aminosäuren, Fette, Elektrolyte]; Periplasmal® ● Magnesium

3,5 % oder Aminoven® 3,5 % GE [enthalten (z. B. Mg 5-Sulfat 10 %: 20 ml enthalten 8,1
Glucose, Aminosäuren, Elektrolyte]). mmol Magnesium)
7.3  Künstliche Ernährung 381

Initial wird bei den Elektrolyten zumeist der gesetzt werden darf, ansonsten kommt es zu
Basisbedarf, und – je nach Elektrolytkonzentra- Ausfällungen oder Verfärbungen. Natriumgly-
tion – ggf. eine Nachdosierung verabreicht. cerophosphat darf wiederum calcium- und ma-
Der Vitaminbedarf kann mit Multivitaminprä- gnesiumhaltigen Lösungen nicht zugesetzt wer-
paraten gedeckt werden. Wie hoch der Tagesbe- den.
darf an Vitaminen bei Intensivpatienten ist, ist Inzwischen stehen auch Elektrolytmischkon-
nicht genau bekannt. Wasserlösliche Vitamine zentrate zur Verfügung, die den üblichen Basis-
(B1, B2, B6, B12, C, Folsäure, Biotin, Nicotinsäure, bedarf pro Tag an Elektrolyten und Spuren­
Pantothensäure) sollten bereits ab dem ersten elementen enthalten und einer Nährlösung
Tag verabreicht werden, denn sie können kaum zugesetzt werden können.
gespeichert werden und daher sind keine Re- Der früher übliche Zusatz von Heparin zu den
serven vorhanden. Dies kann z. B. durch Gabe Nährlösungen scheint nicht sinnvoll und not-
von 1 Amp. (= 2 ml) Polybion® (= Vitamin-B- wendig zu sein und wurde inzwischen wieder
Komplex) pro Tag erfolgen. Zusätzlich sind 100 verlassen.
mg Vitamin C pro Tag und 2-mal pro Woche 2 Im Rahmen einer totalen parenteralen Ernäh-
mg Folsäure (z. B. Folsäure-Injektopas®) zu sub- rung kann öfter (v. a. bei Lebererkrankungen;
stituieren. Alternativ kann auch ein Kombinati- diabetischer Ketoacidose) eine Hypophosphat­
onspräparat, z. B. Soluvit® N, verabreicht wer- ämie auftreten. Während einer längerfristigen
den, das alle wasserlöslichen Vitamine enthält; totalen parenteralen Ernährung kommt es zu-
täglich 1 Ampulle (lichtempfindliches Medika- meist zu einem Anstieg der Cholestaseparame-
ment). Fettlösliche Vitamine (Vitamine A, K, D, ter. Ursache ist die zunehmende Ablagerung
E; z. B. eine Ampulle Vitalipid Infant/-Adult = von Triglyceriden in der Leber, also eine Leber-
10 ml/d) sollten ab dem dritten bis fünften Tag verfettung.
verabreicht werden. Eine sofortige Substitution
(wie bei den wasserlöslichen Vitaminen) ist
nicht notwendig, da sie im Körper gespeichert 7.3.2 Enterale Ernährung
werden können und daher normalerweise Re-
serven (ggf. für Wochen) vorhanden sind. Vit- Die enterale Ernährung (= eE) ist nicht nur
amine sind häufig licht- und sauerstoffempfind- physiologischer als die parenterale Ernährung,
lich und können sich ungeschützt innerhalb sie ist auch komplikationsärmer, billiger und
weniger Stunden zersetzen. einfacher. Die Mortalität lässt sich durch eine
Der Bedarf an Spurenelementen (z. B. Eisen, enterale Ernährung im Vergleich zu einer par-
Zink, Kupfer, Chrom, Fluor, Iod, Cobalt, Man- enteralen Ernährung jedoch nicht senken.
gan, Selen, Molybdän) kann mit z. B. Inzolen®
(0,5[–1,0] ml/kg KG/d) oder Addel® N (1 Am-
pulle = 10 ml/d; nur für Erwachsene) gedeckt Ernährungssonden
werden. Allerdings ist nicht eindeutig geklärt,
wie hoch der tägliche Bedarf an Spurenelemen- Initial ist ggf. eine enterale Ernährung über eine
ten bei Intensivpatienten ist (und welche Spu- Magensonde oder (bei Magenatonie oder Ma-
renelemente essenziell sind). genausgangsstenose, Regurgitations- und Aspi-
Elektrolyte, Vitaminlösungen und Spurenele- rationsrisiko) über eine Duodenalsonde oder
mente können den Glucoselösungen zugesetzt möglichst eine Jejunalsonde notwendig. Eine
werden. Fettlösliche Vitamine (z. B. Vitalipid spezielle Sonde stellt die sog. Trilumensonde
Infant/-Adult) sind den Fettlösungen zuzuset- dar. Diese Sonde verfügt über zwei Schenkel
zen. Zu beachten ist allerdings, dass Inzolen® (ein Belüftungsschenkel), die bis in den Magen
bzw. Addel® N nicht in magnesium- oder reichen, und einen dritten Schenkel, der bis in
kaliumphosphathaltige Infusionslösungen zu- das Jejunum reicht. Diese Sonde wird bei Pati-
382 7  Intensivmedizin

enten mit hohem Reflux angelegt, die dennoch laren, leicht verdaulichen Bestandteilen zusam-
enteral ernährt werden sollen. Sie erhalten die mengesetzt ist und damit keiner Verdauungsen-
Nahrung jejunal. Gastral kann überschüssiges zyme aus Magen und Pankreas bedarf (=
Sekret entleert werden. Astronautenkost), enthält die nährstoffdefinier-
Ist absehbar, dass der Patient auf lange Sicht te Kost hochmolekulare Bausteine, die die voll-
künstlich ernährt werden muss (z. B. in Form ständige Verdauungsleistung erfordern.
einer Palliativmaßnahme), so empfiehlt sich die
Anlage einer PEG-Sonde (PEG = perkutane Hochmolekulare Kost darf aufgrund der mangeln-
endoskopische Gastrostomie). Soll eine Ernäh- ! den Vorverdauung also nicht duodenal bzw. jeju-
rungssonde längere Zeit liegen bleiben, dann nal verabreicht werden. Dies führt sonst zu konti-
sollte keine Sonde aus Polyvinylchlorid (= PVC) nuierlichen Durchfällen, vor allem auch zu einer
verwendet werden, da diese Sonden bald den fehlenden Resorption der benötigten Nahrungs-
Weichmacher verlieren, spröde und hart wer- bestandteile.
den und Drucknekrosen begünstigen. Es sind
dann Sonden aus Polyurethan, Silikonkau- An industriell hergestellten, nährstoffdefinier-
tschuk oder Polyethylen vorzuziehen. Diese ha- ten Diäten (die also über den Magen zu verab-
ben eine gute Gewebeverträglichkeit. reichen sind) stehen Standardlösungen (z. B.
Bei der Magen-, Duodenal-, Jejunal- und Trilu- Nutricomp Standard, Fresubin original®, Fresu-
mensonde ist auf eine sichere Fixierung an der bin original fibre®) sowie Spezialdiäten, das
Nase mit täglichem Pflasterwechsel zu achten. heißt an spezielle Stoffwechselstörungen ange-
Eine PEG-Sonde ist in der Regel angenäht und passte Lösungen (z. B. Nutricomp Diabetes, Nu-
wird mit Desinfektion, Schlitzkompressen und tricomp Hepa, Nutricomp Intensiv, Fresubin
zusätzlichem Pflastersteg versorgt und gesi- hepa®, Survimed® renal) zur Verfügung.
chert. Für Intensivpatienten stehen inzwischen auch
immunmodulierte Lösungen zur Verfügung,
die einen hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren,
Herstellung und Art Glutamin und zum Teil auch an Arginin auf-
der Sondennahrung weisen (vgl. Immunonutrition). Inzwischen
häufig eingesetzte Präparate sind Reconvan®
Sondennahrung kann durch Passieren und Ho- (Fa. Fresenius) und Impact® (Fa. Novartis).
mogenisieren selbst (home made) oder indus­ An chemisch definierten Diäten (die über eine
triell (sog. Formulardiät) hergestellt werden. Duodenal- oder Jejunalsonde zu verabreichen
Selbst hergestellte Sondennahrung darf nur sind) steht z. B. Nutricomp Peptid oder Survi-
über die Magensonde verabreicht werden, da zu med® OPD zur Verfügung.
deren Resorption die Verdauungsleistung der Die Osmolarität der CDD- bzw. NDD-Lösun-
Magensekrete notwendig ist. Bewährt hat sich gen sollte nicht > 600 bzw. > 450 mOsmol/l be-
jedoch die Verwendung industriell hergestellter tragen.
Sondennahrungen, die eine definierte Zusam- Die Anforderungen an die Zusammensetzung
mensetzung aufweisen. Die industriell herge- der enteralen Ernährung bezüglich Kohlenhy-
stellten Sondennahrungen enthalten auch den draten, Fetten, Proteinen, Vitaminen, Spuren-
Basisbedarf an Vitaminen und Spurenelemen- elementen und Wasser entspricht weitgehend
ten. den Anforderungen, die an die Zusammenset-
Bei der Sondenkost wird unterschieden zwi- zung einer total parenteralen Ernährung gestellt
schen der niedermolekularen, chemisch defi- werden (→  S. 375).
nierten (= CDD) und der hochmolekularen,
nährstoffdefinierten (= NDD) Diät. Während
die chemisch definierte Kost aus niedermoleku-
7.3  Künstliche Ernährung 383

Durchführung Nach der Verabreichung eines Nahrungsbolus


einer Sondenernährung sollte die Sonde jeweils mit etwas Wasser klar-
gespült werden, damit sie offen gehalten und
Die enterale Ernährung sollte erst begonnen der Nährboden für Keime entfernt wird. Wegen
werden, wenn Darmgeräusche nachweisbar der Gefahr der Verkeimung sollte Sondenkost
sind. Oft wird auch erst eine Defäkation abge- in einem geschlossenen System verabreicht
wartet. Die enterale Ernährung sollte vorsichtig werden, das nach 24 Stunden zu wechseln ist.
mit kleinen Volumina begonnen werden.
Eine Magensonde wird meist bei bewusstseins-
klaren Patienten verwendet. Über die Magen- Magensonde oder postpylorische
sonde und auch über eine PEG-Sonde werden Sonde?
meist Einzelboli verabreicht. Als Einzelportio-
nen sollten (30 bis) maximal 300–400 ml verab- Nach einer Magenoperation, nach größeren
reicht werden. Die Portionen sollten langsam Bauchoperationen oder bei größeren Ver­let­
gesteigert werden, z. B. erster Tag: 3 × 100 ml, zungen sollte anstatt einer Magensonde mög-
zweiter Tag 6 × 100 ml; dritter Tag 6 × 200 ml, lichst eine Duodenal- oder Jejunalsonde (= post-
vierter Tag 6 × 300 ml, fünfter Tag 6 × 400 ml. pylorische Sonde) bevorzugt werden (denn die
Vor jeder Bolusgabe ist jeweils das Magensekret postoperative oder posttraumatische Magenato-
abzusaugen. nie hält wesentlich länger an als die postoperative
Die Magensaftproduktion beträgt normaler- oder posttraumatische Dünndarmatonie; →  S.
weise ca. 1 500–2 500 ml/d. Anhand des Rück- 474). Auch bei bewusstseinsgetrübten oder lang-
flusses pro Tag kann etwa abgeschätzt werden, zeitbeatmeten Patienten sollte eine postpylori-
ob eine komplette oder teilweise Magenentlee- sche Sonde bevorzugt werden. Die Gefahr einer
rungsstörung vorliegt. Regurgitation und Aspiration scheint bei diesen
Sonden geringer als bei einer Magensonde zu
Der Restmageninhalt ist ein Parameter für die Ma- sein. Bei Duodenalsonden sollten maximal 80–
! gen-Darm-Aktivität. (Falls vor Gabe der nächsten 100 ml pro Portion verabreicht werden, um Spas-
enteralen Portion beim Erwachsenen mehr als ca. men des Duodenums oder Kreislaufproblemen
150 ml aus dem Magen abgesaugt werden kön- (wegen plötzlichen Einstroms größerer Flüssig-
nen, dann sollte keine neue Sondenkost verab- keitsmengen in das Darmlumen; sog. Früh-
reicht werden.) Dumping-Syndrom; →  S. 384) vorzubeugen. Da
Inzwischen wird auch über eine Magensonde häu- über eine Duodenalsonde nur kleine Einzelboli
figer eine kontinuierliche Gabe der Ernährungslö- verabreicht werden können, sollte möglichst eine
sung durchgeführt. Bei kontinuierlicher Gabe über kontinuierliche Gabe mittels Pumpe (z. B. Flexi-
eine Ernährungssonde empfiehlt sich folgende flo®, Fa. Abbott) durchgeführt werden.
Dosissteigerung: erster Tag 20 ml/h, dann täglich Jejunalsonden können z. B. bei einer Pankreati-
um 20 ml/h steigern bis auf ca. 100 ml/h. tis oder bei Stenosen im oberen Magen-Darm-
Trakt eingesetzt werden. Sie sind jedoch relativ
Die enterale Ernährung sollte wegen der Gefahr schwierig zu platzieren. Durch mehrfaches Um-
einer Aspiration in leichter Oberkörperhochlage lagern des Patienten und Gabe eines die Peri-
(ca. 30 Grad) durchgeführt werden und ist da- staltik anregenden Medikamentes (z. B. Pasper-
her z. B. in Bauchlage kontraindiziert. Muss ein tin®) kann die Platzierung einer Duodenal- oder
Patient vor einer geplanten Untersuchung nüch- Jejunalsonde erleichtert werden. Bevor eine Er-
tern sein oder muss er sich einem therapeuti- nährungssonde benutzt wird, ist eine röntgeno-
schen Eingriff unterziehen, dann darf über die logische Lagekontrolle notwendig. Über Jeju-
Magensonde oder PEG-Sonde vorher 6–8 Stun- nalsonden sollte nur eine kontinuierliche Gabe
den lang keine Nahrung verabreicht werden. der Ernährungslösung durchgeführt werden.
384 7  Intensivmedizin

Eine Ernährungspause (z. B. über die Nacht) ist ● Infektion der Einstichstelle der PEG
bei der duodenalen Verabreichung nicht nötig. ● Sondendislokation:
Bei einer pumpengesteuerten Gabe über Ma- Bei Verdacht auf eine Dislokation der Duo-
gensonde oder PEG-Sonde sollte jedoch nachts denal-, Jejunal- oder Trilumensonde kann
eine Verabreichungspause eingehalten werden, der pH-Wert des Sekrets, das über die ent-
damit sich das saure Milieu des Magens mit sei- sprechende Sonde aspiriert wurde, aussage-
ner bakteriostatischen Wirkung wieder regene- kräftig sein. Der duodenale und jejunale pH-
rieren kann. Wert liegt etwa bei einem Wert von 8 (gastral
bei einem Wert von 2). Zeigt sich bei einer
anschließenden Röntgenkontrolle eine Lage-
Komplikationen verschiebung (Dislokation), dann muss die
Duodenal- oder Jejunalsonde meist endo-
Komplikationen der Sondenernährung können skopisch korrigiert werden.
sein: ● druckbedingte Schleimhautschäden durch
● Reflux und „stille“ Aspiration die Sonde (Erosionen oder gar Ulzerationen)
bei mangelnden Schutzreflexen und unzu- ● diabetische Stoffwechselentgleisung

reichend geblocktem Cuff. Nach einer Ma-


gen- oder Ösophagusresektion ist von einer
erhöhten Refluxneigung auszugehen. Kontraindikationen
● Durchfall und mangelnde Resorption

durch zu schnelle Zufuhr, zu schnellen Nah- Absolute Kontraindikationen für eine enterale
rungsaufbau, zu große Mengen, verkeimte Sondenernährung sind akute gastrointestinale
Sondenkost oder falschen Verabreichungs- Blutungen, Ileus und Schock.
weg. Bei Auftreten von Durchfall ist die ente- Relative Kontraindikationen sind akute Pan-
rale Ernährung u. U. einige Tage auszusetzen kreatitis, Peritonitis, unstillbares Erbrechen und
und es sollte nur Tee verabreicht werden längerfristiger Durchfall.
(Teepause). Im Zusammenhang mit der
enteralen Ernährung ist das Dumping-
Syndrom zu beachten (to dump = hinein- 7.3.3 Immunonutrition
plumpsen). Das sog. Früh-Dumping äußert
sich unmittelbar nach der zu raschen In den letzten Jahren wurde wiederholt berich-
Ver­abreichung hochmolekularer Nahrungs- tet, dass durch eine spezielle enterale oder par-
bestandteile. Dadurch kommt es zu enterale Ernährung u. a. eine Stimulation des
Dehnungsschmerzen und einem schnellen Immunsystems möglich ist. Es wird von einer
Flüssigkeitseinstrom ins Darmlumen mit sog. Immunonutrition gesprochen. Eine Immu-
Blässe, Übelkeit und Schweißausbruch des nonutrition soll vor allem erhöhte Konzentra-
Patienten (bis hin zur Schocksymptomatik). tionen an Glutamin und Omega-(ω-)3-
Beim Spät-Dumping kommt es erst (wenige) Fettsäuren enthalten. Zusätzlich enthält eine
Stunden nach der Gabe schnell resorbierbarer Immunonutritionslösung meist noch (antioxi-
Kost aufgrund einer vermehrten Insulinaus- dative) Vitamine (C, E und β-Carotin), Spuren-
schüttung zu Symptomen einer Hypoglyk- elemente (Selen), Nucleotide und zum Teil Ar-
ämie mit Schwitzen und Kollapsneigung. ginin. Durch eine Immunonutrition soll der
● Sondenverstopfung Verlauf intensivmedizinischer Krankheitsver-
durch mangelndes Nachspülen nach Kost- läufe positiv beeinflusst werden können. Es
oder Medikamentenverabreichung konnte z. B. gezeigt werden, dass bei Patienten
● Sondenfehllage (z. B. im Tracheobronchial- nach einer großen Operation oder mit einer be-
system) ginnenden Sepsis die Mortalität durch Verab-
7.4  Antibiotikatherapie 385

reichung einer solchen angereicherten Sonden- ω-3-Fettsäuren Ausgangssubstanzen für die Bil-
kost u. U. erniedrigt werden kann. Bei einer dung entzündungshemmender (antiinflamm-
schweren Sepsis soll allerdings keine Immuno- atorischer) Substanzen dar. Dagegen sind be-
nutrition durchgeführt werden. stimmte ω-6-Fettsäuren Ausgangssubstanzen
von entzündungsfördernden (proinflammatori-
schen) Substanzen. Durch zusätzliche Gabe von
Glutamin Fischöl, das höhere Konzentrationen an ω-3-
Fettsäuren enthält, kann eine Optimierung des
Die Aminosäure Glutamin scheint für die Sti- Verhältnisses von ω-3-Fettsäuren zu ω-6-
mulation der Immunkompetenz und die Auf- Fettsäuren bei der parenteralen oder enteralen
rechterhaltung der intestinalen Abwehrfunkti- Ernährung erreicht werden. Idealerweise scheint
on wichtig zu sein. Der Glutaminbedarf ist bei dieses Verhältnis (ω-3- zu ω-6-Fettsäuren) 1 : 2
Intensivpatienten deutlich erhöht. Die körper- bis 1 : 4 betragen. Durch eine zusätzliche Gabe
eigene Bildung von Glutamin kann daher bei von ω-3-Fettsäuren im Rahmen der enteralen
einer längerfristigen Intensivbehandlung unzu- Ernährung konnten bei Patienten, die an einem
reichend werden. Es kann dadurch zu einer sepsisbedingten ARDS litten, die Beatmungspa-
Entleerung des Glutaminspeichers kommen. rameter signifikant verbessert, die Beatmungs-
Aus der eigentlich nicht essenziellen Amino- dauer und der Intensivaufenthalt verkürzt und
säure Glutamin wird unter diesen Bedingungen das Risiko eines zusätzlichen Organversagens
eine essenzielle Aminosäure die zum Teil von signifikant vermindert werden.
extern zugeführt werden muss. Seit einigen Jah- Für die parenterale Gabe von ω-3-Fettsäuren
ren wird daher die zusätzliche Gabe von Glut- kann z. B. Omegaven® (Fa. Fresenius) verab-
amin im Rahmen der enteralen Ernährung reicht werden. Es wird empfohlen, dass ca. 10–
von Intensivpatienten propagiert. In einzelnen 20 % der Gesamtfettzufuhr (= 0,1 – maximal 0,2
Studien konnten durch die zusätzliche Glut- g pro kg KG/d) als Fischöl verabreicht werden
aminzufuhr günstige Auswirkungen auf Im- sollte (z. B. 1–2 ml/kg KG Omegaven®).
munkompetenz, infektiöse Komplikationen,
gastrointestinale Funktion, Dauer des Kranken-
hausaufenthaltes und die Überlebensrate nach- Lösungen
gewiesen werden. Inzwischen konnte gezeigt
werden, dass auch nach parenteraler Gabe von An parenteralen immunstimulierenden Ernäh-
Glutamin diese Effekte erzielbar sind. rungslösungen mit erhöhter Konzentration an
Durch die zusätzliche parenterale Gabe von 0,2 Glutamin und ω-3-Fettsäuren steht z. B. Nutri-
g/kg KG/d Glutamin konnte das Langzeitüber- comp® Immun (Fa. Braun) zur Verfügung.
leben nach 6 Monaten signifikant verbessert An enteralen immunstimulierenden Ernäh-
werden. Die positive Wirkung war jedoch nur rungslösungen stehen z. B. Impact® (Fa. Novar-
bei Patienten nachweisbar, die länger als 9 Tage tis) oder Reconvan® (Fa. Fresenius Kabi) zur
künstlich ernährt wurden. Für die parenterale Verfügung.
Gabe von Glutamin kann z. B. Dipeptamin®
(1,5–2 ml/kg KG/d) verabreicht werden.

7.4 Antibiotikatherapie
Omega-(ω-)3-Fettsäuren (Fischöl)
Antibiotika sind neben herz- und kreislauf-
Den ω-3-Fettsäuren wird eine entzündungs- wirksamen Medikamenten die am häufigsten
hemmende und immunmodulierende Wirkung auf der Intensivstation eingesetzten Medika-
nachgesagt. Beispielsweise stellen bestimmte mente.
386 7  Intensivmedizin

Antibiotika sollten nur in indizierten Fällen verab- – Acylaminopenicilline (z. B. Mezlocillin;


! reicht werden. Der unkritische Einsatz von Anti- Baypen®)
biotika fördert die Entwicklung multiresistenter – Acylaminopenicillin plus β-Lactamase-
Keime. Inhibitor (Piperacillin plus Tazobactam;
Tazobac®)
Sinnvoll ist stets der Versuch, den Krankheits- – Isoxazolylpenicilline (z. B. Flucloxacillin;
erreger vor (!) Gabe der ersten Antibiotikadosis Staphylex®)
mittels Probeentnahme zu gewinnen und ihn Penicillin G gilt für Infektionen durch Strep-
danach mikrobiologisch nachzuweisen (Erre- tokokken oder Pneumokokken immer noch
ger?) sowie dessen Empfindlichkeit auf be- als Mittel der Wahl. Ein breiteres Spektrum
stimmte Antibiotika (Resistenz?) auszutesten. haben die Aminopenicilline. Sie sind zusätz-
Hierzu werden bestimmte Proben (z. B. Tra- lich z. B. gegen Enterokokken, Haemophilus
cheobronchialsekret, Urin, Liquor) abgenom- influenzae, Escherichia coli und Salmonellen
men (→  S. 389) und mikrobiologisch unter- wirksam. Durch Kombination eines Amino-
sucht. Initial wird das Antibiotikum verabreicht, penicillins mit einem sog. β-Lactamase-
von dem eine gute Wirkung vermutet wird (= Inhibitor (→  oben) wird auch eine bessere
empirische, kalkulierte Therapie). Nach Vorlie- Wirkung gegen z. B. viele Enterobakterien
gen der Erreger- und Resistenzbestimmung und gegen Staphylokokken erreicht. Acyl-
muss die Therapie ggf. umgestellt werden. Bei aminopenicilline weisen eine gute Wirkung
vielen Antibiotika ist es sinnvoll, die Therapie gegen Enterokokken, Enterobakterien und
durch wiederholte Bestimmung der Plasma- Pseudomonaden auf. In Kombination mit
konzentration zu überwachen, um Unter- oder einem β-Lactam-Inhibitor sind sie auch ge-
Überdosierungen zu vermeiden. Bei schweren gen die meisten β-Lactam-bildenden Stämme
Infektionen werden öfter 2 oder 3 Antibiotika und gegen Anaerobier wirksam.
kombiniert. Isoxazolylpenicilline wirken speziell gegen
Bei einer Niereninsuffizienz ist die Dosierung Staphylococcus aureus und koagulasenegative
der meisten Antibiotika zu reduzieren. Staphylokokken. Sie werden daher vor allem
im Bereich von Haut- und Weichteilinfektio-
nen (HNO-Bereich) eingesetzt.
7.4.1 Medikamente ● Cefalosporine,

die intravenös verabreicht werden, hat die


Die wichtigsten Antibiotikagruppen sind nach- Paul-Ehrlich-Gesellschaft in folgende Grup-
folgend und in Tabelle 7-5 aufgeführt: pen unterteilt:
● Penicilline – Gruppe 1 (z. B. Cefazolin; Basocef®)
können unterteilt werden in: – Gruppe 2 (z. B. Cefotiam; Spizef®)
– Benzylpenicillin (Penicillin G) – Gruppe 3a (z. B. Cefotaxim; Claforan®)
– Aminopenicilline (z. B. Ampicillin; Bino- – Gruppe 3b (z. B. Ceftazidim; Fortum®)
tal®) – Gruppe 4 (z. B. Cefepim; Maxipime®)
– Aminopenicilline plus β-Lactamase-In­ – Gruppe 5 (z. B. Cefoxitin; Mefoxitin®)
hibitor wie Clavulansäure, Sulbactam Cefalosporine der Gruppe 3b (z. B. Ceftazi-
(z. B. Ampicillin plus Sulbactam; Una- dim; Fortum®) sind auch gut gegen Pseudo-
cid®). (β-Lactamase ist ein Enzym be- monas aerugiosa wirksam. Cefalosporine
stimmter Bakterienstämme, das Penicilli- weisen eine relativ geringe Toxizität auf.
ne spalten kann. β-Lactamase-Inhibitoren ● Carbapeneme (z. B. Imipenem plus Cilasta-

hemmen die Wirkung von bakterieller tin; Zienam® – Meropenem; Meronem®)


β-Lactamase). weisen von allen Antibiotika das breiteste
7.4  Antibiotikatherapie 387

Tab. 7-5  Parenteral verabreichbare Antibiotika: Antibiotikagruppen, Wirkstoffe, Handelsnamen (Beispiele) und


Dosierungen
Gruppe Wirkstoff Handelsname Dosierung (Hochdosis)
(Beispiele)
Penicilline
Benzylpenicilline Benzylpenicillin Penicillin G® 20 Mio. E in 4–6 Einzeldosen
Aminopenicilline/ Amoxicillin/ Augmentan® 3 × 2,2 g
b-Lactamase-Inhibitor Clavulansäure
Ampicillin/Sulbactam Unacid® 3 × 3 g
Acylaminopenicilline Piperacillin Piperacillin- 3 × 4 g
ratiopharm®
Mezlocillin Baypen® 3 × 4–5 g oder 2 × 10 g
Acylaminopenicillin/ Piperacillin/ Tazobac ®
3 × 4,5 g
b-Lactamase-Inhibitor Tazobactam
Isoxazolylpenicilline Flucloxacillin Staphylex® 4–6 × 2 g
(Staphylokokken-Penicilline) Oxacillin InfectoStaph® 4–8 g in 4–6 Einzeldosen
Cefalosporine
Gruppe 1 Cefazolin Basocef® 3 × 2 g
Gruppe 2 Cefuroxim Cefuroxim-Sandoz ,®
3 × 1,5 g
Zinacef®
Cefotiam Spizef® 3 × 2 g
Gruppe 3a Cefotaxim Claforan ®
3 × 2 g
Ceftriaxon Rocephin® 2 × 2 g
Gruppe 3b Ceftazidim Fortum® 3 × 2 g
Gruppe 4 Cefepim Maxipime ®
2–3 × 2 g
Cefpirom Cefrom® (Österreich) 3 × 2 g
Gruppe 5 Cefoxitin Mefoxitin® 3 × 2 g
Carbapeneme
Gruppe 1 Imipenem Zienam® 3 × 1 g
Meropenem Meronem® 3 × 1 g
Gruppe 2 Ertapenem Invanz® 1 × 1 g
Monobactame
Aztreotam Azactam® 2 g alle 6–8 h
Fluorchinolone
Gruppe 2 Ofloxacin Tarivid® 2 × 400 mg
Ciprofloxacin Ciprobay® 3 × 400 mg
Gruppe 3 Levofloxacin Tavanic® 2 × 500 mg
Gruppe 4 Moxifloxacin Avalox® 1 × 400 mg
388 7  Intensivmedizin

Tab. 7-5  (Fortsetzung)
Gruppe Wirkstoff Handelsname Dosierung (Hochdosis)
(Beispiele)
Makrolide
Erythromycin Erythrocin® 4 × 1 g
Clarithromycin Klacid ®
2 × 500 mg
Azithromycin Zithromax® 1 × 500 mg
Glykopeptide
Vancomycin Vancomycin CP Lilly® 2 × 1 g
Teicoplanin Targocid ®
initial 2 × 400 mg
dann 1 × 400 mg
Aminoglykoside
Amikacin Biklin® 3 × 5 oder 2 × 7,5 mg/kg KG
Gentamicin Refobacin ®
1 × 3–4 mg/kg KG
Netilmicin Certomycin ®
1 × 3–4 mg/kg KG
Tobramycin Gernebcin ®
1 × 3–4(–5) mg/kg KG
Weitere
Oxazolidinone Linezolid ZYVOXID® 2 × 600 mg
Lincosamide Clindamycin Sobelin ®
3 × 600 mg
Streptogramine Quinupristin/Dalfo- Synercid ®
3 × 7,5 mg/kg KG
pristin
Chloramphenicol Chloramphenicol Paraxin® 80 mg/kg KG/d
Ansamycine Rifampicin Eremfat , Rifa
® ®
1 × 10 mg/kg KG, max.
900 mg
Nitroimidazole Metronidazol Infectoclont® 3 × 500 mg
Fosfomycine Fosfomycin InfectoFos® 3 × 5 g
Die angeführten Dosierungen stellen hohe Dosierungen für schwere Infektionen (z. B. Sepsis) dar. Anstatt der ange-
führten fixen Kombinationen aus Aminopenicillin/BLI bzw. Acylaminopenicillin/BLI können auch Aminopenicillin bzw.
Acylaminopenicilline frei mit einem BLI-Präparat (Sulbactam; Combactam®) kombiniert werden.

Wirkspektrum auf. Es erfasst anaerobe sowie ● Fluorchinolone (z. B. Ciprofloxacin; Cipro-


die meisten grampositiven und -negativen bay® – Levofloxacin; Tavanic®)
aeroben Bakterien. werden auch als Chinone oder Gyrasehem-
● Oxazolidinone (Linezolid; Zyvoxid ) mer bezeichnet. Sie werden in folgende
®

sind gut wirksam gegen grampositive Erre- Gruppen unterteilt:


ger, auch gegen multiresistente Stämme – Gruppe 1 (sind nur oral verfügbar, keine
(MRSA; →  S. 152). Linezolid ist das einzige Bedeutung in der Intensivmedizin)
zurzeit verfügbare Oxazolidinon. Es weist – Gruppe 2 (z. B. Ciprofloxacin; Ciprobay®)
eine besonders gute Penetration in das Lun- – Gruppe 3 (z. B. Levofloxacin; Tavanic®)
gengewebe auf. – Gruppe 4 (z. B. Moxifloxacin; Avalox®)
7.4  Antibiotikatherapie 389

Präparate der Gruppe 2 (z. B. Ciprofloxacin, sollten nur bei nachgewiesener Wirksamkeit
Ciprobay®) wirken gut gegen gramnegative gegen Pneumokokken, Streptokokken, Hae-
Bakterien (z. B. Enterobakterien), schwächer mophilus influenzae und Escherichia coli ein-
gegen grampositive Erreger (z. B. Staphylo- gesetzt werden, da häufig diese Erreger gegen
kokken). Außerdem sind sie gut wirksam ge- Tetracycline resistent sind. Tetracycline wir-
gen Pseudomonas aeruginosa. Präparate der ken gut gegen „atypische“ Erreger (Legio-
Gruppe 3 (z. B. Levofloxacin; Tavanic®) wei- nellen, Chlamydien, Mykoplasmen). Tetra-
sen zusätzlich noch eine verbesserte Wirkung cycline haben im Bereich der Intensivmedizin
gegen grampositive Bakterien und „atypische“ keine relevante Bedeutung.
Erreger (Chlamydien, Legionellen, Mykoplas- ● Lincosamide (z. B. Clindamycin; Sobelin )
®

men) auf. Präparate der Gruppe 4 weisen eine Clindamycin wird vor allem gegen anaerobe
noch bessere Wirkung gegen grampositive und gegen grampositive Bakterien einge-
Erreger auf, einschließlich Pneumokokken. setzt. Bei Auftreten von Durchfall sollte die
Sie erfassen fast alle ambulant erworbenen Therapie abgesetzt werden.
Erreger von Atemwegsinfekten. Sie wirken ● Sulfonamide

auch gut gegen „atypische“ Erreger. Zur Anwendung kommt meist ein Sulfonamid
● Aminoglykoside (z. B. Gentamicin; Refo- plus Trimethoprim = Co-trimoxazol (z. B.
bacin®) Sulfamethoxazol plus Trimethoprim; Eusa-
wirken gegen gramnegative aerobe Bakteri- prim®). Es wird vor allem bei AIDS-Patienten
en (auch Pseudomonas aeruginosa) und En- oder anderen immungeschwächten Patienten
terokokken. Nebenwirkungen: Schädigung eingesetzt, falls eine Pneumonie durch Pneu-
der Nierentubuli, Schädigung des VIII. Hirn- mocystis-carinii-Erreger auftritt. Auch bei be-
nerven (Plasmakonzentrationsbestimmun- stimmten Harnwegsinfekten oder Atemwegs-
gen sind sinnvoll). Aminoglykoside sollten infekten kommt es zur Anwendung.
nur einmal pro Tag verabreicht werden. Es
sind Plasmakonzentrationsbestimmungen
(Talspiegelkontrollen) durchzuführen. Ami- 7.4.2 Bakteriologische
noglykoside sollten im Kombination mit ei- Untersuchungen
nem β-Lactam-Antibiotikum (= Antibiotika,
die einen β-Lactam-Ring enthalten: Penicil- Um eine evtl. bakterielle Besiedlung des Patien-
lin, Cefalosporine, Carbapeneme) oder ei- ten nachzuweisen oder auszuschließen, werden
nem Fluorchinolon verabreicht werden. wiederholt folgende Proben entnommen und
● Glykopeptide (z. B. Vancomycin; Vancomy- zur Untersuchung in ein mikrobiologisches Ins­
cin CP Lilly® – Teicoplanin; Targocid®) titut geschickt:
wirken gut gegen grampositive Kokken, auch ● Urin

gegen multiresistente Staphylococcus aureus ● Stuhl (bei Durchfällen)

(MRSA). Gegen gramnegative Erreger sind ● Blut (bei Fieber)

Glykopeptide unwirksam. Nebenwirkungen: ● Sekret

Schädigung des Gehörs, Allergie, Abfall der ● Tracheobronchialsekret

neutrophilen Granulozyten (= Neutropenie). ● Wundabstriche

● Makrolide (z. B. Erythromycin; Erythrocin ● Abstriche von Naseneingang und Haut


®

– Clarithromycin; Klacid )
®
(Nachweis von methicillin-[multi-]resisten-
sind gut wirksam gegen Pneumokokken, tem Staphylococcus aureus? →  S. 152)
Streptokokken, Chlamydien, Mykoplasmen ● u. U. Liquor

und Legionellen.
● Tetracycline (z. B. Doxycyclin; z. B. Doxy- Bei der Entnahme von Tracheobronchialsekret
cyclin-ratiopharm) wird zwischen Absaugschlauch und Absaug-
390 7  Intensivmedizin

Blut muss zu Beginn eines Fieberschubes abge-


nommen werden. Die Abnahme von Blutpro-
ben zur Anlage von Blutkulturen über bereits
liegende Katheter ist nicht erlaubt. Aus Sterili-
tätsgründen muss neu punktiert werden. Es
sind jeweils 10 ml Blut sowohl in eine aerobe
(luft- und damit sauerstoffhaltige) als auch in
eine anaerobe (luft- und damit sauerstofffreie)
Blutkulturflasche mit Nährlösung einzubrin-
gen. Das Blut darf nicht abkühlen, daher müs-
sen die Blutkulturflaschen entweder sofort ins
Labor transportiert oder vorübergehend im
Brutschrank bei Körpertemperatur aufbewahrt
werden.
Normalerweise werden Proben zur bakteriolo-
gischen Kontrolle 2-mal pro Woche entnom-
men. Bei entsprechender Indikation muss dies
ggf. häufiger durchgeführt werden.

Abb. 7-6 Entnahme von Trachealsekret zur bakteriolo-


gischen Untersuchung
7.5 Säure-Basen-Haushalt
vorrichtung ein steriles Auffangröhrchen
geschaltet (vgl. Abb. 7-6). Zuverlässiger und 7.5.1 Allgemeine Bemerkungen
aussagekräftiger als blind abgesaugtes Tracheo-
bronchialsekret sind eine gezielte, bronchosko- Für den ungestörten Ablauf vieler Funktionen
pisch durchgeführte bronchoalveoläre Lavage im Organismus (z. B. biochemische Stoffwech-
(= BAL; gezielte Instillation und anschließendes selprozesse oder elektrophysiologische Prozesse
Absaugen einer entsprechenden Spülflüssigkeit) an erregbaren Membranen) muss eine Reihe
und ein gezielter, bronchoskopisch durchge- von Bedingungen erfüllt sein. Eine dieser Be-
führter Bürstenabstrich in dem suspekten Lun- dingungen ist die Aufrechterhaltung eines mög-
genbereich. lichst konstanten pH-Wertes (und damit der
Besteht der Verdacht auf eine Katheterinfekti- Wasserstoffionenkonzentration; pH-Wert = ne-
on, dann ist nach Entfernung des zentralen Ka- gativer dekadischer [10er] Logarithmus der H+-
theters dessen Spitze zur bakteriologischen Un- Ionen-Konzentration).
tersuchung einzuschicken.
Wird bei einem Patienten eine Antibiotikathe-
rapie begonnen, so sollten entsprechende Pro- Grundlagen
ben noch vor Therapiebeginn entnommen wer-
den. Es ist darauf zu achten, dass die Proben Säure
sowie der sorgfältig ausgefüllte Begleitschein
möglichst schnell ins Labor gebracht werden. Säuren sind Substanzen, die in wässriger Lösung
Bei der Entnahme von Blutproben zur bakte-

Wasserstoffionen (H+) abgeben.
riologischen Untersuchung (Blutkulturen) müs-
sen eine sorgfältige Hautdesinfektion und eine Eine der wichtigsten Säuren des Körpers ist die
Einmalpunktion vorgenommen werden. Das Kohlensäure (H2CO3). Sie bildet sich aus Koh-
7.5  Säure-Basen-Haushalt 391

lendioxid (CO2) und Wasser (H2O). Die Koh- Herkunft der Wasserstoffionen
lensäure kann als schwächere Säure Wasserstoff­
ionen abgeben. Die meisten Säuren entstehen im Stoffwechsel,
ein Teil stammt aus der Nahrung. Aus dem Ab-
H CO → H+ + HCO3– bau der Kohlenhydrate gehen große Mengen
! (Kohlen-
2 3
(Wasser- (Bicar- Kohlendioxid (CO2) hervor (ca. 20 000 mmol/d).
säure) stoffion) bonation) Unter körperlicher Arbeit kann sogar bis zu 10-
mal mehr CO2 entstehen. Dies führt zu einer
Verschiebung des Säure-Basen-Milieus zur sau-
Basen ren Seite.


Basen sind Substanzen, die in wässriger Lösung
 Wasserstoffionen (H+) aufnehmen. ! CO2 + H2O s H2CO3 s H+ + HCO3–

Eine der wichtigsten Basen im Körper ist das Die Kohlensäure wird als sog. flüchtige Säure
Bicarbonat. über die Lungen ausgeatmet. Daneben entste-
hen geringe Mengen an nicht flüchtigen (fixen)
HCO – + H+ → H2CO3 Säuren (ca. 40–60 mmol H+/d). Diese müssen
! (Bicar-
3
(Wasser- (Kohlen- über die Nieren ausgeschieden werden. Zum
bonation) stoffion) säure) Teil werden mit der Nahrung saure Substanzen,
also H+-Ionen, zugeführt. Ebenso werden bei
körperlicher Arbeit in den Muskelzellen saure
pH-Wert Stoffwechselprodukte, insbesondere Milchsäure
(Lactat), freigesetzt.

Der pH-Wert ist ein Maß für die H+-Ionen-Konzen-
 tration (negativ genommener 10er-Logarithmus
der H+-Ionen-Konzentration). Beispiel: pH-Wert 7.5.2 Regulation
von 7,4 bedeutet eine H+-Ionen-Konzentration
von 10–7,4. Der Normalwert für den pH-Wert be- Der Organismus verfügt über Kompensations-
trägt: 7,4 ± 0,04 (7,36–7,44). mechanismen, um evtl. Störungen entgegen­
zuwirken und den pH-Wert konstant zu hal­-
Der physiologische pH-Wert wird durch die ten. Zu diesen Kompensationsmechanismen
fortlaufend im Stoffwechsel entstehenden Säu- ge­hören Puffersysteme, Lungen, Nieren und Le-
ren und Basen gefährdet. Es droht entweder ber.
eine zu hohe Wasserstoffionenkonzentration
(Acidose, Abfall des pH-Wertes unter 7,36)
oder eine zu niedrige Wasserstoffionenkonzen- Puffersysteme im Intra-
tration (Alkalose, Anstieg des pH-Wertes über und Extrazellulärraum
7,44). Beide Störungen beeinträchtigen glei-
chermaßen die Funktion der Organe. Bei einem Überangebot an Säuren und Basen
setzen zunächst die Kompensationsvorgänge
Acidose: der Pufferung ein.
! pH < 7,36 (hohe H+-Ionen-Konzentration)
Alkalose:
Als Pufferlösungen werden Stoffgemische be-
pH > 7,44 (niedrige H+-Ionen-Konzentration)  zeichnet, die bei Zugabe einer Säure oder Base
saure oder basische Valenzen abfangen und che-
misch binden. Dadurch wird der pH-Wert (Wasser-
392 7  Intensivmedizin

stoffionenkonzentration) der Pufferlösung nicht Fällt die CO2-Konzentration durch vermehrte
wesentlich verändert. Pufferlösungen bestehen Atmung wieder ab, so steigt der pH-Wert an, da
aus dem Gemisch einer schwachen Säure mit die Wasserstoffionenkonzentration abnimmt.
einem ihrer Salze oder aus dem Gemisch einer Diese Veränderungen werden anhand der fol-
schwachen Base mit einem ihrer Salze. genden Gleichung nochmals deutlich:

Werden dem Puffergemisch H+-Ionen zuge- CO2 + H2O s H2CO3 s H+ + HCO3–


führt, so bindet der Puffer diese Ionen. Werden
hingegen Basen hinzugefügt, so setzt der Puffer Während Puffersysteme sofort wirken, beginnt der
H+-Ionen frei. Auf diese Weise bleibt der pH- ! Kompensationsmechanismus über die Lunge erst
Wert weitgehend konstant. nach einigen Minuten. Die Regulationsmechanis-
Dem Körper stehen folgende Puffersysteme zur men der Niere sind komplex. Sie sind erst Stunden
Verfügung: bis Tage nach Beginn der Störung voll ausgebil-
● Kohlensäure-Bicarbonat-Puffersystem det.
● Hämoglobinpuffersystem

● Proteinpuffersystem

● Phosphatpuffersystem Niere
Die Pufferkapazität des Blutes wird zu gleichen Die Regulationen durch Ausscheidung saurer
Teilen von den Bicarbonatpuffern und den oder basischer Stoffwechselprodukte durch die
Nichtbicarbonatpuffern abgedeckt. Der Hämo- Niere kommen erst langsam zur Wirkung. Sie
globinpuffer hat einen Anteil von 80 % an den sind deshalb besonders für chronische Störun-
Nichtbicarbonatpuffern. gen des Säure-Basen-Haushalts von Bedeu-
Von den Puffersystemen im Plasma ist der Koh- tung. Durch die verschiedensten chemischen
lensäure-Bicarbonat-Puffer von großer klini- und biologischen Austauschvorgänge an der
scher Bedeutung, da er sich durch die Labor- Tubuluszelle kommt es bei einem Überangebot
analyse leicht erfassen lässt. Er wird durch die an sauren Substanzen zu einem vermehrten
Bestimmung der Standardbicarbonatkonzen- Ausscheiden von H+-Ionen durch die Nieren.
tration überwacht. Mit dieser Ausscheidung von H+-Ionen ist die
Niere gleichzeitig in der Lage, die für den Kör-
per notwendigen Basen (v. a. Bicarbonat) zu-
Lunge rückzuhalten.
Über die Nieren können also mehr oder weni-
Der weitaus größte Anteil der Säureausschei- ger H+-Ionen ausgeschieden bzw. es kann mehr
dung erfolgt durch Abgabe von flüchtigem CO2 oder weniger Bicarbonat rückresorbiert wer-
über die Lungen. Das als Endprodukt des Stoff- den.
wechsels in den Zellen reichlich anfallende CO2
diffundiert ins Blut und wird über die Lunge ab-
geatmet. Leber
Ein Anstieg des CO -Partialdrucks im Blut bzw. ein Auch die Leber spielt bei der Regulation des
! pH-Abfall aufgrund2 der vermehrt gebildeten Koh- Säure-Basen-Haushalts eine wichtige Rolle. Im
lensäure stimuliert das Atemzentrum und bewirkt Körper entstehen täglich 50–80 mmol nicht
eine Zunahme der Atemfrequenz und Atemtiefe. flüchtige Säuren, z. B. Milchsäure (Lactat) und
Dies führt zu einer vermehrten CO2-Abgabe über Ammoniumionen (NH4+). Die Leber kann Lac-
die Lunge. tat metabolisieren. Ammoniumionen (NH4+;
die eine schwache Säure darstellen) und Bicar-
7.5  Säure-Basen-Haushalt 393

bonationen (HCO3–; die eine starke Base dar- ● metabolische Acidose


stellen), können in der Leber im Harnstoffzy- ● metabolische Alkalose
klus (2 HCO3– + 2 NH4+ +  NH2–CO-NH2 +
CO2 + 3 H2O) zu Harnstoff (NH2-CO-NH2) Respiratorische und metabolische Störungen
neutralisiert werden. NH4+-Ionen können auch können auch kombiniert auftreten. Die Diffe-
bei der hepatischen Bildung von Glutamin ge- renzierung der verschiedenen Störungen des
bunden werden. Liegt eine Acidose vor, wird in Säure-Basen-Haushalts ist am besten anhand
der Leber die Harnstoffsynthese gedrosselt, das einer arteriellen Blutgasanalyse (BGA) mög-
heißt Bicarbonationen zurückgehalten, wäh- lich.
rend NH4+-Ionen über eine gesteigerte Glut- Normalwerte für die arterielle Blutgasanalyse
aminsynthese neutralisiert werden. Bei einer (= BGA) sind:
Alkalose findet in der Leber eine vermehrte ● pH-Wert:

Harnstoffsynthese mit Neutralisation von Bi- 7,4 (± 0,04)


carbonationen statt und gleichzeitig ist die ● pCO :
2
Glutaminsynthese vermindert, sodass sich 40 mm Hg (± 5) = 5,3 kPa (± 0,7)
NH4+-Ionen anhäufen können. ● pO :
2
97 mm Hg = 13 kPa
● O -Sättigung:
2
7.5.3 Störungen 97–99 %
● Standardbicarbonatkonzentration:

Wenn die geschilderten Kompensationsmög- 21–25 mmol/l


lichkeiten nicht mehr ausreichen, um das Ange- ● Basenabweichung (= base excess):

bot an sauren oder basischen Substanzen abzu- ± 3 mmol/l


fangen, verschiebt sich das Milieu: Es wird sauer
oder alkalisch. Verschiebt sich das Milieu zur kPa × 7,5 = mm Hg;
sauren Seite, so wird von Acidose (pH-Wert ! mm Hg/7,5 = kPa
< 7,36) gesprochen.
Verschiebt sich das Milieu zur basischen Seite Der Normalwert für den arteriellen pO2 ist
(pH-Wert > 7,44), so wird von Alkalose gespro- altersabhängig:
chen. ● 20 Jahre:

Von dekompensierten Störungen wird gespro- 97 mm Hg = ca. 13,0 kPa


chen, wenn der pH-Wert außerhalb des Norm- ● 40 Jahre:

bereiches liegt. Reichen die Kompensations- 92 mm Hg = ca. 12,2 kPa


möglichkeiten des Organismus noch aus, um ● 60 Jahre:

einen noch normalen pH-Wert aufrechtzuer- 83 mm Hg = ca. 11,3 kPa


halten, so handelt es sich um eine kompensier- ● 80 Jahre:

te Störung des Säure-Basen-Haushalts. 75 mm Hg = ca. 10,0 kPa


Je nach der zugrunde liegenden Ursache kön- ● 100 Jahre:

nen respiratorische und nicht respiratorische (= 66 mm Hg = ca. 8,8 kPa


metabolische) Störungen des Säure-Basen- (→  S. 397)
Haushalts unterschieden werden. Diese Tren-
nung ist wegen der verschiedenen therapeuti- Normalwerte für die gemischtvenöse BGA
schen Konsequenzen von Bedeutung. sind:
Mögliche Störungen des Säure-Basen-Haushalts ● pH-Wert:

sind: 7,38
● respiratorische Acidose ● pCO :
2
● respiratorische Alkalose 46 mm Hg = 6,1 kPa
394 7  Intensivmedizin

● pO2: Therapie
40 mm Hg = 5,3 kPa Akute respiratorische Acidosen müssen respi-
● O -Sättigung: ratorisch (!) behandelt werden durch Steigerung
2
75 % der Ventilation, z. B. durch assistierte oder kon-
● Standardbicarbonatkonzentration: trollierte Beatmung.
24–28 mmol/l
● Basenabweichung (= base excess):

0–4 mmol/l Respiratorische Alkalose


Eine respiratorische Alkalose bedeutet einen er-
Respiratorische Acidose  niedrigten pCO2 aufgrund einer gesteigerten CO2-
Ausscheidung der Lunge (Hyperventilation).

Bei der respiratorischen Acidose handelt es sich
 um einen erhöhten paCO2-Wert aufgrund einer Ursachen
verminderten CO2-Abatmung über die Lungen ● Hyperventilation (psychisch bedingte Hy-
(Hypoventilation). perventilation), kontrollierte Hyperventilati-
on, z. B. bei Patienten mit Schädel-Hirn-
Ursachen Trauma
Die wichtigsten Ursachen der respiratorischen ● falsche Einstellung des Respirators

Acidose sind: ● Angst

● Verlegung der Atemwege ● Aufregung

● zentrale Atemdepression

● Lungenerkrankungen Typische BGA-Veränderungen sind:


● Verletzungen/Erkrankungen der Thoraxwand ● pH-Wert:

● neurologische Erkrankungen > 7,44


● neuromuskuläre Erkrankungen ● pCO :
2
● falsche Respiratoreinstellung < 35 mm Hg = < 4,7 kPa

Typische BGA-Veränderungen sind: Kompensation


● pH-Wert: < 7,36 Länger anhaltende respiratorische Alkalosen
● pCO : > 45 mm Hg = > 6 kPa werden metabolisch kompensiert. Die Nieren
2
scheiden vermehrt Bicarbonat mit dem Urin
Kompensation aus.
Chronische respiratorische Störungen versucht BGA nach Kompensation:
der Körper metabolisch zu kompensieren. Hier ● pH-Wert:

spielt die Niere die wichtigste Rolle. Sie steigert oberer Normalbereich
die H+-Ionen-Ausscheidung mit dem Urin und ● pCO :
2
fördert die Bicarbonatbildung. Hierdurch wird < 35 mm Hg = < 4,7 kPa
der pH-Abfall kompensiert, allerdings nicht ● Standardbicarbonatkonzentration:

vollständig. < 21 mmol/l


BGA nach Kompensation:
● pH-Wert: Therapie
unterer Normalbereich Die Behandlung richtet sich nach der zugrunde
● pCO : liegenden Ursache.
2
> 45 mm Hg = 6 kPa
● Standardbicarbonatkonzentration:

> 25 mmol/l
7.5  Säure-Basen-Haushalt 395

Metabolisch bedingte Störungen Wert von 7,4 bei einem pCO2 von 40 mm Hg (5,3
kPa) und einer Temperatur von 37 °C erforderlich

Alle nicht respiratorisch bedingten Abweichungen ist. Der BE wird nicht vom pCO2 beeinflusst.
 der Wasserstoffionenkonzentration vom Normal- Ein Überschuss an Basen wird als positiver BE,
bereich werden als metabolische Störungen be- ein Mangel an Basen als negativer BE bezeich-
zeichnet. Es wird zwischen metabolischer Acido- net (sprachlich richtig wäre die Bezeichnung: po-
se und metabolischer Alkalose unterschieden. sitive bzw. negative Basenabweichung).

Beurteilung metabolischer Parameter Metabolische Acidose

Zur Beurteilung der metabolischen Parameter


Einer metabolischen Acidose liegt ein Mangel an
sind die Standardbicarbonatkonzentration und  Bicarbonat und ein negativer base excess (–BE)
der Basenüberschuss (= base excess = BE) ge- zugrunde.
eignet.
Ursachen
Standardbicarbonat Eine Anhäufung nicht flüchtiger Säuren tritt
Zur Beurteilung metabolischer Störungen ist vor allem auf bei:
nicht die Bicarbonatkonzentration, sondern die ● Schock (vermehrte Milchsäureproduktion

sog. Standardbicarbonatkonzentration zu beur- [Lactatbildung] aufgrund von anaerober


teilen. Warum? Die Bicarbonatkonzentration Glykolyse)
wird aufgrund der Gleichung ● diabetischer Ketoacidose

● Hungeracidose

CO2 + H2O s H2CO3 s HCO3– + H+ ● Nierenversagen

auch vom CO2, also dem respiratorischen Para- Ein Verlust von Bicarbonat entsteht durch:
meter, beeinflusst. ● Verlust von Pankreassaft

● Durchfälle

Um den respiratorischen Einfluss (des pCO ) auf ● Dünndarmdrainage


! die Bicarbonatkonzentration auszuschalten,2 wird
das Plasmabicarbonat bei einem definierten pCO2 Typische BGA-Veränderungen sind:
von 40 mm Hg (5,3 kPa), bei 37 °C und bei Vollsät- ● pH-Wert:
tigung des Hämoglobins gemessen. Es wird dann < 7,36
von Standardbicarbonat gesprochen. Das Stan- ● base excess:
dardbicarbonat ist damit unbeeinflusst vom respi- < –3 mmol/l
ratorischen Parameter pCO2 und stellt einen rein ● Standardbicarbonatkonzentration:
metabolischen Parameter dar. < 21 mmol/l

Base Excess Kompensation


Ein wesentlich besserer Parameter für nicht re- Metabolische Störungen versucht der Körper
spiratorische, also metabolische Störungen des respiratorisch zu kompensieren. Es wird ver-
Säure-Basen-Haushalts, ist der base excess (= mehrt CO2 über die Lungen ausgeschieden.
BE). Damit wird der gesamte Basenüberschuss Eine Vollkompensation gelingt allerdings meist
oder Basenmangel erfasst. nicht.
BGA nach Kompensation:
Der BE ist diejenige Menge von Säuren oder Ba- ● pH-Wert:

sen in mmol/l, die zum Rücktitrieren auf einen pH- unterer Normalbereich
396 7  Intensivmedizin

● Standardbicarbonatkonzentration: Ursachen
< 21 mmol/l Verlust von Wasserstoffionen z. B. durch:
● base excess: ● Verlust von saurem Magensaft (Erbrechen,

< –3 mmol/l Magensonde)


● pCO : ● Diuretikagabe:
2
< 35 mm Hg = < 4,7 kPa Eine länger dauernde forcierte Diurese führt
nicht nur zu einem Natrium- und Wasser-
Therapie verlust, sondern auch zu einem renalen Kali-
Metabolische Acidosen müssen grundsätzlich um- und Chloridverlust. Der renal bedingte
metabolisch kompensiert werden, nicht respi- Kaliummangel fördert die H+-Ausscheidung
ratorisch. Hierzu eignen sich neben einer kau- über die Nieren.
salen Therapie (z. B. Therapie des Schocks) in-
travenös zugeführte Puffersubstanzen. Die Die diuretikabedingte renale Cl–-Ausscheidung
wichtigsten sind Natriumbicarbonat 8,4 % (und ! führt (um die elektrische Neutralität zu wah-
TRIS-Puffer [THAM] 0,3 %). ren) zu einer vermehrten Rückresorption von
HCO3–. Folge ist eine metabolische Alkalose.
Berechnung des Bicarbonatbedarfs: Bei Intensivpatienten ist eine so verursachte
! BE × 0,3 × kg KG = mmol Natriumbicarbonat metabolische Alkalose sehr häufig.
BE × 0,3 × kg KG = ml 8,4%iges Natriumbi-
carbonat, da 1 ml = 1 mmol ● übereifrige Pufferung
(Berechnung des Bedarfs an TRIS-Puffer:
BE × 0,3 × kg KG = mmol TRIS-Puffer Typische BGA-Veränderungen sind:
BE × kg KG = ml 0,3 molarer TRIS-Puffer, da 1 ml ● pH-Wert:
= 0,3 mmol) > 7,44
● Standardbicarbonatkonzentration:

Normalerweise wird die Hälfte der errechneten > 25 mmol/l


Puffersubstanz infundiert, danach eine arteriel- ● base excess:

le Blutgasanalyse durchgeführt. Puffersubstanz > +3 mmol/l


der ersten Wahl ist Natriumbicarbonat (= Na-
triumhydrogencarbonat). Bei einer Hyperna- Kompensation
triämie ist jedoch Natriumbicarbonat kontra- Der Organismus versucht respiratorisch zu
indiziert, weil damit große Mengen Natrium kompensieren. Es wird weniger CO2 ausgeat-
zugeführt werden. Es sollte dann TRIS-Puffer met (Hypoventilation). Eine Vollkompensation
verwendet werden (natriumfrei). wird gewöhnlich nicht erreicht.
TRIS kann, vor allem bei schneller Infusion, zu BGA nach Kompensation:
einem Abfall des pCO2 mit einer Atemdepres- ● pH-Wert:

sion führen. Es ist daher bei Patienten mit einer oberer Normalbereich
Ateminsuffizienz abzulehnen. Kontraindiziert ● Standardbicarbonatkonzentration:

ist TRIS-Puffer auch bei einer Oligurie und > 25 mmol/l


Anurie. ● base excess:

>  +3 mmol/l
● pCO :
2
Metabolische Alkalose > 45 mm Hg = > 6 kPa


Einer metabolischen Alkalose liegt ein Überschuss Therapie
 an Bicarbonat und ein positiver base excess (+BE) Metabolische Alkalosen werden metabolisch
zugrunde. korrigiert, nicht respiratorisch.
7.6  Blutgasanalyse 397

Liegt eine diuretikabedingte Alkalose vor, dann versorgenden Arterien gehen aus dem präduk-
! bietet sich die Gabe von KCl und NaCl an, um den talen Bereich des Aortenbogens ab.
auslösenden K+- und Cl–-Mangel auszugleichen.
Bei der Abnahme einer BGA ist zu beachten, dass
Erst sehr schwere metabolische Alkalosen (pH- ! ein Schreien des Kindes zu einem schnellen Abfall
Wert > 7,55) müssen durch die Gabe von ver- des pO2-Wertes führt und eine unter solchen Be-
dünnter (0,1 molarer) Salzsäure (HCl) korri- dingungen abgenommene Probe mit Vorbehalt zu
giert werden. Säurebedarf in mmol/l = BE × 0,3 interpretieren ist.
× kg KG (0,1 molare HCl enthält 100 mmol/l).
HCl muss über einen zentralvenösen Zugang Anhand einer Blutgasanalyse können die Oxy-
verabreicht werden. genierung, die Ventilation und der Säure-Ba-
sen-Haushalt überprüft werden. Für das Neuge-
borene wird ein paO2 von 60–80 mm Hg
7.6 Blutgasanalyse (8,0–10,7 kPa) empfohlen, für den Erwachse-
nen ein paO2 knapp über 100 mm Hg (vgl. Tab.
7-6).
7.6.1 Abnahme der Blutprobe
Eine zuverlässige Beurteilung der Blutgase pO
Die Blutgasanalyse als invasives Verfahren ist nur ! und pCO ist nur im arteriellen oder arterialisier-2
! punktuell möglich. Punktionsort der Wahl ist die 2
ten Blut möglich.
Arteria radialis. Aus zentral- oder gemischtvenösem Blut bestimm-
te BGAs sind speziellen Fragestellungen vorbehal-
Bei Kindern kann stellvertretend arterialisier- ten (→  S. 202). Metabolische Parameter des Säu-
tes Kapillarblut, z. B. aus der hyperämisierten re-Basen-Haushalts können dagegen auch im ve-
Fingerbeere, Ferse oder dem Ohrläppchen ver- nösen Blut bestimmt werden.
wendet werden. Zuverlässige Ergebnisse sind
bei einer kapillären BGA nur zu erwarten, wenn
das Blut ohne übermäßiges Pressen der Ferse
oder des Fingers leicht in die Kapillare eintritt Tab. 7-6  paO2-Werte (in Abhängigkeit vom Alter)
und keine Kreislaufstörung oder Hypothermie
vorliegt. Alter paO2 unter Atmung von Raumluft
Wird bei einem Neugeborenen eine arterielle   3–5 h ca. 60 mm Hg   (8,0 kPa)
BGA abgenommen, so ist die rechte Arteria ra-   6–24 h ca. 68 mm Hg   (9,1 kPa)
dialis Punktionsort der Wahl. Hier lässt sich 25–48 h ca. 73 mm Hg   (9,7 kPa)
Blut aus dem sog. präduktalen Bereich (d. h. vor
Einmündung des Ductus arteriosus Botalli in   3–4 d ca. 78 mm Hg (10,4 kPa)
den Aortenbogen) gewinnen; dies ist von Be-   5–10 d ca. 80 mm Hg (10,7 kPa)
deutung, falls der Ductus arteriosus (Ductus 11–40 d ca. 78 mm Hg (10,4 kPa)
Botalli; eine für den Feten wichtige Gefäßver-
  1–10 Mo. ca. 85 mm Hg (11,3 kPa)
bindung zwischen Pulmonalarterie und Aor-
tenbogen, die sich nach der Geburt normaler-   1–8 J. ca. 90 mm Hg (12,0 kPa)
weise bald verschließt) noch offen sein sollte 10–20 J. ca. 96 mm Hg (12,8 kPa)
und hierüber ein Rechts-links-Shunt besteht. 40 J. ca. 92 mm Hg (12,3 kPa)
Für den Bereich des Kopfes (Gehirn/Auge) ist
60 J. ca. 83 mm Hg (11,1 kPa)
die präduktale paO2-Spannung von Bedeutung,
denn die das Gehirn (und den rechten Arm) 80 J. ca. 75 mm Hg  (9,5 kPa)
398 7  Intensivmedizin

Zur Abnahme der Blutgasanalyse wird am bes­- Arteria femoralis


ten eine 2-ml-Spritze benutzt. Als Antikoagu-
lans wird Heparin zugesetzt. Andere Antiko- Der Punktionsort liegt knapp unterhalb des
agulanzien verfälschen die Ergebnisse der BGA Leistenbandes. Hier verlaufen von innen nach
und sind nicht erlaubt. Der pH-Wert von Hepa- außen: die Vena femoralis, die Arteria femora-
rin ist sauer (7,0). Darum darf nicht zuviel da- lis und der Nervus femoralis („Eselsbrücke“:
von in der Spritze sein. Normalerweise wird et- IVAN). Die Kanüle wird senkrecht zur Haut
was Heparin in die Spritze aufgezogen und eingestochen. Denkbar ist eine Verletzung des
anschließend das gesamte Volumen wieder her- lateral der Arterie verlaufenden Nerven sowie
ausgespritzt. Der im Spritzenkonus verbleiben- eine versehentliche Punktion der medial der
de Anteil genügt zur Gerinnungshemmung. Es Arterie verlaufenden Vene.
stehen inzwischen auch spezielle, bereits hepa- Komplikationen einer arteriellen Punktion
rinisierte BGA-Spritzen zur Verfügung. können sein:
● Gefäßspasmus

● intravasale Gerinnsel-(Thrombose-)Bildung

Punktionsorte ● Hämatom

Bevorzugte Punktionsorte für die Abnahme ei-


ner arteriellen Blutprobe sind: Arterialisiertes Kapillarbett
● vor allem Arteria radialis

● selten Arteria femoralis Bei Neugeborenen und Kleinkindern liefert die


● Ausweichmöglichkeit: Arteria dorsalis pedis Analyse von arterialisiertem Kapillarblut aus-
reichend genaue Werte, wenn die Durchblutung
im Punktionsbereich gut ist. Bei Zentralisation
Arteria radialis ist dieses Verfahren hingegen unzulässig.
Es sollte ein stark kapillarisiertes Gefäßbett wie
Die Arteria radialis am Handgelenk ist die si- Ferse, Ohrläppchen, Fingerbeere oder Großze-
cherste und am leichtesten zugängliche Punkti- he für die Punktion gewählt werden. Nach Er-
onsstelle. Das Gefäß liegt oberflächlich, größere wärmung (Hyperämisieren) mit Salbe oder
benachbarte Venen fehlen. Außerdem besteht kräftigem Reiben der voraussichtlichen Punkti-
zumeist ein ausreichender Kollateralkreislauf onsstelle sollte ein tieferer Einstich in das hy-
über die Arteria ulnaris. perämisierte Gebiet mit einer Kanüle (oder ei-
Der Arm muss sorgfältig gelagert und im Hand- ner Lanzette) vorgenommen werden. (Es darf
gelenk überstreckt werden. Nach mehrmaliger jedoch nie zum Knochenkontakt kommen.)
Desinfektion ist beim wachen Patienten mög- Das Blut muss frei austreten. Das Gewebe darf
lichst eine Lokalanästhesie vor der Punktion nicht stärker gequetscht werden. Nun ist eine
durchzuführen. Zur Punktion eignet sich z. B. heparinisierte Kapillare an den Blutstropfen zu
eine 22-Gauge-Stahlkanüle. führen. Das Blut muss leicht in die waagrecht
Nach Abnahme der Blutgasanalyse muss die gehaltene Kapillare fließen. Es ist darauf zu ach-
Luft sofort aus der Spritze entfernt und die ten, dass keine Luftblasen in die Kapillare ein-
Spritze muss luftdicht verschlossen werden. Die treten.
Punktionsstelle ist mehrere Minuten sorgfältig
zu komprimieren, damit kein Hämatom auf-
tritt.
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 399

7.6.2 Art der Blutprobe Temperaturkontrolle

Gemischtvenöse Blutgasprobe Die Blutgasanalysatoren liefern normalerweise


Werte für eine normale Körpertemperatur von
Eine gemischtvenöse Blutgasanalyse ist nur aus 37 °C. Bei Unterkühlung oder Fieber kann die
dem Blut der Arteria pulmonalis möglich, denn aktuelle Körpertemperatur dem Labor mitge-
hier befindet sich ein repräsentatives Mischblut teilt werden bzw. am Blutgasanalysengerät ein-
aus dem Gesamtkörper (gemischtes Blut aus gestellt werden. Dadurch können z. B. die auf
Vena cava superior und Vena cava inferior). die aktuelle Körpertemperatur korrigierten
Partialdrücke von O2 und CO2 sowie ein tempe-
raturkorrigierter pH-Wert ermittelt werden. Es
Zentralvenöse Blutgasprobe wird allerdings häufig keine Temperaturkorrek-
tur empfohlen.
Zentralvenöses Blut wird aus einer zentralen
Vene, also zumeist aus der Vena cava superior
oder dem rechten Vorhof (über einen Kavaka-
theter) abgenommen. Das zentralvenöse Blut 7.7 Überwachung
repräsentiert normalerweise nur das Blut aus
der oberen Körperhälfte, nicht das Blut des Ge-
des Intensivpatienten
samtkörpers.
7.7.1 Allgemeine Bemerkungen
Periphervenöse Blutgasprobe Bei Intensivpatienten sind sämtliche relevanten
Organsysteme, vor allem Herz-Kreislauf-Funkti-
Blutgasanalysen aus periphervenösem Blut sind on, Atmung, Säure-Basen-Haushalt, Wasser-Elek-
in keiner Weise für die pO2- und pCO2-Bestim- trolyt-Haushalt und Blutgerinnung klinisch, ap-
mung geeignet. Das Ergebnis ist zu stark abhän- parativ und ggf. laborchemisch zu überwachen.
gig von der lokalen Perfusion.
Je stärker eine Organfunktion beeinträchtigt ist,
! desto intensiver und engmaschiger muss die
7.6.3 Aufbewahrung Überwachung sein.

der Blutprobe Neben der kontinuierlichen klinischen Über-


wachung, die von Pflegepersonal und Ärzte-
Das entnommene Blut stellt nach wie vor ein le- schaft vorzunehmen ist, muss mindestens 3-mal
! bendes Gewebe dar, das Sauerstoff verbraucht pro Tag vom Arzt eine ausführliche körperliche
und CO2 produziert. Untersuchung vorgenommen werden. Die ap-
parative Überwachung von Organfunktionen
Nach der Entnahme sollte das Blut sofort analy- wird als Monitoring bezeichnet.
siert werden. Ist dies nicht möglich, so muss die
Stoffwechselaktivität des entnommenen Blutes
durch Lagerung bei 4 °C gesenkt werden. Bei 7.7.2 Herz-Kreislauf-Funktion
dieser Temperatur kann das Blut ohne wesentli-
che Veränderungen ca. 1 bis 2 Stunden aufbe- Da bei Intensivpatienten häufig eine Beein-
wahrt werden. Es ist darauf zu achten, dass kei- trächtigung des Herzens (z. B. Herzinsuffizienz)
ne Luftblasen in der Spritze sind. Viele kleine und der Kreislaufsituation (Sepsis oder starke
Luftblasen sind ungünstiger als eine größere Blutung) vorliegt, ist die Überwachung der
Luftblase (größere Oberfläche). Herz-Kreislauf-Funktion von größter Wichtig-
400 7  Intensivmedizin

keit. Neben der klinischen Überwachung (Haut- Bei der EKG-Ableitung werden die während
farbe, Kapillardurchblutung, Rekapillarisie- der Depolarisation und Repolarisation der
rungszeit) ist insbesondere die apparative Herzmuskulatur auftretenden Ströme über
Überwachung von EKG, arteriellem Blutdruck Hautelektroden gemessen. Für die Routine-
und zentralem Venendruck (ggf. pulmonalarte- überwachung reicht meist die Brustwandablei-
riellem Druck und pulmonalkapillärem Ver- tung mit 3 Elektroden. Diese sind folgenderma-
schlussdruck) wichtig. ßen zu platzieren:
● rot:

zweiter ICR in der Medioklavikularlinie rechts


Überwachung des EKGs ● gelb:

zweiter ICR in der Medioklavikularlinie links


Bei jedem Intensivpatienten wird routinemäßig ● grün/schwarz:

eine EKG-Überwachung durchgeführt. Erkannt sechster ICR in der Medioaxillarlinie links


werden können damit:
● Herzfrequenz (Tachykardie? Bradykardie?) Am EKG-Monitor wird hierbei die Ableitung II
● Herzrhythmus (supraventrikuläre, ventriku- eingestellt (→  S. 33).
läre Extrasystolen? Vorhofflimmern bzw. In Abbildung 7-7a, b ist eine normale EKG-Ab­
-flattern?) leitung dargestellt. Die positive P-Zacke reprä-
● verminderte Koronardurchblutung (Myo- sentiert die elektrische Erregung der Vorhöfe.
kardischämie? ST-Strecken-Senkung?) Die positive R-Zacke entspricht der Erregung
● akuter Herzinfarkt (ST-Strecken-Hebung?) der Ventrikel. Während der ST-Strecke bleiben
● Kammerflattern die Ventrikel depolarisiert, und die positive
● Kammerflimmern T-Zacke entspricht der Repolarisierung der
● Asystolie Ventrikel. Vor der R-Zacke befindet sich die

R QT

T
P
U
a

QS
PQ QRS ST

SVES
c

VES Abb. 7-7 Darstellung einer normalen


EKG-Kurve. a Nomenklatur der EKG-
d
Kurve. b Normale EKG-Ableitung. c Su-
praventrikuläre Extrasystole (SVES).
e d Ventrikuläre Extrasystole (= VES).
e Kammerflimmern.
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 401

kleine negative Q-Zacke, die bei Vorliegen eines brechung eines vagalen Reizes (z. B. Laryngo-
alten Herzinfarkts zumeist vergrößert ist. Nach skopie, Bronchoskopie). Ist dies nicht möglich,
der R-Zacke tritt die kleine negative S-Zacke so muss – falls die Herz-Kreislauf-Funktion be-
auf. Q-, R- und S-Zacken werden zusammen als einträchtigt ist – eine symptomatische Behand-
QRS-Komplex bezeichnet. Die Bezeichnung lung (Atropin, Orciprenalin, Schrittmacheran-
dieser Zacken stellt eine willkürlich entnomme- lage o. Ä.) durchgeführt werden.
ne Reihe aus dem Alphabet (P, Q, R, S, T, U) dar
(Abb. 7-7a). Extrasystolen
Bei einer Extrasystole handelt es sich um eine
 verfrüht auftretende elektrische Erregung des
Häufige Veränderungen des Herzrhythmus Herzens. Je nachdem, von welcher Stelle der Herz-
muskulatur der elektrische Reiz ausgeht, wird von
Sinustachykardie einer supraventrikulären oder ventrikulären
EKG-Kurve mit erhöhter Frequenz über 100 Extrasystole gesprochen.
Schlägen/min beim Erwachsenen. Ursächlich
kommen infrage: Eine supraventrikuläre Extrasystole hat ihren
● intravasaler Volumenmangel Ursprung im Bereich der Vorhöfe (oder des AV-
● Fieber Knotens), das heißt in der Nähe des Sinuskno-
● Schmerz tens. Der QRS-Komplex ist bei einer supraven-
● Stress trikulären Extrasystole daher gleich konfiguriert
● Hyperthyreose wie bei einer normalen Sinuserregung. Norma-
● Atropingabe lerweise sind lediglich die P-Zacke sowie der
● Adrenalingabe (Suprarenin ) Abstand zwischen P- und Q-Zacke verändert
®

(vgl. Abb. 7-7c).


Sinusbradykardie Eine ventrikuläre Extrasystole nimmt ihren
Bei einer Sinusbradykardie weist die EKG-Kurve Ursprung im Bereich der Ventrikel. Der QRS-
 bei Erwachsenen eine erniedrigte Frequenz Komplex ist typischerweise extrem verformt
unter 60 Schlägen/min auf. (vgl. Abb. 7-7d). Nach einer ventrikulären Ex-
trasystole tritt der nächste QRS-Komplex etwas
Mögliche Ursachen sind: verzögert auf (kompensatorische Pause).
● Therapie mit einem β-Rezeptoren-Blocker Wechseln sich ventrikuläre Extrasystolen mit
● Zufuhr des Opioids Remifentanil (→  S. 60) jeweils einem normalen QRS-Komplex ab, so
● vagale Reizung wird von einem Bigeminus gesprochen. Sind
● Digitalisintoxikation die ventrikulären Extrasystolen unterschiedlich
● Überdosierung von Noradrenalin (Artere- deformiert, so bedeutet dies, dass sie von unter-
nol®) schiedlichen Arealen im Bereich der Ventrikel
(was zu einem starken Blutdruckanstieg mit entspringen (multifokale Extrasystolen).
reflektorischer Bradykardie führt; →  S. 302) Lediglich gehäufte ventrikuläre Extrasystolen
● Cushing-Reflex sind therapiebedürftig. Hierfür kann ggf. Lido-
(starke Steigerung des intrakraniellen Drucks cain verwendet werden. Nach einem initialen
mit Blutdruckanstieg und reflektorischer Bolus (1 mg/kg KG) muss aufgrund der kurzen
Bradykardie; →  S. 269) Wirkdauer des Medikamentes ggf. eine konti-
● Herzinfarkt nuierliche Infusion durchgeführt werden. Ge-
gebenenfalls kann auch Ajmalin (Gilurytmal®;
Die Behandlung einer Bradykardie besteht 0,5–1,0 mg/kg KG, sehr langsam i. v.; maximal
nach Möglichkeit in einer kausalen Therapie 10 mg/min) verabreicht werden. Inzwischen
der zugrunde liegenden Ursache, z. B. Unter- werden Antiarrhythmika aus der Gruppe der
402 7  Intensivmedizin

Natriumkanalblocker wie Lidocain oder Ajma-


lin zunehmend seltener verabreicht. Zur Be­
handlung tachykarder ventrikulärer Herzrhyth-
musstörungen kommt inzwischen ggf. Amio-
daron (Cordarex®; 5 mg/kg KG langsam i. v.),
also ein Kaliumkanalblocker (Antiarrhythmi-
kum der Klasse III), zum Einsatz.

Vorhofflimmern
Beim Vorhofflimmern handelt es sich um eine vor-
 übergehende oder langfristige Herzrhythmusstö-
rung mit ungeordneter Vorhoferregung. Anstatt
den P-Wellen treten nur Vorhofflimmerwellen mit
wechselnder Größe, Gestalt und Frequenz auf, die
sich kaum von der isoelektrischen Linie abheben.
Unregelmäßig kommt es zur Erregung der Kam-
mern, es tritt eine absolute Arrhythmie auf.

Bei frisch aufgetretenem Vorhofflimmern kann


u. U. eine Kardioversion zur Rhythmisierung
durchgeführt werden. Dabei wird gezielt wäh-
rend der Refraktärzeit des Herzens ein Strom-
stoß abgegeben. 20 ms nach der R-Zacke wird Abb. 7-8 Multifunktionsgerät zur Überwachung von
ein R-Zacken-gesteuerter, synchronisierter, mä- Intensivpatienten. Darstellung von Herzfrequenz, arte­
riellem Blutdruck, pulmonalarteriellem Druck, arterieller
ßiger Stromstoß ausgelöst (ähnlich wie bei der
Sauerstoffsättigung und endexspiratorischem CO2.
Defibrillation; →  S. 537). Um die R-Zacken-
Synchronisation zu ermöglichen, muss der Pa-
tient an den in den Defibrillator integrierten
EKG-Monitor angeschlossen werden. Körpertemperatur, arterielle Sauerstoffsätti-
gung, endexspiratorische CO2-Kurve (Kapno-
Kammerflimmern gramm) und andere Parameter zumeist als Kur-
Bei Kammerflimmern sieht die EKG-Grundlinie ve sowie als digitaler Wert angezeigt werden
 wellenförmig und verzittert aus, es sind keine (vgl. Abb. 7-8). Sämtliche Alarme des Monitors
QRS-Komplexe zu erkennen (vgl. Abb. 7-7e). Das müssen sinnvoll eingeschaltet sein!
Herz steht funktionell still, innerhalb weniger Se-
kunden tritt eine Bewusstlosigkeit auf. Der Patient
ist pulslos. Überwachung des arteriellen
Blutdrucks
Die Behandlung besteht in einer sofortigen De-
fibrillation bzw. mechanischen und medika- Bei schwer kranken Patienten reicht die auskul-
mentösen Reanimation. tatorische Messung des arteriellen Blutdrucks
Moderne EKG-Geräte verfügen über die Mög- nach Riva-Rocci (= RR) oder die oszillometri-
lichkeit, den auf dem Monitor angezeigten sche Messmethode (z. B. mittels Dinamap-Gerät)
EKG-Streifen „einzufrieren“ oder evtl. auszu- nicht aus. Normalerweise wird bei Intensivpati-
drucken, um so akute Veränderungen zu doku- enten eine kontinuierliche blutige arterielle
mentieren. Inzwischen werden Multifunkti- Druckmessung vorgenommen (→  S. 191). Um
onsgeräte eingesetzt, mit denen nicht nur das ein Verstopfen des intraarteriellen Katheters zu
EKG, sondern z. B. auch arterieller Blutdruck, verhindern, wird bei Intensivpatienten stets eine
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 403

kontinuierliche Spülung des arteriellen Zugangs Überwachung und Messung


durchgeführt (→  S. 192). Zur Abschätzung der des zentralen Venendrucks
Organperfusion bietet sich die Beurteilung des
arteriellen Mitteldruckes an. Bei Patienten mit Bezüglich der Platzierung eines Kavakatheters
einem (Aorten-)Aneurysma oder einer frischen (→  S. 185) sowie der Messung des zentralen Ve-
arteriellen Gefäßnaht ist zusätzlich der systoli- nendrucks und der Interpretation der erhobe-
sche Spitzendruck (der auf die Gefäßwände nen Werte (→  S. 202) wird auf die entsprechen-
wirkt) zu beachten. Zur Beurteilung der Koro- den Kapitel verwiesen.
narperfusion ist auch der diastolische arterielle
Druck wichtig. Überwachung und Messung
des pulmonalarteriellen Drucks
Der mittlere arterielle Druck wird unter klinischen
! Bedingungen meist ungefähr dem Perfusions- und des pulmonalkapillären
druck gleichgesetzt. Genau genommen entspricht Verschlussdrucks
jedoch der Perfusionsdruck eines Organs der Dif-
ferenz aus dem Druck, mit dem das Blut in das Or- Bezüglich der Platzierung eines Pulmonalarte-
gan strömt (MAP), minus dem Druck, der sich dem rienkatheters (→  S. 197) sowie der Interpretati-
entgegenstellt (ZVD). Perfusionsdruck = MAP – on der damit gewonnenen Werte (→  S. 201)
ZVD. (Analog dazu ermittelt sich der zerebrale wird auf die entsprechenden Kapitel verwiesen.
Perfusionsdruck CPP = MAP – ICP; →  S. 269.) (→  auch: Spezielle Krankheitsbilder, Herz; S.
Der Perfusionsdruck (bzw. der mittlere arteriel- 454)
le Blutdruck) ist jedoch u. U. nur ein schlechter
Parameter für die tatsächliche Organperfusion.
7.7.3 Atmung/Beatmung
Es ist z. B. denkbar, dass der Perfusionsdruck
(bzw. mittlere arterielle Blutdruck) weitgehend Klinische Überwachung
normal ist, obwohl der Blutfluss (das Herzzeit-
volumen) deutlich erniedrigt ist. Dies ist z. B. Inspektion
möglich, wenn gleichzeitig ein sehr hoher tota-
ler peripherer Gefäßwiderstand vorliegt (z. B. Mittels Inspektion können die Atembewegun-
bei einem Volumenmangel mit peripherer Va- gen beurteilt werden. Sind Atembewegungen
sokonstriktion). In diesem Fall wäre evtl. die überhaupt vorhanden oder wird der Patient im
Organdurchblutung trotz scheinbar normalem Moment gar nicht beatmet, z. B. aufgrund eines
Blutdruck unzureichend. apparativen Fehlers? Falls die Atembewegungen
vorhanden sind:
Für den Perfusionsdruck gilt die Beziehung: ● Sind sie normal, oder schleppt eine Seite des
! MAP – ZVD = HMV × TPR Thorax beim spontan atmenden Patienten
Oft wird auch vereinfachend festgestellt: nach?
MAP ≅ HMV × TPR Ursache könnten eine versehentliche einsei-
ZVD = zentraler Venendruck tige Intubation, eine Tubusdislokation oder
MAP = mittlerer arterieller Druck Schmerzen aufgrund von Rippenfrakturen,
(= mean arterial pressure) einer Pleuritis oder einer einseitigen Pneu-
HMV = Herzminutenvolumen monie sein.
TPR = totaler peripherer Widerstand ● Hat der spontan atmende Patient eine para-
(= total peripheral resistance) doxe Atmung?
Während sich der Thorax hebt, senkt sich
hierbei der Bauch und umgekehrt. Grund ist
404 7  Intensivmedizin

meist eine Rippenserienfraktur oder eine der Alveolen zu interpretieren ist. Bei krankhaf-
partielle Verlegung der oberen Luftwege, z. B. ten Prozessen sind häufig sog. Rasselgeräusche
durch die beim bewusstlosen Patienten zu- (meist nur als RG bezeichnet) zu auskultieren
rückgefallene Zunge. (= Auskultation = Abhorchen).
● Wie ist die Oxygenierung des Patienten? Trockene RG werden auch als Giemen und
Insbesondere am Nagelbett ist eine Zyanose Brummen bezeichnet. Sie entstehen durch zä-
frühzeitig zu erkennen. Mindestens eine hes Sekret in den großen Luftwegen und sind
Hand des Patienten sollte daher stets aufge- z. B. typisch für eine Bronchitis oder für den in-
deckt liegen. Ist eine Zyanose erkennbar, so tubierten Patienten, der wieder endobronchial
handelt es sich allerdings bereits um eine abgesaugt werden muss.
ausgeprägte Hypoxämie. Eine Zyanose ist Feuchte RG sind wesentlich schwieriger zu aus-
normalerweise erst bei einer arteriellen Sät- kultieren und klingen, als wenn mit einem
tigung von ca. 80 % zu erkennen, das ent- Strohhalm in ein volles Wasserglas geblasen
spricht beim Erwachsenen einem paO2 von wird. Feuchte RG entstehen, wenn die kleinen
ca. 50 mm Hg (6,6 kPa). Luftwege mit Flüssigkeit gefüllt sind und die
Luft hindurchgeblasen wird.
Befindet sich Flüssigkeit in den Alveolen, so
Palpation entstehen kleine Luftblasen, falls Luft durch die
Flüssigkeit strömt. Es wird dann von feinblasi-
Durch Auflegen der flachen Hände (= Palpation gen RG gesprochen. Sie sind typisch für ein
= Tastuntersuchung) auf jeweils eine Tho- Lungenödem oder eine Pneumonie.
raxflanke kann die Seitengleichheit der Atem- Mittelblasige RG entstehen in den kleineren,
bewegungen abgeschätzt werden. Bei einem grobblasige RG in den größeren Bronchien.
Hautemphysem kann ein typisches Schneeball- Ein anderes wichtiges Krankheitsmerkmal sind
knirschen getastet werden. Ursache kann ein abgeschwächte oder fehlende Atemgeräusche.
Bronchialeinriss sein. Stets muss dann ein Sie sprechen für einen Erguss oder einen Häma-
Pneumothorax ausgeschlossen werden. tothorax. Häufig lässt sich ein abgeschwächtes
Atemgeräusch beim sitzenden Patienten nur
über den unteren Lungenpartien, beim liegen-
Perkussion den Patienten nur an der Flanke und vor allem
auf dem Rücken feststellen. Die Flüssigkeit, die
Bei der Perkussion (= Untersuchung durch Be- für die Dämpfung meist verantwortlich ist, folgt
klopfen der Körperoberfläche) können vor allem den Gesetzen der Schwerkraft. Eine weitere Ur-
Seitendifferenzen zwischen rechter und linker sache für ein abgeschwächtes Atemgeräusch
Lunge erkannt werden. Ein einseitiger dumpfer kann eine Atelektase sein.
Klopfschall (wie beim Perkutieren der Ober-
schenkel = Schenkelschall) spricht für einen Er-
guss, einen Hämatothorax oder eine schwere
Pneumonie. Ein hypersonorer Klopfschall (wie
Apparative Überwachung
beim Beklopfen einer leeren Schachtel = Schach-
telschall) spricht für einen Pneumothorax. Atemfrequenzmonitor

Der elektrische Widerstand zwischen den auf


Auskultation dem Thorax aufgeklebten EKG-Elektroden än-
dert sich (aufgrund der Volumenschwankungen)
Über der normalen Lunge ist ein sog. Vesiku- während In- und Exspiration. Diese Tatsache
läratmen zu hören, das als Entfaltungsknistern kann zur Messung der Atemexkursionen genutzt
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 405

werden (Impedanzpneumographie). Verschie- strom wird ein CO2-Messkopf zwischen Tubus


dene EKG-Geräte sind hierzu in der Lage und und Winkelstück konnektiert. Bei der Messung
zeigen auf dem Monitor neben dem EKG die im Seitenstrom wird Ausatemgas über einen
Atemexkursionen und die Atemfrequenz an. dünnen Probenabsaugschlauch in ein Analyse-
gerät geleitet. Die Messung im Hauptstrom gibt
zeitnähere Werte an, während bei der Messung
Manometrie im Nebenstrom eine zeitliche Verzögerung be-
steht (langer Probenabsaugschlauch). Die end­
Der Beatmungsdruck ist ein guter Parameter, exspiratorische CO2-Messung ermöglicht eine
um Veränderungen der Lungen-Compliance kontinuierliche, nicht invasive Überwachung
und -Resistance (→  S. 341) sowie um Diskon- der Ventilation. Ein physiologisches Ventila­
nektionen erkennen zu können. tions/Perfusions-Verhältnis vorausgesetzt, be-
trägt die Differenz zwischen paCO2 und dem
endexspiratorisch gemessenen CO2 nur wenige
Sauerstoffkonzentration mm Hg. Bei konstanten Störungen des Ventila­
tions/Perfusions-Verhältnisses kann anhand ei-
Respiratoren verfügen über einen Sauerstoffmi- ner arteriellen Kontrollmessung ermittelt werden,
xer, an dem die inspiratorische Sauerstoffkon- um welchen Betrag der paCO2 höher liegt als der
zentration stufenlos eingestellt werden kann. endexspiratorisch gemessene Wert. Aus dem ak-
tuellen endexspiratorischen CO2-Wert kann da-
mit der arterielle CO2 errechnet werden.
Volumetrie
Die endexspiratorische CO -Messung ist zwingend
An den Respiratoren können zwar das einge- ! erforderlich, wenn eine kontrollierte
2
Hyperventi-
stellte Atemhubvolumen, die AF sowie das lation (z. B. SHT) durchgeführt wird (→  S. 272).
AMV direkt abgelesen werden, zur exakten
Ventilationsüberwachung sind jedoch die end­ Inzwischen sind auch Geräte zur kontinuierli-
exspiratorische CO2-Messung (→  unten) und chen arteriellen Blutgasanalyse (pH, pO2, pCO2)
die Blutgasanalyse (→  S. 390) notwendig. verfügbar. Hierbei wird durch eine Kanüle, die
zur arteriellen Druckmessung angelegt wurde,
eine spezielle dünne Sonde eingeführt. Diese
Alarmeinstellungen Spezialsonden kommen allerdings fast nur im
Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen
Stets müssen alle am Respirator verfügbaren zum Einsatz.
Alarmeinstellungen sinnvoll eingeschaltet sein.
Die wichtigsten sind Unter- und Obergrenze
für AMV, FiO2, endexspiratorische CO2-Kon- Pulsoxymetrie
zentration und arterielle Sauerstoffsättigung
und Beatmungsdruck.
Die Pulsoxymetrie ist ein nicht invasives und ein-
 fach zu handhabendes Verfahren, um kontinuier-
lich die arterielle Sauerstoffsättigung des Hämo-
Endexspiratorische CO2-Messung globins zu bestimmen.

Die endexspiratorische CO2-Messung (Kapno- Hierzu wird ein Klippsensor z. B. an einem Fin-
metrie) ist neben der punktuellen Blutgasanaly- ger oder an einem Ohrläppchen festgeklemmt.
se die zuverlässigste Möglichkeit zur Ventilati- Die pulsoxymetrisch gemessenen Sättigungs-
onskontrolle. Bei der Kapnometrie im Haupt- werte stimmen sowohl im Kindesalter als auch
406 7  Intensivmedizin

beim Erwachsenen sehr gut mit den mittels ei-


100
ner arteriellen BGA (an einem CO-Oxymeter)
90

O2-Sättigung des Hämoglobins (%)


gemessenen Sättigungswerten überein. Die An-
sprechzeit ist sehr kurz, sodass akute Störungen 80
der Oxygenierung sofort erkannt werden kön- 70
nen. 60
Liegen jedoch hohe Konzentrationen von Koh- 50
lenmonoxidhämoglobin (= COHb, z. B. durch
40
eine Rauchvergiftung) vor, so messen bisher PO2 (mmHg) O2-Sät. (%)
30
übliche Pulsoxymeter einen falsch hohen 60 90
Sättigungswert. (Inzwischen gibt es erste Puls- 20
40 75
oxymetermodelle, die auch die COHb-Konzen- 10 27 50
tration messen können.) Liegt eine schwere An- 0
ämie vor, dann ist zu beachten, dass trotz einer 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
normalen arteriellen Sauerstoffsättigung der PO2 (mmHg)
Sauerstoffgehalt des Blutes deutlich erniedrigt
Abb. 7-9 Normale Sauerstoffdissoziationskurve
ist (→  S. 344).

Während eine Hypoxämie mit dem Pulsoxymeter Die Messgenauigkeit der transkutanen Sauer-
! sofort und zuverlässig erkannt werden kann, ist ! stoffspannung ist jedoch sehr stark von der Haut-
die Erkennung eines zu hohen Sauerstoffpartial- durchblutung abhängig.
drucks nicht möglich.
Bei Hypothermie, bei Hypovolämie, bei einer
Bei einer arteriellen Sättigung von 97–99 % Abnahme des HMV, auch schon bei Druck auf
kann (aufgrund der S-förmigen Sauerstoffdis- die Elektrode oder bei Veränderungen der Haut
soziationskurve) nicht erkannt werden, ob der ist die Sauerstoffspannung in der Haut wesent-
paO2 100 mm Hg (13,3 kPa) oder z. B. 500 lich niedriger als der arterielle paO2. Die trans-
mm Hg (66,6 kPa) beträgt (vgl. Abb. 7-9). kutane pO2-Messung spiegelt in diesen Fällen
Bei Früh- und Neugeborenen wird empfohlen, die Güte der Hautdurchblutung wider.
eine Sättigung von ca. 95 % anzustreben. Damit Nachteile sind das zeitaufwendige Anbringen
können ein zu hoher paO2 und die Gefahr einer und Kalibrieren der Elektroden sowie die ca.
retrolentalen Fibroplasie vermieden werden. 10-minütige Stabilisierungsdauer. Außerdem
müssen die Elektroden spätestens alle 4 Stun-
den gewechselt und neu kalibriert werden, da-
Transkutane Sauerstoffmessung mit es durch die auf 43–44 °C beheizte Elektro-
de nicht zu Hautverbrennungen kommt.

Mithilfe der transkutanen Sauerstoffmessung Die transkutane pO2-Messung hat sich auf neo-
 kann kontinuierlich die Sauerstoffspannung in der natologischen Intensivstationen bewährt, nicht
Haut gemessen werden. jedoch in der Erwachsenenmedizin.

Liegen keine Kreislaufstörungen oder Hautab-


normalitäten vor, so besteht eine enge Korrela- Transkutane Kohlendioxidmessung
tion zwischen der Sauerstoffspannung in der
Haut und dem paO2. Wird der Sensor im Be- Die Messgenauigkeit der transkutanen CO -Mes-
reich der rechten Schulter platziert, so kann die ! sung ist weit weniger von der Hautdurchblutung
2

präduktale Sauerstoffspannung (→  S. 397) er- abhängig als die transkutane pO2-Messung und
fasst werden. liefert auch im Schock bei relativ schlechter Haut-
durchblutung noch akzeptable Werte.
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 407

Nachteil der Methode ist das zeitaufwendige tigsten Überwachungsmaßnahmen eines schä-
Anbringen und Kalibrieren des Sensors. Außer- del- und hirnverletzten Patienten. Eine Verände-
dem ist die Anschlagzeit relativ träge (bis 60 s), rung der Bewusstseinslage ist der beste Indikator
weshalb akute Ventilationsstörungen unter Um- für eine Verbesserung bzw. Verschlechterung
ständen nicht rechtzeitig erkannt werden kön- der Gehirnfunktion. Eine plötzliche klinische
nen. Die Methode ist der Kapnometrie (→  S. Verschlechterung legt den Verdacht auf eine Er-
405) unterlegen. Es sind auch kombinierte Sen- höhung des intrakraniellen Drucks, z. B. auf-
soren zur transkutanen O2- und CO2-Messung grund einer Zunahme eines Hirnödems oder
verfügbar. Auch die transkutane CO2-Messung aufgrund eines epiduralen, subduralen oder in-
kommt üblicherweise nur in der neonatologi- trazerebralen Hämatoms, nahe.
schen Intensivmedizin zum Einsatz.
Da der Bewusstseinsgrad mit apparativen Über-
! wachungsmaßnahmen nicht sicher erkannt wer-
7.7.4 Säure-Basen-Haushalt den kann, kommt der engmaschigen klinischen
und Blutgase Überwachung der Patienten besondere Bedeu-
tung zu.
Die Abnahme von Blutproben zur Bestimmung
des Säure-Basen-Haushalts und der Blutgase Vor allem dem Pflegepersonal fällt die entschei-
sowie die Interpretation der entsprechenden dende Aufgabe zu, Veränderungen sofort zu
Resultate sind auf den Seiten 390 ff. ausführlich erkennen. Solche Änderungen müssen umge-
dargestellt. hend dem zuständigen Arzt mitgeteilt werden.
(→  auch: Spezielle Krankheitsbilder, Lungener- Zur Beurteilung der Bewusstseinslage hat sich
krankungen; S. 445) die Glasgow-Koma-Skala (= Glasgow Coma Sca-
le = GCS) bewährt. Hier werden 3 Kategorien
beurteilt: Augen öffnen, verbale Antwort und
7.7.5 Hirnfunktion motorische Reaktion. Diese 3 Kriterien werden
nach einem definierten Punkteschlüssel bewer-
Fast alle Intensivpatienten zeigen eine Störung tet (vgl. Tab. 7-7). Die erreichbare Punktezahl
des Bewusstseins. Die wichtigsten Ursachen bewegt sich zwischen mindestens 3 und maximal
sind: 15 Punkten. Da schädel- und hirnverletzte Pati-
● Sedativa, Opioidanalgetika und andere Me- enten oft intubiert und kontrolliert beatmet wer-
dikamente den, kann in diesen Fällen die verbale Antwort
● Alkoholentzug, Drogenentzug nicht bewertet werden. Oft wird noch die Klassi-
● Sepsis fizierung in wach/adäquat, somnolent, soporös
● Schädel-Hirn-Verletzung oder komatös vorgenommen (→  S. 317, 321).
Neben der Beurteilung der Bewusstseinslage ist
Die Überwachung der Hirnfunktion soll nach- auch die regelmäßige Überprüfung der Pupil-
folgend am Beispiel von Patienten mit einer lomotorik von entscheidender Bedeutung:
Schädel-Hirn-Verletzung beschrieben werden. ● Reagieren die Pupillen auf Licht?

● Sind sie beidseits gleich eng (isokor) oder

Charakteristisches Merkmal einer Gehirnverlet- unterschiedlich weit (anisokor)?


! zung ist die Bewusstseinstrübung. Bezüglich der Pupillenweite ist zu beachten,
dass eine Opioidgabe zu einer beidseitigen
Das Ausmaß der Bewusstseinstrübung ist ein Pupillenverengung und eine höher dosierte
Maß für die Schwere der Gehirnverletzung. Catecholamingabe zu einer beidseitigen Pu-
Die wiederholte Beurteilung und Dokumentati- pillenerweiterung führen kann.
on des Bewusstseinszustandes ist eine der wich- ● Sind die Pupillen entrundet?
408 7  Intensivmedizin

Tab. 7-7  Glasgow-Koma-Skala (= Glasgow Coma Scale trocknen, Ulzerationen und Infektionen gefähr-
= GCS) zur Beurteilung des Bewusstseinsgrades det. In diesen Fällen muss eine sorgfältige Au-
Glasgow-Koma-Skala Punkte genpflege durchgeführt werden (→  S. 421).
Augen öffnen
Um schädel- und hirntraumatisierte Patienten op-
●   spontan 4 ! timal überwachen und therapieren zu können, ist
●   auf Ansprache 3
eine engmaschige klinisch-neurologische Über-
●   auf Schmerz 2
wachung und ein ausgedehntes apparatives Mo-
●   nicht 1
nitoring notwendig.
Beste motorische Reaktion
●   kommt Aufforderungen nach 6
●   gezielte Abwehr auf Schmerz 5 Klinisch-neurologische
●   ungezielte Abwehr auf Schmerz 4 Überwachung
●   beugt auf Schmerz 3
●   streckt auf Schmerz 2 Hierbei ist insbesondere die Beurteilung des
●   keine 1 Bewusstseinszustands (Unterscheidung zwi-
Verbale Antwort schen wach und adäquat, somnolent, soporös,
●   orientiert 5 komatös; →  S. 317) oder Einstufung nach der
●   verwirrt 4 Glasgow Coma Scale (→  oben) wichtig.
●   unangemessene Worte 3 Bei einem ansprechbaren Patienten ist auch zu
●   unverständliche Geräusche 2 klären, ob er orientiert ist:
●   keine 1 ● zur Person

(Wie heißen Sie? Wann sind Sie geboren?)


● zum Ort

Ganz wichtig ist auch hier die Verlaufsbeurtei- (Wo befinden Sie sich? Wo wohnen Sie?)
lung und deren Dokumentation. Plötzliches ● zur Zeit

Weiterwerden einer Pupille legt immer den (Welchen Tag, welches Datum haben wie heu-
Verdacht auf eine intrakranielle Drucksteige- te?)
rung aufgrund einer gleichseitigen intrakraniel-
len Blutung nahe und verlangt eine sofortige Bei der Überprüfung der Sensibilität ist (beim
Drucksenkung sowie Abklärung der Ursache wachen Patienten) zu überprüfen, ob und in
mittels kranieller Computertomographie (Sen- welchem Bereich Empfindungsstörungen vor-
kung des intrakraniellen Drucks; →  S. 268). liegen (auf Druck, Berührung, Schmerz, Tem-
peraturreiz). Wichtig sind hierbei stets evtl. Sei-
Um die Pupillomotorik stets beurteilen zu können, tenunterschiede.
! dürfen diesen Patienten keine Augentropfen ver- Wichtig ist auch die motorische Reaktion auf
abreicht werden, die die Pupillomotorik beeinflus- Schmerzreiz. Anhand der motorischen Reaktion
sen. Außerdem ist nur klare Augensalbe zu ver- auf einen künstlich gesetzten Schmerzreiz (z. B.
wenden. starkes Kneifen) können Rückschlüsse auf eine
evtl. zerebrale Schädigung geschlossen werden.
Des Weiteren ist die Überwachung von Atem- Mögliche Antworten auf einen Schmerzreiz sind:
muster, Herzfrequenz und Blutdruckverhalten ● gezielte Abwehrbewegung

(Cushing-Reflex? →  S. 269 – Glasgow Coma (z. B. Wegziehen der Extremität oder gezieltes
Scale; →  oben) wichtig. Falls der Kornealreflex, Greifen nach dem schmerzauslösenden Reiz)
das heißt der reflektorische Lidschluss beim Be- ● ungezielte Abwehrbewegung mit Beuge-

rühren der Kornea mit einem sterilen Tupfer, oder Streckmechanismen der Extremitäten
ausgefallen ist, so ist die Kornea durch Aus- ● fehlende, ausbleibende Reaktion
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 409

Ausbleibende motorische Reaktionen sprechen lischen Syndroms; →  S. 414) wieder aufklart,
für schwere Hirnstammschädigung, schweres dann durchläuft er zuerst noch Durchgangssyn-
Koma oder schwere Intoxikation. Muskeleigen- drome, bevor er – falls es evtl. zu einer weiteren
reflexe sind in diesem Fall nicht auslösbar, der Besserung kommt – wieder adäquat reagiert.
Muskeltonus ist schlaff. Beugemechanismen
(v. a. Beugung im Ellenbogengelenk) sprechen
für eine Schädigung der Großhirnhemisphären. Klinisch-neurologische
Streckmechanismen an Beinen und Armen mit Untersuchung
Innenrotation weisen auf eine Schädigung des
Mittelhirns hin. Bei gezielter Abwehr versucht Eine Schädigung des zentralen Nervensystems
der Patient, den Schmerzstimulus gezielt zu kann durch direkte Schädigung (z. B. Verlet-
entfernen. Bewegt sich der Patient auf Auffor- zung, Hirnödem, Tumor, Hirnblutung, Hyp-
derung, so bedeutet dies, dass er bei Bewusst- oxie, Abszess) oder durch eine indirekte
sein ist. Schädigung (z. B. Intoxikation, Sepsis, Stoff-
wechselentgleisung, Leber- oder Nierenversa-
gen) bedingt sein.
Durchgangssyndrome Bei Patienten mit Verdacht auf eine Schädigung
des zentralen Nervensystems ist eine wieder-
Bei Intensivpatienten tritt relativ häufig vor- holte ausführliche klinische Untersuchung und
übergehend ein Durchgangssyndrom auf. Unter apparative Diagnostik sowie eine kontinuierli-
einem Durchgangssyndrom wird eine unspezi- che klinische und apparative Überwachung
fische, körperlich begründbare Psychose ver- notwendig. An apparativer Diagnostik sind vor
standen. Es werden unterschieden: allem Magnetresonanztomographie (= MRT),
● affektives Durchgangssyndrom cerebrale Computertomographie (= cCT), Elek-
(hierbei fallen deutliche Stimmungsschwan- troenzephalographie (= EEG) sowie Röntgen-
kungen auf, vor allem eine depressive Ver- untersuchungen (einschließlich einer zerebra-
stimmung und übermäßige Reizbarkeit) len Angiographie) wichtig. An apparativen
● amnestisches Durchgangssyndrom Überwachungsmaßnahmen ist vor allem die
(hierbei fallen v. a. Merkfähigkeitsstörungen, kontinuierliche Messung des intrakraniellen
Konfabulation, d. h. Ausfüllen von Erinne- Druckes wichtig (→  S. 267). Bei der klinischen
rungslücken mit frei erfundenen Inhalten, Untersuchung sind vor allem folgende Parame-
und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses ter zu überprüfen:
auf und eine erhöhte Suggestibilität, d. h. ● Reflexstatus

leichte Beeinflussbarkeit) ● Dezerebrationssyndrome

● paranoides Durchgangssyndrom ● Kloni

(hierbei fallen v. a. Wahnvorstellungen auf) ● Rigor

● delirantes Durchgangssyndrom ● Spastik

(hierbei fallen eine hochgradige Antriebs- ● Nackensteifigkeit

steigerung auf)
● apathisches Durchgangssyndrom

(hierbei fällt eine hochgradige Antriebsminde- Reflexstatus


rung auf)
Reflexe sind unwillkürliche, stereotype Reaktio-
Diese verschiedenen Formen eines Durch- nen des Körpers auf bestimmte Reize. Reflexe
gangssyndroms können fließend ineinander sind nicht ermüdbar und können wiederholt
übergehen. Falls ein Patient nach Durchlaufen ausgelöst werden. Es können unterschieden
eines Dezerebrationssyndroms (z. B. eines apal- werden:
410 7  Intensivmedizin

● Eigenreflexe ● Pupillomotorik:
(bei denen Reizort und Erfolgsorgan iden- Pupillenreaktion auf Licht? Konsensuelle Licht-
tisch sind z. B. Muskeleigenreflexe) reaktion vorhanden?
● Fremdreflexe

(bei denen meist über eine Reizung der Haut Eine einseitig weite Pupille ist meist Folge einer
benachbarte Muskeln reflektorisch erregt einseitigen intrazerebralen Raumforderung
werden) (z. B. Blutung, Ödem mit Hirnverlagerung und/
● pathologische Reflexe oder Hirnherniation) mit Druckschädigung des
(die zu den Fremdreflexen gehören): Sind pa- Nervus oculomotorius (→  S. 269). Zusammen
thologische Reflexe auslösbar, so spricht dies mit dem Nervus oculomotorius verlaufen para-
für eine Schädigung der Pyramidenbahn (d. h. sympathische Fasern, die eine Pupillenveren-
die ersten motorischen Neurone, die von der gung vermitteln. Fallen diese Fasern z. B. durch
Präzentralregion, d. h. vom Gyrus praecentra- Druckschädigung aus (→  S. 269), dann über-
lis zum motorischen Vorderhorn des Rücken- wiegt nun die Sympathikuswirkung an der ent-
marks ziehen, sind beschädigt) sprechenden Pupille, wodurch eine einseitige
Pupillenerweiterung vermittelt wird. Tritt eine
Reflexe können normal vorhanden sein, gestei- einseitig weite Pupille auf, dann ist eine soforti-
gert sein oder übermäßig stark auslösbar (sehr ge Therapie (z. B. Ausräumung einer epiduralen
lebhaft auslösbar) sein. Sie können auch nur Blutung) zwingend (vgl. S. 268).
schwach auslösbar sein oder nicht vorhanden Beidseitig weite Pupillen sind meist Folge einer
(fehlend) sein. Stets ist zu klären, ob die Re- massiven Steigerung des intrakraniellen Drucks
flexantwort seitengleich ist oder ob eine Seiten- (mit schwerer Schädigung des Mittel- und
differenz besteht. Bei pathologisch gesteigerten Stammhirns), Folge einer allgemeinen zerebra-
Eigenreflexen sind auch die möglichen Auslöse- len Hypoxie oder Folge einer hoch dosierten
orte (reflexogene Zonen) verbreitert. Adrenalin- oder Atropingabe bzw. einer Intoxi-
Die Muskeleigenreflexe sind bei bewusstlosen kation. Sind auch ca. 6 Stunden nach einer Re-
Patienten, bei peripheren Nervenläsionen oder animation die Pupillen noch weit und reakti-
auch bei bestimmten Schädigungen der Pyra- onslos auf Licht, dann stellt dies ein sehr ernster
midenbahn (z. B. einer frischen Querschnitts- prognostischer Faktor dar. Liegt eine Großhirn-
lähmung) abgeschwächt oder nicht auslösbar. schädigung vor, so liegt meist eine Abweichung
Eine lebhaft gesteigerte Reflexaktivität ist bei der Augäpfel auf die Seite der Hirnverletzung
einer Schädigung der Pyramidenbahn nach- und nach oben vor (der Patient schaut seine
weisbar, da hierbei von zentral (neben der Pyra- Hirnverletzung an).
midenbahn) ins Rückenmark absteigende hem-
mende Fasern ausgefallen sind und damit eine Kornealreflex (Lidreflex)
normalerweise vorhandene zentral bedingte Um den Kornealreflex auszulösen, wird mit ei-
Dämpfung der Reflexaktivität fehlt. nem Wattebausch die Hornhaut (Kornea) be-
rührt. Dadurch kommt es normalerweise über
Hirnnervenfunktionen und Hirnstammreflexe den Nervus trigeminus (afferenter, sensibler
Bei Verdacht auf eine Hirnverletzung ist insbe- Schenkel) und dem Nervus facialis (efferenter,
sondere die Überprüfung der Hirnnerven und motorischer Schenkel) zu einem reflektorischen
der Hirnstammreflexe wichtig. Lidschluss. Fehlt der Kornealreflex beidseits,
Hirnnervenfunktionen: dann deutet dies auf ein Bulbärhirnsyndrom
● Pupillenbefund: (oder einen Hirntod) hin. Ein einseitiges Fehlen
Pupillengröße (eng, mittel, weit)? Pupillen- des Reflexes deutet auf eine Schädigung im Be-
form (rund, entrundet)? Sind beide Pupillen reich des Nervus trigeminus und/oder der Ner-
unterschiedlich weit (sog. Anisokorie)? vus facialis hin.
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 411

Hustenreflex, Würgereflex, Schluckreflex Okulovestibulärer Reflex (Abb. 7-11)


Diese Reflexe sind maßgeblich an die Funkti- Um den okulovestibulären Reflex auszulösen,
onstüchtigkeit der Hirnnerven IX (Nervus glos- werden mit einer 50-ml-Spritze (an die ein kur-
sopharyngeus), X (Nervus vagus) und XII (Ner- zes Schlauchstück konnektiert wurde) ca. 30 ml
vus hypoglossus) gebunden. kalte Kochsalzlösung in den äußeren Gehör-
gang injiziert. Ist der Hirnstamm intakt, dann
Okulozephaler Reflex (Abb. 7-10) kommt es zur Blickwendung beider Augen zum
Um den okulozephalen Reflex auszulösen, wird gespülten Ohr hin. Bleibt diese Blickwendung
der Kopf des Patienten von einer Seite zur ande- aus, dann liegt eine Schädigung des Hirnstam-
ren gedreht sowie zurückgedreht. Ist bei einem mes vor. Der okulovestibuläre Reflex darf nur
komatösen Patienten der untere Hirnstamm ausgelöst werden, wenn das Trommelfell des
noch intakt, dann bewegen sich die Augäpfel Patienten intakt ist.
entgegen der Kopfbewegung (sog. Puppenkopf-
phänomen). Auch beim wachen Neugeborenen Muskeleigenreflexe (Abb. 7-12)
ist dieses Puppenkopfphänomen normalerwei- ● Bizepssehnenreflex (= BSR)

se auslösbar. Im späteren Lebensalter ist dieser ● Trizepssehnenreflex (= TSR)

Reflex beim wachen (oder somnolenten) Pati- ● Radiusperiostreflex

enten durch entsprechende Willkürbewegun- ● Knipsreflex und Trömmner-Reflex (= Hand-

gen der Augen unterdrückt. Ist der Hirnstamm reflexe):


geschädigt (oder der Patient wach), dann folgt Dies sind Eigenreflexe der Fingerbeuger. Bei
die Blickrichtung der Kopfbewegung. (Bei Pati- seitengleicher Auslösung zeigen sie lediglich
enten mit Verdacht auf eine Verletzung der eine lebhafte Reflexaktivität an. Bei einseiti-
Halswirbelsäule darf der okulozephale Reflex ger Betonung stellen sie ein Pyramidenbahn-
nicht untersucht werden.) zeichen dar.
● Patellarsehnenreflex (= PSR)

● Achillessehnenreflex (= ASR)

Abb. 7-10  Okulozephaler Reflex (Hirnstammreflex). stamm noch intakt ist (sog. Puppenkopfphänomen).
a Geradeaus gerichtete Augäpfel. b Bei passiver Kopf­ c Hirnstammschädigung, die Augen bewegen sich bei
drehung durch den Untersucher bewegen sich die Augen Kopfdrehung nicht.
entgegen der Drehrichtung des Kopfes falls der Hirn­
412 7  Intensivmedizin

Abb. 7-11 Okulovestibulärer Reflex
(Hirnstammreflex). a Bei intaktem Hirn-
stamm kommt es zur Blickwendung
zum gespülten Ohr hin. b Bei einer
Hirnstammschädigung kommt es zu
keiner Abweichung der Augen durch
die Spülung.

Fremdreflexe Pathologische Reflexe (Abb. 7-13)


Fremdreflexe können meist durch leichte Haut- ● Babinski-Reflex

reizung ausgelöst werden. Oft muss jedoch wie- ● Oppenheim-Reflex

derholt gereizt werden. Abgeschwächte, erlo- ● Gordon-Reflex

schene oder seitendifferente Fremdreflexe sind


Hinweis auf eine Pyramidenbahnschädigung. Typisch für ein positives Babinski-Zeichen ist
● Bauchhautreflex: eine Dorsalflexion der Großzehe. Die anderen
Beim Bestreichen der Bauchhaut zum Nabel Zehen verharren in der Ausgangsstellung oder
hin kommt es zur reflektorischen Anspan- können sich auch fächerförmig spreizen. Bei
nung der Bauchmuskeln mit Verziehung des positivem Oppenheim-Reflex (kräftiges Be-
Nabels zur Reizseite hin. streichen an der Tibiainnenkante) oder Gor-
● Cremasterreflex: don-Reflex (kräftiges Zusammendrücken der
Beim Bestreichen der Haut im Bereich der Wadenmuskulatur) tritt die gleiche Reizantwort
Oberschenkelinnenseite kommt es zum auf. Eine positive Reizantwort ist Zeichen einer
gleichseitigen Hochziehen des Hodens. Pyramidenbahnschädigung.
● Analreflex:

Reflektorische Kontraktion des Analsphinkters


beim Einführen des Fingers in den After.
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 413

Abb. 7-12 Muskeleigenreflexe und deren Auslösung d Knipsreflex. e Trömmner-Reflex. f Patellarsehnenre-


(bzw. Auslösungsorte). a Bizepssehnenreflex (BSR). flex (PSR). g Achillessehnenreflex (ASR).
b Trizepssehnenreflex (TSR). c Radiusperiostreflex.
414 7  Intensivmedizin

Abb. 7-13 Pathologische Reflexe und


deren Auslösung (bzw. Auslösungsorte).
a Babinski-Reflex. b Oppenheim-Re-
flex. c Gordon-Reflex.

Dezerebrationssyndrome
Querschnittssyndrom auf der Ebene des Ge-
In Abhängigkeit vom Ausmaß der Hirnschädi- hirns (vgl. Abb. 7-14). Sie sind immer mit neu-
gung kommt es zuerst zu einer Schädigung des rologischen Ausfällen verbunden.
besonders empfindlichen Großhirns (Kortex),
dann zu einer Schädigung des Mittelhirns und Apallisches Syndrom
im schlimmsten Falle zu einer Schädigung (ei- Beim apallischen Syndrom ist der Hirnmantel
nem Ausfall) des entwicklungsgeschichtlich äl- (Pallidum) ausgefallen. Der Hirnstamm ist noch
testen Teil des Gehirns, des Hirnstammes. Es (weitgehend) intakt. Auch die Mittelhirnfunk-
wird von Dezerebrationssyndromen gespro- tionen sind erhalten. Typisch sind ein sog. Coma
chen (z. T. wird auch von sog. Trübungssyndro- vigile, das heißt der Patient ist wach, öffnet die
men gesprochen). Dezerebrationssyndrome Augen, kann jedoch nicht fixieren und blickt
entsprechen einem weitgehend kompletten ausdruckslos und teilnahmslos in die Ferne.
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 415

tanbewegungen der Bulbi auf. Die Muskeleigen-


reflexe sind beidseits gesteigert, es sind patholo-
gische Reflexe beidseits vorhanden. Es besteht
eine überschießende zentrale vegetative Reakti-
on mit Tachykardie, Blutdruckanstieg, gesteiger-
ter Schweißsekretion und maschineller Atmung.

Bulbärhirnsyndrom
Beim Bulbärhirnsyndrom sind auch die Pons
(weitgehend) und die Medulla oblongata (z. T.)
ausgefallen. Typisch sind eine tiefe Bewusstlo-
sigkeit, reaktionslose, maximal weite Pupillen,
die Augäpfel sind meist leicht divergent. Es be-
steht eine Areflexie, es treten auch keine patho-
Abb. 7-14 Querschnittssyndrome auf Gehirnebene.
logischen Reflexe und keine Enthirnungsstarre
a Bulbärhirnsyndrom (Querschnitt auf Höhe des Hirn-
stammes). b Mittelhirnsyndrom (Querschnitt in Höhe mehr auf. Es kommt zu einer zentralen vegetati-
des Mittelhirns). c Apallisches Syndrom (Abkoppelung ven Lähmung mit Bradykardie, Blutdruckabfall
der Großhirnrinde). und Atemstillstand. Die Prognose ist infaust, es
besteht ein fließender Übergang zum Hirntod
(→  S. 470).
Kau‑, Saug- und Schmatzreflexe sind erhalten.
Es besteht eine überschießende zentrale vegeta-
tive Reaktion mit Tachykardie, Blutdruckanstieg Kloni
und verstärktem Speichelfluss. Durch Schmerz-
reize werden unkoordinierte Reflexsynergien Im Rahmen einer gesteigerten Reflexaktivität
ausgelöst. Die Muskulatur ist durch einen er- können evtl. sog. Kloni (wiederholte Reflexakti-
höhten Tonus mit Spastik in Beugestellung ge- vitäten) ausgelöst werden. Wird die Patella (zwi-
kennzeichnet. Eine definitive Prognose kann schen Daumen und Zeigefinger) ruckartig nach
erst nach ca. 2 Jahren gegeben werden. Es müs- kaudal geschoben und festgehalten, können evtl.
sen vor allem Muskelkontrakturen, Muskelatro- wiederholte Reflexaktivitäten ausgelöst werden.
phien, Dekubitalulzera, Pneumonien sowie auf- Erschöpfliche Kloni (Patellarkloni) sind nur bei
steigende Harnwegsinfekte ver­mieden werden. Seitendifferenz pathologisch. Unerschöpfliche
Zur Therapie des erhöhten Sym­pathikotonus ist Kloni sind stets Ausdruck einer Pyramiden-
meist die Gabe eines β-Rezeptoren-Blockers, bahnschädigung. Der sog. Fußklonus ist evtl.
zur Therapie von Muskelspastiken ist oft ein folgendermaßen auszulösen: Bei leicht gebeug-
zentral wirkendes Muskelrelaxans wie ein Ben- tem Knie wird der Fuß ruckartig dorsalflektiert,
zodiazepin (Diazepam; Valium® – Tetrazepam; wodurch evtl. wiederholte Kontraktionen der
Musaril®) oder Baclofen (Lioresal®) notwendig. Wadenmuskulatur ausgelöst werden können.

Mittelhirnsyndrom
Beim Mittelhirnsyndrom ist auch das Mittelhirn Rigor
weitgehend ausgefallen. Typisch sind Bewusstlo-
sigkeit und Enthirnungsstarre, das heißt eine Rigor ist charakteristisch für eine Schädigung
ausgeprägte Streckstellung der Beine und Arme des extrapyramidalmotorischen Systems. Bei
und öfter auch ein Opisthotonus. Die Pupillenre- passiver Bewegung liegt ein gleichmäßiger,
aktion auf Licht ist noch (schwach) erhalten, die „wächserner“ Widerstand (oft mit Zahnradphä-
Bulbi sind leicht divergent, es treten keine Spon- nomen) vor. Ursache ist eine die Agonisten und
416 7  Intensivmedizin

Antagonisten betreffende erhöhte Grundspan- Messung des zentralen Venendrucks


nung der Skelettmuskulatur.
→  Abschnitt „Legen eines zentralen Venenka-
theters“ auf Seite 185
Spastik

Spastik ist durch einen federnden Dehnungswi- Kontrolle der arteriellen Blutgaswerte
derstand gekennzeichnet. Ursächlich kommt
vor allem eine Schädigung der Pyramidenbahn →  Abschnitt „Die blutige arterielle Druckmes-
infrage. Bei passiver Überdehnung kann dieser sung“ auf Seite 191
Widerstand evtl. plötzlich völlig zusammenbre-
chen. Zusätzlich liegen gesteigerte und patholo-
gische Reflexmuster vor. Kontrolle der Beatmungsparameter

Häufig wird bei Verdacht auf einen erhöhten in-


Nackensteifigkeit trakraniellen Druck eine mäßige kontrollierte
Hyperventilation durchgeführt (→  S. 272). In-
Tritt bei einem Patienten Nackensteifigkeit (oft nerhalb von ca. 24 Stunden scheint es jedoch
in Kombination mit Fieber) auf, muss an eine hierbei zu Adaptationsvorgängen zu kommen,
Meningitis oder eine subarachnoidale Blutung sodass nach neueren Erkenntnissen eine län-
gedacht werden. Zur Prüfung auf Nackenstei- gerfristige kontrollierte Hyperventilation die
figkeit wird versucht, den Kopf des Patienten Prognose des Patienten vermutlich nicht ver-
anzuheben (bei Verdacht auf eine Halswirbel- bessert.
säulenverletzung ist dies jedoch nicht erlaubt).
Gegebenenfalls ist eine entsprechende Antibio-
tikatherapie (nach vorheriger Liquorpunktion Messung der Blutzuckerkonzentration
zur Diagnosesicherung) durchzuführen.
Durch regelmäßige Bestimmung der Blutzu­
cker- und Urinzuckerkonzentration können
Apparatives Monitoring Hyperglykämie und Glucosurie mit vermehr­-
ter Diurese (Zuckerdiurese) erkannt und
durch Reduktion der Glucose-Infusionen oder
Arterielle Blutdruckmessung durch Insulingaben therapiert werden (→  S.
378). Größere Schwankungen der Blutzucker-
Der arterielle Mitteldruck sollte im Normbe- konzentration sind vor allem bei Verdacht auf
reich, also bei etwa 90 mm Hg, liegen. Ein plötz- einen erhöhten intrakraniellen Druck uner-
licher Blutdruckanstieg, evtl. in Kombination wünscht.
mit Herzrhythmusstörungen oder Bradykardie,
kann Zeichen eines Cushing-Reflexes sein und
erfordert eine sofortige Therapie (→  S. 269). Messung des intrakraniellen Drucks

Werte bis 15 mm Hg werden als normal, bis 30


Überwachung der Herzfrequenz mm Hg als erhöht und über 30 mm Hg als stark
erhöht bezeichnet. Intrakranielle Drücke von
Eine plötzliche Bradykardie mit Blutdruckan- mehr als 20 mm Hg sollten therapeutisch ange-
stieg lässt einen Cushing-Reflex vermuten (→  S. gangen werden.
269).
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 417

Aus der Differenz des mittleren arteriellen Drucks Messung der Sättigung
! (= MAP) und des intrakraniellen Drucks (= ICP) im Bulbus venae jugularis
kann der zerebrale Perfusionsdruck errechnet
werden: CPP = MAP – ICP (→  S. 269). In den letzten Jahren wird vor allem bei Patien-
ten mit schwerem SHT eine Messung der Sauer-
Kurzfristige ICP-Anstiege, z. B. während des stoffsättigung im Bulbus venae jugularis emp-
Hustens, sind physiologisch. Entscheidend ist fohlen. Hierzu wird ein Spezialkatheter über die
der rasche Rückgang auf den Ausgangswert. Bei Vena jugularis interna eingeführt und nach kra-
bereits vorbestehendem hohem ICP kann je- nial bis zur knöchernen Schädelbasis gescho-
doch durch den Hustenakt eine kritische ICP- ben, wo sich eine Erweiterung der Vene (der
Steigerung, evtl. mit Einklemmung (→  S. 269), Bulbus venae jugularis) befindet. Über einen fi-
provoziert werden. In kritischen Fällen ist des- beroptisch arbeitenden Katheter kann kontinu-
halb vor dem endotrachealen Absaugen die in- ierlich die Sauerstoffsättigung gemessen wer-
travenöse Gabe eines Barbiturates (z. B. Thio- den. Fällt die Durchblutung des Gehirns ab
pental) gerechtfertigt. (z. B. wegen Blutdruckabfalls oder zu starker
Zur Messung des intrakraniellen Drucks eignen Hyperventilation mit massiver zerebraler Vaso-
sich: konstriktion), dann nimmt die jugularvenöse
● Ventrikelkatheter: Sauerstoffsättigung (SjvO2) ab. Ein Abfall unter
Nach Anlegen eines frontalen Bohrlochs wird ca. 55 % ist pathologisch (Normalwert: ca.
ein Katheter in den ersten oder zweiten Hirn- 65 %).
ventrikel (Seitenventrikel) eingeführt. Über (→  auch: Spezielle Krankheitsbilder, ZNS-Er-
einen Ventrikelkatheter kann der Liquordruck krankungen; S. 466)
im Seitenventrikel gemessen werden, ggf. kann
Liquor abgelassen bzw. zu Untersuchungs-
zwecken entnommen werden. Die Gefahr be- 7.7.6 Urinausscheidung
steht vor allem darin, dass diese Katheter leicht
verlegt oder infiziert werden können. Die übermäßige Ausscheidung eines wasserkla-
● epidurale Drucksonde: ren Urins lässt einen Diabetes insipidus vermu-
Nach Anlegen eines frontalen Bohrlochs ten. Ursache ist meist eine verletzungsbedingte
wird ein Druckaufnehmer zwischen Kno- Verminderung der zerebralen Sekretion des an-
chen und harter Hirnhaut eingesetzt. Da die tidiuretischen Hormons (= ADH). Das spezifi-
Dura intakt bleibt, ist das Infektionsrisiko re- sche Uringewicht liegt hierbei unter 1 004 g/l
lativ gering. Häufig kommt es jedoch bei die- und die Urinosmolarität ist niedriger als die
sem Messverfahren zu Fehlmessungen, die Plasmaosmolarität. Oftmals limitieren sich sol-
evtl. zu nicht indizierten therapeutischen che Phasen eines Diabetes insipidus von selbst.
Maßnahmen veranlassen. In diesen Fällen ist es wichtig, die Flüssigkeits-
● intraparenchymatöse Messung (Camino- und Elektrolytverluste zu ersetzen. Dauert ein
Sonde): Diabetes insipidus längere Zeit an, dann sollte
Hierbei wird eine optisch arbeitende Druck- ein dem ADH (= antidiuretisches Hormon)
sonde ca. 4 cm tief in das Hirngewebe einge- verwandtes Hormon (z. B. Desmopressin; Mi-
führt. Diese Sonden messen sehr genau. Kom- nirin®) appliziert werden.
plikationen scheinen relativ selten zu sein. (→  auch: Spezielle Krankheitsbilder, Nierener-
krankungen; S. 461)

Kapnometrische Überwachung

→  kontrollierte Hyperventilation auf Seite 272


418 7  Intensivmedizin

7.7.7 Weitere ● Auskultation (Darmgeräusche?)


Überwachungsmaßnahmen ● Abgang von Stuhl, Winden?
● ggf. Sonographie des Abdomens (Aszites?

Außerdem ist darauf zu achten, dass die Plas- (→  auch: Spezielle Krankheitsbilder, Abdomi-
manatrium- und Plasmakaliumkonzentratio- nalerkrankungen; S. 471)
nen im Normbereich liegen. Die Körpertempe-
ratur sollte nicht erhöht sein (regelmäßige
Temperaturkontrolle wegen der Möglichkeit ei- Überwachung der Laborparameter
nes zerebralbedingten Fiebers), der Hämato-
kritwert sollte etwa bei 30–35 % liegen. Je nach zugrunde liegender Erkrankung sind
Auf möglichen Blut- oder Liquoraustritt aus evtl. die in Tabelle 7-8 aufgeführten Parameter
Nase und Ohren ist zu achten, was auf eine bzw. die Blutgase (→  S. 393) oder der Säure-
Schädelfraktur hinweisen kann. Ob es sich um Basen-Haushalt (→  S. 390) zu kontrollieren.
Liquor oder ein anderes Sekret handelt, kann
mit einem Glucose-Stick erfasst werden (Zu­
ckerkonzentration im Liquor ca. 30–50 % der
Blutzuckerkonzentration). 7.8 Pflege
Wichtig ist eine besonders schonende Pflege
des Patienten. Bei erhöhtem intrakraniellem
des Intensivpatienten
Druck sollte der Patient nur auf dem Rücken
gelagert werden. Der Oberkörper ist zur Opti- 7.8.1 Allgemeine Bemerkungen
mierung des venösen Blutabflusses aus dem Ge-
hirn leicht (bis ca. 30 Grad) anzuheben. Der Die Körperpflege stellt ein menschliches Grundbe-
Kopf muss in Neutralstellung gelagert werden. ! dürfnis dar, dem der Intensivpatient jedoch nicht
Insbesondere beim Betten oder beim endotra- selbst nachkommen kann. Die Durchführung ei-
chealen Absaugen des Patienten kann es zu er- ner angemessenen Körperpflege ist eine wichti-
heblichen intrakraniellen Drucksteigerungen ge Aufgabe des Pflegepersonals. Ziel hierbei ist es
kommen. Häufig empfiehlt es sich, vor solchen nicht nur, die Haut zu reinigen, sondern auch ihre
Maßnahmen prophylaktisch z. B. Fentanyl oder Schutzfunktion aufrechtzuerhalten und damit das
ein Barbiturat zu injizieren, um eine Stressreak- Risiko von Infektionskrankheiten zu minimieren.
tion zu vermindern. Darüber hinaus wird über die Körperpflege (Berüh-
Bezüglich der Lagerung dieser Patienten ist zu rung) das Wohlbefinden des Patienten gefördert.
beachten, dass keine Spitzfußprophylaxe durch-
geführt werden soll, da durch das Anbringen Der pflegerische Aufwand muss an den indivi-
eines Fußbrettes Streckmuster und die Gefahr duellen Bedürfnissen des Patienten orientiert
eines ICP-Anstieges begünstigt werden. werden. Hierzu ist ein Pflegeplan zu erstellen,
der wiederholt an den aktuellen Zustand des
Patienten anzupassen ist. Ziel muss es sein, den
Überwachung der gastrointestinalen Patienten in seiner Ganzheitlichkeit zu verste-
Funktion hen und zu betreuen.
Stets ist darauf zu achten, dass der Patient wäh-
Es sind sorgfältig durchzuführen (→  auch rend der pflegerischen Maßnahmen nicht ge-
Stressulkusprophylaxe; S. 427): fährdet wird, dass z. B. weder liegende Katheter
● Inspektion (Umfangsänderung?) noch Drainagen versehentlich dislozieren.
● Perkussion (luftgefüllte Darmschlingen, Me- Mögliche Lagerungseinschränkungen (z. B. we-
teorismus?) gen evtl. Frakturen) sind zu beachten. Bei einer
● Palpation (Abwehrspannung?) Seitenlagerung des Patienten muss verhindert
7.7  Überwachung des Intensivpatienten 419

Tab. 7-8  Häufig bestimmte Laborwerte (Normalwerte)


Parameter Normalwerte Veränderungen
Leukozyten 4 000–10 500/mm3 ↑ bei Infektionen
Thrombozyten 130 000–400 000/mm 3
↓ bei starker Blutung, Schock, Sepsis
Kalium 3,5–5 mmol/l ↑ bei Niereninsuffizienz, Acidose;
↓ bei Alkalose, Diuretikatherapie, Hypothermie
Quick-Wert; (INR) 70–100 %; (0,85–1,15) ↓ bei Marcumar-Therapie, Leberinsuffizienz
PTT (= partielle 26–42 s verlängert bei Heparintherapie,
Thromboplastinzeit) bei Vollheparinisierung wird der 2- bis 3-fache
Wert angestrebt
Fibrinspaltprodukte < 10 mg/dl ↑ bei Verbrauchskoagulopathie
D-Dimere < 192 µg/l ↑ z. B. bei Lungenembolie, Sepsis, Verbrauchs-
koagulopathie, Venenthrombose
AT III 75–125 % ↓ z. B. bei Sepsis, Verbrauchskoagulopathie,
schwerer Leberschädigung
Cholinesterase Männer: 4,3–11,3 kU/l ↓ bei schwerer Leberschädigung
Frauen: 5,3–12,9 kU/l
Lactat < 1,8 mmol/l ↑ bei Gewebshypoxie, Schock
Kreatinin Männer: < 106 µmol/l bzw. < 1,2 mg/dl ↑ bei Niereninsuffizienz
Frauen: < 80 µml/l bzw. < 0,9 mg/dl
Harnstoff 1,7–8,3 mmol/l bzw. 10–50 mg/dl ↑ bei Katabolie und Niereninsuffizienz
Lipase < 60 U/l ↑ bei Pankreatitis
Alpha-Amylase Serum: < 100 U/l ↑ bei Pankreatitis
Urin: < 460 U/l
CK (Kreatinkinase) Männer: < 190 U/l ↑ bei Herzinfarkt und Muskeltrauma
Frauen: < 170 U/l
CK-MB < 24 U/l ↑ bei Herzinfarkt
(= herzspezifische
Kreatinkinase)
HBDH (SLDH1) 72–182 U/l ↑ bei akutem Myokardinfarkt
Troponin T < 0,1 ng/ml ↑ bei Herzinfarkt
Myoglobin (im Männer: < 76 ng/ml ↑ bei Herzinfarkt
Serum) Frauen: < 64 ng/ml
Proteine (Gesamtei- 6,0–8,0 g/l ↓ bei Katabolie, nephrotischem Syndrom
weiß)
Bilirubin gesamt < 1,2 mg/dl ↑ bei Hämolyse und Gallenwegsverschlüsse,
Leberschädigung
Bilirubin indirekt < 0,9 mg/dl ↑ bei Hämolyse
Bilirubin direkt < 0,3 mg/dl ↑ bei Gallenwegsverschlüssen, schwerer
Leberschädigung
Alkalische Männer: 129 U/l ↑ bei Gallenwegsverschlüssen
Phosphatase Frauen: 104 U/l
420 7  Intensivmedizin

Tab. 7-8  (Fortsetzung)


Parameter Normalwerte Veränderungen
CRP (c-reaktives < 0,5 mg/dl ↑ bei akuter oder chronischer entzündlicher
Protein) Erkrankung
Plasmakonzentration therapeutischer oder toxischer Bereich?
von Medikamenten:
z. B. Antibiotika,
Bronchodilatatoren,
Digitalis
↓ = vermindert; ↑ = erhöht

werden, dass der Patient aus dem Bett fällt. Normalerweise sollte einmal pro Tag eine Ganz-
Werden während der Körperpflege irgendwel- körperwäsche durchgeführt werden. Starke
che Besonderheiten erkannt, so müssen diese Verunreinigungen durch Kot, Urin, Blut oder
dem betreuenden Arzt mitgeteilt und doku- Sekret müssen stets umgehend entfernt werden,
mentiert werden. Entsprechende hygienische um eine Schädigung der Haut oder z. B. eine
Maßnahmen sind zu beachten (→  S. 424). Pilzbesiedelung zu vermeiden. Auch durchge-
Vor der Durchführung pflegerischer Maßnah- nässte Verbände und Wäsche sind sofort zu
men muss der Patient in leicht verständlichen wechseln. Anstatt Seife sollte hierzu eine haut-
Worten über die geplanten Maßnahmen infor- freundliche Waschlotion eingesetzt werden, die
miert werden. Wichtig ist auch, dass vor Beginn den natürlichen Säureschutzmantel und die
einer Pflegemaßnahme eine sog. Initialberüh- Normalflora der Haut (natürliche Keime wir-
rung durchgeführt wird. Hierbei sollte z. B. der ken als Platzhalter) erhält. Bei Patienten, die
Thorax oder der Arm des Patienten vorberührt Fieber haben, kann für die Hautwaschung nur
werden. Dadurch kann sich der Patient darauf gering erwärmtes Wasser verwendet werden.
einstellen, dass nun eine Pflegemaßnahme be- Anschließend muss die Haut, im Rahmen der
ginnt, er erschrickt nicht und bekommt Vertrau- Intertrigoprophylaxe (→  S. 430) vor allem in
en. Wichtig ist, dass jede Pflegeperson die gleiche den Hautfalten, gut getrocknet werden. Trocke-
Stelle zur Initialberührung benutzt. Bei Beendi- ne Haut sollte mit einer Creme (Wasser in Öl)
gung einer Pflegemaßnahme sollte dem Patien- oder mit Öl (das auf einen nassen Handschuh
ten wiederum über eine solche Berührung ver- gegeben wird) gepflegt werden. Vor operativen
mittelt werden, dass die Pflegemaßnahme nun abdominalchirurgischen Eingriffen ist eine
beendet ist. Wichtig ist, dass der Patient während gründliche Nabelpflege besonders zu beachten.
pflegerischer Maßnahmen keine Schmerzen er- Bei der täglichen Hautpflege ist gleichzeitig eine
leidet. Gegebenenfalls muss – z. B. vor der Durch- detaillierte Hautinspektion durchzuführen.
führung einer notwendigen Lagerungsmaßnah- Eine Waschung sollte auch immer einen Bezie-
me – ein Analgetikum verabreicht werden. hungsaufbau zwischen Patient und Personal zu-
lassen und sollte an das individuelle Befinden
des Patienten angepasst werden. So kann ein
7.8.2 Hautpflege unruhiger oder ängstlicher Patient eine „beru-
higende“ Waschung erhalten, bei der mit 37–
Ziel der Hautpflege muss neben der allgemeinen 40 °C warmem Wasser ohne weitere (ablenken-
! Reinigung vor allem auch die Infektionsprophy- de) Waschzusätze im Haarstrich vom Rumpf
laxe, die Anregung der Hautdurchblutung und ausgehend bis zu den Extremitäten hin gewa-
damit eine Dekubitusprophylaxe (→  S. 428) und schen und getrocknet wird. Dabei sollten eine
eine Kreislaufaktivierung sein. ruhige Atmosphäre und großflächige, sichere
7.8  Pflege des Intensivpatienten 421

Berührungen durch das Personal die Wirkung 7.8.4 Augenpflege


unterstützen. Umgekehrt kann ein passiver oder
somnolenter Patient dadurch aktiviert werden, Ziel der Augenpflege muss es sein, Sekrete und
dass er eine „anregende“ Waschung mit Was- ! Salbenreste zu entfernen und vor allem eine Aus-
ser, das 10 °C kühler als die Körpertemperatur trocknung und Ulzeration der Hornhaut (evtl. mit
ist, erhält und dass er entgegen dem Haarstrich Sehverlust) zu verhindern. Ein weiteres Ziel der
von den Extremitäten zum Rumpf hin gewa- Augenpflege ist die Infektionsprophylaxe.
schen und getrocknet wird. Durch Verwendung
patienteneigener und damit vertrauter Wasch- Vor allem bei sedierten Patienten kommt es
zusätze und Materialien können diese Wirkun- aufgrund des fehlenden Lidschlags und auf-
gen verstärkt werden. grund einer mangelnden Anfeuchtung der
In allen Fällen kann das deutliche Nachfahren Hornhaut (die durch Osmose ernährt wird) zu
von Körperkonturen mit dem Waschlappen einer geringeren Reinigungswirkung in Rich-
dem Patienten helfen, seinen Körper bewusst tung der Augeninnenwinkel, zu einer vermin-
wahrzunehmen. Das Körpergefühl geht vor al- derten antibakteriellen Wirkung der Tränen-
lem bei Langzeitpatienten, die stärker sediert flüssigkeit und zu einer Aufhebung des
werden, häufig verloren. schützenden, reflexartigen Lidschlags beim Be-
rühren der Wimpern.
Zur Reinigung der Augen sind die Augenlider
7.8.3 Haarpflege von außen zur Nasenwurzel hin mit einem
feuchten (mit NaCl 0,9% getränkten) sterilen
Ziel der Haarpflege muss neben der Entfernung Tupfer vorsichtig abzuwischen.
! von Fetten und evtl. Körpersekreten vor allem
auch die Infektions- und Dekubitusprophylaxe Bereits ein regelmäßiges stärkeres Aufdrücken auf
sein. ! das geschlossene Augenlid beim Entfernen von
Verunreinigungen führt zu Hornhautschäden!
Etwa einmal pro Woche sollten dem Patienten
die Haare gewaschen werden (individuelle Unter Umständen kann auch eine Augenspü-
Handhabung, je nach Beschaffenheit der Kopf- lung vorgenommen werden. Hierbei kann das
haut und möglichen Verletzungen). Vor allem Auge mit steriler 0,9%iger NaCl-Lösung von
in langen Haaren sammeln sich Verunreinigun- außen zur Nasenwurzel hin ausgespült werden.
gen und Keime. Für liegende Patienten können Eventuelle Rückstände alter Augensalbe sind zu
spezielle Haarwaschbehälter benutzt werden, entfernen. Nach Durchführung der Augenpfle-
um ein Nasswerden des Bettes zu vermeiden. ge sollte in den unteren Bindehautsack neue
Bei jeder Ganzkörperpflege sollten die Haare Augensalbe (z. B. Bepanthen® oder Coliqui-
gekämmt werden, um ein Verfilzen zu verhin- film®) eingebracht werden. Hierzu ist das unte-
dern, die Durchblutung der Kopfhaut anzure- re Augenlid mit dem Zeigefinger etwas nach
gen und um die Kopfhaut auf Druckstellen oder unten zu ziehen. Bei nicht vollständig geschlos-
andere Veränderungen hin zu untersuchen. senen Augen müssen die Augenlider ggf. mit
Lange Haare sollten zusammengebunden wer- einem (hautfreundlichen, schwach klebenden)
den. Um Druckschäden zu vermeiden, sollten Pflasterstreifen verschlossen werden. Die Au-
solche Haarbündel aber so platziert werden, genpflege sollte einmal pro Schicht unter steri-
dass sie bei der Lagerung nicht unter, sondern len Bedingungen erfolgen.
neben dem Kopf zu liegen kommen. Es sollte geklärt werden, ob der Patient z. B.
Kontaktlinsen oder eine Augenprothese trägt.
Insbesondere bei verunfallten Patienten kann
dies übersehen werden. Ein evtl. vorhandenes
422 7  Intensivmedizin

Glasauge sollte einmal pro Tag entfernt und speicheldrüsenentzündung führt zu einer
(genauso wie die Augenhöhle) mit physiologi- Schwellung vor dem Ohr, zu einer Einschrän-
scher Kochsalzlösung gereinigt werden. kung der Kieferbeweglichkeit und zu Schmer-
zen. Da tief sedierte oder komatöse Patienten
nicht kauen und damit keine regelmäßige Spei-
7.8.5 Mundpflege chelproduktion und -abgabe haben, ist die Ge-
fahr einer Parotitis erhöht. Durch Einmassieren
Ziele der Mundpflege sind neben der Entfernung von z. B. Vitamin-C-haltiger Paste im Bereich
! von Zahnbelägen und Sekreten im Mund- und Ra- der Speicheldrüsenausführungsgänge (Backen-
chenraum vor allem die Infektions- und Aspirati- schleimhaut im Bereich der oberen seitlichen
onsprophylaxe. Beim oral intubierten Patienten ist Zahnreihe) oder durch Massage der Ohrspei-
auch die Dekubitusprophylaxe ein wichtiges Ziel cheldrüsen vor den Ohren kann der Speichel-
der Mundpflege. fluss angeregt werden.
Zusätze zu Mundspüllösungen sind nur bei ge-
Beim Intensivpatienten ist mindestens einmal reizter Schleimhaut anzuwenden. Es können
pro Schicht eine sorgfältige Mundpflege durch- z. B. desinfizierende oder anästhesierende Zu-
zuführen. Je nach Quick-Wert und INR sollte sätze verwendet werden. Bei intakter Schleim-
eine härtere oder besonders weiche Zahnbürste haut genügt das Reinigen mit Wasser oder Tee.
verwendet werden. Nach Verletzungen oder Zur Steigerung des Wohlbefindens und zur Ak-
Operationen im Mund-Rachen-Bereich ist indi- tivierung kann der Mundraum des Patienten
viduell zu klären, inwieweit mundpflegerische zwischendurch auch mit Zusätzen ausgewischt
Maßnahmen ergriffen werden dürfen. Eventuel- werden, die der Patient gerne mag (z. B. Oran-
le Sekrete müssen aus dem Mund-Rachen-Be- gensaft, Bier).
reich mit einem sterilen Katheter abgesaugt Bei oral intubierten Patienten ist einmal pro
werden, um eine Aspiration im Falle eines nicht Schicht die Tubusfixierung zu lösen, Pflaster-
ausreichend geblockten Cuffs und um eine rückstände sind mit Wundbenzin zu entfernen
Schleimhautreizung und Kariesbildung durch und der Tubus ist im anderen Mundwinkel er-
aggressive Speichelbestandteile zu vermeiden. neut sorgfältig zu fixieren, um Druckstellen zu
Danach kann bei intubierten Patienten die verhindern (cave: Dislokation des Tubus). Tro­
Mundhöhle durch gleichzeitiges Spülen und ckene Lippen sind einzufetten.
Absaugen oder durch Auswischen von Zun-
genober- und -unterfläche, Gaumen sowie Wan-
gentaschen (mit einer um den Finger gewickel- 7.8.6 Nasenpflege
ten feuchten Kompresse) gereinigt werden.
Die Mundhöhle muss täglich mithilfe eines Ziele der Nasenpflege sind neben der Entfernung
Spatels und einer Lampe inspiziert werden. Sie ! von Borken und Sekreten vor allem die Infektions-
muss auf evtl. Veränderungen, wie z. B. eine und Aspirationsprophylaxe. Bei nasal intubier-
Pilzinfektion durch den Pilz Candida albicans ten Patienten ist auch eine Dekubitusprophylaxe
(Soor) mit den typischen grauweißen fleckigen wichtig.
Schleimhautbelägen, auf schmerzhafte, bis lin-
sengroße Schleimhautdefekte mit festhaftenden Die Nasenpflege sollte mindestens 3-mal pro
Belägen und zentralem Defekt (Aphten) und Tag durchgeführt werden. Durch vorsichtiges
eine generalisierte Entzündung und Schwellung Absaugen von Sekreten durch den unteren Na-
der Mundschleimhaut (Stomatitis) kontrolliert sengang mittels eines sterilen Katheters (je Na-
werden. Daneben ist auf Ulzerationen oder eine senloch einen neuen Katheter, wegen der Gefahr
manchmal auftretende Entzündung der Ohr- der Keimverschleppung) wird einer Entzün-
speicheldrüse (Parotitis) zu achten. Eine Ohr- dung der Nebenhöhlen (Sinusitis) und einer
7.9  Prophylaktische Maßnahmen 423

Aspiration von Sekreten (bei unzureichend ge- sammeln, sollte unter den Nägeln eine regelmä-
blocktem Tubus) vorgebeugt. Der Absaugkathe- ßige Reinigung stattfinden. Aus ästhetischen
ter ist hierbei bis in den Rachen vorzuschieben. Gründen und um eine Selbstverletzung des Pa-
Danach sind die Naseneingänge mit panthenol- tienten oder eine Verletzung des Personals zu
getränkten Tupfern zu reinigen. Falls der Patient vermeiden, sollten Nägel auch nach Bedarf ge-
nasal intubiert ist oder über eine Magensonde schnitten werden. Dabei ist das Entfernen über-
verfügt, müssen die entsprechenden Pflaster bei schüssiger Hornhaut zu unterlassen. Dadurch
Verunreinigung oder mangelnder Klebekraft können Verletzungen und Eintrittspforten für
vorsichtig entfernt werden. Zur Beseitigung evtl. Keime entstehen. Bei Patienten mit Diabetes
Klebstoffrückstände kann Wundbenzin verwen- mellitus oder arterieller Verschlusskrankheit ist
det werden. Anschließend ist wieder eine sorg- vor allem bei der Fußpflege besondere Vorsicht
fältige Fixierung vorzunehmen. Dabei ist darauf geboten und ggf. ist eine fußpflegerische Be-
zu achten, dass der Endotrachealtubus und eine handlung hinzuzuziehen. Bereits bei kleinsten
evtl. vorhandene Magensonde nicht dislozieren Verletzungen können schlecht heilende Wun-
und dass die Schläuche keinen Druck oder Zug den entstehen.
auf die umliegende Haut und den Knorpel aus-
üben, um Ulzerationen zu verhindern. Gegebe-
nenfalls sind Tubus oder Magensonde vor dem 7.8.9 Wechsel der Bettwäsche
Fixieren mit einem Stück Schaumstoff abzupols­
tern. Es ist zu kontrollieren und dokumentieren, Zumindest einmal pro Tag sollte die Bettwäsche
wie tief der Endotrachealtubus und die Magen- aus Gründen der Reinigung, der Dekubituspro-
sonde eingeführt sind. phylaxe (Kontakt mit Sekreten) und Infektions-
prophylaxe vollständig gewechselt werden. Es
bietet sich an, dies im Zusammenhang mit der
7.8.7 Ohrenpflege Ganzkörperpflege vorzunehmen. Zusätzlich ist
bei jeder Verunreinigung mit Körpersekreten
Ziel der Ohrenpflege ist es, Ohrmuscheln und äu- (also auch nach starkem Schwitzen, z. B. bei
! ßeren Gehörgang zu reinigen und damit eine Ver- Fieber) ein Wechsel der Bettwäsche durchzu-
stopfung des Gehörgangs durch Ansammlung von führen. Beim Wäschewechsel ist sorgfältig dar-
Ohrenschmalz zu verhindern. auf zu achten, dass weder der Endotrachealtu-
bus noch intravenöse oder arterielle Katheter,
Werden zur Reinigung feuchte Watteträger ver- Thoraxdrainagen, der Blasenkatheter oder sons­
wendet, dann ist ein zu tiefes Eindringen in den tige Schläuche dislozieren. Für den Wechsel der
äußeren Gehörgang unbedingt zu vermeiden, Bettwäsche und die dafür notwendigen Lage-
um eine Verletzung des Trommelfells auszu- rungsmanöver sind meist 2 Personen notwen-
schließen. Bei Patienten mit einem Schädel- dig.
Hirn-Trauma ist nach evtl. Blut- oder Liquor-
spuren im Ohr zu suchen.
7.9 Prophylaktische
7.8.8 Nagelpflege Maßnahmen
Ziele der Nagelpflege sind die Reinigung, die In- Der Intensivpatient ist durch eine Reihe von
! fektions- und Verletzungsprophylaxe. Komplikationsmöglichkeiten gefährdet. Daher
sind z. B. folgende vorbeugende (prophylakti-
Da sich besonders unter langen Finger- und Ze- sche) Maßnahmen wichtig:
hennägeln Verunreinigungen und Keime an- ● Infektionsprophylaxe
424 7  Intensivmedizin

● Pneumonieprophylaxe und Prophylaxe lage- (grampositive) Bakterienstämme handelt, die


bedingter pulmonaler Probleme gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Ursa-
● Thromboseprophylaxe che einer solchen (Methicillin-)Resistenz ist
● Stressulkusprophylaxe die häufige Anwendung von Antibiotika, wo-
● Dekubitusprophylaxe durch es zur Selektion von antibiotikaresisten-
● Intertrigoprophylaxe ten Keimen kommt. (Öfter wird auch von mul-
● Kontraktur- und Spitzfußprophylaxe tiresistenten Keimen gesprochen). Patienten,
die mit einem solchen methicillinresistenten
Keim (z. B. methicillinresistenter Staphylococ-
7.9.1 Infektionsprophylaxe cus aureus = MRSA) infiziert sind, müssen iso-
liert werden und sind unter strengsten hygieni-
Intensivpatienten sind normalerweise aufgrund schen Maßnahmen zu pflegen, um eine
ihrer schweren Erkrankungen geschwächt, wei- Keimübertragung auf andere Patienten zu ver-
sen eine verminderte Immunabwehr sowie hindern.
zahlreiche Wunden und künstlich geschaffene Die eine nosokomiale Infektion verursachen-
Eintrittspforten (z. B. Katheter) auf. Dadurch den Bakterien stammen meist (zu 40–50 %) aus
sind sie gefährdet, im Krankenhaus zusätzlich dem Gastrointestinaltrakt des Patienten. Eine
eine Infektion (nosokomiale Infektion) zu er- weitere wichtige Infektionsquelle für nosoko-
werben (Häufigkeit: ca. 27 %). miale Infektionen ist die mit unphysiologischen
Bakterien besiedelte Haut. Führen Bakterien,

Nosokomiale Infektionen äußern sich vor allem die vom Patienten selbst stammen, zu einer In-
 in Harnwegs-, Atemwegs- und Wundinfektionen fektion, dann wird von einer Autoinfektion ge-
oder einer Sepsis (→ S. 483). sprochen. Häufig kommt es zur Übertragung
von Infektionskeimen von einem Patienten auf
Nosokomiale Infektionen werden begünstigt einen anderen. Ursache für eine solche Kreuz-
! durch Diabetes mellitus, Therapie mit Steroiden infektion sind vor allem unsaubere Hände von
oder Zytostatika, Karzinomerkrankung, Mangel­ Pflegepersonen und Ärzten, Stethoskope und
ernährung, Verbrennung, eine ausgedehnte Ope- z. B. Ultraschallgeräte. Die Besiedlung mit Kei-
ration oder schwere Verletzung, sehr junges oder men aufgrund eines Kontakts mit unsterilen
sehr hohes Alter (Frühgeborene, Greise). Gegenständen (unsterilem Instrumentarium
oder nicht desinfizierten Händen) wird als

Erleidet ein Patient aufgrund einer bestehenden Kontamination bezeichnet.
 Grunderkrankung oder einer das Immunsystem Eine Übertragung von nosokomialen Infektio-
schwächenden Therapie eine Infektion, so wird nen über die Luft (aerogene Infektion) ist da-
auch von einer Sekundärinfektion gesprochen. gegen selten. Nosokomiale Krankheitserreger
treten vor allem entlang von Blasenkathetern,
Um die Gefahr nosokomialer Infektionen zu Endotrachealtuben, zentralvenösen und arteri-
minimieren, müssen von allen patientenbetreu- ellen Kathetern in den Körper ein.
enden Personen entsprechende hygienische Re-
geln beachtet werden.
Nosokomiale Infektionen sind in den letzten Hygienische Maßnahmen
Jahren zu ca. 50 % durch gramnegative Bakte-
rien (z. B. Escherichia coli, Klebsiella, Pseudo- Um Kreuzinfektionen und Kontaminationen zu
monas, Enterobakter) und zu ca. 50 % durch verhindern, ist es von entscheidender Wichtig-
grampositive Bakterien bedingt. Ein besonde- keit, dass Pflegepersonal und Ärzte eine wieder-
res Problem von nosokomialen Infektionen be- holte hygienische Händedesinfektion durch-
steht darin, dass es sich hierbei häufiger um führen. Sie sollte vor und nach jeder Maßnahme
7.9  Prophylaktische Maßnahmen 425

vorgenommen werden, bei der die Gefahr einer des Bronchialsekret sicher abzuhusten. Die
Kontamination der Hände besteht. Eine wichti- Ansammlung von Schleim führt in vielen Fäl-
ge Maßnahme zur Prävention von Kontamina- len zur Atelektasenbildung und bei geschwäch-
tionen besteht darin, Einmalhandschuhe zu tem Immunsystem zu einer Superinfektion
tragen. Um eine Kontamination der Arbeits- (Auto- oder Kreuzinfektion) mit anschließen-
kleidung zu vermeiden, ist insbesondere bei der Pneumonie.
pflegerischen Maßnahmen (z. B. Ganzkörper- Um der Entstehung einer Pneumonie vorzu-
wäsche oder Säubern des Patienten nach Einko- beugen, sind verschiedene Maßnahmen erfor-
ten u. Ä.) eine Plastikeinmalschürze zu tragen. derlich. In erster Linie ist ein aseptischer Um-
Um das Risiko einer Kreuzinfektion zu mini- gang mit allen Gegenständen erforderlich, die
mieren, sollten auf Intensivstationen möglichst mit dem Respirationstrakt des Patienten in Be-
Artikel für den Einmalgebrauch verwendet rührung kommen. Das gilt sowohl für die Ein-
werden. Jeder Patient benötigt eine eigene ap- haltung steriler Bedingungen bei der künstli-
parative Ausstattung (Absaugvorrichtung, Ste- chen Beatmung als auch für die hygienische
thoskop, Blutdruckmanschette usw.). Handhabung von Geräten, die zur Atemthera-
pie bei aktiv mitarbeitenden Patienten einge-
setzt werden. Dem Austrocknen der Schleim-
7.9.2 Pneumonieprophylaxe häute wird bei beatmeten Patienten durch die
und Prophylaxe lagebedingter Anfeuchtung und Anwärmung der Atemluft
vorgebeugt (→  S. 363). Mit kooperativen Pati-
pulmonaler Schäden enten können vorbeugende atemtherapeutische
Maßnahmen durchgeführt werden.
Zu den wichtigsten Ursachen für die Entstehung
! einer Pneumonie zählen: Aspiration, mangeln-
de Belüftung einzelner Lungenareale mit Atelek- Atemtherapie
tasenbildung, Austrocknen der Schleimhäute und
damit reduzierter Reinigungsmechanismus der Mithilfe der Atemtherapie kann der kooperati-
Atemwege, Sekretstau durch mangelndes Abhus­ ve Patient aktiv helfen, die Entstehung pulmo-
ten bzw. Absaugen, Kontamination oder abstei- naler Schäden mit all ihren Folgen zu verhin-
gende Infektion aus dem Mund-Nasen-Rachen- dern. Dem Patienten sollte grundsätzlich ein
Raum. schmerzfreies Atmen ermöglicht werden. An-
sonsten droht eine oberflächliche Atmung mit
Die Pneumonieprophylaxe beginnt bereits bei mangelnder Belüftung und Sekretstau. Vor akti-
der gründlichen Mundpflege. Dadurch können ven Übungen sollte der Patient je nach Bedarf
absteigende Infektionen oft verhindert werden. zusätzlich ein Analgetikum erhalten.
Eine Aspiration kann z. B. durch regelmäßige Eine sehr wichtige Maßnahme ist die Inhalati-
Kontrolle und optimale Einstellung des Cuff- onstherapie. Durch fein vernebeltes NaCl 0,9 %
Drucks (v. a. vor der Mundpflege) und durch (mit oder ohne Medikamentenzusätze) kann
leichte Oberkörperhochlagerung (v. a. bei der das selbstreinigende Flimmerepithel im Bron-
Verabreichung von Nahrung) oft verhindert chialsystem angefeuchtet und das zähe Bronchi-
werden. Außerdem sollte kein Extubationsver- alsekret verflüssigt, Schleimbrücken können ge-
such unternommen werden, bevor nicht die sprengt, die Lunge und damit evtl. Atelektasen
Schutzreflexe wieder gut ausgebildet sind. Be- können aufgedehnt werden. Dünnflüssige Bron-
dingt durch Schmerzen, geschwächten Allge- chialsekrete können besser abgehustet werden
meinzustand und/oder verminderten Glottis- und durch Aufdehnung von Atelektasen kommt
verschluss nach einer Langzeitintubation sind es zu einer Verbesserung der Oxygenierung.
die Patienten häufig nicht in der Lage, anfallen- Bronchialsekrete können dadurch gelockert
426 7  Intensivmedizin

werden, dass bei dem in Seitenlage befindlichen auf 2 schmalen Kissen auf, die sich zu den
Patienten die jeweils oben liegende Lungenhälf- Schultern hin V-förmig öffnen und somit eine
te am Rücken von lateral nach medial abgeklopft Dehnung im Flankenbereich verursachen. Die
wird. Beim anschließenden Aufsitzen kann der umgekehrte V-Lagerung mit der Spitze unter
Patient das Sekret oft abhusten. Daneben gibt es dem Oberkörper und der offenen Seite im Flan-
eine Reihe weiterer Pneumonieprophylaxen, wie kenbereich führt zur Dehnung des Schultergür-
z. B. das Atemtraining (Richtungsatmen, Atmen tels. Sobald als möglich sollte der (evtl. sogar
gegen Widerstand u. Ä.) unter physiotherapeuti- noch intubierte) Patient häufig an den Bettrand
scher Anleitung oder das tiefe Einatemtraining bzw. in einen Sessel gesetzt werden.
mit einem sog. Incentive-Spirometer. Bei der Bei übermäßiger Bronchialsekretion kann beim
Incentive-Spirometrie atmet der Patient über intensivpflichtigen Patienten neben der übli-
ein kleines Gerät bewusst tief ein. Seine Atembe- chen Bronchialtoilette (→  S. 349) auch eine
mühungen werden von dem Gerät angezeigt. Er wiederholte gezielte fiberbronchoskopische Ab-
muss hierbei versuchen, ein vorgegebenes Inspi- saugung notwendig werden.
rationsvolumen zu erreichen. Dieses Inhalati-
onsvolumen soll dann für einige Sekunden ge-
halten werden, um ein Eröffnen kollabierter 7.9.3 Thromboseprophylaxe
Alveolen zu ermöglichen.
Auch eine längerfristige gleichbleibende Kör- Die wichtigsten Ursachen für ein erhöhtes Throm-
perhaltung begünstigt die Entstehung von Lun- ! boserisiko werden als sog. „Virchow-Trias“ zu-
genschädigungen wie Atelektasen und Pneu- sammengefasst. Hierzu zählen neben verlang-
monie. Bei fehlendem Lagerungswechsel werden samtem venösem Rückfluss durch Immobilisation
die unten liegenden Lungenpartien gut perfun- auch Veränderungen der Gefäßwände durch Ent-
diert, aber schlecht ventiliert; in den oben lie- zündung oder Verletzung und eine beschleunigte
genden Lungenpartien ist dieses sog. Ventilati- Blutgerinnung.
ons/Perfusions-Verhältnis umgekehrt (→  S.
262). In den abhängigen Lungenpartien kann es Als Risikofaktoren für die Entstehung einer
zur Ansammlung von Bronchialsekret kom- Thrombose gelten daher Herzinsuffizienz, venö-
men. Durch wiederholte Lagerungswechsel se Insuffizienz, Übergewicht, kürzlich durchge-
wird aufgrund der Schwerkraftwirkung die machte Operation oder Geburt, Schwanger-
Drainage von Bronchialsekret begünstigt. schaft und Wochenbett. Routinemäßig wird bei
Wundliegen und Lungenschäden können durch Vorliegen solcher Risikofaktoren eine Low-
entsprechende Lagerungsmanöver (Wechsel Dose-Heparinisierung (z. B. 100–150 IE/kg KG/d
von Rückenlage, Linksseitenlage, Rückenlage, = ca. 10 000 IE Heparin/d i. v. bzw. 3 × 5 000 IE
Rechtsseitenlage; evtl. Bauchlage) verhindert bzw. 2 × 7 500 IE s. c./d oder aber 1 × niedermo-
werden. Ideal wäre ein 1- bis 2-stündlicher La- lekulares Heparin/d s. c., z. B. 2 850 Anti-Xa-Ein-
gerungswechsel. Daneben dienen bei wachen heiten = 0,3 ml Nadroparin; Fraxiparin® oder
und schlecht oxygenierten Patienten sog. atem­ 3 000 Anti-Xa-Einheiten = 0,3 ml Certoparin;
erleichternde Lagerungen der Dehnung des Mono-Embolex®) durchgeführt. Soweit keine
Brustkorbes und damit einer großflächigen Kontraindikationen vorliegen, wie z. B. eine ar-
Lungenbelüftung. Zum Einsatz kommt die T- terielle Verschlusskrankheit und starkes Schwit-
Lagerung mit einem schmalen Kissen längs un- zen bei Fieber, sollten Antithrombosestrümpfe
ter der Wirbelsäule und einem weiteren Kissen (= ATS) angelegt werden. Bei sedierten und be-
quer unter dem Kopf. Dabei entsteht die Deh- atmeten Patienten soll auf die Anlage von ATS
nung durch die beidseits des Kissens unter dem verzichtet werden, weil sie keine Beschwerden
Rücken abfallenden Schultern und Brustkorb- bei Mangeldurchblutung (z. B. wegen Einschnü-
anteile. Bei der V-Lagerung liegt das Kreuzbein rung) äußern können. Die Beine sollten leicht
7.9  Prophylaktische Maßnahmen 427

hochgelagert werden, um den venösen Rück- Um Stressulzera vorzubeugen, stehen folgende


strom zu verbessern, und ein dauerhaftes starkes Möglichkeiten zur Verfügung:
Abknicken oder Einschnüren der Beine sollte ● enterale Ernährung

verhindert werden. Sobald als möglich ist eine ● Anhebung des pH-Wertes des Magensaftes

Mobilisierung der Patienten anzustreben. ● Aufrechterhaltung der schleimhautschüt-

Die Symptome einer bestehenden tiefen Bein- zenden Barriere


venenthrombose sind Schweregefühl, Schwel- ● Aufrechterhaltung der Schleimhautdurchblu-

lung, Rötung und Überwärmung. Eine Dorsal- tung


flexion des Fußes ist sehr schmerzhaft.
Bei einer vorliegenden tiefen Beinvenenthrom- Sinnvoll ist die intermittierende (z. B. 8-stünd-
bose besteht die größte Gefahr darin, dass sich lich mit Lackmuspapier durchgeführte) Mes-
Thromben lösen und eine Lungenembolie ver- sung des Magen-pH-Wertes. Es sollte norma-
ursachen. Um dies zu verhindern, muss ein Pa- lerweise ein pH-Wert von > 3,0 angestrebt
tient mit tiefer Beinvenenthrombose unbedingt werden. Es ist allerdings zu beachten, dass eine
Bettruhe einhalten. Daneben werden die Beine Anhebung des pH-Wertes auf > 4,0 zu einer un-
bis zu den Leisten hin kompressiv gewickelt, um zureichenden Abtötung von Bakterien im Ma-
zum einen den venösen Rückstrom zu fördern gen mit bakteriellem Wachstum führen kann.
und die Entstehung weiterer Thromben zu ver- Hierdurch werden nach neueren Erkenntnissen
hindern und um zum anderen den Thrombus Lungenentzündungen (aufgrund einer manch-
am Fortbewegen im Gefäßsystem zu hindern. mal unbemerkt stattfindenden Regurgitation
Dabei sind Einschnürungen unbedingt zu und Aspiration von bakterienhaltigem Magen-
vermeiden, um weitere Begünstigungen der saft) und eine Sepsis begünstigt.
Thromboseentstehung auszuschließen. Die Bei-
ne sollten hochgelagert und entzündete Berei-
che sollten gekühlt werden. Es wird eine thera- Enterale Ernährung
peutische Antikoagulation durchgeführt (initial
5 000–1 000 IE Heparin i. v., dann Heparin per Die enterale Nahrungszufuhr neutralisiert die
Spritzenpumpe; ca. 1 250 IE/h, sodass PTT ca. Magensäure und verbessert die schützende
60 Sekunden beträgt). In der Regel (nicht jedoch Schleimschicht. Durch einen möglichst früh-
bei frisch operierten Patienten) wird zusätzlich zeitigen enteralen Nahrungsaufbau (evtl. nur 8
eine Lysetherapie durchgeführt (→  S. 453). × 30 ml Tee) lässt sich eine meist bessere Stress­
ulkusprophylaxe als mit Medikamenten erzie-
len (→  S. 381).
7.9.4 Stressulkusprophylaxe

Da Intensivpatienten einer oft langfristigen Stress- Anhebung des pH-Wertes
 situation ausgesetzt sind, besteht die erhöhte Ge- des Magensaftes
fahr von gastrointestinalen Stressulzera.
Durch die Gabe eines H2-Rezeptoren-Blockers
Ursache der gastrointestinalen Stressulzera ist ei- wie Cimetidin (Cimetidin-CT; z. B. 1–2 × 400
! ne stressbedingte Minderdurchblutung der ober- mg/d), Ranitidin (Sostril®, Zantic®; z. B. 1 × 150
flächlichen Schleimhaut. Bei ca. 20 % der Intensiv- mg/d) oder Famotidin (Pepdul®), der die Salz-
patienten kommt es zu oberflächlichen Schleim- säureproduktion hemmt, oder die Gabe eines
hautschäden mit okkulten Blutungen. Bei ca. 5 % Antacidums (z. B. Maaloxan® = Magnesiumhy-
der Intensivpatienten treten hierdurch starke Blu- droxid, Aluminiumoxid), das die vorhandene
tungen auf. Der Stressulkusprophylaxe kommt da- Magensäure neutralisiert, kann die Häufigkeit
her große Bedeutung zu. von Magen-Darm-Blutungen deutlich gesenkt
428 7  Intensivmedizin

werden. Die Dosisfindung ist bei den Antacida laufsituation (v. a. Zentralisation) und/oder
relativ schwierig und ist an wiederholten Mes- Catecholamintherapie (v. a. Noradrenalin) nei-
sungen des pH-Wertes zu orientieren. gen aufgrund der geringen Hautdurchblutung
Häufig wird auch Pirenzepin (Gastrozepin®) bzw. der Vasokonstriktion (mit Mikro­zirku-
eingesetzt (Anticholinergikum, das die post- lationsstörungen) zu Dekubitalulzera. Weitere
ganglionären parasympathischen [= muscarin­ Risikofaktoren für die Entstehung lagebedingter
ergen] Rezeptoren blockiert = Muscarinrezep- Ulzerationen sind Immobilisation, Sensibilitäts-
torenblocker; →  S. 66). In den letzten Jahren störungen, reduzierter Allgemeinzustand, Durch-
werden zunehmend häufiger sog. Proto­ blutungsstörungen, Fieber und Inkontinenz.
nenpumpenhemmer eingesetzt. Mit diesen Besonders gefährdete Körperregionen sind:
Substanzen ist die stärkste Hemmung der Ma- ● Körperbereiche, bei denen der Knochen bzw.

gensäureproduktion möglich. Zu den Proto- Knorpel direkt unter der Haut liegt:
nenpumpenhemmern gehören Omeprazol – Trochanter major
(Antra®) und Pantoprazol (Pantozol®, z. B. – Innenseiten der Knie
2-mal 20 mg/d). Entscheidend für eine Ul- – Fersen
kusprophylaxe sind auch die Aufrechterhaltung – Fußknöchel
einer ausreichenden Schleimhautdurchblutung – Kreuzbein
(indem eine Hypotension und vasokonstringie- – Ellenbogen
rende Medikamente, z. B. Catecholamine, mög- – Schulterblätter
lichst vermieden werden) sowie eine gute Anal- – Wirbelsäule
gesie und Sedierung der Patienten. – Hinterkopf
– Ohrmuscheln
● Körperbereiche, die mit Drainagen bzw.
Aufrechterhaltung der Schläuchen in Kontakt kommen:
schleimhautschützenden Barriere – Nasenflügel (nasal eingeführte Magen-
sonde oder nasotrachealer Tubus)
Die wichtigste Substanz hierfür ist Sucralfat – Mundwinkel (orotrachealer Tubus)
(Ulcogant®). Sucralfat (3–4 × 1,0 g/d) ist billig – Hautpartien, die z. B. auf Plastik aufliegen
und nebenwirkungsarm. Einzige relevante Ne- und bei der Lagerung nicht ausreichend
benwirkungen sind eine Phosphatverarmung unterpolstert wurden
und selten eine Obstipation. Während einer
Therapie mit Sucralfat braucht der pH-Wert des Wie stark ein Patient gefährdet ist, einen Deku-
Magensaftes nicht kontrolliert werden. bitus zu erleiden, kann anhand des Punktesys­
tems der erweiterten Norton-Skala abgeleitet
werden. In der sog. erweiterten Norton-Skala
7.9.5 Dekubitusprophylaxe werden Motivation und Kooperation, Alter,
Hautzustand, Zusatzerkrankungen, körperli-
Bei längerfristigem, stärkerem Druck auf be- cher Zustand, geistiger Zustand, Aktivität, Be-
 stimmte Hautpartien droht (evtl. schon innerhalb weglichkeit und Inkontinenz punktemäßig (je-
weniger Stunden) aufgrund einer Komprimierung weils 1, 2, 3 oder 4 Punkte) eingestuft (vgl. Tab.
der ernährenden Haut- und Unterhautgefäße ei- 7-9). Besonders gefährdet sind dabei Patienten
ne Minderdurchblutung (Ischämie) mit Gewebs- mit mangelnder Kooperationsbereitschaft, fort-
schädigung (Dekubitus oder „Wundliegen“). geschrittenem Alter, geschädigtem Hautzu-
stand, Zusatzerkrankungen, schlechtem kör-
Ein Dekubitus droht insbesondere bei immobili- perlichem Zustand, reduziertem geistigem
sierten, stark sedierten oder komatösen Intensiv- Zustand, Inaktivität, eingeschränkter Beweg-
patienten. Auch Patienten mit schlechter Kreis­ lichkeit und Inkontinenz.
7.9  Prophylaktische Maßnahmen 429

Tab. 7-9  Erweiterte Norton-Skala zur Einstufung des Dekubitusrisikos


Punkte 4 3 2 1
Motivation und voll wenig teilweise keine
Kooperation
Alter < 10 < 30 < 60 > 60
Hautzustand normal schuppig, trocken feucht Allergie, Risse
Zusatzerkrankungen keine Fieber, Adipositas, Mali- Koma, Lähmung
Diabetes, Anämie gnom, Kachexie,
multiple Sklerose
Körperlicher Zustand gut leidlich schlecht sehr schlecht
Geistiger Zustand klar apathisch, teil- verwirrt stuporös,
nahmslos (stumpfsinnig)
Aktivität geht ohne Hilfe geht mit Hilfe rollstuhlbedürftig bettlägerig
Beweglichkeit voll kaum einge- sehr eingeschränkt total einge-
schränkt schränkt
Inkontinenz keine manchmal meistens Urin Urin und Stuhl

Zeichen eines Dekubitus sind: weichlagerung verwendet werden. Liegt bereits


● Hautrötung bei intakter Haut, die nach ein Dekubitus vor, müssen die entsprechenden
Druckentlastung nicht sofort verschwindet Hautpartien frei (!) gelagert werden.
(Grad I) Zur Steigerung der Hautdurchblutung eignen
● Hautdefekt und Blasenbildung (Grad II) sich neben regelmäßigem Waschen und stärke-
● tief reichender Defekt unter Beteiligung von rem Abfrottieren Maßnahmen wie regelmäßige
Haut, Weichteilen, Muskeln, Sehnen, Bän- Einreibungen, Abklopfen und Massieren ge-
dern und Faszien (Grad III) fährdeter Regionen oder gelegentliches Unter-
● Nekrose, evtl. mit Knochenbeteiligung und Bil- legen eines faltenfreien Frotteehandtuchs.
dung einer Osteomyelitis (Grad IV) Für Pflege und Schutz der Haut sind vor allem
die Maßnahmen der Körperpflege und das
Zu den vorbeugenden Maßnahmen gehören Trockenhalten von Haut bzw. Wäsche sehr
neben der evtl. Ausschaltung der Risikofakto- wichtig. Bleibt ein Patient trotz aller Maßnah-
ren vor allem die Druckentlastung, die Durch- men inkontinent, so ist neben der Anlage eines
blutungssteigerung sowie die Pflege und der Blasenkatheters evtl. der Einsatz eines sog. Fä-
Schutz der Haut. kalkollektors indiziert, der um den Anus herum
Um stärkeren Druck auf bestimmte Körperteile aufgeklebt wird, den Stuhlgang in einem Beutel
und damit Druckschäden zu verhindern, müs- auffängt und den Kontakt der Haut mit dem Se-
sen zur Druckentlastung neben dem konse- kret verhindert.
quenten Lagewechsel evtl. Hilfsmittel zur
Weichlagerung wie Felle, Kissen, Schaumstoffe, Grundsätze der Druckentlastung:
Wasser- oder Gelkissen, Luftringe, Antidekubi- ! –  Mobilisation
tusmatratzen und ganze Spezialbetten einge- –  Weichlagern
setzt werden. Für den Kopf sollten keine Was- –  Hohllagern
serkissen oder Luftringe, sondern es sollten –  Umlagern
spezielle Kopfschalen (Headcare) zur Super- –  Superweichlagern
430 7  Intensivmedizin

Auf die Dekubitusbehandlung wird im Ab- tens 2-mal pro Tag funktionsgerecht durch-
schnitt über die Wundversorgung eingegangen bewegt werden (Physiotherapie). Regelmäßige
(→  S. 444). passive Bewegungen vor allem der Fußgelenke
sollten bei jeder Lagerung routinemäßig durch-
geführt werden. Die Mobilisation kann je nach
7.9.6 Intertrigoprophylaxe Mitarbeit des Patienten aktiv oder passiv erfolgen.
(Bezüglich der Besonderheiten der Kontraktur-

Der Begriff „Intertrigo“ bezeichnet das Wundwer- und Spitzfußprophylaxe bei Patienten mit Schä-
 den in Körperfalten. del-Hirn-Trauma wird auf S. 418 verwiesen.)
Ursachen der Kontrakturentstehung sind Läh-
Die Ursache von Intertrigo ist das Haut-auf-Haut- mungen, Nervenschädigungen, Gelenkerkran-
! Liegen, was zu Reibung und Feuchtigkeitsan- kungen, Fehl- und Schonhaltungen, lange un-
sammlung führt. Als Folge kann es zur Aufquel- physiologische Ruhigstellung (z. B. im Gips)
lung bzw. Erweichung (Mazeration) der Haut und und Lagerungsfehler!
zu sekundären Infektionen, bevorzugt mit Candi- Bei der Lagerung von Patienten sollte daher auf
da albicans, kommen. eine sog. Funktionsstellung der Gelenke geach-
tet werden. Dabei werden die Gelenke in eine
Bevorzugte Stellen sind die Körperfalten unter Haltung gebracht, in der für den Patienten im
den Brüsten, in der Leistenregion, die Bauchfal- Falle einer Versteifung bzw. Kontrakturbildung
ten und die Analfalte. Besonders betroffen sind noch die meisten Handlungsmöglichkeiten ge-
adipöse Patienten. geben sind:
Zur Prophylaxe zählt in erster Linie das peinli- ● Schultergelenk:

che Trockenhalten der gefährdeten Hautbezir- Abduktion des Oberarms um 30 Grad


ke. Das bedeutet gründliches Abtrocknen nach ● Ellenbogengelenk:

dem Waschen sowie Einlegen und regelmäßiges Abwinkeln des Unterarms zum Oberarm um
Auswechseln von Kompressen, die den Körper- 100 Grad, Unterarm leicht erhöht lagern
schweiß aufsaugen. ● Handgelenk:

Zur Behandlung bereits entzündeter Hautfal­- Pronation, Handgelenk leicht aufgestellt, zur
ten bzw. Hautdefekte gehören (je nach Wund- Streckseite gebeugt, Fingergelenke leicht ge-
abstrich) desinfizierende Maßnahmen, evtl. die beugt, Oppositionsstellung zwischen Dau-
Pflege mit speziellen Heilsalben und das konse- men und Zeigefinger
quente Trockenhalten. Alternativ können Hydro- ● Hüftgelenk:

kolloidverbände (→  S. 443) zum Einsatz kom- gestreckt, leichte Abduktion der Oberschen-
men, soweit keine Sekundärinfektion vorliegt. kel ohne Außenrotation der Beine
● Kniegelenk:

gestreckt
7.9.7 Kontraktur- und ● Fußgelenk:
Spitzfußprophylaxe rechter Winkel zwischen Fuß und Unterschen-
kel, keine Außen- oder Innenrotation, die Fuß-

Bei einer Kontraktur handelt es sich um eine spitzen müssen vor dem Aufliegen der Bettde­
 Funktions- und Bewegungseinschränkung, die cke geschützt sein
durch Verkürzung der Muskeln und Sehnen und
Schrumpfung der Gelenkkapseln verursacht ist. Bereits bestehende Kontrakturen sind für den
Patienten bei der Mobilisation immer mit
Um immobilisationsbedingten Gelenkkontrak- Schmerzen verbunden. Außerdem schränken
turen, Muskelatrophien und einer Spitzfußbil- Kontrakturen den Patienten in seiner Selbst-
dung vorzubeugen, sollten die Gelenke mindes­ ständigkeit massiv ein.
7.10  Lagerung des Intensivpatienten 431

7.10 Lagerung ent aktiv mitwirken. Auch ein analgesierter und


sedierter Patient sollte einige Male am Tag im
des Intensivpatienten Bett aufgesetzt werden. Dies stellt neben einem
Auf Intensivstationen werden spezielle Betten Kreislauftraining auch eine Form der Lage-
verwendet. Ein Intensivpflegebett sollte nicht rungsdrainage für die Lunge dar. Die Mobilisa-
nur komfortabel für den Patienten sein, son- tion in den Lehnstuhl sollte je nach Zustand des
dern auch pflegerische sowie diagnostische und Patienten ebenfalls bald angestrebt werden.
therapeutische Maßnahmen am Patienten
erleichtern. Wichtig sind vor allem vielfältige
Verstellungsmöglichkeiten wie Kopftief- und 7.10.1 Rückenlagerung
Beinhochlagerung (Schocklagerung, Trendelen-
burg-Lagerung) oder getrennte Beweglichkeit Bei einem auf dem Rücken gelagerten Patienten
des Kopf- und Beinteils (Möglichkeit der sog. sollte unter den Kopf ein Kopfkissen gelegt wer-
Herzbettlagerung; ca. 45 Grad erhöhter Ober- den. Die Arme sind leicht abzuspreizen, eine
körper und erniedrigte Beine, z. B. bei Patienten direkte Anlagerung an den Körper ist zu ver-
mit einem frischen Herzinfarkt). Wichtig ist meiden. Die Unterarme sollten auf ein Kissen
auch eine Höhenverstellbarkeit des Bettes. Bei gebettet werden. Der Arm ist im Ellenbogenge-
bestimmten Indikationen, z. B. im Falle eines lenk leicht zu beugen. Die Hände sollten nicht
querschnittsgelähmten Patienten oder eines unter Herzniveau liegen, da sie sonst bald an-
Verbrennungspatienten, werden Spezialbetten schwellen. Die gering gespreizten Beine sind
zur adäquaten Lagerung benötigt. ähnlich zu lagern. Die Unterschenkel sollten auf
Ziele einer fachgerechten und konsequenten einer zusammengefalteten Decke oder auf 2
2-stündlichen Lagerung sind die Dekubitus-, Kopfkissen gebettet werden, und es ist darauf zu
Kontraktur- und Intertrigoprophylaxe sowie achten, dass die Knie leicht gebeugt sind. Knie
die Prophylaxe lagebedingter pulmonaler Schä- und Fersen müssen druckfrei gelagert sein. Hat
den. Bestehen Atelektasen (mit Rechts-links- der Patient z. B. eine Pilzinfektion in der Leiste,
Shunt; →  S. 263), dann sollte eine mehrstündi- dann können die Beine auch in einer sog.
ge Seiten- oder Bauchlagerung durchgeführt „Froschposition“ gelagert werden. Zwischen
werden, wobei die atelektatischen Lungenbezir- Fußbrett und Fußsohle des Patienten sollte (mit
ke oben, die gut belüfteten Lungenbezirke un- Ausnahme bei neurochirurgischen Patienten)
ten zu liegen kommen sollten. ein Kissen gelegt werden, sodass der Fuß etwa
Generell ist bei der Lagerung eines Patienten rechtwinkelig zum Unterschenkel steht, um die
darauf zu achten, dass alle Gelenke in der Funk- Ausbildung eines sog. Spitzfußes (Spitzfußpro-
tionsstellung zu lagern sind. Knochenvor- phylaxe) zu verhindern. Die angestrebte Mittel-
sprünge bzw. Gelenke sollten weich oder sogar stellung der Gelenke ist dem Abschnitt über die
frei gelagert werden. Dabei gilt der Grundsatz, Kontraktur- und Spitzfußprophylaxe zu ent-
dass so viele Lagerungsmittel wie nötig und so nehmen (→  S. 430).
wenige wie möglich einzusetzen sind. Zu viele
Lagerungsmittel können bei Patienten mit vor-
handener Eigenbewegung zur völligen Immo- 7.10.2 Seitenlagerung
bilisation führen. Unbedingt ist auch auf die
Fixierung und die Abpolsterung sämtlicher Soll beispielsweise eine Rechtsseitenlagerung
Drainagen zu achten, um Druckschäden, Ab- durchgeführt werden, so muss der noch auf
knicken oder eine Dislokation zu verhindern. dem Rücken liegende Patient zuerst etwas zur
Auch der intensivpflichtige Patient sollte so früh linken Bettseite verlagert werden. Bei der an-
wie möglich mobilisiert werden. Bei den allge- schließenden Durchführung der Seitenlagerung
meinen Lagerungsmaßnahmen sollte der Pati- muss der Patient dann in der Mitte des Bettes zu
432 7  Intensivmedizin

liegen kommen. Nachdem das später oben lie- schäden (Nerven-, Haut-, Gelenk- und andere
gende linke Bein über das rechte Bein nach vorn Organschäden) führen, zumal sie nicht selten
gelagert wurde, wird der Oberkörper in Rechts- über mehrere Stunden beibehalten wird und
seitenlagerung gebracht. Um ein Zurückrollen dann nur noch stündlich sog. Mikrolagerungen
des Patienten zu verhindern, ist der Rücken mit zulässt. Dabei werden die Extremitäten bzw. der
einem Kissen abzustützen, das von den Schul- Kopf nur minimal verlagert bzw. gedreht, um
tern bis oberhalb (!) des Steißbeines reicht. Da- die Gelenke leicht zu bewegen und die Auflage-
mit der Patient nicht auf dem unten liegenden fläche (und damit die Durchblutung) zu verän-
rechten Arm ruht, ist die unten liegende Schul- dern. Idealerweise wird die seitliche (135 Grad)
ter nach vorn zu ziehen, und der rechte Ober- Bauchlage (2- bis 4-stündlich) von rechts nach
arm ist etwas vom Körper abzuspreizen. Das links gewechselt.
Ellenbogengelenk sollte gebeugt und der Unter- Zur Vorbereitung der Bauchlagerung gehört das
arm auf einem Kissen gelagert werden. Der gründliche Abpolstern zwischen Haut und
oben liegende Arm ist im Ellenbogengelenk sämtlichen Kunststoffdrainagen mit zugeschnit-
ebenfalls leicht zu beugen. Um einen Haut-auf- tenem Schaumstoff und/oder Kompressen.
Haut-Kontakt zu vermeiden, muss zwischen Dann muss der Patient von der Rücken- in die
Körper und oben liegendem Arm ein Kissen Bauchlage gedreht werden. Er muss dazu an
eingelegt werden. eine Seite des Bettes verlagert werden. Besonde-
Das unten liegende, nur leicht gebeugte Bein re Beachtung gilt der Sicherung sämtlicher
sollte etwas nach hinten verlagert werden. Da- Drainagen und Schläuche. Eine Person sollte
durch kann ein Zurückrollen des Patienten ver- sich ausschließlich um den Kopf, die Beat-
hindert werden. Das oben liegende Bein wird mungs- und Infusionsschläuche sowie die Kabel
bei deutlich gebeugtem Kniegelenk etwas nach zum Monitor kümmern. Der Patient wird zu-
vorn gelagert. Dadurch kann der Patient nicht erst in Seitenlage gebracht. Der unten liegende
nach vorn rollen. Um einen Haut-auf-Haut- Arm wird eng an den Rumpf geschoben, sodass
Kontakt zu vermeiden, muss zwischen Knie der Patient nun über den Arm auf den Bauch
und Unterschenkel ein Kissen eingebracht wer- gerollt werden kann. Unter den Brustkorb des
den. Die Füße sollten möglichst wiederum in Patienten wird auf der erhöht zu lagernden Seite
eine etwa 90-Grad-Stellung gebracht werden ein Kissen geschoben. Eventuell wird auch un-
(Spitzfußprophylaxe). Der Außenknöchel des ter Hüfte und Oberschenkel ein zweites Kissen
unten liegenden Beines sollte frei gelagert sein. geschoben. Der Bauch soll frei liegen, um die
Hierzu kann ein kleines Lagerungskissen unter Zwerchfellbewegung beim Atmen nicht einzu-
den distalen Unterschenkel geschoben werden. schränken. Auf der erhöht gelagerten Körper­
seite wird der Arm nach oben neben den Kopf
gelagert, auf der anderen Seite wird der Arm
7.10.3 Bauchlagerung dem Körper angelagert. Der oben liegende Arm
wird neben dem Kopf im Schulter- und im El-
Die Bauchlagerung wird zum Teil im Rahmen lenbogengelenk um jeweils etwa 100 Grad ge-
der Dekubitusprophylaxe, vor allem aber in beugt gelagert, wobei auf eine frei (!) gelagerte
Verbindung mit pulmonalen Schädigungen an- Ellenbogenspitze zu achten ist, um eine Läsion
gewandt. Der auf dem Rücken liegende Patient des Nervus ulnaris zu verhindern. Das oben lie-
wird hierbei meist nicht um 180 Grad flach auf gende Bein wird leicht in Hüfte und Knie ange-
den Bauch gedreht sondern er wird normaler- winkelt und auf einem Kissen leicht erhöht gela-
weise nur um 135 Grad gedreht, sodass er in gert. Der unten liegende Arm wird mit der
seitlicher Bauchlage liegt. Die Bauchlage ist auf- Schulter vorsichtig nach unten außen gezogen
wendig in der Durchführung und kann bei un- und bleibt leicht angewinkelt neben dem Rumpf
sachgemäßer Ausführung zu schweren Folge- liegen. Das unten liegende Bein wird leicht an-
7.11  Sonde, Katheter und Drainage 433

gewinkelt und im Fußbereich unterpolstert, da- rungen durch schrittweise Drehung der Ebe-
mit der Fuß nicht in Form eines Spitzfußes auf- ne an die Bewegung im Raum gewöhnt
liegt. Der Kopf wird in Richtung der oberen werden.
Körperhälfte gedreht und mit einem individuell ● Lungenventilation:

zugeschnittenen Schaumstoff zwischen Auge Bei Patienten mit schweren Thoraxtraumen


und Ohr so abgepolstert, dass beide frei liegen. oder anderen Lungenschäden können im
Anschließend sind alle Drainagen, Schläuche Roto-Rest®-Bett Lagerungsdrainagen durch-
und Kabel auf ausreichende Polsterung und geführt werden (→  S. 367).
knickfreie Fixierung zu kontrollieren. ● Wirbelsäulenstabilisierung:

In Sandwich-Betten können Patienten mit


instabilen Wirbelsäulenverletzungen sicher
7.10.4 Lagerung in Spezialbetten von der Rücken- in die Bauchlage und um-
gekehrt gebracht werden.
Von verschiedenen Herstellern werden Spezial-
betten angeboten, die gemietet werden können.
Spezialbetten sind sehr teuer in der Anwendung
und bedürfen einer gezielten Geräteeinweisung 7.11 Sonde, Katheter und
für das damit arbeitende Personal. Sie müssen
vom behandelnden Arzt nach Indikationsstel-
Drainage
lung verordnet werden.
Die Spezialbetten werden nach folgenden Funk- 7.11.1 Magensonde
tionsprinzipien und deren Indikationen unter-
schieden: Um bei Magen-Darm-Atonie, Ileus, Peritonitis,
● Druckentlastung:
! Pankreatitis oder einer Blutung im Gastrointesti-
Bei stark dekubitusgefährdeten Patienten nalbereich Mageninhalt abzuleiten, um eine en-
oder bei Patienten, die bereits Ulzerationen terale Ernährung durchführen zu können oder um
entwickelt haben und vor weiteren Schäden Magensaft zu diagnostischen Zwecken gewinnen
bewahrt werden müssen, werden diese Bet- zu können, wird bei allen beatmeten (und auch
ten eingesetzt. Es handelt sich dabei entwe- bei vielen nicht beatmeten) Intensivpatienten ei-
der um spezielle Betten oder nur um Matrat- ne Sonde durch die Nase in den Magen einge-
zen, die aus Luftkammersystemen bestehen, führt.
in denen – je nach Statur des Patienten – ein
individueller Druck eingestellt werden kann Hierzu empfiehlt es sich, den Oberkörper des
oder in denen sich nach bestimmten Zeitab- Patienten hochzulagern sowie den Kopf leicht
ständen der Druck selbstständig ändert (z. B. nach vorn zu beugen. Vor dem Einführen der
Kinair®-Bett, Pegasus-Matratze). Daneben Magensonde wird die notwendige Einführtiefe
gibt es Betten, bei denen ein Gebläse Quarz- durch Auflegen der Sonde auf den Patienten
sand aufwirbelt, sodass die Patienten darauf ungefähr abgemessen (Nase – Ohr – Spitze des
„schweben“ und ihr Auflagedruck im Be- Sternums). Nachdem das Ende der Magenson-
reich des Kapillardrucks gehalten wird (z. B. de mit einem (ein Lokalanästhetikum enthal-
Clinitron®-Bett). Im sog. Packbett werden tenden) Gleitmittel versehen wurde, wird die
Patienten mithilfe von Schaumstoffquadern Magensonde durch den unteren Nasengang
so gelagert, dass auch Knochenvorsprünge (also nicht nach kranial, sondern nach dorsal)
frei gelagert werden können. vorgeschoben. Der wache Patient sollte zum
● Kreislauftraining: Schlucken aufgefordert werden. Beim sedierten
In Drehbetten können schwer kranke Pati- oder komatösen Patienten muss die Magenson-
enten mit orthostatischen Regulationsstö- de blind vorgeschoben werden. Gegebenenfalls
434 7  Intensivmedizin

kann mit Zeige- und Mittelfinger der linken 7.11.2 Blasenkatheter


Hand über den Zungengrund tief in den Ra-
chen gefasst werden und die Magensonde zwi- Um bei Intensivpatienten eine genaue Flüssig-
schen diesen beiden Fingern stabilisiert bzw. keitsbilanzierung durchführen zu können, muss
dirigiert werden. In schwierigen Fällen kann die Urinausscheidung gemessen werden. Hier-
eine direkte Laryngoskopie (→  S. 92) unter Zu- zu wird normalerweise ein Blasenkatheter
hilfenahme einer Magill-Zange (→  S. 90) not- durch die Harnröhre (transurethral) eingeführt.
wendig werden. Zunehmend häufiger wird (insbesondere bei
Bei einer richtig platzierten Magensonde kann Männern) bei voraussichtlich längerfristiger
nun mittels Magenspritze Luft (z. B. 30–50 ml) Harnableitung eine suprapubische Blasenkathe-
in den Magen geblasen und anschließend wie- terisierung durchgeführt.
der abgesaugt werden. Ist die insufflierte Luft
nicht mehr abzusaugen, so liegt die Spitze der
Magensonde vermutlich noch im Ösophagus. Transurethrale
Lässt sich (unendlich) viel Luft absaugen, so Blasenkatheterisierung
spricht dies für eine endotracheale Lage der
Magensonde. Für die transurethrale Katheterisierung werden
normalerweise steril verpackte, komplette Ka-
Stets ist eine endotracheale Lage der Magenson- theterisierungssets verwendet. Häufiger kom-
! de auszuschließen. men inzwischen bei intensivpflichtigen Patien-
ten auch Dauerkatheter mit integriertem
Zusätzlich sollte die richtige Lage der Magen- Temperaturmessfühler zum Einsatz. Für eine
sonde auskultatorisch überprüft werden, indem Katheterisierung werden benötigt:
über dem Magen abgehört wird, während mit- ● entsprechende Katheter (Männer: 16–18

tels Magenspritze Luft insuffliert und wieder Charrière, Frauen: 14–16 Charrière)
abgesaugt wird. Weist das abgeleitete Sekret ei- ● Desinfektionsmittel für Schleimhäute (z. B.

nen pH-Wert von ca. 2 auf, so spricht dies für Povidon-Iod; Braunol®)
eine intragastrale Lage (bei einer Lage im Duo- ● mit Aqua destillata gefüllte 10-ml-Spritze

denum beträgt der pH-Wert des Sekretes ca. 8). ● Gleitmittel (Instillagel ), das ein Lokalanäs-
®

Vor der Gabe enteraler Ernährungslösungen thetikum enthält


sollte die korrekte Lage der Magensonde auf ei- ● geschlossenes Urinableitungssystem

ner Röntgenaufnahme des Thorax (die bei intu- ● Urinauffangschale

bierten Patienten häufiger angefertigt wird) ● sterile Tupfer

dargestellt werden. ● sterile Handschuhe

Die richtig platzierte Magensonde wird mittels ● steriles Schlitztuch

Pflasterstreifen am Nasenrücken fixiert (vgl. ● sterile Pinzette

Abb. 7-6). Die Pflasterfixierung sollte täglich er-


neuert werden. PVC-Magensonden dürfen we- Bei dem auf dem Rücken liegenden Patienten
gen der Verflüchtigung der enthaltenen Weich- wird unter das Gesäß ein Tuch (z. B. Moltex®)
macher nur 3 Tage, Silikonmagensonden dürfen gelegt. Der Genitalbereich wird mit einem steri-
dagegen unbegrenzt lange liegen bleiben. len Schlitztuch abgedeckt.
Bezüglich der evtl. Anlage einer Duodenal-, Je- Bei Männern wird nach Zurückstreifen der
junal- oder PEG-Sonde wird auf Seite 381 ver- Vorhaut mit der linken Hand die Eichel (Glans
wiesen. penis) mindestens 3-mal mit vorher in Desin-
fektionslösung getauchten Tupfern sorgfältig
gereinigt. Während mit der linken Hand der Pe-
nis festzuhalten und während des gesamten
7.11  Sonde, Katheter und Drainage 435

Vorgangs nicht mehr loszulassen ist, wird dann ausnahmsweise über kein Rückschlagventil ver-
mit der rechten Hand ein lokalanästhetikum- fügt; ein Zurückfließen von Urin aus dem Sammel-
haltiges Gleitmittel in die Harnröhre instilliert. beutel in die Blase ist unbedingt zu vermeiden.
Nun wird mit der rechten Hand mittels Pinzette
der angereichte sterile Katheter in die Harnröh- Nach den Umlagerungsmanövern muss der
re eingeführt. Hierbei ist der Penisschaft anzu- Urinableitungsschlauch wieder geöffnet wer-
heben. Der Katheter muss sich stets problemlos den! Falls es zu einer unbeabsichtigten Diskon-
einführen lassen. Unzartes Vorschieben ist un- nektion des Dauerkatheters (= DK) von dem
bedingt zu vermeiden. Bei erfolgreicher Blasen- ableitenden System kommt, muss das Katheter­
katheterisierung fließt normalerweise Urin ab. ende desinfiziert und ein neues Urinableitungs-
Der Katheterballon wird mit Aqua destillata ge- system angeschlossen werden. Die Katheterein-
blockt (bei Verwendung von NaCl 0,9 % kann es trittsstelle ist mindestens 2-mal pro Tag zu
bei lang liegendem Katheter zum Auskristalli- reinigen. Bei evtl. Verunreinigungen der Kathe-
sieren des NaCl kommen, wodurch u. U. ein tereintrittsstelle durch Kot oder sonstige Sekre-
Entblocken des Katheters verhindert werden te ist neben einer sorgfältigen Reinigung auch
kann). Der Katheter wird nach dem Blocken eine Desinfektion der Kathetereintrittsstelle
vorsichtig so weit zurückgezogen, bis Wider- vorzunehmen. Je nach Material dürfen Latex­
stand auftritt, das heißt der aufgeblasene Kathe- katheter 7–10 Tage und Silikonkatheter ca. 30
terballon vor dem Blasenausgang liegt. Stets ist Tage liegen bleiben. Danach ist im Rahmen der
darauf zu achten, dass die Vorhaut wieder zu- Infektionsprophylaxe ein Wechsel indiziert.
rückgestreift wird, um das Auftreten einer Para-
phimose (strangulierende Abschnürung der
Glans penis) im Falle einer Vorhautverengung Suprapubische
zu vermeiden. Blasenkatheterisierung
Bei Frauen ist eine entsprechende mehrmalige
Desinfektion von großen und kleinen Scham- Für die suprapubische Blasenkatheterisierung
lippen sowie des Urethraeingangs vorzuneh- stehen sterile Einmalsets (Cystofix, Fa. Braun
men. Mit der linken Hand wird die ganze Zeit Melsungen) zur Verfügung. Nach entsprechen-
der Genitalbereich gespreizt, während mit der der Desinfektion und Lokalanästhesie der vor-
rechten Hand steril gearbeitet wird. aussichtlichen Punktionsstelle erfolgt unter ste-
An den Blasenkatheter ist ein geschlossenes rilen Voraussetzungen (mit Haube, Mundschutz
Urinableitungssystem anzuschließen. Es ist stets und sterilem Kittel) die transkutane Punktion
darauf zu achten, dass der Blasenkatheter zug- der Blase (2 cm oberhalb der Symphysenmitte,
frei ist. 10–20 Grad zur Senkrechten nach kaudal). Die
Entscheidendes Risiko bei der transurethralen Punktion darf nur bei voller Blase durchgeführt
Katheterisierung ist die Infektionsgefahr. Sie werden. Gegebenenfalls muss die Blase über ei-
erfordert ein streng aseptisches Vorgehen. Auf nen zuvor transurethral eingeführten Blasenka-
Intensivstationen wird die transurethrale Bla- theter mit steriler Kochsalzlösung gefüllt wer-
senkatheterisierung daher häufig mit Mund- den.
schutz und Haube durchgeführt. Nach erfolgreicher Punktion und Entfernung
Um der großen Gefahr einer späteren, aufstei- der Punktionskanüle muss der Katheter sicher
genden Infektion vorzubeugen, sind Diskon- an der Haut festgenäht und die Punktionsstelle
nektionen des Blasenkatheters vom Urinablei- muss steril verklebt werden. Da suprapubische
tungssystem zu vermeiden. Katheter ein relativ dünnes Lumen (Durchmes-
ser) aufweisen, können sie leicht verlegt wer-
Vor evtl. Lagerungsmanövern des Patienten ist den.
! das Urinableitungssystem abzuklemmen, falls es
436 7  Intensivmedizin

Die Vorteile der suprapubischen Punktion ge- oder einer arteriellen Kanüle zu verhindern, ist
genüber der transurethralen Katheterisierung diese täglich mit einer antiseptischen Lösung
sind darin zu sehen, dass die Gefahr einer im zu reinigen. Anschließend ist ein steriler und
Krankenhaus erworbenen (nosokomialen) In- tro­ckener Verband anzulegen. Um Katheterin­
fektion sowie das Risiko einer Harnröhren-, fektionen vorzubeugen, müssen die angeschlos-
Hoden-, Nebenhoden- oder Prostataentzün- senen Infusionssysteme bzw. die zu den Mess-
dung oder die Gefahr einer Harnröhrenstriktur fühlern führenden Schläuche einmal pro Tag
geringer ist. Außerdem kann nach Abklemmen gewechselt werden, soweit kein Bakterienfilter
des suprapubischen (!) Katheters die Spontan- mit längerer Anwendungszulassung zwischen-
miktion trainiert und die Restharnbildung geschaltet ist. Ein unnötiges Manipulieren an
überwacht werden. diesen Kathetern ist zu vermeiden. Nicht ve-
Da bei einer suprapubischen Fehlpunktion nenreizende Medikamente sollten nicht über
Bauchorgane verletzt werden können, ist eine zentrale Venenkatheter, sondern möglichst über
suprapubische Punktion stets vom erfahrenen einen periphervenösen Zugang verabreicht
Arzt durchzuführen. Außerdem ist bei der werden. Infusionslösungen für die künstliche
Punktion eine sonographische Kontrolle sinn- intravenöse Ernährung sollten über einen Bak-
voll. terienfilter verabreicht werden. Fettemulsionen,
hochosmolare Infusionslösungen und Vitamine
Eine der häufigsten Ursachen für eine plötzliche dürfen jedoch nicht über Bakterienfilter laufen,
! Anurie ist ein verstopfter oder abgeknickter Urin- da sie zum Verschluss der Filter führen. Ca-
katheter! Der Katheter muss in diesem Falle unter techolamine sollten über speziell dafür zugelas-
sterilen Bedingungen mit physiologischer Koch- sene Filter verabreicht werden.
salzlösung durchgespült oder entknickt werden.

7.11.4 Blutige arterielle
Druckmessung
7.11.3 Zentraler Venenkatheter (→  S. 191)
(→  S. 185)

Bei Intensivpatienten wird häufig ein zentraler 7.11.5 Pulmonalarterienkatheter


Venenkatheter platziert, um den zentralen Ve- (→  S. 197)
nendruck bestimmen, eine parenterale Ernäh-
rung durchführen und/oder um Medikamente
(z. B. Catecholamine) langfristig verabreichen 7.11.6 Thoraxdrainage
zu können. Eine parenterale Ernährung über
eine periphervenöse Verweilkanüle ist nicht Normalerweise muss eine Thoraxdrainage plat-
sinnvoll, falls höher osmolare Lösungen (> 800 ziert werden, falls sich im Pleuraspalt
mOsmol/l) verabreicht werden sollen. Sie wür- ● Luft

den zu einer Schädigung der dünnen periphe- (Pneumothorax),


ren Venen führen. Bei der Infusion über einen ● Blut

zentral liegenden Kavakatheter können Venen- (Hämatothorax),


reizungen vermieden werden, da es in großen ● Transsudat

Venen zu einer guten Vermischung der Infusi- (zell- und proteinarmes Sekret, spezifisches
onslösung mit dem Blut kommt. Gewicht < 1 016; Proteingehalt < 30 g/l, z. B.
Um eine Infektion der Kathetereintrittsstelle ei- Pleuraerguss),
nes Kavakatheters, Pulmonalarterienkatheters ● Exsudat
7.11  Sonde, Katheter und Drainage 437

(entzündlich bedingtes, trübes Sekret, spezi- re Thoraxdrainage oft im zweiten oder dritten
fisches Gewicht > 1 016; Proteingehalt > 30 Interkostalraum in der Medioklavikularlinie
g/l, z. B. Pleuraempyem) und/oder eingeführt (Monaldi-Drainage). Es wird in
● versehentlich über einen fehlplatzierten zen- Richtung Schulter punktiert. Häufiger wird bei
tralen Venenkatheter infundierte Flüssigkeit einem Pneumothorax auch (genauso wie bei ei-
(Infusionsthorax) nem Pleuraerguss; →  unten) im vierten oder
befindet. fünften Interkostalraum in der mittleren oder
hinteren Axillarlinie punktiert und die Tho-
Ursachen für einen Pneumothorax sind z. B. raxdrainage dann nach ventral vorgeschoben.
Fehlpunktionen mit Pleuraverletzung bei Anla- Soll Flüssigkeit aus dem Interpleuralraum abge-
ge eines zentralen Venenkatheters (→  S. 185) lassen werden, so wird normalerweise in der
oder spontane bzw. traumatische Lungenverlet- mittleren oder hinteren Axillarlinie im vierten
zungen. oder fünften Interkostalraum punktiert (=
Bülau-Drainage).
Bildet sich im Bereich der Verletzungsstelle ein Hierzu sollte der Oberkörper des Patienten zur
! Ventilmechanismus aus, das heißt, Luft tritt Punktion angehoben werden, sodass sich die
zwar aus der Lunge in den Pleuraspalt über, kann Flüssigkeit unten (im Punktionsbereich) an-
aber nicht mehr aus dem Pleuraspalt in die Lunge sammelt und die Gefahr einer punktionsbe-
zurückströmen, so entwickelt sich ein ständig grö- dingten Lungenverletzung minimiert wird. Die
ßer werdender Pneumothorax (Spannungspneu- Spitze der Thoraxdrainage sollte nach dorsal
mothorax). (wo sich die Flüssigkeit beim liegenden Patien-
ten ansammelt) vorgeschoben werden.
Die Gefahr eines Spannungspneumothorax ist Beim Einführen einer Thoraxdrainage ist zu
insbesondere bei künstlich beatmeten Patienten beachten, dass am Unterrand jeder Rippe eine
mit einer Lungenverletzung sehr groß. Ein Span- Arterie und eine Vene verlaufen. Zur Minimie-
nungspneumothorax führt zur Kompression der rung der Verletzungsgefahr der Lunge sollte im
verletzten Lunge und letztlich zur Verdrängung entsprechenden Interkostalraum der Zugangs-
des Mediastinums zur Gegenseite mit Kompres- weg möglichst stumpf mit Schere und Finger
sion großer venöser Gefäße und damit zur Dros- präpariert sowie gespreizt und erweitert werden
selung des venösen Rückflusses mit Kreislauf- (sog. Minithorakotomie). Die Thoraxdrainage
problemen. Ein Spannungspneumothorax kann nun – unter digitaler Führung – ohne Me-
kann klinisch festgestellt werden anhand von: tallmandrin bis in die Pleurahöhle eingeführt
● hypersonorem Klopfschall werden. Soll Luft drainiert werden, genügt eine
● einseitig fehlenden Atemgeräuschen dünne Thoraxdrainage (z. B. 24–28 Charrière),
● einseitigen Thoraxexkursionen soll Flüssigkeit drainiert werden, sollte eine di­
● Oxygenierungsproblemen ckere Drainage (28–32 Charrière) verwendet
● Kreislaufproblemen werden. Anschließend wird der Schlauch mit
einer Tabaksbeutelnaht im Hautniveau ange-
Es ist eine sofortige Entlastung angezeigt. Hier- näht. Die Tabaksbeutelnaht wird später beim
zu wird unter sterilen Bedingungen eine groß- Ziehen der Drainage schnell zusammengezo-
lumige Thoraxdrainage mit Trokar in den Pleu- gen, dadurch kann der Eintritt von Luft in den
raspalt eingeführt (normalerweise bei Männern Pleuraspalt verhindert werden.
32 Charrière, bei Frauen 28 Charrière; →  un- An eine Thoraxdrainage ist ein entsprechendes
ten). In Notsituationen kann initial auch eine Drainagesystem anzuschließen. Dieses Drai-
großlumige periphervenöse Verweilkanüle ein- nagesystem besteht zumeist aus Sekretauffang-
geführt werden. behälter, sog. Wasserschloss und Saugvorrich-
Im Falle eines Pneumothorax wird eine dünne- tung (Abb. 7-15a–e).
438 7  Intensivmedizin

b
Abb. 7-15 Thoraxdrainage.
a Einflaschensystem, das als Sekretauf-
fangkammer und als Wasserschloss
fungiert (Eintauchtiefe des Wasser-
schlossstabes sollte stets ca. 2–3 cm
betragen und muss bei Sekretnachfluss
ggf. korrigiert werden). b Zweiflaschen-
system; die erste Flasche dient als
Sekretauffangkammer, die zweite
Flasche als Wasserschloss. Bei Sekret-
nachfluss verändert sich die Eintauch-
tiefe des Wasserschlossstabes nicht.
c Dreiflaschensystem mit aktiver Sau-
gung; die erste Flasche dient als Sekret­
auffangkammer, die zweite Flasche als
Wasserschloss und die dritte Flasche
dient dem Anschluss des Sogs und der
c
Sogregulierung.
7.11  Sonde, Katheter und Drainage 439

Abb. 7-15 Thoraxdrainage.
d Pleur-evac®-System zum Einmal­ d
gebrauch. 1 = Saugschlauch;
2 = Saugerkammer (wird die
Saugerkammer z. B. 15 cm hoch mit
Wasser gefüllt, dann ergibt sich ein
Sog von –15 cm H2O (die Füllhöhe des
Wassers entspricht bei diesem System
im Prinzip der Einführtiefe des Steig-
rohres bei anderen Systemen; vgl.
Text); 3 = Wasserschloss; 4 = Auffang-
kammern 1 und 2; 5 = Thoraxdraina-
gen 1 und 2.
e Manchmal eingesetzte Konstruktion,
bei der die Funktion der zweiten und
dritten Flasche kombiniert werden
e
(vgl. Abb. 7-15c).

Thoraxdrainagesysteme wurden von Einfla- Flüssigkeit aus dem Pleuraspalt entweichen und
schensystemen über die Zweiflaschensysteme es kann gleichzeitig verhindert werden, dass Luft
zu den Dreiflaschensystemen weiterentwickelt. wieder zurück in den Pleuraspalt gelangt (= sog.
Die heute üblichen Drainagesysteme beruhen Wasserschloss). Das Drainagesystem muss stets
zumeist auf dem Funktionsprinzip der Dreifla- unterhalb des Patiententhorax und in stehender
schensysteme. Position gelagert werden, damit Flüssigkeit drai-
Bei den Einflaschensystemen (Abb. 7-15a) wird nieren und das Wasserschloss funktionieren
eine teilweise mit Flüssigkeit gefüllte Flasche kann. Entweicht Luft aus der Lunge (besteht z. B.
verwendet, wobei der Drainageschlauch (Was- eine sog. Lungenfistel), dann blubbert es am
serschlossstab) stets ca. 2–3 cm in die Flüssigkeit Wasserschloss kontinuierlich (Abb. 7-15a).
eintauchen muss. Hierdurch können Luft und Fließt über die Thoraxdrainage Sekret in die Fla-
440 7  Intensivmedizin

sche und steigt daher der Flüssigkeitsspiegel an, 15 cm H2O – 3 cm H2O = 12 cm H2O). Taucht al-
dann muss wiederholt der Wasserschlossstab lerdings der Stab des Wasserschlosses versehent-
nachgestellt werden, sodass er stets ca. 2–3 cm lich viel zu tief unter Wasser (z. B. 10 cm), dann
unter den Wasserspiegel reicht. Je tiefer der Was- beträgt der tatsächlich wirksame Sog nur noch
serschlossstab in die Flüssigkeit tauchen würde, 15 cm H2O – 10 cm H2O = 5 cm H2O. In diesem
desto schwerer könnte evtl. Luft nur entweichen. Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die
Damit nicht laufend der Wasserschlossstab Schläuche des Thoraxdrainagesystems nicht
nachkorrigiert werden muss, werden Sekret- siphonartig durchhängen und Flüssigkeit enthal-
kammer und Wasserschloss zumeist getrennt. ten dürfen. Ansonsten muss die Höhe dieser
Dies ist im Zweiflaschensystem realisiert. Wassersäule durch den Sog ebenfalls erst über-
Das Zweiflaschensystem (Abb. 7-15b) besteht wunden werden und der tatsächlich wirksame
aus einer ersten Flasche für den Sekretauffang Sog wird noch um die Höhe dieser Wassersäule
und einer zweiten Flasche für das Wasser- gemindert (wirksamer Sog = eingestellter Sog
schloss. Sekretsammelkammer und Wasser- minus Tiefe des Wasserschlosses minus Höhe
schloss sind getrennt. Läuft Flüssigkeit in die evtl. Flüssigkeitsspiegel in den Schläuchen).
Sammelkammer nach, hat dies keinen Einfluss Oft werden als Thoraxdrainagesysteme auch
auf das Wasserschloss. Der Wasserschlossstab Einwegsysteme verwendet. Die in Deutschland
braucht also nicht nachjustiert werden. häufig eingesetzten Einwegsysteme (v. a. Pleur-
Beim Dreiflaschensystem (Abb. 7-15c) dient die evac® [Abb. 7-15d] und Sential Seal®) beruhen
erste Flasche als Sekretauffangkammer, die auf dem Prinzip des Dreiflaschensystems. Diese
zweite Flasche als Wasserschloss und die dritte, Einwegsysteme besitzen noch zusätzliche Si-
nachgeschaltete Flasche dem Anschluss eines cherheitsventile (z. B. Positivitätsventil, Negati-
Vakuums (Sogs) und der Regulierung der Sog- vitätsventil).
stärke. Beim Anschluss eines Thoraxdrainage- Manchmal werden auch Konstruktionen einge-
systems an eine der in Krankenhäusern übli- setzt (Abb. 7-15e), bei denen die Funktion der
chen Vakuumanschlüsse ist zu beachten, dass zweiten und dritten Flasche in einer Flasche
dieser Anschluss nur einen konstanten Sog er- kombiniert sind. Die erste Flasche entspricht
möglicht. Daher muss die dritte Flasche eine der Sekretauffangflasche und die zweite Flasche
Sogregulierung ermöglichen. Über die Ein- erfüllt die Funktion des Wasserschlosses und
tauchtiefe eines zur Atmosphäre hin offenen, der Saugregulierung (vgl. Abb. 7-15c).
hohlen Steigrohres kann der an der Flasche an- Um ein Verstopfen der Thoraxdrainage durch
gelegte konstante Sog reguliert werden. Wird Koagel zu verhindern, muss der ableitende
durch den angelegten Sog nun Luft über das zu- Schlauch intermittierend „ausgemolken“ wer-
meist 15–20 cm tief eingetauchte Steigrohr den. Die Punktionsstelle muss täglich gereinigt,
(Abb. 7-15c) angesaugt, dann blubbert es konti- inspiziert, desinfiziert und neu verbunden wer-
nuierlich am Steigrohr und der Sog beträgt –15 den. Besteht eine Verbindung (Fistel) zwischen
bis –20 cm H2O. Würde das Steigrohr nur 10 cm der Lunge und dem Unterhautzellgewebe, so
tief unter Wasser geführt, dann würde der ent- kann sich die Luft bei ungenügender Drainage-
standene Sog nur –10 cm H2O betragen. funktion in diesem Gewebe ansammeln und es
Der Sog wird normalerweise auf ca. –5 bis kommt zu einem knisternden Hautemphysem.
–20 cm H2O (= 5–20 cm Eintauchtiefe des Steig- Die abgesaugte Flüssigkeitsmenge wird überprüft
rohrs eingestellt; häufig ca. 15 cm H2O). Bei der und dokumentiert. Falls der Patient Fieber un-
Einstellung des Sogs ist allerdings zu beachten, klarer Ursache hat, sollte 2-mal pro Woche eine
dass der tatsächlich im Pleuraraum wirksame Sog Probe zur bakteriologischen Kontrolle aus der
sich aus der Differenz zwischen eingestelltem Sog abgesaugten Flüssigkeit entnommen werden.
(z. B. –15 cm H2O) minus Höhe des Wasser- Soll ein beatmeter Patient mit Thoraxdrainage
schlosses (z. B. 3 cm H2O; → S. 339) ergibt (z. B. transportiert werden, so darf die Thoraxdrainage
7.12  Wundversorgung 441

nicht abgeklemmt werden. Bei Abklemmung be- von einer primären Wundheilung gesprochen.
steht die Gefahr eines Spannungspneumothorax Dieser Heilungsverlauf kann in folgende 3 Sta-
(→  S. 295). Beim Patiententransport sollen (so- dien unterteilt werden:
wohl beim beatmeten als auch spontan atmen- ● Latenz- oder Exsudationsphase:

den Patienten) Thoraxdrainagesysteme mit Was- In der Latenz- oder Exsudationsphase füllen
serschloss ohne Saugung angeschlossen bleiben kleine, eröffnete Blut- und Lymphgefäße den
und mitgenommen werden. Aufgrund des Was- entstandenen Defekt solange mit Wundse-
serschlosses kann ggf. Luft über das Wasser- kret, bis die Gerinnung und die Vasokon-
schloss aus dem Pleuraspalt entweichen, aber es striktion den Vorgang stoppen und die Wun-
kann keine Luft über die Thoraxdrainage in den de verklebt (Schorfbildung). Daraufhin
Pleuraspalt gelangen. Für den Patiententransport werden evtl. vorhandene Keime von den aus
kann die Thoraxdrainage aber auch mit einem den Kapillaren einwandernden Granulozy-
sog. Heimlich-Ventil versehen werden, das an ten, Histiozyten und Fibroblasten phagozy­
das Schlauchende angesteckt wird. Es lässt Luft tiert. Dieses Stadium dauert etwa 4 Tage.
aus dem Pleuraspalt entweichen, aber umgekehrt ● Proliferationsphase:

keine Luft von außen in den Pleuraspalt hinein. In der Proliferationsphase sprießen, von den
Wundrändern ausgehend, Kapillaren in das
Wundbett ein, Fibroblasten bilden Kollagen-
vorstufen, und innerhalb von 4–7 Tagen be-
7.12 Wundversorgung ginnt die Wunde zu schrumpfen und deren
Festigkeit nimmt zu.
Mechanische, thermische, chemische und strah- ● Regenerations- oder Reparationsphase:

lenbedingte Einwirkungen können zu Gewebe- In der Regenerations- oder Reparationsphase


schäden mit Ausbildung einer Wunde führen. vernetzen und stabilisieren sich die Kollagenfa-
sern weiter und es kommt etwa ab dem achten
Ziel einer geeigneten Wundversorgung ist es, ei- Tag zur Narbenbildung.
! ne Keimbesiedelung und Infektion der Wunde zu
verhindern und eine möglichst komplikationslose Langwieriger ist eine sekundäre Wundheilung.
Wundheilung zu ermöglichen. Wunden, die stark verschmutzt, infiziert oder äl-
ter als 8 Stunden sind (und damit als potenziell
Der anzulegende Wundverband hat dabei die infiziert gelten), dürfen nicht durch Adaption der
Aufgabe, die Wunde vor mechanischer Belas­ Wundränder versorgt werden. Sie müssen „of-
tung und dem Eindringen von Keimen zu fen“ abheilen, weil ein operativer Verschluss der
schützen. Außerdem sollen überschüssige Se- infizierten Wunde eine Heilungsverzögerung
krete aufgesaugt und ein die Heilung begünsti- verursacht und eine Abszessbildung begünstigt.
gendes Wundmilieu geschaffen werden. Der Heilungsverlauf ist durch das meist klaffen-
de Wundbett erschwert, das keine Vernetzung
der an den Wundrändern einsprießenden Kapil-
7.12.1 Wundheilung laren zulässt. Die Wunde granuliert langsam un-
ter starker Blutungsneigung (selbst bei leichter
Eine Wunde kann primär oder sekundär heilen. Berührung) zu, bis sie letztlich unter dem Wund-
Handelt es sich um eine aseptische (Operati- schorf epithelialisiert. Es entsteht eine breite Nar-
ons-)Wunde oder um eine traumatische Wun- be mit möglicher Funktionseinschränkung.
de, die sauber und jünger als 6–8 Stunden ist, so Typische Entzündungszeichen einer infizierten
kann die Wunde in der Regel spontan oder aber Wunde sind Rötung (Rubor), Überwärmung
nach Naht (und damit Adaption der Wundrän- (Calor), Schwellung (Tumor), Schmerz (Dolor)
der) innerhalb weniger Tage abheilen. Es wird und eingeschränkte Funktion (Functio laesa).
442 7  Intensivmedizin

Heilungsstörungen können verursacht sein schaften der Wunde (trocken oder sezernie-
durch Primärerkrankungen wie Diabetes melli- rend) muss der Verband einmal oder mehrmals
tus, periphere arterielle Verschlusskrankheit (= täglich gewechselt werden. Unauffällige reizlose
PAVK), chronisch venöse Insuffizienz, Polyneu- Wunden können bereits nach wenigen Tagen
ropathie, immunsuppressive Behandlung oder ohne Verband belassen werden.
Druckbelastung. Ursache der verzögerten oder Als Auflagen dienen bei der trockenen Wund-
unzureichenden Heilung ist dabei die mangelnde versorgung:
Durchblutung des geschädigten Gewebes. Auch ● Kompressen:

Komplikationen wie Hämatombildung, Infektion Die herkömmlichen Kompressen können im


und Wunddehiszenz stören den Heilungsverlauf. Prinzip auf alle Wunden aufgebracht wer-
den, die mit trockenem Wundverband zu
versorgen sind. Praktisch werden sie jedoch
7.12.2 Materialien – je nach Beschaffenheit der Wunde – häufig
zur Wundbehandlung durch andere trockene Auflagen mit spezifi-
schen Eigenschaften ersetzt und werden nur
In erster Linie wird zwischen Materialien zur zu deren Abdeckung verwendet.
Wundauflage und Materialien zur Verbandsfi- ● Schlitzkompressen:

xierung unterschieden: Sie kommen bei der Versorgung von Draina-


● Materialien zur Wundauflage: geneinstichstellen zum Einsatz. Sie werden
Als Wundauflagen kommen sowohl trocke- mit Kompressen abgedeckt, wobei ein Ab-
ne als auch feuchte Wundverbände zur knicken oder eine Lumeneinengung der
Anwendung. Daneben können Salben zur Drainage zu vermeiden ist.
enzymatischen Wundreinigung und Haut- ● nicht haftende Kompressen:

schutzfilme (zum Schutz der die Wunde um- Sie sind von einer Vliesumhüllung umgeben
gebenden intakten Haut) zur Wundbehand- und werden auf leicht sezernierende Wun-
lung mitverwendet werden. den aufgelegt. Die herkömmlichen Kom-
● Materialien zur Verbandfixierung: pressen würden mit solchen Wunden leicht
Die Fixierung von Wundauflagen erfolgt, so- verkleben und bei der Entfernung könnte
weit sie nicht selbstklebend sind, mit (un-) leicht eine erneute Verletzung verursacht
elastischem Pflaster, (un-)elastischen Binden werden.
oder (un-)elastischem Klebemull. ● Saugkompressen:

Diese Kompressen gibt es mit oder ohne


nicht haftende Eigenschaften. Saugkompres-
Trockene Wundbehandlung sen sind im Inneren mit einem Saugkörper
ausgestattet, der größere Sekretmengen auf-
Indikationen für die trockene Wundbehand- nehmen kann als eine übliche Kompresse.
lung sind: Die Saugkompresse wird auf stark sezernie-
● trockene, aseptische, primär heilende Wun- rende Wunden aufgelegt oder zur Abde­
den ckung bei der feuchten Wundbehandlung
● stark sezernierende, aseptische oder septi- (→  S. 443) herangezogen.
sche Wunden ● Salbenverbände:
● oberflächliche Erosionen Sie sind mit Zusätzen wie z. B. Povidon-Iod
● Einstichstellen oder mit paraffinhaltiger Salbe (ohne Wirk-
stoff) im Handel. Daneben können spezielle
Bei einem trockenen Wundverband handelt es Salben zur Wundreinigung auf eine Wunde
sich um trockene Wundauflagen, zum Teil mit aufgebracht und mit einem trockenen Ver-
medikamentösen Zusätzen. Je nach den Eigen- band abgedeckt werden. Die Anwendungs-
7.12  Wundversorgung 443

gebiete entsprechen denen der nicht haften- band medikamentös wirksame Zusätze,
den Kompressen (→  S. 442). meist zur Desinfektion, beigefügt werden.
● Pflaster: Wichtig ist, dass ein feuchter Kompressen-
Sie eignen sich zur Abdeckung trockener verband stets feucht gehalten wird, damit
Einstichstellen oder Operationswunden. seine Wirkung aufrechterhalten wird. Dazu
sind häufige Verbandswechsel nötig, die al-
lerdings eine mögliche Kontamination der
Feuchte Wundbehandlung Wunde begünstigen. Es ist daher auf ein
sorgfältiges Arbeiten zu achten. Anwen-
Indikationen für die feuchte Wundbehandlung dungsgebiete für angefeuchtete Kompressen
sind: können septische, sekundär heilende, chro-
● septische, sekundär heilende Wunden nische offene Wunden und Weichteilverlet-
● offene Weichteilverletzungen zungen sein. In der Praxis wird allerdings die
● offene chronische Wunden Arbeit mit den speziellen Wundverbänden
● Verbrennungswunden (→  S. 481) bevorzugt, soweit keine Kontraindikationen
● oberflächliche Erosionen vorliegen (→  unten). Diese führen zudem zu
● Einstichstellen einem beschleunigten Heilungsverlauf.
● transparente Wundverbände:

Zur feuchten Wundbehandlung stehen 2 grund- Sie bestehen aus selbstklebenden semiper-
sätzlich verschiedene Methoden zur Auswahl. meablen Folien. Damit können reizlose tro­
Je nach Eigenschaften und Beschaffenheit der ckene Einstichstellen, wie z. B. Einstichstel-
Wunde wird die Versorgung mit angefeuchte- len von intravasalen Kathetern oder supra-
ten herkömmlichen Kompressen oder mit spe- pubischen Blasenkathetern, versorgt werden.
ziellen Wundverbänden bevorzugt. Gegenüber der Versorgung mit Pflasterver-
Als Auflagen dienen bei der feuchten Wund- bänden haben sie den Vorteil, dass sie wegen
versorgung: ihrer Transparenz eine kontinuierliche Wund­-
● angefeuchtete Kompressen: inspektion zulassen und mehrere Tage belas-
Die herkömmliche Methode besteht darin, sen werden können.
dass angefeuchtete Kompressen auf die Wun- ● Hydrokolloidverbände (= HKV):

de aufgebracht und diese dann trocken abge- Sie schaffen ein feuchtes, körperwarmes
deckt werden. Zur Anfeuchtung wird Rin- Wundmilieu. Ihre semipermeable Folien las-
ger-Lösung empfohlen, die ein breiteres sen den Gasaustausch zu, ermöglichen die
Angebot an Elektrolyten bietet als die phy- Abgabe überschüssiger Feuchtigkeit nach
siologische Kochsalzlösung. Dies scheint für außen, sind aber von außen her was-
die Wundheilung von Vorteil zu sein. Häufig serundurchlässig. Die Verbände enthalten
wird zur Anfeuchtung auch Lavasept® ver- hydrophile Partikel. Die hydrophilen Parti-
wendet. Die feuchte Wundbehandlung hat kel nehmen unter Aufquellen Wundsekret
zum Ziel, nicht epithelialisiertes Gewebe vor auf, binden es und bilden eine Gelmasse, die
dem Austrocknen zu bewahren und ein sich beim Verbandswechsel leicht von der
feuchtes, körperwarmes Milieu zur Unter- Wunde entfernen lässt. Flexible HKV
stützung der Wundheilung zu schaffen. Da- können viel Wundsekret aufnehmen. An-
neben kann die entstehende Verdunstungs- wendungsgebiete sind offene chronische
kälte bei entzündlich veränderten Wunden Wunden und Weichteilverletzungen, Ver-
als angenehm empfunden werden. Bei Ver- brennungswunden vom Grad I und II sowie
wendung hyper- oder hypotoner Lösungen oberflächliche Erosionen. Bei Verbrennungs-
kann zudem eine osmotische Wirkung er- wunden vom Grad I oder II bzw. oberflächli-
zielt werden. Außerdem können dem Ver- chen Erosionen mit geringer Sekretion kom-
444 7  Intensivmedizin

men transparente HKV zur Anwendung. Die Infizierte Wunden sollten mit Ringer-Lösung
Verbände sollten je nach Sekretion der Wun- gereinigt werden. Anschließend sind die Wun-
de mehrere Tage belassen werden. Nicht an- den – je nach Sekretion – mit feuchten oder
gewendet werden sollte der HKV bei infi- trockenen Kompressen (mit oder ohne Medika-
zierten Wunden, bei Nekrosen oder auf mentenzusatz) steril zu bedecken und zu ver-
Wunden, in denen Muskeln, Sehnen oder kleben (→  S. 442). Dadurch soll eine von der
Knochen frei liegen. Wunde ausgehende Verunreinigung der Umge-
● Alginate: bung ausgeschlossen werden.
Hierbei handelt es sich um Wundauflagen mit Eine Besonderheit stellt dabei die Versorgung
einem besonders hohen Quellvermögen. Sie eines septischen (offenen) Bauchs dar. Manch-
eignen sich daher für sehr stark sezernierende mal wird ein Vicrylnetz mit Reißverschluss ein-
Wunden. Meist handelt es sich um Calciumal- genäht damit ggf. wiederholt eine Peritoneal-La­
ginate, die Calcium an die Wunde abgeben und vage durchgeführt werden kann (→  S. 472). Auf
Natrium aus der Wunde aufnehmen. Dabei dieses Netz werden Kompressen, die mit Ringer-
entsteht eine Gelmasse, die Wundsekrete, Ge- Lösung angefeuchtet sind, gelegt. Dabei soll der
webereste und Mikroorganismen einschließt nicht epithelisierte Wundrand völlig bedeckt
und sich beim Verbandswechsel leicht entfer- sein, um eine Austrocknung zu verhindern. Die
nen lässt. Weil Alginate nicht selbstklebend umliegende intakte Haut muss aber unbedingt
sind, bietet sich die Abdeckung mit einem Hy- trocken gehalten werden, um sie vor Mazeration
drokolloidverband an. zu schützen. Es empfiehlt sich, diese mit einem
Hautschutzfilm zu versehen. Die feuchten
Zur Wundversorgung stehen also eine Reihe Kompressen sind mit trockenen Kompressen
von Verbandsarten zur Verfügung, die indivi- abzudecken und werden mit einer Bauchbinde
duell, das heißt je nach Beschaffenheit und fixiert, die eine Wunddehiszenz verhindern soll.
Besonderheiten einer Wunde, ausgesucht und Je nachdem, wie stark die Wunde sezerniert, ist
angewandt werden müssen. Weil der Verbands- ein 2- bis 6-stündlicher Verbandswechsel indi-
wechsel primär eine ärztliche Tätigkeit darstellt, ziert.
muss das Pflegepersonal das Vorgehen bei der
Wundversorgung mit dem behandelnden Arzt
absprechen. Die Art der Wundversorgung ist Dekubitus (→  S. 428)
vom Arzt anzuordnen.
Bei der Dekubitusbehandlung wird bei tiefen,
nicht infizierten Dekubitalulzera unter sterilen
7.12.3 Spezielle Wundbehandlung Bedingungen eine Wundreinigung mit Pinzette
und Schere (durch den Arzt) vorgenommen,
Im Folgenden werden einige Wundarten, die um abgestorbenes Gewebe zu entfernen, falls
bei intensivpflichtigen Patienten häufiger vor- eine enzymatische Wundreinigung nicht aus-
kommen und die aufwendig versorgt werden reichend ist. Die Dekubituswunde wird mit
müssen, näher beschrieben. Ringer-Lösung gespült. Obwohl Dekubitalulze-
ra keine aseptischen Wunden darstellen, wer-
den sie bevorzugt mit Hydrokolloidverbänden
Septische oder infizierte Wunden versorgt. Unter dieser Therapie findet nachweis-
lich eine Keimreduktion statt. Bei tiefen Wun-
Infizierte Wunden sind, obwohl sie bereits konta- den sollte vorher eine Alginatkompresse einge-
! miniert sind, immer unter sterilen Bedingungen zu legt werden.
versorgen, um eine weitere Kontamination zu ver- Bei Verdacht auf eine Infektion des Dekubital­
meiden! ulkus ist vor der Spülung ein Wundabstrich zu
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 445

entnehmen. Entsprechend dem Erregernach- Schutzfolie) einen guten Schutz der Darm-
weis kann eine lokale oder systemische Behand- schlingen ermöglichen (Abdominal-V. A. C.).
lung mit Antibiotikum oder Antimykotikum
indiziert sein. Aufgebrachte Salben sind dann
mit nicht haftenden Kompressen abzudecken.
Nach Abklingen der Lokalinfektion kann wie 7.13 Spezielle
bei nicht infizierten Dekubitalulzera vorgegan- Krankheitsbilder
gen werden. Sorgfältig ist darauf zu achten, dass
Dekubitalulzera vor der Einwirkung von Stuhl,
Urin oder anderen Sekreten geschützt werden. 7.13.1 Lungenerkrankungen
Akutes Lungenversagen
Chronische Wunden,
große Weichteilverletzungen,
Nach unterschiedlichsten Schädigungen der
 Lunge kann es zu einem akuten Lungenver-
Knochen- und Weichteilinfekte
sagen kommen. Es wird zwischen ARDS (=
Bei diesen schwer zu versorgenden Wunden hat acute respiratory distress syndrome) und
sich als eine neue Methode der Wundbehand- ALI (= acute lung injury) unterschieden.
lung die sog. Vakuumversiegelung (= V. A. C. = Das ARDS (schwere Form des akuten Lungenver-
vacuum assisted closure) bewährt. Auf das sagens) ist gekennzeichnet durch:
Wundgewebe werden speziell gefertigte sterile – akuter Beginn
Schaumstoffe aufgelegt, aus denen dünne – Tachypnoe
Schläuche abgeleitet werden. Über das gesamte – beidseitige Lungenverschattungen im Röntgen-
Wundgebiet und die eingebrachten Schaum- bild des Thorax (wobei ein kardiales Lungen-
stoffe wird eine transparente, selbstklebende ödem ausgeschlossen werden kann)
und semipermeable Folie geklebt. Wichtig ist – schwere Oxygenierungsstörung:
dabei, dass die Folie absolut dicht hält. An die Der sog. Oxygenierungsindex (paO2/FiO2) beträgt
austretenden Schläuche wird bei kleinen Wun- < 200 mm Hg.
den eine Redonflasche mit Sog, bei größeren Für das ALI (leichtere Form des akuten Lungenver-
eine Vakuumsaugung mit einem Sog von –70 sagen) gilt:
bis –125 mm Hg angeschlossen. Damit wird die Definition wie ARDS (→ oben), der Oxygenie-
Luft unter der Folie entfernt und die Wundrän- rungsindex ist mit < 300 mm Hg jedoch um eini-
der werden dadurch leicht adaptiert. Die Folie ges besser.
wirkt als Schutzbarriere gegen den Eintritt von
Mikroorganismen. Durch kontinuierliche Drai- Ätiologie
nage der Wundsekrete wird möglichen Keimen Ein ARDS oder ALI kann Folge sein von:
der Nährboden entzogen. Gleichzeitig führt die ● Aspiration

Sogwirkung zu einer Stimulation der Gewebe- ● Polytrauma

neubildung. Ein Verbandswechsel ist immer ● Sepsis

dann notwendig, wenn wegen Undichtigkeit ● Schock

kein ausreichender Sog mehr gewährleistet ist ● schwerer Pneumonie

und der Verband von Sekret unterwandert ist, ● Ileus

spätestens aber nach 4 Tagen. Auf offen liegen- ● Fettembolie, Fruchtwasserembolie

de Darmschlingen darf kein Sog ausgeübt wer- ● Pankreatitis

den. Inzwischen liegen spezielle V. A. C. Abdo- ● Massentransfusion

minal Dressing Systeme vor, die (durch eine ● anderen Ursachen

spezielle, auf die Darmschlingen aufzulegende


446 7  Intensivmedizin

Pathophysiologie ratorische Sauerstoffkonzentration sollte so


Die einem ARDS oder ALI zugrunde liegende niedrig wie möglich gewählt werden, sodass ge-
Störung verursacht eine Aktivierung des kör- rade noch eine ausreichende arterielle Sauer-
pereigenen Komplementsystems. Dies führt stoffsättigung erzielt wird. Meist wird ein paO2
dazu, dass sich Granulozyten im Bereich der von > 60 mm Hg bzw. eine arterielle Sauerstoff-
Lungenkapillaren anheften. Aus diesen Granu- sättigung von > 90 % als ausreichend akzeptiert.
lozyten werden toxische Substanzen freigesetzt, Bei Erhöhung der inspiratorischen Sauerstoff-
die zu einer Kapillarschädigung und einer Stei- konzentration nimmt der paO2 nur geringgra-
gerung der Kapillarpermeabilität im Bereich dig zu (→  S. 344). Die optimale Einstellung des
der Lunge führen. Dadurch kommt es zu einem Beatmungsgerätes ist schwierig und muss an-
Übertritt von Plasma in das Lungeninterstiti- hand zahlreich durchgeführter Blutgasanalysen
um, es entwickelt sich zuerst ein Ödem des wiederholt korrigiert werden. Aufgrund der ab-
Lungenparenchyms (interstitielles Lungen- nehmenden Compliance drohen relativ hohe
ödem) und danach ein intraalveoläres Lun- Beatmungsdrücke (mit der erhöhten Gefahr ei-
genödem. nes Barotraumas).
Bei längerfristigem Bestehen dieser primär re- Konventionelle Beatmungskonzepte mit hohen
versiblen Lungenveränderungen kommt es zu Atemhubvolumina, hohen Beatmungsdrücken
fibrotischen Veränderungen des Lungenparen- und hoher inspiratorischer Sauerstoffkonzen-
chyms. Die Dehnbarkeit der Lunge (Com­ tration haben sich als nachteilig erwiesen. In-
pliance) und die funktionelle Residualkapazität zwischen ist es nicht mehr oberstes Ziel, Nor-
nehmen ab, die Produktion des Surfactants ist malwerte für paO2, paCO2 und pH-Wert
gestört, es entwickeln sich Atelektasen. Das anzustreben, sondern beatmungsinduzierte
Ventilations/Perfusions-Verhältnis wird negativ Lungenschädigungen sollen primär vermieden
beeinflusst, es kommt zur Ausbildung von werden. Dies kann meist durch die folgenden
Rechts-links-Shunts (→  S. 263, 344, 354). Der Maßnahmen erreicht werden:
Pulmonalarteriendruck ist erhöht. ● spezielles Beatmungsmuster

(lungenprotektive Beatmung; Open-Lung-


Klinik Konzept; →  S. 447)
Klinisch fallen neben Tachypnoe und Dyspnoe ● 4-Seiten-Lagerung

deutlich gesteigerte Atemarbeit, Tachykardie ● Gabe von Diuretika

und Hypoxämie auf. In der späteren Krank- ● Flüssigkeitsrestriktion

heitsphase tritt eine zusätzliche Hyperkapnie ● ggf. Inhalation von Stickstoffmonoxid

auf. (NO führt zu einer selektiven Perfusionsstei-


gerung in den ventilierten Lungenbezirken,
Diagnostik verbessert dadurch die Oxygenierung und
Bei einem akuten Lungenversagen (z. B. auf- ermöglicht eine niedrigere FiO2 und niedri-
grund einer schweren Aspiration) kann der gere Beatmungsdrücke)
Röntgenbefund in der Anfangsphase relativ un- ● ggf. extrakorporale Membranoxygenierung

auffällig sein und in deutlichem Kontrast zu ei-


ner ausgeprägten klinischen Symptomatik ste- Da bei hohen Beatmungsdrücken die Gefahr
hen. Im Spätstadium der Erkrankung zeigt sich eines Barotraumas (z. B. Pneumothorax, Haut-,
röntgenologisch oft eine milchig weiße Ver- Mediastinalemphysem) und bei Überdehnung
schattung der Lunge. der Alveolen durch ein zu hohes Volumen ein
sog. Volutrauma (Alveolarschaden, Lungen-
Therapie ödem) droht, wird eine sog. lungenprotektive
Therapeutisch ist beim ARDS eine maschinelle Beatmung empfohlen. Hierzu zählen:
Beatmung mit PEEP durchzuführen. Die inspi-
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 447

● niedriges Atemhubvolumen Spitzendrücke von 50–60 cm H2O toleriert.


(6 ml/kg KG) Dieses Open-up-Manöver ist initial durchzu-
● initial hoher PEEP führen, aber auch später ggf. intermittierend zu
(→  unten; danach schrittweise Reduktion wiederholen. Die Beatmung nach dem Open-
um jeweils 2–3 cm H2O, solange der paO2 da- Lung-Konzept ist auch z. B. bei polytraumati-
durch nicht abfällt) sierten Patienten mit Lungenschädigung sehr
● inspiratorische Druckbegrenzung effektiv.
(≤ 30 cm H2O) Auch durch intermittierende Bauch- oder Sei-
● ggf. umgekehrtes Atemzeitverhältnis tenlagerung des Patienten (→  S. 431) oder die
(I : E-Verhältnis 1 : 1 bis 3 : 1) Lagerung im Roto-Rest®-Bett (→  S. 367) kann
● ggf. permissive Hyperkapnie evtl. die Oxygenierung verbessert werden.
(bewusste Tolerierung eines erhöhten paCO2; Um die Beatmungsdrücke möglichst gering zu
hohe Hubvolumina scheinen schädigender halten, werden Patienten mit ARDS oder Status
zu sein als eine Hyperkapnie) asthmaticus häufig (leicht) hypoventiliert
● druckkontrollierte Beatmung oder volu- (paCO2 meist etwas über 50 cm H2O; z. T. bis ca.
menkontrollierte Beatmung mit Autoflow 80 mm Hg), da für die Verabreichung kleinerer
oder druckunterstützte Spontanatmung Atemhubvolumina auch nur geringere Beat-
(Hierdurch können, im Gegensatz zu einer mungsdrücke erforderlich sind. Der paO2 kann
volumenkontrollierten Beatmung mit konstan- normalerweise hierbei dennoch im Normalbe-
tem Flow [Abb. 7-2a], übermäßig hohe Spit- reich gehalten werden. Es wird von einer per-
zendrücke vermieden werden.) missiven Hyperkapnie gesprochen (langsamer
Anstieg des paCO2 tolerierbar, solange der pH-
Beatmungsziel ist es, belüftete Alveolen offen zu Wert nicht unter 7,2 abfällt). Mögliche Neben-
halten (Keep-the-Lung-Open-Konzept) sowie wirkungen der permissiven Hyperkapnie kön-
atelektatische Bereiche wieder zu eröffnen nen respiratorische Acidose, Anstieg von
(Open-up-the-Lung-Konzept). Es wird oft vom zerebraler Perfusion und ICP sowie eine Zu-
sog. Open-Lung-Konzept gesprochen. Das nahme des pulmonalvaskulären Widerstandes
Open-up-the-Lung-Manöver kann z. B. da- sein. Bei Patienten mit SHT und erhöhtem ICP
durch erzielt werden, dass kurzzeitig ein hoher ist eine permissive Hyperkapnie allerdings kon-
PEEP verabreicht wird. Das PEEP-Niveau wird traindiziert.
hierbei ca. alle 3 Atemzüge um z. B. 5 cm H2O Um das bestehende Lungenödem zu vermin-
erhöht, bis der kritische Öffnungsdruck für die dern, ist eine sorgfältige und leicht negative
kollabierten Alveolen überschritten wurde, was Flüssigkeitsbilanz durchzuführen. Ob eine not-
sich an einer plötzlichen Verbesserung der Oxy- wendige Volumensubstitution mit kolloidalen
genierung („Oxygenierungssprung“) äußert. Flüssigkeiten günstiger ist als die Gabe kristal-
Der PEEP kann hierbei bis maximal 40 cm H2O loider Infusionslösungen, ist nicht eindeutig
gesteigert werden, dann bis ca. 1 Minute gehal- geklärt. Der Hb-Wert sollte stets größer als 10
ten und dann wieder schrittweise reduziert g/dl gehalten werden, um bei dem verminder-
werden. Das PEEP-Niveau sollte danach wie- ten Sauerstoffpartialdruck einen ausreichenden
derholt um jeweils 2–3 cm H2O so weit abge- arteriellen Sauerstoffgehalt des Blutes (→  S.
senkt werden, dass der paO2 gerade noch nicht 344) aufrecht zu erhalten.
wieder abfällt. Der Patient sollte dann auf dem Falls alle konservativen Beatmungsmethoden
so austitrierten und möglichst niedrigen PEEP- nicht den gewünschten Erfolg bringen, besteht
Niveau beatmet werden. Das PEEP-Niveau liegt die letzte Möglichkeit darin, ein extrakorpora-
dann knapp über dem Verschlussdruck. les Lungenersatzverfahren anzuwenden (z. B.
Bei diesem Open-up-Manöver werden initial ECMO = extracorporal membran oxygena­
(je nach Lungenerkrankung) inspiratorische tion). Dabei wird mithilfe einer modifizierten
448 7  Intensivmedizin

Herz-Lungen-Maschine extrakorporal CO2 eli- sein. Die Behandlungsprinzipien sind in den


miniert und präpulmonal O2 angereichert. Kapiteln „Aspiration“ (→  S. 211) und „Akutes
Durch diese Ruhigstellung der Lunge soll eine Lungenversagen“ (ARDS; →  S. 445) beschrie-
weitere Traumatisierung verhindert und deren ben. Oft tritt bei diesen Patienten eine Kreislauf­
Selbstheilung gefördert werden. Die hohe Leta- insuffizienz auf und macht eine entsprechende
lität des ARDS kann jedoch auch hierdurch Volumen- bzw. Catecholaminzufuhr notwen-
nicht entscheidend verbessert werden. dig.
Bei einer akuten weiteren pulmonalen Ver-
schlechterung muss stets an ein Barotrauma Therapie
(Pneumothorax) gedacht werden. In einigen Ziel der symptomatischen Therapie ist die Nor-
Kliniken wird bei Patienten mit schwerem malisierung der arteriellen Blutgase.
ARDS prophylaktisch eine Thoraxdrainage ge-
legt. Die Letalität des ARDS beträgt ca. 50 %.
Lungenödem
Prognose
Das Krankheitsbild kann innerhalb von Tagen
Bei einem schweren Lungenödem kommt es zur
bis Wochen zum Tode führen!  Flüssigkeitsansammlung in Lungeninterstitium,
Alveolen und kleinen Luftwegen.

Aspirationssyndrom (→  S. 211) Ätiologie


Die wichtigsten Ursachen eines Lungenödems

Das Aspirationssydrom ist eine Lungenschädi- sind:
 gung, die nach einer Aspiration von Magensekret/ ● erhöhter Druck in den Lungenkapillaren
Mageninhalt auftritt. (z. B. Linksherzinsuffizienz; →  S. 203)
Das Aspirationssyndrom wird nach dem Erstbe- ● Mitralstenose
schreiber auch als Mendelson-Syndrom be- ● Flüssigkeitsüberladung
zeichnet. ● gesteigerte Membranpermeabilität mit ver-

mehrter Sequestration von Plasma ins Lun-


Patienten mit einem Aspirationssyndrom wer- geninterstitium
den zumeist auf der Intensivstation vorüberge- (z. B. wegen Bakterien, Viren, Toxinen, Aspi-
hend beatmet. rationssyndrom, ARDS)
● erniedrigter kolloidosmotscher Druck im Blut
Ätiologie (→  S. 134)
Wie stark die nach einer Aspiration von Magen-
sekret/Mageninhalt auftretende Lungenschädi- Folge des Lungenödems ist eine Störung des
gung ist, hängt sehr stark vom pH-Wert und Gasaustausches mit Abfall des arteriellen pO2.
vom Volumen des aspirierten Magensekrets ab.
Als kritische Grenze werden oft ein pH-Wert Klinik
unter 2,5 und ein Volumen von über 0,4 ml/ Das klinische Bild ist gekennzeichnet durch:
kg KG (ca. 25 ml beim erwachsenen Patienten) ● Tachypnoe:

angegeben. Die Volumenangabe von 0,4 ml/ Anfangs tritt eine kompensatorische Hyper-
kg KG scheint jedoch wissenschaftlich nicht gut ventilation mit Abfall des arteriellen CO2-
belegt zu sein. Partialdrucks auf (→  S. 343). Im Spätstadi-
um droht die Erschöpfung des Patienten mit
Komplikationen Anstieg des CO2-Partialdrucks.
Folge des Aspirationssyndroms kann eine ● Dyspnoe

schwere Bronchopneumonie oder ein ARDS ● Tachykardie


7.13  Spezielle Krankheitsbilder 449

● feuchte Rasselgeräusche ● Art der Auslösung:


● schaumiger Auswurf primäre Pneumonie (initial v. a. durch Bak-
● Zyanose terien, Viren, Mykoplasmen, Pilze ausgelöst)
und sekundäre Pneumonie (initial v. a. durch
Aspiration, Zirkulationsstörungen, Toxine,
Komplikationen Bronchusverlegung ausgelöst)
Folgen der Flüssigkeitsansammlung in intersti- ● Morphologie:

tiellem Lungengewebe, Lungenparenchym und Lobär-, Broncho- und interstitielle Pneumo-


Alveolen sind: nie
● Abnahme der Lungen-Compliance ● Verlauf:

● Zunahme von Diffusionsstrecke und Rechts- akute und chronische Pneumonie


links-Shunt (→  S. 344) ● Ätiologie:

ambulant oder nosokomial (im Kranken-


Diagnostik haus) erworbene Pneumonie
Röntgenologisch lässt sich initial vor allem ● Art des Erregers:

eine milchige („schmetterlingsförmige“) Ver- typische Pneumonien (durch Bakterien ver-


schattung im Bereich der Lungenwurzeln (Lun- ursacht) und primär atypische Pneumoni-
genhili) nachweisen. Oft sind auch Pleuraergüs- en (v. a. durch Viren, Pilze oder Mykoplas-
se nachweisbar. men verursacht)

Therapie Ätiologie
Therapeutisch stehen bei einer Linksherzinsuf- Die Lobärpneumonie (die streng auf die Gren-
fizienz folgende Maßnahmen im Vordergrund: zen eines Lungenlappen begrenzt ist) und
● Verabreichung von Sauerstoff die Broncho-(Herd-)Pneumonie (die zu diffu-
● Steigerung der Diurese mittels Diuretika sen, fleckigen Infiltraten führt, die in allen
(z. B. 40 mg Furosemid) Lungenbereichen auftreten können), führen
● Hochlagerung des Oberkörpers und Gabe vor allem zu einer alveolaren Infiltration,
von Nitroglycerin das heißt es kommt zur Sekretansammlung
(zur Verringerung des venösen Rückflusses) in den Alveolen. Lobär- und Bronchopneumo-
● Sedierung mit einem Opioid nien sind zumeist bakteriell verursacht. Die
(v. a. Morphin) interstitielle Pneumonie beschränkt sich
meist auf das Lungeninterstitium und ist
In schweren Fällen wird eine Masken-CPAP zumeist durch Viren oder Mykoplasmen be-
(→  S. 362) oder gar eine endotracheale Intuba- dingt.
tion und maschinelle Beatmung mit PEEP not- Bei intensivmedizinisch betreuten Patienten ist
wendig. die nosokomiale Pneumonie die häufigste im
Krankenhaus erworbene Infektion. Etwa 30 %
der maschinell beatmeten Intensivpatienten
Pneumonie entwickeln eine Pneumonie (sog. Beatmungs-
pneumonie). Das Risiko hierfür ist abhängig

Bei einer Pneumonie handelt sich um eine akute von der Beatmungsdauer.
 Entzündung des Lungengewebes (= Lugenent- Eine nosokomiale Pneumonie wird durch fol-
zündung). gende Umstände begünstigt:
● Notwendigkeit der maschinellen Beatmung
Einteilung ● Alter > 65 Jahre bzw. < 1 Jahr

Entzündungen des Lungengewebes können ● vorbestehende Grunderkrankung,

nach folgenden Kriterien eingeteilt werden: die zu einer Schwächung des Immunsystems
450 7  Intensivmedizin

und/oder zu einer Beeinträchtigung des Be- Bei einer primär atypischen Pneumonie lassen
wusstseinsgrades führt sich mit den üblichen Methoden keine pathoge-
● Vorerkrankungen des Atmungstraktes nen Keime nachweisen.
● Thorax- oder Bauchoperationen
Therapie
Eine Lungenentzündung wird zumeist durch Je nach Ergebnis der arteriellen Blutgasanalyse
eine bakterielle Infektion verursacht (falls werden eine Intubation und maschinelle Beat-
ambulant erworben: vor allem durch Pneumo- mung des Patienten notwendig. Die Kriterien
kokken oder Hämophilus; falls nosokomial er- für die endotracheale Intubation sind auf den
worben: vor allem durch gramnegative Entero- Seiten 346 ff. beschrieben.
bakterien oder Staphylococcus aureus bedingt).
In der Intensivmedizin ist die nosokomiale Entscheidende Therapiemaßnahmen sind die Ver-
Pneumonie durch gramnegative Bakterien ! abreichung von Antibiotika (→  unten) sowie die
(→  S. 385) von besonderer Bedeutung. Bei der Zufuhr einer erhöhten inspiratorischen Sauerstoff-
häufig vorliegenden Bronchopneumonie breitet konzentration. In schweren Fällen ist eine maschi-
sich die Infektion über Bronchien und kleine nelle Beatmung mit PEEP notwendig.
Luftwege in das Lungengewebe aus.
Bei einer ambulant erworbenen bakteriellen
Klinik Pneumonie bietet sich die Gabe eines Cefalo-
Das klinische Bild ist gekennzeichnet durch: sporins der Gruppe 2 plus die Gabe eines Ma-
● Tachypnoe krolids, bei einer nosokomialen Pneumonie
● Dyspnoe die Gabe eines Cefalosporins der Gruppe 2, 3a
● Hypoxämie oder 3b, eines bestimmten Penicillins (Amino-
● Fieber penicillin oder Acylaminopenicillin jeweils in
● Schüttelfrost Kombination mit einem β-Lactamase-Inhibitor)
● eitriger Auswurf oder eines Carbapenems an. In sehr schweren
● Rasselgeräusche Fällen wird das obige Antibiotikum noch mit
● Bronchialatmen einem Fluorchinolon der Gruppe 2 oder 3 oder
einem Aminoglykosid kombiniert (→  S. 385).
Komplikationen Bei einer Aspirationspneumonie bietet sich
Folgen der Entzündung sind: Imipenem, bei einer Pneumonie mit MRSA
● Gewebsödem Vancomycin und bei einer interstitiellen Pneu-
● Abfall der Compliance monie (mit z. B. Mykoplasmen oder Chlamydi-
● erhöhter Rechts-links-Shunt en) Erythromycin an.
Bei einer sekundären Pneumonie unter Anti-
Diagnostik biotikatherapie kommen oft Imipenem plus
Das Röntgenbild der Lunge zeigt bei der Bron- ein Fluorchinolon z. B. der Gruppe 3 und bei
chopneumonie zumeist fleckförmige Verschat- einer Pilzpneumonie kommt z. B. Fluconazol
tungen und bei der interstitiellen Pneumonie (Diflucan) zur Anwendung.
eher relativ gleichmäßige, milchig weiße Ver-
schattungen. Prognose
Beim intubierten Patienten ist wiederholt Tra- Durch eine beatmungspflichtige Pneumonie
cheobronchialsekret unter sterilen Bedingun- nimmt die Letalität der Patienten um bis zu
gen abzusaugen. In dem Sekret soll der bakteri- 30 % zu.
elle Erreger nachgewiesen und dessen Empfind-
lichkeit auf Antibiotika ausgetestet werden.
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 451

Vorbeugende Maßnahmen ● vermehrte Schleimbildung in den Atemwe-


Werden hygienische Basismaßnahmen konse- gen
quent eingehalten, dann kann die Rate nosoko- ● ödematöse Schwellung der Bronchial-
mialer Pneumonien um bis zu 30 % vermindert schleimhaut
werden. Die hygienische Händedesinfektion ● Bronchospasmus

vor und nach jedem Patientenkontakt ist die


wichtigste Vorbeugemaßnahme. Beim endotra- Zumeist handelt es sich bei COPD-Patienten
chealen Absaugen von beatmeten Patienten ist um Patienten mit chronischer Bronchitis, Asth-
auf ein streng aseptisches Vorgehen zu achten. ma bronchiale, chronisch obstruktivem Lun-
Um bei frischoperierten Patienten einer Pneu- genemphysem oder Bronchiektasen. Die häu-
monie vorzubeugen, ist es wichtig, die Patien- figste Ursache ist eine chronische Bronchitis
ten zum Abhusten und tiefen Durchatmen aufgrund eines jahrelangen Nicotinabusus.
anzuleiten. Außerdem sind eine adäquate
Schmerztherapie (um eine schmerzbedingte Klinik
Atemschonhaltung zu vermeiden) sowie eine Klinisch imponieren:
frühzeitige postoperative Mobilisierung wich- ● Dyspnoe

tig. Da Ernährungssonden den Schluckvorgang ● Husten mit Auswurf

stören und einen Reflux begünstigen, sollten sie ● überdehnter Thorax mit relativ horizontal

möglichst bald wieder entfernt werden. stehenden Rippen


Bei Patienten, die eine Stressulkusprophylaxe ● Giemen und Brummen

erhalten, sollte der pH-Wert des Magensekrets ● hypersonorer Klopfschall

nicht über 4,0 angehoben werden, da hierdurch ● abgeschwächte Atemgeräusche

eine bakterielle Besiedelung des Magensekrets


begünstigt und im Fall einer (unbemerkten) Komplikationen
Regurgitation von Magensekret die Gefahr ei- Die Folge einer COPD ist eine respiratorische
ner Pneumonie erhöht wird. Globalinsuffizienz mit niedrigem paO2 und er-
höhtem paCO2 (→  S. 346). In schweren Fällen
liegt der paO2 zwischen 50 und 60 mm Hg und
Chronisch obstruktive der paCO2 beträgt knapp über 50 mm Hg. Eine
Lungenerkrankung weitere Folge der chronisch obstruktiven Lun-
generkrankung ist die erniedrigte FEV1 (→  S.

Typisch für die chronisch obstruktive Lungener- 341).
 krankung (= chronic obstructive pulmonary Um die chronische Hypoxie zu kompensieren,
disease = COPD; zum Teil auch als chronic ob- kommt es bei diesen Patienten zu einem An-
structive lung disease = COLD bezeichnet) sind stieg des Hb-Wertes (Polyglobulie). Typisch ist
ein langjähriger chronisch progredienter Verlauf, auch eine pulmonalvaskuläre Hypertension.
ein erhöhter Strömungswiderstand der Luft in den Ursachen sind eine hypoxiebedingte Vasokon-
Atemwegen (Obstruktion), inhomogene Alveolar- striktion im Lungengefäßbett sowie eine krank-
belüftung und zunehmende Lungenüberblähung. heitsbedingte Abnahme der Lungenkapillaren.
Die Atemwegsobstruktion ist – im Gegensatz zu Es kommt zu einer Mehrbelastung des rechten
einem Asthma bronchiale – nicht mehr reversi- Ventrikels mit Hypertrophie (chronisches Cor
bel. pulmonale), im Endstadium droht eine Rechts-
herzinsuffizienz.
Ätiologie
Die für eine COPD typische Atemwegsobstruk- Therapie
tion kann aufgrund folgender Ursachen entste- Patienten mit einer COPD müssen häufig in­
hen: tensivmedizinisch behandelt werden. Da COPD-
452 7  Intensivmedizin

Patienten nur noch geringe pulmonale Reser- einer relativ langen Exspirationsphase (Atem-
ven besitzen, können sie bereits im Rahmen zeitverhältnis 1 : 2; 1 : 3; 1 : 4) gewählt wird und
eines relativ geringen bronchopulmonalen In- dass die Sauerstoffkonzentration lediglich bis
fektes, einer Operation oder einer stärkeren Se- auf das notwendige Mindestmaß gesteigert
dierung dekompensieren. Die Therapie solcher wird.
Patienten gestaltet sich erfahrungsgemäß
schwierig und langwierig.
Lungenkontusion
Da insbesondere das Abtrainieren von einem Be-
! atmungsgerät sehr problematisch ist, sollte die
Im Rahmen eines stumpfen Thoraxtraumas kann
maschinelle Beatmung, wenn irgend möglich, ver-  es zu einer Quetschung von Lungengewebe (=
mieden werden. Lungenkontusion) kommen.

Therapeutisch ist eine antibiotische Therapie Komplikationen


von bronchopulmonalen Infekten notwendig. Folge der Lungenkontusion können Einblutun-
Zusätzlich muss bei einer ausgeprägten Hyp- gen ins Lungengewebe, Atelektasen, Schädi-
oxie Sauerstoff verabreicht werden. Es wird im- gung des Surfactants und ein Lungenödem
mer wieder darauf hingewiesen, dass im Falle sein.
einer Globalinsuffizienz der Atemantrieb über
den niedrigen O2-Partialdruck stimuliert würde Therapie
(→  S. 325). Eine Sauerstoffgabe könne daher zu Je nach Schweregrad der Lungenkontusion ge-
einer Atemdepression führen. Ob diese Annah- nügt therapeutisch eventuell die Zufuhr von
me stimmt wird zum Teil bezweifelt (→  S. 325). Sauerstoff über eine Nasensonde oder es wird
Auch bei diesen Patienten muss soviel Sauer- eine endotracheale Intubation mit PEEP-Beat-
stoff verabreicht werden, dass ein für diese Pati- mung notwendig.
enten „normaler“ paO2 (von oft ca. 60–[70]
mm Hg) erreicht wird. Es ist eine intensive Prognose
Überwachung dieser Patienten notwendig. Im schlimmsten Fall kann es trotz Therapie zu
Wichtig ist auch die Verabreichung von Sekre- einem schwersten ARDS (→  S. 445) mit zu-
tolytika (Acetylcystein), Expektoranzien, Bron- meist infauster Prognose kommen.
cholytika (Beta-2-Mimetika) und eine mög-
lichst halbsitzende Lagerung. Eine gute
psychische Führung dieser Patienten ist wich- Lungenembolie
tig. Häufig können diese chronisch lungenkran-
ken Patienten sehr gut beurteilen, was für sie
Bei (Intensiv-)Patienten können sich (v. a. in den
Erfolg versprechend ist. Die Patienten sollten  großen venösen Gefäßen der Leiste) Thromben
daher auch befragt werden, wie sie normaler- entwickeln. Löst sich ein solcher Thrombus, dann
weise akute Verschlechterungen behandeln, wird er mit dem Blutstrom bis in die Lungen-
und es sollte ihren Wünschen diesbezüglich strombahn geschwemmt, wo er zur Verlegung ei-
entsprochen werden. Einen besonders wichti- ner Lungenarterie führen kann. Es liegt dann eine
gen Stellenwert hat bei diesen Patienten eine Lungenembolie vor.
sachgerechte Physiotherapie.
Bei einer evtl. notwendig werdenden maschi- Ätiologie
nellen Beatmung muss darauf geachtet werden, Eine Thrombenbildung in tiefen Venen (die zur
dass die Beatmungsdrücke möglichst niedrig Loslösung eines Thrombus und dadurch zu ei-
sind (wegen der erhöhten Gefahr eines Baro- ner Lungenembolie führen kann) wird vor al-
traumas), dass eine langsame Atemfrequenz mit lem begünstigt durch:
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 453

● Immobilisation →  S. 162) zugelassen (50–100 kg KG: 7,5 mg =


● operative oder traumatische Schädigung der 0,6 ml 1 ×/d über mindestens 5 Tage). Bei hämo-
Gefäßwand dynamisch instabilen Patienten sollte zusätzlich
● Herzinsuffizienz ein Catecholamin wie Dobutamin (Dobutamin
● erhöhte Gerinnungsneigung (z. B. Mangel an Solvay® Infus) verabreicht werden und ggf. ist
AT III, Protein C, Protein S) auch eine medikamentöse Auflösung des Embo-
● Malignome lus (sog. Thrombolyse; vgl. S. 460) durchzufüh-
● höheres Alter ren. Inzwischen wird meist rt-PA (Alteplase;
Actilyse®; 100 mg über 2 Stunden; davon 10 mg
Klinik als Bolus oft auch 50 mg als Bolus) eingesetzt.
Eine Lungenembolie äußert sich klinisch in Anschließend wird eine Heparininfusion mit ca.
Thoraxschmerzen, Luftnot, Tachypnoe und 400 IE/kg KG/d notwendig, da durch dieses spe-
führt aufgrund der akuten Rechtsherzbelastung zifische Thrombolytikum nur geringe Mengen
meist zu EKG-Veränderungen (akuter Rechts- an Fibrinspaltprodukten entstehen, wodurch es
schenkelblock) und Blutdruckabfall. Bei einer zu keiner relevanten Gerinnungshemmung
schweren Lungenembolie droht ein akutes kommt (vgl. S. 459). Oft wird eine kardiopulmo-
Rechtsherzversagen (Anstieg von ZVD) mit nale Reanimation, sehr selten eine operative
ausgeprägtem Blutdruckabfall. (Zur Steigerung Thrombektomie notwendig.
eines niedrigen paO2 sollte kein höherer PEEP
eingestellt werden, um keine weitere Druckbe- Vorbeugende Maßnahmen
lastung des rechten Ventrikels zu provozieren; Um eine erneute Thrombusloslösung zu ver-
vgl. S. 369). hindern, ist eine vorübergehende Immobilisie-
rung und Heparinisierung notwendig. Oft
Diagnostik schließt sich eine Langzeitbehandlung mit
Diagnostisch bietet sich vor allem ein Bolus- Marcumar an.
Spiral-CT an. Eine Röntgenaufnahme des Tho-
rax wird vor allem zum Ausschluss anderer Ur-
sachen durchgeführt. Lungenperfusionsszinti- 7.13.2 Herzerkrankungen
graphie und Pulmonalisangiographie werden
seit einigen Jahren zunehmend seltener durch-
geführt. Typisch sind ein hoher arterieller Herzinsuffizienz
paCO2-Wert bei niedrigem endexspiratorischem
CO2-Wert (Totraumventilation) und ein niedri-
Bei einer akuten oder chronischen Herzinsuffizi-
ger paO2-Wert.  enz ist das Herz nicht mehr in der Lage, bei Belas­
tung (Belastungsinsuffizienz) oder bereits in Ruhe
Therapie (Ruheinsuffizienz) ein ausreichendes Herzminu-
Therapeutisch kommen bei hämodynamisch tenvolumen (HMV) auszuwerfen. Die Körperpe-
stabilen Patienten initial 5 000–10 000 IE Hepa- ripherie wird nicht mehr ausreichend mit Blut
rin intravenös (Verhinderung neuer Thromben versorgt (→ auch S. 203; NYHA-Stadieneinteilung
und einer Thrombenvergrößerung) anschlie- → S. 498, 501).
ßend ggf. eine Heparindauerinfusion (ca. 400
IE/kg KG/d; ca. 1 000–1 250 IE/h; damit die PTT Ätiologie
auf ca. 60–75, d. h. auf den ca. 2- bis 2,5-fachen Die häufigsten Ursachen einer Herzinsuffizienz
Normalwert verlängert ist) zur Anwendung. Al- sind Herzklappenfehler, schwere koronare Herz-
ternativ ist bei hämodynamisch stabilen Patien- erkrankung oder Hypertonie. Je älter ein Patient
ten (bei denen keine Thrombolyse durchgeführt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass
wird) inzwischen auch Fondaparinux (Arixtra®; bei ihm eine Herzinsuffizienz vorliegt.
454 7  Intensivmedizin

Pathophysiologie Therapie der chronischen Herzinsuffizienz


Aufgrund des zu geringen HMV kommt es zu Bei der Therapie einer chronischen Herzinsuffi-
einer verstärkten Sauerstoffausschöpfung im zienz sollten die auslösenden Ursachen beseitigt
peripheren Gewebe, die gemischtvenöse Sauer- werden, z. B. ein Herzklappenfehler korrigiert
stoffsättigung fällt typischerweise ab. Während oder ein arterieller Hypertonus therapiert wer-
vom Ventrikel normalerweise in der Systole den. Die medikamentöse Therapie der chroni-
55–75 % seines Blutvolumens ausgeworfen wer- schen Herzinsuffizienz besteht darin, die Nach-
den (die Ejektionsfraktion = EF also 0,55–0,75 last durch Gabe eines ACE-Hemmers zu senken,
beträgt), ist die EF bei einer Herzinsuffizienz ggf. zusätzlich eine vorsichtige β-Rezeptoren-
vermindert (meist < 0,4). Blockade durchzuführen, ggf. zusätzlich bei
bestehenden Ödemen eine Diuretikagabe vor­
Klinik zunehmen (Thiaziddiuretikum, evtl. plus Schlei-
Typische klinische Zeichen für eine Herzinsuf- fendiuretikum, evtl. plus Aldosteronantagonist)
fizienz sind: und bei Vorliegen eines Vorhofflimmerns mit
● erniedrigtes Herzzeitvolumen Tachyarrhythmie ein Digitalispräparat zu verab-
● erhöhter enddiastolischer Druck im Ventri- reichen. Liegt eine kardiale Desynchronisation
kel vor (Vorhof und Ventrikel kontrahieren sich
● Tachykardie nicht mehr in sinnvoller zeitlicher Reihenfolge),
● periphere Vasokonstriktion dann wird neuerdings die Implantation eines bi-
● Flüssigkeitsretention mit Ödembildung ventrikulären Herzschrittmachers (sog. kardiale
● metabolische Acidose Resynchronisationstherapie) empfohlen.
Als medikamentöse Standardtherapie bietet
Linksherzinsuffizienz: Eine Insuffizienz des lin- sich oft die Kombination aus ACE-Hemmer,
ken Ventrikels führt zu schneller körperlicher β-Rezeptoren-Blocker und Diuretikum (ggf.
Ermüdbarkeit und erst zu einem interstitiellen zusätzlich eines Digitalispräparats) an. Inzwi-
und dann zu einem alveolären Lungenödem schen wird auch dosiertes Bewegungstraining
mit Dyspnoe und Hypoxie. Bei einem alveolä- empfohlen.
ren Lungenödem lassen sich feuchte Rasselge- ACE-Hemmer blockieren dasjenige Enzym,
räusche auskultieren, zuerst über den unteren das Angiotensin I in das stark blutdruckstei-
Lungenbereichen, später über der ganzen gernde Angiotensin II überführt (sog. angio-
Lunge. Der pulmonalkapilläre Verschlussdruck tensin converting enzyme). ACE-Hemmer füh-
(= PCWP) ist bei Vorliegen einer schweren ren also zu einem Abfall des peripheren
Linksherzinsuffizienz erhöht (meistens > 20 Gefäßwiderstandes und vermindern dadurch
mm Hg). die notwendige Herzarbeit. Häufig eingesetzte
ACE-Hemmer sind z. B. Captopril (Lopirin®),
Rechtsherzinsuffizienz: Bei einer Insuffizienz Enalapril (Pres®, Xanef®), Ramipril (Delix®)
des rechten Ventrikels steigt der (zentrale) Ve- oder Lisinopril (Acerbon®). Die Dosis ist lang-
nendruck an, es fallen auch beim sitzenden Pa- sam einzuschleichen (z. B. initial 3 × 6,25 mg/d
tienten prominente Venae jugulares externae Captopril, Zieldosis 3 × 50 mg/d Captopril). Bei
auf. Typisch sind stauungsbedingte Überdeh- Gabe eines ACE-Hemmers kann öfter ein hart-
nung der Leber (mit der Folge eines Aszites!) näckiger Reizhusten auftreten.
sowie eindrückbare Ödeme an abhängigen Kör- Bis vor etlichen Jahren galten β-Rezeptoren-
perteilen (beim stehenden Patienten an den Blocker als kontraindiziert bei Vorliegen einer
Knöcheln und prätibial, beim liegenden Patien- Herzinsuffizienz. Inzwischen liegen zahlreiche
ten am Os sacrum und an den Flanken). Studien vor, die belegen, dass das vorsichtige
Einschleichen eines β-Rezeptoren-Blockers
(z. B. Metoprolol, Bisoprolol) bei der Therapie
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 455

der chronischen Herzinsuffizienz meist günsti- Arbeiten (z. B. aufgrund eines Linksschenkel-
ge Effekte hat. β-Rezeptoren-Blocker sind – wie blockes) kann durch die Implantation eines bi-
ACE-Hemmer – vorsichtig einzuschleichen ventrikulären Herzschrittmachers (sog. kardi-
(initial z. B. 1 × 10 mg/d Metoprolol; Zieldosis 2 ale Resynchronisation) eine Synchronisation
× 100 mg/d Metoprolol). und deutlich effektivere Kontraktion der Ven-
Diuretika (z. B. Furosemid) sind zum Aus- trikel mit Zunahme des HMVs erzielt werden.
schwemmen evtl. Ödeme sinnvoll. Die meisten Da Patienten mit einer Herzinsuffizienz oft an
Diuretika können zu einer Hypokaliämie füh- akuten Herzrhythmusstörungen versterben,
ren (und dadurch u. U. digitalisbedingte Herz- wird öfter ein ICD (= implantierbarer Car­
rhythmusstörungen begünstigen). Außerdem dioverter/Defibrillator) implantiert. Dies ist
können sie eine Hypovolämie und orthostati- ein spezieller Herzschrittmachertyp, der ein
sche Dysregulation verursachen. Kammerflimmern erkennen kann und dann
Digitalispräparate wirken durch die Erhöhung automatisch eine interne Defibrillation durch-
der intrazellulären Calciumkonzentration posi- führt.
tiv inotrop. Die therapeutische Plasmakonzen-
tration von Digoxin wird mit 0,7–1,8 ng/ml, die Therapie der akuten Herzinsuffizienz
von Digitoxin mit 8–25 ng/ml angegeben. Au- Bei der Therapie der akuten Herzinsuffizienz
ßerdem können sie bei Vorhofflimmern eine ist, wenn möglich, eine kausale Therapie
schnelle Reizüberleitung vom Vorhof zum Ven- durchzuführen. Zum Beispiel ist bei einem aku-
trikel verzögern und so eine Tachyarrhythmie ten Myokardinfarkt ggf. eine Thrombolyse der
vermeiden bzw. so die Ventrikelfrequenz sen- Koronararterien (→  S. 460, 497) oder bei einer
ken. Digitalispräparate werden inzwischen zu- hypertensiven Krise eine entsprechende Blut-
meist mit dem Ziel der Frequenzkontrolle ein- drucksenkung durchzuführen. Eine kausale
gesetzt. Es wird dann eine relativ niedrige Therapie ist jedoch nur in einem geringen Pro-
Plasmadigoxinkonzentration (0,5–0,8 ng/ml) zentsatz der Fälle möglich.
angestrebt. Bei einem digitalisierten Patienten Typisch für eine akut dekompensierte Herzin-
tritt als unspezifisches Zeichen eine muldenför- suffizienz sind:
mige ST-Strecken-Senkung auf. ● systolischer Blutdruck < 80 mm Hg

● Herzindex < 2,0 l/min × m


2

Bei einer Überdosierung von Digitalis (Digitalisin- ● PCWP > 20 mm Hg


! toxikation) treten Herzrhythmusstörungen unter- ● verminderte Organperfusion mit Oligurie
schiedlichster Art auf (z. B. ventrikuläre Extrasy- (Urinmenge < 20 ml/h) und Vasokonstriktion
stolen [insbesondere ein Bigeminus], AV-Blockie-
rungen, Kammerflimmern). Hypokaliämie, Hyper- An Therapiemöglichkeiten kommen bei der
kalzämie, Hypomagnesiämie und arterielle Hyp- akut dekompensierten Herzinsuffizienz vor al-
oxie erhöhen die Digitalistoxizität und sind zu ver- lem infrage:
meiden. Auch eine stärkere Hyperventilation mit ● Vasodilatatoren zur Verminderung der Vor-
respiratorischer Alkalose ist zu vermeiden, da es und Nachlast
hierdurch zu einem Abfall der Plasmakaliumkon- (Furosemid, Nitroglycerin und evtl. Nitro-
zentration kommt. prussidnatrium, z. B. beim Low-Output-
Syndrom; →  S. 312)
Während früher noch eine körperliche Scho- ● positiv inotrope Medikamente zur Steige-

nung empfohlen wurde, wird inzwischen – falls rung der myokardialen Pumpleistung (v. a.
keine akute Dekompensation vorliegt – ein do- Catecholamine; →  S. 300)
siertes Bewegungstraining empfohlen. ● Vasopressoren zur Steigerung des Perfusi-

Bei Vorliegen einer Desynchronisation zwi- onsdrucks


schen Vorhof und Ventrikel mit uneffektivem (v. a. Catecholamine; →  S. 300)
456 7  Intensivmedizin

● adäquate Volumengabe: ● Steigerung des Herzminutenvolumens


Es sollte ein PCWP im hochnormalen Bereich ● Erniedrigung des links- und rechtsventriku-
(ca. 18–20 mm Hg) angestrebt werden. lären Füllungsdrucks
● Erniedrigung des peripheren und pulmonal-

Zur Vorlastsenkung können z. B. 40–80 mg Fu- vaskulären Widerstandes


rosemid intravenös verabreicht werden. Zur ● keine Begünstigung von Herzrhythmusstö-

Vorlastsenkung bietet sich auch eine Nitrogly- rungen


ceringabe per Spritzenpumpe an, falls eine in- ● keine Steigerung (evtl. sogar eine Verminde-

itiale sublinguale Gabe erfolglos blieb. Zur rung) des myokardialen Sauerstoffverbrauches
Nachlastsenkung kommen arterielle Vasodila- aufgrund der verminderten Vor- und Nachlast
tatoren (Nitroprussidnatrium, Calciumkanal-
blocker) infrage. Da PDE-Hemmer zu einer Vasodilatation füh-
Als Basistherapie der akuten Herzinsuffizienz ren, ist auf eine ausreichende Volumenzufuhr
gilt seit Jahren die Gabe eines Catecholamins. zu achten. Bei schwerer Herzinsuffizienz kön-
Catecholamine (z. B. Dobutamin, Noradrena- nen PDE-Hemmer evtl. mit einem Catechol­
lin, Adrenalin) sind die Mittel der Wahl zur amin kombiniert werden.
akuten Steigerung von myokardialer Kontrakti- Ist eine akute Herzinsuffizienz medikamentös
lität, Blutdruck und Herzminutenvolumen. Soll nicht zu bessern, dann kann vorübergehend
eine positiv inotrope Substanz verabreicht wer- eine intraaortale Ballongegenpulsation (→  S.
den, so wird meist Dobutamin als Mittel der 312) sinnvoll sein.
Wahl genannt. Dobutamin führt allerdings zu Digitalispräparate sollten bei der Therapie der
einem Abfall des peripheren Gefäßwiderstan- akuten Herzinsuffizienz nicht zur Steigerung
des. Da unter Dobutamin gleichzeitig das der Kontraktilität verabreicht werden. Sie soll-
Herzminutenvolumen ansteigt, bleibt der Blut- ten höchstens als Antiarrhythmikum eingesetzt
druck normalerweise weitgehend konstant. werden. Tritt z. B. im Rahmen der akuten Herz-
Noradrenalin wird im Falle einer akuten insuffizienz ein Vorhofflimmern mit schneller
Herzinsuffizienz vor allem dann zusätzlich zu Überleitung auf, so kann durch eine schnelle
Dobutamin verabreicht, wenn trotz Optimie- Aufdigitalisierung die Herzfrequenz meist er-
rung von Vor- und Nachlast und Gabe von Do- niedrigt und die hämodynamische Situation
butamin der arterielle Druck kritisch erniedrigt meist verbessert werden. Hierfür bietet sich bei-
bleibt. spielsweise die Gabe von Digoxin (3–4 × 0,25
Catecholamine haben allerdings folgende Nach- mg) intravenös über 24 Stunden an (anschlie-
teile: ßend die tägliche Erhaltungsdosis). Gegebenen-
● Sie steigern die Herzfrequenz. falls kann zusätzlich die Gabe von Verapamil
● Sie erhöhen den peripheren Widerstand. oder Diltiazem sinnvoll sein, um die Herzfre-
● Sie steigern den myokardialen Sauerstoffbe- quenz zu senken.
darf.
● Sie können Herzrhythmusstörungen verursa-

chen. Herzinfarkt

In therapieresistenten Fällen werden manchmal


Von einem akuten Herzinfarkt (Myokardinfarkt;
Phosphodiesterasehemmer (PDE-Hemmer)  →  auch S. 492) wird gesprochen, wenn ein grö-
zur Therapie der akuten Herzinsuffizienz einge- ßerer Teil der Herzmuskulatur aufgrund einer Man-
setzt (z. B. Enoximon oder Milrinon; →  S. 304). gelperfusion nekrotisch wird. Es wird zwischen
Sie verursachen eine positiv inotrope Wirkung einem Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung (=
sowie eine Vasodilatation und werden daher oft ST-elevation myocardial infarction = STEMI) und
als Inodilatoren bezeichnet. Sie verursachen: einem Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 457

(non-ST-elevation myocardial infarction = NSTE- Klinik
MI) unterschieden. STEMI, NSTEMI sowie instabi- Es treten meist schwere Schmerzen („Vernich-
le Angina pectoris (→ S. 492) werden inzwischen tungsschmerzen“) auf, die eine ähnliche Lokali-
unter dem Oberbegriff des akuten Koronarsyn- sation und einen ähnlichen Charakter haben
droms zusammengefasst (→ S. 492). wie Angina-pectoris-Schmerzen (aber wesent-
lich stärker sind und länger [> 30 min] anhal-
Bei Auftreten eines Herzinfarkts kommt es nor- ten). Außerdem stellen sich meist Todesangst,
malerweise zu: Schweißausbruch und Übelkeit ein. Bezüglich
● typischen klinischen Symptomen der klinischen Symptome bei einem Myokard-
● typischen EKG-Veränderungen infarkt →  auch Seite 490.
(bei einem STEMI, nicht jedoch bei einem
NSTEMI) Diagnostik
● charakteristischen Konzentrationsverände- Die 12-Kanal-EKG-Ableitung ist ein wichtiges
rungen herzspezifischer Enzyme diagnostisches Hilfsmittel, um einen akuten
Herzinfarkt mit ST-Strecken-Hebung nachzu-
Ätiologie weisen. Die für einen ST-Strecken-Hebungs-
Auslösende Ursache eines Myokardinfarkts ist Myokardinfarkt typischen EKG-Veränderungen
zumeist ein gefäßverschließender Thrombus. sind in Abbildung 7-16 dargestellt (bei einem
Ein akuter Myokardinfarkt ist zumeist dadurch NSTEMI fehlt dagegen die charakteristische
bedingt, dass atheromatöse Plaques in arterio- ST-Strecken-Hebung; →  oben). Bezüglich der
sklerotischen Koronararterien aufbrechen und EKG-Veränderungen beim STEMI →  auch Ta-
sich auf der beschädigten Endotheloberfläche belle 8-1 (S. 495) und Abbildung 8-5 (S. 494).
Thromben ausbilden. Dadurch kommt es zu ei- Im Rahmen eines akuten Infarkts treten oft the-
ner weiteren akuten Lumeneinengung oder ei- rapiebedürftige Herzrhythmusstörungen auf.
nem Lumenverschluss der Koronararterie. Aus Erste typische Veränderungen herzspezifi-
den aktivierten Thrombozyten werden gefäßak- scher Enzyme treten wenige Stunden nach
tive Substanzen freigesetzt, die zusätzlich eine einem ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt
Gefäßkonstriktion verursachen. Kommt es auf- – sowie auch nach einem Nicht-ST-Strecken-
grund des Thrombus zum kompletten Gefäß- Hebungs-Myokardinfarkt – auf (vgl. Tab. 7-8).
verschluss, entsteht ein transmuraler (die ganze Bei einer instabilen Angina pectoris (→  S. 492)
Dicke der Herzwand betreffender) Myokardin- treten typischerweise keine Konzentrationser-
farkt mit ST-Strecken-Hebung (STEMI). Bei höhungen der Herzenzyme auf.
einem Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-
Hebung führt der Thrombus nur zu einer teil- Troponin T und I: Troponin T ist inzwischen der
weisen Verlegung des Gefäßlumens und es rei- wichtigste Infarktmarker, der (zusammen mit
ßen oft Mikrothromben ab, die dann zur Myoglobin; →  S. 459) als erster Parameter an-
Verlegung kleinster distaler Gefäße führen. steigt. Während die Grenzwerte für Troponin
Auch bestimmte hämodynamische Situationen mit meist 0,1 ng/ml angegeben werden, wird in-
wie Tachykardie, arterielle Hypertonie oder ein zwischen öfter schon ein erniedrigter Grenz-
länger als 10 Minuten dauernder stärkerer wert von ca. 0,03 ng/ml als richtungsweisend
Blutdruckabfall um mehr als 30 % des Aus- für einen Infarkt bezeichnet. Frühestens 3–4
gangswertes können bei prädisponierten Pati- Stunden nach Symptombeginn steigt Troponin
enten einen Herzinfarkt verursachen. In ca. im Rahmen eines Myokardinfarkts an. Es gibt
95 % liegt bei diesen Patienten eine Koronar- inzwischen Schnelltests für die Bestimmung
sklerose vor. der Troponinkonzentration, die direkt am Bett
des Patienten durchgeführt und bewertet wer-
den können. Neben Troponin T kann auch Tro-
458 7  Intensivmedizin

EKG-Stadium Typisches Bild Wichtige Merkmale Beginn/Dauer

deutliche ST-Strecken-Hebung
T positiv sofort/1–2 h
Stadium 1
R klein bis 1 Wo.
frischer Infarkt Q noch klein
(akutes Stadium) leichte ST-Strecken-Hebung
Zwischen- T spitz-negativ 1.–10. d/kurz
stadium Q groß
R klein
T spitz-negativ
Q groß 3.–7. d/6 Mo.
Stadium 2
R noch klein bis mehrere J.
akuter Infarkt keine ST-Strecken-Hebung
(chronisches
Stadium) Q pathologisch
T bereits positiv – /6 Mo.
Stadium 3
R normal oder reduziert bis bleibend
keine ST-Strecken-Hebung

Abb. 7-16 Typische EKG-Veränderungen bei einem ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt

ponin I bestimmt werden. Troponin I hat eine Kreatinkinase: Die Kreatinkinase (= CK = Krea-
vergleichbare Aussagekraft wie Troponin T. Der tinphosphokinase = CPK; Normalwert: Männer
Schwellenwert für Troponin I hängt jedoch ent- < 190 U/l, Frauen < 170 U/l; vgl. Tab. 7-8; S.
scheidend davon ab, was für ein Testsystem 419) beginnt 4–6 Stunden nach dem Infarkt an-
hierfür verwendet wird. Häufig wird ein Tropo- zusteigen, erreicht ihr Maximum nach 18–24
nin-I-Testsystem verwendet, das einen Schwel- Stunden und normalisiert sich nach 3–4 Tagen.
lenwert von 0,1 ng/ml verwendet. Bei einem Bei einem CK-Maximum von < ca. dem 6-fa-
negativen Troponintest sollte der Test nach 6–9 chen Normalwert kann mit einem komplikati-
Stunden wiederholt werden. Ist in dem zweiten onslosen Verlauf gerechnet werden, bei einem
Test die Konzentration ebenfalls nicht patholo- CK-Maximum von > ca. dem 14-fachen Nor-
gisch erhöht, dann kann ein Myokardinfarkt malwert muss von einem riesigen Infarkt ausge-
ausgeschlossen werden. Da die einzelnen herz- gangen werden. Die CK ist sehr empfindlich, sie
spezifischen Enzyme einen charakteristischen kann allerdings auch nach z. B. einer intramus-
zeitlichen Verlauf aufweisen, kann anhand des kulären Injektion, mechanischen Reanimation
Enzymmusters auf das Alter des Infarkts ge- oder elektrischen Defibrillation oder sonstigen
schlossen werden. Neben den Veränderungen Muskelverletzungen ansteigen. Da die CK in
herzspezifischer Enzyme kommt es noch zu un- Form von 3 Isomeren vorkommt (CK-MM
spezifischen Entzündungszeichen wie Leukozy- [Muskel-Typ], CK-BB [Gehirn-Typ] und CK-
tose (10 000–15 000/mm3), Beschleunigung der MB [Herzmuskel-Typ]), bietet sich die Bestim-
Blutsenkungsgeschwindigkeit und Anstieg des mung der CK-MB wegen ihrer Spezifität für
C-reaktiven Proteins (CRP). Der Normalwert den Herzmuskel zur Diagnostik des Herzin-
des CRP beträgt < 0,5 mg/dl. Laborchemische farkts an. Die CK-MB ist zwar herzspezifisch
Untersuchungen sind weniger für die Akut­ (CK-MB > 24 U/l spricht für einen Herzinfarkt),
diagnostik, sondern vor allem für die Verlaufs- aber weniger empfindlich als die CK, sodass
beobachtung geeignet. kleinere Infarkte evtl. nicht erfasst werden. Die
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 459

CK-MB beginnt 2–6 Stunden nach dem Infarkt wendig werden. Es ist Vorsicht geboten, da
anzusteigen, erreicht ihr Maximum nach 24–36 Nitroglycerin evtl. zu einem deutlichen Blut-
Stunden und normalisiert sich nach 1–1,5 Ta- druckabfall führen kann.
gen wieder.
● Dobutamin
bei Linksherzinsuffizienz zur Steigerung der
Myoglobin: Die Myoglobinkonzentration steigt Inotropie
(zusammen mit Troponin T) als erster Parame-
● β-Rezeptoren-Blocker
ter an. Die Myoglobinkonzentration kann aller- können bei tachykarden und hypertensiven
dings auch z. B. nach einer intramuskulären In- Patienten sinnvoll sein und evtl. die Infarkt-
jektion, elektrischen Defibrillation oder einer größe vermindern. Es werden z. B. 2,5–5 mg
sonstigen Muskelverletzung ansteigen. Bei Metoprolol intravenös empfohlen.
Männern ist eine Myoglobinkonzentration im
● Metoclopramid (z. B. Paspertin)
Serum von > 76 ng/ml und bei Frauen eine kann zur Therapie einer evtl. Übelkeit verab-
Konzentration von > 64 ng/ml pathologisch. reicht werden.

● Atropin
ist bei bradykarden Rhythmusstörungen in-
Therapie (→ auch S. 490) diziert.
Ziel der Therapie ist es, den Sauerstoffverbrauch
● Amiodaron
des Herzens zu vermindern sowie die Myokard- ist bei tachykarden ventrikulären Rhythmus-
durchblutung zu verbessern bzw. wiederherzu- störungen (z. B. 5 mg/kg KG; meist 300 mg)
stellen. das Antiarrhythmika der Wahl.
Folgende Therapiemaßnahmen kommen in-
● temporärer Herzschrittmacher:
frage: muss ggf. platziert werden
● Analgetika,
● Defibrillation
vor allem Morphin; wiederholt 1–5 mg Mor- bei Kammerflimmern oder pulsloser Kam-
phin bis zum individuellen Dosisbedarf mertachykardie (→  S. 537). Nach erfolgrei-
● Sedativa/Anxiolytika, cher Therapie empfiehlt sich die Gabe eines
z. B. Diazepam; wiederholt ca. 5 mg bis zum Antiarrhythmikums.
individuellen Dosisbedarf
● Acetylsalicylsäure:
● Sauerstoffgabe, initial ein Bolus von 250–500 mg intravenös
falls der paO2 erniedrigt ist. Bei Auftreten ei- (Aspirin® i. v.), danach in einer Dosierung
ner Herzinsuffizienz mit Lungenödem kann von 100–250 mg/d per os zur Thrombozy-
eine endotracheale Intubation mit Beatmung tenaggregationshemmung. Dadurch kann
notwendig werden. die Rate von Gefäßneuverschlüssen vermin-
● Bettruhe und Immobilisierung dert werden.
für 2–3 Tage beim unkomplizierten Infarkt.
● Heparin:
Für ca. 1–3 Wochen ist eine stationäre Be- Bei einer Thrombolyse (→  S. 460) mit
handlung notwendig. thrombusspezifischen Thrombolytika wie rt-
● Nitropräparate, PA (Alteplase; Actilyse®) oder entsprechen-
z. B. eine Kapsel Nitrolingual® bukkal (→  S. den Derivaten (z. B. Tenecteplase; Metalyse)
491) zur Erweiterung der Kollateralgefäße oder mit einer geplanten Katheterinterventi-
und zum Ausschluss einer (nitrosensiblen) on muss zusätzlich Heparin gegeben werden,
Angina pectoris. Der Infarktschmerz ist – im da sonst die Rate an Wiederverschlüssen re-
Gegensatz zum Angina-pectoris-Schmerz – lativ hoch ist. Nach Gabe eines Initialbolus
allerdings nicht nitrosensibel. Bei Auftreten (70 U/kg KG, maximal 5 000 U) werden dann
einer Herzinsuffizienz kann auch die Gabe ca. 1 000 IE/h empfohlen. Es ist eine Verlän-
von Nitroglycerin per Infusionspumpe not- gerung der PTT auf den 2- bis 2,5-fachen
460 7  Intensivmedizin

Normalwert (60–75 Sekunden) anzustreben. ist, ist der Wert einer Spätlyse (> 12 Stunden)
Nach ca. 2–3 Tagen kann auf subkutane He- nicht belegt (→  S. 497).
paringaben (z. B. 2 × 7 500 IE unfraktionier- Als Thrombolytika haben sich bewährt:
tes Heparin) umgestellt werden. Inzwischen – rt-PA (= recombinant tissue plasminogen
wird zumeist niedermolekulares (fraktio- activator; recombinant = gentechnisch
niertes) Heparin 1 × pro Tag subkutan be- hergestellt; entspricht der körpereigenen
vorzugt. t-PA, die vom Gefäßendothel freigesetzt
● Clopidogrel wird und Fibrin [Thromben] auflösen
(Plavix®; ein Thrombozytenfunktionshem- kann). rt-PA (Alteplase; Actilyse®) muss
mer) sollte möglichst frühzeitig (oral) verab- in Kombination mit Heparin (→  S. 459)
reicht werden falls eine Katheterintervention verabreicht werden. Beim ST-Strecken-
durchgeführt wird. Hebungs-Myokardinfarkt werden 15 mg
● Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonis­ Alteplase als Bolus (über 1–2 Minuten),
ten anschließend 50 mg über 30 Minuten und
werden bei Hochrisikopatienten zusätzlich danach noch 0,5 mg/kg KG über 60 Mi-
vor einer Katheterintervention empfohlen, nuten empfohlen (sog. GUSTO-Schema).
um eine aggressive Thrombozytenaggregati- Die Maximaldosis beträgt 100 mg.
onshemmung zu erzielen. – Tenecteplase (Metalyse®):
● Revaskularisation: Tenecteplase ist ein gentechnisch herge-
Sobald als möglich sollte bei Patienten mit stellter Abkömmling von rt-PA mit länge-
einem Myokardinfarkt eine kausale Therapie rer Halbwertszeit und höherer Fibrinspe-
durchgeführt werden, das heißt die entspre- zifität. Systemische Nebenwirkungen
chende Koronararterie wieder durchgängig (z. B. zerebrale Blutungen) sollen seltener
gemacht werden. Insbesondere beim ST- sein als unter rt-PA. Tenecteplase kann als
Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) Bolus zügig über ca. 10 Sekunden intrave-
sollte dies so schnell als irgend möglich an- nös injiziert werden. Dies wird als ein
gestrebt werden. Beim NSTEMI sollte dies großer Vorteil z. B. im Rahmen der
möglichst innerhalb von 24 Stunden erfol- prähospitalen Lyse bezeichnet. Die Dosie-
gen. Zur Revaskularisation kommen Throm- rung wird mit ca. 0,5 mg/kg KG angege-
bolyse und primäre Coronarintervention (= ben. Es liegen Durchstechflaschen mit
PCI = perkutane Koronarintervention/Ka- 8 000 U (40 mg) oder 1 000 U (50 mg) vor.
theterintervention) infrage. Die Ergebnisse scheinen vergleichbar gut
● Thrombolyse: wie beim Einsatz von rt-PA zu sein. Zu-
Da ein Myokardinfarkt zumeist durch einen sätzlich ist eine Heparintherapie notwen-
Thrombus bedingt ist, kommt der früh­ dig (→  S. 459).
zeitigen Thrombolyse oder einer primären – (Streptokinase; 1,5 Millionen IE in 30–60
Koronarintervention enorme Bedeutung Minuten; Kontraindikation: Streptokok-
zu. Die Thrombolyse hat – im Gegensatz keninfekt; Beginn einer Heparininfusion
zur primären Koronarintervention – den erst nach 12–24 Stunden)
entscheidenden Vorteil, dass sie in jedem Kommt es nach einer Thrombolyse nicht in-
Krankenhaus (und ggf. auch schon prähos- nerhalb einer Stunde zu einer Besserung der
pital vom Notarzt) durchgeführt werden Schmerzen und zu einem Rückgang der ST-
kann. Bei Durchführung einer Thrombolyse Strecken-Hebung, dann sollte noch eine not-
innerhalb von 4 Stunden gelingt eine fallmäßige PCI (perkutane Koronarinterven-
Wiedereröffnung des Gefäßes in bis zu 70– tion; →  unten) durchgeführt werden.
75 % der Fälle. Während eine Frühlyse (in- ● PCI (= perkutane Koronarintervention/ Kathe-

nerhalb von 6 Stunden) Erfolg versprechend terintervention):


7.13  Spezielle Krankheitsbilder 461

Zur Behandlung eines akuten Myokardinfarkts Arrhythmieerkennung). Außerdem ist ein hä-
können notfallmäßig eine Koronarangiogra- modynamisches Monitoring notwendig sowie
phie, eine perkutane transluminale Koronar- die konsequente Therapie z. B. einer auftreten-
angioplastie (= PTCA) und eine Ballondilata- den Herzinsuffizienz.
tion sowie ggf. eine Stent-Einlage durchgeführt Viele Patienten verlassen inzwischen nach ei-
werden. Vor allem bei einem ST-Strecken- nem unkomplizierten Herzinfarkt das Kran-
Hebungs-Myokardinfarkt sollte so schnell als kenhaus schon nach 1 Woche wieder.
möglich eine Koronarintervention angestrebt
werden. In bis zu über 90 % der Patienten ge- Prognose
lingt mit dieser Methode eine Wiedereröffnung Etwa 5–10 % der Patienten mit einem Myokard-
des entsprechenden Gefäßes. Durch den zu- infarkt versterben innerhalb einer Stunde zu-
nehmenden Einsatz der primären Koronarin- meist an Herzrhythmusstörungen (v. a. Kam-
tervention konnte die Mortalität nach einem merflimmern).
Herzinfarkt vermindert werden. Nach einer
Katheterintervention sind – im Vergleich zu
einer Thrombolyse – Wiederverschlüsse sel- 7.13.3 Nierenerkrankungen
tener und es können Blutungskomplikationen
(wie sie bei einer Thrombolyse möglich sind) Akutes Nierenversagen
vermieden werden. Nachteil der Methodik ist,
dass sie nur in spezialisierten Zentren und oft Erwachsene scheiden pro Tag 1 000–2 000 ml
nur mit zeitlicher Verzögerung (Transportwege, Urin aus. Mit dem Urin werden Abfallprodukte
aufwendige Vorbereitung) durchgeführt wer- des Stoffwechsels eliminiert. Um eine noch aus-
den kann. Der Zeitraum zwischen möglichem reichende Ausscheidung dieser harnpflichtigen
Lysebeginn und Katheterintervention sollte je- Abfallprodukte zu ermöglichen, müssen pro Tag
doch nicht länger als 90 Minuten betragen. Es jedoch mindestens 400–500 ml Urin ausgeschie-
ist dann eine Thrombolyse durchzuführen. den werden. Über die Nieren werden auch z. B.
der Flüssigkeitshaushalt, der Säure-Basen- und
Da Thrombolytika nicht nur Thromben in den Elektrolythaushalt über eine mehr oder weniger
Koronararterien auflösen, sondern eine gene- starke renale Ausscheidung von Wasser, H+-Io-
relle thrombolytische Wirkung haben und nen oder Elektrolyten reguliert. Typisch für das
daher Blutungskomplikationen begünstigen, Nierenversagen ist die unzureichende Ausschei-
stellen z. B. kurz zurückliegende relevante Ver- dung harnpflichtiger Substanzen. Beim nieren-
letzungen oder große Operationen (< 3 Wo- insuffizienten Patienten steigt die Konzentration
chen), Magen-Darm-Blutung in den zurücklie- des normalerweise renal eliminierten Kreatinins
genden 4 Wochen, Blutungsneigung, ein Apo- und des Harnstoffs an (ein isolierter Anstieg des
plex in den letzten 6 Monaten, vorausgegangene Harnstoffs spricht dagegen für einen katabolen
Vena-subclavia- oder Vena-jugularis-interna- Stoffwechsel; →  S. 374).
Punktionen, Tumorerkrankungen, Schwanger- Bei ca. 4–20 % der Intensivpatienten tritt ein
schaft oder eine vorausgegangene, längerfristige akutes Nierenversagen auf.
Herzdruckmassage (mit Rippen- und Sternum-
frakturen) Kontraindikationen dar.
Es kann zwischen anurischem (< 200 ml Urinaus-
Nach Auftreten eines Herzinfarkts ist eine In-  scheidung pro Tag), oligurischem (< 400 ml Urin
tensivüberwachung von entscheidender Wich- pro Tag) und polyurischem Nierenversagen (über-
tigkeit, um akute Herzrhythmusstörungen so- normale Urinausscheidung) unterschieden wer-
fort erkennen und therapieren zu können. den. In ca. ⅔ der Fälle liegt bei Intensivpatienten
Wichtig ist daher eine kontinuierliche EKG- ein oligurisches oder anurisches Nierenversagen
Überwachung (möglichst mit automatischer vor.
462 7  Intensivmedizin

Ätiologie Sepsis, eines schweren Traumas oder nach ei-


Ein akutes Nierenversagen mit Anurie oder nem sehr großen operativen Eingriff auf.
Oligurie kann verschiedene Ursachen haben.
Beim prärenalen Nierenversagen liegt eine Therapie
Mangeldurchblutung der Niere vor (zumeist Die einzige „kausale“ Therapie des akuten Nie-
aufgrund einer Hypovolämie; typischerweise renversagens ist die Therapie der Grundkrank-
fallen die Urinproduktion und die Natrium- heit, das heißt die adäquate Antibiotikatherapie
konzentration im Urin stark ab und die Urinos- bzw. die operative Herdsanierung bei einer Sep-
molarität steigt an). sis bzw. die entsprechende Volumentherapie bei
Dem postrenalen Nierenversagen liegt eine einem Volumenmangelschock. Die konservati-
Verlegung der harnableitenden Wege zugrunde. ve Therapie des eingetretenen Nierenversa-
Bei entsprechender kausaler Therapie lassen gens ist symptomatisch. Bei bestehender Hy-
sich prä- und postrenales Nierenversagen leicht perkaliämie muss eine kaliumfreie enterale oder
beseitigen. parenterale Ernährung durchgeführt werden.
Dagegen gibt es für das organisch (intrarenal) Es bietet sich auch ein Einlauf mit Kationenaus-
bedingte akute Nierenversagen keine kausale tauschern (z. B. Resonium® A) an. Diese binden
Behandlungsmethode. Ursache eines organisch Kalium und geben dafür Natrium oder Calcium
bedingten Nierenversagens ist normalerweise ab. Bei einer schweren Hyperkaliämie kann
eine Schädigung der ableitenden Nierentubuli durch gleichzeitige Gabe von Glucose und In-
(akute Tubulusnekrose). Auslösend kann eine sulin (1 IE [= internationale Einheit] Altinsulin
längerfristige Mangeldurchblutung im Rahmen auf ca. 2–3 g Glucose; z. B. 500 ml Glucose 5 %
eines Volumenmangelschocks sein (d. h. ein mit 12 IE Insulin) eine Erniedrigung der Plas-
länger bestehendes prärenales Nierenversagen makaliumkonzentration erzielt werden. Die
führt sekundär zu einem intrarenalen akuten aufgrund der Insulingabe nach intrazellulär
Nierenversagen). Daneben kann ein akutes in­ wandernde Glucose bewirkt auch eine Aufnah-
trarenales Nierenversagen z. B. im Rahmen ei- me von Kalium in die Zelle. Auch durch Gabe
ner Pankreatitis, schweren Peritonitis, Verbren- von Natriumbicarbonat (= Natriumhydrogen-
nung, Sepsis (durch Endotoxine) oder einer carbonat; ca. 100–200 mmol) kann aufgrund
Fehltransfusion mit schwerer Hämolyse oder des pH-Wert-Anstiegs eine Aufnahme von Ka-
Muskelzerstörungen auftreten. Des Weiteren lium in die Zelle erreicht werden (Acidose führt
sind eine Reihe nierentoxischer Substanzen wie zur Hyperkaliämie, Alkalose führt zur Hypoka-
Blei, Arsen und andere bekannt. Auch von einer liämie im Plasma). Eine bedrohliche Hyperkali-
Anzahl von Medikamenten ist bekannt, dass sie ämie kann auch durch intravenöse Injektion
nephrotoxisch wirken können (z. B. Antibiotika von Calcium vorübergehend antagonisiert wer-
aus der Gruppe der Aminoglykoside, Röntgen- den (10–30 ml Calciumgluconat 10 %).
kontrastmittel, Zytostatika, Antirheumatika).
Typisch für ein akutes organisch (intrarenal) Bei (noch nicht dialysepflichtiger) Niereninsuffizi-
bedingtes Nierenversagen sind neben einem ! enz ist zu beachten, dass bei renal ausgeschiede-
Abfall der Urinausscheidung und einem An- nen Medikamenten eine Dosisreduktion notwen-
stieg der harnpflichtigen Substanzen auch eine dig wird (z. B. Digoxinpräparate, zahlreiche Anti-
Abnahme der Kreatinin-Clearance (normal biotika). Es sollten ggf. Plasmakonzentrationsbe-
95–140 ml/min) und eine Verminderung der stimmungen der entsprechenden Medikamente
Urinosmolarität (verminderte Konzentrations- vorgenommen werden.
fähigkeit), ein Anstieg der Plasmakaliumkon-
zentration und eine metabolische Acidose. Wird bei therapieresistentem anurischem oder
In der operativen Intensivmedizin tritt ein aku- oligurischem Nierenversagen die Flüssigkeits-
tes Nierenversagen vor allem im Rahmen einer zufuhr nicht entsprechend reduziert, so droht
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 463

rasch eine Überwässerung des Patienten mit kant bessere Überlebenswahrscheinlichkeit des
Wassereinlagerung und Ödemen, die sich häu- akuten Nierenversagens erzielt werden, wie
fig als periphere Ödeme, Lidödeme und wenn erst relativ spät (Harnstoffkonzentration
Lungenödem äußern. Bei anurischem Nieren- > 200 mg/dl, BUN > 100 mg/dl) mit dem Nie-
versagen dürfen beim normalgewichtigen Er- renersatzverfahren begonnen wird.
wachsenen lediglich ca. 900 ml Flüssigkeit pro Zumeist genügt bei Patienten, die sich nicht auf
Tag verabreicht werden. Dies entspricht dem einer Intensivstation befinden und ein isolier-
Verlust über Stuhl, Atmung und Verdunstung. tes, chronisches Nierenversagen haben, eine in
Im Falle eines polyurischen Nierenversagens 2-tägigem Abstand durchgeführte Hämodialy-
drohen aufgrund der hohen Flüssigkeits- und se (= HD). Bei Intensivpatienten mit einem
Elektrolytverluste entsprechende Bilanzstörun- akuten Nierenversagen wird eine tägliche in-
gen. Es ist eine sorgfältige Substitution notwen- termittierende Hämodialyse empfohlen. Eine
dig. Hämodialysebehandlung dauert üblicherweise
Eine apparative Blutreinigung (z. B. Hämodia- ca. 4 Stunden. Normalerweise wird bei Inten-
lyse) wird bei Patienten, die nicht auf einer In- sivpatienten über einen großlumigen (in der
tensivstation liegen und ein konservativ be- Vena jugularis interna oder Vena subclavia plat-
handeltes, isoliertes Nierenversagen haben, zierten) doppelläufigen, sog. Shaldon-Katheter
meist erst bei folgenden Bedingungen durchge- dialysiert. Das Blut wird in eine „künstliche
führt: Niere“ (Dialysemaschine) geleitet. In dieser
● starke Überwässerung Blutentgiftungsmaschine wird das Blut an einer
● schwere Hyperkaliämie semipermeablen Membran vorbeigeleitet, auf
● urämische Intoxikation deren Gegenseite die Dialysierflüssigkeit vor-
(Harnstoff > ca. 200 mg/dl bzw. 30–40 beiströmt. Durch Verwendung unterschiedli-
mmol/l; BUN [= blood urea nitrogen; →  S. cher Dialysierflüssigkeiten kann beeinflusst
374] > 100 mg/dl; BUN × 2,14 = Harnstoff in werden, welche Substanzen in welchem Maße
mg/dl) aus dem Blut über die semipermeable Membran
● Plasmakreatininkonzentration: (entlang eines Konzentrationsgradienten) in die
≥ 6–8 mg/dl Dialysierflüssigkeit diffundieren. Während und
● ZNS-Symptome nach der Dialyse ist eine entsprechende Über-
● Perikarderguss wachung des Patienten notwendig, da es hierbei
zu Hämolyse, Thrombozytenabfall, Herzrhyth-
Bei schwerkranken Intensivpatienten wird zu- musstörungen (dialysebedingte Elektrolytver-
meist ein wesentlich frühzeitigerer Beginn der schiebungen) oder Blutungen kommen kann.
Nierenersatztherapie empfohlen. Als Indikation Vor und ca. 4 Stunden nach der Dialyse sollten
wird bereits das sich ankündigende akute Nie- Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, Gerinnungs-
renversagen genannt. Hinweise darauf sind: parameter und Blutbild kontrolliert werden.
● Abfall der Urinproduktion Eine Dialyse wird normalerweise unter Hepari-
● Abfall der Kreatinin-Clearance nisierung durchgeführt. Unter Dialyse kann ein
● Anstieg der Retentionswerte stärkerer Blutdruckabfall auftreten, denn wäh-
(bereits eine Harnstoffkonzentration von ca. rend der ca. 4-stündigen Hämodialysedauer
100–120 mg/dl bzw. ein BUN-Wert von ca. muss oft ein großes Volumen an überschüssiger
50–60 mg/dl) Flüssigkeit entzogen werden (bis zu 3–4 Liter
sind möglich). Etwa 10 % der Intensivpatienten
Wird bei Intensivpatienten eine solch frühzeitig reagieren darauf mit einem so starken Blut-
begonnene Nierenersatztherapie durchgeführt druckabfall, dass eine intermittierende Hämo-
(bei Harnstoffkonzentration ca. 100–120 mg/dl, dialyse nicht durchführbar ist. Es ist dann ein
BUN ca. 50–60 mg/dl), dann kann eine signifi- kontinuierliches Nierenersatzverfahren durch-
464 7  Intensivmedizin

Heparin Substituat

arteriell venös

CAVHF Ultrafiltrat

Heparin Substituat

„arteriell” „venös”

CVVHF Ultrafiltrat

Heparin Substituat Abb. 7-17a Kontinuierliche Nieren­


ersatzverfahren. Oben: kontinuierliche
(spontane) arteriovenöse Hämofiltra-
tion (CAVHF). Mitte: kontinuierliche
„arteriell” „venös”
(pumpengetriebene) venovenöse
Hämofiltration (CVVHF).
Ultrafiltrat Dialysat
plus Dialysat Unten: kontinuierliche (pumpen­
CVVHDF
getriebene) venovenöse Hämodia­
a
filtration (CVVHDF).

zuführen (→  unten). Dies wird hämodyna-


misch wesentlich besser toleriert, da der Flüs-
sigkeitsentzug kontinuierlich und langsam
(über 24 Stunden pro Tag) erfolgen kann.
Früher wurde bei Intensivpatienten häufiger
eine kontinuierliche arteriovenöse Hämofil-
tration (= continuous arterio-venous hemofil-
tration = CAVHF) durchgeführt (vgl. Abb.
7-17a). Hierfür wurden die Arteria und Vena
femoralis punktiert. Die arteriovenöse Blut-
druckdifferenz trieb das arterielle Blut durch
einen Kapillarfilter und presste ein Ultrafiltrat
(= Wasser und Substanzen mit einem Moleku-
largewicht unter 10 000) ab. Das Blut strömte
über den venösen Schenkel wieder zum Patien-
ten. Um eine ausreichende Entgiftung von nie-
rengängigen Substanzen zu garantieren, muss­
ten relativ hohe Volumina an Ultrafiltrat abge-
lassen werden. Das wie Plasma zusammenge-
b setzte Ultrafiltrat wurde verworfen und durch
entsprechende Infusionen (Substitutionslösun-
Abb. 7-17b Gerät zur kontinuierlichen venovenösen
gen) teilweise oder vollständig ersetzt, je nach-
Hämo(-dia-)filtration mit Bilanzierungswaage.
dem, ob eine Entwässerung des Patienten er-
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 465

wünscht war oder nicht. Um ein Verstopfen der Bei der kontinuierlichen Hämodiafiltration
Hämofiltrationspatrone zu verhindern, musste (CVVHDF) werden das Dialyseprinzip und das
in den arteriellen Schlauch kontinuierlich He- Filtrationsprinzip kombiniert. Hierbei werden
parin zugeführt und ein ausreichender systoli- ca. 50 % der Blutreinigung durch das Dialyse-
scher Blutdruck garantiert werden. prinzip und ca. 50 % durch das Filtrationsprin-
Vorteile der apparativ einfachen CAVHF wa- zip erreicht. Während bei einer reinen Filtration
ren, dass nur geringe Heparinmengen benötigt (CVVHF) ca. 35 ml/kg KG/h (ca. 2–2,5 l/h) Ul-
wurden und relativ geringe Kreislaufbeeinträch- trafiltrat empfohlen werden, genügt bei der
tigungen zu erwarten waren. CVVHDF für das Filtrationsprinzip ein halb so
Inzwischen wird anstatt einer CAVHF eine kon- hohes Filtrationsvolumen (ca. 1,2 l/h). Für das
tinuierliche venovenöse Hämofiltration (= Dialyseprinzip wird ein Dialysatfluss von eben-
continuous veno-venous hemofiltration = CVV- falls ca. 1,2 l/h gefordert. Filtrationsvolumen
HF) über eine Pumpe durchgeführt (vgl. Abb. plus Dialysatfluss sollten zusammen ebenfalls
7-17a, b). Diese pumpengetriebenen venovenö- ca. 2–2,5 l/h ergeben. Am CVVHDF-Gerät sind
sen Verfahren sind effektiver als die spontane ein Dialysatfluss (z. B. 1,2 l/h), ein Substitutions-
(vom arteriellen Blutdruck abhängige) CAVH. fluss (z. B. 1,0 l/h), ein Entzug (z. B. 200 ml/h)
Außerdem stehen inzwischen auch kontinuierli- und ein Blutfluss (z. B. 150 l/min) einzustellen.
che Verfahren mit Gegenstrom (z. B. CVVHDF Das Filtrationsvolumen (z. B. 1,2 l/h) minus
= kontinuierliche [con­tinuous] venovenöse dem Substitutionsfluss (z. B. 1,0 l/h) ergibt den
Hämodiafiltration) zur Verfügung (vgl. Abb. Entzug (z. B. 200 ml/h) (bzw. der am Gerät ein-
7-17a, b). Sie stellen eine Kombination aus stellbare Substitutionsfluss und der einstellbare
Hämodialyse und Hämofiltration dar. Hierbei Entzug entsprechen zusammen dem Filtrations-
wird eine Dialyseflüssigkeit entgegen der Blut- volumen). Die Flüssigkeitsbilanz ergibt sich aus
flussrichtung an der Filtrationsmembran vorbei- Einfuhr (Ernährungslösungen, Medikamente,
geleitet. Bei diesem Verfahren wird ein hoher Perfusoren; z. B. 3,5 l/d) minus Entzug (z. B. 200
Konzentrationsgra­dient vom Blutplasma zur Dia- ml/h × 24 h = 4,8 l/d) = – 1,3 l/d.
lyseflüssigkeit aufrechterhalten. Daher ist dieses Bei allen kontinuierlichen Verfahren ist eine An-
Nierenersatzverfahren deutlich effektiver als eine tikoagulation notwendig, um eine Thrombenbil-
spontane CAVHF, aber auch effektiver als die dung im System zu verhindern. Initial wird das
CVVHF. Kontinuierliche Verfahren (wie die extrakorporale System mit z. B. 3 000 ml NaCl
CVVHF) weisen eine deutlich bessere hämody- 0,9 %, das mit 10 000 IU Heparin versetzt wurde,
namische und metabolische Stabilität auf als in- durchgespült. Während der Dialyse wird Hepa-
termittierende Verfahren (wie die Hämodialyse). rin vor dem Hämofilter ins extrakorporale Sys­
Bei der Hämofiltration können für niedermole- tem eingeleitet. Initial werden z. B. 250 IE/h
kulare Stoffe keine so hohen Clearance-Raten verabreicht und dann erfolgt ggf. eine Dosisstei-
erzielt werden wie bei der Hämodialyse. Bei- gerung um jeweils z. B. 125 IE/h, bis ein ACT-
spielsweise ist die Kaliumelimination weniger Wert [→  S. 309] von ca. 180–210 Sekunden er-
effektiv. Bei den kontinuierlichen Verfahren reicht ist. Bei blutungsgefährdeten Patienten
wird ein Flüssigkeitsentzug von ca. 35 ml/ wird ein ACT-Wert von nur 140–180 Sekunden
kg KG/h (ca. 2–2,5 l/h) empfohlen. Das entzoge- angestrebt und bei stark blutungsgefährdeten
ne Ultrafiltrat muss großteils wieder durch eine Patienten wird u. U. ganz auf eine Heparinisie-
lactat- oder bicarbonatgepufferte Substitutions- rung verzichtet [wodurch es allerdings zum bal-
lösung (Substituat) ersetzt werden. Falls eine ne- digen Verstopfen des Hämofilters kommt, der
gative Flüssigkeitsbilanz von z. B. minus 1,5 Liter dann übermäßig oft erneuert werden muss]).
angestrebt wird, dann sollte die Substitutionslö- Vor allem in den USA wird oft auch eine Antiko-
sung pro Tag plus die Einfuhr (Ernährungslö- agulation mit Citrat durchgeführt. Inzwischen
sungen, Medikamenten u. Ä.) um 1,5 Liter gerin- wird auch in Deutschland zunehmend häufiger
ger sein als das pro Tag entzogene Ultrafiltrat. eine Citratantikoagulation durchgeführt.
466 7  Intensivmedizin

Geräte zur Durchführung einer CVVHF bzw. Einteilung


CVVHDF verfügen über eine sog. Bilanzie- Schädel-Hirn-Traumen können je nach Schwe-
rungswaage. Die Menge des Substituats, des regrad in verschiedene Stadien (Grad I–III) un-
Dialysats sowie die Gesamtausfuhr werden ge- terteilt werden.
wogen. Zugeführtes Substitutionsvolumen mi- ● SHT I. Grades

nus entzogenes Flüssigkeitsvolumen ergibt den – Bewusstlosigkeit bis zu 1 Stunde


Entzug. Mit diesen Bilanzierungswaagen wird – retrograde Amnesie (Erinnerungslosig-
die Flüssigkeitsbilanzierung einfacher und ge- keit für den Zeitraum vor dem Unfaller-
nauer. Bei diesen Geräten braucht die ge- eignis)
wünschte positive oder negative Flüssigkeitsbi- – vegetative Störungen
lanz (in ml) lediglich einprogrammiert werden. – keine Substanzschäden des Gehirns
– neurologische Störungen klingen inner-
Vorbeugende Maßnahmen halb von 4 Tagen ab
Um einem Nierenversagen vorzubeugen, muss – keine Spätschäden
ein intravasaler Volumenmangel umgehend be- ● SHT II. Grades

seitigt und eine erniedrigte Nierendurchblutung – Bewusstlosigkeit 1–24 Stunden


aufgrund einer Herzinsuffizienz muss durch po- – Substanzschäden
sitiv inotrope Substanzen verbessert werden. – neurologische Störungen klingen inner-
Dass das Risiko eines Nierenversagens durch halb von 3 Wochen ab
eine Dopamininfusion in „Nierendosis“ (ca. 2–3 – selten Spätschäden
µg/kg KG/min; →  S. 303) vermindert werden ● SHT III. Grades

kann, ist inzwischen eindeutig widerlegt. Bei be- – Bewusstlosigkeit 1–7 Tage oder Hirn-
ginnendem oligurischem oder anurischem Nie- stammschädigung und Bewusstlosigkeit
renversagen kann versucht werden, durch sehr länger als 6 Stunden
hohe Furosemidgaben (max. 1 500 mg über ei- – neurologische Störungen länger als 3 Wo-
nen Tag) die Urinausscheidung zu steigern. Vor- chen
aussetzung für eine Furosemidgabe ist jedoch ein – häufig Spätschäden
ausreichendes intravasales Volumen.
Ätiologie
Ein Schädel-Hirn-Trauma kann durch unter-
7.13.4 ZNS-Erkrankungen schiedlichste Ursachen (z. B. Stoß-, Schlag-,
Sturz-, Stich-, Schussverletzungen) bedingt
sein.
Schädel-Hirn-Verletzungen
Klinik

Bei einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) muss zwi- An klinischen Zeichen imponieren bei einem
 schen primärer Hirnschädigung, die direkt beim SHT neben der Bewusstseinstrübung je nach
Unfall auftritt, und zwischen evtl. später noch auf- Schweregrad:
tretender, sekundärer Hirnschädigung unterschie- ● Zeichen eines erhöhten intrakraniellen
den werden. An sekundären Hirnschädigungen Drucks:
sind vor allem das posttraumatische Hirnödem – Übelkeit, Erbrechen
mit Gefahr des intrakraniellen Druckanstiegs – Bradykardie, Hypertonie
(→ S. 268), eine Meningitis oder ein Abszess zu – Kopfschmerzen, Schwindel
nennen. – Sehstörungen
– Stauungspapille
Patienten mit traumatischer Schädel-Hirn-Ver- – zentral ausgelöstes Fieber
letzung sind relativ häufig auf Intensivstationen
zu betreuen.
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 467

● Einklemmungszeichen bei zunehmender ● kontrollierte (Hyper-)Ventilation (→  S. 272)


Steigerung des intrakraniellen Drucks: ● medikamentöse ICP-Senkung (→  S. 49,
– ein- oder beidseitige Pupillenerweiterung, 268)
Beeinträchtigung der Pupillomotorik ● Barbituratgabe und Barbituratkoma:

(→  S. 407) Barbiturate vermindern den zerebralen Stoff-


– Parästhesien, kontralaterale Hemiplegie wechsel und die Hirndurchblutung. Dadurch
– Streckkrämpfe, Nackensteifheit (→  S. kann der intrakranielle Druck akut ernied-
416) rigt werden, bis eine kausale Therapie (z. B.
– Pyramidenbahnzeichen (→  S. 412) die operative Ausräumung eines intrakrani-
– fortschreitender Ausfall der Hirnstamm- ellen Hämatoms) durchgeführt ist. Zur aku-
reflexe mit Atemstörungen, Kreislaufstö- ten Senkung des intrakraniellen Drucks wird
rungen (→  S. 415) zumeist das schnell und kurz wirksame Thio-
● sichtbare Kopfverletzungen pental (→  S. 49) verabreicht. Zur Durch­
führung eines länger dauernden Barbiturat-
Hirnschädigungen sind meist im Bereich der komas kann Phenobarbital (Luminal®
Gewalteinwirkung auf den Schädel (Coup) und Injektionslösung) verabreicht werden (Initi-
oft auch an der gegenüberliegenden Stelle (Con- aldosis: ca. 20 mg/kg KG; danach: 3 × 10 mg/
trecoup) nachweisbar. Eine operativ angehbare kg KG/d). Bei Durchführung eines Barbitu-
intrakranielle Raumforderung muss stets aus- ratkomas sollte eine gleichzeitige kontinuier-
geschlossen werden. liche EEG-Überwachung vorgenommen
werden. Die Barbituratdosierung sollte
Diagnostik höchstens soweit gesteigert werden, bis die
An diagnostischen Maßnahmen sollte eine im EEG nachweisliche Hirnaktivität weitge-
Röntgenaufnahme des Schädels zum Ausschluss hend zum Erliegen kommt (burst suppres­
von Schädelfrakturen sowie eine zerebrale sion). Eine weitere Erhöhung der Barbiturat-
Computertomographie (um eine zerebrale Blu- dosis ist dann sinnlos. Ob durch ein
tung bzw. ein Ödem nachweisen zu können) Barbituratkoma die Überlebensrate verbes-
durchgeführt werden. sert werden kann, ist umstritten. Diese The-
rapie wird bisher als „experimentell“ be-
Therapie zeichnet.
Primäre Hirnschädigungen sind therapeutisch ● Kreislaufstabilisierung
! nicht beeinflussbar. Das gesamte therapeutische ● Osmodiuretika (→  S. 269)
Bemühen gilt dem Versuch, sekundäre Hirnschä- ● Liquordrainage (→  S. 268)
digungen zu minimieren (Überwachung der Hirn- ● Corticosteroide
funktion; →  S. 407). (Nach einem Schädel-Hirn-Trauma sind
Corticosteroide sowohl in moderater als
Ziel der therapeutischen Maßnahmen muss es auch in hoher Dosierung wirkungslos auf
sein, eine weitere Hirndrucksteigerung zu ver- den ICP oder die Überlebensrate; →  S. 268.)
meiden (→  S. 268) und eine ausreichende Oxy- ● Hypothermie:

genierung sicherzustellen. Die Indikation zur Durch eine künstliche Senkung der Körper-
Intubation und kontrollierten Beatmung ist temperatur können Hirnstoffwechsel sowie
großzügig zu stellen. An intensivmedizinischen intrakranieller Druck gesenkt werden. Der
Möglichkeiten zur Bekämpfung eines patholo- dadurch bedingte ICP-senkende Effekt wird
gisch erhöhten intrakraniellen Drucks (ICP) jedoch zum Teil als relativ gering bezeichnet.
stehen folgende Maßnahmen zur Diskussion: Beginnt die Hypothermie bereits vor oder
● Lagerung des Patienten mit leicht erhöhtem während des Eintritts der Hirnschädigung,
Oberkörper (→  S. 268) kann ein sicherer hirnprotektiver Effekt er-
468 7  Intensivmedizin

zielt werden. Bei Beginn der Hypothermie Subarachnoidalblutung


nach Eintritt der Hirnschädigung ist dieser
Effekt eher umstritten. Zur Senkung der Bei Patienten mit einer Subarachnoidalblutung
Körpertemperatur mittels Kühlmatte oder (= SAB; Blutung aus einem Aneurysma einer
Eispackungen (z. B. auf 32 °C) müssen die Zerebralarterie) besteht vor allem die Gefahr ei-
körpereigenen Gegenregulationsmechanis- ner Rezidivblutung, solange das Aneurysma
men mittels tiefer Analgosedierung massiv noch nicht geclippt oder gecoilt ist. Bei der Nar-
„geblockt“ werden. Es ist ein fortlaufendes, koseeinleitung ist ein Blutdruckanstieg zu ver-
intensives Monitoring von meiden. In den letzten Jahren wird bei Vorliegen
– Herz und Kreislauf, eines zerebralen Aneurysmas immer seltener
– Beatmungsparametern, ein operatives Aneurysma-Clipping und immer
– Blutgasen, häufiger ein radiologisch-interventionelles An-
– Nierenfunktion, eurysma-Coiling durchgeführt (→  S. 278).
– Stoffwechsel, Nach dem operativen Clipping oder dem Coi-
– Elektrolythaushalt, ling eines entsprechenden Aneurysmas (→  S.
– Blutgerinnung und 278) besteht vor allem die Gefahr eines Gefäß-
– zerebraler Funktion spasmus mit Hirninfarkt. Blutdruckabfälle
zu fordern, um drohende Entgleisungen sind zu vermeiden, es wird normalerweise ein
(z. B. stärkere Alkalose mit Hypokaliämie) etwas über dem normalen Blutdruck liegender
vermeiden zu können. Bei Beendigung der Wert angestrebt. Es wird eine sog. Triple-H-
Hypothermie muss die Wiedererwärmung (HHH-)Therapie (leichte Hypertonie, Hyper­
sehr langsam erfolgen. volämie, Hämodilution) empfohlen, um die ze-
rebrale Perfusion zu verbessern und um
Gefäßspasmen vorzubeugen. Oftmals wird Ni-
Betreuung nach Kraniotomie modipin per Infusionspumpe verabreicht (erste
Stunde 1 mg/h, dann 2 mg/h, falls kein Blut-
Nach einer Kraniotomie (operative Schädeler- druckabfall auftritt). Durch diesen selektiven
öffnung) ist eine intensivmedizinische Nachbe- Calciumkanalblocker soll evtl. ein zerebraler
treuung notwendig. Es ist insbesondere das Ri- Vasospasmus positiv beeinflusst werden. Man-
siko einer postoperativen Nachblutung oder che Patienten reagieren jedoch mit einem deut-
einer Ödembildung mit Anstieg des ICP zu be- lichen Blutdruckabfall, was gegen dessen weitere
achten. Eine entsprechende engmaschige Über- Verabreichung spricht. Wird die Vasospasmus-
wachung von neurologischem Status (→  S. gefahr besonders hoch eingeschätzt, dann kann
407), Atmung und Herz/Kreislauf ist notwen- es bei einem Blutdruckabfall evtl. erforderlich
dig. Insbesondere der Blutdruck muss in engen sein, zusätzlich einen (vorwiegend peripher
– vom Neurochirurgen für den einzelnen Pati- wirkenden) Vasokonstriktor wie Noradrenalin
enten vorgegebenen – Grenzen konstant gehal- (Arterenol®) zu verabreichen, um einen ausrei-
ten werden, um einerseits eine ausreichende chenden zerebralen Perfusionsdruck (CPP =
Durchblutung sicherzustellen und andererseits MAP – ICP; →  S. 269) aufrechtzuerhalten.
die Nachblutungsgefahr möglichst gering zu
halten. Bei Verdacht auf eine Nachblutung ist
eine sofortige zerebrale Computertomographie Querschnittslähmung
notwendig, um eine evtl. Operationsindikation
zu klären. Es sollte routinemäßig ca. 6–8 Stun-
Eine Querschnittslähmung ist zumeist trauma-
den postoperativ eine zerebrale Computerto-  tisch durch direkte (Schlag) oder indirekte (Sturz)
mographie durchgeführt werden. Gewalteinwirkung bedingt. Je nach Höhe der
Querschnittslähmung sind die unteren Extremi-
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 469

täten (Paraplegie) oder alle 4 Extremitäten (Te- chenden Muskulatur. Es entwickeln sich spinale
traplegie) gelähmt. Schädigungen im Bereich der Automatismen (z. B. Blasen- und Darmentlee-
Halswirbelsäule zwischen C3 und C5 (Ursprung rung ab einem bestimmten Füllungsgrad). Die
des für die Zwerchfellatmung notwendigen Ner- Herz-Kreislauf-Situation ist labil und insbeson-
vus phrenicus) oder oberhalb davon sind mit dem dere in den ersten Wochen nach Abklingen des
Leben nicht vereinbar. spinalen Schocks durch eine sog. autonome
Hyperreflexie gefährdet. Durch unterschied-
Ätiologie lichste Reize im Verletzungsgebiet (Schmerzrei-
Ursache der Lähmung ist eine Durchtrennung ze, Überdehnung der Blase o. Ä.) kann eine au-
oder Schädigung der Nervenbahnen durch dis- tonome Hyperreflexie mit exzessiver Hypertonie
lozierte Knochenfragmente der verletzten Wir- und reflektorischer Bradykardie auftreten.
belsäule oder eine Hämatombildung im Spinal-
kanal durch Stauchung oder Überbiegung der Diagnostik
Wirbelsäule. Die Diagnose Querschnittslähmung kann nor-
malerweise klinisch gestellt werden. Zusätzlich
Klinik ist jedoch stets eine radiologische Diagnostik
Unmittelbar nach Auftreten einer Querschnitts- (dislozierte Knochenfragmente?) notwendig
lähmung kommt es zur Ausbildung eines sog. (Röntgen, CT, MRT). Stets ist zu klären, ob es
spinalen Schocks. Es imponieren ein komplet- sich um eine inkomplette Querschnittslähmung
ter Ausfall von Sensibilität, Motorik und Mus- handelt, bei der durch eine sofortige Operation
keleigenreflexen unterhalb der Querschnittshö- und Wirbelsäulenstabilisierung noch eine Er-
he. Distal der Verletzungsstelle weisen die gebnisverbesserung möglich ist bzw. eine weite-
Patienten eine Vasodilatation, hervortretende re Dislokation und Verschlechterung verhindert
Venen und eine warme Haut auf. Ursache ist ein werden kann.
Ausfall der sympathisch gesteuerten Vasokon-
striktion. Diese distal der Querschnittshöhe Therapie
auftretende Vasodilatation führt zu einem Blut- In früheren Studien konnte gezeigt werden,
druckabfall. Kranial der Verletzungsstelle kommt dass therapeutisch durch die frühzeitige Gabe
es zur kompensatorischen Vasokonstriktion. Es (innerhalb von 8 h) von 30 mg/kg KG Methyl-
tritt außerdem ein paralytischer Ileus auf. Wäh- prednisolon (z. B. Urbason®) als Bolus und eine
rend dieser etwa 2 Wochen dauernden Phase des anschließende Gabe von ca. 5 mg/kg KG/h über
spinalen Schocks drohen vor allem respiratori- ca. 24 Stunden das neurologische Ergebnis
sche Komplikationen, weshalb eine intensivme- (outcome) nach Rückenmarksverletzungen
dizinische Überwachung notwendig ist. möglicherweise verbessert werden kann. Es gibt
allerdings auch zahlreiche negative Studiener-
Zu beachten ist, dass während der Phase des spi- gebnisse zur Gabe von Glucocorticoiden. Laut
! nalen Schocks beim Absaugen des Nasen-Rachen- Aussage des Arbeitskreises Neuroanästhesie der
Raumes starke vagale Reaktionen bis hin zur Asy- Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und In-
stolie ausgelöst werden können. tensivmedizin bleibt die Entscheidung, Gluco-
corticoide bei einer Rückenmarksverletzung zu
Mit Übergang in das chronische Stadium keh- geben (aufgrund der widersprüchlichen Daten-
ren die spinalen Reflexe wieder zurück. Der Pa- lage), dem behandelnden Arzt überlassen.
tient ist nun vor allem durch aufsteigende In-
fektionen im Urogenitalbereich und – bei Pflege des Patienten
hohem Querschnitt mit grenzwertiger Atem- Stets muss vorher geklärt werden, ob ein quer-
funktion – durch pulmonale Komplikationen schnittsgelähmter Patient gelagert werden darf
gefährdet. Es imponieren gesteigerte Muskelei- (partielle Querschnittslähmung bei instabiler
genreflexe, Spastizität und Rigidität der entspre- Fraktur?). Sind Lagerungsmanöver erlaubt,
470 7  Intensivmedizin

sollten sie zur Dekubitusprophylaxe regelmäßig Zerebrale Krampfanfälle


durchgeführt werden. Eine sorgfältige Haut-
pflege ist für diese Patienten besonders wichtig. Bei Schädel-Hirn-traumatisierten Patienten be-
Aufgrund der beeinträchtigten Regulationsfä- steht die erhöhte Gefahr zerebraler Krampfan-
higkeit des Gefäßsystems können bereits bei fälle. Fokale Krampfanfälle führen z. B. zu
Lagerungsmanövern Blutdruckabfälle auftre- rhythmischen Zuckungen einer Gesichtshälfte
ten. Da während des spinalen Schocks ein oder eines Armes. Sie sind abzugrenzen von
akuter Harnverhalt auftritt, muss der Patient generalisierten zerebralen Krampfanfällen.
einen transurethralen oder besser einen sup­ Zum Durchbrechen zerebraler Krampfanfälle
rapubischen Blasenkatheter erhalten. Die bietet sich ein Barbiturat oder Benzodiazepin
während des initialen Spinalschocks auftreten- an. Zur Langzeittherapie werden zumeist Phe-
de Magen-Darm-Atonie macht eine parenterale nytoin (Phenhydan®), Clonazepam (Rivotril®)
Ernährung, das Legen einer Magensonde, oder Phenobarbital (Luminal®) eingesetzt.
konsequente Abführmaßnahmen und eine Vergleiche auch Überwachung der „Hirnfunk-
Ulkusprophylaxe notwendig. Mit Wiederbe- tion“ (S. 407).
ginn der Darmaktivität kann mit der oralen
Nahrungszufuhr langsam begonnen werden.
Querschnittsgelähmte Patienten sollten mög- Hirntod
lichst bald in ein spezielles Therapiezentrum
verlegt werden. Ein großes Problem bei der Be-
Nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma kann
treuung dieser Patienten ist deren psychische  der isolierte Hirntod eintreten, obwohl aufgrund
Führung. Oft handelt es sich um junge Patien- intensivmedizinischer Unterstützung Kreislauf-
ten, die ihre Behinderung nicht verstehen und und Lungenfunktion noch weitgehend intakt sein
akzeptieren wollen. Es kommen bald z. B. Fra- können. Der isolierte Hirntod bedeutet den irre-
gen nach dem Berufsleben oder z. B. dem Se- versiblen Ausfall aller Hirnfunktionen und damit
xualleben auf das ärztliche und pflegerische den Tod des Patienten.
Personal zu.
Klinik
Typisch sind:
Durchgangssyndrome ● tiefe Bewusstlosigkeit

● weite, lichtstarre Pupillen


Während der Erholungsphase nach Hirnverlet- ● keine Spontanatmung

zungen tritt zumeist ein Durchgangssyndrom ● keine Schmerzreaktion

auf, das durch stark schwankende Bewusst- ● Ausfall der Hirnstammreflexe

seinslage, Orientierungslosigkeit, Aggressivi­- ● Null-Linien-EEG

tät, Wahnvorstellungen, Antriebslosigkeit oder


Überaktivität gekennzeichnet ist (→  S. 409). Diagnostik
Der Patient muss in dieser Phase intensiv über- Die Diagnose eines isolierten Hirntodes muss
wacht werden. anhand einer ausführlichen klinischen Unter-
suchung von 2 Ärzten festgestellt werden, die
weder an einer möglichen Organentnahme
Dezerebrationssyndrome noch an der anschließenden Transplantation
beteiligt sein dürfen. Die Diagnose Hirntod
Die Dezerebrationssyndrome (= Trübungssyn- muss auf einem detaillierten Frage-Dokumen-
drome), das heißt apallisches Syndrom, Mittel- tations-Bogen niedergeschrieben werden. Aus-
hirnsyndrom und Bulbärhirnsyndrom werden zuschließen sind stets eine Intoxikation, ein
auf Seite 414 beschrieben. Medikamentenüberhang (z. B. Muskelrelaxan-
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 471

zien) oder eine Hypothermie des Patienten. on im Bereich von Magen-Darm-Trakt oder
Nach einer ersten klinischen Hirntodfeststel- Gallenblase bedingt ist. Es wird von sekundärer
lung ist – nach einem vorgeschriebenen Be­ Peritonitis gesprochen. Eine weitere häufige Ur-
obachtungszeitraum – eine zweite klinische sache stellt die Anastomoseninsuffizienz nach
Hirntoddiagnostik durchzuführen. Anhand kli- Operationen im Bereich des Gastrointestinal-
nischer Symptome und unter Beachtung eines traktes dar.
vorgeschriebenen Beobachtungszeitraums kann Bei einer länger bestehenden Entzündung oder
die Diagnose Hirntod zweifelsfrei (!) festgestellt Ischämie kann es auch zu einer (Durchwande-
werden. Zur Abkürzung des Beobachtungszeit- rungs‑)Peritonitis kommen. Mögliche Ursa-
raums können auch apparativ-technische Me- chen sind Appendizitis, Ileus, Gallenblasenem-
thoden angewandt werden (EEG, evozierte Po- pyem, inkarzerierte Hernie, Mesenterialinfarkt,
tenziale, Perfusionsszintigraphie, Angiographie, Pankreatitis, Divertikulitis oder ein nekrotisie-
Dopplersonographie). Ein sicheres Kriterium render Tumor. Aufgrund der zumeist vorliegen-
ist der Nachweis eines intrazerebralen Kreis- den bakteriellen Entzündung des Peritoneums
laufstillstands in allen 4 das Gehirn versorgen- kommt es zu einer ausgeprägten Flüssigkeitsse-
den Arterien (Arteriae carotis internae und Ar- questration in das entzündlich veränderte Ge-
teriae vertebrales). webe. Folge ist ein deutlicher Volumenmangel.
Ein sekundär auftretender Ileus verstärkt den
Trotz isolierten Hirntods können evtl. noch auf Volumenmangel weiter. Eine unbehandelte
! Rückenmarksebene vermittelte spinale Reflexe generalisierte eitrige Peritonitis führt zu Vo­
auslösbar sein. Dies widerspricht nicht der Dia- lumenmangelschock und septischem Schock.
gnose Hirntod! Sekundärkomplikationen sind vor allem res­
piratorische Schädigungen, Niereninsuffizienz,
Bei diesen Toten kann eine Organexplantation Leberinsuffizienz und Gerinnungsstörungen.
diskutiert werden (→  S. 266).
Klinik
Kennzeichen der diffusen Peritonitis sind:
● Bauchschmerzen
7.13.5 Abdominalerkrankungen ● „bretthartes“ Abdomen

● Druck- und Loslassschmerzen

Peritonitis ● Erbrechen

● hochfrequente und flache Atmung



Unter Peritonitis wird eine (seröse, fibrinöse, ● fehlende Darmgeräusche
 eitrige, jauchige) Entzündung des Bauchfelles ● evtl. Kreislaufinsuffizienz
verstanden. Die lokal begrenzte oder die diffuse ● Fieber
Peritonitis (Entzündung des Bauchfells) stellt ein
häufiges intensivmedizinisches Problem dar.
Diagnostik
Ätiologie An diagnostischen Maßnahmen kommen bei
Eine Peritonitis kann durch physikalisch-che- einer diffusen Peritonitis Abdomenübersichts-
mische Noxen (aseptische Peritonitis, z. B. aufnahme im Stehen oder in Linksseitenlage
durch Galle, Harn, Verdauungsenzyme, Blut (freie Luft im Abdomen aufgrund einer Perfo-
oder nach einer Operation) oder durch Mikro- ration?), Sonographie und Abdomen-CT (Er-
organismen und deren Toxine bedingt sein. guss? Abszess?) infrage. Laborchemisch fallen
Eine Peritonitis kann lokal begrenzt oder diffus Leukozytose, Linksverschiebungen und eine
(generalisiert) sein. Besonders wichtig ist die hohe CRP-Konzentration auf.
diffuse Peritonitis, die oft durch eine Perforati-
472 7  Intensivmedizin

Therapie kommt es zur Dilatation des Darms und zum


Falls irgend möglich, ist bei einer diffusen Peri- Rückstau von Darminhalt. Bei massiver Über-
tonitis eine kausale chirurgische Therapie dehnung des Darms drohen Durchblutungsstö-
durchzuführen (Übernähung der Anastomo- rungen, Nekrose und Perforation. Aufgrund
seninsuffizienz, Spülung der Bauchhöhle mit der Darmwandschädigung können Bakterien
NaCl 0,9 % und Taurolin®-Lösung). Bis vor eini- und Toxine aus dem Darmlumen durch die
gen Jahren wurde in komplizierten Fällen das Darmwand dringen (= Translokation) und zu
Abdomen zumeist nicht sofort wieder operativ Peritonitis und Sepsis führen.
verschlossen, sondern es wurde in die Bauch- Ein paralytischer Ileus kann unterschiedlichste
wand bis zum Abheilen der Entzündung ein Vi- Ursachen haben, wie z. B. diffuse Peritonitis,
crylnetz mit Reißverschluss eingenäht. Dadurch akute Pankreatitis, Mesenterialinfarkt, Mesente-
wird die Durchführung wiederholter Peritoneal- rialvenenthrombose, retroperitoneale Blutung,
Lavagen leicht möglich. Häufig wurde dann je- metabolische Entgleisungen oder Medikamente
den Tag oder jeden zweiten Tag eine Peritoneal- (z. B. Opioide, Catecholamine, Clonidin).
Lavage durchgeführt. Inzwischen werden meist
keine routinemäßigen Peritoneal-Lavagen mehr Klinik
durchgeführt, sondern es wird nur noch bei ent- Es imponieren Abdominalschmerzen, Erbrechen
sprechender Notwendigkeit eine Relaparotomie (im Extremfall miserere = kotiges Erbrechen,
vorgenommen. An intensivmedizinischen Maß- z. B. beim mechanischen Ileus), Meteorismus
nahmen sind Antibiotikatherapie, rein parente- (luftgefüllte Darmschlingen), fehlender Stuhl-
rale Ernährung, Ableiten des Magensekrets über und Windabgang. Typisch sind bei der Abdo-
eine Magensonde, suffiziente Schmerztherapie menleeraufnahme im Stehen oder in Linkssei-
und adäquate Volumensubstitution durchzu- tenlage Luftspiegel in Dünn- und Dickdarm.
führen. Bei schweren Verlaufsformen wird eine Während beim paralytischen Ileus Darmgeräu-
maschinelle Beatmung sowie die symptomati- sche fehlen, sind sie beim mechanischen Ileus
sche Therapie evtl. auftretender Organinsuffizi- verstärkt. Bei dieser Hyperperistaltik wird von
enzen notwendig. Als Antibiotika werden oft sog. „metallischen“, „hochgestellten“ und „klin-
Mezlocillin (Baypen®) oder Piperacillin (Pipera- genden“ Darmgeräuschen gesprochen. Es droht
cillin-ratiopharm®) plus β-Lactamase-Inhibitor eine rasch zunehmende Schocksymptomatik
Sulbactam (Combactam®) oder z. B. Imipenem durch Flüssigkeits- und Elektrolytverlus­te auf-
(Zienam®) eingesetzt (vgl. Tab. 7-5). grund von rezidivierendem Erbrechen und gro-
ßen Flüssigkeitsverlusten in das Darmlumen. Es
drohen auch Elektrolytverluste, vor allem eine
Ileus Hypokaliämie.


Ein Ileus (Darmverschluss) stellt eine Unterbre- Therapie
 chung der Darmpassage dar. Ursächlich können Bei mechanischem Ileus sind therapeutisch
eine Verlegung des Darmlumens (mechanischer primär eine Entlastung mittels Magensonde,
Ileus) oder eine Darmlähmung (paralytischer ein entsprechender Ausgleich der Flüssigkeits-,
Ileus) vorliegen. Bei unvollständiger Ausprägung Elektrolyt- und Proteinverluste und danach
der Symptomatik wird von Subileus gesprochen. eine operative Intervention durchzuführen.
Je nach Ursache ist als Therapie des paralyti-
Ätiologie schen Ileus neben einer Entlastungssonde z. B.
Die häufigsten Ursachen eines mechanischen eine operative Intervention oder eine Stimulati-
Ileus sind Verwachsungen (zumeist nach vor- on des Darms durch Einläufe oder Medikamen-
ausgegangenen Abdominaloperationen), inkar- te wie Parasympathikomimetika (z. B. Distig-
zerierte Hernien und Tumoren. Vor der Stenose minbromid; Ubretid®) oder selten Ceruletid
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 473

(Takus®, Krötengift; bei Pankreatitis jedoch gegen weisen Ketamin und Propofol nur eine
nicht anwenden!) indiziert (→  unten; postope- geringe Mobilitätshemmung auf.)
rative Darmatonie). ● sonstige begünstigende Faktoren

(z. B. Laxanzienabusus, chronischer Alkohol­


abusus, Nicotinabusus, Immobilisierung, Hyp-
Postoperative Magen-Darm-Atonie oxie, Beatmungstherapie, Acidose, erhöhter
Sympathikotonus, Postaggressionsstoffwech-

Unter postoperativer Magen-Darm-Atonie wird sel, Peritonitis, Sepsis, Kolonisation des Darms
 eine vorübergehende Störung der koordinierten mit pathogenen Keimen)
gastrointestinalen Funktion ohne Vorliegen eines
mechanischen Hindernisses verstanden. Im Prin- Bei einer Magen-Darm-Atonie sind der Vor-
zip liegt ein postoperativer paralytischer Ileus vor. wärtstransport des Speisebreies und die vor al-
Die Ursachen sind multifaktoriell und noch nicht lem im Dünndarm stattfindenden Sekretions-
vollständig geklärt. und Resorptionsvorgänge beeinträchtigt.

Die normale Stuhlentleerungsfrequenz liegt Therapie


zwischen einmal pro Tag bis einmal pro 4–5 Zur pharmakologischen Stimulation der Darm-
Tage. Für eine normale Magen-Darm-Peristal- mobilität kommen eine Reihe unterschiedlicher
tik ist ein Gleichgewicht zwischen den norma- Medikamente infrage:
lerweise vorhandenen stimulierenden und ● Metoclopramid (Paspertin )
®

hemmenden Mechanismen wichtig. Dieses steigert (durch vermehrte Freisetzung von


Gleichgewicht kann durch verschiedenste Ein- Acetylcholin) den Tonus des unteren Öso-
flussfaktoren beeinträchtigt werden. Ob im Ein- phagussphinkters, erhöht die Peristaltik des
zelfall eine zu geringe Stimulation oder ob eine Ösophagus, beschleunigt die Magenentlee-
zu starke Hemmung der Magen-Darm-Aktivi- rung und verkürzt die Magen-Darm-Passa-
tät vorliegt, ist meist nicht abschätzbar. Stimu- ge. Mögliche Nebenwirkungen sind extrapy-
lierend wirken z. B. die den Darm versorgenden ramidale Dyskinesien im Kopf- und
parasympathischen Fasern, die als Neurotrans- Schulterbereich, vor allem bei Kindern (z. B.
mitter Acetylcholin freisetzen (→  S. 66). krampfartiges Herausstrecken der Zunge).
Täglich resorbiert der gesunde Darm ca. 8–9 Li- Die Dosierung von Metoclopramid beträgt
ter Wasser (v. a. im Dünndarm). Lediglich ca. 10 mg intravenös.
1,5 Liter davon stammen aus der Nahrung, der ● Domperidon (Motilium )
®

Rest stammt aus Drüsensekreten. Beispielswei- beschleunigt die Magenentleerung. Zentrale


se werden pro Tag ca. 0,5–1,5 Liter Speichel und Nebenwirkungen sind selten, da es die Blut-
ca. 1,0–1,5 Liter Magensaft produziert. Hirn-Schranke nur schwer durchdringt. Dom-
peridon ist nicht intravenös verabreichbar.
Ätiologie Dosierung: 3 × 4 ml Motilium® oral oder
Mögliche Ursachen einer Darmatonie können über die Magensonde.
sein: ● Distigmin (Ubretid )
®

● atypische Zusammensetzung der Nahrung hemmt das Enzym Cholinesterase und ver-
● Erkrankungen hindert dadurch den Abbau des Neurotrans-
(z. B. Diabetes mellitus) mitters Acetylcholin (→  S. 72). Über die
● Operationen oder Verletzungen erhöhte Acetylcholinkonzentration im synap-
(z. B. Bauchoperationen, Schädel-Hirn-Trau- tischen Spalt wird eine Stimulation der Peri-
ma) staltik erzeugt. Die Dosierung von Distigmin
● Medikamente beträgt z. B. 0,5 mg (= 1 Ampulle) in 100 ml
(z. B. Opioide, Barbiturate, Catecholamine, NaCl 0,9 % als Kurzinfusion oder in 50 ml
Clonidin, Diuretika, Benzodiazepine). (Da- NaCl 0,9 % langsam über Spritzenpumpe in-
474 7  Intensivmedizin

travenös. Anstatt Distigmin wird öfter auch Flüssigkeitsmengen kann evtl. der im Darm
der Cholinesterasehemmer Neostigmin (z. B. befindliche Stuhl aufgeweicht und durch die
3 Ampullen = 1,5 mg in 50 ml NaCl 0,9 % über Volumendehnung der Ampulla recti kann zu-
2–3 Stunden) verabreicht, obwohl Neostig- sätzlich die Defäkation stimuliert werden.
min hierfür offiziell keine Zulassung hat. ● rückenmarksnahe Sympathikusblockade:


● Erythromycin: Durch eine rückenmarksnahe Sympathikus-
Das Antibiotikum Erythromycin führt in blockade (Periduralanästhesie mit z. B.
niedriger, antibiotisch unwirksamer Dosie- 0,2%igem Ropivacain) kann eine Stimulati-
rung zu einer Beschleunigung der Magen- on der intestinalen Mobilität erzielt werden
entleerung. Bei erhöhtem Magenrückfluss (→  S. 181).
oder zur Platzierung einer durch den Magen ● frühzeitige enterale Nahrungszufuhr:

einzuführenden jejunalen Ernährungssonde Hierdurch ist eine Stimulation der Magen-


konnte eine gute Wirksamkeit gezeigt wer- Darm-Motilität möglich. Da nach einer grö-
den. Die Dosierung wird mit 3-mal 200 mg ßeren Operation oder Verletzung die Atonie
intravenös für maximal 3 Tage angegeben. des Dünndarms meist 4–12 Stunden, die des

● Ceruletid (Takus®) Magens aber 3–4 Tage dauert, wird oft post-
stimuliert die intestinale Peristaltik sehr stark operativ oder posttraumatisch eine frühzei-
(u. a. durch eine Acetylcholinfreisetzung). tige enterale Ernährung über eine liegende
Mögliche Nebenwirkungen sind abdominale Jejunalsonde (und nicht über eine Magen-
Krämpfe (durch die starke Peristaltik) sowie sonde) empfohlen (→  S. 381).
ein erhöhter Magenrückfluss (durch eine ver-
stärkte Kontraktion des Magenausganges).
Die Dosierung beträgt 40 µg (z. B. in 100 ml Akute gastrointestinale Blutung
NaCl 0,9 % als Infusion über ca. 4 Stunden).

● Laxanzien:
Bei einer gastrointestinalen Blutung (= GI-Blu-
Insbesondere Laxanzien, die die Resorption  tung) kann es zu einer venösen oder arteriellen
von Flüssigkeit und vor allem von Natrium Blutung in den Magen oder in das Darmlumen
hemmen (= antiabsorptive Wirkung) und ei- kommen.
nen Einstrom von Flüssigkeit und vor allem
von Natrium ins Darmlumen fördern (se- Ätiologie
kretagoge Wirkung), scheinen sinnvoll. Da- Die häufigsten Ursachen für eine Blutung in
durch kommt es zur Aufweichung der Fäzes das Darmlumen sind – im Falle einer oberen
und zur vermehrten Füllung des Darms. Da- GI-Blutung – Magen- oder Duodenalgeschwü-
durch wird die reflektorische Entleerung be- re, Magenkarzinome und Ösophagusvarizen.
günstigt. Für die seltenere untere GI-Blutung sind beson-
Häufig verwendete Laxanzien aus dieser ders Hämorrhoiden, Dickdarmkarzinome und
Gruppe sind Bisacodyl (Dulcolax®) und Na- entzündliche Darmerkrankungen verantwort-
triumpicosulfat (Laxoberal®). Die Dosierung lich. Eine weitere häufigere Ursache für intraab-
beträgt je 20–30 Tropfen (z. B. in Tee) oral dominale Blutungen sind postoperative Nach-
oder über die Magensonde. Bisacodyl kann blutungen.
auch als Suppositorium verabreicht werden.

● Klysmen: Klinik
Durch die rektale Instillation einer hyperto- Stärkere Blutungen in das Magen-Darm-Lumen
nen Lösung in Form eines Klysmas kann oft sind klinisch durch Bluterbrechen, durch bluti-
der Defäkationsreflex ausgelöst werden. gen oder kaffeesatzartigem Rückfluss über eine

● Hebe-Senk-Einläufe: Magensonde, durch Blutauflagerungen auf dem
Durch hohe Hebe-Senk-Einläufe mit größeren Stuhl oder durch Teerstuhl gekennzeichnet.
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 475

Komplikation Diagnostik
Gemeinsames Merkmal aller stärkeren gastro- Helicobacter pylori kann z. B. mit dem Helico-
intestinalen Blutungen ist der sich entwickelnde bacter-Urease-Test nachgewiesen werden.
hämorrhagische Schock. Aufgrund des oft aku-
ten Blutverlusts ist der Hb-Wert meist falsch Therapie
„hoch“ (→  S. 319). Zur Therapie wird eine sog. Eradikation emp-
fohlen (Eradikation bedeutet: mit der Wurzel
Diagnostik ausreisen). Hierzu wird eine sog. Dreifachthe-
Die Diagnostik (Lokalisation der Blutung) ge- rapie (Triple-Therapie) über 7 Tage mit zumeist
lingt meist mittels Endoskopie. Für die Diagno- 2-mal 250 mg Clarithromycin (z. B. Klacid®)
se einer intraperitonealen Blutung sind entwe- und 2-mal 400 mg Metronidazol (z. B. Clont®)
der eine sonographische Untersuchung, eine und 2-mal einem Protonenpumpenhemmer
Abdominal-Lavage oder eine sorgfältige klini- (z. B. 2 × 40 mg Pantoprazol; Pantozol® – 2 ×
sche Untersuchung (Palpation, Zunahme des 20–40 mg Omeprazol; Antra® – 2 × 20–40 mg
Bauchumfanges?) notwendig. Esomeprazol; Nexium®) oral empfohlen.
Bei einer Ulkusblutung wird stets eine Gastro-
Therapie skopie und Duodenoskopie durchgeführt. In-
Die Therapie (Stillung der Blutung) ist meist en- zwischen wird bei einer Ulkusblutung oft eine
doskopisch bzw. operativ und manchmal medi- endoskopische Unterspritzung (mit verdünnter
kamentös möglich. Therapeutisch stehen die Adrenalinlösung oder dem Gewebekleber His­
Platzierung mehrerer großlumiger peripherer toacryl) oder eine Laserung durchgeführt.
Verweilkanülen sowie energische Volumen- Manchmal kann konservativ therapiert werden.
und Blutsubstitution an erster Stelle. Bei schwe- Selten kann auch eine operative Blutstillung
ren Blutungen muss die Operation noch vor notwendig werden.
der Stabilisierung des Kreislaufs begonnen wer-
den. Vorbeugende Maßnahmen
Bei Intensivpatienten besteht die erhöhte Ge-
fahr von stressbedingten Gastrointestinalblu-
Ulkusblutungen tungen. Daher hat die Ulkusprophylaxe einen
hohen Stellenwert in der Intensivmedizin. Zu-
Einteilung sätzlich ist stets eine medikamentöse Stressul-
Ulkusblutungen werden nach der sog. Forrest- kusprophylaxe (→  S. 427) wichtig.
Klassifikation eingeteilt:
Ia = spritzende arterielle Blutung
Ib = Sickerblutung Ösophagusvarizenblutungen
IIa = nicht blutender, sichtbarer Gefäßstumpf
IIb = anhaftendes Koagel
Bei Vorliegen einer Leberzirrhose ist der Ge-
IIc = Hämatin am Ulkusgrund  fäßwiderstand in der zirrhotischen Leber hoch
III = keine sichtbare Blutungsquelle und die Leberdurchblutung dadurch gedros-
selt. Das Blut staut sich vor der Leber in der
Ätiologie Pfortader, es wird von portaler Hyperten-
Bei einem Ulcus pepticum kann häufig eine sion gesprochen. Das Blut aus der Pfortader
Besiedelung der Magenschleimhaut mit dem fließt daher zum Teil über Umgehungskreisläufe
Bakterium Helicobacter pylori nachgewiesen (an der Leber vorbei) in die Vena cava.
werden (bei einem Magen- oder Duodenalul- Bei portaler Hypertension stellen die Ösophagus-
kus in ca. 80 bzw. 90 % der Fälle). venen einen wichtigen Umgehungskreislauf
dar.
476 7  Intensivmedizin

Die bei der portalen Hypertension dilatierten Ge- Pfortaderblut gelangt über den Shunt unter
! fäße (Ösophagusvarizen) können einreißen und Umgehung der Leber direkt in die Vena cava.
zu massiven Blutungen mit Volumenmangel- Bei einer Ösophagusvarizenblutung ist eine um-
schock führen. Bei dem oft massiven Bluterbre- gehende Volumensubstitution notwendig. Rela-
chen besteht die Gefahr einer Aspiration! Zumeist tiv selten wird durch Kompressionssonden, wie
wird die Transfusion von Blut und FFP notwendig. die Sengstaken-Blakemore-Sonde (2-Ballon-
Sonde) oder die Linton-Nachlas-Sonde (1-Bal-
lon-Sonde), eine Blutstillung versucht. Die
Therapie Sengstaken-Blakemore-Sonde wird über die
Bei anhaltender Blutung kann versucht werden, Nase bis in den Magen vorgeschoben. Der unte-
die Varizenblutung endoskopisch (meist mittels re, kleinere und runde Ballon dieser Sonde wird
Ligatur oder Injektionen eines Sklerosierungs- mit Luft gefüllt und an die untere Ösophagusöff-
mittels; bei Magenfundusvarizen wird dagegen nung herangezogen. Dieser Ballon dient der
meist ein Gewebekleber in die Varizen injiziert) Sondenfixierung unterhalb der Kardia. Danach
zu behandeln. Es kann zusätzlich auch eine me- wird der längliche, im distalen Ösophagus lie-
dikamentöse Senkung des Pfortaderdrucks gende zweite Ballon aufgeblasen, wodurch die
durch Terlipressin (Glycylpressin®, Haemopres- blutenden Ösophagusvarizen komprimiert wer-
sin®) oder Somatostatin (Somatostatin HEX- den (vgl. Abb. 7-18). Über die Sonde kann auch
AL®) oder Octreotid (Sandostatin®) versucht eine Magenspülung vorgenommen werden. Der
werden. Eventuell kann vom Gastroenterologen Magen muss klargespült werden.
– nach Punktion der Vena jugularis interna –
auch ein TIPS (= transjugulärer intrahepati- Kompressionssonden dürfen wegen der Gefahr
scher portosystemischer Shunt = Shunt-Röhr- ! einer Ösophaguswandnekrose höchstens 48 Stun-
chen zwischen prähepatischer Pfortadervene den in geblocktem Zustand belassen werden.
und posthepatischer Vene) angelegt werden. Zwischenzeitlich sind sie wiederholt kurzfristig zu
Langfristig kann die Anlage einer Anastomose entblocken, um Drucknekrosen vorzubeugen.
zwischen Pfortader und Vena cava (eines porto-
kavalen Shunts) indiziert sein. Die Leber wird Der Kompressionsdruck der Ösophagussonde
dann weiterhin über die Arteria hepatica aus- sollte höchstens 35–40 mm Hg betragen.
reichend mit arteriellem Blut versorgt. Das Kommt die Blutung nicht zum Stehen, so ist sel-

Abb. 7-18 Links: platzierte Seng­


staken-Blakemore-Sonde (2-Ballon-
Sonde; 3-lumig). 1 = Zuleitung für
Ösophagusballon; 2 = Magensonde;
3 = Zuleitung für Magenballon.
Rechts: platzierte Linton-Nachlas-
Sonde (1-Ballon-Sonde; 3-lumig).
1 = im Ösophagus endende Sonde;
2 = Magensonde; 3 = Magenballon.
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 477

ten ein notfallmäßiges operatives Vorgehen Ätiologie


notwendig. Ist die Blutung zum Stillstand ge- Die wichtigsten Ursachen einer akuten Pan-
kommen, dann kann die Sonde entblockt wer- kreatitis (interstitiell-ödematös 80–90 %; hä-
den. Sicherheitshalber sollte sie jedoch wegen morrhagisch-nekrotisch 10–20 %) sind Erkran-
der Gefahr einer Nachblutung noch ca. einen kungen im Bereich der ableitenden Gallenwege
Tag ungeblockt in situ belassen werden. Zusätz- (Gallengangssteine, Tumor) und chronischer
lich kann versucht werden, den Druck in der Alkoholismus. Auch nach Abdominalverlet-
Pfortader medikamentös mit Terlipressin, So- zungen kann eine (traumatisch bedingte) Pan-
matostatin oder Octreotid (→  S. 476) zu sen- kreatitis auftreten.
ken.
Die bei einer Ösophagusvarizenblutung in den Klinik
Gastrointestinaltrakt eingetretenen Blutmengen Klinisch imponieren starke Oberbauchschmer-
werden bakteriell abgebaut. Vor allem das hier- zen mit evtl. gürtelförmiger Ausstrahlung in
bei anfallende Ammoniak kann normalerweise den Rücken, Erbrechen, Ileus, aufgeblähtes Ab-
bei diesen Patienten nicht mehr hepatisch ent- domen, evtl. ein hypovolämischer Schock. Je nach
giftet werden, da eine Leberinsuffizienz vorliegt. Schwere der Erkrankung treten zusätzlich links-
Es droht eine Ammoniakvergiftung, die sich in seitiger Pleuraerguss, respiratorische Beeinträch-
zerebralen Symptomen (Stupor, Zittern, Bewe- tigungen, akutes Nierenversagen, Gerinnungsstö-
gungsarmut, Parästhesien) äußert (hepatische rungen (DIC und evtl. Verbrauchskoagulopathie;
Enzephalopathie, Coma hepaticum). Neben →  S. 484), abdominale Blutungen, eitrige Perito-
einer Magen- und Dickdarmentleerung mittels nitis und intraabdominale Abszesse auf.
Sonde und Einläufen muss eine Reduktion der Bei der schweren Verlaufsform, der nekrotisie-
Darmflora mit einem oral verabreichten und renden Pankreatitis, kommt es durch Pankreas­
nicht resorbierbaren (Aminoglykosid-)Antibio- enzyme zu einer Selbstverdauung des Organs.
tikum (Paromomycin; Humatin®; 1–2 g/d oral Die im Bereich des Pankreas sowie im umge-
bzw. über Kompressionssonde) durchgeführt benden Gewebe meist entstehenden Nekrosen
werden. Zusätzlich wird ein Laxans (Lactulose; können sekundär bakteriell infiziert werden.
Bifiteral®; 20 ml alle 2 Stunden, bis Durchfall
auftritt) verabreicht und eine Stressulkuspro- Aufgrund schwerer Entzündungsreaktionen kommt
phylaxe (→  S. 427) durchgeführt. ! es zur Sequestration großer Flüssigkeits- und Pro-
teinmengen ins Gewebe und zur Ausbildung eines
hypovolämischen Schocks. Wegen der initial auf-
Pankreatitis tretenden Hypovolämie und Hypotonie droht häu-
fig ein prärenales akutes Nierenversagen.
Werden die von der Bauchspeicheldrüse (dem Pan-
 kreas) normalerweise ins Duodenum sezernierten Komplikationen
Enzyme (Trypsin zur Spaltung von Proteinen, Amy- Bei schweren Verlaufsformen können sich er-
lasen zur Spaltung von Kohlenhydraten und Lipa- hebliche respiratorische Komplikationen, evtl.
sen zur Spaltung von Fetten) bereits im Pankreas ein ARDS (→  S. 445), entwickeln.
aktiviert, dann kommt es zu einer Entzündung
oder gar zu einer Selbstandauung des Pankreas, Diagnostik
zu einer Pankreatitis. Durch diese Pankreassekrete Typische laborchemische Veränderungen sind
können im Pankreas selbst oder in der Umgebung erhöhte Aktivität der Alpha-Amylase im Serum
des Pankreas Gewebenekrosen entstehen. und im Urin (weniger aussagekräftig), erhöhte
Aktivität der Serumlipase (aussagekräftig), Ab-
fall der Plasmacalciumkonzentration, metaboli-
sche Acidose und Anstieg der Lactatkonzentra-
478 7  Intensivmedizin

tion (vgl. Tab. 7-8; →  S. 419). Die Bestimmung Die Durchführung einer großzügigen Volu-
der Lipasekonzentration ist aussagekräftiger als menzufuhr und der Einsatz von Catecholami-
die Amylasekonzentration. Liegt der Pankreati- nen sind bei der schweren Verlaufsform norma-
tis ein Gallenabflusshindernis zugrunde (Cho- lerweise notwendig.
lestase), dann sind die Aktivität der alkalischen
Phosphatase, die direkte Bilirubinkonzentrati- Prognose
on und die Aktivität der Gamma-GT (vgl. Tab. Bei der nekrotisierenden Pankreatitis handelt
7-8; →  S. 419) erhöht. sich um ein schweres Krankheitsbild mit
Bei der nekrotisierenden Pankreatitis sind die schlechter Prognose.
CRP-Konzentration (> 12–15 mg/dl) und die
Leukozytenzahl (> 16 000/mm3) deutlich er-
höht. 7.13.6 Alkoholkrankheit
Zur Beurteilung des Pankreas eignen sich vor
allem die Sonographie und die Computertomo- 1998 wurde nach offiziellen Statistiken davon
graphie. ausgegangen, dass in Deutschland 2,5 Millio-
nen alkoholkranke Menschen leben. Alkohol ist
Therapie die häufigste Suchtdroge in Deutschland. Bei
Um jegliche Stimulation der Pankreassekretion verunfallten Patienten handelt es sich in bis zu
zu vermeiden, muss der Patient parenteral er- 15–20 % um alkoholkranke Patienten. Die jähr-
nährt und der Magensaft abgeleitet werden. Au- lichen Folgekosten des Alkoholkonsums wer-
ßerdem kann eine Insulingabe erforderlich den in Deutschland mit ca. 15 Milliarden Euro
werden. Wird eine bakterielle Besiedelung der angegeben.
Nekrosen oder ein Abszess vermutet, dann soll- Bei Alkoholkranken ist das Risiko eines Karzi-
te eine Antibiotikatherapie eingeleitet werden. noms im Mund-Kehlkopf-Bereich ca. 10-fach
Gut geeignet sind: erhöht. Bei gleichzeitigem Alkohol- und Nico-
● Carbapeneme (v. a. Zienam ) tinmissbrauch ist dieses Risiko ca. 44-fach er-

● Piperacillin oder Mezlocillin plus β-Lacta- höht.


mase-Inhibitor
● Fluorchinolon (Gruppe 2 oder 3) plus Me- Einteilung
tronidazol Das Alkoholentzugssyndrom wird oft folgen-
● Cefalosporin (Gruppe 2) plus Metronidazol dermaßen unterteilt:
● unvollständiges Delir

Eine ausreichende Analgesie und Sedierung (Prädelir; orale Therapie ausreichend)


stellen oft ein Problem dar. Sinnvoll ist die An- ● vollständiges Delir

lage einer kontinuierlichen Periduralanästhesie, (Delirium tremens; orale Therapie ausrei-


sofern keine Gerinnungsstörung vorliegt. Bei chend
der Gabe von Opioiden besteht die Gefahr, dass ● lebensbedrohliches Delir

der Abfluss des Pankreassekrets aufgrund einer (i. v. Therapie notwendig)


opioidbedingten Tonuserhöhung des Sphincter
Oddi behindert wird. Klinik
Die Frage, ob in Einzelfällen evtl. eine chirurgi- Die dämpfende Wirkung einer chronischen Al-
sche Intervention sinnvoll ist, muss von dem koholzufuhr wird vom Körper dadurch kom-
Abdominalchirurgen geklärt werden. In­ pensiert, dass es zur Stimulation erregender
zwischen wird zumeist eine radiologisch-inter- Neurotransmittersysteme kommt. Beim plötzli-
ventionelle Therapie (CT-gesteuerte Punktion chen Wegfall der dämpfenden Alkoholwirkung
und Drainageeinlage) einer Operation vorge­ kommt es zur Störung des neuen Gleichge-
zogen. wichts mit Überwiegen erregender Systeme, zur
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 479

Übererregbarkeit des ZNS. Wird bei einem al- kann auch die Gabe eines β-Rezeptoren-Blockers
koholkranken Patienten die Alkoholzufuhr un- notwendig werden. Gegebenenfalls muss der
terbrochen, so droht ein Alkoholentzugsdelir. Patient intubiert werden. Flüssigkeitshaushalt
Es ist gekennzeichnet durch: (meist Hypovolämie), Elektrolytstörungen (Hy-
● motorische Unruhe pomagnesiämie, Hypokaliämie) sowie ein
● Nesteln Vitaminmangel (Thiamin-[Vitamin-B1-]Man-
● Halluzinationen gel; eine Ampulle Betabion® = 100 mg i. v.; Pyri-
● Desorientiertheit doxin-[Vitamin-B6-]Mangel; z. B. Vitamin B6-
ratiopharm Injektionslösung oder Tabletten
Es besteht eine sympathikotone Reaktionslage oder Neurotrat S forte Filmtabletten; enthalten
mit Tachykardie, Schwitzen, Hypertension und Thiamin plus Pyridoxin), ein Folsäuremangel
Hyperventilation. Die Symptomatik beginnt und ein Spurenelementmangel (z. B. Zinkman-
meist 6–48 Stunden nach Abfall der Blutalko- gel) sind zu korrigieren.
holkonzentration. Zur Therapie der Hypomagnesiämie werden
Im Rahmen eines schweren Alkoholentzugsde- initial z. B. 1 000 mg Magnesiumgluconat (Mag-
lirs kann ein lebensbedrohliches Delirium tre- nerot® 1 000 Injekt als Kurzinfusion) intravenös
mens auftreten. 2–3 Tage nach Alkoholabsti- empfohlen.
nenz (manchmal auch im Rahmen eines
Alkoholexzesses) treten Tachykardie, Hyperto- Vorbeugende Maßnahmen
nie, Hyperthermie, Halluzinationen und evtl. Wird bei einem alkoholabhängigen Patienten
zerebrale Krampfanfälle auf. Es ist eine aggres- eine elektive Operation durchgeführt, dann soll-
sive Therapie (→  unten) notwendig. te möglichst bis ca. 6 Stunden vor der Operation
der übliche Alkoholkonsum erlaubt werden und
Therapie postoperativ sollte sobald als möglich wieder oral
Zur Therapie des Delirium tremens wird oft Di- (ggf. über Magensonde) Alkohol angeboten
azepam (z. B. 5–10 mg i. v. alle 5 Minuten, bis der werden. Perioperativ sollte kein Alkoholentzug
Patient sediert ist; beim lebensbedrohlichen De- versucht werden. Eine prophylaxtische Delirthe-
lir bis 120–240 mg/d i. v.; bei oraler Therapie bis rapie wird nicht empfohlen. Es wird eine engma-
60 mg/d) verabreicht. Im Falle einer schweren schige Überwachung und eine sofortige Therapie
vegetativen Alkoholentzugssymptomatik kann evtl. auftretender Entzugssymptome empfohlen.
zusätzlich Clonidin (Paracefan®) meist mit gu- Eine Magnesiumsubstitution ist zur Prophylaxe
tem Erfolg eingesetzt werden. Nach einer Initial- zerebraler Krampfanfälle sehr wichtig. Das
dosierung (= loading dose) von bis 150–600 µg Vitamin Thiamin ist stets zu substituieren.
intravenös wird eine bedarfsadaptierte kontinu- Zur Substitution von Spurenelementen bietet
ierliche Infusion (initial ca. 60 µg/h; danach be- sich die Gabe von Addel® oder Inzolen® an.
darfsadaptierte Dosissteigerung) angeschlossen. Um Selbstverletzungen des Patienten oder
Bei einer halluzinatorisch betonten Delirsympto- Verletzungen anderer Personen zu vermeiden,
matik sollte Haloperidol (Haldol®) entweder sind diese Patienten ggf. an den Armen und den
kontinuierlich oder in mehrfachen täglichen Beinen zu fixieren.
Einzeldosen (z. B. 4–6 × 5–10 mg) zugeführt
werden. Auch Clomethiazol (Distraneurin®) ist
für die Therapie eines unvollständigen oder voll- 7.13.7 Verbrennungskrankheit
ständigen Alkoholdelirs (nicht jedoch für ein
lebensbedrohliches Delir) geeignet. Clomethia-
Schwere Verbrennungen führen nicht nur zu loka-
zol wird oral (4–8 × 2 Kapseln à 192 mg bzw. 4–8  len, sondern auch zu generalisierten Veränderun-
× 12 ml verdünntem Saft = Distraneurin Mix- gen. Es wird von Verbrennungskrankheit gespro-
tur) verabreicht. Zur Therapie einer Tachykardie chen.
480 7  Intensivmedizin

Patienten mit schweren Verbrennungen sollten


in ein Schwerverbranntenzentrum verlegt wer-
den.
Bei der Aufnahme eines Verbrennungspatien-
ten müssen die Ausdehnung der Verbrennung
(ausgedrückt in Prozent der Körperoberfläche)
sowie der Grad der Verbrennung festgestellt
werden. Beim Erwachsenen gilt die sog. 9er-
Regel (vgl. Abb. 7-19) zur Abschätzung der
prozentual verbrannten Körperoberfläche. Die
Handfläche des Patienten macht ca. 1 % der
Körperoberfläche aus.
Beim Kind ist der prozentuale Anteil des Kop-
fes an der Körperoberfläche relativ hoch und
derjenige der unteren Extremitäten relativ ge-
ring.
Bei Gesichts- und Halsverbrennungen muss
stets auch an ein Inhalationstrauma sowie an
ein toxisches Lungenödem gedacht werden.
Bei Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergif- Abb. 7-19 9er-Regel zur Abschätzung der prozentual
tung muss mit einem CO-Oxymeter die Hb- verbrannten Körperoberfläche beim Erwachsenen
CO-Konzentration und die exakte, die sog.
fraktionelle Sättigung (HbO2) bestimmt wer-
den. Bei erhöhtem HbCO-Wert werden mittels ● Verbrennung III. Grades:
üblichem Blutgasanalysengerät (z. B. ABL-Ge- trockener, weißer oder fleischfarbener
rät) oder mittels üblicher Pulsoxymeter falsch Wundgrund. Da diese Verbrennung die ge-
hohe Sättigungswerte gemessen (→  S. 406)! samte Dermis betrifft und die dort liegenden
Nervenendigungen zerstört hat, ist sie nicht
Einteilung schmerzhaft (schmerzhaft sind aber die erst-
Verbrennungen der Körperoberfläche können und zweitgradig verbrannten Randbezirke).
in 4 Schweregrade unterteilt werden: Die Hautanhangsgebilde sind zerstört.
● Verbrennung I. Grades: ● Verbrennung IV. Grades:

gerötete und trockene Haut ohne Blasenbil- Es sind Subkutis, Muskeln und zum Teil Sehnen
dung, schmerzhaft. Die Verbrennung be- betroffen (Verkohlung, nicht schmerzhaft).
trifft nur die Epidermis.
● Verbrennung II. Grades: Bei Verbrennungspatienten ist stets nach Be-
Grad IIa: Blasenbildung mit feuchtem gleitverletzungen (z. B. wegen aufgetretener Ex-
Wundgrund, sehr schmerzhaft. Die Rötung plosion oder wegen Sprung aus dem Fenster bei
ist gut „wegdrückbar“. Die Verbrennung der Flucht vor den Flammen) zu suchen.
reicht bis in die oberflächliche Dermis.
Grad IIb: Blasenbildung mit rotem Wund- Ätiologie
grund, schmerzhaft. Die Rötung ist kaum Eine Verbrennung führt durch die Freisetzung
oder nicht wegdrückbar. Zum Teil helle von Entzündungsmediatoren zu:
Areale als Zeichen tiefer Nekrosen. Weitge- ● Kapillardilatation

hende Schädigung der Epidermis und Der- ● Sequestration von Flüssigkeit ins Gewebe

mis, die Hautanhangsgebilde (Haare, Drü- ● Ausbildung eines interstitiellen Ödems


sen, Nägel) sind noch erhalten. (nicht nur im geschädigten Areal)
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 481

● verstärkter Verdunstung von Flüssigkeit über Nach Überwindung der initialen Schockphase
die geschädigten Hautpartien ist der Patient in der Regenerationsphase insbe-
sondere durch Infektionen und einen Hyper-
In der sog. Schockphase kommt es zu massiven metabolismus gefährdet.
Flüssigkeits- und Proteinverlusten innerhalb Die häufigsten Komplikationen einer Verbren-
der ersten 24–48 Stunden. Der entstehende in- nungskrankheit sind:
travasale Flüssigkeitsverlust ist proportional der ● Sepsis

Ausdehnung der verbrannten Körperoberfläche. ● Niereninsuffizienz

● Ateminsuffizienz
Diagnostik ● Magen-Darm-Ulzera

Die Konzentration der Immunglobuline IgG


und IgM sind erniedrigt, die Leukozytenfunkti- Die häufigste Todesursache bei Verbrennungspati-
on ist gehemmt. Aufgrund der erhöhten Gefäß- ! enten ist die Sepsis.
permeabilität und Sequestration in der An-
fangsphase der Verbrennungskrankheit sind die Therapie
Serumalbumine typischerweise erniedrigt. Es lassen sich vor allem gramnegative Bakterien
Nach 36–48 Stunden normalisiert sich die Ka- (häufig Pseudomonas aeruginosa) auf den
pillarpermeabilität wieder. Es beginnt die Rück- Wunden nachweisen. Bei bestätigter bakteriel-
resorption des sequestrierten Volumens. Bis ler Wundinfektion bzw. bei positiven Blutkultu-
zum Beginn des Heilungsprozesses besteht eine ren ist eine entsprechende Antibiotikatherapie
katabole Stoffwechsellage. durchzuführen. Eine prophylaktische Antibio-
tikatherapie ist dagegen umstritten.
Komplikationen Der Hypermetabolismus führt zum erhöhten
Ab ca. 15 % verbrannter Körperoberfläche droht Sauerstoff- und Kalorienbedarf und zur Steige-
! eine Hypovolämie mit Hypotension und ein Volu- rung des Herzminutenvolumens. Aufgrund des
menmangelschock. Hyperkatabolismus werden beim normalge-
wichtigen Erwachsenen zumeist 3 000–4 000
Folge können eine Oligurie oder Anurie sein. kcal/d notwendig.
Eine evtl. stärkergradige Hämolyse kann über
eine Hämoglobinurie die Nierenfunktion noch Verbrennungswunden: Eine früher übliche
zusätzlich beeinträchtigen. Durch die erhöhte Kaltwassertherapie sollte nur noch ausnahms-
Wasserverdunstung entsteht außerdem ein be- weise (und dann sofort und nur kurzfristig)
deutender Wärmeverlust (2426,72 J = 580 cal pro und nur bei kleineren Verbrennungen (bei
Gramm verdunstetes H2O), der – zusammen mit wachen Patienten) vorgenommen werden.
dem auftretenden Postaggressionsstoffwechsel Durch eine Kaltwassertherapie kann das so
(→  S. 374) – zu einem deutlich erhöhten Ener- schon bestehende Risiko der Unterkühlung
gieverbrauch führt und eine gesteigerte Kalori- der Patienten deutlich gesteigert werden (ins­
enzufuhr erforderlich macht. Durch den enor- besondere bei Kindern). Zur Abdeckung
men intravasalen Flüssigkeitsmangel kommt es der Wunde und zur Wärmekonservierung ist
zu einer Hämokonzentration. Aufgrund der der Patient vom Notarzt mit Alufolie zuzude­
Stresssituation kommt es zu einer länger dauern- cken.
den Erhöhung der Corticoidkonzentration. Meist wird eine Bürstenreinigung (Bürsten-De-
bridement) in Narkose unter Verwendung von
Akute Ulzerationen im Magen und Duodenum PVP-Iod Seifenlösung empfohlen. Brandblasen
! (Curling-Ulzera) sind daher gefürchtete und un- werden hierbei abgetragen. Danach wird der Pa-
ter Umständen lebensbedrohliche gastrointesti- tient antiseptisch mit PVP-Iod und Fettgaze ver-
nale Komplikationen (→  Stressulkusprophylaxe; bunden. Es stehen auch andere antiseptische
S. 427).
482 7  Intensivmedizin

Oberflächentherapeutika zur Verfügung, um ei- Gabe eines Glucocorticoids wird inzwischen


ner bakteriellen Besiedelung der Wundfläche bei Brandverletzten konsequent abgelehnt.
vorzubeugen (z. B. Salbenverbände mit Silber-
sulfadiazin). Durch Salbenverbände sollen die Volumentherapie: Für eine adäquate Volumen-
Verdunstung von Flüssigkeit und der Verlust therapie ist eine ausreichende Anzahl großlu-
von Wärme im Bereich der Wundflächen ver- miger Kanülen notwendig. Die Zugänge sollten
mindert werden. Nachteil der verbundenen (ok- festgenäht werden. Tage oder Wochen später,
klusiven) Wundbehandlung ist, dass die dadurch wenn die Patienten evtl. mehrere Operationen
geschaffene, feuchte Kammer eine Keimbesiede- hinter sich haben, kann es problematisch wer-
lung begünstigen kann. Es ist daher alle 6 Stun- den, einen venösen Zugang zu legen. Manchmal
den ein Verbandswechsel notwendig. Die Be- muss auf Venen von Kopfhaut, Stamm oder
handlung der Wundfläche kann auch offen Schulter zurückgegriffen werden.
(ohne Verbände) durchgeführt werden. Die Be- Zumeist wird empfohlen, in den ersten 24 Stun-
handlungsstrategie variiert von Klinik zu Klinik. den nur kristalloide Lösungen zu infundieren
Zumeist wird eine offene Wundbehandlung be- und auf Kolloide zu verzichten, da zu befürch-
vorzugt. Liegen zirkuläre drittgradige Verbren- ten ist, dass aufgrund der anfänglich erhöhten
nungen z. B. an Hals, Thorax oder an den Extre- Kapillarpermeabilität die Kolloide ins Gewebe
mitäten vor, dann müssen Entlastungsschnitte wandern und evtl. noch weiter Wasser mit ins
angelegt werden (Escharatomie), damit die Gewebe ziehen. Als Infusionsmenge werden
Durchblutung und die Thoraxbewegungen nicht beim Erwachsenen 4 ml/kg KG/% verbrannter
stark beeinträchtigt werden. Es scheint sinnvoll Körperoberfläche in den ersten 24 Stunden zu-
zu sein, nekrotische Hautbezirke möglichst sätzlich zum Grundbedarf empfohlen (bei Kin-
bald (ca. am dritten Tag) abzutragen und diese dern bis 8 ml/kg KG/% verbrannter Körperober-
Areale mit Kunsthaut (Epigard®) oder evtl. mit fläche). Die Hälfte davon sollte in den ersten 8
dünnem Spalthauttransplantat (sog. Mesh- Stunden infundiert werden (Baxter-Parkland-
Transplantat) abzudecken. Bei einer verzögert Schema). Zusätzliche Flüssigkeitsverluste durch
durchgeführten Nekrektomie (nach 8–10 Tagen) Erbrechen, Diarrhö oder Fieber müssen außer-
ist die Infektionsgefahr erhöht. Es ist zu beach- dem adäquat ersetzt werden. Eine Überinfusion
ten, dass bei einer Nekrotomie evtl. massive ist möglichst ebenso zu vermeiden wie die Gabe
Blutverluste auftreten können. von gefäßverengenden Medikamenten (z. B.
Regelmäßige Abstriche vom Wundgebiet sind Noradrenalin). Hierdurch kann es aufgrund ei-
durchzuführen. Eine Tetanusprophylaxe ist ner übermäßigen Ödembildung bzw. einer Va-
notwendig. sokonstriktion zu einer verminderten Durch-
blutung mit „Abtiefen“ (Zunahme des
Häufige Händedesinfektion, aseptisches Vorge- Ausmaßes) der Verbrennungswunden kom-
! hen bei allen Maßnahmen, Verwendung von ste- men.
rilen Handschuhen, Mundschutz und Überkittel Bereits am zweiten Tag normalisiert sich die
sind die wichtigsten Voraussetzungen, um eine Kapillarmembranpermeabilität wieder weitge-
Wundinfektion zu vermeiden. hend, und die Infusionsmenge an Kristalloiden
kann im Vergleich zum ersten Tag drastisch re-
Um die hohe Infektionsgefahr zu verringern, duziert werden. Zusätzlich können Proteine –
werden Verbrennungspatienten in Einzelzim- orientiert an den Serumproteinwerten – substi-
mern isoliert. Die Zimmertemperatur sollte auf tuiert werden. Gegebenenfalls müssen auch
28–32 °C angehoben werden, um Wärmeverlus­ Gerinnungsfaktoren in Form von FFP verab-
te zu reduzieren. reicht werden. Mit Normalisierung der Kapil-
Sowohl die inhalative Gabe (bei Verdacht auf larpermeabilität setzt ein Flüssigkeitsrückstrom
Inhalationstrauma) als auch die systemische aus dem Gewebe ins Gefäßsystem ein. Dies
7.13  Spezielle Krankheitsbilder 483

kann zur intravasalen Volumenüberladung morrhagisch-nekrotisierende Pankreatitis oder


führen. eine anaphylaktoide Reaktion.
Falls die Verbrennung mehr als 20 % der Kör-
peroberfläche beträgt, tritt fast immer eine Ma-
gen-Darm-Atonie auf. Zur Ableitung des Ma- 7.13.9 Sepsis
gensekrets sollte eine Magensonde platziert
werden. So bald als möglich sollte mit der ente-
Bei einer Sepsis müssen die für ein SIRS typischen
ralen Flüssigkeitszufuhr begonnen werden, wo-  Merkmale vorliegen (→ oben). Zusätzlich muss
bei die Menge vorsichtig zu steigern ist. Zur jedoch eine Infektion nachweisbar oder klinisch
Überwachung der Nierenfunktion ist bei Ver- sehr wahrscheinlich sein. Als Sepsis wird also eine
brennungen über 20 % der Körperoberfläche primär lokal begrenzte Infektion bezeichnet, die
ein Blasenkatheter zu legen, wobei die Urinaus- nicht lokal begrenzt bleibt, sondern sich auf den
scheidung nicht unter 1 ml/kg KG/h abfallen ganzen Körper ausbreitet.
sollte. In der Regel sollten Patienten mit ausge-
dehnten Verbrennungen polyurisch gehalten Einteilung und Klinik
werden. Außerdem ist ein zentraler Venenka- Je nach Schweregrad wird die Sepsis eingeteilt
theter zu platzieren, da die ZVD-Messung einen in:
wichtigen Parameter zur Beurteilung der in- ● Sepsis:

travasalen Volumensubstitution darstellt. Bei einer Sepsis liegen die für eine SIRS
Wichtig ist das tägliche Wiegen der Patienten. (→  oben) definierten Kriterien vor. Zusätz-
Bei adäquater Volumentherapie sollte das Kör- lich liegt eine mikrobiologisch oder klinisch
pergewicht am ersten Tag – je nach Ausdeh- nachgewiesene Infektion vor.
nung der Verbrennung – um 10–20 % zuneh- ● schwere Sepsis:

men. Bei einer schweren Sepsis liegen zusätzlich


zu den Kriterien einer Sepsis (→  oben) noch
Zeichen einer Organfunktionsstörung und
7.13.8 SIRS Organminderperfusion vor. Zeichen einer
Organminderperfusion sind z. B. hohe Lac-

Von einem SIRS (= systemic inflammatory re- tatkonzentrationen mit Acidose, Hypoxie,
 sponse syndrome) wird gesprochen, wenn ein Oligurie (< 30 ml/h), Hypotension, Throm-
primär lokal begrenzter Entzündungsprozess sich bozytopenie oder akute Verwirrung (sog.
auf den gesamten Körper ausweitet. Es handelt septische Enzephalopathie).
sich also um eine komplexe systemische Entzün- ● septischer Schock:
dungsreaktion. Entsprechend der aktuell gültigen Von einem septischen Schock wird gespro-
Leitlinien liegt eine SIRS vor, wenn mindestens 2 chen, wenn es im Rahmen einer schweren
der nachfolgenden Kriterien nachweisbar sind: Sepsis trotz entsprechender Volumengabe zu
– Hyperthermie > 38 °C oder Hypothermie einer Hypotension (< 90 mm Hg systolisch)
< 36 °C kommt oder wenn unter Gabe von vasoakti-
– Tachykardie (HF > 90/min) ven Substanzen (mit Anhebung des Blut-
– Tachypnoe (AF > 20/min, p CO < 33 mm Hg)
a 2
drucks > 90 mm Hg) immer noch Zeichen
– Leukozytenzahl > 12 000/mm oder < 4 000/
3
einer Minderperfusion vorliegen.
mm3; > 10 % unreife Leukozyten
Bei einem SIRS ist keine Infektion nachweisbar. Pathophysiologie
Bei einer Sepsis kommt es durch Bakterien, an-
Ätiologie dere Mikroorganismen oder bakterielle Pro-
Mögliche Ursachen sind Verletzungen, Ver- dukte (Toxine) zu einer Aktivierung von vor
brennungen, schwere Blutung, Ischämie, hä- allem Granulozyten und Monozyten/Makro-
484 7  Intensivmedizin

phagen. Diese Blutzellen binden sich an Gefäß- Erregern z. B. Imipenem oder Piperacillin plus
wände und setzten Entzündungsfaktoren (sog. Sulbactam).
proinflammatorische Mediatoren) frei (z. B. An unterstützender Therapie stehen vor allem
Tumor-Nekrose-Faktor-alpha [TNF-α], Inter- Volumensubstitution, Catecholamingabe und
leukin-1β). Es kommt dadurch vor allem zu maschinelle Beatmung im Vordergrund. Ob die
einer Schädigung der Kapillarwände. Die Ka- Gabe von kristalloiden oder kolloidalen Lösun-
pillarmembranen werden „porös“, es entsteht gen vorzuziehen ist, bleibt noch ungeklärt. An
ein sog. „capillary leak syndrome“. Intravasale Catecholaminen kommt zur Steigerung von
Flüssigkeit kann leicht ins Gewebe abwandern, peripherem Widerstand und systemischem
es bilden sich Ödeme aus. In den geschädigten Blutdruck vor allem Noradrenalin (Arterenol)
Kapillaren beginnen Gerinnungsprozesse, es infrage. Zur Steigerung eines erniedrigten Herz-
droht eine disseminierte intravasale Gerinnung minutenvolumens sollte vor allem Dobutamin
(= disseminated intravascular coagulation = eingesetzt werden. Adrenalin und Dopamin
DIC) die zum Verbrauch der Gerinnungsfak- werden hierzu nicht mehr als Medikamente der
toren (= Verbrauchskoagulopathie) mit diffu- ersten Wahl empfohlen. Bei der Beatmung sind
ser Blutungsneigung führen kann. Da der Kör- die Kriterien der lungenprotektiven Beatmung
per versucht, diese DIC-bedingten Gerinnsel (→  S. 446) zu beachten. Der erhöhte Energie-
wieder abzubauen, fallen vermehrt Fibrinspalt- umsatz führt zu einer katabolen Stoffwechsel­
produkte an. Typischerweise öffnen sich arte- lage, denn exogen zugeführte Nährstoffe wer-
riovenöse Shunts in den verschiedenen Gewe- den nur unzureichend metabolisiert. Häufig
ben. Es kommt zur Umverteilung in der wird eine kontinuierliche Nierenersatztherapie
Gewebsperfusion. notwendig.
An spezieller Therapie wurden eine Reihe von
Komplikationen Antimediatorstrategien untersucht (z. B. Gabe
Folge der entstehenden Mikrozirkulations- von Anti-Tumor-Nekrose-Faktor-alpha). Diese
störungen sind eine Mangelversorgung des Strategien haben jedoch enttäuscht. Empfohlen
Gewebes mit Hypoxie, Acidose und Anstieg werden zurzeit nur die Gabe von aktiviertem
der Lactatkonzentration. Aufgrund der zahl- Protein C (Drotrecogin alfa [aktiviert]; Xigris®)
reichen peripheren Shunts kommt es zu unzu- sowie ggf. die niedrig dosierte Gabe von Hydro-
reichender Sauerstoffausschöpfung des Blutes cortison (ca. 300 mg/d).
(hohe gemischtvenöse Sauerstoffsättigung).
Manchmal ist die gemischtvenöse Sauerstoff- Vorbeugende Maßnahmen
sättigung aufgrund eines deutlich erniedrigten Septische Patienten benötigen einen sehr hohen
Herzminutenvolumens und einer dadurch ver- pflegerischen und apparatetechnischen Auf-
mehrten Sauerstoffausschöpfung erniedrigt. wand. Aufgrund der instabilen Kreislaufver-
Der periphere Gesamtwiderstand ist deutlich hältnisse und der Tatsache, dass diese Patienten
erniedrigt, das Herzminutenvolumen kompen- oft nicht gelagert werden können, sind sie stark
satorisch erhöht. dekubitusgefährdet. Es sind eine Stressul-
kusprophylaxe (→  S. 427) und Thrombosepro-
Therapie phylaxe (→  S. 426) und eine engmaschige Über-
Therapeutisch kommen als kausale Therapie wachung der Blutzuckerkonzentration (Zielwert
bei der Sepsis – falls möglich – eine operative ca. 80–110[–150] mg/dl; ggf. unter entspre-
Sanierung des auslösenden Herdes (z. B. Abs­ chender Insulingabe) wichtig [sog. intensivierte
zess im Bauchraum) sowie eine entsprechende Insulintherapie]).
Antibiotikatherapie infrage (bei unbekannten
485

8  Notfallmedizin

8.1 Allgemeine Bemerkungen 8.1.2 Leitsymptome


Im Idealfall wird von einem Laienhelfer, der die
8.1.1 Rettungskette Notfallsituation des Patienten erkennt, direkt
die zuständige Rettungsleitstelle angerufen.
Wenn ein Mensch akut schwer erkrankt ist (z. B. Diese wählt anhand der erfragten Informatio-
Herzinfarkt) oder akut schwer verletzt wird nen das geeignete Rettungsfahrzeug mit ent-
(z. B. Schädel-Hirn-Verletzung), dann ist eine sprechender Besatzung aus und schickt es un-
optimale Versorgung nur dann zu erwarten, verzüglich zum Einsatzort. Der Besatzung des
wenn Rettungsfahrzeuges, z. B. des NEF (Notarztein-
● anwesende Laienhelfer sofort den Rettungs- satzfahrzeug), werden die wichtigsten Infor­
dienst alarmieren, das heißt sofort medizini- mationen über den Patienten übermittelt.
sche Hilfe organisieren (Notfallmeldung; Wichtig sind z. B. die Anzahl der vermutlich zu
vielerorts Telefon-Nr. 112); versorgenden Patienten, die Umstände des Er-
● anwesende Laienhelfer Sofortmaßnahmen eignisses (z. B. Sturz aus großer Höhe oder
(z. B. Schocklagerung, stabile Seitenlagerung plötzliches Zusammenbrechen auf der Straße)
oder ggf. Herz-Druck-Massage und Beat- sowie die Übermittelung des wichtigsten Krank-
mung) ergreifen, bis der Rettungsdienst ein- heitscharakteristikums, des sog. Leitsymptoms
getroffen ist; (z. B. Leitsymptom „akuter Brustschmerz“,
● der Rettungsdienst (Notarzt, Rettungsassis­ „plötzliche Bewusstlosigkeit“ oder „Vergif-
tenten, Rettungssanitäter) frühzeitig eintrifft, tung“).
eine vitale Bedrohung des Patienten sach- Im Folgenden wird zuerst auf einige allgemeine
kompetent behandelt (z. B. durch Defibrilla- Dinge (i. v. Zugang, endotracheale Intubation,
tion) und den stabilisierten Patienten zügig EKG-Diagnostik) und dann auf die wichtigsten
in eine entsprechende Klinik zur Weiterbe- und häufigsten Leitsymptome, die im Notarzt-
handlung transportiert und dienst angetroffen werden, eingegangen. Au-
● in der zentralen Notaufnahme eines Kran- ßerdem werden Großschadensereignisse sowie
kenhauses zügige (fachärztliche) Weiterversor- (besonders ausführlich) die kardiopulmonalen
gung erfolgt. Reanimationsmaßnahmen beschrieben.

Das reibungslose Ineinandergreifen aller oben


genannter Maßnahmen ist Voraussetzung für 8.1.3 Intravenöser Zugang
eine erfolgreiche Rettung des Patienten. Es wird
von einer Rettungskette gesprochen (vgl. Abb. Bei jedem Notfallpatienten ist ein sicherer in-
8-1). travenöser Zugangsweg zu legen. Liegt eine
Blutung vor, so sollten möglichst mehrere groß-
lumige periphervenöse Venen punktiert wer-
den. Insbesondere bei (poly‑)traumatisierten
Patienten stellt die möglichst sofortige Anlage
mehrerer großlumiger periphervenöser Zugän-
486 8  Notfallmedizin

Abb. 8-1 Rettungskette. Sie besteht aus a Notfallmel- sionelle Helfer) und d Versorgung in der Klinik. Diese
dung und b Basismaßnahmen (durch Laienhelfer), Glieder müssen reibungslos ineinander greifen.
c erweiterten Reanimationsmaßnahmen (durch profes-

ge eine sehr wichtige Maßnahme dar, deren nes Pneumothorax) unter Notfallsituationen
Versäumnis später u. U. nicht mehr nachzuho- deutlich erhöht ist und da die pro Zeiteinheit
len ist (zunehmende Hypovolämie mit „Kolla- über einen zentralen Venenkatheter infundier-
bieren“ der Venen). bare Flüssigkeitsmenge geringer ist als bei einer
Lediglich in Notsituationen, in denen kein peri- üblichen periphervenösen Kanüle, sollte auf
phervenöses Gefäß mehr punktierbar ist, sollte eine routinemäßige Anlage eines zentralen Ve-
vom Notarzt ein zentraler Venenkatheter (ZVK) nenkatheters bei Notfallpatienten verzichtet
gelegt werden (→  S. 185). Da die für eine zen- werden. Vor allem bei Säuglingen und Klein-
tralvenöse Punktion notwendige sterile Arbeits- kindern, evtl. auch bei Erwachsenen, bietet sich
weise am Notfallort oft kaum möglich ist, da ggf. die Anlage einer intraossären Kanüle an
das Risiko von Komplikationen (z. B. Gefahr ei- (→  S. 544).
8.1  Allgemeine Bemerkungen 487

8.1.4 Endotracheale Intubation (→  S. 359) durchgeführt werden. Normaler-


weise wird eine Normoventilation oder nur eine
Ist bei bewusstlosen oder schwer verletzten bzw. mäßige Hyperventilation angestrebt. Die Atem-
schwer kranken Notfallpatienten eine endotra- frequenz wird meist mit 12–15 Atemhüben/
cheale Intubation notwendig, so genügt hierfür min, das Atemhubvolumen mit ca. 10 ml/kg KG
meist die intravenöse Gabe von Etomidat (→  S. eingestellt. Normalerweise werden mindestens
52) oder Thiopental (→  S. 49). Die zusätzliche 50 % Sauerstoff, oft auch 100 % Sauerstoff verab-
Gabe eines Muskelrelaxans (→  S. 64) ist meist reicht. Gegebenenfalls ist ein PEEP von 3–5
speziellen Ausnahmesituationen vorbehalten. cm H2O einzuschalten.
Bei kreislaufinstabilen Patienten kann zur en-
dotrachealen Intubation auch Ketamin (→  S.
55) verabreicht werden. Nach erfolgter endotra-
chealer Intubation wird meist eine Analgose-
8.1.5 EKG-Diagnostik
dierung mit einem Benzodiazepin (z. B. Mida-
zolam) und einem Opioid (z. B. Fentanyl [→  S. Falls bei einem Notfallpatient kardiale Probleme
57] oder Morphin) durchgeführt. infrage kommen, sind die Muskelpotenziale des
Durch den häufigen Verzicht auf Muskelrelaxan- Herzens mithilfe von 12 Standardablei­tungen
zien, durch ungewöhnliche Patientenlagerung (bipolare sowie unipolare Extremitätenableitun-
(z. B. bei auf dem Boden liegenden Patienten), gen [Abb. 8-2] und unipolare Brust-[Thorax-]
durch schlechte Lichtverhältnisse, durch evtl. Wandableitungen [Abb. 8-3]) zu registrieren.
Verletzungen im Gesichts- und Halsbereich oder
durch Blutungen im Bereich der oberen Luftwe- Bipolare Extremitätenableitungen nach Eintho-
ge kann die endotracheale Intubation bei Not- ven: Bei den Ableitungen I, II, III nach Eintho-
fallpatienten oft deutlich erschwert sein. Nach ven werden die Elektroden oberhalb der Hand-
erfolgter endotrachealer Intubation ist eine sorg- gelenke bzw. des linken Fußgelenks platziert
fältige Überprüfung auf richtige Tubuslage not- (Abb. 8-2 links):
wendig. Anschließend ist eine besonders gute ● Ableitung I:

Fixierung des endotrachealen Tubus wichtig, um rechter und linker Arm


im Rahmen von häufiger notwendig werdenden ● Ableitung II:

Umlagerungsmanövern eine versehentliche Ex- rechter und linkes Bein


tubation zu vermeiden. Durch Blut, Sekrete oder ● Ableitung III:

Schmutz kann die Pflasterfixierung des Tubus linker und linkes Bein
beeinträchtigt werden. Es empfiehlt sich daher,
den Tubus ggf. mit einer Mullbinde, die um den Unipolare Extremitätenableitungen nach Gold-
Hals geschlungen wird, zusätzlich zu fixieren. berger: Bei den unipolaren Extremitätenablei-
Gelingt eine Intubation unter laryngoskopi- tungen aVR, aVL, aVF werden die Elektroden
scher Sicht nicht, z. B. wegen einer massiven oberhalb des rechten und linken Handgelenks
Schwellung im Bereich des Kehlkopfes, eines sowie oberhalb des linken Fußgelenks angelegt
Tumors oder einer schweren Verletzung im Ge- (Abb. 8-2, rechts). Es wird die Potenzialdiffe-
sichtsbereich, so kann u. U. eine Notkoniotomie renz zwischen einer dieser Extremitätenelek-
notwendig werden (→  S. 229). troden (differente Elektrode) und den beiden
Nach erfolgter endotrachealer Intubation ist der anderen, zusammengeschalteten Extremitäten-
Patient zu beatmen. Mit den inzwischen im elektroden (indifferente Elektrode, Null-[0-]
Rettungswesen zur Verfügung stehenden Beat- Elektrode), gemessen. Der Buchstabe „a“ be-
mungsgeräten (z. B. Oxylog 2000, Fa. Dräger) deutet augmented (verstärkt). Der Buchstabe
kann meist nicht nur eine kontrollierte Beat- „V“ steht für Voltage. Die Buchstaben „R“, „L“
mung, sondern oft auch z. B. SIMV oder CPAP oder „F“ entsprechen der differenten Elektrode
488 8  Notfallmedizin

Abb. 8-2 EKG-Standardableitungen;
bipolare Extremitätenableitungen
nach Einthoven (I, II, III) und
unipolare Extremitätenableitungen
nach Goldberger (aVR, aVL, aVF)

am rechten (= right = R) Arm, linken (= left = ● V5: linke vordere Axillarlinie auf gleicher
L) Arm oder linken Fuß (= foot = F). Höhe wie V4
● V : linke mittlere Axillarlinie auf gleicher Höhe
6
Unipolare Brustwandableitungen nach Wilson: wie V4 und V5
Die unipolaren Brustwandableitungen werden
an 6 definierten Thoraxpunkten abgeleitet und Als indifferente Elektrode wird der Zusammen-
als V1–6 bezeichnet (Abb. 8-3). Der Buchstabe schluss der 3 Extremitätenableitungen verwen-
„V“ steht für Voltage (→  S. 487). det (0-Elektrode).
● V : rechter Sternalrand im vierten Interkos­ Beim Aufzeichnen eines EKGs ist zuerst eine
1
talraum Eichzacke zu schreiben. Dabei sollte 1 mV
● V : linker Sternalrand im vierten Interkostal- einem Ausschlag von 1 cm entsprechen.
2
raum Normalerweise wird im deutschsprachigen
● V : Mitte zwischen V und V Raum für EKG-Ableitungen eine Papierge-
3 2 4
● V : Schnittpunkt der linken Medioklaviku- schwindigkeit von 50 mm/s eingestellt. Eine
4
larlinie mit fünftem Interkostalraum (etwa horizontale Strecke von 5 mm entspricht dabei
Herzspitze) 0,1 Sekunden.
8.2  Leitsymptom: akuter Brustschmerz 489

Interkostalneuralgie oder ein dissezierendes


Aortenaneurysma sein. Zum Teil liegen auch
Verletzungen (z. B. Rippenfraktur), ein Herpes
zoster bzw. eine postzosterische Neuralgie vor.
Auch außerhalb des Brustkorbes entstehende
Schmerzen (Gallenkolik, Magengeschwür) kön-
nen in den Brustkorb projiziert werden.
Sowohl einer stabilen Angina pectoris als auch
einem akuten Koronarsyndrom liegt normaler-
weise eine koronare Herzerkrankung zugrun-
de.

Koronare Herzkrankheit

Eine koronare Herzkrankheit (= KHK) ist zu-


meist durch eine arteriosklerotische Verengung
Abb. 8-3 Ableitungspunkte für unipolare Thoraxablei- der Koronararterien bedingt. Folge einer arte-
tungen nach Wilson (V1–6) riosklerotischen Stenose ist eine verminderte
Durchblutung des Myokards. Bei einer gedros-
selten Myokarddurchblutung droht im Falle ei-
ner stärkeren Tachykardie und/oder einer Hy-
pertonie schnell ein Missverhältnis zwischen
8.2 Leitsymptom: vermindertem myokardialem Sauerstoffange-
akuter Brustschmerz bot und erhöhtem myokardialem Sauerstoffbe-
darf. Auch eine Hypotonie kann zu einer koro-
Das Leitsymptom „akuter Brustschmerz“ ist ei- naren Minderperfusion distal der Stenosen
nes der am häufigsten genannten Stichworte bei führen. Es droht dann eine Myokardischämie.
der Alarmierung des Notarztwagens. Eine Myokardischämie führt zu Angina-pecto-
ris-Schmerzen.

Ätiologie
Stabile Angina pectoris
Die häufigste Ursachen für akute Brustschmer-
zen sind Bei Patienten mit einer koronaren Herzkrank-
● stabile Angina pectoris und heit kann bei körperlicher oder seelischer Belas­
● akutes Koronarsyndrom. tung eine Myokardischämie mit Angina-pec­
© toris-Schmerzen auftreten.
Der Begriff „akutes Koronarsyndrom“ umfasst: ©

● instabile Angina pectoris Von einer sog. stabilen Angina pectoris wird
● akuter Myokardinfarkt ohne ST-Strecken- 
gesprochen, wenn sich Häufigkeit und Dauer der
Hebung Anfälle sowie auslösende Faktoren in den letzten
● akuter
Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung 2 Monaten nicht verändert haben. Durch körperli-
che Ruhe und evtl. Gabe von Nitroglycerin bessert
Sonstige Ursachen für akute Brustschmerzen sich diese Symptomatik normalerweise innerhalb
können eine Pleuritis, Perikarditis, Ösophagitis, von ca. 15 Minuten.
490 8  Notfallmedizin

Epidemiologie vorliegt. Dies ist insbesondere bei solchen Pati-


enten zu berücksichtigen, die sich körperlich
Die KHK ist die häufigste Todesursache bei nicht belasten (können). Der Patient muss da-
Männern über 40 Jahren und bei Frauen über her nach Belastungssituationen befragt werden.
50 Jahren. Etwa 80 % der plötzlichen Herztode Kann der Patient ohne größere Mühe 2–3 Stock-
in der westlichen Welt sind durch eine KHK be- werke hochsteigen, dann ist die kardiale Belast-
dingt. Bei ca. 3,5 % der Patienten unter 44 Jah- barkeit vermutlich noch ausreichend. Tritt im
ren, bei ca. 50 % der Patienten zwischen 45 und Rahmen von pektanginösen Beschwerden eine
65 Jahren und bei ca. 80 % der Patienten über 65 Dyspnoe auf, dann hat die myokardiale Ischä-
Jahren liegt eine KHK vor. mie vermutlich zu einer akuten Linksherzinsuf-
fizienz geführt.
Bei Patienten mit Verdacht auf KHK muss stets
Klinik nach evtl. erlebten Myokardinfarkten gefragt
werden. Es ist jedoch zu beachten, dass ca. 15 %
Pektanginöse Schmerzen werden typischerwei- der Myokardinfarkte stumm, das heißt ohne
se hinter dem Brustbein (substernal) empfun- Auftreten pektanginöser Beschwerden ablaufen
den, sie können aber auch in linken Arm, Hals, und daher dem Patienten möglicherweise nicht
Unterkiefer und/oder linke Schulter ausstrah- bekannt sind.
len. Angina-pectoris-Beschwerden treten nor- Die für einen akuten Myokardinfarkt typischen
malerweise unter Belastung auf und bessern EKG-Veränderungen (→  S. 494) sind auszu-
sich typischerweise unter körperlicher Ruhe schließen.
und/oder nach Gabe von (sublingual verab- Typische EKG-Veränderungen bei einer Angi-
reichtem) Nitroglycerin. na pectoris sind:
● terminal oder präterminal negative T-Za­

Eine KHK kann sehr lange asymptomatisch blei- cken (Abb. 8-4)
! ben. Oft tritt ein akuter Myokardinfarkt oder ein ● horizontale oder deszendierende ST-Strecken-
plötzlicher Herztod aufgrund einer KHK auf, oh- Senkungen von mehr als 0,1 mV (= 1 mm)
ne dass der Patient vorher an pektanginösen Be-
schwerden litt.

Häufiger liegen bei Angina-pectoris-Beschwer- Therapie


den auch extrakardiale Auslösemechanismen
wie Anämie, hohes Fieber oder Absetzen der Durch körperliche Ruhe und/oder Gabe von
Basismedikation vor. Nitroglycerin kann bei der stabilen Angina
Bei Patienten mit Verdacht auf pektanginöse pectoris die Symptomatik relativ schnell verbes-
Schmerzen sind vor allem Anamneseerhebung sert werden.
und EKG-Ableitung wichtig. Zusätzlich können
im Krankenhaus weiterführende diagnostische
Maßnahmen durchgeführt werden. Ziele

Vorrangige Ziele bei der akuten Therapie von


Diagnostik Angina-pectoris-Schmerzen sind:
● Reduktion des Sauerstoffverbrauchs des

Bei der Anamneseerhebung ist zu beachten, Herzens


dass eine KHK unter Ruhebedingungen ● Erhöhung des Sauerstoffangebotes an das

asymptomatisch sein kann, selbst wenn eine 50- Herz


bis 70%ige Stenose einer großen Koronararterie
8.2  Leitsymptom: akuter Brustschmerz 491

Präterminal negatives T
a (Verdacht auf Koronarinsuffizienz, Herzmuskel-
hypertrophie, evtl. arterielle Hypertonie)

Terminal negatives T
b (Verdacht auf Koronarinsuffizienz, Herzmuskel-
schädigung, Peri- oder Myokarditis)
Horizontale ST-Strecken-Senkung und
c präterminal negatives T
Abb. 8-4 Typische EKG-Veränderun- (Verdacht auf Koronarinsuffizienz)
gen bei Angina pectoris. a Präterminal Deszendierende ST-Strecken-Senkung und
negative T-Zacken. b Terminal negative d präterminal negatives T
T-Zacken. c Horizontale ST-Strecken- (Verdacht auf Koronarinsuffizienz bei
Senkung und präterminal negatives T. Hypertrophie)
d Deszendierende ST-Strecken-Senkung
e Deszendierende ST-Strecken-Senkung und
und präterminal negatives T. terminal negatives T
e Deszendierende ST-Strecken-Senkung (Verdacht auf Koronarinsuffizienz, Herzinfarkt)
und terminal negatives T.

Reduktion des Sauerstoffverbrauchs systolische Blutdruck sollte nicht unter 90


des Herzens mm Hg abfallen.
Die Reduktion des myokardialen Sauerstoffver-
brauchs wird erreicht durch: Erhöhung des Sauerstoffangebotes
● körperliche Ruhe: an das Herz
Initial soll sich der Patient hinsetzen oder Eine Sauerstoffgabe ist sinnvoll, falls der paO2
hinlegen. erniedrigt ist. Es sind dann ca. 2–6 Liter O2/min
● Nitropräparate: über Nasensonde oder Sauerstoffmaske zu ver-
Der Angina-pectoris-Schmerz ist „nitrosen- abreichen.
sibel“. Bei stabilen Kreislaufverhältnissen Bessern sich die Angina-pectoris-Schmerzen
(RRsys > 100 mm Hg) kann durch Gabe von unter diesen Therapiemaßnahmen nicht bald,
Nitraten eine venöse (in höheren Dosen auch dann ist an ein akutes Koronarsyndrom zu den-
eine arterielle) Vasodilatation mit Erniedri- ken (→ S. 492).
gung der Vorlast (und evtl. der Nachlast) er-
zielt werden (→  S. 297). Dadurch nimmt der
kardiale Sauerstoffverbrauch ab. Außerdem Weiterbehandlung
kommt es zu einer Dilatation der Koronarar-
terien mit Verbesserung von Perfusion und Auch wenn die Angina-pectoris-Schmerzen
Sauerstoffangebot. Es bieten sich folgende vom Notarzt erfolgreich therapiert werden
Präparate an: konnten, sollte der Patient vom gerufenen Not-
– Nitrolingual®-Pumpspray arzt in die Klinik gebracht werden. Dort ist evtl.
(0,4 mg/Hub): 1–3 Hübe sublingual/ggf. eine Dauermedikation anzusetzen bzw. zu opti-
Wiederholung nach 5–10 Minuten mieren oder es sind weiterführende Maßnah-
– Nitrolingual®-Zerbeißkapseln men einzuleiten.
(0,8 mg/Kps.): 1–2 Kapseln sublingual/ Bei Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit
ggf. Wiederholung nach 10 Minuten (= KHK) wird im Rahmen einer Dauertherapie
Es ist jedoch auf die blutdrucksenkende Ne- meist medikamentös versucht, den myokardialen
benwirkung von Nitroglycerin zu achten. Der Sauerstoffverbrauch zu erniedrigen, indem
492 8  Notfallmedizin

● die ventrikuläre Wandspannung (durch Ni- eine lebensverlängernde Wirkung erzielt wer-
trate, Calciumkanalblocker), den kann.
● die Herzfrequenz (durch β-Rezeptoren- An weiteren koronaren Katheterinterventionen
Blocker, Calciumkanalblocker) und kommt vor allem eine Stent-Implantation zur
● die Kontraktilität (durch β-Rezeptoren- Anwendung (Stent = selbstentfaltendes, röh-
Blocker, Calciumkanalblocker) renförmiges Drahtgeflecht). Durch Einbringen
vermindert werden oder indem eines endoluminalen Stents im Bereich einer
● sonstige Maßnahmen (z. B. koronare Kathe- aufdilatierten Koronarstenose kann das Koro-
terinterventionen; →  S. 497) narlumen offen gehalten werden, die Rezidivra-
durchgeführt werden. te (Restenosierungsrate) kann dadurch vermin-
Durch Gabe eines β-Rezeptoren-Blockers soll dert werden.
vor allem die Herzfrequenz (möglichst unter 60 Bei schweren Angina-pectoris-Beschwerden
Schläge/min), aber auch der arterielle Blutdruck kann die Indikation für eine aortocoronare By-
gesenkt werden. Durch Gabe eines Nitropräpa- pass-Operation (→  S. 313) gegeben sein. Durch
rates oder eines Calciumkanalblockers (z. B. Ni- eine Bypass-Operation kann die körperliche
fedipin) kann zusätzlich versucht werden, die Belastbarkeit verbessert werden, die pektangi-
Koronargefäße zu erweitern und den Blutdruck nösen Beschwerden werden meist geringer und
zu senken. Durch Gabe eines Calciumkanal- die medikamentöse Therapie kann vermindert
blockers können pektanginöse Beschwerden werden. Es kann also die Lebensqualität verbes-
evtl. gemildert werden. Bei Kombination eines sert werden. Eine Verlängerung der Lebenser-
Calciumkanalblockers mit einem β-Rezeptoren- wartung konnte bisher jedoch nicht belegt wer-
Blocker wird meist der Calciumkanalblocker den.
Nifedipin bevorzugt, da er die durch β-Rezep-
toren-Blocker verursachte Dämpfung des
Sinusknotens nicht verstärkt. 8.2.1 Akutes Koronarsyndrom
KHK-Patienten wird häufig ein niedrig dosier-
tes Acetylsalicylsäurederivat verabreicht, um
Unter dem neueren Begriff „akutes Koronarsyn-
eine Thrombozytenaggregation im Bereich 
drom“ werden die instabile Angina pectoris (=
koronarstenotischer Gefäßveränderungen zu
unstable angina pectoris = UAP) sowie ein akuter
verhindern, denn hierdurch könnte ein aku­-
Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung (= ST-
tes Koronarsyndrom ausgelöst werden (→  un-
elevation myocardial infarction = STEMI) sowie
ten).
ein akuter Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-He-
Falls eine medikamentöse Therapie der KHK
bung (= non-ST-elevation myocardial infarction
nicht zum Erfolg führt und eine über 70–75%ige
= NSTEMI) zusammengefasst.
Stenose vorliegt, kommen auch Verfahren der
koronaren Katheterintervention (z. B. Koronar-
angioplastie = Aufweitung von Koronargefä-
ßen) infrage. In den letzten Jahren hat sich die Ätiologie
perkutane transluminale Coronarangioplastie
(= PTCA = Ballondilatation) zur Therapie der Die instabile Angina pectoris sowie der NSTE-
KHK bewährt. Die Erfolgsquote beträgt 90– MI und der STEMI sind meist durch Aufbre-
95 %. Eine PTCA wird vor allem bei Patienten chen atheromatöser Plaques in den Koronarar-
mit einer schweren Angina pectoris, zum Teil terien mit Ausbildung von Thromben auf der
aber auch bei Patienten mit akutem Koronar- beschädigten Endotheloberfläche bedingt. Da-
syndrom durchgeführt. Durch eine PTCA kön- durch kommt es zu einer weiteren akuten Lu-
nen Angina-pectoris-Symptome verbessert meneinengung der Koronararterie. Ist der Blut-
werden. Es ist jedoch nicht belegt, dass dadurch strom jedoch noch stark genug, um einen
8.2  Leitsymptom: akuter Brustschmerz 493

solchen Fibrinthrombus wegzuspülen, tritt eine Hypertonie und Tachykardie beobachtet. Da-
instabile Angina pectoris auf. Kommt es durch durch kann initial evtl. Kammerflimmern aus-
die thrombotische Koronarverengung zur gelöst werden. Bei einem Hinterwandinfarkt
Nekrose der inneren (subendokardialen) Myo- können auch Sinus- oder AV-Knoten mitge-
kardbereiche, tritt ein nicht transmuraler Myo- schädigt werden, wodurch oft (ca. 50 %) eine
kardinfarkt (Nicht-ST-Strecken-Hebungs-Myo- deutliche Bradykardie und Hypotension sowie
kardinfarkt) auf. Ist die ganze Myokarddicke Reizleitungsstörungen ausgelöst werden kön-
betroffen, tritt ein transmuraler Myokardinfarkt nen. Eine Hypotension kann aber auch Folge
(ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt) auf. Zu- einer ausgeprägten Infarzierung des Herzmus-
sätzlich spielt bei einem akuten Koronarsyn- kels mit akutem Linksherzversagen sein. Bei ca.
drom auch eine Vasokonstriktion eine wichtige 90 % der Patienten mit einem akuten Myokard-
Rolle. infarkt treten ventrikuläre Extrasystolen auf.
In ca. 15 % verläuft ein Herzinfarkt (vor allem
bei älteren Patienten oder bei Patienten mit
Epidemiologie Diabetes mellitus) weitgehend symptomlos, das
heißt „stumm“. Es treten dann typischerweise
Pro Jahr erleiden in Deutschland fast 700 000 keine pektanginösen Beschwerden auf. Ein
Menschen (d. h. ca. einer von 100 Einwohnern) stattgehabter stummer Infarkt wird zumeist
ein akutes Koronarsyndrom. Etwa 5–10 % die- später zufällig an der für einen alten Infarkt ty-
ser Patienten versterben akut und ca. 30 % die- pischen Q-Welle im EKG erkannt (vgl. Abb.
ser Patienten versterben innerhalb eines Jahres 7-16). Die Mortalität im Rahmen eines stum-
trotz Therapie. men Myokardinfarkts ist genauso hoch wie bei
einem Infarkt mit klassischem „Vernichtungs-
schmerz“. Die Therapie entspricht daher der ei-
Klinik nes Infarkts mit klassischen Angina-pectoris-
Beschwerden.
Bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom
sind folgende Symptome bzw. diagnostische Pa-
rameter zu beurteilen: Differenzialdiagnose
● klinische Symptome
● EKG-Veränderungen Bei Verdacht auf einen Myokardinfarkt müssen
● Konzentrationsverlauf herzspezifischer Enzy- differenzialdiagnostisch z. B. Angina pectoris,
me (→  S. 457) Peri- oder Myokarditis, Lungenembolie, Pneu-
mothorax, Pleuritis, Interkostalneuralgie, verte-
Typische klinische Symptome eines akuten Ko- bragene Schmerzen, ein Aneurysma dissecans
ronarsyndroms sind schwere Schmerzen („Ver- der thorakalen Aorta sowie Erkrankungen des
nichtungsschmerzen“) ähnlicher Lokalisation Ösophagus und des Gastrointestinaltrakts aus-
und ähnlichen Charakters wie Angina-pectoris- geschlossen werden.
Schmerzen (→  S. 490), die aber wesentlich stär-
ker sind und länger (> 20–30 Minuten) anhal-
ten. Es stellen sich meist Todesangst, kalter Diagnostik
Schweiß, Blässe und Übelkeit ein. Die Schmer-
zen werden retrosternal (ca. 70 %), im linken Bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom
Arm (ca. 20–30 %) und/oder im Epigastrium muss unbedingt eine 12-Kanal-EKG-Ableitung
(ca. 20–30 %) angegeben. (→  S. 487) abgeleitet werden. Bei einem STEMI
Bei einem akuten Vorderwandinfarkt wird oft tritt typischerweise eine ST-Strecken-Hebung
(ca. 25 %) ein erhöhter Sympathikotonus mit auf, bei einem NSTEMI und einer instabilen
494 8  Notfallmedizin

Akutes Stadium Akutes Stadium


Vorderwandinfarkt Hinterwandinfarkt
1. Stadium Zwischen- EKG- 1. Stadium Zwischen-
stadium Abl. stadium

II

III

aVR

aVL

aVF

V1

V2

V3

V4

Abb. 8-5 Typische EKG-Veränderun-
V5 gen in den einzelnen EKG-Ableitungen
im akuten Stadium eines Vorder- oder
Hinterwandinfarkts. Die verschiedenen
V6 Stadien eines Myokardinfarkts sind in
Abbildung 7-16 dargestellt.

Angina pectoris dagegen nicht. Im Rahmen ei- wandableitungen muss hierbei ≥ 0,2 mV oder in
nes akuten Infarkts treten oft auch (therapiebe- mindestens einer Extremitätenableitung min-
dürftige) Herzrhythmusstörungen auf. Die für destens ≥ 0,1 mV betragen. In Tabelle 8-1 ist
einen ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt aufgeführt, in welchen Ableitungen normaler-
typischen EKG-Veränderungen werden in Ab- weise entsprechende EKG-Veränderungen bei
bildung 8-5 gezeigt. Die ST-Strecken-Hebung einem frischen Vorder- oder Hinterwandinfarkt
in mindestens 2 zusammenhängenden Brust- auftreten.
8.2  Leitsymptom: akuter Brustschmerz 495

Tab. 8-1  Darstellung derjenigen EKG-Ableitungen, bei ● Erhöhung des Sauerstoffangebotes an das
denen im Rahmen eines Vorder- oder Hinterwandin- Herz
farktes typische Veränderungen nachweisbar sind ● antithrombotische Therapie

EKG- Infarkttyp ● Wiederherstellung der Koronardurchblu-

Ablei- Vorderwand- Hinterwand- tung (Thrombolyse und PTCA)


tungen infarkt infarkt ● sonstige Maßnahmen

I ++/+ –
Reduktion des Sauerstoffverbrauches des
II (+/++) ++/+ Herzens
III – ++ ● Bettruhe bzw. Immobilisierung und Intensiv­
aVR – – überwachung:
aVL +/++ (+/–) Initial soll der Patient immobilisiert und mit
leicht (ca. 30 Grad) angehobenem Oberkör-
aVF – ++
per gelagert werden.
V1 (+) – ● Analgetika (insbesondere Morphin):

V2 ++/+ – Es empfiehlt sich die Titration von verdünn-


V3 ++/+ –
tem Morphin (1 : 10) bis zum individuellen
Dosisbedarf (2–5–10 mg i. v.). Morphin wirkt
V4 +/++ –
analgetisch, sedierend und euphorisierend.
V5 –/++ ++/– Außerdem wird der Sympathikotonus ver-
V6 –/+/++ ++/– mindert. Vor- und Nachlast sowie die Herz-
++ = deutliche Infarktveränderungen; + = leichte In- frequenz fallen ab und damit auch der myo-
farktveränderungen; – = keine Veränderungen kardiale Sauerstoffbedarf.
● Sedativa/Anxiolytika:

Es sind z. B. wiederholte Gaben kleinerer Di-


Die typischen Enzymveränderungen bei einem azepamboli (Valium®; Titration bis 2–10 mg)
akuten Myokardinfarkt werden ausführlich oder Midazolamboli (Dormicum®; Titration
auf Seite 457 beschrieben. Während beim ST- bis 2–5 mg) bis zum individuellen Dosisbe-
Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt sowie beim darf zu verabreichen.
Nicht-ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt ● Nitropräparate:

typische Erhöhungen der Enzymaktivität auf- Der Infarktschmerz ist – im Gegensatz zum
treten, kommt es bei der instabilen Angina pec- Angina-pectoris-Schmerz – nicht „nitrosen-
toris typischerweise zu keinem Anstieg der En- sibel“. Bei stabilen Kreislaufverhältnissen
zymaktivität. Die Troponinkonzentration kann (RRsys > 100 mm Hg) kann jedoch durch
inzwischen auch innerhalb weniger Minuten Gabe von Nitroglycerin („Nitro“) eine venö-
mithilfe eines Bedside-Tests bestimmt werden. se (in höheren Dosen auch eine arterielle)
Vasodilatation mit Erniedrigung der Vorlast
(und evtl. der Nachlast) erzielt werden. Da-
Therapie (→  auch S. 459) durch nimmt der kardiale Sauerstoffver-
brauch ab. Außerdem kommt es zu einer
Ziele Dilatation der Koronararterien mit Verbes-
serung von Perfusion und Sauerstoffangebot.
Vorrangige Ziele bei der Therapie eines akuten Es bieten sich folgende Präparate an:
Koronarsyndroms sind: – Nitrolingual®-Pumpspray (0,4 mg/Hub):
● Reduktion des Sauerstoffverbrauches des 1–3 Hübe sublingual/ggf. Wiederholung
Herzens nach 5–10 Minuten
496 8  Notfallmedizin

– Nitrolingual®-Zerbeißkapseln (0,8 mg/ schen die Medikation der Wahl in der Phase
Kps.): nach dem Herzinfarkt dar. Sie sollten nach
1–2 Kapseln sublingual/ggf. Wiederho- einem Infarkt normalerweise lebenslang ver-
lung nach 10 Minuten abreicht werden. Hierdurch konnte die Lang-
– Aquo-Trinitrosan® Ampullen: zeitmortalität um ca. 20 % gesenkt werden.
10–20 µg/Einzeldosis intravenös titrieren Kontraindikationen sind Bradykardie (< 60
nach RR/HF bedarfsadaptiert 0,1–0,5– Schläge/min), AV-Block II. oder III. Grades,
1,0–2,0 µg/kg KG/min intravenös; ca. QRS-Komplex breiter als 0,11 Sekunden, sy-
0,5–5 mg/h über Spritzenpumpe stolischer Blutdruck unter 100 mm Hg sowie
Tritt im Rahmen des Myokardinfarkts eine manifeste Herzinsuffizienz. Die Herzfre-
Herzinsuffizienz auf, dann nimmt das Herz- quenz sollte unter einer β-Rezeptoren-
minutenvolumen unter Nitratgabe zu. Nitro- Blockade möglichst 60–70 Schläge/min und
glycerin sollte dann per Spritzenpumpe (ca. der Blutdruck sollte nicht unter 100 mm Hg
5–9 mg/h) verabreicht werden. Es ist jedoch betragen. Es ist eine entsprechende Dosisti-
auf dessen blutdrucksenkende Nebenwir- tration notwendig.
kung zu achten. Der systolische Blutdruck
sollte nicht unter 90 mm Hg abfallen. Nach Erhöhung des Sauerstoffangebotes
einem akuten Infarkt mit Linksherzinsuffizi- an das Herz
enz, Hypertonie oder persistierender Ischä- ● Sauerstoffgabe:

mie bzw. nach einem großen Vorderwandin- Eine Sauerstoffgabe ist sinnvoll, falls der paO2
farkt wird Nitroglycerin über 1–2 Tage erniedrigt ist. Zumeist werden routinemäßig
empfohlen, auch wenn nicht bewiesen ist, 2–6 Liter O2/min über Nasensonde oder
dass dadurch das Outcome verbessert wer- Sauerstoffmaske verabreicht. Bei Auftreten
den kann. einer Herzinsuffizienz mit Lungenödem
● β-Rezeptoren-Blocker: kann eine endotracheale Intubation mit Be-
Diese können bei tachykarden und hyper- atmung und erhöhter FiO2 notwendig wer-
tensiven Patienten sinnvoll sein und den O2- den.
Bedarf des Myokards vermindern. Ziel ist es, ● andere Maßnahmen:

das Produkt aus Herzfrequenz und systoli- Auch durch eine Senkung der Vor- und
schem Blutdruck auf einen Wert von ca. Nachlast mittels Nitropräparat und Morphin
6 000 zu senken. Wird bei einer Herzfre- (→  S. 495) und einer Sympathikolyse mittels
quenz > 60/min eine intravenöse Therapie Benzodiazepin, Morphin und β-Rezeptoren-
mit einem beta1-spezifischen β-Rezeptoren- Blocker (→  oben) kann die Koronarperfusi-
Blocker (z. B. Esmolol; →  S. 327; oder 2,5– on verbessert und damit das Sauerstoffange-
5[–15] mg Metoprolol; Beloc®) möglichst bot ans Myokard gesteigert werden.
bald nach Beginn des Myokardinfarkts be-
gonnen, dann kann durch Verminderung Antithrombotische Therapie
des myokardialen Sauerstoffbedarfes u. U. ● Acetylsalicylsäure:

das Ausmaß der Infarzierung vermindert Zur Thrombozytenaggregationshemmung


und die Letalität gesenkt werden. sollten initial 500 mg Acetylsalicylsäure in-
Außerdem kann dadurch die Gefahr von travenös verabreicht werden. Dadurch kann
Herzrhythmusstörungen und Kammerflim- die 35-Tage-Mortalität um ca. 20 % gesenkt
mern vermindert werden. Durch anschlie- werden. Danach ist eine (lebenslange) Do-
ßende langfristige orale Einnahme eines sierung von 100(–250) mg/d empfehlenswert.
β-Rezeptoren-Blockers kann möglicherwei- Dadurch kann die Rate von Gefäßneuver-
se die Re-Infarkt-Rate günstig beeinflusst schlüssen vermindert werden. Kontraindi-
werden. β-Rezeptoren-Blocker stellen inzwi- kationen (Magen-Darm-Ulzera, schwere
8.2  Leitsymptom: akuter Brustschmerz 497

Nierenfunktionsstörung, Blutungsneigung, Herzmuskelnekrose ggf. vermindert werden.


bekannte Unverträglichkeit) sind zu beach- Dadurch kann die Myokardfunktion evtl. er-
ten. halten und die Lebensqualität verbessert
● Heparin: bzw. die Mortalität gesenkt werden.
Es werden 60 U/kg KG, maximal 5 000 U ● Katheterintervention:

empfohlen. Sofern möglich (und dadurch im Vergleich


● weitere Antithrombotika: zum möglichen Beginn einer Thrombolyse
Clopidogrel (Plavix®) oder Glykoprotein- keine längere Verzögerung als ca. 90 Minu-
IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten brauchen ten entsteht) sollte ein Patient mit Myo­
vom Notarzt im Rahmen der prähospitalen kardinfarkt (insbesondere STEMI) einer
Versorgung dieser Patienten nicht verab- (sofortigen) primären Koronarintervention
reicht werden. zugeführt werden (→  S. 460). Dem Notarzt
muss daher bekannt sein, in welchen Klini-
Wiederherstellung der Koronardurchblutung ken die Möglichkeit zur Katheterinterventi-
● Thrombolyse: on besteht. Alternativ ist eine Thrombolyse
Da ein Myokardinfarkt zumeist durch einen (→  S. 460) einzuleiten.
Thrombus bedingt ist, kommt der frühzeiti-
gen Thrombolyse oder Katheterintervention
(→  S. 460) eine enorme Bedeutung zu. Der Sonstige Maßnahmen
beste Effekt wird bei einer Lyse innerhalb
von 60–90 Minuten nach dem Gefäßver- Die routinemäßige Gabe von Antiarrhythmika,
schluss erzielt. Wird in diesem Zeitfenster Calciumkanalblocker oder Magnesium im Rah-
eine Lyse durchgeführt, dann ist oft eine In- men eines Myokardinfarkts hat keinen positi-
farktvermeidung oder eine Infarktlimitie- ven oder sogar einen ungünstigen Effekt auf die
rung möglich. Inzwischen wird eine sog. Langzeitprognose.
präklinische Lysetherapie durch den Notarzt In der Frühphase eines Myokardinfarkts kommt
propagiert, falls der Transport des Patienten es aufgrund eines oft erhöhten Vagotonus
ins Krankenhaus und die dortige Einleitung evtl. zu Bradykardie und/oder Übelkeit. Es
der Thrombolyse mehr als 60 Minuten in kann dann die vorsichtige Gabe von Atropin
Anspruch nehmen werden. Wird die Lyse (cave: Tachykardie) und/oder eines Antiemeti-
erst im Krankenhaus begonnen, dann be- kums (z. B. Metoclopramid) notwendig wer-
deutet dies meist einen deutlichen Zeitver- den.
lust. Zwischen Aufnahme in die Klinik und
Beginn der Lyse (door-to-needle time) ver-
gehen meist mehr als 45 Minuten. Bis zu 6 Komplikationen
Stunden nach dem akuten Verschluss profi-
tieren die Patienten sicher von der Thrombo- Nach einem akuten Herzinfarkt müssen die Pa-
lyse. Bei Durchführung einer Thrombolyse tienten auf einer Intensivstation überwacht
innerhalb von 4 Stunden gelingt eine Wie- werden, um z. B. stets drohende akute Herz-
dereröffnung des Gefäßes in bis zu 70–75 % rhythmusstörungen sofort erkennen und be-
der Fälle. Im Gegensatz zur Frühlyse (inner- handeln zu können. Es sind daher eine kontinu-
halb von 6 Stunden) ist der Wert einer Spät- ierliche EKG-Überwachung (möglichst mit
lyse (> 12 Stunden nach dem Infarkt) nicht automatischer Arrhythmieerkennung), ein eng-
sicher belegt. Durch eine thrombolytische maschiges hämodynamisches Monitoring sowie
Therapie kann eine verschlossene Koro- eine konsequente Therapie (z. B. von Herz-
nararterie u. U. rekanalisiert, die Perfusion rhythmusstörungen oder einer auftretenden
evtl. wiederhergestellt und das Ausmaß der Herzinsuffizienz) wichtig.
498 8  Notfallmedizin

Im Rahmen eines akuten Myokardinfarkts tre- tonus oder eine Ischämie im Bereich von Sinus-
ten sehr häufig ventrikuläre Extrasystolen bzw. AV-Knoten hin. Eine Mangeldurchblutung
(VES) auf. Handelt es sich um gehäufte poly- von Sinus- bzw. AV-Knoten ist insbesondere
morphe ventrikuläre Extrasystolen, sog. R-auf- dann zu erwarten, wenn die rechte Koronarar-
T-Phänomen oder Salven von Extrasystolen, terie betroffen ist. Kommt es aufgrund der Bra-
dann muss damit gerechnet werden, dass es bei dykardie zu einer Hypotension, dann sollte in-
ca. 50 % dieser Patienten zum Kammerflim- itial Atropin intravenös verabreicht werden.
mern kommt. Gegebenenfalls muss ein temporärer transkuta-
ner bzw. transvenöser Schrittmacher platziert
Bei ungefähr 15 % aller Patienten mit einem aku- werden (vor allem bei AV-Block II. Grades Typ
! ten Myokardinfarkt kommt es zum Kammerflim- II und bei AV-Block III. Grades).
mern. Bei Kammerflimmern oder pulsloser Kammer-
tachykardie (→  S. 537) ist eine Defibrillation
Neuere Studien bei Postinfarktpatienten haben indiziert.
gezeigt, dass das Antiarrhythmikum Amiodaron Als Folge eines akuten Myokardinfarkts kann –
(Cordarex®) die Anzahl arrhythmiebedingter falls mehr als 20 % des linksventrikulären Myo-
Todesfälle signifikant senken kann. Es stellt in- kards infarziert sind – eine akute Linksherzin-
zwischen das Mittel der Wahl dar. suffizienz auftreten (in ca. 20 %). Eine schwere
Es sollten nur symptomatische oder hämody­ akute Herzinsuffizienz kann zum kardiogenen
namisch relevante Herzrhythmusstörungen Schock führen (bei ca. 8 % der Patienten). Auf-
therapiert werden, die öfter einem drohenden grund des stark erniedrigten Herzminutenvolu-
Kammerflimmern vorausgehen (sog. Warnar- mens werden dann z. B. Nieren und andere Or-
rhythmien wie gehäufte polymorphe VES, sog. gane unzureichend perfundiert. Der systolische
R-auf-T-Phänomen oder Salven von Extrasy- Blutdruck fällt oft deutlich ab. Falls sich ein kar-
stolen). diogener Schock entwickelt, sind vermutlich
Zur Therapie akuter VES kann Lidocain (→  S. mehr als 40 % des linken Ventrikels infarziert.
158) verabreicht werden. Initial wird ein Bolus Die Mortalität beträgt bei diesen Patienten über
von 1,5 mg/kg KG (maximal 2,5 mg/kg KG) 70 %.
langsam intravenös empfohlen. Anschließend Beim kardiogenen Schock muss versucht wer-
wird evtl. eine kontinuierliche Infusion mit 1–4 den, die linksventrikuläre Vor- und Nachlast zu
mg/min durchgeführt. Bei unzureichender senken. Hierzu werden vor allem eingesetzt:
Wirkung kann z. B. Ajmalin (Gilurytmal®; 10 ● Nitroglycerin:

mg/min; bis max. 50 mg) verabreicht werden. 0,4–0,8 mg sublingual, ggf. Wiederholung
Früher wurde Lidocain in der Frühphase eines nach 10 Minuten; Titration von 10- bis
Herzinfarkts routinemäßig zur Prophylaxe (!) 20-µg-Dosen intravenös oder bedarfsadap-
maligner Herzrhythmusstörungen verabreicht. tierte Infusion mit ca. 0,1–0,5–1,0–2,0 µg/
Dadurch konnte zwar die Inzidenz von Herz- kg KG/min (ca. 0,5–5 mg/h) intravenös
rhythmusstörungen vermindert werden, die ● Furosemid (Lasix ; 20–80 mg)
®

Mortalität kann jedoch (genauso wie auch mit ● Morphin (2–10 mg i. v. titriert)

den meisten anderen Antiarrhythmika) nicht ● unblutiger Aderlass durch „Herzbettlagerung“

positiv beeinflusst werden. Inzwischen wird Li- (erhobener Oberkörper, gesenkte Beine)
docain (genauso wie andere Klasse-I-Antiar-
rhythmika = Natriumkanalblocker; →  S. 401) Zur Steigerung des Herzminutenvolumens
zunehmend seltener eingesetzt. kann die Gabe einer positiv inotropen Substanz
Kommt es im Rahmen eines akuten Herzin- notwendig werden. Eventuell kann auch die
farkts zu einer Sinusbradykardie, dann weist Kombination eines Vasodilatators mit einer
dies meist auf einen erhöhten Parasympathiko- ino­tropen Substanz sinnvoll sein. An positiv
8.3  Leitsymptom: (akute) Atemnot 499

inotropen Substanzen kommen vor allem fol- Ätiologie


gende Catecholamine zum Einsatz:
● Dobutamin: Die bronchiale Entzündung wird inzwischen
2–10 µg/kg KG/min (vor allem beta1-Rezep- als primäre Ursache des Asthma bronchiale an-
tor-Stimulation); Dobutamin scheint das gesehen. Diese chronische Entzündung verur-
Catecholamin der ersten Wahl zu sein sacht die Hyperreagibilität. Aufgrund der hy-
● Noradrenalin: perreaktiven Atemwege reagieren diese
0,015–0,25 µg/kg KG/min (alpha1- > beta1-Re- Patienten auf verschiedenste Reize mit einer
zeptor-Stimulation); zusätzlich als ultima ratio Verengung der Atemwege. Bei Patienten mit
bei Hypotonie Asthma bronchiale kann ein akuter Asthma-
Anfall vor allem ausgelöst werden durch:
Zur Kreislaufstabilisierung kann evtl. auch eine ● pulmonale Infekte

intraaortale Gegenpulsation (→  S. 312) durch- ● Allergene (Inhalationsallergene)

geführt werden. Durch eine Thrombolyse (→  S. ● stärkere körperliche oder seelische Belastung

460), PTCA (→  S. 461) oder chirurgische ● Verminderung des Sympathikotonus (z. B.

Revaskularisation (→  S. 460) kann eine solche im Schlaf, v. a. morgens zwischen 4 und 6
akute Herzinsuffizienz oft gebessert werden. Uhr)
● Acetylsalicylsäure

● Infekte

● kalte Luft
8.3 Leitsymptom:
(akute) Atemnot
Klinik
8.3.1 Asthma bronchiale Typisch für ein Asthma bronchiale sind:
● chronische Entzündung der Bronchial-
Unter Asthma bronchiale wird eine anfallsweise schleimhaut

auftretende, aber reversible Atemwegsobstrukti- ● erhöhter Tonus der Bronchialmuskulatur
on verstanden. Es imponiert vor allem eine exspi- und bronchiale Hyperreagibilität
ratorische Atemwegsobstruktion mit verzögerter ● Einengung der Atemwege durch hochviskösen
Ausatmung und exspiratorischem Pfeifen. Schleim
Unter einem Status asthmaticus werden unmit-
telbar hintereinander auftretende Asthmaanfälle Während eines Asthmaanfalls kann die Luft
oder eine kontinuierliche (Tage anhaltende) akute aufgrund des typischerweise verzögerten Exspi-
schwerste Atemwegsobstruktion verstanden, die riums nicht vollständig abgeatmet werden (aku-
auf die Standardtherapie nicht ansprechen und tes Emphysem), und es entwickelt sich ein sog.
lebensbedrohlich sein können. Air-Trapping (eingeschlossene Luft; trap = Fal-
le). Es wird auch von einem Auto-PEEP oder
Intrinsic-PEEP gesprochen. (Beim beatmeten
Epidemiologie Patienten kann ein Auto-PEEP daran erkannt
werden, dass der exspiratorische Flow bei Be-
In Deutschland leiden ca. 5 % der Erwachsenen ginn der anschließenden Einatmung noch nicht
und bis ca. 10 % der Kinder an Asthma bronchi- auf Null abgefallen ist). Es sind exspiratorisches
ale. Pfeifen, Giemen, Brummen, Husten, Dyspnoe
und abgeschwächte, oft auch sehr leise Atemge-
räusche nachweisbar.
500 8  Notfallmedizin

Beim Status asthmaticus ist die Atemarbeit tige Aerosole), Bronchodilatatoren und evtl.
derart erhöht, dass Hypoxie, Hyperkapnie, Ta- sonstige Maßnahmen eingesetzt. Der therapeu-
chykardie, Hypertension und Somnolenz auf- tische Stufenplan bei einem Asthma-bron­-
treten können. ch­iale-Anfall ist in Tabelle 8-2 dargestellt.

Beim Status asthmaticus droht die respiratorische


! Erschöpfung und schließlich das Koma.
Entzündungshemmende Medikamente

Zwischen den Anfällen ist die Lungenfunktion Im akuten Anfall können 50–100 mg Predniso-
von Asthma-bronchiale-Patienten weitgehend lonäquivalent intravenös verabreicht werden.
normal. Während eines schweren Asthmaanfalls Glucocorticoide verstärken außerdem die Wir-
ist die FEV1 meist unter 35 % der Norm ernied- kung der oft gleichzeitig verabreichten Beta2-
rigt (→  S. 341). Der Absolutwert der FEV1 ist Mimetika.
bei einer schweren Obstruktion < 1 Liter. Wäh-
rend bei einem leichten Asthmaanfall der paO2
und paCO2 meist im Normbereich liegen, kommt Bronchodilatatoren
es während eines schweren Asthmaanfalls zum
Abfall des paO2 und zum Anstieg des paCO2. Als Bronchodilatatoren kommen vor allem Be-
Die Patienten sitzen meist mit vorn überge- ta2-Rezeptor-Agonisten und evtl. Theophyllin
beugtem Oberkörper und stützen sich mit den zur Anwendung.
Armen auf der Stuhllehne bzw. den Oberschen- ● Beta -Sympathomimetika:
2
keln ab. In dieser Haltung kann die Atemhilfs- Die Inhalation eines selektiven Beta2-Sympa-
muskulatur gut eingesetzt werden. thomimetikums stellt inzwischen die Medi-
kation der Wahl bei einem akuten Asthma-
anfall dar. Auch zur Prävention eines
Prophylaxe und Therapie belastungsabhängigen Asthma bronchiale
sind Beta2-Sympathomimetika sinnvoll. An
Zur Prophylaxe und zur Therapie eines akuten Beta2-Sympathomimetika kommen z. B. Ter-
Asthmaanfalls werden entzündungshemmende butalin (Bricanyl®), Salbutamol (Sultanol®)
Medikamente (vorzugsweise glucocorticoidhal- und Fenoterol (Berotec®) per inhalationem

Tab. 8-2  Therapie eines akuten Asthmaanfalls beim Erwachsenen


● Sauerstoffzufuhr (2–4 l/min)
– b2-Sympathikomimetikum per inhalationem
– z. B. 2–4 Hübe/20 min (z. B. Fenoterol; Berotec®)
– (evtl. Terbutalin; Bricanyl®; ½  Amp. = 0,5 ml = 0,25 mg s. c.
– (evtl. Reproterol; Bronchospasmin®; 1 Amp. = 1 ml = 90 µg langsam über 30–60 s i. v.)
● Glucocorticoide
– z. B. 100 mg Prednisolon intravenös (Wiederholung in 4- bis 6-stündigem Abstand)
– Erhaltungsdosis: ca. 0,4 mg/kg KG/h
● Theophyllin
– 4–5 mg/kg KG sehr langsam intravenös (bei Vorbehandlung mit Theophyllin nur 2–2,5 mg/kg KG)
– Erhaltungsdosis: ca. 0,5–1,0 mg/kg KG/h
● evtl. Intubation und Beatmung bei schwerem respiratorischem Versagen oder bei Bewusstlosigkeit
(cave: Bei Beatmungsbeginn ist normalerweise zusätzlich eine Flüssigkeitszufuhr notwendig,
da nach der Intubation ein deutlicher Blutdruckabfall droht.)
8.3  Leitsymptom: (akute) Atemnot 501

zur Anwendung. Reproterol (Bronchospas- 8.3.2 Lungenödem


min®) kann intravenös verabreicht werden.
Die intravenöse Gabe von Beta2-Sympatho- Vor allem bei älteren Patienten liegt oft eine
mimetika scheint jedoch keine Vorteile ge- kompensierte Herzinsuffizienz vor. Diese kann
genüber der Inhalation aufzuweisen. Zur u. U. akut dekompensieren und zum Lungen-
Therapie eines akuten Asthmaanfalls sollte ödem führen.
ggf. wiederholt ein kurz wirkendes Beta2-
Sympathomimetikum (z. B. 4 Hübe) verab-
reicht werden. Einteilung
● Theophyllin:

Das Methylxanthinderivat Theophyllin stellt Zur Beurteilung der eingeschränkten kardialen


inzwischen kein Mittel der ersten Wahl Leistungsfähigkeit (Herzinsuffizienz) wird zu-
mehr dar. Die bronchodilatatorische Wir- meist die Klassifikation der New York Heart
kung von Theophyllin ist geringer als die Association (= NYHA-Klassifikation) verwen-
der Beta2-Sympathomimetika. Theophyllin det (Tab. 8-3).
(Bronchoparat®) wird evtl. zusätzlich zu
einem Beta2-Sympathomimetikum verab-
reicht. Theophyllin kann zu Herzrhythmus- Klinik
störungen führen. Die therapeutische Breite
ist relativ gering. Bei längerfristiger Gabe Eine Herzinsuffizienz kann vor allem den lin-
sollte die Plasmakonzentration bestimmt ken Herzventrikel (Linksherzinsuffizienz) oder
werden. Die therapeutische Plasmakonzen- vor allem den rechten Herzventrikel (Rechts-
tration wird mit ca. 8–13 µg/ml angegeben herzinsuffizienz) oder evtl. beide Ventrikel
(die toxische Grenze liegt bei ca. 20 µg/ml). (biventrikuläre Herzinsuffizienz) betreffen (→ 
auch S. 453).

Sonstige Maßnahmen
Tab. 8-3  NYHA-Klassifizierung. Einstufung der kardi-
Bei einem therapierefraktären Status asthmati- alen Leistungsfähigkeit (Herzinsuffizienz) nach der New
cus kann eine endotracheale Intubation not- York Heart Association (= NYHA). Die Stadien I und II
wendig werden. Eventuell kann die Gabe eines werden als kompensierte (latente) Herzinsuffizienz und
volatilen Inhalationsanästhetikums sinnvoll die Stadien III und IV werden als dekompensierte (mani-
sein. Die verschiedenen volatilen Inhalations- feste) Herzinsuffizienz bezeichnet.
anästhetika scheinen hierfür vergleichbar gut Stadium Symptome
geeignet zu sein. Bei der maschinellen Beat- I Herzerkrankung ohne Einschränkung
mung ist ggf. eine mäßige Hypoventilation zu der körperlichen Leistungsfähigkeit
akzeptieren (vgl. permissive Hyperkapnie; →  S. bei alltäglicher Belastung
447). Die Beatmung sollte mit niedrigem Atem-
II Herzerkrankung mit leichter Einschrän-
hubvolumen, niedriger Atemfrequenz und kung der körperlichen Leistungsfähigkeit
längerer Exspirationszeit (→  S. 352, 447) durch- bei alltäglicher Belastung
geführt werden. Der inspiratorische Beat-
III Herzerkrankung mit deutlich einge-
mungsdruck soll möglichst nicht über 35
schränkter körperlicher Belastbarkeit,
cm H2O betragen. In schweren Fällen kann ggf.
auch bei geringer Belastung
auch die vorsichtige, fraktionierte intravenöse
Gabe von Adrenalin (0,01–0,04 mg) versucht IV Herzerkrankung, bei der jede körperliche
Belastung eingeschränkt ist; Zeichen der
werden.
Herzinsuffizienz bereits in Ruhe
502 8  Notfallmedizin

Eine Linksherzinsuffizienz führt zu schneller res externae auf. Während sich beim Herzge-
körperlicher Ermüdbarkeit, zu Schlaflosigkeit sunden der venöse Rückfluss in der aktiven In-
sowie (aufgrund eines interstitiellen Lungen- spiration verbessert und die Venenfüllung
ödems mit verminderter Lungen-Compliance) abnimmt, führt bei einer Rechtsherzinsuffizienz
zu Dyspnoe. Die Dyspnoe tritt zunächst nur bei jede Steigerung des venösen Rückstroms zu ei-
Belastung auf. Die Frage, wie viele Treppen der ner weiteren Füllung der Jugularvenen. Bei
Patient z. B. noch steigen kann, bevor eine Dys- Rechtherzinsuffizienz treten also während der
pnoe auftritt, ist zur Beurteilung des Schwere- Inspiration die Halsvenen deutlicher hervor
grades der Herzinsuffizienz sehr wichtig. (sog. Kussmaul-Zeichen).
Häufig tritt auch eine nächtliche Dyspnoe auf, Typisch für eine Rechtsherzinsuffizienz sind
durch die die Patienten erwachen. Bei einer auch stauungsbedingte Überdehnung der Leber
schweren Linksherzinsuffizienz kommt es be- mit Druckempfindlichkeit im rechten Ober-
reits zu einer Dyspnoe, wenn sich die Patienten bauch sowie eindrückbare Ödeme an abhängi-
auf den Rücken legen, weil dadurch der venöse gen Körperteilen (beim stehenden Patienten an
Rückstrom verstärkt ist. Typisch ist auch ein den Knöcheln und prätibial, beim liegenden Pa-
trockener, nicht produktiver Husten im Liegen. tienten am Os sacrum und in den Flanken).
Beim Aufrichten bessern sich die Symptome.
Die sitzende Haltung ist oft die einzige Position,
in der die Patienten noch genügend Luft be- Therapie
kommen (Orthopnoe). Diese Patienten schla-
fen deshalb meistens halbsitzend. Die Patienten Wenn immer möglich, ist eine kausale Therapie
weisen eine erhöhte Atemfrequenz, feuchte der akuten Herzinsuffizienz durchzuführen
Rasselgeräusche und evtl. eine Zyanose auf. Die (Tab. 8-4). Dies ist jedoch nur in einem gerin-
Abgrenzung zu einem Asthma bronchiale kann gen Prozentsatz der Fälle möglich.
sehr schwierig sein. Tritt eine Luftnot bei einem Bei der zumeist vorliegenden akuten Dekom-
älteren Patienten erstmals auf, so spricht dies pensation einer chronischen Linksherzinsuffi-
eher gegen ein Asthma bronchiale und für ein zienz muss eine symptomatische Therapie vor-
Lungenödem. genommen werden (vgl. Tab. 8-5; →  auch S.
Das zuletzt auftretende Zeichen einer Links- 445, 498).
herzinsuffizienz ist ein Lungenödem. Bei einer Die Therapie der Linksherzinsuffizienz hängt
Linksherzinsuffizienz kommt es zuerst zu einer davon ab, ob ein Vorwärtsversagen (mit ernied-
Flüssigkeitseinlagerung in das Lungeninterstiti- rigtem Herzminutenvolumen und evtl. mit Hy-
um (interstitielles Lungenödem) und im späte- potonie) oder ob ein Rückwärtsversagen (mit
ren Stadium zum Flüssigkeitsübertritt in die Lungenstauung und Dyspnoe) vorliegt. Häufig
Alveolen (alveoläres Lungenödem). Es lassen handelt es sich allerdings um eine Kombination
sich hierbei feuchte Rasselgeräusche auskultie- aus Vor- und Rückwärtsversagen.
ren, zuerst über den unteren Lungenbereichen, Liegt vor allem ein Rückwärtsversagen vor, so
später über der ganzen Lunge. Der Patient ist ist eine Vorlastsenkung durch Schleifendiureti-
tachypnoeisch, zyanotisch und aufgrund eines ka (Furosemid, Torasemid), venöse Vasodilata-
erhöhten Sympathikotonus liegt meist eine toren (z. B. Nitroglycerin; sublinguale Gabe)
kompensatorische Tachykardie vor. Besteht eine und Volumenrestriktion wichtig. Zur Vorlast-
Ruhetachykardie, dann sollte bei älteren Patien- senkung können 40–80 mg Furosemid (Lasix)
ten stets an eine Herzinsuffizienz gedacht wer- bzw. 10 mg Torasemid (Torem) intravenös
den. verabreicht werden. Bei unzureichender Wir-
Bei einer Rechtsherzinsuffizienz steigt der kung kann die Dosierung weiter erhöht werden.
(zentrale) Venendruck an, es fallen auch beim Zur Vorlastsenkung bietet sich auch Nitroglyce-
sitzenden Patienten prominente Venae jugula- rin als Dauerinfusion an, falls eine initiale sub-
8.3  Leitsymptom: (akute) Atemnot 503

Tab. 8-4  Kausale Therapie bei akuter Herzinsuffizienz ● zunehmende Tachykardie bzw. Übergang in
Ursache Therapie Bradykardie, schwere Arrhythmien oder Hy-
perkapnie (paCO2 > 50 mm Hg)
Akuter Myokardinfarkt Rekanalisation der
Koronararterien
Liegt vor allem ein Vorwärtsversagen mit er-
Hypertensive Krise Blutdrucksenkung niedrigtem Herzminutenvolumen und ernied-
Tachykarde Frequenzverlangsamung rigtem arteriellem Blutdruck vor, dann sind
Rhythmusstörungen Sympathikomimetika zur Steigerung des Herz-
Bradykarde Schrittmachertherapie minutenvolumens und des Blutdrucks (erste
Rhythmusstörungen oder z. B. Atropingabe Wahl Dobutamin [1–20 µg/kg KG/min]; zweite
Akute Herzklappen- akuter operativer Wahl ggf. zusätzlich Noradrenalin) indiziert.
insuffizienz Herzklappenersatz Phosphodiesterasehemmer eignen sich zur
Steigerung des Herzminutenvolumens und zur
Perikardtamponade Perikardpunktion
gleichzeitigen Senkung der Nachlast (z. B. Am-
rinon oder Enoximon).
Digitalispräparate haben bei der Therapie der
Tab. 8-5  Erstmaßnahmen im Rahmen der Notfallmedi- akuten Herzinsuffizienz zur Steigerung der Ino-
zin bei einem akuten Lungenödem (nähere Erläute-
tropie keine Bedeutung. Sie sollten ggf. aus-
rungen → Text)
schließlich als Antiarrhythmikum eingesetzt
● Sauerstoffgabe werden. Tritt z. B. im Rahmen der akuten Herz-
● halbsitzende oder sitzende Lagerung insuffizienz ein Vorhofflimmern mit schneller
Überleitung auf, so kann durch eine schnelle
● „Nitro“-Spray (Glyceroltrinitrat), ggf. als
Dauerinfusion Aufdigitalisierung die Herzfrequenz erniedrigt
und die hämodynamische Situation deutlich
● Furosemid
verbessert werden. Hierfür bietet sich z. B. die
● bei Kreislaufinsuffizienz Infusion von Gabe von Digoxin (3–4 × 0,25 mg i. v. über 24
Catecholaminen (z.B. Dobutamin) Stunden) an. Gegebenenfalls kann zusätzlich
● vorsichtige, bedarfsadaptierte Sedierung, die Gabe von Verapamil oder Diltiazem sinn-
z. B. mit Morphin voll sein, um die Herzfrequenz zu senken.
● Bei einem schweren Lungenödem kann eine Liegt insbesondere ein Vorwärtsversagen mit
endotracheale Intubation mit Beatmung und erniedrigtem Herzminutenvolumen und ho-
Anwendung eines PEEP notwendig werden. hem (!) peripherem Widerstand vor, dann sind
arterielle Vasodilatatoren zur Nachlastsen-
kung (Calciumkanalblocker, z. B. 5 mg Nitren-
linguale Gabe von ca. 0,8 mg erfolglos blieb dipin sublingual oder 5–10 mg Nifedipin sub-
(→  S. 491). Bei einem linksventrikulären Rück- lingual; im Extremfall Nitroprussidnatrium)
wärtsversagen mit Lungenstauung ist die Gabe indiziert.
von Sauerstoff und Morphin wichtig. Unter
Umständen kann auch eine maschinelle Beat-
mung (mit PEEP) notwendig werden. Indika- 8.3.3 Pneumothorax
tionen zur Intubation und Beatmung sind:
● S O < 90 % Unter Pneumothorax wird die Ansammlung von
a 2
● spontane Hyperventilation (> 30 Atemzüge/ 
Luft oder Gas im Pleuraspalt verstanden. Je nach
min) Ausmaß des Pneumothorax kommt es zu einem
● drohende körperliche Erschöpfung mehr oder weniger ausgeprägten Lungenkollaps.
● zunehmende Verwirrung Ein ausgeprägter Pneumothorax kann lebensbe-
● arterielle Hypotonie (< 70 mm Hg) drohlich sein.
504 8  Notfallmedizin

Einteilung
Nach der Pathophysiologie und dem Entste-
hungsmechanismus kann ein offener, ein ge-
schlossener oder ein sog. Spannungspneumo-
thorax entstehen. Der Pneumothorax kann aber
auch nach der Ätiologie in einen traumatischen
Pneumothorax (unfallsbedingt, iatrogen) oder
Spontanpneumothorax (idiopathisch) unterteilt
werden. Je nachdem, ob sich ein Pneumothorax
lediglich im Bereich der Lungenspitze, ob sich
ein Randsaum oder ob sich ein totaler Zusam-
menfall der Lunge nachweisen lässt, wird von
einem Spitzen-, Mantel- oder einem Totalpneu-
mothorax gesprochen.

Ätiologie und Pathophysiologie


Ein Pneumothorax stellt eine relativ seltene Ur-
sache einer akuten Ateminsuffizienz dar. Im
Pleuraspalt herrscht normalerweise ein negati-
ver Druck, der während der Exspiration und
Inspiration zwischen ca. –4 und ca. –10 cm H2O
schwankt. Normalerweise wird die Lunge durch
den Negativdruck im Pleuraspalt an der Brust-
wand gehalten. Tritt Luft in den Pleuraspalt ein,
dann zieht sich die elastische Lunge von der
Brustwand zurück. Es entsteht ein Pneumotho-
rax.
Abb. 8-6 Offener Pneumothorax. a Offener Pneumo-
Beim offenen Pneumothorax besteht eine offe-
thorax bei Exspiration. b Offener Pneumothorax bei
ne, sich nicht spontan sofort wieder verschlie-
Inspiration. Es treten Mediastinalflattern und Pendelluft
ßende Verletzung der Thoraxwand. Es kann auf (nähere Erläuterungen → Text).
beliebig Luft in den Pleuraspalt ein- und austre-
ten, die betroffene Lunge kollabiert. Bei der
spontanen Inspiration wird das Mediastinum geringsten Widerstandes nicht über die Trachea
durch die elastischen Rückstellkräfte der gesun- in die Umgebung, sondern in die kollabierte an-
den, sich entfaltenden Lunge zur gesunden dere Lungenhälfte. Bei der Inspiration wird die-
Lungenseite hin gezogen. Bei der Ausatmung ses Luftvolumen wieder aus der kollabierten
verschiebt sich das Mediastinum wieder zur Lunge in die gesunde Lunge gesaugt.
verletzten Seite, es kommt zum atemsynchro- Ein geschlossener Pneumothorax kann da-
nen „Mediastinalflattern“ (vgl. Abb. 8-6). Die durch entstehen, dass Luft durch eine Verlet-
dadurch verursachten hämodynamischen Pro- zung der Thoraxwand oder eine Verletzung der
bleme sind allerdings deutlich geringer als oft Lunge (z. B. bei einem Spontanpneumothorax)
angenommen. Typisch ist auch eine Pendelluft, in den Pleuraspalt eintritt. Dadurch kollabiert
das heißt ein Teil des Exspirationsvolumens aus die entsprechende Lunge. Nachdem die Lunge
der gesunden Lunge strömt entsprechend des mehr oder weniger kollabiert ist, verschließt
8.3  Leitsymptom: (akute) Atemnot 505

sich das Leck in der Thoraxwand bzw. der Lun- nen Pneumothorax übergeführt werden, um
ge wieder spontan. Es tritt keine weitere Luft in Mediastinalflattern und Pendelluft zu verhin-
den Pleuraspalt ein, der Pneumothorax nimmt dern. Falls jedoch zusätzlich eine Verletzung
nicht weiter zu. Ein solcher Pneumothorax der Lunge vorliegen sollte, dann könnte sich
kann traumatisch oder spontan auftreten. Häu- nun ein Spannungspneumothorax (→  oben)
figer ist ein solcher Pneumothorax auch iatro- mit zunehmender Kreislaufproblematik und
gen bedingt (z. B. durch Punktionsverletzungen zunehmendem Sättigungsabfall entwickeln. Es
bei der Anlage eines Kavakatheters). müsste dann sofort die Abdichtung der Wunde
Ein Spannungspneumothorax (Ventilpneumo- wieder entfernt werden. Besser als eine Abdich-
thorax) entsteht, wenn während jeder Inspirati- tung der klaffenden Thoraxwunde ist daher die
on etwas Luft in den Pleuraspalt eintritt, sofortige Intubation und maschinelle Beatmung
die Luft in der Exspiration aber nicht wieder ent- des Patienten. Hierbei ist die Thoraxwunde of-
weichen kann, wenn also ein Ventilmechanismus fen zu lassen, damit – wenn sich die Lunge un-
vorliegt. Ein Spannungspneumothorax kann so- ter Beatmung nun wieder entfaltet – die im
wohl spontan, iatrogen (z. B. punk­tionsbedingt), Pleuraspalt befindliche Luft nach außen entwei-
als Barotrauma bei einer ma­schinellen Beatmung chen kann. Auch falls eine zusätzliche Lungen-
oder auch nach einer Verletzung auftreten. Auf- verletzung vorliegen sollte, kann nun die bei der
grund des Ventilmechanismus nehmen das ein- Überdruckbeatmung aus der Lunge entwei-
geschlossene Luftvolumen und der intrapleurale chende Luft durch die Thoraxverletzung nach
Druck von Atemhub zu Atemhub zu. außen entweichen und es besteht keine Gefahr
eines Spannungspneumothorax (→  oben). Hat
sich allerdings die Thoraxwunde wieder spon-
Klinik tan verschlossen, dann ist zusätzlich die Anlage
einer Thoraxdrainage (→  S. 436) notwendig,
Typisch für einen Totalpneumothorax sind in- damit sich kein Spannungspneumothorax ent-
suffiziente Atmung, erhöhte Atemarbeit, wickeln kann.
Schmerzen, hypersonorer Klopfschall und auf- Bei Verdacht auf einen Spannungspneumotho-
gehobenes oder zumindest abgeschwächtes rax ist eine notfallmäßige Entlastungspunktion
Atemgeräusch auf der betroffenen Seite, fehlen- notwendig. Hierzu wird im zweiten Interkostal-
der Stimmfremitus und oft auch Atemnot. raum (= ICR) in der Medioklavikularlinie mit
Beim Spannungspneumothorax kommt es zum einer intravenösen Verweilkanüle auf den Ober-
Totalkollaps der Lunge, zum Verdrängen des Me- rand der entsprechenden Rippe punktiert. Nach
diastinums zur Gegenseite mit Kompression auch Knochenkontakt wird das Ende der Kanüle
der gesunden Lunge, zu Hypoxämie, zum Tiefer- kaudalwärts gesenkt und die Kanüle dann am
treten des gleichseitigen Zwerchfelles, zur Kom- Oberrand der Rippe leicht nach kranial vorge-
pression der Vena cava mit Einflussstauung, zur schoben. Eine Punktion am Unterrand einer
Verlagerung des Herzens, zu Rhythmusstörun- Rippe ist zu vermeiden, da hier die Arteria und
gen, zu Blutdruckabfall und Tachykardie. Häufig die Vena sowie der Nervus intercostalis verlau-
tritt auch ein Hautemphysem auf. Es entwickelt fen. Nach erfolgreicher Punktion wird der
sich schnell eine lebensbedrohliche Situation. Stahlmandrin der Kanüle entfernt. Beim spon-
tan atmenden Patienten ist, falls nach der Entlas-
tungspunktion nicht umgehend eine Tho-
Therapie raxdrainage (→  S. 506) angelegt wird, auf die
Kanüle ein Fingerling oder ein abgeschnittener
Ein offener Pneumothorax könnte beim spon- Finger eines Latexhandschuhs aufzubringen
tan atmenden Patienten durch entsprechendes und festzubinden. Der Fingerling muss an der
Abdichten des Thoraxlecks in einen geschlosse- Spitze etwas eingeschnitten werden, damit Luft
506 8  Notfallmedizin

Abb. 8-7 Entlastungspunktion bei
Spannungspneumothorax. Beim spon-
tan atmenden Patienten kann z. B.
mittels eines eingeschnittenen Finger-
lings, der auf der Verweilkanüle fest-
zubinden ist, ein Ventilmechanismus
erzeugt werden, der den Eintritt von
Luft verhindert, den Austritt von Luft
aber ermöglicht.

wieder entweichen kann. Dass während der In- Empfehlenswert ist es, zur Anlage einer Tho-
spiration Luft eindringt, wird dadurch verhin- raxdrainage eine Minithorakotomie durchzu-
dert, dass sich der nach unten fallende Finger- führen, das heißt eine ca. 3–4 cm lange Inzision
ling vor die Kanülenöffnung legt (Abb. 8-7). Bei am Oberrand der entsprechenden Rippe vorzu-
beatmeten Patienten braucht nicht sofort ein nehmen, den Kanal mit der Schere zu spreizen
solcher Ventilmechanismus angeschlossen wer- und zu erweitern und mit dem Finger vollends
den, da durch die Überdruckbeatmung ein Kol- den Kanal bis in den Pleuraspalt zu eröffnen.
laps der Lunge verhindert wird. Die Kanüle Die Thoraxdrainage kann nun unter digitaler
kann (bis zum Anlegen einer Thoraxdrainage; Führung ohne Metallmandrin bis in die Pleura-
→  unten) vorübergehend offen bleiben. höhle eingeführt werden. Anschließend muss
Nach der notfallmäßigen Entlastungspunktion die Minithorakotomie mit mehreren Hautnäh-
eines Spannungspneumothorax ist eine Tho- ten wieder verschlossen werden. (Wird dagegen
raxdrainage anzulegen. In weniger dramati- die Thoraxdrainage mit dem Metallmandrin
schen Fällen wird auf eine initiale Entlastungs- durch den Interkostalraum vorgestochen, dann
punktion verzichtet und primär eine kommt es oft zu einem plötzlichen Widerstands-
Thoraxdrainage angelegt. Eine Thoraxdrainage verlust, wenn die Thoraxwand durchstochen ist
wird meist beim liegenden oder besser beim und es droht dann ein unkontrolliert weites
halbsitzenden Patienten im vierten oder fünften Vorstechen, evtl. mit Verletzung der Lunge, sel-
ICR in der mittleren oder hinteren Axillarlinie ten auch von Zwerchfell, Milz oder Leber).
angelegt (= sog. Bülau-Drainage). Soll Luft ab- An eine Thoraxdrainage ist idealerweise eine
gelassen werden, dann sollte (beim liegenden Saugvorrichtung mit Wasserschloss (vgl. Abb.
Patienten) die Bülau-Drainage nach ventral 7-15c) oder ein Einwegsystem wie das Pleur-
vorgeschoben werden. Muss dagegen vor allem evac®-System (Abb. 7-15d) anzuschließen. Ein
Flüssigkeit, z. B. ein Hämatothorax oder ein Er- Thoraxdrainagesystem besteht aus einem Auf-
guss abgelassen werden, dann sollte die Draina- fanggefäß, einer Saugregulierung und einer Va-
ge nach dorsal vorgeschoben werden. (Wird die kuumpumpe. Die Eintauchtiefe des Steigrohrs
Thoraxdrainage ausnahmsweise im zweiten entspricht dem negativen Druck (Sog) in
oder dritten ICR in der Medioklavikularlinie cm H2O. Normalerweise wird ein Sog von –5
gelegt, dann wird von Monaldi-Drainage ge- bis –20 cm H2O (5–20 cm Eintauchtiefe des
sprochen.) Steigrohrs) eingestellt.
8.4  Leitsymptom: plötzliche Bewusstseinstrübung 507

Wird ein Patient mit liegender Thoraxdrainage Einteilung


maschinell beatmet, dann kann die Thoraxdrai-
nage auch vorübergehend offen bleiben und Bei einer Bewusstseinstrübung wird oft noch un-
nur steril abgedeckt werden. Auf keinen Fall terschieden zwischen wach, somnolent, soporös
darf die Thoraxdrainage beim beatmeten Pati- oder komatös (Definitionen; →  S. 317). Der Be-
enten abgeklemmt werden. Während des Trans- wusstseinsgrad sollte jedoch möglichst mit der
ports eines beatmeten Patienten mit Tho- Glasgow Coma Scale eingestuft werden (→  S.
raxdrainage sollte diese möglichst über das 407). Durch lautes Ansprechen, durch Rütteln
Wasserschloss abgeleitet werden. Auf einen Sog des Patienten und ggf. durch Prüfung der Reak-
kann verzichtet werden. Beim spontan atmen- tion auf Schmerzreize (z. B. auf Kneifen oder
den Patienten sollte die Thoraxdrainage eben- kräftiges Reiben mit den Fingerknöcheln auf
falls über ein Wasserschloss, idealerweise mit dem Brustbein) kann der Bewusstseinsgrad in-
zusätzlicher Saugvorrichtung, abgeleitet wer- nerhalb kürzester Zeit grob abgeschätzt werden.
den. Behelfsweise kann die Thoraxdrainage
auch über einen „Fingerling“ (→  S. 505) ver-
schlossen werden. Inzwischen stehen auch ver- Ätiologie
gleichbar funktionierende Fertigventile (sog.
Heimlich-Ventil) zur Verfügung, die auf die Als Ursachen für eine Bewusstlosigkeit kom-
Thoraxdrainage aufgesetzt werden können. Auf men insbesondere infrage:
keinen Fall darf die Thoraxdrainage beim spon- ● äußere Gewalteinwirkung auf den Schädel

tan atmenden Patienten offen bleiben. (vgl. Schädel-Hirn-Trauma; →  S. 269, 466)
Ist ein spontan atmender Patient asymptoma- ● Subarachnoidalblutung, hypertensive Hirn-

tisch und sind weniger als ca. 20 % der Lunge blutung, zerebrale Minderperfusion
kollabiert, dann kann normalerweise eine spon- ● Infektionen

tane Resorption des Pneumothorax abgewartet ● Medikamente oder Toxine

werden. Sind dagegen größere Teile der Lunge ● Wärme oder Kälte

kollabiert, dann muss eine Thoraxdrainage ● Hypoxie

(→  S. 506) angelegt werden. ● hypoglykämisches oder hyperglykämisches

Ein Spontanpneumothorax tritt zumeist bei Koma


jüngeren Männern durch Ruptur einer meist ● zerebraler Krampfanfall

subpleural gelegenen Emphysemblase (vor al- ● Fieberkrampf

lem im Bereich der Lungenspitze) auf. Falls


hierbei nur ein Mantelpneumothorax vorliegt,
braucht normalerweise keine Thoraxdrainage Klinik und Therapie
gelegt werden.
Äußere Gewalteinwirkung
Nach einer Gewalteinwirkung auf den Schädel
8.4 Leitsymptom: plötzliche müssen nicht unbedingt äußere Verletzungen
erkennbar sein. Bei einem vermuteten Schädel-
Bewusstseinstrübung Hirn-Trauma ist von einem Hirnödem und ei-
nem intrakraniellen Hämatom sowie einem er-
Unter plötzlicher Bewusstlosigkeit wird ein plötz- höhten intrakraniellen Druck auszugehen. Die

liches Ausschalten des Bewusstseins verstan­- Therapie einer Schädel-Hirn-Verletzung und
den. Ist das Bewusstsein nicht komplett ausge- insbesondere die Therapie eines erhöhten intra-
schaltet, dann wird von Bewusstseinstrübung kraniellen Drucks werden auf den Seiten 467
gesprochen. und 269 ausführlich beschrieben.
508 8  Notfallmedizin

Wichtig sind vor allem: gen werden begünstigt durch die Einnahme der
● Hochlagerung des Oberkörpers (→  S. 269) gerinnungshemmenden Substanz Marcumar®.
● kontrollierte Hyperventilation (→  S. 272) Kardiovaskuläre Ursache einer Bewusstseins-
● medikamentöse Senkung eines erhöhten in- trübung kann auch eine hypotone Kreislaufre-
trakraniellen Drucks (→  S. 268), z. B. mittels gulationsstörung mit zerebraler Minderdurch-
tiefer Analgosedierung, Gabe eines Osmodi- blutung, z. B. beim plötzlichen Aufstehen (sog.
uretikums orthostatische Synkope) sein. Initial treten hier-
● Kreislaufstabilisierung bei meist Hypotonus, Schweißausbruch und
● Sicherstellung eines zerebralen Perfusions- Bradykardie auf. Der Patient sinkt meist lang-
drucks von > 70 mm Hg sam zu Boden. In liegender Position kommt es
normalerweise bald wieder zur Spontanerho-
Bei einem Schädel-Hirn-Trauma sind meist lung. Selten ist eine intravasale Volumengabe
eine endotracheale Intubation und kontrollierte notwendig. Häufig werden z. B. Effortil-
Beatmung notwendig. Um einen erhöhten in- Tropfen verabreicht.
trakraniellen Druck akut zu senken, kann – be- Eine weitere Ursache für eine kardiovaskulär
vor eine evtl. notwendige operative Entlastung bedingte zerebrale Minderdurchblutung mit
durchgeführt werden kann – z. B. die Gabe ei- Bewusstseinstrübung können schwerwiegende
nes Osmodiuretikums (Mannit 20 %; 0,3–1,5 g/ Herzrhythmusstörungen mit drastischem Ab-
kg KG über 15 Minuten) verabreicht werden. fall des Herzzeitvolumens und zerebraler Min-
Nach Einlieferung ins Krankenhaus ist eine derperfusion sein (z. B. bei plötzlicher extremer
notfallmäßige cCT-Untersuchung durchzufüh- Bradykardie aufgrund eines neu auftretenden
ren. AV-Blockes). Es wird von einem Adams-Stokes-
Zur Beurteilung der neurologischen Situation Anfall gesprochen. Bei Auftreten eines Adams-
ist eine wiederholte Beurteilung der Pupillomo- Stokes-Anfalls kann initial die Gabe von Atro-
torik (→  S. 407) wichtig. Bei einer einseitig wei- pin, Orciprenalin oder Adrenalin notwendig
ten Pupille ist von einer starken Erhöhung des werden, um die extreme Bradykardie zu behe-
ICP auszugehen und es sind sofortige ICP-sen- ben.
kende Maßnahmen notwendig (→  oben). Auch eine hypertensive Krise kann zu einer Be-
wusstseinstrübung führen (→  S. 519). Weitere
Ursachen einer kardiovaskulär bedingten Be-
Subarachnoidalblutung, wusstseinstrübung können das plötzliche Auf-
hypertensive Hirnblutung, treten von Kammerflimmern oder -flattern
zerebrale Minderdurchblutung sein. Diese machen eine umgehende kardiopul-
monale Wiederbelebung notwendig (→  S.
Bei nicht traumatischen Hirnschädigungen 526).
liegt häufig eine intrakranielle Blutung oder
eine zerebrale Ischämie (apoplektischer Insult)
vor. Die Folge sind kontralaterale Lähmungser- Infektionen
scheinungen. Bei jungen Erwachsenen ist eine
intrazerebrale Blutung meist Folge einer Blu- Infektiöse Erkrankungen können bereits auf-
tung aus einem zerebralen Aneurysma mit Blu- grund eines evtl. auftretenden hohen Fiebers
tung in den Subarachnoidalraum (Subarach- und eines dadurch bedingten intravasalen Vo-
noidalblutung; →  S. 468). Bei älteren Patienten lumenmangels zu einer Bewusstseinstrübung
sind spontane Hirnblutungen dagegen meist führen. Wichtige Ursachen einer infektiös be-
Folge einer hypertensiven Blutdruckentgleisung dingten Bewusstlosigkeit sind eine Meningitis
(→  S. 519) bei vorbestehenden arterioskleroti- und eine Enzephalitis. Die Meningitis äußert
schen Hirngefäßen. Hypertensive Hirnblutun- sich in Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit sowie
8.4  Leitsymptom: plötzliche Bewusstseinstrübung 509

überstrecktem Hals und Rücken (Opisthoto- Tod führen. Therapeutisch kommt eine Küh-
nus). Bei einer Enzephalitis imponieren Übel- lung des Patienten infrage. Gegebenenfalls ist
keit, Erbrechen, neurologische Ausfälle oder der Patient in kaltes Wasser zu setzen. Eventuell
evtl. ein Koma. Führt eine hochfieberhafte In- ist eine Sedierung mit Benzodiazepinen not-
fektionskrankheit zu einem intravasalen Volu- wendig.
menmangel mit Bewusstseinstrübung, so be- Eine Unterkühlung tritt insbesondere bei
steht die Initialtherapie vor allem in einem Schiffbrüchigen sowie bei Unfallopfern auf, die
entsprechenden Volumenersatz. Bei deutlich längere Zeit bei kalter Umgebungstemperatur
bewusstseinsgetrübten Patienten kann eine en- am Unfallort liegen. Besonders gefährdet für
dotracheale Intubation zur Sicherung der Atem- eine Unterkühlung sind Säuglinge, Kleinkinder
wege notwendig werden. Eine evtl. notwendige und Greise. Auch im Rahmen von Vergiftungen
Antibiotikatherapie kann normalerweise erst oder auch bei einer Schilddrüsenunterfunktion
nach Transport des Patienten in die Klinik be- tritt häufiger eine Unterkühlung auf. Bei unter-
gonnen werden. kühlten Patienten liegt meist eine Bradykardie
vor, ein niedriger Blutdruck, evtl. Lähmungser-
scheinungen und ein Nierenversagen. Eine Er-
Medikamente oder Toxine niedrigung der zentralen Körpertemperatur bis
auf 33 °C wird meist komplikationslos über-
Eine Bewusstseinstrübung aufgrund einer Ver- standen. Fällt die Körpertemperatur unter ca.
giftung kann durch verschiedenste Medikamen- 33 °C rektal ab, muss mit Bewusstseinstrübun-
te oder Toxine bedingt sein. Intoxikationen mit gen gerechnet werden. Ab einer Körpertempe-
Bewusstseinstrübungen werden ausführlich im ratur von unter 30 °C rektal ist mit Herzrhyth-
Kapitel über das Leitsymptom „Vergiftungen“ musstörungen, Kammerflimmern und Be-
beschrieben. wusstlosigkeit zu rechnen. Eine rektale Tempe-
ratur unter 28 °C endet meist tödlich. Bei
deutlich unterkühlten Patienten kann eine en-
Wärme oder Kälte dotracheale Intubation und Beatmung bis zur
Wiedererwärmung notwendig sein.
Von einem Sonnenstich wird gesprochen, wenn
es durch intensive Sonneneinwirkung auf den
ungeschützten Kopf zu Schwindel, Übelkeit und Hypoxie
Erbrechen, Kopfschmerzen, Rötung des Kopfes
und evtl. auch zu Bewusstlosigkeit und zerebra- Eine vorübergehende ausgeprägte Hypoxie
len Krämpfen kommt. Die Körpertemperatur (hypoxisches Beatmungsgemisch, ausgeprägte
kann normal sein. Im Extremfall kann der Pati- Hypoventilation) kann zu Bewusstlosigkeit füh-
ent an einem Hirnödem versterben. Bei Vorlie- ren.
gen eines Sonnenstichs soll insbesondere der
Kopf des Patienten gekühlt werden.
Von einem Hitzschlag wird gesprochen, wenn Hypoglykämisches oder
es zu einer Überwärmung des gesamten Kör- hyperglykämisches Koma
pers kommt. Mögliche Ursachen sind Störun-
gen der zentralen Temperaturregulation oder Ein hypoglykämisches Koma kann bei Patien-
die Behinderung der Schweißproduktion. ten, die insulinpflichtig sind bzw. orale Antidia-
Durch Anstieg der zentralen Körpertemperatur betika einnehmen, relativ schnell auftreten. Die
auf ca. 42 °C können Bewusstseinstrübungen, häufigste Ursache ist darin zu sehen, dass nach
zerebrale Krämpfe, Herzinsuffizienz oder der üblichen Medikation (z. B. Insulininjektion
Hirnödem auftreten. Ein Hitzschlag kann zum oder Einnahme eines oralen Antidiabetikums)
510 8  Notfallmedizin

keine entsprechende Mahlzeit eingenommen Koma auftreten. Dies ist dadurch bedingt, dass
wird. Anzeichen einer beginnenden Hypoglyk- es aufgrund eines ausgeprägten Insulinmangels
ämie sind häufig Kaltschweißigkeit, Heißhun- nicht nur zu einer Hyperglykämie (→  oben),
ger, Übelkeit. Relativ bald tritt eine Bewusstlo- sondern auch zu einer vermehrten Lipolyse und
sigkeit auf. Durch eine massive Hypoglykämie dadurch zum vermehrten Anfall von Ketonkör-
können beim Bewusstlosen zerebrale Schädi- pern kommt. Die Ketonkörper verursachen
gungen auftreten. Im Rahmen der Notfallme­ eine metabolische Acidose (Ketoacidose). Ein
dizin muss bei jeder ungeklärten Bewusstlosig- ketoacidotisches Koma tritt deutlich schneller
keit eine Blutzuckerbestimmung durchgeführt auf als ein hyperosmolares Koma. Die Patienten
werden. Bereits wenige Minuten nach intra­ versuchen, die metabolische Acidose respirato-
venöser Gabe von Glucoselösungen (40–100 ml risch durch eine entsprechende Hyperventilati-
ca. 40%ige Glucose) werden die Patienten wie- on (Kussmaulatmung) zu kompensieren. Die
der wach. Falls der Patient noch nicht bewusst- Letalität eines ketoacidotischen Komas beträgt
los ist, sollten ca. 20–30 Gramm Zucker oral ca. 10 %.
verabreicht werden. Da nach der erfolg­reichen
Initialtherapie evtl. eine erneute schwere Hypo- Im Rahmen der Notfallmedizin muss bei jeder un-
glykämie auftreten kann, sind die Patienten vor- ! geklärten Bewusstlosigkeit eine Blutzuckerbe-
übergehend stationär aufzunehmen. stimmung durchgeführt werden.
Insulin führt vor allem zu einer Aufnahme von
Glucose in die Zellen. Außerdem hemmt es die Die Initialtherapie des diabetischen Komas be-
Lipolyse. Ein Mangel an Insulin führt zur unge- steht in der großzügigen intravasalen Volumen-
nügenden Aufnahme von Glucose in die Zellen substitution. Die Gabe von Insulin und von Na-
mit Hyperglykämie und zu einer vermehrten triumbicarbonat (= Natriumhydrogencarbonat)
Lipolyse mit starkem Anfall von Ketonsäuren. zum evtl. Ausgleich einer metabolischen Acido-
Die Blutzuckerkonzentration steigt über die sog. se (falls der pH-Wert < 7,1–7,2 beträgt) sollte
Nierenschwelle (ca. 200 mg/dl) an. Es kommt zu normalerweise erst nach Transport des Patien-
einer Glucosurie mit gleichzeitiger osmotischer ten in die Klinik durchgeführt werden. Nach
Diurese. Es kann ein nicht ketoacidotisches, der Volumenzufuhr sind ca. 0,2 IE/kg KG
hyperosmolares, hyperglykämisches Koma Altinsulin zu verabreichen. Anschließend
auftreten. Ursache ist ein Insulinmangel (z. B. ist eine Insulinzufuhr (aktuelle Blutzuckerkon-
mangelnde Insulinzufuhr bei insulinpflichtigem zentration : 100 = IE/h) notwendig, bis die Blut-
Diabetes mellitus, insulin dependant diabetes zuckerkonzentration auf ca. 250 mg % abgefal-
mellitus = IDDM; Typ-1-Diabetes) z. B. auf- len ist. Die Blutzuckerkonzentration sollte
grund schlechter Therapiedisziplin oder einer maximal 50 mg %/h abfallen. Da mit Glucose
akuten Insulinresistenz (z. B. bei akuter Infekti- auch Kalium in die Zellen aufgenommen
on, Grippe). Die Symptomatik setzt relativ lang- wird, sollten zusätzlich ca. 40 mmol Kalium-
sam ein. Es kommt zu starker Hyperglykämie chlorid pro Stunde per infusionem verabreicht
(> 600 mg/dl), Dehydratation, zu hoher Plas- werden. Fällt die Blutzuckerkonzentration un-
maosmolarität (> 350 mOsmol/l) und Wesens- ter 250 mg %, sollte Glucose 5 % verabreicht
veränderungen. Die Atmung des Patienten ist werden.
unauffällig. Es liegt keine Ketoacidose (→  un-
ten) vor, da noch genügend Insulin vorhanden
ist, um eine stärkere Lipolyse mit vermehrter Zerebraler Krampfanfall
Bildung von Ketonkörpern zu vermeiden. Die
Letalität beträgt bis zu 80 %. Bei einem generalisierten zerebralen Krampf-
Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes kann durch anfall tritt zuerst eine tonische Phase von ca. 30
einen Insulinmangel auch ein ketoacidotisches Sekunden Dauer auf. Der Patient stürzt. Die
8.5  Leitsymptom: Vergiftung 511

Pupillen sind weit und lichtstarr, der Patient ist Komplikationen


tachykard und es tritt ein Atemstillstand auf.
Die Muskulatur ist zuerst fest angespannt (to- Bei einer plötzlichen Bewusstlosigkeit liegt
nisch). Danach folgt eine meist 0,5–2 Minuten meist eine akute Lebensbedrohung vor. Es be-
dauernde klonische Phase. Sie ist durch rhyth- steht zusätzlich die Gefahr, dass es noch zu ei-
mische Zuckungen der Muskulatur gekenn- ner Verlegung der Atemwege durch die zurück-
zeichnet. Es schließt sich eine Muskelerschlaf- fallende Zunge oder dass es aufgrund der
fung und Bewusstseinstrübung (sog. postiktale eingeschränkten Schutzreflexe noch zu einer
Bewusstseinstrübung) über 30 Minuten bis Aspiration (von evtl. erbrochenem Magenin-
mehrere Stunden an. Kommt es vor Wiederer- halt) kommt.
langen des Bewusstseins zu erneuten generali- Bei längerfristiger Bewusstlosigkeit (z. B. Schlaf-
sierten zerebralen Krämpfen, so wird von einem mittelintoxikation) kann es bei ungünstiger
Status epilepticus gesprochen. Häufig wird bei Lage des Patienten beispielsweise auch zu
diesen Patienten ein Zungenbiss beschrieben. schweren, druckbedingten Gewebenekrosen
Ein zerebraler Krampfanfall kann im Rahmen kommen.
einer genuinen (ohne erklärbare Ursache auf-
tretenden) Epilepsie, im Rahmen eines zerebra-
len Tumors, einer Eklampsie (→  S. 257), einer
Entzugssymptomatik (z. B. akuter Alkoholent-
zug) oder im Rahmen von Vergiftungen (→  un-
8.5 Leitsymptom: Vergiftung
ten) auftreten.
Ein zerebraler Krampfanfall kann durch Gabe Eine Vergiftung (Intoxikation) stellt einen patho-
eines Benzodiazepins (z. B. 10–20 mg Diazepam 
physiologischen Zustand dar, der durch Aufnah-
i. v.) oder eines Barbiturates (z. B. 100–200 mg me oder Einbringung eines Giftes (Toxins) in den
Thiopental) durchbrochen werden. Bei Thera- Körper bedingt ist. Eine Vergiftung mit mehreren
pieresistenz kann zusätzlich Phenytoin verab- Stoffen wird als Mischintoxikation bezeichnet.
reicht werden. Bei therapieresistentem Status
epilepticus muss der Patient ggf. relaxiert, intu-
biert und beatmet werden. Ätiologie
Die Aufnahme eines (den Organismus schädi-
Fieberkrampf genden) Giftes kann
● über den Gastrointestinaltrakt,

Bei Kindern können im Rahmen fieberhafter ● durch Inhalation,

Infekte sog. Fieberkrämpfe auftreten. Bis der ● durch Haut- oder Schleimhautkontakt oder

Notarzt eintrifft, ist der Fieberkrampf zu­- ● durch Injektion, Biss oder Stich

meist schon beendet. Durch Gabe von Di­- erfolgen.


a­zepamrektiolen (Diazepam Desitin® rectal Eine Giftaufnahme kann
tube; Kinder mit 10–15 kg KG 5 mg; über ● versehentlich,

15 kg KG 10 mg) zur Erhöhung der Krampf- ● in suizidaler Absicht,

schwelle, durch Applikation von Paraceta­ ● in krimineller Absicht oder

molsuppositorien zur Fiebersenkung und ● iatrogen

durch physikalische Kühlung können Fieber- erfolgen.


krämpfe meist gut beherrscht bzw. es kann
einem erneuten Fieberkrampf effektiv vorge- Eine Vergiftung durch orale Aufnahme der Sub-
beugt werden. stanz kommt bei Erwachsenen meist im Rah-
men eines Selbstmordversuchs vor. Die Inhala-
512 8  Notfallmedizin

tion von Giften ist meist versehentlich Maßnahmen bei Verdacht


(akzidentell). Auch Vergiftungen bei Kindern
(Trinken von Haushaltsreinigern, Geschirrspül- Bei Verdacht auf eine Vergiftung ist stets an den
mitteln) ist in der Regel akzidentell. Selbstschutz der Retter zu denken. Bei Kontakt-
Eine Vergiftung ist durch zahlreiche Substanzen giften (z. B. Organophosphaten) sind Hand-
möglich: schuhe zu tragen und eine Mund-zu-Mund-
● Medikamente: Beatmung ist zu vermeiden. Bei Verdacht auf
z. B. Schlaf- oder Beruhigungsmittel, Digita- Giftgas sind entsprechende Gasmasken zu tra-
lis, Antidepressiva gen und der Patient ist zügig aus dem Gefahren-
● Gase: bereich zu entfernen. Bei Verdacht auf eine
z. B. Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Lö- Gasvergiftung ist stets auch an eine Explosions-
sungsmitteldämpfe gefahr zu denken.
● Genussmittel: Bei Verdacht auf eine Intoxikation sollte – so-
z. B. Alkohol, Rauschgifte fern möglich – nicht nur der Patient, sondern es
● gewerbliche Gifte: sollten auch evtl. Begleitpersonen genau befragt
z. B. Säuren, Laugen, Lösungsmittel, Reini- werden. Die vermutete Substanz bzw. die infra-
gungsmittel ge kommenden Gifte müssen sichergestellt (as-
● tierische Gifte: serviert) werden. Sind die Auswirkungen und
z. B. Schlangengift auch die Therapiemöglichkeiten eines bestimm-
● pflanzliche Gifte: ten Giftes nicht eindeutig bekannt, so ist umge-
z. B. Pilze, Herbstzeitlose, Fingerhut, Mai- hend eine der zahlreichen Informationszentra-
glöckchen len für Vergiftungsunfälle anzurufen. In
● Gifte, die in krimineller Absicht eingesetzt wer- verschiedenen Krankenhäusern wurden offizi-
den: elle Informationszentren für Vergiftungsfälle
z. B. Arsen, Quecksilber, Zyanide, Atemgase eingerichtet. In Tabelle 8-6 sind exemplarisch 2
(militärische Kampfgase) Krankenhäuser angegeben (Listen der Adressen
sind z. B. in der „Roten Liste“ zu finden). Diese
Zentren geben Tag und Nacht telefonisch Aus-
Klinik kunft. Ihnen liegt eine offiziell zusammenge-
stellte Informationskartei über toxische Stoffe
Ein ansonsten unerklärliches Auftreten von Be- vor, die in Haushalts-, Pflanzenschutz- und
wusstseinstrübung, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Schädlingsbekämpfungsmitteln enthalten sind.
Erbrechen, Störungen von Atmung und Kreis-
lauf können auf eine Vergiftung hindeuten.
Hinweisend können z. B. leere Tablettenschach- Therapie
teln, Flaschen mit alkoholischen Getränken,
Utensilien für die Injektion von Drogen sein, Therapieziel bei einer Vergiftung ist es, die Re-
die bei dem Patienten gefunden werden. Auch ! sorption von weiterem Gift zu vermindern, die
der Aufenthalt in der Nähe eines Schwelbrandes Ausscheidung des bereits aufgenommenen Gif-
oder in der Nähe von einem Feuer, in dem tes zu beschleunigen und ggf. das aufgenomme-
Kunststoffe verbrennen, können Hinweise auf ne Gift zu antagonisieren.
eine Intoxikation sein.
Häufig liegen Mischvergiftungen vor (z. B. eine Eine frühzeitige Giftentfernung ist normaler-
Überdosis an Tabletten plus Alkohol oder eine weise anzustreben, ggf. ist sie bereits am Ein-
Rauch-Gas-Vergiftung plus Einnahme von Ta- satzort, aber spätestens kurz nach Eintreffen in
bletten und/oder Alkohol). der Klinik durchzuführen.
8.5  Leitsymptom: Vergiftung 513

Tab. 8-6  Zwei exemplarische Adressen von Informationszentren für Vergiftungsfälle in Deutschland
14050 Berlin 81675 München
Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen Giftnotruf München
und Embryonaltoxikologie Toxikologische Abteilung
Haus 10B II. Medizinische Klinik der Technischen Universität
Spandauer Damm 130 Ismaninger Straße 22
Tel.: 030/19240 Tel.: 089/19240
Telefax: 030/30686-721 Telefax: 089/4140-2467
E-Mail: berlintox@giftnotruf.de E-Mail: tox@lrz.tum.de

Von primärer Giftelimination wird gesprochen, Erbrechen kann durch Reizung der Rachen-

wenn das Gift entfernt wird, bevor es in die Blut- hinterwand (z. B. mit dem Finger) ausgelöst
bahn aufgenommen wird. werden. Erbrechen darf nicht ausgelöst werden,
falls es sich um bewusstseinsgetrübte Patienten
Möglichkeiten zur Entfernung oral aufgenom- oder um die orale Aufnahme von Waschmit-
mener Giftstoffe sind eine Magenspülung sowie teln, Säuren, Laugen oder organischen Lösungs-
das Auslösen von Erbrechen. Als weitere Mög- mitteln handelt. Ein induziertes Erbrechen kann
lichkeit der primären Giftelimination ist die medikamentös provoziert werden durch:
orale Gabe von Aktivkohle (20–40 g) sinnvoll. ● Ipecacuanha-Sirup. Dieser Sirup bietet sich

Zahlreiche Gifte können durch Aktivkohle ge- nur bei Kindern an. Dosierung: Schulkinder
bunden werden. Bei fettlöslichen Giften ist es 2 Esslöffel, Kleinkinder 2 Teelöffel
sinnvoll, entsprechend Paraffin in einer Dosie- ● Trinken von einem Glas warmem Wasser,

rung von 3–5 ml/kg KG zu verabreichen. Eine dem 2 Esslöffel Kochsalz zugefügt wurden
weitere Maßnahme der primären Gifteliminati- ● Apomorphin (0,1 mg/kg KG s. c.) bei Erwach-

on ist die Gabe eines stark wirksamen Abführ- senen und größeren Kindern
mittels.
Bei wachen Erwachsenen kann z. B. nach der Als sekundäre Giftelimination wird die (be-
oralen Aufnahme von Säuren oder Laugen 
schleunigte) Elimination aus der Blutbahn be-
durch eine orale Flüssigkeitsaufnahme von ca. zeichnet.
5–10 ml/kg KG die Giftwirkung abgeschwächt
werden. Nach der möglichst großzügigen ora- Als Maßnahme der sekundären Giftelimination
len Flüssigkeitszufuhr sollte dann die sofortige kommen infrage:
Entleerung des Magens angestrebt werden. ● forcierte Diurese:

Vor Durchführung einer Magenspülung emp- Durch übermäßige Flüssigkeitszufuhr (ggf.


fiehlt es sich, dem Patienten Atropin (0,25–0,5 oral beim wachen Patienten, intravenös bei
mg beim Erwachsenen) intravenös zu verabrei- vigilanzgetrübten Patienten) und gleichzeiti-
chen, um so evtl. provozierbaren vagalen Refle- ge Gabe eines Diuretikums wird eine ver-
xen vorzubeugen. Nach Einführen eines mög- stärke Harnausscheidung erzwungen. Die
lichst dicken Magenschlauches (und Bestätigung Ausscheidung renal eliminierbarer Substan-
der richtigen Lage) wird eine großzügige Spü- zen kann hierdurch beschleunigt werden.
lung mit physiologischer Kochsalzlösung durch- ● Alkalisierung des Harns:

geführt. (Gegebenenfalls kann die physiologi- Bei bestimmten (sauren) Giften wie z. B. De-
sche Kochsalzlösung dadurch hergestellt werden, rivaten der Barbitursäure kann durch Gabe
dass 9 g Kochsalz pro Liter Leitungswasser ver- von Natriumbicarbonat eine Alkalisierung
wendet werden.) Es ist darauf zu achten, dass des Harns und damit eine beschleunigte re-
keine kalte Spülflüssigkeit verwendet wird. nale Elimination erzielt werden.
514 8  Notfallmedizin

● Ansäuerung des Harns: Tab. 8-7  Symptome einer Kohlenmonoxid-(CO-)Vergif-


Bei bestimmten (alkalischen) Giften wie z. B. tung in Abhängigkeit von der CO-Konzentration im Blut
den Amphetaminen (→  S. 517) kann durch CO-Konzen- Klinische Symptome
Gabe von Ammoniumchlorid eine Ansäue- tration
rung des Harns und damit eine schnellere ca. 15 % Kopfschmerzen, Sehstörungen,
renale Elimination erzielt werden. Atemnot, Brustschmerz
● maschinelle Beatmung:
ca. 30 % Müdigkeit, Schwäche, Halluzinatio-
Bei Giften, die über die Lungen abgeatmet
nen, Krämpfe
werden (z. B. Kohlenmonoxid; →  unten),
kann durch eine maschinelle Beatmung und > 50 % Bewusstlosigkeit, Hyperthermie,
Atemlähmung, Herzversagen
kontrollierte Ventilation die Giftelimination
beschleunigt werden. > 60 % tödlicher Verlauf, Symptome wie bei
● Dialyse oder Hämoperfusion: einem Schlaganfall
Bei bestimmten Vergiftungen wie z. B. einer
Überdosierung mit Antidepressiva kann
durch eine modifizierte Hämodialyse (Hä-
moperfusion), bei der das Blut durch Filter COHb ist abhängig von der inspiratorischen
gepumpt wird, die mit Adsorbenzien (z. B. Sauerstoffkonzentration. Bei Atmung von
Aktivkohle) gefüllt sind, eine beschleunigte Raumluft beträgt sie ca. 4 Stunden, bei Gabe
Elimination erzielt werden. von 100 % Sauerstoff ca. 40 Minuten und bei
hyperbarer Oxygenierung mit 245 kPa (= 2,5
atü) ca. 20–30 Minuten.
Spezielle Vergiftungen

Vergiftung mit Kohlenmonoxid Vergiftung mit Kohlendioxid

Das wichtigste Inhalationsgift ist das Kohlen- Bei Verbrennungsprozessen unter ausreichen-
monoxid (CO). Es entsteht vor allem bei Ver- der Sauerstoffzufuhr entsteht Kohlendioxid.
brennungsprozessen, die unter Sauerstoffman- Außerdem sind höhere Konzentrationen an
gel ablaufen. Kohlenmonoxid bindet sehr fest Kohlendioxid in Gärungskesseln sowie in Bo-
an Hämoglobin, es entsteht COHb. COHb ist dennähe von Brunnen nachweisbar. Die Sym-
längerfristig nicht mehr für den Sauerstofftrans- ptome unterschiedlicher Kohlendioxidkonzen-
port verfügbar. Da COHb ein ähnliches Licht- trationen sind in Tabelle 8-8 aufgeführt.
absorptionsverhalten aufweist wie oxygeniertes
Hämoglobin, sehen Patienten mit einer Koh-
lenmonoxidvergiftung rosig aus, obwohl sie Vergiftung mit Alkohol
evtl. eine schwere Hypoxie aufweisen. Die Sym-
ptome unterschiedlicher Kohlenmonoxidkon- Eine Vergiftung mit Alkohol sollte nicht ver-
zentrationen sind in Tabelle 8-7 aufgeführt. Bei harmlost werden. Häufig ist eine Alkoholvergif-
einer Kohlenmonoxidvergiftung muss den Pati- tung zusätzlich mit der Einnahme von Tabletten
enten eine möglichst hohe Konzentration an oder mit Verletzungen kombiniert. Bei stärker
Sauerstoff zugeführt werden. Gegebenenfalls bewusstseinsgetrübten alkoholisierten Patien-
kann die endotracheale Intubation und Beat- ten muss stets auch an die Möglichkeit einer
mung mit 100 % Sauerstoff notwendig werden. zusätzlichen Schädel-Hirn-Verletzung gedacht
In Einzelfällen kann auch eine Therapie in der werden. Die Symptome einer Alkoholvergiftung
Druckkammer (= hyperbare Oxygenierung = sind weitgehend abhängig vom Alkoholgehalt
HBO) sinnvoll sein. Die Halbwertszeit von im Blut (vgl. Tab. 8-9).
8.5  Leitsymptom: Vergiftung 515

Tab. 8-8  Symptome einer Kohlendioxid-(CO2)Vergif- Patienten zumeist noch gerettet werden. Gege-
tung in Abhängigkeit von der CO2-Konzentration im benenfalls kann der Benzodiazepinantagonist
Blut Flumazenil (Anexate®) verabreicht werden. Es
CO2-Konzen- Klinische Symptome ist jedoch zu beachten, dass die Flumazenilwir-
tration kung wesentlich kürzer ist als die Wirkdauer
der meisten Benzodiazepine. Häufiger werden
ca. 8 % Kopfschmerzen, Sehstörungen,
Atemnot, Brustschmerz auch Antidepressiva in hohen Dosen einge-
nommen.
ca. 10 % Müdigkeit, Schwäche, Halluzinatio-
nen, Krämpfe
> 10 % Bewusstlosigkeit, Hyperthermie, Verätzungen
Atemlähmung, Herzversagen
> 18 % tödlicher Verlauf, Symptome Durch Ätzgifte (konzentrierte Säuren und Laugen)

werden Zellproteine zerstört und somit Nekrosen
wie bei einem Schlaganfall
ausgelöst.

Nach Trinken einer Lauge oder Säure kann es


Tab. 8-9  Symptome einer Alkoholvergiftung in Abhän-
zu Gewebsschädigungen, im Extremfall zu Per-
gigkeit von der Blutalkoholkonzentration. Die nach Al- forationen im Bereich von Speiseröhre, Magen
koholaufnahme zu erwartende Blutalkoholkonzentrati- oder Darm kommen. Verätzungen und nach-
on kann anhand folgender Formel errechnet werden: folgende Entzündungsreaktionen im Bereich
aufgenommene Alkoholmenge in Gramm : 0,7 × kg KG des Kehlkopfes können zu Luftnot und Ersti­
= Blutalkoholkonzentration in Promille. cken des Patienten führen. Verätzungen im Be-
Blutalkohol- Klinische Symptome reich der Haut sind ausgiebig mit Wasser zu
konzen- spülen. Durch Einwirkung einer Säure auf Ge-
tration webe kommt es zu einer sog. Koagulationsne-
bis 1 ‰ Euphorie: angeheitert, beschwipst krose, d. h zur Ausfällung von Gewebeprote-
inen. Durch Einwirkung von Laugen kommt es
1–2 ‰ Rausch: Benommenheit, Gleich-
zu einer sog. Kolliquationsnekrose, das heißt zu
gewichtsstörungen, Aggressivität
einer Gewebeeinschmelzung (Bildung weißli-
2–3 ‰ Narkose: Bewusstseinstrübung, cher, breiiger Gewebsmassen). Bei Ingestion ei-
Lähmungen ner Säure oder Lauge sollten dem Patienten zu-
3–5 ‰ Asphyxie: Bewusstlosigkeit, sätzlich größere Mengen Wasser zu trinken
Unterkühlung, Atemlähmung, gegeben werden (ca. 5–10 ml/kg KG). Aktiv-
Zyanose kohle sollte nicht verabreicht werden. Nach
Aufnahme in die Klinik sollte dann eine Gast­
roskopie durchgeführt werden.
Kam es durch Inhalation von Säuredämpfen zu
Vergiftung mit Medikamenten einem Inhalationstrauma, so ist die Gabe von
Sauerstoff und Corticosteroiden indiziert. Falls
Bei einem medikamentösen Selbstmordversuch die Gefahr eines toxischen Lungenödems be-
werden zumeist Schlaftabletten in hoher Dosie- steht, sollte die Indikation zur endotrachealen
rung, häufig auch in Kombination mit Alkohol Intubation großzügig gestellt werden. Bei inha-
eingenommen. An Medikamenten werden häu- lierten Giften mit Vorliegen eines Inhalations­
figer auch Benzodiazepine (z. B. Diazepam) traumas sollte ein Corticosteroidspray wieder-
missbraucht. Aufgrund der großen therapeuti- holt inhaliert werden (z. B. 2 Hübe alle 15
schen Breite der Benzodiazepine können die Minuten).
516 8  Notfallmedizin

Vergiftung mit einem Insekten- ● Halluzinogene


vernichtungsmittel ● Amphetamine
● Cocain
Insektenvernichtungsmittel werden (verharm- ● Schnüffelstoffe
losend) häufig auch als Pflanzenschutzmittel
bezeichnet. Typische Insektenvernichtungsmit- Opioide
tel sind Organophosphate wie z. B. das E 605. Opioide (z. B. Heroin) sind die häufigsten Ursa-
Organophosphate sind blau oder lila eingefärbt chen für einen Drogentod. Durch Mischen von
und können dadurch meist leicht identifiziert Opioiden mit beispielsweise Barbituraten oder
werden. Sie führen zu einer irreversiblen Hem- auch Strychnin und insbesondere auch durch
mung der Cholinesterase (Cholinesterasehem- unterschiedliche Mischungsverhältnisse und
mer; →  S. 72). Dadurch kommt es zu einer dadurch unterschiedliche Reinheitsgrade
massiven Konzentrationserhöhung des Acetyl- kommt es immer wieder zu unbeabsichtigten
cholins mit den typischen cholinergen Neben- Todesfällen. Manchmal wird auch von Drogen-
wirkungen: abhängigen bewusst eine Überdosierung in sui-
● Speichelfluss zidaler Absicht verabreicht („Goldener Schuss“).
(der Speichel tropft dem Patienten oft aus Der alarmierte Notarzt findet meist einen be-
dem Mund) wusstlosen Patienten mit engen, stecknadel-
● Tränenfluss kopfgroßen Pupillen, sehr langsamer Atemfre-
● massives Schwitzen quenz und evtl. einer Zyanose vor. Die Therapie
● Steigerung der bronchotrachealen Sekretion besteht in der sofortigen bedarfsadaptierten, in-
● Bradykardie travenösen Gabe von Naloxon. Bis zum Wir-
● Muskelzuckungen, Krämpfe, Atemlähmung kungsbeginn des Naloxons ist der Patient ggf.
● Spontanabgang von Urin und Stuhl zu beatmen. Stets ist an den Selbstschutz zu
denken. Bei diesen Patienten handelt es sich
Bei der oralen Aufnahme von Pflanzenschutz- häufig um HIV- und Hepatitisinfizierte. Da die
mitteln ist die hoch dosierte Gabe von Atropin Halbwertszeit von Naloxon deutlich kürzer als
notwendig. Es sollte so schnell als möglich eine die der meisten Opioide ist, ist eine entspre-
Magenspülung durchgeführt werden. Die Indi- chend längerfristige Überwachung notwendig.
kation zur endotrachealen Intubation und ma- Stets besteht die Gefahr, dass die Opioidabhän-
schinellen Beatmung sollte großzügig gestellt gigen nach der Antagonisierung des Opioids
werden. Nach einer Kontamination mit Orga- flüchtig werden. (Deshalb sollte Naloxon noch
nophosphaten wie z. B. E 605 sollten die ver- zusätzlich subkutan verabreicht werden, um
wendeten Atmungsschläuche und Beatmungs- eine längere Wirkdauer zu erzielen.)
beutel entsorgt werden. Ansonsten besteht die
Gefahr einer iatrogenen Vergiftung der nach- Halluzinogene
folgend behandelten Patienten bzw. des Perso- Zu den Halluzinogenen gehören LSD, Mescalin,
nals. Bei Hautkontakt mit Organophosphaten Marihuana, Haschisch und Cannabis. Typisch
ist eine ausgiebige Hautspülung durchzuführen. für diese Halluzinogene ist oft eine auffallende
Stets ist an einen Selbstschutz der Helfenden zu Rötung der Schleimhäute auch im Bereich der
denken! Augen („Kaninchenaugen“) sowie Reizhusten.
Charakteristisch für das auftretende psychoti-
sche Krankheitsbild sind Hör- und Sinnesstö-
Vergiftung durch Drogen rungen. Aufgrund der Dissoziation von Körper
und Geist tritt häufiger das Gefühl auf, fliegen
Zu den Drogen gehören folgende Substanzen: zu können. Dies hat oft einen tödlichen Sturz
● Opioide aus dem Fenster zur Folge. Therapeutisch ist
8.6  Sonstige häufigere Krankheitsbilder 517

eine entsprechende Überwachung dieser Pati- 8.6 Sonstige häufigere


enten notwendig. Gegebenenfalls können sie
durch entsprechendes gutes Zureden oder die
Krankheitsbilder
Gabe eines Benzodiazepins beruhigt werden.
8.6.1 Hypertonie und krisenhafter
Amphetamine
Blutdruckanstieg
Amphetamine (Weckamine) sind dem Adrena-
lin verwandte Substanzen. Amphetamine sind
oft in Aufputschmitteln oder Appetitzüglern Eine Hypertonie liegt vor, wenn der systolische Blut-

druck über 140 mm Hg und/oder der diastolische
enthalten. Diese werden öfter in Überdosis ein-
genommen. Auch „Speed“ oder „wake ups“ ge- Blutdruck über 90 mm Hg beträgt (Tab. 8-10).
hören zu den Weckaminen. Bei einer Intoxika- Eine isolierte systolische Hypertonie liegt vor,
tion imponieren Halluzinationen, massives wenn der systolische Wert über 140 mm Hg und
Schwitzen, Temperaturerhöhung, Enthemmung der diastolische Wert unter 90 mm Hg beträgt.
und Herz-Kreislauf-Störungen. Therapeutisch Ein krisenhafter Blutdruckanstieg ist durch
ist eine entsprechende Überwachung dieser Pa- einen systolischen Blutdruck von meist > 210
tienten notwendig. Durch Zureden und Verab- mm Hg und einen diastolischen Blutdruck
reichung eines Benzodiazepins können die Pa- von meist > 120 mm Hg gekennzeichnet.
tienten meist beruhigt werden. Ein krisenhafter Blutdruckanstieg kann unter-
teilt werden in eine hypertensive Entgleisung und
Cocain einen hypertensiven Notfall.
Cocain wird vor allem in den höheren Gesell-
schaftsschichten missbraucht. Die Symptomatik
ist vergleichbar einer Intoxikation mit Amphet- Epidemiologie
aminen. Zusätzlich imponieren meist weite Pu-
pillen sowie Rededrang. Die Patienten glauben Die Hypertonie stellt die häufigste Kreislaufstö-
häufiger, Tierchen auf ihrer Haut krabbeln zu rung dar. Mit zunehmendem Alter steigt das
sehen. Therapeutisch ist eine entsprechende Risiko, eine Hypertonie zu entwickeln. Nahezu
Überwachung notwendig. Durch gutes Zure- ⅔ der Menschen über 65 Jahre leiden an einer
den und die Gabe eines Benzodiazepins können Hypertonie.
diese Patienten meist ruhiggestellt werden.

Schnüffelstoffe Ätiologie
Schnüffelstoffe sind aromatische Stoffe wie Flüs-
sigkleber. Es entwickeln sich psychotische In über 90 % handelt es sich um eine sog. essen-
Krankheitsbilder. Schnüffelstoffe werden meist zielle (primäre) Hypertonie, deren Ursache un-
von Jugendlichen der sozialen Unterschicht als bekannt ist. Bei einer sog. sekundären Hyper-
billige Einstiegsdroge verwendet. Es können tonie lässt sich dagegen eine erkennbare
schwerste bleibende Schäden auftreten. Sehr Ursache, z. B. eine Nierenerkrankung, nachwei-
leicht kann es zu einer Überdosierung mit aus- sen. Risikofaktoren für eine Hypertonie sind
geprägten Herz-Kreislauf-Störungen, Koma Rauchen, Diabetes mellitus, Übergewicht, Dys-
und Tod kommen. Therapeutisch kommen eine lipoproteinämie, körperliche Inaktivität, Alter,
Aufforderung zur Hyperventilation, ggf. eine männliches Geschlecht und positive Familien-
endotracheale Intubation und maschinelle Be- anamnese.
atmung infrage.
518 8  Notfallmedizin

Tab. 8-10  Klassifikation der Hypertonie


Einstufung Systolischer Druck Diastolischer Druck
(mm Hg) (mm Hg)
Optimalbereich < 120 < 80
Normalbereich 120–130 80–84
Hochnormaler Bereich 130–139 85–89
Hypertonie:
●  leichte Hypertonie (Schweregrad 1) 140–159 90–99
●  mittelschwere Hypertonie (Schweregrad 2) 160–179 100–109
●  schwere Hypertonie (Schweregrad 3) 6 180 6 110
Isolierte systolische Hypertonie 6 140 < 90
Hypertensiver Notfall1
meist > 210 meist > 120
1
Es kommt zu akuten Organkomplikationen, Funktionseinschränkungen, Symptomen.

Therapie eine suffiziente Therapie kann die Inzidenz von


Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und
Hypertonie Niereninsuffizienz deutlich gesenkt werden.
Der Blutdruck sollte langsam (ca. 10 mm Hg/
Liegt ein Hypertonus vor, dann werden zuerst Monat) gesenkt werden.
Allgemeinmaßnahmen empfohlen (Gewichts- Ziel bei der Behandlung eines Hypertonus ist
reduktion, Beschränkung des Kochsalzkon- es, einen Blutdruck von ≤ 140/90 mm Hg anzu-
sums, Senkung des Alkoholkonsums, Abbau streben. Hierfür reicht nur selten eine medika-
von Stressfaktoren, körperliche Aktivität, Auf- mentöse Monotherapie aus (Tab. 8-11), meist
gabe des Rauchens, Beseitigung von Fettstoff- wird eine Zweierkombination (Tab. 8-12 und
wechselstörungen und konsequente Behand- 8-13) oder gar eine Dreierkombination (Tab.
lung eines Diabetes mellitus). Reichen diese 8-14) notwendig. Zur Therapie einer Hyperto-
Maßnahmen alleine nicht aus, dann ist stets nie stehen die in Tabelle 8-15 dargestellten Sub-
eine medikamentöse Therapie indiziert. Durch stanzgruppen zur Verfügung.

Tab. 8-11  Medikamentöse Therapie der Hypertonie (Monotherapie)


β-Rezeptoren-Blocker oder Diuretikum oder Calciumkanalblocker oder ACE-Hemmer (bzw. AT1-Rezeptor-Antago-
nist)

Tab. 8-12  Medikamentöse Therapie der Hypertonie (Zweierkombination)


Diuretikum bzw. Calciumkanalblocker
plus plus
β-Rezeptoren-Blocker oder Calciumkanalblo- β-Rezeptoren-Blocker oder ACE-Hemmer oder
cker oder ACE-Hemmer (bzw. AT1-Rezeptor- Diuretikum
Antagonist)
Besonders geeignet scheint eine Zweierkombination aus Diuretika plus ACE-Hemmer oder Diuretikum plus
β-Rezeptoren-Blocker zu sein.
8.6  Sonstige häufigere Krankheitsbilder 519

Tab. 8-13  Kombinationspräparate zur Langzeittherapie (Beispiele)


Wirkstoffgruppe und Handelsname Wirkstoffzusammensetzung einer Tablette
Diuretikum und kaliumsparendes Diuretikum (Beispiele)
Dytide® H 50 mg Triamteren
25 mg Hydrochlorothiazid
Moduretik®/Moduretik® mite 50/25 mg Hydrochlorothiazid
5/2,5 mg Amilorid-HCl
Diuretikum und β-Rezeptoren-Blocker (Beispiele)
Beloc-Zok® comp 95 mg Metoprolol
12,5 mg Hydrochlorothiazid
Concor 5/10 plus® 5/10 mg Bisoprolol
12,5/25 mg Hydrochlorothiazid
Thiaziddiuretikum und ACE-Hemmer
Capozide® mite 25 mg Captopril
12,5 mg Hydrochlorothiazid
Pres® plus 25 mg Hydrochlorothiazid
10 mg Enalapril
Thiaziddiuretika und AT1-Rezeptor-Antagonist
Atacand® Plus (8/16) 12,5 mg Hydrochlorothiazid
8/16 mg Candesartan
Blopress® Plus (8/16) 12,5 mg Hydrochlorothiazid
8/16 mg Candesartan
LORZAAR® plus 50 mg Losartan
12,5 mg Hydrochlorothiazid

Tab. 8-14  Medikamentöse Therapie der Hypertonie (Dreierkombination)


Diuretikum oder Diuretikum oder Diuretikum
plus plus plus
β-Rezeptoren-Blocker ACE-Hemmer Antisympathikotonikum
(oder AT1-Rezeptor-Antagonist)
plus plus plus
Vasodilatator1 Calciumkanalblocker Vasodilatator1
1
Unter Vasodilatatoren sind hierbei Calciumkanalblocker, ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Antagonisten, Alpha-1-Rezep-
tor-Blocker und Dihydralazin zu verstehen.

Krisenhafter Blutdruckanstieg Notfall eine sofortige intravenöse Medikation


(vgl. Tab. 8-16) und intensivmedizinische Überwachung erfol-
gen. Der Blutdruck muss hierbei umgehend ge-
Während bei der hypertensiven Entgleisung senkt werden, sodass der arterielle Mitteldruck
eine orale Medikation ausreicht (der Blutdruck innerhalb von 1–4 Stunden um bis 25 % abfällt.
muss innerhalb von 12–24 Stunden langsam ge- In den folgenden 24 Stunden sollte der diastoli-
senkt werden) muss bei einem hypertensiven sche Blutdruck bis auf ca. 100 mm Hg gesenkt
520 8  Notfallmedizin

Tab. 8-15  Antihypertensiva zur Langzeittherapie (Einzelsubstanzen)


Wirkstoffgruppe und Wirkstoff Handelsname Handelsname
(Beispiele) (Beispiele)
1. β-Rezeptoren-Blocker
a. β1-selektiv
Acebutolol Prent® 2 × 200–400
Atenolol Tenormin®, Atenolol 1 × 50–1 × 100
Bisoprolol Concor ®
2,5–10
Metoprolol Beloc-Zok mite
®
1 × 47,5/95
Beloc-Zok® forte 1 × 190
Lopresor® mite 2 × 50–100
b. nicht β1-selektiv
Pindolol Visken® 2–3 × 5
Visken® mite 2–3 × 5
Propranolol Dociton® 2 × 40–80
c. vasodilatierender α1-
und nicht β1-selektive)
β-Rezeptoren-Blocker
Carvedilol Dilatrend® 12,5–25
2. Diuretika
a. Thiaziddiuretika
Hydrochlorothiazid Esidrix® 12,5–50
b. Schleifendiuretika (v. a. bei Nieren-
insuffizienz mit Serumkreatinkonzen-
trationen > 2 mg/dl)
Furosemid Lasix® 1–2 × 20–80
Torasemid Torasemid HEXAL
®
1–2 × 2,5
Piretanid Arelix /Arelix mite
® ®
1–2 × 6/1–2 × 3–6
c. Aldosteronantagonisten
(kaliumsparende Diuretika)
Spironolacton Aldactone® initial: 2–4 × 50–100
Erhaltungsdosis: 1–2 × 50–100
Langzeittherapie bei chronischer
Herzinsuffizienz: 25 bis max. 50 mg/d
Eplerenon Inspra® 1 × 50
3. Calciumkanalblocker
a. Nifedipintyp
Nifedipin Adalat Eins 1 × 30–60
Adalat® retard 2–3 × 20–40
Nisoldipin Baymycard® 2 × 5–10
8.6  Sonstige häufigere Krankheitsbilder 521

Tab. 8-15  (Fortsetzung)


Wirkstoffgruppe und Wirkstoff Handelsname Handelsname
(Beispiele) (Beispiele)
Nitrendipin Bayotensin®/ 1–2 × 20/1–2 × 10
Bayotensin® mite
Amlodipin Norvasc® 1–2 × 5
b. Diltiazemtyp
Diltiazem Dilzem® retard 2 × 90–120–180
c. Verapamiltyp
Verapamil Isoptin® mite 3 × 40–8
Isoptin® KHK retard 1–2 × 120–240
4. ACE-Hemmer
Captopril Lopirin® Cor 2–3 × 12,5–50
Enalapril XANEF Cor, XANEF
® ®
1–2 × 2,5–20
Lisinopril Acerbon® 1 × 2,5–40
Perindopril Coversum ®
1 × 2–8
Quinapril Accupro ®
1 × 10–2 × 20
Ramipril Delix , Delix protect
® ®
1 × 2,5–10
5. AT1-Rezeptor-Antagonisten
Candesartan Atacand®, Blopress® 1 × 4–16
Losartan LORZAAR 12,5 mg ®
1–4 × 12,5
START
LORZAAR® 1 × 50–100
Irbesartan Karvea® 1 × 150–300
Valsartan DIOVAN , Provas
® ®
1 × 80–160
6. α1-Rezeptoren-Blocker
a. selektiv
Prazosin Minipress® 1 × 1–2 × 6
b. nicht spezifisch
Urapidil Ebrantil® 2–3 × 30–60
7. Antisympathikotonika
Clonidin Catapresan® 2 × 0,075–0,3
Methyldopa Presinol® mite 3 × 125–750
8. Arterioläre Vasodilatatoren
Dihydralazin Nepresol® 3 × 12,5–50
Minoxidil Lonolox ®
1–2 × 5–4 × 10
522 8  Notfallmedizin

Tab. 8-16  Antihypertensiva zur Behandlung hypertensiver Notfälle


Wirkstoff Handelsname Applikationsform Dosierung
(Beispiele)
Clonidin Catapresan® Ampullen à 0,15 mg 0,075 mg langsam i. v.
Esmolol Brevibloc ®
Ampullen mit 10 ml à 0,5 mg/kg KG i. v.
100 mg;
Durchstechampullen mit 50–200 µg/kg KG/min i. v.
Injektionslösungskon-
zentrat 10 ml à 2,5 g;
vor Gebrauch auf
1 ml = 10 mg verdünnen
Dihydralazin Nepresol® Inject Ampullen à 25 mg 5–10 mg i. v.;
bei Präeklampsie initial ¼ Ampulle
= 6,25 mg als Bolus, anschließend
0,5–4(–7,5) mg/h
Furosemid Lasix® Ampullen à 20, 40 und 20–40 mg i. v.
250 mg
Nitroglycerin Nitrolingual® Kapseln à 0,8 mg 1 Kapsel sublingual
Nitrolingual®- Spray à 0,4 mg pro Hub 2–3 Hübe sublingual
Pumpspray
Aquo-Trinitrosan® Ampullen à 10 mg 3–5 mg/h i. v.
Nifedipin Adalat ®
Kapseln à 5 mg 5 mg sublingual oder bukkal
(bei Patienten mit akutem Koro-
narsyndrom oder Herzinsuffizienz
kontraindiziert!)
Nitrendipin Bayotensin® akut Phiolen à 5 mg 5 mg sublingual oder bukkal
(bei Patienten mit akutem Koro-
narsyndrom oder Herzinsuffizienz
kontraindiziert!)
Nitroprussidnatrium nipruss® Ampullen à 60 mg Herstellung der Lösung und
Dosierung → Seite 274
Urapidil Ebrantil® Ampullen à 25 und 50 mg 12,5–25 mg i. v.; ggf. 5–40 mg/h
über Spritzenpumpe

werden. Eine sofortige übermäßige Blutdruck- Nitroglycerin ist vor allem dann besonders ge-
senkung auf normotensive oder gar hypotensi- ! eignet, falls zusätzlich ein akutes Koronarsyn-
ve Blutdruckwerte ist zu vermeiden. drom oder ein Lungenödem vorliegt.
Zur Blutdrucksenkung bieten sich die folgen-
den Medikamente an: ● Nifedipin:

● Urapidil: oral (oder sublingual oder bukkal) 10 mg


intravenös 12,5–25 mg (z. B. Ebrantil®) (z. B. Adalat®)
● Nitroglycerin: oder
sublingual 1,2 mg (z. B. Nitrolingual®- Nitrendipin:
Pumpspray; 1 Hub = 0,4 mg oder eine Kapsel 5 mg in schnell resorbierbarer Form (z. B.
à 0,8 mg sublingual) Bayotensin® akut)
8.6  Sonstige häufigere Krankheitsbilder 523

Bei Patienten mit einem akuten Koronarsyn- Bei einer hypertensiven Entgleisung treten
! drom oder einer Herzinsuffizienz sind diese keine (!) Organkomplikationen oder Funk­
Medikamente in schnell resorbierbarer Form tionsstörungen auf.
kontraindiziert! Bei einem hypertensiven Notfall treten lebens-
bedrohliche Organkomplikationen oder Funk-
● Clonidin: tionsstörungen (z. B. Hirnblutung, Angina
langsam intravenös 0,075 mg pectoris, Myokardinfarkt, Lungenödem, Herz-
insuffizienz oder oft Hochdruckenzephalopa-
Gegebenenfalls ist bei diesen Medikamenten thie mit Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörun-
auch eine Wiederholungsdosis möglich. gen) auf.
Bei unzureichender Wirkung oder schnellem
Wiederanstieg des Blutdrucks kommt eine in-
travenöse Dauerinfusion mit Nitroglycerin bzw. 8.6.2 Beinahe Ertrinken
alternativ mit Clonidin, Dihydralazin, Urapidil
oder in therapieresistenten Fällen auch mit Ni-
Bei ca. 90 % der beinahe Ertrunkenen kommt es
troprussidnatrium (→  S. 273) infrage. Es ist 
zur Aspiration größerer Wassermengen. Lediglich
eine Intensivüberwachung der Patienten not-
in einem geringen Prozentsatz wird kein Wasser
wendig.
aspiriert (trockenes Ertrinken). Von beinahe
Ertrinken oder von Ertrinken ist der beinahe Tod
Da eindeutige Belege für die Überlegenheit eines
! bestimmten Medikamentes fehlen, kann sich die oder der Tod im Wasser (z. B. durch Herzinfarkt,
Hypoglykämie, Verletzung, Unterkühlung) abzu-
Medikamentenauswahl (Tab. 8-16) in erster Linie
grenzen.
an den bekannten Indikationseinschränkungen,
den Begleitumständen und der persönlichen Er-
fahrung orientieren. Die Infusionsgeschwindigkeit
richtet sich nach der Wirkung.
Pathophysiologie

Sofern keine Kontraindikation vorliegt (z. B. in- Handelt es sich um Aspiration von Süßwasser,
travasaler Volumenmangel), empfiehlt sich stets ! so ist zu beachten, dass Süßwasser im Vergleich
zusätzlich die Gabe von 20–40 mg Furosemid zum Plasma hypoton ist.
intravenös. Insbesondere bei Niereninsuffizienz
und Überwässerung sollte eine möglichst inten- Daher diffundiert das Süßwasser relativ schnell
sive Diurese, ggf. durch höhere Dosen von Fu- aus den Alveolen ins Blut und es droht eine in-
rosemid, angestrebt werden. Kann ein Phäo- travasale Hypervolämie. Durch Diffusion des
chromozytom nicht sicher ausgeschlossen hypotonen Süßwassers in die Erythrozyten
werden, empfiehlt sich Urapidil (25 mg i. v.). Ist können diese platzen, wodurch eine schwere
ein Phäochromozytom nachgewiesen, sollte die Hämolyse (evtl. mit Nierenversagen) auftreten
Therapie mit Phenoxybenzamin (Dibenzyran®) kann. Durch eine Schädigung des Surfactants
fortgesetzt werden. kommt es zur Ausbildung von Atelektasen und
einer Zunahme des Rechts-links-Shunts mit
Hypoxämie.
Komplikationen
Bei Aspiration von Salzwasser ist zu beach-
Bei Patienten mit Hypertonie ist das Risiko von ! ten, dass das salzhaltige Meerwasser im Vergleich
koronarer Herzkrankheit (= KHK), Herzin- zum Plasma hyperton ist.
farkt, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz oder
zerebralem Insult signifikant erhöht.
524 8  Notfallmedizin

Es kann daher nicht resorbiert werden und ver- fahrenzone heraus und in Sicherheit gebracht
bleibt in den Alveolen. Aufgrund der Hyperto- wurden, werden sie an eine Verletztensammel-
nie des aspirierten Meerwassers diffundiert stelle gebracht. Diese wird normalerweise am
Flüssigkeit aus dem Plasma und dem Interstiti- Rande des Unfallgeländes eingerichtet. In
um entlang des Konzentrationsgradienten zum dieser Verletztensammelstelle leitet, koordi­­-
aspirierten Meerwasser in die Alveolen. Da- niert und überwacht der Leitende Notarzt
durch droht eine intravasale Hypovolämie. Die (= LNA) eine sog. Triage, das heißt die Sichtung
flüssigkeitsgefüllten Alveolen können nicht der Verletzten und die Festlegung einer ent-
ventiliert werden. Da die Alveolen jedoch wei- sprechenden Behandlungs- und Transportprio-
terhin durchblutet (perfundiert) werden, ent- rität. Es werden folgende Triagegrade unter-
steht eine Ventilations-Perfusions-Störung mit schieden:
erhöhtem Rechts-links-Shunt und Hypoxämie. ● Triagegrad I:

Das trockene Ertrinken (ca. 10 % der Fälle) ist Patienten, bei denen lebensrettende Sofort-
durch einen reflektorischen Laryngospasmus maßnahmen notwendig sind (z. B. Vorliegen
begründet. Flüssigkeit dringt dabei nicht in die eines schweren Volumenmangelschocks,
Lunge ein. Vorliegen eines Pneumo- oder Hämatotho-
rax). Es besteht Behandlungs- und Trans-
portpriorität.
Therapie ● Triagegrad II:

Verletzungen, die nicht vital bedrohlich sind


Beim beinahe Ertrinken ist zu beachten, dass es (z. B. Fraktur, große Weichteilverletzungen)
! aufgrund einer meist sehr schnellen Auskühlung ● Triagegrad III:
in dem relativ kalten (See-, Meer-)Wasser zu ei- leichte Verletzungen (z. B. Prellungen,
ner deutlichen Verlängerung der möglichen Wie- Schürfwunden)
derbelebungszeit kommt. ● Triagegrad 0:

Patienten mit hoffnungslosem Verletzungs-


Die Intensivbehandlung muss nach beinahe muster. Die Versorgung von hoffnungslos
Ertrinken symptomatisch sein und dient der Verletzten darf nicht zur Vernachlässigung
Therapie pulmonaler Störungen. anderer Patienten mit noch reellen Überle-
benschancen führen. Ihre Versorgung ist ab-
hängig von der Anzahl des zur Verfügung
Komplikationen stehenden Personals und von der Anzahl
sonstiger Verletzter.
Hauptproblem des beinahe Ertrinkens ist die
meist schwere Hypoxie mit evtl. bleibender Nach Sichtung der Patienten bekommt jeder
hypoxischer Hirnschädigung. Patient eine Verletztenanhängekarte angeheftet
(vgl. Abb. 8-8). Diese enthält Angaben zur
Identifizierung des Verletzten, zur Triagestufe
8.6.3 Großschadensereignis (I = rot; II = gelb; III = grün; 0 = schwarz),
© zur Diagnose, zu den verabreichten Medi­
Von einem Großschadensereignis wird gespro- kamenten und zu den Vitalfunktionen. Beim

chen, wenn zahlreiche verletzte Personen vorlie- Abtransport der Patienten ist darauf zu ach­-
gen, z. B. bei einem Zugunglück oder einem Hotel- ten, dass die Patienten gleichmäßig auf ver-
brand. schiedene Krankenhäuser verteilt werden.
Hierbei sind die Versorgungsmöglichkeiten der
Großschadensereignisse erfordern eine speziel- entsprechenden Krankenhäuser zu berücksich-
le Logistik. Nachdem die Patienten aus der Ge- tigen.
8.6  Sonstige häufigere Krankheitsbilder 525

Klinik

Nachdem ein polytraumatisierter Patient auf


der Intensivstation aufgenommen und an das
entsprechende Monitoring angeschlossen wur-
de sowie hämodynamisch stabilisiert ist, sind
eine Reihe von Dingen zu klären bzw. zu über-
prüfen:
● Die bisher erhobenen Befunde sind zu kon-

trollieren und zu dokumentieren.


● Es ist zu klären, ob noch bestimmte diagno-

stische (z. B. Röntgen der Halswirbelsäule),


therapeutische (z. B. Thoraxdrainage) oder
prophylaktische Maßnahmen (z. B. Tetanus-
schutzimpfung) durchgeführt werden müs-
sen.
● Der Patient muss noch einmal untersucht

und die Verletzungen müssen dokumentiert


werden. Es ist stets auch an evtl. verspätet
auftretende Komplikationen (z. B. 2-zeitige
Milzruptur) zu denken.
● Es ist zu klären, ob der Patient gelagert wer-

den darf oder ob einschränkende Verletzun-


gen (z. B. Wirbelsäulenverletzungen) vorlie-
gen.
● Bei Frauen muss z. B. geklärt werden, ob sie

schwanger sind oder ob sie menstruations-


bedingt einen Tampon tragen, der dann zu
entfernen ist.
Abb. 8-8 Verletztenanhängekarte

Prophylaxe und Therapie


8.6.4 Polytrauma
© Um eine Niereninsuffizienz und evtl. Blutgerin-
Unter Polytrauma wird eine Mehrfachverletzung nungsstörungen wie eine disseminierte intra­

verstanden, wobei mindestens eine der Verlet- vasale Gerinnung (= DIC) oder eine Ver-
zung oder die Kombination mehrerer Verletzun- brauchskoagulopathie zu verhindern, ist eine
gen lebensbedrohlich ist. konsequente Therapie des Volumenmangel-
schocks notwendig. Zur Überwachung der
Die Primärversorgung eines polytraumatisier- kardiovaskulären Situation empfiehlt sich
ten Patienten ist auf Seite 316 beschrieben. Nach die Platzierung einer arteriellen Druckmessung,
Sicherung der Vitalfunktionen und Durchfüh- eines zentralen Venenkatheters, ggf. eines
rung lebensrettender Notoperationen wird der Pulmonalarterienkatheters und eines Blasen-
Polytraumatisierte für die Stabilisierungsphase katheters.
auf die Intensivstation verlegt.
526 8  Notfallmedizin

Komplikationen Bei Eintritt eines Atem- und Herz-Kreislauf-



Stillstandes wird vom zunächst noch reversib-
Bei polytraumatisierten Patienten stehen im len klinischen Tod gesprochen. Nach kurzer
Vordergrund: Zeit kommt es zu irreversiblen Schädigungen der
● Kreislaufproblematik Organe und damit zum unwiderruflichen, zum
● respiratorische Probleme biologischen Tod.
● metabolische Veränderungen Die Zeitspanne zwischen Eintritt des klinischen
Todes und Eintritt des biologischen Todes wird
Daneben drohen auch: als Wiederbelebungszeit bezeichnet. Innerhalb
● Niereninsuffizienz dieser Zeitspanne können Herz/Kreislauf und At-
● Störungen der Blutgerinnung mung wiederhergestellt werden, ohne dass blei-
● Magen-Darm-Ulzera bende Organschäden eintreten.
● katabole Stoffwechsellage

● erhöhte Infektanfälligkeit Diese Wiederbelebungszeit ist für die einzelnen


● Gefahr einer Sepsis Organe unterschiedlich lang. Am kürzesten ist
sie für das Gehirn, hier beträgt sie 3–5 Minuten.
Da ein Lebewesen als tot definiert wird, wenn
8.7 Lebensrettende das Gehirn tot ist, entspricht die Wiederbele-
bungszeit des Gehirns der Wiederbelebungszeit
Sofortmaßnahmen des Gesamtorganismus.

8.7.1 Allgemeine Bemerkungen Jeder Helfer kann durch Sehen, Hören und Tasten
! eine Störung der Vitalfunktionen Atmung und
Grundvoraussetzung für ein normales Funktionie- Herz/Kreislauf feststellen.
! ren des Organismus ist die ausreichende Versor- Die Therapie eines Atem- und Herz-Kreislauf-Still-
gung der Organe mit Sauerstoff. Die für die Sau- standes muss sofort (innerhalb von Sekunden) be-
erstoffversorgung absolut notwendigen Elemen- gonnen werden!
tar- oder auch Vitalfunktionen sind Atmung und
Herz-Kreislauf-System. Für die anfänglichen Sofortmaßnahmen sind
keinerlei (!) Hilfsmittel nötig. (Die im Folgen-
Kommt es zu einer plötzlichen Bedrohung die- den beschriebenen Richtlinien entsprechen den
ser Vitalfunktionen, dann handelt es sich um neuen Empfehlungen des European Resuscita-
einen Notfallpatienten. Bei allen Notfallpatien- tion Council von 2005 (ERC-Richtlinien.)
ten müssen durch lebensrettende Sofortmaß-
nahmen die Vitalfunktionen wiederhergestellt
und stabilisiert werden. Die Vitalfunktionen 8.7.2 Kardiopulmonale
Atmung und Herz/Kreislauf sind eng miteinan- Reanimation
der verknüpft. Kommt es z. B. zu einem Atem-
stillstand, so bleibt aufgrund des eintretenden Zu den Basismaßnahmen der kardiopulmona-
Sauerstoffmangels (= Hypoxie) das Herz spätes­ len Reanimation (= basic life support = BLS)
tens nach 5–10 Minuten ebenfalls stehen. Tritt gehören lediglich die Maßnahmen, die ohne ir-
dagegen zuerst ein Kreislaufstillstand auf, so gendwelche Hilfsmittel durchgeführt werden
wird auch das Gehirn nicht mehr durchblutet. können. Zuerst muss (ohne Hilfsmittel) eine
Der Patient wird bereits nach ca. 10 Sekunden Diagnose gestellt und dann ggf. (ohne Hilfsmit-
bewusstlos, und innerhalb einer Minute fallen tel) therapiert werden.
alle wesentlichen zerebralen Funktionen ein-
schließlich der Spontanatmung aus.
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 527

Bewusstlosigkeit? Störungen der Vitalfunktion


Atmung?
Wird ein möglicherweise vital bedrohter Pati-
ent angetroffen, dann gilt es zuerst zu klären, ob Diagnostik von Atemstörungen
der Patient bei Bewusstsein ist oder bewusstlos
ist. Der Patient sollte vorsichtig gerüttelt und Um festzustellen, ob der Patient noch atmet
laut angerufen werden: „Hallo! Ist alles o. k.?“ oder nicht, ist der Kopf des Patienten zu über-
Falls der Patient nicht reagiert, ist von einer Be- strecken (um eine beim Bewusstlosen nach hin-
wusstlosigkeit auszugehen. Der Helfer soll nun ten fallende und die Atemwege verlegende Zun-
um Hilfe rufen, um andere, in der Nähe befind- ge vom Rachen abzuheben und die Luftwege
liche Personen zu mobilisieren (vgl. Abb. 8-9). freizumachen) (vgl. Abb. 8-10). Außerdem
Nun ist sofort zu klären, ob bei dem Patienten muss das Ohr dem Mund und der Nase des Pa-
eine Störung der Vitalfunktion Atmung vorliegt tienten genähert werden, gleichzeitig ist der
(→  unten). Brustkorb zu beobachten (vgl. Abb. 8-14). Es

Bewusstlosigkeit?

Patient rütteln und ansprechen:


Sind Sie in Ordnung?

Patient reagiert Patient reagiert nicht

Patient möglichst in seiner Position belassen um Hilfe rufen


(sofern keine Gefahr besteht)

Atemwege freimachen
klären, was mit dem Patienten los ist; (Kopf überstrecken, Kinn anheben)
ggf. Hilfe organisieren

Atmung normal fehlende oder


Zustand des Patienten regelmäßig überprüfen abnormale Atmung

stabile Rettungsdienst
Seitenlage informieren

Rettungsdienst 30 Thorax-
informieren kompressionen

wiederholte 2 Beatmungen
Prüfung auf 30 Thorax-
normale Atmung kompressionen

Abb. 8-9 Basismaßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation bei Erwachsenen


528 8  Notfallmedizin

Keine normale Atmung bzw. Atemstillstand


Bei Vorliegen eines Atemstillstandes ist bei der
Überprüfung der Atmung keine Bewegung des
Thorax zu erkennen. Auch kann mit dem an
den Mund und die Nase angenäherten Ohr kei-
ne Luftströmung gehört oder gefühlt werden.
Eine vereinzelte präfinale Schnappatmung darf
nicht als normale Atmung fehlgedeutet werden.
Falls ein Atemstillstand festgestellt wird, soll ein
einzelner Laienhelfer zuerst (vorzugsweise per
Telefon) den Rettungsdienst alarmieren.
Dass normalerweise von einem Einzelhelfer zu-
erst, das heißt noch vor Beginn der Hilfsmaß-
nahmen, der Rettungsdienst alarmiert werden
soll (phone first), ist dadurch zu erklären,
dass bei Erwachsenen ein Atem- und Herz-
Kreislauf-Stillstand zumeist durch plötzliches
Kammerflimmern (z. B. im Rahmen eines Herz-
infarkts) bedingt ist. Zur erfolgreichen Wieder-
belebung dieser Patienten ist eine möglichst
schnelle Defibrillation (→  S. 537) notwendig.
Falls mehrere Helfer vor Ort sind, soll einer den
Rettungsdienst alarmieren und der andere so-
fort die Reanimationsmaßnahmen beginnen.
Abb. 8-10 Überstreckung des Kopfes Falls ein bewusstloser Patient keine normale
Atmung bzw. einen Atemstillstand aufweist,
dann soll nun – ohne vorher nach Zeichen eines
evtl. vorhandenen Kreislaufes zu suchen (z. B.
sollte überprüft werden, ob sich der Brustkorb durch Pulstasten) – sofort mit der kardiopul-
des Patienten hebt und senkt und ob eine Luft- monalen Reanimation begonnen werden.
strömung an Mund und Nase des Patienten ge-
hört oder gefühlt wird. Diese Überprüfung der
Atmung sollte nicht länger als 10 Sekunden Durchführung
dauern. Es können folgende Zustände festge-
stellt werden: Hat die Diagnostik eine Bewusstlosigkeit und
einen Atemstillstand ergeben, so muss unver-
Normale Atmung züglich mit der Herzdruckmassage, der sog.
Atmet der Patient primär oder nach Überstre­ kardiopulmonalen Wiederbelebung, begonnen
ckung des Kopfes und Freimachen der Atemwe- werden. Außerdem muss eine Beatmung durch-
ge normal, dann ist es wichtig, dafür zu sorgen, geführt werden.
dass die Atemwege offen gehalten werden. Hier-
zu ist der Patient in stabile Seitenlage zu brin-
gen (vgl. Abb. 8-11). Die Atmung ist weiterhin
zu überprüfen.
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 529

Abb. 8-11 Stabile Seitenlage
530 8  Notfallmedizin

Abb. 8-11 (Fortsetzung)
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 531

Herzdruckmassage

Bei der externen Herzdruckmassage wird



durch rhythmischen Druck auf das Sternum das
Herz zwischen Sternum und Wirbelsäule kompri-
miert, wodurch ein Blutauswurf aus dem Herzen
erzeugt wird und ein Minimalkreislauf aufrecht-
erhalten werden kann. Für den Blutfluss unter
der Herzdruckmassage ist auch ein sog. Thorax-
pumpmechanismus verantwortlich. Aufgrund
der kompressionsbedingten generalisierten Stei-
gerung des intrathorakalen Drucks kommt es
zu einer Kompression der intrathorakalen Ge­-
fäße. Aufgrund der Venenklappen kommt es zu
einer Blutströmung ins arterielle System. Wäh-
rend beim Erwachsenen für den Blutfluss
beide Mechanismen verantwortlich sind, kommt
es bei Kindern aufgrund ihres elastischen Thorax
vor allem zu einer direkten Kompression des
Herzens. Neben der externen Herzdruckmassa-
ge muss eine Ventilation der Lunge durchgeführt
werden.
Abb. 8-12 Kardiopulmonale Wiederbelebung: Herz-
Zur Durchführung der kardiopulmonalen Re- druckmassage
animation (= cardio-pulmonary resuscitation =
CPR) wird der Patient sofort flach auf den Rü­
cken gelegt, wobei auf eine harte Unterlage zu Die Herzdruckmassage wird 30-mal durchge-
achten ist. Im Bett muss eine Reanimationsplat- führt. Anschließend wird 2-mal beatmet (30 : 2).
te, z. B. das abnehmbare Fußbrett eines Kran- 5 Reanimationszyklen à 30 : 2 sollten ca. 2 Mi-
kenhausbettes, unter den Thorax geschoben nuten dauern.
werden. Notfalls ist der Patient immer auf den
Fußboden zu legen. Der Helfer kniet oder steht
seitlich neben dem Patienten. Druckpunkt für Atemspende
die Herzdruckmassage beim Erwachsenen ist
die Mitte des Brustbeins (Sternum). Die über- Die Atemspende kann durchgeführt werden als
einandergelegten Handballen werden – bei ver- ● Mund-zu-Mund-Beatmung oder als

hakten Fingern – auf den Druckpunkt aufge- ● Mund-zu-Nase-Beatmung.

setzt. Der Druck muss senkrecht von oben mit


gestreckten Ellenbogen erfolgen und das Bevorzugt wird die Mund-zu-Mund-Beat-
Sternum ca. 4–5 cm der Wirbelsäule nähern. mung, die folgendermaßen durchgeführt wird:
Der Druck sollte weitgehend durch Beugen ● Rückenlage des Patienten

des Oberkörpers bei gestreckten (!) Armen ● Überstrecken des Kopfes:

erzeugt werden (vgl. Abb. 8-12). Druck- und Eine Hand liegt an der Stirn-Haar-Grenze,
Entlastungsphase sollten von gleicher Dauer mit den Fingerspitzen der anderen Hand
sein. Die Handballen müssen auch während der wird das Kinn des Patienten angehoben. Der
Entlastungsphase auf dem Druckpunkt verblei- Kopf wird überstreckt (vgl. Abb. 8-13). Mit
ben. dem Daumen und Zeigefinger der an der
532 8  Notfallmedizin

Abb. 8-13 Mund-zu-Mund-Beatmung Abb. 8-14 Passive Ausatmung

Stirn-Haar-Grenze liegenden Hand wird die überprüft werden, ob im Mund des Patien-
Nase zusammengedrückt (um zu verhin- ten Gegenstände erkennbar sind (z. B. Zahn-
dern, dass die in den Mund geblasene Luft prothese), die entfernt werden können. Ge-
durch die Nase entweicht). Gelingt eine gebenenfalls ist auch die Kopfposition zu
Mund-zu-Mund-Beatmung nicht oder lie- verbessern. Falls die Beatmung nicht effektiv
gen z. B. schwere Verletzungen im Mund- ist, sollten dennoch nicht mehr als 2 Beat-
bereich vor, dann ist eine Mund-zu- mungsversuche unternommen werden.
Nase-Beatmung durchzuführen. Mit der am ● Kontrolle der Ausatmung:

Kinn liegenden Hand wird hierbei der Un- Ist die Insufflation beendet, so hebt der Hel-
terkiefer angehoben, um den Mund zu ver- fer seinen Mund von dem Mund des Patien-
schließen. ten ab, dreht seinen Kopf, um den Thorax
● Insufflation: des Patienten zu beobachten, und nähert
Der Helfer soll den Patienten 2-mal effektiv sein Ohr dem Mund des Patienten (vgl. Abb.
beatmen (Abb. 8-13). Nach normaler Einat- 8-14). Die passive Ausatmung des Patienten
mung sollte die Ausatemluft kontinuierlich kann nun am Senken des Thorax gesehen
und gleichmäßig in den Patienten geblasen und am Ausströmen der Luft aus dem Mund
werden. Beim Erwachsenen sollen bei der gehört und gefühlt werden.
Beatmung 6–7 ml/kg KG Atemhubvolumen,
das heißt 500–600 ml, über jeweils 1 Sekun- Für die Atemspende sind inzwischen hygie-
de verabreicht werden. Falls bereits beim ers­ nisch unbedenkliche Einmaltücher mit Ventil-
ten Atemhub Probleme auftreten, sollte funktion erhältlich. Deren Anwendung erfor-
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 533

dert jedoch einige Übung, um eine komplette


Abdichtung der Atemwege zwischen Helfer und
Patient zu erreichen. (Falls verfügbar, sollte stets
mithilfe eines Beatmungsbeutels [bzw. eines
Narkosegerätes] eine Maskenbeatmung [→  S.
109] durchgeführt werden. Schnellstens sollte
die endotracheale Intubation angestrebt wer-
den. Nur hierdurch ist ein sicheres Freihalten
der Atemwege und die Zufuhr von Sauerstoff in
hoher Konzentration zu gewährleisten.)
Meist kann schon nach wenigen Insufflationen
ein Rückgang einer vorher bestehenden Zyano-
se beobachtet werden.
Falls ein Helfer die Mund-zu-Mund-Beatmung
nicht durchführen kann oder nicht durchfüh-
ren will (z. B. Angst vor Ansteckung), dann
kann auf die Beatmung verzichtet und eine
alleinige Herzdruckmassage durchgeführt wer-
den. Durch die Herzkompressionen wird zu-
meist auch eine minimale Ventilation verur-
sacht.
Der Helfer muss normalerweise abwechselnd
Beatmung (vgl. Abb. 8-13) und Herzdruckmas- Abb. 8-15 Halbautomatischer Defibrillator
sage (vgl. Abb. 8-12) durchführen. Er beginnt
mit 30 Herzdruckmassagen, gefolgt von jeweils
2 Insufflationen von je 1 Sekunde (30 : 2). Die
Kompressionen sollen mit einer Frequenz von der beiden großflächigen Klebeelektroden über
ca. 100/min erfolgen. der Herzspitze und der Herzbasis eine automa-
Sind 2 oder mehrere Helfer anwesend, dann tische EKG-Diagnostik durch und geben
sollten sie sich gegenseitig alle ca. 2 Minuten dann zuverlässig an, ob ein Elektroschock aus-
(= 1 Reanimationszyklus à 5 × 30 : 2) ablösen, gelöst werden soll oder nicht (vgl. Abb. 8-16).
um eine körperliche Erschöpfung zu vermei- Nach Abgabe des Elektroschocks sollte sofort
den. wieder die mechanische Reanimation aufge-
In den neuen Reanimationsrichtlinien wird im nommen werden und erst nach ca. 2 Minuten
Rahmen von Basismaßnahmen der Einsatz von (= 1 Reanimationszyklus = 5 × 30 : 2) wird (au-
halbautomatischen Defibrillatoren propagiert. tomatisch) eine erneute Rhythmusdiagnostik
An Plätzen, an denen mindestens 1-mal in 2 empfohlen. Gegebenenfalls ist erneut ein Elek-
Jahren eine Defibrillation zu erwarten ist (z. B. troschock auszulösen. In Abbildung 8-16 sind
Flughäfen, Bahnhöfen, Casinos) wird die Vor- die Handlungsanweisungen für den Einsatz ei-
haltung eines öffentlichen halbautomatischen nes halbautomatischen Defibrillators aufge-
Defibrillators (vgl. Abb. 8-15) empfohlen. So- führt.
bald ein solcher halbautomatischer Defibrillator Der Laienhelfer soll die Reanimation solange
verfügbar ist, sollte die sofort begonnene fortführen, bis
mechanische kardiopulmonale Reanimation ● qualifizierte Hilfe verfügbar ist,

unterbrochen und – falls indiziert – eine ● der Patient Lebenszeichen von sich gibt

Defibrillation durchgeführt werden. Halbauto- oder


matische Defibrillatoren führen nach Aufkleben ● er selbst erschöpft ist.
534 8  Notfallmedizin

Patient reagiert nicht

um Hilfe rufen

Atemwege freimachen
(Kopf überstrecken, Kinn anheben)

fehlende oder abnormale Atmung

AED holen (lassen)


Rettungsdienst informieren (Tel. 112)

CPR beginnen (30 : 2); bis der AED bereit ist

Rhythmusanalyse mittels AED

Schock empfohlen kein Schock empfohlen

1 Schock
(150–360 J biphasisch
oder
360 J monophasisch)

sofort CPR weiterführen sofort CPR weiterführen


(30 : 2) für 2 min (30 : 2) für 2 min
Abb. 8-16 Handlungsanweisungen für
den Einsatz eines halbautomatischen
Defibrillators. AED = automatischer
(CPR fortführen bis Patient normal zu atmen beginnt) externer Defibrillator; CPR = kardiopul-
monale Reanimation.

Drohendes Ersticken durch akute Unvollständige (partielle) Verlegung der Atem-


Atemwegsverlegung wege: Sind die Atemwege nur teilweise verlegt,
© kann der Patient meist noch mehr oder weniger
Eine akute Atemwegsverlegung ist beim Erwach- gut atmen. Der Patient fängt an zu husten und

senen meist durch Aspiration von Speiseresten zwischen den Hustenstößen kann oft ein inspi-
(vor allem Fleisch) bedingt. Der Patient äußert ratorischer Stridor auftreten. Der Patient sollte
plötzlich ein Erstickungsgefühl. sofort gefragt werden: „Bekommen Sie keine
Luft mehr?“ Er wird dies bestätigen. Bei einer
Es kann eine unvollständige oder eine komplet- partiellen Atemwegsverlegung gelingt es dem
te Verlegung der Atemwege vorliegen. Patienten meist, den Fremdkörper wieder abzu-
husten.
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 535

Schweregrad der Atemwegsverlegung beurteilen

partielle komplette
Atemwegsverlegung Atemwegsverlegung
(effektiver Hustenstoß) (ineffektiver Hustenstoß)

zum Husten auffordern bewusstlos bei Bewusstsein

Zustand des Patienten CPR beginnen 5 Schläge


fortlaufend prüfen (30 : 2) zwischen die
Schulterblätter*

Verlegung der Situation


Atemwege löst verschlechtert sich, 5 × Heimlich-
sich auf Hustenstoß Manöver*
wird ineffektiv
ggf.

* Sobald der Fremdkörper entfernt werden konnte, sind keine weiteren Schläge zwischen die Schulterblätter
bzw. Heimlich-Manöver notwendig.

Abb. 8-17 Therapieempfehlungen bei akuter unvollständiger oder kompletter Atemwegsverlegung bei Erwach-


senen. CPR = kardiopulmonale Reanimation.

Solange der Patient bei Bewusstsein ist, noch Falls ein Patient mit Verdacht auf akute, kom-
atmet und kräftig hustet, soll er lediglich plette Verlegung der Atemwege noch bei Be-
zum kräftigen Husten aufgefordert werden wusstsein ist, sollte er gefragt werden, ob er kei-
(Abb. 8-17). Falls der Fremdkörper jedoch nicht ne Luft bekommt und zu ersticken droht.
abgehustet werden kann, soll medizinische Hil- Eventuell nickt der Patient; sprechen ist bei ei-
fe gerufen werden. ner kompletten Atemwegsverlegung nicht mehr
Tritt bei einer teilweisen Verlegung nur noch möglich. Der Patient droht schnell bewusstlos
ein schwacher, ineffektiver Atemstoß mit gerin- zu werden und zu ersticken. Es sind folgende
ger Luftströmung, mit nur noch hochfrequen- Maßnahmen durchzuführen:
tem inspiratorischem Stridor und stärkeren in- ● Schläge zwischen die Schulterblätter:

spiratorischen Problemen auf und wird der Der neben oder seitlich vom Patienten ste-
Patient evtl. auch zyanotisch, dann ist der Pati- hende Helfer sollte die eine Hand unter den
ent wie bei einer kompletten Atemwegsverle- (meist nach vorne gebeugten oder nach vor-
gung zu behandeln (→  unten). ne zu beugenden) Oberkörper als Widerla-
ger halten und mit der anderen Hand sollten
Komplette Verlegung der Atemwege: Bei einer bis zu 5 scharfe Schläge mit der flachen Hand
kompletten Verlegung der Atemwege kann der zwischen die Schulterblätter ausgeübt wer-
Patient weder atmen noch husten oder sprechen den.
und verliert rasch das Bewusstsein (Abb. 8-17). ● Heimlich-Manöver:

Meist gelingt es dem Patienten in diesen Fällen Falls 5 Schläge zwischen die Schulterblät-
nicht, den Fremdkörper abzuhusten. Bei einer ter (→  oben) erfolglos blieben, sollte bis zu
drohenden Erstickung greift sich der Patient oft 5-mal das Heimlich-Manöver durchgeführt
mit der Hand an den Hals. werden. Bei einem stehenden oder sitzenden
536 8  Notfallmedizin

Erwachsenen stellt sich hierbei der Helfer Es sollte nicht versucht werden, einen nicht (!)
hinter den Patienten und „umarmt“ ihn von erkennbaren Fremdkörper blind mit dem Zei-
hinten. Eine zur Faust geballte Hand soll- gefinger aus dem Rachen „herauszufischen“.
te zwischen Nabel und das Brustbeinende Dadurch könnte der Fremdkörper noch tiefer
(Processus xiphoideus) zu liegen kommen, in die Luftwege vorgeschoben werden. Jedes
mit der anderen Hand wird diese Faust um- Mal wenn während der kardiopulmonalen Re-
fasst. Faust und umgreifende Hand werden animation der Mund des Patienten geöffnet
kraftvoll und schnell nach dorsal und kranial wird, sollte kurz kontrolliert werden, ob ein
gezogen. Aufgrund dieser Oberbauchkom- Fremdkörper erkennbar ist. Falls ein Fremd-
pression und des dadurch nach kranial ver- körper erkennbar ist, sollte er entfernt werden.
drängten Zwerchfells wird ein Hustenstoß si-
muliert und Luft aus der Lunge gepresst. Mit
diesem Heimlich-Manöver wird versucht, Erweiterte Reanimations-
einen aspirierten Fremdkörper nach oben maßnahmen beim Erwachsenen
aus den Luftwegen herauszuschleudern.
Solange der Patient bei Bewusstsein bleibt, Die erweiterten kardiopulmonalen Reanimati-
sollten die Schläge auf den Rücken und die onsmaßnahmen (= advanced life support =
Heimlich-Manöver jeweils 5-mal wiederholt ALS) gelten für professionelle Helfer. Die me-
werden, bis der Fremdkörper aus den Luft- chanische kardiopulmonale Reanimation wird
wegen geschleudert wurde oder bis der Pati- bei den ALS-Maßnahmen genauso wie bei den
ent bewusstlos ist. Basismaßnahmen (BLS; →  S. 526) durchge-
führt. Es wird hierbei jedoch zumeist die 2-Hel-
Falls ein Patient mit Verdacht auf akute Verle- fer-Methode praktiziert, das heißt ein profes-
gung der Atemwege das Bewusstsein verliert, sioneller Helfer übernimmt die Beatmung,
dann sollte er auf den Boden gelegt werden und während ein anderer professioneller Helfer
es ist sofort der Rettungsdienst zu informieren die Herzdruckmassage übernimmt (vgl. Abb.
und die kardiopulmonale Reanimation (mit 8-18).
30 Herzdruckmassagen gefolgt von jeweils Zur erweiterten kardiopulmonalen Reanimati-
2 Atemhüben) zu beginnen. on gehören die elektrische Defibrillation,

Abb. 8-18 Kardiopulmonale Reanima-
tion: 2-Helfer-Methode
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 537

EKG-Diagnostik, die endotracheale Intubati- kardie) durchgeführt. Durch den abgegebenen


on (oder eine alternative Sicherung der Atem- Stromimpuls kommt es zu einer simultanen
wege) sowie der Einsatz von Medikamenten. Entladung sämtlicher Herzmuskelzellen. Nach
einer solchen Defibrillation (Synchronisation
der Herzmuskelzellen) treten oft wieder ein nor-
Defibrillation und EKG maler Herzrhythmus und eine normale Erre-
gungsleitung entlang der typischen Bahnen ein.
Möglichst bald sollte ein Defibrillator mit EKG-
Monitor angeschlossen werden, um Kammer- Während einer Defibrillation darf niemand Kon-
flimmern/Kammertachykardie bzw. Asystolie/ ! takt zum Patienten oder dessen Bett haben (auch
elektromechanische Entkoppelung als Ursache nicht über eine Pfütze am Fußboden!!), weil sonst
des Herz-Kreislauf-Stillstandes differenzieren die Gefahr besteht, dass der ausgelöste Strom
und um eine wieder einsetzende Herzaktion weitergeleitet wird. Auch ist unbedingt zu vermei-
frühzeitig erkennen zu können. den, dass der Patient im Nassen liegt, weil in Ver-
Bei einer elektrischen Defibrillation wurde bis bindung mit der Defibrillation Verbrennungen an
vor wenigen Jahren immer ein Gleichstrom feuchten Körperstellen auftreten können.
wählbarer Intensität (monophasische Defibrilla-
tion) über 2 großflächige Spezialelektroden
durch die Brustwand auf das Herz abgegeben. Kammerflimmern oder pulslose
Inzwischen wird meist die sog. biphasische De- Kammertachykardie
fibrillation empfohlen (positiver Strom mit nach- Die häufigste Ursache eines Herzstillstandes
folgendem negativem Strom = Wechselstrom). 
ist ein Kammerflimmern. Das EKG zeigt hierbei
Der Erfolg einer biphasischen Defibrillation mit schnelle, unregelmäßige Ausschläge.
≤ 200 J sei genauso gut oder besser als die bishe-
rige monophasische Defibrillation. Da bei der Die Therapie der Wahl bei einem Kammerflimmern
biphasischen Defibrillation geringere Stromstär- ! ist die unverzügliche elektrische Defibrillati-
ken ausreichen, sind geringere Herzmuskelschä- on (vgl. Abb. 8-19).
digungen durch die Defibrillation zu erwarten.
Eine Defibrillation wird vor allem bei Kammer- Die mit Gel bestrichenen Defibrillatorelektroden
flimmern (oder pulsloser ventrikulärer Tachy- werden an der Herzbasis (zweiter ICR rechts pa-

Abb. 8-19 Defibrillation
538 8  Notfallmedizin

rasternal) und an der Herzspitze (unterhalb der Pulskontrolle (die maximal 10 Sekunden dau-
linken Brustwarze) aufgesetzt. Zur Defibrillation ern darf) durchgeführt werden.
werden bei Erwachsenen bei der (nur noch sel- Falls ein Kammerflimmern bzw. die pulslose
ten durchgeführten) monophasischen Defibril- Kammertachykardie auch noch bei der Rhyth-
lation für den ersten Elektroschock 360 J und musdiagnostik nach dem dritten Defibrillati-
auch für den zweiten und für weitere monopha- onsschock weiter besteht, dann sollten 300 mg
sische Elektroschocks jeweils 360 J empfohlen. Amiodaron (→  S. 541) als Bolus verabreicht
Bei der (modernen) biphasischen Defibrillation werden. Falls Kammerflimmern oder die puls-
werden für den ersten Schock 150–200 J und für lose Kammertachykardie wiederkehrt oder wei-
den zweiten und für weitere biphasische Schocks terhin bestehen bleibt, kann eine zweite Dosis
jeweils 150–360 J empfohlen (allerdings besitzen von Amiodaron à 150 mg und anschließend
viele biphasischen Geräte überhaupt keine ent- eine Infusion à 900 mg pro 24 Stunden verab-
sprechende Wahlmöglichkeit). Nach den neuen reicht werden (→  S. 541).
Empfehlungen soll immer nur ein Elektroschock
durchgeführt und danach sofort wieder mit der Da normalerweise ein Defibrillator nicht sofort
mechanischen kardiopulmonalen Reanimation ! verfügbar ist, wird zuerst so lange mechanisch re-
fortgefahren werden. Erst nach einem Reanima- animiert, bis ein Defibrillator besorgt wurde. Wird
tionszyklus von 2 Minuten (= 5 × 30 : 2) soll eine auf der Intensivstation am angeschlossenen EKG-
Rhythmusdiagnostik (über die Defibrillations- Monitor das plötzliche Auftreten von Kammer-
elektroden) durchgeführt und ggf. erneut ein flimmern beobachtet, so kann – bei unmittelbar
Elektroschock abgegeben werden. verfügbarem Defibrillator – die Reanimation pri-
mär mit einer elektrischen Defibrillation begon-
Eine Therapieschleife (Reanimationszyklus) um- nen werden.
! fasst bei Kammerflimmern oder pulsloser Kam-
mertachykardie also Rhythmusdiagnostik, ei- Asystolie und elektromechanische
ne Defibrillation und eine 2-minütige mechani- Entkoppelung
sche Reanimation (= 5 CPR-Sequenzen à 30 : 2) Bei einer Asystolie zeigt die Rhythmusdiagnostik
(Abb. 8-20).  mittels Ableitung über den Defibrillator keine
elektrische Aktivität. Die Grundlinie ist leicht wel-
Falls bei der zweiten Rhythmusdiagnostik noch lenförmig. Bei einer vollkommen geraden Null-
ein Kammerflimmern oder eine pulslose Kam- Linie handelt es sich um einen Ableitungsfehler!
mertachykardie ableitbar ist, muss sofort ein Die Elektroden müssen überprüft werden.
zweites Mal defibrilliert werden. Falls bei der
Rhythmusdiagnostik nach der zweiten Defibril- Die Therapie der Wahl bei einer Asystolie ist die
lation das Kammerflimmern bzw. die pulslose ! Gabe von Adrenalin (1 mg beim Erwachsenen).
Kammertachykardie weiterhin besteht, sollte Adrenalin sollte nach jedem zweiten Reanimati-
sofort 1 mg Adrenalin intravenös (→  S. 541) onszyklus (10 × 30 : 2), das heißt alle 3–5 Minuten
verabreicht und unmittelbar danach die dritte nachinjiziert werden, falls sich bei der Rhythmus-
Defibrillation durchgeführt werden. Solange diagnostik immer noch eine Asystolie zeigt. (Falls
das Kammerflimmern bzw. die pulslose Kam- sich bei der Rhythmusdiagnostik nun ein Kam-
mertachykardie fortbesteht, sollte nun die Gabe merflimmern zeigt, ist zu defibrillieren.)
von 1 mg Adrenalin alle 3–5 Minuten (= nach
jeweils 2 Reanimationszyklen bzw. nach 10 CPR- Da eine Asystolie durch einen stark erhöhten
Sequenzen) wiederholt werden. Vagotonus (mit-)verursacht sein kann, wird die
Nur falls bei einer Rhythmusdiagnostik ein ge- zusätzliche Gabe von 3 mg Atropin empfohlen
ordneter Rhythmus nachweisbar ist, sollte eine (Abb. 8-20), auch wenn die Wirksamkeit nicht
sicher belegt ist.
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 539

Patient reagiert nicht

Atemwege freimachen
(Kopf überstrecken, Kinn anheben)

fehlende oder abnormale Atmung

Kreislauf beurteilen:
• nach indirekten Kreislaufzeichen suchen:
Bewegungen? Normale Atmung? Husten?
• falls darin routiniert, nach direkten
Kreislaufzeichen suchen: Karotispuls?

fehlender (oder fraglicher) Kreislauf

Reanimationsteam rufen

kardiopulmonale Reanimation (= CPR)


beginnen (30 : 2)
(bis der Defibrillator angeschlossen ist)

Rhythmusanalyse

Kammerflimmern oder Während der CPR: Asystolie oder elektro-


pulslose Kammertachy- • reversible Ursachen* beseitigen mechanische Entkopplung:
kardie: Schock empfohlen • Elektrodenposition und -kontakte kein Schock empfohlen
überprüfen
• schnellstmöglich:
Schock (1-mal) i. v. Zugang legen und überprüfen,
• biphasisch:1. Schock: Atemwege sichern und überprüfen,
Sauerstoffgabe sichern und überprüfen
150–200 J weitere
• sobald Atemwege gesichert sind,
Schoks: 150–360 J Herzdruckmassage ohne Unterbrechung
• monophasisch: • Adrenalin alle 3–5 min (bei Asystolie
jeweils 360 J oder elektromechanische Entkopplung:
1. Gabe so früh wie möglich; bei Kammer-
flimmern oder pulsloser Kammertachy-
sofort CPR weiterführen kardie: 1. Dosis nach erfolglosem 2. Schock) sofort CPR weiterführen
(30 : 2) für 2 Minuten • erwägen: Amiodaron, Atropin, Magnesium (30 : 2) für 2 Minuten

* reversible Ursachen: Hypoxie,Hypovolämie, Hypo- oder Hyperkaliämie, Hypothermie,


Spannungspneumothorax, Herzbeuteltamponade, Toxine, Koronarthrombose oder Lungenembolie

Abb. 8-20 Therapieempfehlungen für erweiterte Reanimationsmaßnahmen. ALS = advanced life support;


CPR = kardiopulmonale Reanimation. PEA = pulslose elektrische Aktivität = elektromechanische Entkoppelung.
540 8  Notfallmedizin

Bei der elektromechanischen Entkoppelung


liegt eine Pulslosigkeit vor, obwohl im EKG
elektrische Herzaktionen nachweisbar sind. Die
Therapie besteht – wie bei einer Asystolie (→  S.
538) – in der wiederholten Gabe von Adrenalin
(1 mg i. v., ggf. Wiederholung nach jeder zwei-
ten Therapieschlaufe (= 10 × 30 : 2; d. h. alle 3–5
Minuten). Bei einer elektromechanischen Ent-
koppelung wird – falls die Frequenz < 60/min
ist – wie bei einer Asystolie ebenfalls die Gabe
von 3 mg Atropin empfohlen.

Präkordialer Faustschlag

Wird das Eintreten eines primären Herzstillstan-


! des, z. B. auf der Intensivstation, vom Helfer beob-
achtet und ist ein Defibrillator nicht unmittelbar
verfügbar, so kann die kardiopulmonale Reanima-
tion auch mit einem präkordialen Faustschlag be-
gonnen werden (vgl. Abb. 8-21).

Aus ca. 30 cm Entfernung wird ein kräftiger


Abb. 8-21 Präkordialer Faustschlag
Faustschlag auf die Mitte des Sternums durch-
geführt. Durch die mechanische Irritation kann
es, ähnlich wie bei der elektrischen Defibrillati- u. U. aber auch in der Trachea zu liegen kommt.
on, unter Umständen zum Wiedereinsetzen der Je nachdem, wo die Spitze des Tubus liegt, muss
Herzaktion kommen. Kommt es nach dem prä- über das distal endende oder das weiter proxi-
kordialen Faustschlag nicht sofort zum Wieder- mal endende Lumen beatmet werden (vgl. Abb.
einsetzen einer normalen Herzaktion, so muss 8-22).
unmittelbar mit der kardiopulmonalen Reani- Bei intubierten Patienten braucht während der
mation begonnen werden. Beatmung die Herzdruckmassage nicht unter-
brochen werden. Die Herzdruckmassage sollte
Der präkordiale Faustschlag darf nicht angewen- mit einer Frequenz von 100/min und die Beat-
! det werden bei Kindern sowie bei einem primären mung mit 10 Atemhüben/min (6–7 ml/kg KG =
Atemstillstand mit nachfolgendem Herzstillstand 500–600 ml beim Erwachsenen) durchgeführt
(also bei einem zyanotischen Patienten)! werden.

Endotracheale Intubation Medikamente

Sobald als möglich sollte der Patient endotra- Die beschriebenen mechanischen Wiederbele-
cheal intubiert werden. Alternativ kann ggf. bungsversuche sollen so bald als möglich durch
auch eine Larynxmaske oder ein Kombitubus eine gezielte intravenöse medikamentöse The-
platziert werden. Ein Kombitubus ist ein spezi- rapie ergänzt werden. Nach jeder Medikamen-
eller Doppellumentubus, der blind eingeführt tengabe sollten mindestens 20 ml NaCl 0,9 %
wird und mit seiner Spitze meist im Ösophagus, nachinjiziert werden, damit das Medikament
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 541

dingten Komplikationen gerechnet werden.) Ist


eine zentralvenöse Punktion zwingend notwen-
dig, dann bietet sich die Vena subclavia an (→  S.
188). Bei Neugeborenen kann notfalls in die
Nabelvene injiziert werden. Falls ein intravenö-
ser Zugang zu schwierig ist oder nicht gelingt,
dann sollte auch bei Erwachsenen an die Mög-
lichkeit gedacht werden, eine intraossäre Kanü-
le zu platzieren (wie sie insbesondere für Kinder
häufiger zur Anwendung kommt; →  S. 544).

Adrenalin (Suprarenin®)
Erwachsene erhalten sofort 1,0 mg Adrenalin
intravenös, falls sich bei der Rhythmusdiagno-
stik eine Asystolie oder elektromechanische
Entkoppelung ergibt. Gegebenenfalls Wieder-
holung alle 2 Reanimationszyklen (= 10 × 30 : 2),
das heißt alle 3–5 Minuten. Bei Verabreichung
über eine periphere Vene sollten jeweils mindes­
Abb. 8-22 Kombitubus. Dessen Spitze (distal endendes
tens 20 ml Flüssigkeit (z. B. NaCl 0,9 %) nachin-
Lumen) kommt normalerweise im Ösophagus zu liegen,
daher Beatmung über das proximal endende Lumen. jiziert werden, damit das Adrenalin schnell bis
Falls das distal endende Lumen in der Trachea liegen nach zentral gelangt.
sollte, dann Beatmung über das distal endende Lumen.
Atropin
Im Falle einer Asystolie oder einer elektrome-
möglichst schnell im zentralen Kreislauf an- chanischen Entkoppelung (mit einer Frequenz
kommt und wirken kann. Die Medikamente der < 60/min) wird nach erfolgloser Gabe von Sup-
ersten Wahl sind: rarenin® die zusätzliche Gabe von 3 mg Atropin
● Adrenalin empfohlen.
● Amiodaron

● Atropin Amiodaron (oder Lidocain)


Falls ein Kammerflimmern oder eine pulslose
Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss ein (mög- Kammertachykardie auch noch bei der Rhyth-
lichst periphervenöser) Zugang gelegt werden. musdiagnostik nach dem dritten Defibrillati-
Zumeist lässt sich am Hals – aufgrund der Ein- onsschock weiter besteht, dann sollten 300 mg
flussstauung bei einem Herzstillstand – die Amiodaron als Bolus verabreicht werden. Falls
dann meist prominente Vena jugularis externa ein Kammerflimmern oder eine pulslose Kam-
gut punktieren. Ein zentraler Venenkatheter mertachykardie wiederkehrt oder bestehen
(→  S. 185) sollte während der Herzdruckmas- bleibt, kann eine zweite Dosis von Amiodaron à
sage nur gelegt werden, wenn eine peripherve- 150 mg und anschließend eine Infusion à
nöse Punktion nicht möglich ist. (Während der 900 mg pro 24 Stunden verabreicht werden.
zentralvenösen Punktion müsste die Herz- Amiodaron ist auch bei kreislaufstabilen Pati-
druckmassage unterbrochen werden und die enten indiziert, bei denen eine ventrikuläre Ta-
für eine zentralvenöse Punktion wichtigen hy- chykardie vorliegt. Da Amiodaron zu einer
gienischen Bedingungen sind kaum einzuhal- Thrombophlebitis führen kann, sollte es über
ten und aufgrund des großen Zeitdrucks müsste eine möglichst großlumige Vene (oder falls vor-
auch mit einer erhöhten Rate an punktionsbe- handen über einen zentralen Venenkatheter)
542 8  Notfallmedizin

injiziert werden (1 Amp. Cordarex® à 3 ml = chen werden. Eine Überkorrektur mit Alkalose
150 mg Amiodaron). sollte auf jeden Fall vermieden werden. Es sind
Falls Amiodaron nicht verfügbar sein sollte, entsprechende laborchemische Kontrollen des
kann Lidocain (initial 1–1,5 mg/kg KG) als Al- Säure-Basen-Haushalts durchzuführen.
ternative verabreicht werden. Falls ein zweiter
Bolus notwendig ist, werden 50-mg-Boli emp- Eine Bicarbonatgabe (50 mmol einer 8,4%igen
fohlen. Die Dosierung von Lidocain während ! Lösung) ist indiziert, falls eine gesicherte Hyper-
der ersten Stunde darf 3 mg/kg KG nicht über- kaliämie (oder eine Intoxikation mit einem trizy-
schreiten. Die empfohlenen Zeitpunkte für eine klischen Antidepressivum) vorliegt.
Applikation von Lidocain sind identisch zu de-
nen bei einer Amiodarongabe. Lidocain soll je- Die wichtigsten Maßnahmen, um eine metabo-
doch nicht zusätzlich zu Amiodaron verabreicht lische Acidose im Rahmen einer Reanimation
werden. Es gibt bisher allerdings keine Studien, zu therapieren, sind eine adäquate alveoläre
die belegen, dass durch Gabe irgendeines Anti- Ventilation und Wiederherstellung einer aus-
arrhythmikums das Outcome reanimations- reichenden Gewebeperfusion.
pflichtiger Patienten verbessert würde.

Natriumbicarbonat Reanimationsmaßnahmen
Während eines Kreislaufstillstandes entwickelt bei Säuglingen und Kindern
sich eine metabolische Acidose. Dennoch wird
die routinemäßige Gabe von Natriumbicarbonat bis zur Adoleszenz
zum Ausgleich einer solchen, hypoxisch beding-
ten metabolischen Acidose während der Reani- Die für Laienhelfer konzipierten Basismaßnah-
mationssituation (oder auch nach Wiedereinset- men der Reanimation gelten nicht nur für Er-
zen eines Spontankreislaufs) nicht empfohlen. wachsene, sondern auch für Kinder > 1 Jahr. Bei
In den meisten Studien wurde gezeigt, dass der Reanimation eines Kindes kann also ein Lai-
durch Bicarbonat weder die Erfolgsrate bei der enhelfer den für die Erwachsenenreanimation
Defibrillation noch die Überlebensrate verbes- geltenden BLS-Maßnahmen folgen (→  S. 526).
sert werden kann. Es ist jedoch möglich, dass Einzige Ausnahmen sind: Initial sollten bei Kin-
durch Bicarbonatgabe die Koronardurchblutung dern 5 Beatmungen durchgeführt werden und
verschlechtert, die Sauerstoffkurve nach links ein Einzelhelfer sollte erst nach einer ca. 1-minü-
verschoben und dadurch die Sauerstoffabgabe tigen Reanimation Hilfe holen bzw. organisieren.
ans Gewebe erschwert wird, dass eine Hyperos- Bei den für professionelle Helfer konzipierten
molarität und eine Hypernatriämie entstehen, Maßnahmen wird dagegen zwischen Erwachse-
mehr CO2 produziert wird (mit Diffusion von nen, Kindern (> 1 Jahr bis zum Beginn der Pu-
CO2 nach intrazellulär und dadurch Verstärkung bertät), Säuglingen und frisch Geborenen un-
der intrazellulären Acidose) und dass schließ- terschieden.
lich die Wirkung gleichzeitig verabreichter Ca- Bei der kardiopulmonalen Reanimation von
techolamine abgeschwächt wird, da Natriumbi- Säuglingen und Kindern gelten auch für profes-
carbonat negativ inotrop wirkt. sionelle Helfer im Prinzip vergleichbare Richtli-
Eine Bicarbonatgabe kann erwogen werden, nien für die kardiopulmonale Reanimation, wie
falls während oder nach einer Reanimation der sie für Erwachsene vorstehend beschrieben
pH-Wert unter 7,1 liegt bzw. der BE negativer wurden. Es sind jedoch folgende Besonderhei-
ist als –10. Es wird dann ggf. eine Dosierung ten zu beachten:
von 50 ml 8,4%ige Natriumbicarbonatlösung ● Reanimation:

empfohlen, die u. U. wiederholt werden kann. Bei Kindern sollten professionelle Helfer die
Eine Acidose sollte jedoch nie ganz ausgegli- Reanimation mit 5 Atemhüben beginnen.
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 543

Treten Beatmungsprobleme auf, dann muss


der Mund des Kindes geöffnet und sichtbare keine Reaktion?
Fremdkörper müssen entfernt werden. Es
sollte allerdings nicht blind der Mund ausge- um Hilfe rufen
wischt werden, da hierbei ein tief sitzender,
nicht erkennbarer Fremdkörper noch tiefer
in die Atemwege vorgeschoben werden Atemwege freimachen
könnte. Gegebenenfalls muss auch die Kopf-
position optimiert werden. Anschließend
sollten – falls mindestens 2 professionelle keine normale Atmung?
Helfer anwesend sind – Herzdruckmassage
und Beatmung im Verhältnis 15 : 2 erfolgen 5 Beatmungen
(Abb. 8-23).
(Ist lediglich ein professioneller Helfer anwe-
send, so kann dieser ggf. auch ein Verhältnis immer noch keine Reaktion?
(kein Kreislaufzeichen)
von 30 : 2 anwenden, insbesondere dann,
falls die häufigeren Wechsel zwischen Beat-
mung und Herzdruckmassage zu einer Ver- 15 Thoraxkompressionen
minderung der Herzkompressionen pro Zeit 2 Beatmungen
führen würden.) Die Kompressionsfrequenz
sollte ca. 100/min betragen. Dass bei Kin-
dern primär beatmet wird, während bei Er- Verständigen Sie nach 1 Minute CRP das
Reanimationsteam, führen Sie die CRP fort
wachsenen sofort mit der Herzdruckmassage
begonnen wird, ist dadurch zu erklären, dass
bei Kindern ein Herzstillstand meist Folge Abb. 8-23 Lebensrettende Basismaßnahmen bei Kin-
dern für professionelle Helfer
eines primären Atemstillstandes ist, während
bei Erwachsenen meist primär ein Herz-
kreislaufstillstand vorliegt. Bei Säuglingen ist auch vom professionellen
Bei Kindern < 1 Jahr erfolgt die Beatmung Helfer die Arteria carotis (wegen des kurzen
mit dem weit geöffneten Mund gleichzeitig Halses) schwierig zu tasten. Es wird empfoh-
über Mund und Nase des kleinen Patienten. len, den Puls im Bereich der Arteria brachia-
Bei Kindern > 1 Jahr wird eine Mund-zu- lis (etwas proximal der Ellenbeuge in der
Mund-Beatmung empfohlen. Sobald die Oberarminnenseite) zu tasten.
Atemwege durch einen Tubus gesichert sind, Bei Kindern wird nach dem Karotispuls ge-
sollte mit einer Frequenz von 12–20 Atem- tastet.
hüben pro Minute beatmet werden – ohne ● Insufflation:

Unterbrechung während der Herzdruckmas- Die Insufflation eines Beatmungshubes sollte


sage. bei Säuglingen und Kindern ca. 1–1,5 Se-
● Kreislauf: kunden dauern. Ein Beatmungshub ist dann
Die Beurteilung, ob ein Kreislauf vorhanden effektiv, wenn sich der Thorax des Kindes
ist oder nicht, sollte nicht länger als 10 Se- ähnlich stark hebt und senkt wie bei der
kunden dauern. Als indirekte Kreislaufzei- Spontanatmung. Zum Freimachen und Frei-
chen sind Bewegungen, Husten, normales halten der Atemwege sollte beim Kind der
Atmen (nicht jedoch eine Schnappatmung) Kopf überstreckt und das Kinn angehoben
zu werten. Nur der professionelle Helfer soll- werden. Beim Säugling sollte der Kopf in
te auch nach direkten Kreislaufzeichen, das Neutralposition gehalten und nur das Kinn
heißt nach einem tastbaren Puls suchen. angehoben werden.
544 8  Notfallmedizin

● Herzdruckmassage: →  S. 528) sofort Hilfe zu organisieren (da-


Bei Kindern und Säuglingen sollte mit der mit möglichst frühzeitig ein Defibrillator
Herzdruckmassage bereits begonnen wer- verfügbar ist) und erst danach ist mit den
den, wenn die Herzfrequenz unter 60 Schlä- Reanimationsmaßnahmen zu beginnen.
ge/min beträgt und eine schlechte Perfusion ● Medikamentengabe:
vorliegt oder falls keine Kreislaufzeichen vor- Falls die Anlage eines intravenösen Zugangs
handen sind oder falls sich der Helfer nicht nicht gelingt (es sollten zuvor maximal 3 Ver-
sicher ist, ob Kreislaufzeichen vorliegen. suche einer Venenpunktion vorgenommen
Das Sternum sollte beim Säugling und beim werden), kann auch eine (spezielle) Stahlka-
Kleinkind im unteren Drittel um ca. ⅓ der nüle bis in die Spongiosa des medialen
Thoraxtiefe eingedrückt werden. Schienbeinkopfes (der Tibia) eingestochen
Bei Säuglingen sollte der Thorax – falls 2 oder werden. Über eine solche Kanüle kann eine
mehrere professionelle Helfer anwesend sind intraossäre Infusion oder Transfusion oder
– mit beiden Händen jeweils von einer Seite die Gabe von Medikamenten vorgenommen
umgriffen werden, wobei die Daumen ne- werden. Für die intraossäre Gabe von Medi-
beneinander im unteren Drittel des Ster- kamenten werden die gleichen Dosen wie für
nums, die restlichen 4 Finger als Widerlager die intravenöse Gabe empfohlen. Die Wir-
auf dem Rücken des Säuglings zu liegen kom- kung tritt ähnlich schnell auf wie nach intra-
men. Die Daumen sollten hierbei zum Kopf venöser Gabe. Nach jeder intravenösen Me-
des Säuglings zeigen. Die Herzdruckmassage dikamentengabe sollte ein Bolus isotonischer
erfolgt dann mit den Daumen. Ist nur 1 pro- Kochsalzlösung nachinjiziert werden, damit
fessioneller Helfer anwesend, wird eine Herz- das Medikament schneller in die zentrale
druckmassage mit 2 Fingern (dem zweiten Zirkulation ausgeschwemmt wird.
und dritten Finger oder vierten und fünften ● Adrenalin:
Finger) empfohlen. Hierbei wird im unteren Bei Säuglingen und Kindern wird Adrena-
Drittel des Sternums gedrückt. lin in einer Dosierung von 0,01 mg/kg KG (=
Bei Kindern wird meist mit einem Handbal- 0,1 ml/kg KG einer 1 : 10 verdünnten Lösung)
len im Bereich des unteren Sternumdrittels intravenös oder intraossär empfohlen. Gege-
die Herzdruckmassage durchgeführt. Bei benenfalls Dosiswiederholung alle 3–5 Mi-
größeren Kindern oder bei kleinen Helfern nuten. Für die endotracheale Gabe (die nur
kann die Herzdruckmassage auch beidhän- durchgeführt werden sollte, falls im Moment
dig (wie bei Erwachsenen; →  S. 531) durch- noch keine intravenöse oder intraossäre In-
geführt werden. jektion möglich ist) werden 0,1 mg/kg KG
● Anzahl Helfer: (0,1 ml/kg KG der unverdünnten Lösung)
Sind 2 Helfer anwesend, dann beginnt einer empfohlen. Intratracheal applizierte Medi-
mit der Reanimation und der andere organi- kamente sollten mit NaCl 0,9 % auf 5 ml ver-
siert zuerst Hilfe. Falls nur 1 Helfer anwesend dünnt werden.
ist, muss zuerst ca. 1 Minute reanimiert wer- ● Atropin:
den, bevor Hilfe organisiert werden soll. Ein Bei einer Bradykardie wird Atropin in einer
Säugling oder Kleinkind kann ggf. auf dem Dosierung von 0,02 mg/kg KG empfohlen
Arm mitgenommen werden, solange Hilfe (Minimaldosis 0,1 mg; Maximaldosis 0,5 mg
organisiert wird. Nur falls beobachtet wird, beim Säugling bzw. Kind), falls Suprarenin®
wie ein Kind plötzlich kollabiert und falls erfolglos ist. Die Dosis kann ggf. einmal wie-
ausnahmsweise von einem primären Herz- derholt werden.
Kreislauf-Stillstand aufgrund von Herz- ● Amiodaron oder Lidocain:
rhythmusstörungen ausgegangen werden Bei Kammerflimmern oder pulsloser Kam-
muss, dann ist (wie bei Erwachsenen auch; mertachykardie wird Amiodaron (alternativ
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 545

als Medikament der zweiten Wahl auch Li- ist im Prinzip wie bei Erwachsenen in folgen-
docain) beim Säugling und Kind in einer der Reihenfolge vorzugehen: Ergibt sich bei
Dosierung von 5 mg/kg KG (bzw. 1 mg/ der Rhythmusdiagnostik ein defibrillierbarer
kg KG) intravenös oder intraossär empfoh- Rhythmus (Kammerflimmern oder pulslose
len. Gegebenenfalls kann diese Dosis wie- Kammertachykardie), dann sind sofort die
derholt werden. erste Defibrillation und danach unverzüglich
● Natriumbicarbonat: für 2 Minuten eine kardiopulmonale Reani-
Die routinemäßige Gabe von Natriumbicar- mation (CPR) durchzuführen. Im Anschluss
bonat während der Reanimation oder nach ist wiederum eine Rhythmusdiagnostik und
Wiedereinsetzen eines spontanen Kreislaufs ggf. sofort danach die zweite Defibrillation
wird nicht empfohlen. Lediglich, wenn das gefolgt von einer 2-minütigen CPR durchzu-
Kind intubiert und ausreichend ventiliert ist führen. Ergibt die erneute Rhythmusdiagno-
sowie eine effektive Herzdruckmassage stik wiederum einen defibrillationswürdigen
durchgeführt wird, kann bei einem längeren Rhythmus, dann ist Adrenalin zu injizieren
Kreislaufstillstand die langsame intravenöse und danach die dritte Defibrillation gefolgt
oder intraossäre Gabe von Natriumbicarbo- von einer 2-minütigen CPR durchzuführen.
nat erwogen werden (ca. 1 mmol/kg KG Na- Danach ist die Adrenalingabe ggf. alle 3–5
triumbicarbonat). Falls möglich, sollte die Minuten zu wiederholen. Ergibt sich bei der
Dosierung anhand einer Blutgasanalyse ori- nächsten Rhythmusdiagnostik wiederum ein
entiert werden. defibrillationswürdiger Rhythmus, dann ist
● Defibrillation: Amiodaron zu verabreichen und sofort da-
Die Empfehlungen für den Einsatz eines au- nach die vierte Defibrillation durchzuführen
tomatischen externen Defibrillators (AED; (vgl. Abb. 8-24).
→  S. 533) gelten für Erwachsene sowie für ● Volumengabe:

Kinder (> 1 Jahr). Eine Defibrillation (wegen Bei unzureichender Perfusion sollte Säug-
Kammerflimmern oder pulsloser Kammer- lingen und Kindern ein Bolus an isotoner
tachykardie) ist bei Kindern extrem selten kristalloider Lösung von 20 ml/kg KG verab-
notwendig. Für viele AED-Geräte gibt es in- reicht werden. Glucosehaltige Lösungen
zwischen spezielle Kinderelektroden oder sollten hierbei vermieden werden, um eine
ein Programm, über das die Energieabgabe schädliche Hyperglykämie zu vermeiden
auf 50–75 J begrenzt werden kann. Falls kein (Ausnahme nur, falls eine Hypoglykämie
solches Gerät und kein manueller Defibrilla- vorliegt). Nach jeder Reanimation sollte eng-
tor verfügbar ist, kann bei Kindern auch ein maschig die Blutzuckerkonzentration kon-
herkömmliches AED-Gerät verwendet wer- trolliert werden.
den. Bei Säuglingen und Kindern < 10 kg KG ● Asystolie, Bradykardie und elektromechani-

werden Elektroden bzw. Paddels mit 4,5 cm sche Entkoppelung:


Durchmesser und bei Kindern > 10 kg KG Nicht defibrillierbare Rhythmen wie Asy-
Elektroden bzw. Paddels mit einem Durch- stolie, Bradykardie (< 60 Schläge/min ohne
messer von 8–12 cm empfohlen. Bei der De- Kreislaufzeichen) und pulslose elektrische
fibrillation mit einem manuellen Defibrilla- Aktivität werden mit Adrenalin (Dosierung
tor werden (sowohl bei der monophasischen →  S. 544) behandelt.
als auch bei der biphasischen Defibrillation)
für sämtliche Defibrillationen 4 J/kg KG Bei einer Verlegung der Atemwege ist bei Kin-
empfohlen. Stets ist darauf zu achten, dass dern so vorzugehen, wie in Abbildung 8-25 dar-
die beiden Defibrillationspaddel keinen di- gestellt. Dieses Vorgehen ist sehr ähnlich dem-
rekten Kontakt miteinander haben. Sind wie- jenigen, das für Erwachsene empfohlen wird
derholte Defibrillationen notwendig, dann (vgl. Abb. 8-17).
546 8  Notfallmedizin

keine Reaktion?

mit Basismaßnahmen beginnen


(oxygenieren und ventilieren)
Reanimationsteam
verständigen
CPR 15 : 2 bis Defibrillator und
EKG-Monitor angeschlossen

EKG-Rhythmus
beurteilen

VF oder pVT: während der CPR: Asystolie oder PEA:


Schock empfohlen • reversible Ursachen* beseitigen kein Schock empfohlen
• Elektrodenposition und -kontakte
überprüfen
• schnellstmöglich:
i. v. Zugang legen und überprüfen,
1 Schock
Atemwege sichern und überprüfen,
4 J/kg KG oder AED Sauerstoffgabe sichern und überprüfen
(Energieanpassung • sobald Atemwege gesichert sind,
wenn möglich) Herzdruckmassage ohne Unterbrechung
• Adrenalin alle 3–5 min (bei Asystolie oder
PEA: 1. Gabe so früh wie möglich;
bei VF oder pVT: 1. Dosis nach erfolglosem
sofort CPR weiterführen 2. Schock) sofort CPR weiterführen
(15 : 2) für 2 min • erwägen: Amiodaron, Atropin, Magnesium (15 : 2) für 2 min

* reversible Ursachen: Hypoxie, Hypovolämie, Hypo- oder Hyperkaliämie, metabolische Störungen,


Herzbeuteltamponade, Intoxikation, Thromboembolie, Spannungspneumothorax

Abb. 8-24 Handlungsanweisungen für erweiterte lebensrettende Maßnahmen bei Säuglingen und Kindern.


AED = automatischer externer Defibrillator; CPR = kardiopulmonale Reanimation; PEA = pulslose elektrische
Aktivität = elektromechanische Entkoppelung.

Die Empfehlungen für Säuglinge und Kinder kompressionen sollte ein Säugling in Rückenla-
unterscheiden sich von den Empfehlungen für ge (mit dem Kopf nach unten) im Schoß gehal-
Erwachsene (→  S. 535) vor allem darin, dass ten werden. Bei den Rückenschlägen sollte mit
bei Säuglingen keine (!) abdominalen Kompres- dem Handballen zwischen die Schulterblätter
sionen (Heimlich-Manöver) durchgeführt wer- geschlagen werden. Ein Säugling sollte hierzu in
den sollen (wegen erhöhter Verletzungsgefahr Bauchlage (mit dem Kopf nach unten) im Schoß
von Abdominalorganen). Anstatt der abdomi- gehalten werden. Das kleine Kind kann ggf. für
nalen Kompressionen sollten bei Säuglingen die Rückenschläge wie ein Säugling gelagert
Thoraxkompressionen durchgeführt werden. werden, das größere Kind sollte – wie eine Er-
Diese sollten den Thoraxkompressionen wäh- wachsener – hierzu in eine vornübergebeugte
rend der Herzdruckmassage ähneln. Sie sollten Haltung gebracht werden.
aber kräftiger und mit langsamerer Frequenz Gegebenenfalls sind 5 Rückenschläge und 5 ab-
durchgeführt werden. Während der Thorax- dominale Kompressionen bei Kindern bzw. 5
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 547

Schweregrad der Atemwegsverlegung beurteilen

mäßige schwere
Atemwegsverlegung Atemwegsverlegung
(effektiver Hustenstoß) (ineffektiver Hustenstoß)

zum Husten auffordern bewusstlos bei Bewusstsein

Zustand des Patienten Freimachen der 5 Schläge auf den


fortlaufend prüfen Atemwege Rücken zwischen
5 Beatmungen die Schulterblätter*
CPR beginnen
Verlegung der Situation
Atemwege löst verschlechtert sich, 5 Kompressionen:
sich auf Hustenstoß • bei Säuglingen:
wird ineffektiv Thoraxkompres-
sionen
• bei Kindern
> 1 J.: Heim-
lich-Manöver*

ggf.

* Sobald der Fremdkörper entfernt werden konnte, sind keine weiteren Schläge zwischen die Schulterblätter
bzw. Heimlich-Manöver (bzw. Thoraxkompressionen beim Säugling) notwendig.

Abb. 8-25 Empfehlungen zur Beseitigung einer Atemwegsverlegung durch Fremdkörper bei Säuglingen und
Kindern

Rückenschläge und 5 Thoraxkompressionen durchzuführen. Erst nach einer ca. 1-minütigen


bei Säuglingen wiederholt zu verabreichen, Reanimation darf der Säugling oder das Kind
bis die Atemwege frei sind oder das Kind bzw. ggf. kurz verlassen werden, um Hilfe zu organi-
der Säugling bewusstlos wird. Das Kind bzw. sieren.
der Säugling soll in dieser Phase nicht allein
gelassen werden, um Hilfe zu organisieren.
Falls sich Bewusstlosigkeit einstellt, sollte der Reanimationsmaßnahmen
Mund kontrolliert und ein sichtbarer Fremd- bei Neugeborenen
körper entfernt werden. Ist kein Fremdkörper
erkennbar, dann sollte der Mund nicht blind Falls bei einem Neugeborenen eine Interven­
ausgestreift werden, da hierdurch ein evtl. vor- tion notwendig wird, reicht zumeist eine allei-
handener Fremdkörper noch tiefer in die nige assistierte Lungenbelüftung aus. Nur sel­-
Atemwege geschoben werden könnte. Nun ten wird eine zusätzliche Herzdruckmassage
sollte wie bei einer kardiopulmonalen Reani- notwendig. Falls Reanimationsmaßnahmen
mation vorgegangen werden, das heißt nach 5 notwendig werden, so sollte das Neugeborene
initialen Atemhüben ist eine altersentspre- hierzu unter einen Wärmestrahler platziert
chende Herzdruckmassage und Beatmung werden.
548 8  Notfallmedizin

Beurteilung des Neugeborenen Ein Absaugen ist nur notwendig, wenn Frucht-
wasser oder Blut die Atemwege verlegt. Ein
Bei einem Neugeborenen sind vor allem folgen- schlaffes, avitales Neugeborenes, das aus meko-
de Parameter zu beurteilen: niumgefärbtem Fruchtwasser geboren wird,
● Atmung? sollte intubiert und tracheal abgesaugt werden.
Es ist zu klären, ob eine Atmung vorhanden Während der initialen Beatmungshübe sollte
ist, ob sie seitengleich ist oder ob sich ein pa- ein inspiratorisches Plateau über jeweils 2–3 Se-
thologisches Atemmuster zeigt. kunden aufrechterhalten werden. Dies erleich-
● Herzfrequenz? tert die Lungenentfaltung und die Ausbildung
Zur Beurteilung der Herzfrequenz sollte mit einer funktionellen Residualkapazität. Als initi-
dem Stethoskop im Bereich der Herzspitze aler Beatmungsdruck reichen meist 20–25
abgehört werden. Unter Umständen kann cm H2O aus. Bei manchen Neugeborenen sind
auch an der Nabelschnur ein Puls getastet jedoch initiale Spitzendrücke von 30–40 cm H2O
werden (meist allerdings nur bei einer Herz- (oder höher) notwendig. Danach sollte mit ca.
frequenz > 100 Schläge/min). 30 Atemhüben pro Minute weiterbeatmet wer-
● Hautkolorit? den, wobei ein Atemhub ca. 1 Sekunde dauern
Unmittelbar nach der Geburt ist das Neuge- sollte. Eine adäquate Beatmung führt zumeist
borene zyanotisch. Es sollte jedoch innerhalb zu einem schnellen Anstieg der Herzfrequenz
von ca. 30 Sekunden rosig werden. Es ist zu auf > 100 Schläge/min. Der Thorax sollte sich
klären, ob das Kind zentral (z. B. Lippen, bei der Beatmung adäquat heben und senken.
Zunge) rosig, zyanotisch oder blass ist. Vor Beginn einer Herzdruckmassage müssen
● Muskeltonus? die Lungen stets ausreichend entfaltet werden.
Ein schlaffes (hypotones) Neugeborenes be-
nötigt zumeist eine respiratorische Unter-
stützung. Kreislaufunterstützung
● Reaktion auf taktile Reize?

Ein Abtrocknen des Neugeborenen reicht Falls trotz adäquater Entfaltung und Belüftung
normalerweise als Stimulus für eine effektive der Lungen die Herzfrequenz < 60 Schläge/min
Spontanatmung aus. Bleibt die Spontanatmung beträgt, ist mit der Herzdruckmassage zu be-
trotz dieser taktilen Stimulation unzureichend, ginnen. Hierbei wird idealerweise – wie bei der
sind weitere unterstützende Maßnahmen not- Säuglingsreanimation beschrieben – der Tho-
wendig. rax des Neugeborenen mit beiden Händen um-
griffen und mit den beiden, nebeneinander lie-
Falls das Neugeborene unmittelbar nach der genden Daumen das untere Drittel des Sternums
Geburt keine ausreichende Spontanatmung um ca. ⅓ des anterior-dorsalen Thoraxdurch-
entwickelt oder die Herzfrequenz < 100 Schlä- messers komprimiert. Es sollte ein Kompressi-
ge/min beträgt, dann sollte mit Reanimations- ons/Ventilations-Verhältnis von 3 : 1 angestrebt
maßnahmen, das heißt mit der Beatmung be- werden, wobei ca. 120 Maßnahmen pro Minute
gonnen werden (vgl. Abb. 8-26). (ca. 90 Kompressionen und 30 Beatmungen)
durchgeführt werden sollten. Nach ca. 30 Se-
kunden CPR sowie regelmäßig danach sollte
Atemwege, Atmung, Beatmung die Herzfrequenz kontrolliert werden und falls
sie > 60 Schläge/min beträgt, kann die Herz-
Das Neugeborene sollte in Rückenlage mit dem druckmassage beendet werden.
Kopf in Neutralposition gelagert werden. Zur
korrekten Kopflagerung kann ein ca. 2 cm di­
ckes Betttuch unter die Schulter gelegt werden.
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 549

Geburt

Routinemaßnahmen:
• reifes Neugeborenes?
ja • Neugeborenes warm halten
• Fruchtwasser klar?
• abtrocknen
• Spontanatmung oder Schreien?
• ggf. Mund und Nase absaugen
• guter Muskeltonus
• Hautfarbe beurteilen (2)
nein

• Neugeborenes warm halten


• Lagerung (Neutralposition)
• ggf. Mund und Nase absaugen (1)
• abtrocknen, stimulieren
• Lagerung überprüfen

Atmung, Herzfrequenz,
Hautfarbe und Muskeltonus
beurteilen
Apnoe oder Herzfrequenz < 100/min

beatmen (1/2)

Herzfrequenz < 60/min


sicherstellen, dass die Lungen effektiv
belüftet sind (1/2)
dann zusätzlich Herzdruckmassage

Herzfrequenz < 60/min


Adrenalin etc. erwägen

1) eine endotracheale Intubation kann auf verschie-


denen Stufen des Algorithmus erwogen werden
2) bei anhaltender Zyanose ist stets die Gabe von
Sauerstoff zu erwägen

Abb. 8-26 Handlungsanweisung für lebensrettende Maßnahmen bei Neugeborenen

Medikamente ist eine möglichst herznahe Gabe wichtig. Ide-


alerweise ist rasch ein Nabelvenenkatheter zu
Medikamente werden bei einer Neugeborenen- legen.
reanimation nur selten benötigt. Zumeist ist
eine Bradykardie bei Neugeborenen Folge einer Adrenalin
Hypoxie und kann daher auch durch eine ad- Steigt die Herzfrequenz trotz adäquater Beat-
äquate Ventilation schnell behoben werden. mung und Herzdruckmassage nicht > 60 Schlä-
Falls Medikamente verabreicht werden sollen, ge/min an, sollte Adrenalin in einer Dosis von
550 8  Notfallmedizin

10–30 µg/kg KG (= 0,1–0,3 ml/kg KG der 1 : 10 Verletzungen durch eine kardiopulmonale Re-
verdünnten Lösung) intravenös verabreicht animation treten vor allem bei fehlerhafter
werden. Falls ausnahmsweise Adrenalin endo- Technik oder bei alten Patienten mit brüchigen
tracheal verabreicht wird (obwohl dies nicht Knochen auf.
offiziell empfohlen wird), dann sollten bis zu
100 µg/kg KG (= 0,1 ml/kg KG der unverdünn-
ten Lösung) gegeben werden. Behandlung nach CPR
Natriumbicarbonat Nach einer Reanimation ist der Patient oft durch
Falls unter eine suffizienten CPR kein Spon- einen hypoxischen Hirnschaden (aufgrund ei-
tankreislauf auftritt, kann zur Korrektur der ner Störung der zerebralen Autoregulation und
myokardialen Acidose ggf. Natriumbicarbonat einer Abnahme des zerebralen Blutflusses) so-
(1–2 mmol/kg KG i. v.) verabreicht werden. wie durch Herzrhythmusstörungen, einen
erneuten Herzstillstand, Störungen des Blutzu­
Flüssigkeit ckerhaushalts und der Elektrolytkonzentra­
Besteht der Verdacht auf eine Hypovolämie tionen, eine Hypotonie, Hypoxie und/oder Hy-
bzw. einen Blutverlust (Blässe, schlechte Durch- perkapnie bedroht. Der Patient muss deshalb
blutung, schwache Pulse), dann sollte eine iso- auf die Intensivstation verlegt werden.
tone kristalloide Lösung (ca. 10–20 ml/kg KG)
verabreicht werden. Eine isotone kristalloide
Lösung ist einer Proteinlösung vorzuziehen. Therapieziele
Falls verfügbar, kann bei einem Blutverlust auch
bestrahltes, leukozytendepletiertes Rhesusfak- ● Stabilisierung des Kreislaufs:
tor-negatives Blut der Blutgruppe 0 gegeben Wie hoch der anzustrebende Blutdruck sein
werden. soll, ist nicht genau bekannt. Vermutlich ist
ein Wert anzustreben, der für den Patienten
normal ist. Es muss ein ausreichender zere-
Erfolgskontrolle während CPR braler und koronarer Perfusionsdruck ange-
strebt werden. Außerdem muss eine ausrei-
● Der Thorax hebt und senkt sich während der chende Diurese erzielt werden.
Atemspende. Bei der passiven Ausatmung ist ● kontrollierte Beatmung:

mit dem angenäherten Ohr die Luft zu hören Für paO2, paCO2 und SaO2 sind Normalwerte
und zu fühlen, die aus der Nase entweicht. anzustreben.
● Die Hautfarbe wird wieder rosiger. ● Sedierung

● Der Karotispuls ist tastbar. sowie Prophylaxe bzw. Therapie von zerebra-
● Der Patient bewegt sich. len Krämpfen, z. B. mit einem Benzodiaze-
● Vorher weite Pupillen werden wieder enger. pin, Propofol, Phenytoin oder Barbituraten
● Eine spontane Herzaktion setzt wieder ein. (z. B. Phenobarbital)
● Eine Spontanatmung setzt wieder ein. ● Verhinderung eines Fieberanstiegs:

Ein Fieberanstieg ist unbedingt zu vermei-


den (ggf. durch Antipyretika, physikalische
Komplikationen Kühlung), denn durch Erhöhung der Kör-
pertemperatur um 1 °C nimmt der Stoff-
● Sternum- und Rippenfrakturen wechsel und damit der Sauerstoffbedarf auch
● Pneumothorax, Hämatothorax des Gehirns um ca. 7 % zu.
● Leber- und Milzverletzungen Bei Patienten, die außerhalb des Kranken-
● Herzkontusion hauses erfolgreich reanimiert wurden und
8.7  Lebensrettende Sofortmaßnahmen 551

die noch bewusstlos sind, sollte für die druck. Ein Abfall des arteriellen Blutdrucks
nächs­ten 12–24 Stunden eine mäßige Küh- bedeutet nun einen Abfall der Hirndurch-
lung auf 32–34 °C erreicht werden. Dadurch blutung. Es ist daher ein Blutdruck anzustre-
kann das neurologische Outcome verbessert ben, der für den Patienten normal ist.
werden. Durch Gabe von 30 ml/kg KG eis-
kalter 0,9%iger NaCl-Lösung kann die Kör-
perkerntemperatur ggf. um 1,5 °C gesenkt Beendigung
werden.
● Blutzuckerkonzentration zwischen 80 und Etwa 75 % der Reanimationen sind erfolglos.
110 mg/dl: Solange ein Kammerflimmern nachweisbar ist,
Da eine Hyperglykämie bzw. starke Schwan- sollte eine (korrekterweise) begonnene Reani-
kungen der Blutzuckerkonzentration das mation fortgeführt werden. Besteht für > 20 Mi-
neurologische Outcome verschlechtern, ist nuten eine Asystolie, obwohl alle erweiterten
ggf. eine sog. intensivierte Insulintherapie Reanimationsmaßnahmen versucht wurden,
durchzuführen, um eine Blutzuckerkonzen- und liegen keine beseitigbaren Ursachen für
tration von 80–110 mg/dl anzustreben. den Herzkreislaufstillstand vor, dann kann die
● Kontrolle der Laborwerte und Anstreben Reanimation eingestellt werden. Wann eine Re-
von Normalwerten für: animation beendet werden kann, hängt auch
– pH-Wert davon ab, wie viel Zeit zwischen Eintritt des
– Hämatokrit Herzstillstandes und Beginn der Reanimation
– Serumalbumin bzw. Durchführung der Defibrillation vergan-
– Serumelektrolyte: gen ist und was für Begleiterkrankungen der
Insbesondere eine meist drohende Hypo- Patient hat.
kaliämie ist zu vermeiden, da hierdurch Falls ein Neugeborenes länger als 10 Minuten
Herzrhythmusstörungen begünstigt wer- reanimiert wird, ohne dass sich Lebenszeichen
den. Es sollte eine Kaliumkonzentration einstellen, dann muss entweder mit einer hohen
von 4–4,5 mmol/l angestrebt werden. Mortalität oder mit schweren entwicklungsneu-
● Optimierung der neurologischen Erholung: rologischen Behinderungen gerechnet werden.
Da die zerebralen Autoregulationsmechanis- Daher kann es statthaft sein, eine Neugebore-
men (→  S. 267) nach einer Reanimation nenreanimation abzubrechen, wenn nach
stark gestört sind, wird die Hirndurchblu- 10-minütiger adäquater Reanimation keine Le-
tung direkt abhängig vom arteriellen Blut- benszeichen erkennbar sind.
553

9 Anhang

9.1 Normalwerte 9.1.2 Elektrolyte

9.1.1 Blutgasanalyse Natrium 135–145 mmol/l


Kalium    3,5–5 mmol/l
Eine Blutgasanalyse (= BGA) kann arteriell, ka- Calcium gesamt    2,15–2,58 mmol/l
pillär, zentralvenös oder gemischtvenös (→  S. Calcium ionisiert    1,16–1,32 mmol/l
399) abgenommen werden. Die Abnahme aus
Chlorid   98–109 mmol/l
einer peripheren Vene zur Beurteilung der Blut-
gase ist nicht vertretbar!
● alte Nomenklatur:

mm Hg 9.1.3 Gerinnung
● neue Nomenklatur:

kPa (Kilopascal) Quick-Wert 70–100 %


● Umrechnungsfaktor:

7,5 (kPa × 7,5 = mm Hg) INR   0,85–1,15


PTT 26–37 s
paO2 20 Jahre 97 ± 3 mm Hg 12,9 ± 0,4 kPa
40 Jahre 92 ± 5 mm Hg 12,2 ± 0,7 kPa
60 Jahre 83 ± 5 mm Hg 11,3 ± 0,7 kPa 9.1.4 Leberwerte
80 Jahre 75 ± 5 mm Hg 10,0 ± 0,7 kPa
ASAT (Aspartat-Aminotransferase):
(früher SGOT = Serum-Glutamat-Oxalacetat-
pzvO2 40 ± 5 mm Hg 5,3 ± 0,7 kPa
Transferase)
paCO2 40 ± 5 mm Hg 5,3 ± 0,7 kPa Männer: < 50 U/l; Frauen: < 35 U/l
pzvCO2 46 ± 5 mm Hg 6,1 ± 0,7 kPa ALAT (Alanin-Aminotransferase):
(früher SGPT = Serum-Glutamat-Pyruvat-Transferase)
Sättigung arteriell 97 % Männer: < 50 U/l; Frauen: < 35 U/l

Sättigung gemischt- oder 75 % SLDH (Serum-Lactatdehydrogenase):


zentralvenös 80–240 U/l

Standardbicarbonat- 21–25 mmol/l


konzentration (= StB)
Base excess (= BE) ± 3 mmol/l
pH-Wert 7,4 ± 0,04
554 9  Anhang

9.1.5 Sonstige Laborwerte 9.1.7 Blutbild


Parameter Normalwerte Hämoglobin (= Hb) Männer 14–18 g %
Leukozyten 4 000–15 000/mm3 Frauen 12–16 g %
Thrombozyten 130 000–400 000/mm3 Hämatokrit (= Hkt) Männer 43–49 %
Frauen 36–45 %
Fibrinspaltprodukte < 10 mg/dl
Lactat < 1,8 mmol/l Thrombozyten 130 000–400 000/mm3
(arterielles Blut)
Kreatinin Männer: < 106 µmol/l
bzw. < 1,2 mg/dl 9.1.8 Hämodynamische
Frauen: < 80 µmol/l
bzw. < 0,9 mg/dl
Parameter
Harnstoff 1,7–8,3 mmol/l
bzw. 10–50 mg/dl Parameter Normal- Durch-
Lipase < 60 U/l bereich schnitts-
wert
Alpha-Amylase Serum: < 100 U/l
Urin: < 460 U/l Herzfrequenz (= HF) 60–100/min
CK (Kreatinkinase) Männer: < 190 U/l Arterieller
Frauen: < 170 U/l Blutdruck
● systolisch 90–140 mm Hg 130 mm Hg
CK-MB < 24 U/l (Verdacht auf Herz-
● diastolisch 60–  90 mm Hg   70 mm Hg
(herzspezifische infarkt bei CK-MB > 6–10 %
● Mitteldruck 70–105 mm Hg   85 mm Hg
Kreatinkinase) der CK)
HBDH (Hydroxybuty- 72–182 U/l Zentraler 1–10 mm Hg    5 mm Hg
rat-Dehydrogenase) Venendruck
Proteine 6–8 g/l Rechter Vorhof 1–10 mm Hg    5 mm Hg
(Gesamteiweiß) Rechter Ventrikel
Bilirubin gesamt < 1,1 mg/dl ● systolisch  17–32 mm Hg   25 mm Hg
● enddiastolisch    1–  7 mm Hg    4 mm Hg
Bilirubin indirekt < 0,9 µmol/l
Bilirubin direkt < 0,3 µmol/l Pulmonalarterie
● systolisch  17–32 mm Hg   25 mm Hg
AT (Antithrombin) 75–125 % ● enddiastolisch   4–13 mm Hg    9 mm Hg
Cholinesterase Männer: 4,3–11,3 kU/l ● Mitteldruck   9–19 mm Hg   15 mm Hg
Frauen: 5,3–12,9 kU/l Pulmonalkapillärer   4–13 mm Hg    9 mm Hg
Alkalische Phospha- Männer: < 129 U/l Verschlussdruck
tase Frauen: < 104 U/l (= pulmo-capillary
wedge-pressure
γ-GT Männer: < 66 U/l
= PCWP
Frauen: < 39 U/l
= Wedge-Druck)
Linker Vorhof   2–12 mm Hg    8 mm Hg
9.1.6 Blutzucker Herzminuten-   4–8 l/min
volumen (= HMV =
Der Blutzucker (= BZ) wird oft auch aus Kapil- cardiac output)
larblut bestimmt.
● alte Einheit: mg %, mg/dl
● neue Einheit: mmol/l
● Umrechnungsfaktor: 18 (mg % : 18 = mmol)

70–100 mg % 3,9–5,5 mmol/l


9.2  Medikamentenverzeichnis 555

9.2 Medikamentenverzeichnis
Wirkstoff Handelsname Wirkstoff Handelname
Adrenalin Suprarenin® Lidocain Xylocain®
Ajmalin Gilurytmal® Linezolid ZYVOXID®
Alfentanil Rapifen® Mepivacain Meaverin®, Scandicain®
Amiodaron Cordarex® Meropenem Meronem®
Atracurium Tracrium® Methohexital Brevimytal®
Bupivacain Bupivacain, Carbostesin® Metoprolol Beloc®
Buprenorphin TEMGESIG® Metronidazol Clont®
Cefotaxim Claforan® Mezlocillin Baypen®
Ceftazidim Fortum® Midazolam Dormicum®
Ceftriaxon Rocephin® Moxifloxacin Avalox®
Cefuroxim Zinacef® Naloxon Naloxon DeltaSelect
Cimetidin Tagamet Neostigmin Neostigmin
Ciprofloxacin Ciprobay® Nifedipin Adalat®
cis-Atracurium Nimbex® Nitrendipin Bayotensin® akut
Clarithromycin Klacid® Nitroglycerin Trinitrosan®
Clemastin Tavegil Nitroprussidnatrium nipruss®
Clindamycin Sobelin® Noradrenalin Arterenol®
Clonidin Catapresan®, Clonidin®, Pancuronium Pancuronium®
Paracefan® Pethidin Dolantin®
Desfluran Suprane® Phenobarbital Luminal®
Diazepam Valium® Physostigmin Anticholium®
Diclofenac Voltaren® Piperacillin Pipril®
Dikaliumclorazepat Tranxilium® Piritramid Dipidolor®
Dimetinden Fenistil® Prilocain Xylonest®
Dobutamin Dobutamin Solvay® Infus Promethazin Atosil®
Dopamin Dopamin-ratiopharm® Propofol Disoprivan®
Dopexamin Dopacard® Pyridostigmin Mestinon®
Drotrecogin alfa (aktiviert) Xigris® Ranitidin Sostril®
Enoximon Perfan® Remifentanil Ultiva®
Esketamin Ketanest® S Rocuronium Esmeron®
Esmolol Brevibloc® Sevofluran Sevorane®
Etomidat Hypnomidate® Succinyldicholin Pantolax®, Lysthenon®
Famotidin PEPDUL® Sucralfat Ulcogant®
Fentanyl Fentanyl Janssen Sufentanil Sufenta®,
Flunitrazepam Rohypnol® Sufenta® mite
Fosfomycin Infectofos® Theophyllin Bronchoparat®
Furosemid Lasix® Thiopental Trapanal®
Gentamicin Refobacin® Torasemid Torem®, Unat®
Imipenem ZIENAM® Urapidil Ebrantil®
Isofluran Forene® Vancomycin Vancomycin CP Lilly®
Ketamin Ketamin DeltaSelect Vecuronium Norcuron®
556 9  Anhang

9.3 Medizinproduktegesetz Auszug
Das seit dem 01.01.1995 geltende Medizinpro- Gesetz über Medizinprodukte
duktegesetz (MPG) schreibt genau vor, welche (Medizinproduktegesetz – MPG)
Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein
Medizinprodukt (Gerät) eingesetzt werden darf Vom 02.08.1994
(z. B. gültiger Eichstempel). Das MPG schreibt (BGBl [Bundesgesetzblatt] I 1994 S. 1963; 1998
auch ein Anwendungsverbot bei Mängeln vor. S. 2005). (Letzte Änderung vom 07.08.2002)
Außerdem schreibt es vor, dass eine sachgerech- Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bun-
te Handhabung sichergestellt werden muss. Ty- desrates folgende Gesetze beschlossen: ...
pische Mängel bei Medizinprodukten sind:
● defekte Netzstecker und Netzkabel

● nicht funktionierende Alarm- und Sicher-

heitseinrichtungen Erster Abschnitt


● sichtbare und unsichtbare Sturzschäden Zweck, Anwendungsbereich des
● fehlende Zubehörteile Gesetzes, Begriffsbestimmungen
● nicht zugelassene Zubehörteile

● fehlende Zusatzgeräte

● nicht zugelassene Zusatzgeräte § 1  Zweck des Gesetzes


● Fehlfunktion

● defekte Wandanschlüsse Zweck des Gesetzes ist es, den Verkehr mit Me-
dizinprodukten zu regeln und dadurch für die
Voraussetzungen für eine sachgerechte Hand- Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizin-
habung sind: produkte sowie die Gesundheit und den erfor-
● Kenntnis der theoretischen Grundlagen derlichen Schutz der Patienten, Anwender und
● Kenntnis der Bedienungselemente und der Dritter zu sorgen.
dazu gehörenden Funktionen
● Kenntnis des ordnungsgemäßen Zustandes

● Kenntnis der vorgeschriebenen Funktions- § 3  Begriffsbestimmungen


prüfung vor der Anwendung
● Kenntnis der Anwendungsregeln 1. Medizinprodukte sind alle einzeln oder mit-
● Kenntnis der Bedienung und der patientenge- einander verbunden verwendeten Instrumente,
rechten Einstellung Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zuberei-
tungen aus Stoffen oder andere Gegenstände
Da die Gewähr einer sachgerechten Handha- einschließlich der für ein einwandfreies Funk-
bung in evtl. gerichtlichen Auseinandersetzun- tionieren des Medizinproduktes eingesetzten
gen eine wichtige Rolle spielt und bei Missach- Software, die vom Hersteller zur Anwendung
tung des MPG Bußgelder, Geld- und Frei­ für Menschen mittels ihrer Funktionen zum
heitsstrafen angedroht werden, muss der Zwecke
Anwendende von Medizinprodukten den eige- a) der Erkennung, Verhütung, Behandlung oder
nen Kenntnisstand kritisch prüfen und ggf. an Linderung von Krankheiten,
entsprechenden Schulungen und Wiederho- b) ... von Verletzungen oder Behinderungen ...
lungseinweisungen (MPG-Einweisungen) teil- zu dienen bestimmt sind ...
nehmen bzw. diese einfordern.
9.3  Medizinproduktegesetz 557

Zweiter Abschnitt § 13  Klassifizierung


Anforderungen an Medizinprodukte (1) Medizinprodukte werden Klassen zugeord-
net (vgl. Tabelle auf dieser Seite; vom Autor an-
§ 4  Verbote zum Schutz von Patienten, gefügt).
Anwendern und Dritten

(1) Es ist verboten, Medizinprodukte in den


Fünfter Abschnitt
Verkehr zu bringen, zu errichten, in Betrieb zu Vorschriften für das Errichten,
nehmen, zu betreiben oder anzuwenden, wenn Betreiben und Anwenden von
1. der begründete Verdacht besteht, dass sie die Medizinprodukten
Sicherheit und die Gesundheit der Patienten,
der Anwender oder Dritter bei sachgemäßer
§ 22  Vorschriften für das Errichten,
Anwendung, Instandhaltung und ihrer Zweck-
Betreiben und Anwenden aktiver
bestimmung entsprechender Verwendung über
ein nach den Erkenntnissen der medizinischen
Medizinprodukte
Wissenschaften vertretbares Maß hinausgehend
gefährden oder (1) Aktive Medizinprodukte dürfen nur ihrer
2. ihr Verfallsdatum abgelaufen ist. Zweckbestimmung entsprechend, nach den
Vorschriften dieses Gesetzes und hierzu erlas-
sener Rechtsverordnungen, den allgemein an-
§ 8  Voraussetzungen für das erkannten Regeln der Technik sowie den Ar-
Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme beitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften
errichtet, betrieben und angewendet werden.
(1) Medizinprodukte ... gemäß § 11 Abs. 1 sowie Sie dürfen nicht betrieben und angewendet
Medizinprodukte, die zur klinischen Prüfung werden, wenn sie Mängel aufweisen, durch die
bestimmt sind, dürfen im Geltungsbereich die- Patienten, Beschäftigte oder Dritte gefährdet
ses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht und in werden können. Aktive Medizinprodukte dür-
Betrieb genommen werden, wenn sie mit der fen nur von Personen angewendet werden, die
CE-Kennzeichnung ... versehen sind. Über die auf Grund ihrer Ausbildung oder ihrer Kennt-
Beschaffenheitsanforderungen hinausgehende nisse und praktischen Erfahrungen die Gewähr
Bestimmungen, die das Betreiben von Medizin- für eine sachgerechte Handhabung bieten.
produkten betreffen, bleiben unberührt.

Beispiele für die 4 Risikoklassen nach dem Medizinproduktegesetz


4 Risikoklassen für Medizinprodukte nach 18 komplizierten Regeln
Klasse I Klasse IIa Klasse IIb Klasse III
niedrigste Klasse höchste Klasse
Brillenglas Kontaktlinsen Kontaktlinsenpflegemittel Herzklappe
Brillengestell
Stethoskop Atemsystem Beatmungsgeräte Schrittmacher
Atemschlauch
Operationstisch Bakterienfilter Röntgengerät Defibrillator am Herzen
558 9  Anhang

Neunter Abschnitt 9.4 Abkürzungen


Straf- und Bußgeldvorschriften
A
§ 43  Strafvorschriften A. Arteria
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit AaDO2 alveoloarterielle
Geldstrafe wird bestraft, wer Sauerstoffpartialdruckdifferenz
1. entgegen § 4 Abs. 1 Nr. 1 ein Medizinprodukt A/C assistierte/kontrollierte Beatmung
in den Verkehr bringt, errichtet, in Betrieb ACB aortokoronarer Bypass
nimmt, betreibt oder anwendet, ACE angiotensin converting enzyme
2. entgegen §  8 Abs. 1 Satz 1 ein Medizinpro- ACh Acetylcholin
dukt, das den Vorschriften der Strahlenschutz- ACT activated clotting time, aktivierte
verordnung oder der Röntgenverordnung un- Gerinnungszeit
terliegt oder bei dessen Herstellung ionisierende ADH antidiuretisches Hormon
Strahlen verwendet wurden, in den Verkehr AF Atemfrequenz
bringt oder in Betrieb nimmt. AIDS acquired immunodeficiency
syndrome
ALAT Alanin-Aminotransferase
(früher als SGPT bezeichnet)
Zehnter Abschnitt
ALI acute lung injury
Übergangsbestimmungen ALS advanced life support
AMV Atemminutenvolumen
§ 47  Inverkehrbringen, Errichten und APRV airway pressure release ventilation
Betreiben von medizinisch-technischen ARDS acute respiratory distress
Geräten syndrome, akutes Lungenversagen
ASAT Aspartat-Aminotransferase
(1) Medizinisch-technische Geräte gemäß §  2 (früher als SGOT bezeichnet)
Nr. 1, 3 und 4 der Medizingeräteverordnung ASB assisted spontaneous breathing,
vom 14.01.1985 (BGBl. I S. 93), zuletzt geändert unterstützte Spontanatmung
durch Artikel 9 Nr. 8 des Gesetzes vom ATS Antithrombosestrümpfe
26.08.1992 (BGBl. I S. 1564), dürfen, soweit sie
nicht nach den Vorschriften der §§ 8 bis 11 die- B
ses Gesetzes in den Verkehr gebracht werden, BGA Blutgasanalyse
nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie BIPAP biphasic positive airway pressure
den geltenden Vorschriften der Medizingeräte- BLS basic life support
verordnung in der jeweils geltenden Fassung BSV Bandscheibenvorfall
und den sonstigen Voraussetzungen für ihr BUN blood urea nitrogen, im
Inverkehrbringen entsprechen und Leben oder Blutharnstoff enthaltene
Gesundheit oder sonstige in den für medi­ Stickstoffmenge
zinisch-technische Geräte geltenden Rechts­
verordnungen aufgeführte Rechtsgüter der C
Patienten, Anwender oder Dritter bei bestim- CAVHDF kontinuierliche arteriovenöse
mungsgemäßer Verwendung nicht gefährden. Hämodiafiltration
CAVHF kontinuierliche arteriovenöse
Hämofiltration
cCT kranielles Computertomogramm
CK Kreatinkinase
9.4  Abkürzungen 559

CMV continuous mandatory ventilation, H


kontrollierte maschinelle h Stunde(n)
Beatmung Hb Hämoglobin
CO2 Kohlendioxid HCO3– Bicarbonat
COLD chronic obstructive lung HD Hämodialyse
disease, chronisch obstruktive HES Hydroxyethylstärke
Lungenerkrankung HIV human immunodeficiency virus
COX Cyclooxygenase Hkt, HK Hämatokrit
CPAP continuous positive airway HKV Hydrokolloidverband
pressure, kontinuierlicher positiver HLM Herz-Lungen-Maschine
Atemwegsdruck HMV Herzminutenvolumen
CPP cerebral perfusion pressure, HNO Hals-Nasen-Ohren
zerebraler Perfusionsdruck
CPPV continuous positive pressure I
ventilation, kontinuierliche ICP intracranial pressure,
Überdruckbeatmung intrakranieller Druck
CPR kardiopulmonale Reanimation I : E Inspirations- zu Exspirationszeit
CRP C-reaktives Protein IMV intermittent mandatory
CVVH(D)F kontinuierliche venovenöse ventilation, intermittierende
Hämofiltration maschinelle Ventilation
IPPB intermittent positive pressure
D breathing, intermittierende
d Tag(e) Überdruckatmung
DIC disseminated intravascular IPPV intermittent positive pressure
coagulation, disseminierte ventilation, intermittierende
intravasale Gerinnung Überdruckbeatmung
IRV inversed ratio ventilation,
E Beatmung mit umgekehrtem
EKZ extrakorporale Zirkulation Atemzeitverhältnis
EU Extrauteringravidität i. v. intravenös

F K
FEV1 1-Sekunden-Kapazität (forciertes KHK koronare Herzkrankheit
exspiratorisches Volumen in 1
Sekunde) L
FFP fresh frozen plasma, gefrorenes LDH → SLDH
Frischplasma LMA laryngeal mask airway,
FiO2 fraction of inspired Larynxmaske
oxygen, inspiratorische Lt. Lebenstag
Sauerstoffkonzentration
M
G MAP mean arterial pressure, mittlerer
GOT → ASAT bzw. SGOT arterieller Druck
GPT → ALAT bzw. SGPT min Minute(n)
Mo. Monat(e)
560 9  Anhang

N SGPT Serum-Glutamat-Pyruvat-
N. Nervus Transaminase, inzwischen als
NIV non-invasive ventilation, nicht ALAT bezeichnet; → dort
invasive Beatmung SHT Schädel-Hirn-Trauma
NLA Neuroleptanästhesie SIMV synchronized intermittent
N2O Lachgas (= Distickstoffmonoxid) mandatory ventilation,
synchronisierte intermittierende
O maschinelle Beatmung
O2 Sauerstoff SIRS systemic inflammatory response
syndrome
P s. l. sublingual
paCO2 arterieller SLDH Serum-Lactatdehydrogenase
Kohlendioxidpartialdruck SV spontaneous ventilation,
paO2 arterieller Sauerstoffpartialdruck Spontanatmung
PC pressure controlled,
druckkontrolliert T
pCO2 Kohlendioxidpartialdruck TE Tonsillektomie
PCV pressure controlled ventilation, TEE transoesophageale
druckkontrollierte Beatmung Echokardiographie
PCWP pulmonary capillary wedge TEP Totalendoprothese
pressure, pulmonalkapillärer TIVA totale intravenöse Anästhesie
Verschlussdruck TOF train of four, 4-fach-Reizung
PDA Periduralanästhesie TPR total peripheral resistance, totaler
PDK Periduralkatheter peripherer Widerstand
PEEP positive endexspiratory pressure, TTE transthorakale Echokardiographie
positiver endexspiratorischer TUR transurethrale Resektion
Druck
p. o. per os V
pO2 Sauerstoffpartialdruck V. Vena
PSV pressure support ventilation, V. A. C. vacuum assisted closure;
druckunterstützte Spontanatmung Vakuumversiegelung
PTT partial thromboplastin time, VC volume controlled,
Thromboplastinzeit volumenkontrolliert
VCV volume controlled ventilation,
S volumenkontrollierte Beatmung
s Sekunde(n)
SAB Subarachnoidalblutung W
s. c. subkutan Wo. Woche
SEK Serumeiweißkonserve
SGOT Serum-Glutamat-Oxalacetat- Z
Transaminase, inzwischen als ZVD zentraler Venendruck
ASAT bezeichnet; → dort ZVK zentraler Venenkatheter
561

Sachverzeichnis

A Adenosinmonophosphat (cAMP) 304


AaDO2 344 Adenotomie (AT) 281
– Richtwerte für Intubation und Beatmung 346 ADH → Antidiuretisches Hormon
Abbaustoffwechsel 374 Adrenalin 158, 301 f., 541, 549
Abciximab 162 – Gabe bei Kindern 245, 544
Abdomen 288 Adumbran → Oxazepam
Abdominalerkrankungen 471 ff. Advanced life support (ALS) 536, 539
Absauggerät 25 Afterload → Nachlast
Absaugkatheter 349 Aggrastat® → Tirofiban
Absaugschlauch 13 f. Agitation 138
Absaugung Agranulozytose 331
– Atemgas 14 AIDS → Acquired immunodeficiency syndrome
– endobronchiale 349 Air-Trapping 499
Absaugvorrichtung 13 Airway pressure limitation (APL) 22
Absorberkalk 20 f. Airway pressure release ventilation (APRV) 361
Abszess 155 Ajmalin 218, 498
A/C → Beatmung, assistierte/kontrollierte Akinesie 207
ACB → Bypass, aortokoronarer Aktivkohle 513
Accupro® → Quinapril Akzelerographie 79, 81
Acebutolol 520 Alarmeinstellungen 405
ACE-Hemmer → Angiotensin-Converting- Alarmvorrichtungen 24
Enzyme-Hemmer Albumin 481
Acerbon® → Lisinopril Aldactone® → Spironolacton
Acetat 134 Alfentanil 58 f.
Acetazolamid 283 Alginate 444
Acetylcholin (ACh) 9, 64, 300 f. Alkalische Phosphatase (AP) 419
– Mangel, zentraler 63 Alkalose 391
Acetylcholinesterase 64 – metabolische 396 f.
– Hemmung 72 – respiratorische → Hyperventilation
Acetylcystein 452 Alkoholentzugsdelir 478 f.
Acetylsalicylsäure 161 ff., 332, 459, 496 Alkoholkrankheit 478 f.
– Derivat 492 Alkoholvergiftung 514 f.
ACh → Acetylcholin Allen-Test 191 f.
Achillessehnenreflex 411, 413 Allergie 136, 219
Acidose 212, 391 Allgemeinanästhesie → Anästhesie
– hyperchlorämische metabolische 133 All-in-One-Lösungen 380
– metabolische 395 f., 542 Alpha-Amylase 419
– respiratorische 394 Alphablockade 62
Actilyse® → Alteplase Alpharezeptoren 301
Activated clotting time (ACT) 309 Alteplase 453, 459 f.
Acute lung injury (ALI) 445 f. Altinsulin 462
Acute respiratory distress syndrome (ARDS) 445 ff. Aluminiumoxid 427
Acylaminopenicilline 386 f. Alveolen, Öffnungsdruck 447
Adalat® → Nifedipin American-Society-of-Anesthesiologists-(ASA-)
Adamsapfel 82 Klassifikation 5
adäquat 317, 321 Amikacin 388
Addel® N 376, 381 Aminofusin® 379
Adenoide → Rachenmandeln Aminoglykoside 388 f.
562 Sachverzeichnis

Aminomix® 380 – – intravenöse, bei Kindern 239 f.


Aminopenicilline 386 f. – – in der Neurochirurgie 276
Aminosäuren 379 – – per inhalationem 123
Aminosteril® N-Hepa 8 % 380 – – per inhalationem, bei Kindern 240
Aminoven® 380 – – rektale, bei Kindern 240
Amiodaron 218, 402, 498, 538, 541 – – totale intravenöse Anästhesie 125
– Beendigung extrakorporaler Zirkulation 311 – Führung 107
– Gabe bei Kindern 544 – – in der Abdominalchirurgie 287
Amlodipin 521 – – bei älteren Patienten 249
Ammoniak 374 – – zu flache 120
Ammoniakvergiftung 477 – – in der Geburtshilfe 253 ff.
Amnesie 40, 55, 106, 130 – – in der Herzchirurgie 308
Amoxicillin 387 – – in der HNO-Chirurgie 280
Amphetamine 517 – – in der Kieferchirurgie 280
Ampicillin 247, 386 f. – – bei Kindern 243
Amylase 477 – – bei Neigung zur Malignen Hyperthermie 214
Anaerobier 386 – – in der Neurochirurgie 276
Analfissur 290 – – in der Thoraxchirurgie 295
Analfistel 290 – – zu tiefe 120
Analgesie 1, 6, 10, 106, 128, 365 – gebräuchliche Medikamente bei Kindern 245 f.
– patientenkontrollierte 328 f. – in der Geburtshilfe 250 ff.
Analgetika – in der Gynäkologie 261 f.
– antipyretische 330 – in der Herzchirurgie 296 ff.
– vom Opioidtyp → Opioide – in der HNO-Chirurgie 279 ff., 306
Analgosedierung 58, 364 f., 367 – intravenöse 125 f.
– Entwöhnung 366 – – Vorteile 130
Analregion, Operation 290 – in der Kieferchirurgie 279 ff.
Anämie, perniziöse 40 – bei Kindern 233 ff., 238
Anaphylaktoide Reaktionen 136, 158, 219 ff. – mit Larynxmaske 131 f.
– Prophylaxe 222 – mit Larynxtubus 132
– Schweregrade und Symptomatik 220 – im hohen Lebensalter 248 ff.
Anaphylaxie 136, 158, 219 – in der Neurochirurgie 267 ff.
Anästhesie – in der Orthopädie 292 ff.
– in der Abdominalchirurgie 287 ff. – während der Schwangerschaft 251
– Ablauf 3 f. – in der Thoraxchirurgie 294 ff.
– Aufrechterhaltung – totale intravenöse 125 f.
– – intravenöse Anästhesie 126 – – Vorteile 130
– – Intubationsnarkose 118 – in der Traumatologie 292 ff.
– – totale intravenöse Anästhesie 126 – in der Urologie 262 ff.
– in der Augenheilkunde 283 ff. Anästhesiepersonal, Gefahren 149 ff.
– Ausleitung 37 Anästhesiepflegepersonal, Aufgaben 2
– – intravenöse Anästhesie 129 Anästhesiologie, Teilgebiete 1
– – Intubationsnarkose 121 Anästhesist, Aufgaben 2
– – in der Neurochirurgie 276 Anästhetika
– – totale intravenöse Anästhesie 129 – Inhalations- → Inhalationsanästhetika
– balancierte 124 – intravenöse 46 ff., 49
– Beginn 37 – verdampfbare 17
– – korrekter, Handlungsempfehlungen 28 Anemet → Dolasetron
– Dauer 37 Aneurysma-Clipping 278, 468
– Definition 1, 155 Aneurysma-Coiling 278, 468
– dissoziative 55 f. Anexate® → Flumazenil
– Einleitung Angina pectoris 489 ff., 492
– – in der Abdominalchirurgie 287 – instabile (UAP) 457, 492
– – in der Herzchirurgie 307 Angiotensin-Converting-Enzyme-(ACE-)Hemmer
– – intramuskuläre 241 454, 519, 521
– – intravenöse 125 Angstlösung → Anxiolyse
Sachverzeichnis 563

Ansamycine 388 – femoralis 398


Antacida 210 – pulmonalis 197, 340
Antagonisierung – radialis 191 f., 313, 398
– Muskelrelaxanzien, nicht depolarisierende 71 f., – – Punktion 194 f.
82 – ulnaris 191 f.
– Opioide 61 Arterientransplantat 313
Antiarrhythmika 158 Ärzte, Aufgaben in der Intensivmedizin 339
Antiatelektasefaktor 340 ASA-Klassifikation → American-Society-of-
Antibiogramm 369 Anesthesiologists-Klassifikation
Antibiotika 220 Aspiration 210 f., 383 f., 425
– Dosierung 387 – von Salz- bzw. Süßwasser 523
– Einsatz in der Kinderchirurgie 247 Aspirationspneumonie 450
Antibiotikagruppen 386 f. Aspirationsprophylaxe 210
Antibiotikatherapie 385 ff. Aspirationssyndrom 448
Anticholium® → Physostigmin Aspirin® → Acetylsalicylsäure
Antidiuretisches Hormon (ADH) 276, 417 ASR → Achillessehnenreflex
Antidot 72 Assist/control ventilation (A/C) → Beatmung,
Antifibrinolytikum 309 assistierte/kontrollierte
Antigen-Antikörper-Reaktion 136 Assisted spontaneous breathing (ASB) 361
Antihistaminika 221 Asthma bronchiale 49, 54, 72, 499 f.
Antihrombotika 163 Asthmaanfall, Therapie 500
Antihypertensiva 520 f. Asystolie 74, 538
Antikörpersuchtest 139 – Behandlung bei Kindern 545
Antipsychotika → Neuroleptika AT → Adenotomie
Antipyretika 330 AT III 419
Antirheumatika, nicht steroidale 161, 163 AT1-Rezeptor-Antagonist 519
Antithrombosestrümpfe (ATS) 426 Atacand® → Candesartan
Antithrombotika 162 Atelektase 24, 294
Antra® → Omeprazol Atemarbeit 341
Anurie 461 Atemdepression 57
Anxiolyse 6, 10 – frühe und verzögerte 179
Aortenklappe 296 Atemfrequenz 23, 343
Aortenklemme 299 – bei Kindern 234
Aortenwurzel 296 – Richtwerte für die Intubation und Beatmung 346
Aorto-coronary bypass (ACB) → Bypass, Atemfrequenzmonitor 404
aortokoronarer Atemgeräusch 404
Apallisches Syndrom 414 f. Atemgymnastik 288
Aphten 422 Atemhubvolumen 22, 342, 350
APL → Airway pressure limitation – Reanimation 532
APL-Ventil → Druckbegrenzungsventil Atemmechanik 340
Apomorphin 513 Atemminutenvolumen (AMV) 115, 343, 351
Appendektomie 288 – Richtwerte für die Intubation und Beatmung 346
Aprotinin 309 Atemmuskulatur 358
APRV → Airway pressure release ventilation – Atrophie 370
Aquired immunodeficiency syndrome (AIDS) 137 Atemnot 499
Aquo-Trinitrosan® → Nitroglycerin Atemschonhaltung 288, 365
Arelix® → Piretanid Atemspende 531 f.
Argatra® → Argotroban Atemstillstand 526, 528
Arginin 384 Atemstörungen 527
Argotroban 162 f. Atemstromstärke, Richtwerte für die Intubation und
Arixtra® → Fondaparinux Beatmung 346
Armlagerung 35 Atemsystem, bei Kindern 233
Arterenol → Noradrenalin Atemtypus, bei Relaxanzüberhang 322
Arteria Atemwegsobstruktion 451, 499
– axillaris 165 Atemwegsverlegung 534, 536
– circumflexa 313 – bei Kindern 545, 547
– Therapieempfehlungen 535
564 Sachverzeichnis

Atemwiderstand 238 Balancierte Anästhesie → Anästhesie, balancierte


Atemzeitverhältnis 352 Ballongegenpulsation, intraaortale 312
Atemzugvolumen 341 f. Ballonzuleitung 198
– spontanes, bei Kindern 234 Bandscheibenvorfall (BSV) 277
Atenolol 520 Barbiturate 7, 49, 157
Äther → Ether Barbituratkoma 467
Atlantookzipitalgelenk 224 Barolog-Gerät 19
Atmung 340 f., 527 f. Barotrauma 370
– abdominale 340 Base excess (BE) 395
– Inspektion 403 Basen 391
– paradoxe 403 Basenüberschuss → Base excess
– thorakale 340 Basic life support (BLS) 526 f.
Atonie, Magen-Darm- 473 Basisbedarf
Atosil® → Promethazin – Flüssigkeitstherapie, perioperative 143
Atracurium 70 – künstliche Ernährung 377
– Gabe bei Kindern 245 Basocef® → Cefazolin
Atropin 9 f., 63, 242, 283 f., 541 Bauchlagerung 432
– Gabe bei Kindern 245, 544 Bauchspiegelung 262
ATS → Antithrombosestrümpfe Baxter-Parkland-Schema 482
Auflage 443 Baymycard® → Nisoldipin
Aufsättigung, Inhalationsanästhetikum 37 Bayotensin® → Nitrendipin
Aufwachraum 321 Baypen® → Mezlocillin
Auge 36 BE → Base excess
Augeninnendruck 283 ff., 286 Beatmung 359
– bei Succinylcholingabe 75 – assistierte 111
Augenpflege 421 – assistierte/kontrollierte 359
Augenverletzung, perforierende 285 – druckkontrollierte 355, 357
Augmentan® → Amoxicillin – Indikationen 346
Ausatemvolumen 13 – Komplikationen 368 f.
Ausatmung 340 – kontrollierte 357
– passive 532 – konventionelle 446
Ausatmungsgemisch → Exspirationsgemisch – lungenprotektive 446 f.
Auskühlung 231, 265 – manuelle 108 f., 111 f.
Auskultation 4, 97 f., 404 – maschinelle 112
Ausschabung 261 – Nebenwirkungen 358
Austreibungsperiode 252 – nicht invasive 363
Austreibungsschmerzen 254 – prophylaktische 347
Autoflow 351 – Richtwerte 346
Autoinfektion 424 – seitengetrennte 368
Auto-PEEP 499 – therapeutische 346
Autoregulation, zerebrales Gefäßsystem 267 – volumenkontrollierte 355, 357
Autotransfusion 293 Beatmungsbalg, fallender 18
Avalox® → Moxifloxacin Beatmungsbeutel 22, 108 f.
AV-Blockierung 72 Beatmungsdruck 108, 110 f., 350, 352 f.
Awareness → Wachheit, intraoperative Beatmungsformen 357
Azactam® → Aztreotam Beatmungsgerät 22, 354 ff.
Azidose → Acidose – Ventilog 23
Azithromycin 388 – Ventilog 2 18
Aztreotam 387 Beatmungsparameter 349
Beatmungspneumonie 449
Beatmungstherapie 340 ff.
B Beatmungsweg, Auswahl 347
Babinski-Reflex 412, 414 Bedside-Test 140 f.
Bakterien, gramnegative, -positive 424 Befeuchtertöpfe 369
Bakteriologie 389 f. Befeuchtungssysteme 364
BAL → Lavage, bronchoalveoläre Begrenzung, Beatmungsgerät 356
Sachverzeichnis 565

Behandlungspfad 291 Blutbildungsstörungen 331


Beloc® → Metoprolol Blutdruck
Beloc-Zok® → Metoprolol – Abfall → Hypotonie
Bennett-Respirator 357 – Anstieg → Hypertonie
ben-u-ron → Paracetamol – arterieller 191, 402
Benzodiazepine 6 f., 157 – Kontrolle 117
Benzylpenicillin 386 f. – Richtwerte im Kindesalter 235
Berotec® → Fenoterol Bluterbrechen 474
Berührung 160 Blutfluss 465
Beschleunigungswandler 79 – koronarer 297
Beta-2-Mimetika 221, 452 Blutgasanalyse (BGA) 194, 397 ff., 553
Beta2-Sympathomimetika 500 – Abnahme 398
Betabion® → Thiamin – Normalwerte 393
Betacarotin 384 Blutgasprobe 399
β-Lactam-Antibiotikum 152, 389 Blut-Gas-Verteilungskoeffizient 38 f.
β-Lactamase 152 Blutgerinnung
β-Lactamase-Inhibitor 386 f. – Kontrolle 161
β-Lactam-Ring 152 – Störung 259
Betarezeptoren 302 Blutgerinnung, Herz-Lungen-Maschine 309
β-Rezeptoren-Blocker 327, 496, 520 Blutgerinnungsstörungen 265
Bettwäsche, Wechsel 423 Blutgruppe, Bestimmung 138
Bewegungsstörungen, extrapyramidale 8, 62 Blutkomponententherapie 147
Bewusstlosigkeit 527 Blutkonserve, Erwärmung 139
Bewusstsein 317 Blutkonzentration, Anästhetika, intravenöse 48
Bewusstseinslage 407 f. Blut-Luft-Schranke 340
Bewusstseinstrübung 507 Blut-Patch (Blutplombe) 173
BGA → Blutgasanalyse Blutprobe 399
Bier, August 182 Bluttransfusion
Bifiteral® → Lactulose – Durchführung 138 ff.
Bigeminus 401 – Gefahren 142
Biklin® → Amikacin – Zwischenfall 142 f.
Bilanzierungswaage 466 Blutung
Bilirubin 419 – akute 290
Bindehaut, anämische 290, 319 – gastrointestinale 290, 474 f.
Bindung, kompetitive 65, 72 – Ulkus 475
Binotal® → Ampicillin – aus Uterus 253
Biotin 381 Blutungsprophylaxe 309
Biphasic positive airway pressure (BIPAP) 360 f. Blutungszeit, subaquale 161
Bisacodyl 474 Blutverlust 147
Bisoprolol 454, 519 f. – akuter 132
Bispektralindex 107 – Ersatz 147 f.
BIS-Zahl 107 – größerer 265
Bizepssehnenreflex 411, 413 Blutvolumen
Blasenkatheter 434 f. – intrakranielles 268
Blasenperforation 264 – intrathorakales (ITBV) 204
Blasentamponade 265 Blutzucker (BZ) 510, 554
Blasentumor 264 – Kontrolle, bei Kindern 244
Blitzintubation → Ileuseinleitung Bradykardie 72, 401
Block, kompetitiver 81 – nach endotrachealem Absaugen 349
Blockade, neuromuskuläre 81 – nach Halsdissektion 283
Blockerspritze 96 – bei Kindern 234, 545
Blood urea nitrogen (BUN) 374 – nach Leitungsanästhesie, rückenmarksnahe 175
Blopress® → Candesartan – nach Operation in der Analregion 291
BLS → Basic life support – reflektorische 242
Blut, ungekreuztes 141 – Reflex, vegetativer 100
Blutbild 554 – nach Remifentanilgabe 60
566 Sachverzeichnis

Bradykardie Cardiac-Output-Monitor 201


– nach Succinylcholingabe 76 Cardioverter/Defibrillator, implantierbarer →
– nach Zug an der Mesenterialwurzel 287 Implantierbarer Cardioverter/Defibrillator
Braunol® → Povidon-Iod Carlens-Tubus 86
Brechreiz 333 f. Cartilago cricoidea 233
Brevibloc® → Esmolol Carvedilol 520
Brevimytal® → Methohexital Catapresan® → Clonidin
Bricanyl® → Terbutalin Catecholamine 218, 221, 300 f., 304
Bromazepam 6 Cauda equina 168 f.
Bronchialsekret 425 CAVHF → Hämofiltration, arteriovenöse
– Produktion 72 CCO → Continuous cardiac output
Bronchialtoilette 211, 349, 369 cCT → Cerebrale Computertomographie
Broncho-Cath 294 CDD → Diät, chemisch definierte
Bronchodilatatoren 500 Cefalosporine 386 f.
Broncholytika 452 Cefazolin 247, 386 f.
Bronchoparat® → Theophyllin Cefepim 386 f.
Bronchopneumonie 449 f. Cefotaxim 247, 386 f.
Bronchospasmin® → Reproterol Cefotiam 386 f.
Bronchospasmus 216 f. Cefoxitin 386 f.
Brustschmerz, akuter 489 Cefpirom 387
Brustwandableitungen nach Wilson 488 Cefrom® → Cefpirom
BSR → Bizepssehnenreflex Ceftazidim 386 f.
BSV → Bandscheibenvorfall Ceftriaxon 387
Buffy coat 137 Cefuroxim 247, 387
Bülau-Drainage 437, 506 Celebrex® → Celecoxib
Bulbärhirnsyndrom 415 Celecoxib 333
BUN → Blood urea nitrogen Cephalosporine → Cefalosporine
Bupivacain 156, 254 Cephazolin® → Cefazolin
Buprenorphin 329 f. Cerebral perfusion pressure (CPP) →
Burst suppression 467 Perfusionsdruck, zerebraler
Bypass Cerebrale Computertomographie 409
– aortokoronarer 313 Cernevit® 376
– minimalinvasiver direkter koronararterieller 314 Certomycin® → Netilmicin
– off-pump coronary artery 314 Certoparin 162, 426
– partieller 298 f. Ceruletid 472, 474
– totaler 298 Checkliste, postanästhetische 327 f.
Bypass-Operation 492 Chirocain → Levobupivacain
BZ → Blutzucker Chlamydien 389
Chloramphenicol 388
Chlorid 377, 380
C Cholestase 478
Calciparin® → Heparin, unfraktioniertes Cholezystektomie 287 ff.
Calcium 222, 377, 380 Cholinesterase 289 f., 419
Calciumgluconat 462 Cholinesterasehemmer 63, 72, 474, 516
Calciumkanalblocker 492 Chrom 381
Camino-Sonde 267, 417 Chronic obstructive lung disease (COLD) →
cAMP → Adenosinmonophosphat Lungenerkrankungen, chronisch obstruktive
Candesartan 519, 521 Chronic obstructive pulmonary disease (COPD) →
Candida albicans 422 Lungenerkrankungen, chronisch obstruktive
Cannabis 516 Ciclosporin A 266
Capillary leak syndrome 484 Cilastatin 386
Capozide 519 Cimetidin 210, 222 f., 427
Captopril 454, 519, 521 Ciprobay® → Ciprofloxacin
Carbapeneme 386 f. Ciprofloxacin 387 ff.
Carbostesin → Bupivacain cis-Atracurium 70 f.
Cardiac output → Herzminutenvolumen Citratantikoagulation 465
Sachverzeichnis 567

CK → Kreatinkinase CPP → Perfusionsdruck, zerebraler


Claforan® → Cefotaxim Crash intubation → Ileuseinleitung
Clarithromycin 388 f., 475 c-reaktives Protein (CRP) 420, 478
Clavulansäure 386 CSE → Spinal-/Periduralanästhesie, kombinierte
Clemastin 223 Curare 64
Clexane® → Enoxaparin Curettage → Ausschabung
Clindamycin 388 f. Curling-Ulzera 481
Clinical pathway 291 Cushing-Reflex 269
Clinitron®-Bett 433 CVVHDF → Hämofiltration, venovenöse
Clivarin® → Reviparin CVVHF → Hämofiltration, venovenöse
Clomethiazol 479 Cyanidtoxizität 274
Clonazepam 470 Cyclokapron® 265
Clonidin 326, 336, 365 ff., 479, 521 f. Cyclooxygenase 330, 332
Clont® → Metronidazol Cyclooxygenase-(COX-)Hemmer 161, 330, 332
Clopidogrel 162 f., 460, 497 Cystofix® 435
CMV → Cytomegalieviren Cytomegalieviren 142
CMV → Continuous mandatory ventilation
CO2-Absorber → Kohlendioxidabsorber
CO2-Messung → Kohlendioxidmessung D
CO2-Partialdruckdifferenz (AaDCO2), Dalfopristin 388
alveoarterielle 273 Dalteparin 162
Cobalt 381 Dampfkonzentration 17
Cocain 225, 517 Dantrolen 213
COLD → Lungenerkrankungen, chronisch Darmgeräusche 472
obstruktive Darmverschluss → Ileus
Colon sigmoideum 290 Dauermedikation 5
Coma D-Dimere 419
– hepaticum 477 Defibrillation 528
– vigile 414 – biphasische und monophasische 537 f.
Combined spinal and epidural analgesie (CSE) → – bei Kindern 545
Spinal-/Periduralanästhesie, kombinierte Defibrillator, halbautomatischer 533 f.
Compound A 44 Dekubitus 428 f.
Concor® → Bisoprolol – Prophylaxe, Intensivpatient 428 f.
Continuous arterio-venous hemofiltration (CAVHF) – Wundbehandlung 444
→ Hämofiltration, arteriovenöse Delegation 2
Continuous cardiac output (CCO) 201 Delirium tremens 478 f.
Continuous-Flow-System 362 Delix® → Ramipril
Continuous mandatory ventilation (CMV) 357 Depolarisation 64, 75, 155
Continuous positive airway pressure (CPAP) 360 f. Depolarisationsblock 73
Continuous positive pressure ventilation (CPPV) Depression 62
357 Dermatome 174
Contrecoup 467 Desfluran 39, 44 f.
CO-Oxymeter 480 Desfluranverdampfer 18
COPD → Lungenerkrankungen, chronisch Desinfektion 170
obstruktive Desirudin 162 f.
Cordarex® → Amiodaron Desmopressin 276, 417
Cormack 224 Dexamethason 334
Coronarangioplastie → Koronarangioplastie, Dextranpräparate 136
perkutane transluminale Dezerebrationssyndrom 414, 470
Corotrop® → Milrinon Diabetes
Cortisolsynthese, Hemmung 53 – insipidus 276
Co-trimoxazol 389 – mellitus 378
Coumadin® → Warfarin Diagnosis related groups (DRG) 291
Coup 467 Dialysatfluss 465
Coversum® → Perindopril Dialyse 266
COX-Hemmer → Cyclooxygenasehemmer Dialyseprinzip 465
568 Sachverzeichnis

Diamox® → Acetazolamid Doppellumentubus 294


Diät Doppler-Effekt 205 f.
– chemisch definierte (CDD) 382 Dopplersonographie 271
– nährstoffdefinierte (NDD) 382 Dormicum → Midazolam
Diazepam 6, 479, 495 Dornfortsätze 168, 170
– Gabe bei Kindern 245, 511 Dosierungsempfehlungen, bei Kindern 245 f.
Diazepam Desitin® 511 Doxycyclin 389
Dibucainzahl 74 Dräger Kreissystem 8 ISO 23
DIC → Gerinnung, disseminierte intravasale Drainage, Pankreatitis 478
Diclofenac 332 Drainagesystem 437
Diethylether → Ether Dreiflaschensystem, Thoraxdrainage 438, 440
Diffusionshypoxie 40 3-in-1-Block 264
Digitalis 248, 455 f., 503 Dreikammerbeutel 376, 380
Digitoxin 455 DRG → Diagnosis related groups
Digoxin 455, 503 Drogen 516
Dihydralazin 260, 326, 521 f. Droperidol 61 f., 130, 335
Dikaliumclorazepat 6, 10 Drotrecogin alfa 484
Dilatationstracheostomie 348 Druck
Dilatator 199 – enddiastolischer 297 f.
Dilatrend® → Carvedilol – endexspiratorischer, positiver → PEEP
Diltiazem 521 – intrakranieller 40, 49, 267 ff.
Dilzem® → Diltiazem – – Messung 417
Dimenhydrinat 334 – kolloidosmotischer 134
Dimetinden 222 – Nervenfaser 160
Dinamap-Gerät 402 – Pulmonalarterie 203
DIOVAN® → Valsartan – zentralvenöser 202
Dipeptamin 376 Druckbegrenzung 21, 356
Dipidolor® → Piritramid Druckbegrenzungsventil 21, 108
Dipyridamol-Stressechokardiographie 208 Druckdom 192
Diskonnektion 20, 101 Druckeinschub 193
Disoprivan® → Propofol Druckentlastung 429
Disseminated intravascular coagulation (DIC) → Druckgradienten 207
Gerinnung, disseminierte intravasale Druckluft, Kennfarbe 24
Dissoziationsgleichgewicht 155 Druckmesssystem 192, 194
Distickstoffmonoxid → Lachgas Druckmessung
Distigmin 473 – blutige arterielle 191, 193
Distigminbromid 472 – intrauterine 254
Distraneurin® → Clomethiazol Drucksonde
Diurese – epidurale 417
– forcierte 513 – intraparenchymatöse 417
– osmotische 136 Drucksteuerung, Beatmungsgerät 355
Diuretika 248, 455, 519 f. Druckwandler 193
Dobutamin 303, 453, 456, 503 Dualblock 74, 78, 81
Dobutamin Solvay® Infus → Dobutamin Ductus
Dobutamin-Stressechokardiographie 208 – arteriosus Botalli 234, 397
Dociton® → Propanolol – thoracicus 189
Dokumentation, Anästhesie 148 f. Dulcolax® → Bisacodyl
Dolantin® → Pethidin Dumping-Syndrom 383 f.
Dolasetron 335 Dünndarmatonie 383
Domperidon 473 Duodenalgeschwür 474
Dopacard® → Dopexamin Duodenalsonde 381
Dopamin 301, 466 Dura 168 f.
– Nierendosis 303 Duraperforation 182, 254
Dopamin-ratiopharm 303 Durchblutung, uteroplazentare 259
Dopaminrezeptoren 302 Durchfall 384
Dopexamin 303 Durchgangssyndrom 409, 470
Sachverzeichnis 569

Dynastat® → Parecoxib Elektrostimulationskanüle 165 f.


Dyskinesie 207 Ellenbeuge 186
Dytide H 519 – Punktion 34
EMLA®-Creme 240
Enalapril 454, 519, 521
E Endotracheale Intubation → Intubation,
Ebrantil® → Urapidil endotracheale
Echokardiographie 204 ff. Endotrachealtubus 15, 83 f.
– transösophageale (TEE) 206 f., 271, 314 f. – für Kinder 237
– transthorakale (TTE) 206, 271 Endplatte, motorische 64
ECMO → Extracorporal membran oxygenation Energiebedarf 375
447 Enfluran 39, 42
EEG → Elektroenzephalographie Enoxaparin 162
Effortil 508 Enoximon 208, 304
Eichzacke 488 Entbindung, vaginale 253
Eigenblutkonserve 138 Enterobakterien 386
Eigenblutspende, präoperative 293 Enterokokken 386
Eigenreflex 410 Entgleisung, hypertensive 519, 523
Einatmung 340 Entkoppelung, elektromechanische 538
Einatmungsgemisch → Inspirationsgemisch Entwöhnung 373
Einatmungsluft, Anfeuchtung 363 – Analgosedierung 366
Einatmungsschenkel → Inspirationsschenkel – diskontinuierliche 372
Einflaschensystem, Thoraxdrainage 438 f. – Langzeitbeatmung 371
Einführungsschleuse → Introducer – schrittweise 372
Einklemmungszeichen 467 Entwöhnungsprotokoll 373
Einleitungshypnotikum 113 Entzug 465
Einschwemmkatheter 200 Entzündungszeichen 441
Einwilligungserklärung 4 Enzephalitis 508 f.
Einzelnährlösung 376 Enzephalopathie, hepatische 477
Einzelspender-Thrombozytenkonzentrate 138 Enzyminduktion 7, 50
Eisen 381 Epigard® 482
Ejektionsfraktion 207 Epiglottis 83, 93
EKG 3, 400, 537 Epilepsie 7 f., 62, 511
– Ableitung 33, 400 Epivir® 152
– Angina pectoris 491 Eptifibatid 162
– -Diagnostik 487 Eradikation 475
– -Elektroden, Platzierung 33 Erbrechen 209, 513
– Herzinfarkt 495 ERC-(European-Resuscitation-Council-)
– – Veränderungen 494 Richtlinien 526
– Standardableitungen 487 f. Eremfat® → Rifampicin
– ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt 458 Erinnerungslosigkeit, -lücke → Amnesie
Eklampsie 257 ff., 260 Ernährung
EKZ → Zirkulation, extrakorporale – enterale 374 f., 381, 383
Eldon-Karte 140 – künstliche 374 ff.
Elektrode 487 – parenterale 374 f., 377
Elektroenzephalographie 409 – totale parenterale 375 f.
– Nulllinie 470 Ernährungssonde 381 f.
Elektrokontrolle, intrakardiale 190 f. Eröffnungsperiode 252
Elektrolyte 380, 553 Eröffnungswehen 254
Elektrolythaushalt 235 Erreger, atypische 389
– bei Kindern 236 Erstickungsgefahr 229
Elektrolytlösung 133 Erstickungsgefühl 534
Elektrolytmischkonzentrate 381 Ertapenem 387
Elektroresektion, Prostata 264 Ertrinken, beinahe 523 f.
Elektroschlinge 264 Erwartungsfenster 360
Elektroschock 533, 538 Erythrocin® → Erythromycin
570 Sachverzeichnis

Erythromycin 388 f., 474 Fast-Track-Verfahren 291 f.


Erythrozytenkonzentrat 137 – Kardioanästhesie 315
Escherichia coli 386, 389 Faustschlag, präkordialer 540
Esidrix® → Hydrochlorothiazid Fehlintubation 97 f., 101
Esketamin 57 Feinregulierventil 21
Esmarch-Binde 183 Fenistil® → Dimetinden
Esmarch-Handgriff 123, 215, 323 f. Fenoterol 221, 500
Esmeron® → Rocuronium Fentanyl 57 f., 365 f.
Esmolol 327, 522 – Gabe bei Kindern 245
Esomeprazol 475 Fentanyl®-Janssen → Fentanyl
Esterspaltung 70 Fettdepot 47
Ether 1, 39, 45 f. Fette 378 f.
Ethertropfnarkose 11, 106 Fettemulsionen 378
Etomidat 52 f. Fettlösungen 378
Etomidat®-Lipuro → Etomidat Fettsäuren
Eusaprim® 389 – freie 378
Eutectic mixture of local anesthetics → EMLA® – langkettige 378 f.
Evaporation 235 – mittelkettige 378 f.
Evita 356 f. Feuchtigkeitsverlust
EVLW → Lungenwasser, extravasales – halbgeschlossenes System 12
Expektoranzien 452 – halboffenes Narkosesystem 12
Exposition – Kreissystem 14
– HBV 150 FEV1 (forciertes exspiratorisches Volumen in 1
– HCV 151 Sekunde) 341
– HIV 151 f. – Richtwerte für die Intubation und Beatmung 346
Exspiration 340 FFP → Frischplasma, gefrorenes
Exspirationsgemisch 12 f. Fiberbronchoskop 225 ff.
Exspirationsschenkel 13 Fibrinolyse 265
Exspirationsschlauch 13 ff. Fibrinolysehemmer 265
Exspirationsventil 13 f. Fibrinspaltprodukte 419
Exsudat 436 Fibroplasie, retrolentale 370 f.
Extracorporal membran oxygenation (ECMO) 447 Fieber 213
Extrasystolen 401, 493, 498 Fieberkrampf 511
– ventrikuläre 217 f. Filtrationsprinzip, -volumen 465
Extrauteringravidität (EU) 262 FiO2 (fraction of inspired oxygen) 344 f.
Extrazellulärraum 132, 236, 391 Fischöl 385
Extremitätenableitungen Fistelung 295
– nach Einthoven 487 f. Flexiflo® 383
– nach Goldberger 487 f. Flow 23, 351, 353
Extubation 122 f., 373 – Begrenzung 356
– in der HNO-Chirurgie 281 – Steuerung, Beatmungsgerät 356
– in der Kieferchirurgie 281 Flucloxacillin 247, 386 f.
– bei Kindern 246 f. Flumazenil 515
– Probleme 101 Flunitrazepam 6
– nach schwieriger Intubation 230 Fluor 381
Exzitationsstadium 106, 123, 248 Fluorchinolone 387 f.
Fluoridionen 44
Flüssigkeitsbedarf 380
F Flüssigkeitsbilanz 465
Fabius Tiro, Narkosegerät 23 Flüssigkeitskarenz, präoperative, Nachholbedarf 144
Falithrom® → Phenprocoumon Flüssigkeitstherapie, perioperative 143 f., 147
Falten, aryepiglottische 214 – Nachholbedarf 145 f.
Famotidin 427 Folsäure 381
Fasern, präganglionäre sympathische 160 Folsäure-Injektopas® 381
Fasertypen → Nervenfasertypen Fondaparinux 162 f., 453
Fastrach → Intubationslarynxmaske
Sachverzeichnis 571

Foramen Gernebcin® → Tobramycin


– occipitale magnum 269 Gesamtnährlösung 376, 380
– ovale 234, 271 Gesichtsmaske 15, 109 ff., 114
Forene® → Isofluran – für Kinder 236
Formulardiät 382 Gewicht, Richtwerte für das Kindesalter 233
Forrest-Klassifikation 475 GI-Blutung → Blutung, gastrointestinale
Fortecortin → Dexamethason Gifte 512
Fortum® → Ceftazidim Gilurytmal® → Ajmalin
Fosfomycin 388 Glasgow-Koma-Skala 317, 407 f.
Fragmin® → Dalteparin Glaskörperentfernung → Vitrektomie
Fraxiparin® → Nadroparin Glaukom 286
FRC → Residualkapazität, funktionelle Glaukomoperation 286
Fremdreflex 410, 412 Globalinsuffizienz 325, 346
Fresh frozen plasma (FFP) → Frischplasma, Glossoepiglottische Falte 93
gefrorenes Glottis 83, 223
Fresubin 382 – Einstellung 93
Frischgas 14 Glottiskrampf 214
Frischgasfluss 12, 21 Glucocorticoide 221, 500
Frischplasma, gefrorenes 138 Gluconeogenese 374
Fructose 377 Glucoplasmal® 3,5 % 380
Frühgeborene 233 Glucose 134, 374, 377 f.
Führungskanüle, Spinalanästhesie 170 f. Glucoseaustauschstoffe 377
Führungsstab 87 f. Glucosebedarf 378
Furosemid 455, 466, 502, 520, 522 Glucoseverwertungsstörung 378
Glucosurie 276
Glutamin 376, 384 f., 393
G Glyceroltrinitrat → Nitroglycerin
Gallenoperation → Cholezystektomie Glycylpressin® → Terlipressin
Gamma-GT 478 Glykogen 377
Gasabsaugung, Kennfarbe 24 Glykopeptide 388 f.
Gasflasche 24 Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten 460,
Gasflussmenge 24 497
Gasrückführung 20 Goniotrepanation 286
Gastrozepin® → Pirenzepin Gordon-Reflex 412, 414
Gaumenmandeln 281 Granisetron 335
Geburt → Anästhesie, in der Geburtshilfe Grauer Star → Katarakt
Geburtsablauf 252 Größe, Richtwerte für das Kindesalter 233
GEDV → Volumen, globales enddiastolisches Großschadensereignis 524
Gefahren, Anästhesiepersonal 149 Grüner Star → Glaukom
Gefäß-Nerven-Scheide 164 Guedel-Schema 106 f.
Gefäßstenose 312 Guedel-Tubus 90 ff., 111
Gefäßwiderstand 202 f. – für Kinder 237
Gegenmittel → Antidot GUSTO-Schema 460
Gelafundin® → Gelatinepräparate
Gelafusal® → Gelatinepräparate
Gelatinepräparate 135 f. H
Gelenkstellung 430 H2-Rezeptoren-Blocker 210
Gentamicin 388 f. Haarpflege 421
Gerätecheck Haemaccel® → Gelatinepräparate
– A 26 f. Haemophilus influenzae 386, 389
– N 29 f. Haemopressin® → Terlipressin
– W 26, 28 Halbelektrolytlösung 244
Gerinnung 553 Halbwertszeit, kontextsensitive 365 f.
– disseminierte intravasale (DIC) 484, 525 Haldol® → Haloperidol
Gerinnungsfaktoren 147 Halluzinationen 479
Gerinnungsstörungen 181 Halluzinogene 516
572 Sachverzeichnis

Haloperidol 479 Herzindex 202


Halothan 39 ff., 42 Herzinfarkt 456 f., 489, 492 f.
Halothanhepatitis 41 f. – stummer 493
Halsdissektion 283 Herzinsuffizienz 49, 248, 453 ff., 498, 501 ff.
Halswirbelsäulenoperation 278 – biventrikuläre 203
Hämatokrit-(Hkt-)Wert 290 – linksventrikuläre 203
– bei Kindern 235 – rechtsventrikuläre 203
Hämatom Herzklappen, Operation 313
– epidurales 269 Herz-Kreislauf-System, Störung 259
– intrakranielles 277 Herz-Lungen-Maschine 298 f., 308 ff.
– peridurales 175, 181 – Abgang 311 f.
Hämatothorax 189, 436 Herzminutenvolumen (HMV) 38, 197, 201 f., 207
Hämodialyse 463 – Anästhetika, intravenöse 48
Hämodynamische Parameter 554 – transpulmonales 204
Hämofiltration Herzmuskel 296 f.
– arteriovenöse 464 Herzoperationen 312 f.
– venovenöse 465 Herzrhythmusstörungen 217 f., 401, 497
Hämoglobin-(Hb-)Wert 290 Herzstillstand 76
– bei Kindern 235 HES → Hydroxyethylstärke
Hämorrhoiden 290, 474 HES-steril 6 % → Hydroxyethylstärke
Händedesinfektion 153, 424, 451 High frequency jet ventilation → Hochfrequenz-
Harnstoff 374, 419, 461, 463 Jet-Ventilation
Harnstoff-Stickstoff-Produktionsrate 374 Hinterwandinfarkt 493 ff.
Harnstoffsynthese 393 Hirnblutung, hypertensive 508
Harnstoffzyklus 393 Hirndruck → Druck, intrakranieller
Hartmann-Operation 290 Hirndurchblutung 267, 272 f.
Haschisch 516 Hirnfunktion 407
Hauptbronchus 234 Hirnhaut, harte → Dura
Hautemphysem 404 Hirnmantel → Pallidum
Hautpflege 420 Hirnnervenstörungen 175
HBDH → Hydroxybutyrat-Dehydrogenase Hirnödem 268
Heat-and-Moisture-Exchanger-(HME-)Filter 364 Hirnschädigung 466 f.
Hebe-Senk-Einlauf 474 Hirnstammreflex 410
Heimlich-Manöver 535 f. Hirntod 266, 470 f.
Heimlich-Ventil 441, 507 Hirntumor 279
Helicobacter pylori 475 Hirnvolumen 268
HELLP-Syndrom 259 Histamin 219
Heparin 309, 381, 426, 453, 459, 465, 497 Histaminfreisetzung 71
– niedermolekulares 161 ff. – bei Succinylcholingabe 75
– unfraktioniertes 161 ff. Hitzschlag 509
Hepatitis B 137, 142 HIV (human immunodeficiency virus) 137, 142
– Exposition 150 – Exposition 151 f.
Hepatitis C 137, 142 HKV → Hydrokolloidverband
– Exposition 151 HLM → Herz-Lungen-Maschine
Herniation 269 HME-Filter → Heat-and-Moisture-Exchanger-
Herniotomie 288 Filter
Heroin 516 HMV → Herzminutenvolumen
Herz, Kompression 531 Hochdruckmanschette 83
Herzdruckmassage 531, 533 Hochfrequenz-Jet-Ventilation 282
– bei Kindern 544 Hofmann-Eliminierung 70
Herzenzyme 495 Holmiumlaser-Enukleation der Prostata (HoLEP)
Herzerkrankungen 453 ff. 265 f.
Herzfrequenz 5-HT-Antagonisten 335
– Anstieg 325 Hüfner-Zahl 344
– Kontrolle 117 Human immunodeficiency virus → HIV
– Richtwerte im Kindesalter 235 Humanalbumin 136, 246
– Steigerung → Tachykardie
Sachverzeichnis 573

Humatin® → Paromomycin Hypovolämie 316


Hungerstoffwechsel 374 Hypoxämie 345
Hustenreflex 411 Hypoxie 235, 345, 509, 526
Hydrochlorothiazid 519 f. Hysterektomie 262
Hydrokolloidverband (HKV) 443 Hysteroskopie 262
Hydroxybutyrat-Dehydrogenase (HBDH) 419
Hydroxyethylstärke (HES) 135
Hygiene 424 I
Hygienemaßnahmen bei MRSA 153 f. Ibuprofen 331
Hyperalimentation 375 ICP → Druck, intrakranieller
Hyperämisieren 398 Identitätskontrolle 139
Hyperglykämie 244, 378, 509 I : E → Inspirationszeit/Exspirationszeit-Verhältnis
Hyperkaliämie 212, 462 f. IHS → Inspiratory help system
Hyperkapnie 345 Ileus 289, 472
– permissive 447 Ileuseinleitung 76, 209 f.
Hyperlipidämie 379 Imipenem 386 f., 472
Hypermetabolismus 374, 481 Immunonutrition 382, 384
Hyperosmolarität 133 Immunsuppression 266
Hyperreflexie, autonome 469 Impact® 382
Hypertension, portale 475 Impedanzpneumographie 405
Hyperthermie 479 Implantierbarer Cardioverter/Defibrillator (ICD)
– maligne 76, 212 f. 455
hyperton 523 Impulsweiterleitung 155
Hypertonie 126, 325, 517 ff., 523 IMV → Intermittent mandatory ventilation
– bei Alkoholentzug 479 Indikatorfarbstoff 20
– Definition 218 Infectoclont® → Metronidazol
– Klassifikation 518 InfectoFos® → Fosfomycin
– bei Präeklampsie 258 InfectoStaph® → Flucloxacillin
– Therapie 518 f. Infektion
Hypertriglyceridämie 379 – aerogene 424
Hyperventilation 345 – bronchopulmonale 369
– Abfall des paCO2 267 – beim langzeitbeatmeten Patienten 369
– Einfluss – nosokomiale 424
– – auf Kaliumkonzentration 217 Infektionsprophylaxe, Intensivpatient 424
– – auf Narkose 38 Infektionsquelle 424
– – auf Spontanatmung 114 Infiltrationsanästhesie 159 f.
– bei Intoxikation 157 Infrarotlampe 235
– kontrollierte 272 f. Infusionslösungen
– physiologische 251 – balancierte 133
– respiratorische Alkalose 394 – hypertone 133
Hypnomidate® → Etomidat – hypotone 133
Hypnose 1 – immunmodulierte 382
Hypoglykämie 235, 244, 378, 509 – isotone 133
Hypokaliämie 378, 472 – kolloidale 134
Hypokalzämie 142 – kristalloide 133
Hypokapnie 345 Infusionsmenge, perioperative
Hypokinesie 207 – bei Erwachsenen 145
Hypomagnesiämie 479 – bei Kindern 146
Hypophysentumor 279 Infusionsprobe 190
Hypotension, kontrollierte 273 Infusionstherapie 132 f.
Hypothermie 231, 467, 509 – perioperative, bei Kindern 244
– Herz-Lungen-Maschine 311 Inhalationsanästhesie, reine 113 f., 116
– bei Kindern 235 Inhalationsanästhetika 36 f., 274
hypoton 523 – Definition 36
Hypotonie 60, 126, 175, 218, 325 – Dosierung 118
Hypoventilation 114, 120, 345 f., 394 – Löslichkeit 38
574 Sachverzeichnis

Inhalationsanästhetika Intravenöse Anästhesie (IVA) → Anästhesie,


– maximale Arbeitsplatzkonzentration intravenöse
(MAK) 149 f. Intrazellulärraum 132, 391
– Reduktion 121 Intrinsic-PEEP 499
– Steuerbarkeit 36 Introducer 199
– Umverteilungsphänomene 37 Intubation 92
Inhalationseinleitung 123 – einseitige 233, 281
Inhalationstherapie 425 – endotracheale 82, 92, 487, 540
Inhalationstrauma 515 – fehlerhafte 97 f.
Injektion, intraartielle 51 – fiberbronchoskopische 225, 227 f.
Injektionsgeschwindigkeit, Anästhetika, – fiberoptische 225 f.
intravenöse 48 – in der HNO-Chirurgie 280
Inkubator 235 – in der Kieferchirurgie 280
In-Line-Filtration 137 – bei Kindern 242 f.
Innoheb® → Tinzaparin – Komplikationen 100
INR → International normalized ratio – nasotracheale 82, 95 f., 347
Insektenvernichtungsmittel, Vergiftung 516 – orotracheale 82, 92 ff.
Inspiration 340 – Richtwerte 346
Inspirationsdauer 353 – in der Thoraxchirurgie 294
Inspirationsgemisch 12 – Vorbereitungen 92
Inspirationspause 352 Intubationslarynxmaske 104 f., 228
Inspirationsschenkel 13 Intubationsnarkose 115 f.
Inspirationsschlauch 13 ff. – Narkoseaufrechterhaltung 118 f.
Inspirationsventil 13 f. – Narkoseausleitung 121
Inspirationszeit/Exspirationszeit-Verhältnis (I : E) – Narkoseeinleitung 116 ff.
22 f., 352 Intubationsprobleme 223, 225, 228 f.
Inspiratorischer Assist (IA) → Spontanatmung, Invanz® → Ertapenem
druckunterstützte Inversed BIPAP 360
Inspiratory help system (IHS) 361 Inversed-Ratio-Ventilation (IRV) 352
Inspiratory pressure support (IPS) 361 Inzolen® 381
Inspra® → Eplerenon Iod 381
Instillagel® 434 Ionosteril® 134
Insuffizienz, respiratorische 345 Ipecacuanha-Sirup 513
Insufflation 532 IPPB → Intermittent positive pressure breathing
– bei Kindern 543 IPPV → Überdruckbeatmung, intermittierende
Insulin 378 IPS → Inspiratory pressure support
Insulinresistenz 378 Irbesartan 521
Insulintherapie, intensivierte 484 IRV → Inversed-Ratio-Ventilation
Integrilin® → Eptifibatid Ischämieschmerz 184
Intensivmedizin 339 Ischämietoleranz 299
Intensivpatient Iscover® → Clopidogrel
– Lagerung 431 ff. Isoagglutinine 137
– Pflege 418 ff. Isofluran 39, 42 f.
– Überwachung 399 ff. Isofluranverdampfer 17
Intensivstation 339 Isoptin® → Verapamil
Intermittent mandatory ventilation (IMV) 359 Isoxazolylpenicilline 386 f.
Intermittent positive pressure breathing (IPPB) 356 ITBV → Blutvolumen, intrathorakales
Intermittent positive pressure ventilation (IPPV) → ITN → Intubationsnarkose
Überdruckbeatmung, intermittierende IUD → Druckmessung, intrauterine
International normalized ratio (INR) 161 IVA → Anästhesie, intravenöse
Interstitium 132 f. IVRA → Regionalanästhesie, intravenöse
Intertrigoprophylaxe, Intensivpatient 430
Intoxikation → Vergiftung
Intrakardiale EKG-Ableitung 191 J
Intrakranielle Eingriffe, Überwachungs­- Jackson-Position 92
maßnahmen 275 Jejunalsonde 381
Intravasalraum 132 Jet-Ventilation, transtracheale 229 f.
Sachverzeichnis 575

K Kinair®-Bett 433
Kaiserschnitt 232 Kinderanästhesie → Anästhesie bei Kindern
– bei Eklampsie 261 Kinderkreissystem 238
– notfallmäßiger 257 Klacid® → Clarithromycin
– Periduralanästhesie 255 Klappenchirurgie 315
– Spinalanästhesie 255 Klappenöffnungsfläche 207
– Vollnarkose 255 f. Kloni 415
Kalibration 196 Klysma 474
Kalium 377, 380, 419 Knipsreflex 411, 413
– Freisetzung 74 Knochenzement 220, 223, 294
– Konzentration 75 Koagulationsnekrose 515
Kaliumkanalblocker 158 Kohlendioxidabsorber 13 f., 20
Kälteagglutininen 139 Kohlendioxidmessung
Kältegefühl 336 – endexspiratorische 405
Kälteverdünnungsmethode → – exspiratorische 98
Thermodilutionsmethode – transkutane 406
Kammerflimmern 402, 498, 537 f. Kohlendioxidpartialdruck 343
Kammertachykardie, pulslose 537 f. Kohlendioxidvergiftung 514 f.
Kanüle Kohlenhydrate 377 f.
– immobile → Nadel, immobile Kohlenmonoxidhämoglobin (COHb) 406
– intraossäre 486 Kohlenmonoxidvergiftung 480, 514
– periphervenöse 486 Kohlensäure 390
Kapnometrie 405 Kolliquationsnekrose 515
Kardioanästhesie → Anästhesie, in der Kolloide 134 f.
Herzchirurgie Kolonisation 153
Kardiochirurgie, minimalinvasive Kolonresektion 290 f.
Operationstechniken 314 f. Koma, hyperglykämisches und ketoacidotisches 510
Kardioplegie 299 komatös 317, 321
Karvea® → Irbesartan Kombitubus 541
Katarakt 286 Kommandoatmung 124
Kataraktoperation 286 Kompresse 442 f.
Katheter Kompressionssonde 476
– Blase 434 Kompressionssyndrom, aortakavales 251
– suprapubischer 435 f. Konakion® 376
Katheterabscherung 181 Konduktion 235
Katheterintervention, Herzinfarkt 497 Konfabulation 409
Katheterlage, intravenöse 181 Koniotomie 229
Katheterspinalanästhesie 176 Konjunktiva 290, 319
Kationenaustauscher 462 Kontamination 424
Katzenbuckel 170, 177 Kontrakturentstehung 430
Kaureflex 415 Kontrakturprophylaxe, Intensivpatient 430
Kavakatheter → Venenkatheter, zentraler Kontrollvariable, Beatmungsgerät 355
Kavakompressionssyndrom 250 f. Konvektion 235
Kehlkopf → Larynx Konzentrationsgefälle 36
Kehlkopfeingang 82 f., 94 Kopf, Überstreckung 528
Kehlkopfmaske → Larynxmaske Kopfendoprothese 293
Kehlkopfuntersuchung 282 Kopfschmerz, postspinaler 173
Kennfarben, Anschlüsse, Narkosegerät 24 Kornealreflex 410
Ketamin 55 f., 217, 366 Koronarangioplastie, perkutane transluminale 461,
– Gabe bei Kindern 245 492
Ketanest S® → Esketamin Koronararterie 296
Ketanest® → Ketamin Koronardurchblutung 297 f.
Ketoacidose 510 Koronare Herzkrankheit (KHK) 489 f.
Ketonkörper 374 Koronarintervention, perkutane/primäre (PCI) 460 f.
Kevatril → Granisetron Koronarperfusat 299
Kieferklemme 212, 280 f. Koronarreserve 296
576 Sachverzeichnis

Koronarsyndrom, akutes 457, 489, 492 f. – Seiten- 294 f., 431


– Therapie 495 – – rückenmarksnahe Leitungsanästhesie 169
Koronarthromben 457 – bei SHT 467
Koronarwiderstand 298 – sitzende 270 f.
Körperpflege 418 – – rückenmarksnahe Leitungsanästhesie 169
Krampfanfall, zerebraler 470, 479, 510 f. – in Spezialbetten 433
Krampfschwelle, zerebrale 7 f. Laienhelfer 533
Kraniotomie 279, 468 Langzeitbeatmung 349
Kreatinin 419, 463 – Entwöhnung 371
Kreatinin-Clearance 462 Langzeitintubation 347
Kreatinkinase (CK) 213, 419, 458 Laparoskopie 262
Kreatinphosphokinase 458 Laryngeal mask airway (LMA) → Larynxmaske
Kreislauf Laryngoskop 88, 93
– bei älteren Patienten 249 – für Kinder 237
– bei Kindern 543 – nach MacIntosh 89
Kreislaufkurzschluss, bei Kindern 234 – nach Miller 89, 95
Kreislaufstillstand 526 Laryngospasmus 45, 76, 100 f., 214 f., 281, 291
Kreislaufzeit 248 Larynx 82 f., 92
Kreissystem 13 ff., 108 f. – bei Kindern 233
– Dräger 8 ISO 23 Larynxmaske 101 ff., 112, 131 f., 228
– Narkoseapparat 14 – doppelläufige 104
Kreuzgriff 92 – flexible 104
Kreuzinfektion 424 – Größen 104
Kreuzprobe 138 Larynxtubus 105, 132
Kristalloide 133 Lasix → Furosemid
Kuhn-System 12 LAST → Left-anterior small thoracotomy
Kumulation 47, 67 Latex 220
Kunsthaut 482 Laudanosin 70
Kupfer 381 Lauge, Verätzung 515
Kussmaul-Zeichen 502 Lavage, bronchoalveoläre 390
Lavasept® 443
Laxanzien 474
L Laxoberal® → Natriumpicosulfat
Laboruntersuchung 3 LCT → Fettsäuren, langkettige
Laborwerte 554 Lebensrettende Maßnahmen
Lachgas 39 f. – bei Neugeborenen 549
– Abstellen 122 – bei Säuglingen und Kindern 546
– Kennfarbe 24 Leber, Störung 259
– Luftembolie 272 „Leberlösungen“ 380
– Volumenzunahme 40 Leberoperationen 289
Lachgasdiffusion 282 Leberwerte 553
Lachgasexposition 150 Leberzirrhose 289, 475
Lachgassperre 16 Leckage 27, 149
Lachgasvorrat 24 Left-anterior small thoracotomy (LAST) 314
Lackmuspapier 427 Legionellen 389
Lactat 133 f., 374, 392, 419 Leistenbruchoperation 287
Lactulose 477 Leitsymptome 485
Lagerung Leitungsanästhesie 159 f.
– bei Bandscheibenoperation 270 – rückenmarksnahe 159, 168, 337
– Bauch- 270, 432 – Vorbereitungen 161
– Intensivpatient 431 Lendenwirbelsäule 169
– Knie-Ellenbogen- 270 Lepirudin 162 f.
– Nieren- 262 f. Leukozyten 419, 478
– Patient 35 Leukozytendepletion 137
– bei Querschnittslähmung 469 Levobupivacain 156
– Schäden 35 Levofloxacin 387 ff.
Sachverzeichnis 577

Lexotanil → Bromazepam Lungenembolie 452 f.


Lidocain 156, 218, 498, 541 Lungenerkrankungen 445 ff.
– Gabe bei Kindern 245, 544 – chronisch obstruktive 371, 451 f.
Lidreflex 113, 410 Lungenkontusion 452
Ligamentum Lungenleiden, chronisches 325
– cricothyroideum 229 Lungenödem 354, 446, 448, 501 ff.
– flavum 168 f., 176 Lungenstrombahn 271
– interspinale 168 f. Lungenversagen, akutes 445 f.
– supraspinale 168 f. Lungenvolumina 341 f.
Lincosamide 388 f. Lungenwasser, extravasales (EVLW) 204
Linezolid 388 Lymphadenitis 167
Linksherzinsuffizienz 454, 502 Lymphangitis 167
Linton-Nachlas-Sonde 476 Lyse 497
Lipase 419, 477 Lysergsäurediethylamid → LSD
Lipidlösung 157 Lysthenon® → Succinylcholin
Lipofundin® 378
Lippenquetschung 100
Liquemin® → Heparin, unfraktioniertes M
Liquor 168, 172 Maaloxan® 427
– cerebrospinalis 171 Macrodex® 6 % → Dextranpräparate
Liquordruck 267 MAC-Wert (minimale alveoläre Konzentration) 39
Liquorverlust 173, 175 Magenatonie 383
Liquorvolumen 268 Magen-Darm-Atonie 473
Lisinopril 454, 521 Magenentleerung 210
LMA → Larynxmaske Magenentleerungsstörung 383
Lobärpneumonie 449 Magengeschwür 474
Lokalanästhesie 155 ff., 159, 171 Mageninnendruck, bei Succinylcholingabe 75
Lokalanästhetikum 155 f. Magensaftproduktion 383
– vom Amidtyp 156 Magensäure 210
– vom Estertyp 156 Magensekret 448
– hyperbares 172 – pH-Wert 210
– isobares 172 Magensonde 210, 381, 383, 433 f.
– Nebenwirkungen 156 ff. Magenspülung 513
– Plasmakonzentration 156 Magill-Tubus 84 f.
Lonolox® → Minoxidil Magill-Zange 90
Lopirin® → Captopril – für Kinder 237
Lopresor® → Metoprolol Magnerot® → Magnesiumgluconat
Lormetazepam 6, 10 Magnesium 377, 380
LORZAAR® → Losartan Magnesiumgluconat 479
Losartan 519, 521 Magnesiumhydroxid 427
Lösungen → Infusionslösungen Magnesiumsulfat 260
Low cardiac output syndrome 312 Magnetresonanztomographie 409
Low-Dose-Heparinisierung 426 Mainzer Universaladapter 227
Low-Flow-Anästhesie 119 MAK → Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen
Low-Flow-System 12 Makrolide 388 f.
LSD 516 Maligne Hyperthermie (MH) 212 ff.
Luftembolie 270 ff. Mallampati-Zeichen 224
Luftröhre, bei Kindern 233 Mandatory minute ventilation (MMV) 360
Luftwege, Verlegung 323 Mandibularraum 225
Luminal® → Phenobarbital Mandrin 171
Luminaletten® → Phenobarbital Mangan 381
Lunge Manometer 13 f., 19
– Compliance 341 Manometrie 405
– Störung 259 Manschette 83 f.
Lungenbelüftung pro Minute → Ventilation, Manujet-III-Gerät 230
alveoläre Marcumar® → Phenprocoumon
578 Sachverzeichnis

Marihuana 516 MH → Maligne Hyperthermie


Maskenbeatmung 109 ff. MIC → Minimalinvasive Chirurgie
– Schwierigkeiten 114 Midazolam 6, 53 f., 365 f., 495
Maskeneinleitung 240 MIDCAB → Minimally invasive direct coronary
Maskennarkose 112 f. artery bypass
Material, Narkosevorbereitung 32 Mikroaggregate 137
Maximaldosierung 157 Mikrobiologie 389
Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK) Mikrolaryngealtubus (MLT-Tubus) 282
149 f. Mikrospülsystem 192, 196
Maxipime® → Cefepim Mikrozirkulationsstörungen 484
Mazeration 430 Milchsäure 392
MCT → Fettsäuren, mittelkettige Milrinon 208, 304
Meaverin → Mepivacain Minderdurchblutung, zerebrale 508
Mediastinalflattern 504 Minimal-Flow-Anästhesie 119
Medikamente Minimal-Flow-System 12
– bei älteren Menschen 249 Minimalinvasive Chirurgie (MIC) 288 f., 314 f.
– Aufziehen 32 Minimally invasive direct coronary artery bypass
– Gabe bei Kindern 544 (MIDCAB) 314
– Narkosevorbereitung 32 Minipress® → Prazosin
Medikamentenvergiftung 515 Minirin® → Desmopressin
Medikamentenverzeichnis 555 Minithorakotomie 314, 506
Medizinprodukte 25 Minoxidil 521
Medizinproduktegesetz (MPG) 25, 556 ff. Miosis 8, 58
Medtro-Karte 140 Mitralinsuffizienz 313
Mefoxitin® → Cefoxitin Mitralklappe 313
Mehrfachverletzung → Polytrauma Mitralstenose 313
Membranpotenzial 64 Mitteldruck 403
Membranstabilisierung, Lokalanästhetikum 156 Mittelhirnsyndrom 415
Mendelson-Syndrom 448 Mivacron® → Mivacurium
Meningitis 175, 508 Mivacurium 71
Mepivacain 156 – Gabe bei Kindern 245
Meronem® → Meropenem MLT-Tubus → Mikrolaryngealtubus 282
Meropenem 386 f. MMV → Mandatory minute ventilation
Mescalin 516 Mobilisierung, postoperative 451
Mesenterialwurzel 287 Moduretik 519
Mesh-Transplantat 482 Molybdän 381
Mestinon® → Pyridostigmin Monaldi-Drainage 437, 506
Metalyse → Tenecteplase Monitoring 339
Metamizol 331 f. – apparatives 416
Meteorismus 472 – Intensivpatient 399
Methämoglobin 158 – intraoperatives, bei Kindern 243
Methergin® 253, 256 – neuromuskuläres 76 ff.
Methicillin 424 Monoacrylat 70
Methicillinresistente Staphylococcus-aureus-Stämme Monobactame 387
152 f., 389, 424 Mono-Embolex® → Certoparin
– Hygienemaßnahmen 153 f. Morphin 495
Methohexital 51, 240 Motilium® → Domperidon
– Gabe bei Kindern 245 Moxifloxacin 387 f.
Methyldopa 521 MPG → Medizinproduktegesetz
Methylenblau 158 MRSA → Methicillinresistente
Methylergometrin 253 Staphylococcus-aureus-Stämme
Methylprednisolon 216, 469 MRT → Magnetresonanztomographie
Metoclopramid 210, 335, 383, 473 Multivitaminpräparate 381
Metoprolol 327, 454, 496, 519 f. Mundpflege 422
Metronidazol 247, 388, 475 Mund-zu-Mund-Beatmung 531 ff.
Mezlocillin 247, 386 f., 472 Murphy-Tubus 85
Sachverzeichnis 579

Musculus adductor pollicis 79 Naloxon DeltaSelect → Naloxon


Muskeldepot 47 Narkose → Anästhesie
Muskeldystrophie vom Typ Duchenne 76 Narkoseapparat 11
Muskeleigenreflex 411, 469 Narkosegasbelastung 149 f.
Muskelerschlaffung 1 Narkosegasüberhang 323
Muskelfasern, quergestreifte 64 Narkosegerät
Muskelfibrillieren 74 – Anschlüsse 24
Muskelkater 74 – Fabius Tiro 23
Muskelkontraktion 64 – Funktionsprüfung 26
Muskelrelaxanzien 64, 220 – Physioflex 13
– depolarisierende 73 – Zeus 13, 23
– nicht depolarisierende 64 ff., 67 f. Narkoseprobleme 209
– – Antagonisierung 71 f., 82 Narkoseprotokoll 148
Muskelrigidität 212 Narkosestadien 106
Muskelspindel 160 Narkosesystem 11
Muskelzellmembran 64 – Frischgasfluss 13
Muskelzittern 235 – geschlossenes 13
Muskelzuckungen → Myokloni – halbgeschlossenes 12 f., 108
Mutterkornpräparat 253 – halboffenes 12
Muttermund 252 – für Kinder 238
Myasthenia gravis 7 – Low-Flow-System 12
Mydriasis 9 – Minimal-Flow-System 12
Mykoplasmen 389 – offenes 11
Myoglobin 76, 419, 459 – quantitatives 13
Myoglobinämie 213 Narkosetiefe 37, 106 f.
Myoglobinurie 76, 213 – Beurteilung 115, 120
Myokardinfarkt → Herzinfarkt Narkosewagen 31 f.
Myokloni 53, 74 Narkosezubehör, speziell für Kinder 236
Myopathie 76 Naropin → Ropivacain
Nasenpflege 422
Nasensonde 324
N Nasivin® 225
N2O → Lachgas Nasopharyngealtubus 323
Nachbehandlung, postoperative Natrium 377, 380
– bei älteren Patienten 250 Natriumbicarbonat 462, 542, 550
– in der Thoraxchirurgie 296 – Gabe bei Kindern 545
Nachblutung 265, 281 – – Reanimation 245
Nachgeburtsperiode 252 f. Natriumcitrat 210
Nachholbedarf, Flüssigkeitstherapie, perioperative Natriumdefizit 265
144 Natriumkanalblocker 158
Nachlast 207, 297, 305 Natriumkanäle 155
Nachrelaxation 118 f. Natriumpicosulfat 474
Nachteile Natriumthiosulfat 274
– intravenöse Anästhesie 130 NDD → Diät, nährstoffdefinierte
– totale intravenöse Anästhesie 130 Nebennierenmark 300
Nackensteifigkeit 416 Nebenwirkungen, Muskelrelaxanzien, nicht
NaCl 134 depolarisierende 66
Nadel, immobile 165 f. Neck dissection → Halsdissektion
Nadelstichverletzung 150 f. NEF → Notarzteinsatzfahrzeug
Nadroparin 162, 426 Neostigmin 72, 474
Nagelpflege 423 – Gabe bei Kindern 245
Nahrungsaufnahme, postoperative 292 Neostigmin DeltaSelect → Neostigmin
Nahrungskarenz → Nüchternheit Nephrotoxizität 44
Nalador® → Sulproston Nepresol® → Dihydralazin
Naloxon 61 Nervenblockade 159, 163
– Gabe bei Kindern 245 – nach Oberst 163 f.
580 Sachverzeichnis

Nervenfasertypen, Klassifizierung 160 – zur Blutdrucksenkung 326


Nervenstimulator 78, 165 f. – Einfluss auf Gefäßwiderstand 202
Nervensystem – in der Herzchirurgie 304
– parasympathisches 66 – bei Herzinfarkt 459
– somatisches 67 – hypertensiver Notfall 522
– sympathisches 66 – bei Hypotension, kontrollierte 273
– vegetatives 66 f. Nitroimidazole 388
– – Wirkung von Succinylcholin 75 Nitrolingual® → Nitroglycerin
Nervus Nitroprussidnatrium (NPN) 202, 273 f., 305, 522
– facialis 80 NIV (non-invasive ventilation) → Beatmung, nicht
– medianus 165 f. invasive
– musculocutaneus 166 f. NLA → Neuroleptanästhesie
– obturatorius 264 Noctamid → Lormetazepam
– oculomotorius 269, 410 No-Flow-Phase 352 f.
– peronaeus 80 Non-ST-elevation myocardial infarction (NSTEMI)
– radialis 36, 165 ff. 457, 492
– tibialis 80 Noradrenalin 300 f., 484
– ulnaris 79 f., 165 f. Norcuron® → Vecuronium
– vagus 283 Norton-Skala 429
– – Hemmung 9 Norvasc® → Amlopidin
Netilmicin 388 Notarzt 485
Neugeborene 233 – leitender 524
– Reanimation 547 Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) 485
9er-Regel 480 Notfall, hypertensiver 519, 523
Neuroleptanästhesie (NLA) 130 f., 232 Notfallmedizin 485
Neuroleptika 7 f. Notfallmeldung 485
Neuron Notfallpatient 526
– erregendes 157 Notfalltransfusion 141
– hemmendes 157 Notsectio → Kaiserschnitt, notfallmäßiger
– postganglionäres 66 f. Novalgin® → Metamizol
– präganglionäres 66 f. Novocain → Procain
Nexium® → Esomeprazol NSAR → Antirheumatika, nicht steroidale
New-York-Heart-Association-(NYHA-) NSTEMI → Non-ST-elevation myocardial
Klassifizierung 501 infarction
Nicotinabstinenz 209 Nüchternheit 5, 209
Nicotinsäure 381 – Kinder 238
Niederdruckmanschette 83 f. Nucleotide 384
Niere, Störung 259 Null-Linien-EEG 470
Nierenentnahme 266 Nullpunktabgleich 196
Nierenerkrankungen 461 ff. Nurofen® → Ibuprofen
Nierenersatztherapie 463 Nutricomp 382
Nierenersatzverfahren 464 NuTRIflex® 376, 380
Niereninsuffizienz 68 NYHA-Klassifizierung → New-York-Heart-
Nierenlagerung 262 f. Association-Klassifizierung
Nierenoperation 262 f.
Nierentransplantation 266 f.
Nierenversagen 461 ff. O
Nifedipin 305, 520, 522 Oberbaucheingriffe 287 f.
Nimbex® → Cis-Atracurium Oberflächenanästhesie 159
Nimodipin 468 Oberschenkelhalsfraktur 293
nipruss® → Nitroprussidnatrium Oberst-Nervenblockade 163 f.
Nisoldipin 520 Obstipation 8, 58
Nitrendipin 326, 521 f. Obstruktion 451
Nitroglycerin Obturatoriusreflex 264
– beim akuten Koronarsyndrom 495 f. Octreotid 476
– bei Angina-pectoris-Schmerzen 459 Ödem 258
Sachverzeichnis 581

Offenes System → Narkosesystem P


Off-pump coronary artery bypass (OPCAB) 314 paCO2, Richtwerte für die Intubation und Beatmung
Ofloxacin 387 346
Ohrenpflege 423 Palacos® 223
Oligurie 461 Pallidum 414
Omega-3-Fettsäuren 379, 384 f. Palpation 404
Omega-6-Fettsäuren 379 Panaritium 168
Omegaven 379, 385 Pancuronium 68 f.
Omeprazol 210, 428, 475 – Gabe bei Kindern 245
Ondansetron 335 Pancuronium Organon® → Pancuronium
OPCAB → Off-pump coronary artery bypass Pankreatitis 477 f.
Open-Lung-Konzept 446 f. Pantolax® → Succinylcholin
Operation Pantoprazol 210, 428, 475
– elektive 293 Pantozol® → Pantoprazol
– geplante 293 paO2, Richtwerte für die Intubation
– notfallmäßige 292 und Beatmung 346
Operationsplan 3 PAP → Pulmonary artery pressure
Operatives Vorgehen, Beobachtung 120 Paracetamol 330 f.
Opioidantagonisten 61 Paralysestadium 106
Opioiddosierung, bedarfsadaptierte 328 f. Paraplegie 469
Opioide 8 ff., 329, 516 Parästhesie 165
– peridurale Gabe 179 Parasympathikolytika 9
Opioidtitration 328 f. Parasympathikomimetika 63
Opioidüberhang 61, 124 f., 322 Parasympathikusstimulierung 72
Opisthotonus 509 Parasympatholytika → Parasympathikolytika
Opium 8 Paraxin® → Chloramphenicol
Oppenheim-Reflex 412, 414 Parazentese 283
Orasthin® → Oxytoxin Parecoxib 333
ORC → Reflex, okulokardialer Paromomycin 477
Orchestra Base Primea 127 Parotitis 422
ORC-System → Oxygen-Ratio-Controller-System Pars-plana-Vitrektomie (PPV) 286
Organophosphate 516 Partialdruck 36
Organspenderpass 266 – inspiratorischer 38
Organtransplantation 266 Partialinsuffizienz 346
Orgaran 162 Parts per million (ppm) 150
ortho-Toluidin 158 Partusisten® 256
Osmolarität 417 Paspertin® → Metoclopramid
– Urin 276 Pass-over-Verdampfer 364
– verschiedener Lösungen 134 Patellarsehnenreflex 260, 411, 413
Ösophagusvarizen(-blutung) 474 ff., 477 Patient
Ösophagusverschlussdruck 110 – Narkosevorbereitung 32
Oxacillin 387 – Transport auf die Intensivstation 295
Oxazepam 6 Patient controlled analgesia (PCA) 328 f.
Oxazolidinone 388 Patientenakte 3
Oxford-Tubus 85 PCA → Patient controlled analgesia
Oxygenator 298 PC-HMV → Pulskontur-Herzminutenvolumen
Oxygenierungsfunktion 344 PCI → Primäre Coronarintervention
Oxygenierungsindex 445 PCV → Beatmung, druckkontrollierte
Oxygenierungssprung 447 PCWP → Wedge-Druck
Oxygen-Ratio-Controller-(ORC-)System 16 PDA → Periduralanästhesie
Oxytocin 251, 253, 256 PEEP (positive endexspiratory pressure)
Oxytocinpräparat 253 23, 188, 353 f.
– extrinsic 354
– Gefahren 369
– intrinsic 352, 354
– optimaler 354
582 Sachverzeichnis

PEG → Perkutane endoskopische Gastrostomie Physiotherapie 430


Pegasus-Matratze 433 Physostigmin 63 f., 337
Pencil-Point-Kanüle 173 PiCCO 204
Pendelluft 504 Pilzpneumonie 450
Penicillin 386 f. Pindolol 520
Penicillin G → Benzylpenicillin Piperacillin 386 f., 472
Pepdul® → Famotidin Piperacillin-ratiopharm® → Piperacillin
Peptide 379 Pirenzepin 428
Perfalgan → Paracetamol Piretanid 520
Perfan® → Enoximon Piritramid 9, 329
Perfusionsdruck 403 – Gabe bei Kindern 246
– arterieller, Herz-Lungen-Maschine 309 Planum 106
– koronarer 297 Plaques, atheromatöse 457
– zerebraler 268 f. Plasmacholinesterase → Pseudocholinesterase
Periduralanästhesie (PDA) 253 Plasmaersatzmittel 134
– Darmatonie 474 – körpereigene 136
– Kaiserschnitt 255 – künstliche 134 f.
– Komplikationen 181 Plasmaexpander 134
– Präeklampsie 260 Plasmakonzentration, angestrebte 126
– Sympathikusblockade 180 Plasmaproteine, Mangel 147
– thorakale 176, 181 f. Plastikverweilkanüle 32
– vaginale Entbindung 254 Plättchenfunktionsanalysator (PFA) 161
Periduralkanüle 177 Plavix® → Clopidogrel
Periduralkatheter 176, 178 f. Plazentaschranke 257
Periduralraum 168 f., 176 Pleuraspalt 295 f.
Perikarderguss 463 Pleur-evac®-System 295, 439 f., 506
Perindopril 521 Plexus
Periplasmal® 380 – axillaris, Blockade 165 f.
Peristaltik 472 – brachialis 35
Peritoneal-Lavage 472 – – Blockade 164, 167
Peritonitis 471 f. – lumbalis, perivaskuläre Blockade 264
Peritonsillarabszess 281 Plexusanästhesie 159
Perkussion 404 Pneumocystis carinii 389
Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) 382 Pneumokokken 386
Perkutane transluminale Coronarangioplastie Pneumonie, interstitielle und nosokomiale 449 f.
(PTCA) → Koronarangioplastie, perkutane – Prophylaxe, bei Intensivpatienten 425
transluminale Pneumoperitoneum 288
Perspiratio insensibilis et sensibilis 380 Pneumothorax 189, 436 f., 503 ff.
Pethidin 9 f., 57, 336 Polybion® 381
– Gabe bei Kindern 245 Polytrauma 316 ff., 319 f., 525 f.
PFA → Plättchenfunktionsanalysator Polyurie 461
Pferdeschweif → Cauda equina Pooling, venöses 49, 304
Pflegepersonal, Aufgaben in der Pool-Thrombozytenkonzentrate 138
Intensivmedizin 339 Poor-man’s V5 33
Pharynx 92 Porphyrie 50
Phase-I-Block → Depolarisationsblock Positive endexspiratory pressure → PEEP
Phase-II-Block → Dualblock Postaggressionsstoffwechsel 374
Phenhydan® 470 Postanesthetic recovery score (PARS) 327 f.
Phenobarbital 7, 467, 470 Postexpositionsprophylaxe 151
– Gabe bei Kindern 246 Povidon-Iod 434
Phenprocoumon 162, 508 PPV → Pars-plana-Vitrektomie
Phenytoin 218, 470 Präcurarisierung 74, 116
Phosphat 377, 380 Prädelir 478
Phosphatase, alkalische 478 Prädilektionsstellen 153
Phosphodiesterasehemmer 304, 456 Prädisposition 214
pH-Wert 390 f. Präeklampsie 257 ff., 260
Sachverzeichnis 583

Prämedikation 5 ff. Pulmonalarterie → Arteria pulmonalis


– in der Abdominalchirurgie 287 Pulmonalarterienkatheter 197, 199 f.
– bei älteren Patienten 249 Pulmonaliskatheter → Pulmonalarterienkatheter
– Durchführung 10 f. Pulmonary artery pressure (PAP) 203
– intramuskuläre 9 ff. Pulskontur-Herzminutenvolumen (PC-HMV) 204
– in der Neurochirurgie 276 Pulsoxymeter 33
– orale 6, 10 Pulsoxymetrie 405 f.
– orale und rektale, bei Kindern 239 Punktion
Präoxygenierung 113 – periphervenöse 34, 186
Prazosin 521 – ultraschallgesteuerte 167, 187
Prednisolon 221 f., 266, 500 – zentralvenöse 187
– Gabe bei Kindern 246 Punktionsorte, zentraler Venenkatheter 186
Preload → Vorlast Punktionstracheostomie 348
Prent® → Acebutolol Pupillen, stecknadelkopfgroße 124
Pres® → Enalapril Pupillenbefund 410
Presinol® → Methyldopa Pupillenerweiterung → Mydriasis
Pressure controlled ventilation (PCV) → Beatmung, Pupillenverengung → Miosis
druckkontrollierte Pupillomotorik 408, 410
Prilocain 156, 158, 184 Pyridostigmin 72 f.
Primäre Coronarintervention (PCI) 460 – Gabe bei Kindern 246
Priming-Dosis 116 Pyridoxin 479
Priming-Prinzip 116
PRIS → Propofolinfusionssyndrom
Procain 156 Q
Promethazin 8, 10 Querflöte 362
– Gabe bei Kindern 246 Querschnittslähmung 317, 468 f.
Promit → Dextranpräparate Querschnittssymptomatik 175, 181
Prophylaxe Querschnittssyndrome 415
– Bronchospasmus 216 Quick-Wert 161, 289, 419
– Laryngospasmus 215 Quinapril 521
Propofol 54 f., 275, 366 Quincke-Schliff 171
– Gabe bei Kindern 246 Quinupristin 388
Propofolinfusionssyndrom (PRIS) 54, 366
Propranolol 520
ProSeal-Larynxmaske 105 R
Prostatakapsel, Perforation 265 Racemat 57
Protamin 220, 312 Rachen → Pharynx
Protaminsulfat 309 Rachenmandeln 243, 281
Proteinabbau 374 Radiation 235
Proteinbindung, Anästhetika, intravenöse 48 Radiusperiostreflex 411, 413
Proteine 374, 379, 419 RAE-Tubus 279
Proteinurie 258 Ramipril 454, 521
Protonenpumpenhemmer 210, 428, 475 Ramsay-Skala 365
Provas® → Valsartan Ramus
Pseudoallergie 219 – circumflexus 296
Pseudocholinesterase 71, 73 f. – interventricularis anterior 296
Pseudomonaden 386 Ranitidin 210, 222, 427
Pseudomonas aeruginosa 389, 481 Rapid sequence induction (RSI) → Ileuseinleitung
PSR → Patellarsehnenreflex Rapifen® → Alfentanil
PSV → Spontanatmung, druckunterstützte Rasselgeräusche (RG) 404
PTCA → Koronarangioplastie, perkutane Rauchvergiftung 406
transluminale Raum, interstitieller → Interstitium
PTT → Thromboplastinzeit, partielle Rauschstadium 106
Pufferlösungen 391 Ravussin-Kanüle 229
Puffersysteme 391 Reanimation
Pulmo-capillary wedge-pressure (PCWP) → – kardiopulmonale 526 ff.
Wedge-Druck – bei Kindern 542 ff.
584 Sachverzeichnis

Reanimation, bei Neugeborenen 547 ff. Rettungskette 485 f.


Reanimationsmaßnahmen, erweiterte, Revasc® → Desirudin
Therapieempfehlungen 539 Revaskularisation 460
Reanimationszyklus 533, 538 Reviparin 162
Rebound-Effekt 269, 274 Rhabdomyolyse 212, 242
Rechteck-Flow 351 – bei Succinylcholingabe 76
Rechtsherzinsuffizienz 454, 502 Rifa® → Rifampicin
Rechts-links-Shunt 24, 263, 294 f., 344, 397, 446 Rifampicin 388
Reconvan® 382 Rigor 415
Reflektionsspektrophotometrie 202 Ringer-Acetatlösung 134
Reflex 409 f. Ringer-Lactat 134
– okulokardialer 284 Ringer-Lösung 134
– okulovestibulärer 411 f. Ringknorpel 82, 233
– okulozephaler 411 Risikopatient, kardialer 53
– pathologischer 410, 412, 414 Riva-Rocci (RR) 402
– spinaler 469 Rivotril® → Clonazepam
– vagaler 9 R-Ketamin 57
– vegetativer 1, 100 Robertshaw-Tubus 86 f.
Refludan® → Lepirudin Rocephin® → Ceftriaxon
Refobacin® → Gentamicin Rocuronium 69
Regionalanästhesie 155 ff., 159 f. – Gabe bei Kindern 246
– intravenöse 182 ff. Rofecoxib 333
Regurgitation 209, 383 Rohypnol → Flunitrazepam
Regurgitationsvolumen 207 Rollerpumpe 298
Reiz, supramaximaler 78 Röntgenaufnahme 3
Reizantwort 77 Röntgenkontrastmittel 220
Reizstrom 165 Ropivacain 156, 254
Rektumexstirpation 290 Rotameter 16
Rektumoperation 290 Roto-Rest®-Bett 367
Rektumresektion 290 Routinefragen 34 f.
Relaparotomie 472 RR → Riva-Rocci
Relaxans 129 RSI → Ileuseinleitung
Relaxansüberhang 77, 122, 322 rt-PA (recombinant tissue plasminogen activator)
Relaxation 1 460
Relaxationsgrad 76 f., 80 Rückatmung 12 f.
Relaxationstiefe, Beurteilung 77 Rückenlagerung 431
Relaxometrie 76 ff. Rückenmarksverletzung 175, 181 f.
Remifentanil 60 f., 366 Rückwärtsversagen 502
Rendell-Baker-Maske 109, 236 Ruheenergieumsatz 375
ReoPro® → Abciximab Rundrücken 170
Reperfusionsphase 311
Repetitionsdosen 47
Reproterol 216, 221, 501 S
Resektion, transurethrale 264 Salbenverband 442
Reservevolumen, exspiratorisches und Salbutamol 221, 500
inspiratorisches 342 Salmonellen 386
Residualkapazität, funktionelle 38, 240, 342 Sandostatin® → Octreotid
– bei Kindern 234 Sattelblock 172
Residualvolumen 342 Sättigung, gemischtvenöse 201 f.
Resistance 341 Sauerstoff, Kennfarbe 24
Resonium® A 462 Sauerstoffausschöpfung 296
Resorptionsgeschwindigkeit 156 Sauerstoffbedarf, myokardialer 296
Respiratoren 356 Sauerstoffdiffusionskapazität 344
Resynchronisation, kardiale 455 Sauerstoffdissoziationskurve 406
Retina 370 Sauerstoffgehalt 345
Retrovir® 152 Sauerstoffkaskade 343
Sachverzeichnis 585

Sauerstoffkonzentration – kardiogener 498


– hohe, Nebenwirkungen 370 – spinaler 469
– inspiratorische 344, 350 Schocklunge 317
Sauerstoffmangel → Hypoxie Schulterblätter, Schläge 535
Sauerstoffmessgerät 24 Schwangerschaft 250
Sauerstoffmessung, transkutane 406 Schwangerschaftswoche 250, 257
Sauerstoffpartialdruck 343 Schwimmer 16
– Normalwerte 397 Scopolamin 63
Sauerstoffpartialdruckdifferenz 343 Sectio caesarea → Kaiserschnitt
Sauerstoffsättigung Sedierung 6
– arterielle 33 Seitenlage, stabile 529 f.
– gemischtvenöse 354 Seitenlagerung → Lagerung, Seiten-
Sauerstoffsprudler 324 SEK → Serumeiweißkonserven
Sauerstoffträger, Mangel 147 Sekretolytika 452
Sauerstofftransport 344 Sekretstau 370
Sauerstofftransportkapazität 354 Sekundärinfektion 424
Sauerstoffverbrauch 234 Selbstmordversuch 515
Sauerstoffvorrat 24 Seldinger-Technik 194 f., 199
Saugkompresse 442 Selen 381
Saugreflex 415 selenase® 376
Säure 390 Sellik-Handgriff 210
– flüchtige 391 Sengstaken-Blakemore-Sonde 476
– nicht flüchtige 391, 395 Sential Seal® 440
– Verätzung 515 Sepsis 203, 265, 483 f.
Säure-Basen-Haushalt 390 ff. Serokonversion 152
Scandicain → Mepivacain Serotoninantagonisten 334 f.
Schädelbasisbruch 280 Serumeiweißkonserven (SEK) 136
Schädelgrube, hintere 279 Servo-Ventilator 356
Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 317, 466, 508 Sevofluran 39, 43 f.
– Therapie 467 Sevofluranverdampfer 18
Schädel-Hirn-Verletzungen 466 Sevorane® → Sevofluran
Schallkopfpositionierung 207 Shaldon-Katheter 463
Schallwellenreflektion 205 Shivering 336
Schaukelatmung 214 Shunt, portokavaler 476
Schenkel, Pulmonalarterienkatheter 198 SIMV → Synchronized intermittend mandatory
Schieloperation → Strabismusoperation ventilation
Schildknorpel 82 Singultus 217
Schimmelbusch-Maske 11 f. Sinusitis 422
Schlafmedikation 6 SIRS (systemic inflammatory response syndrome)
Schlagvolumen (SV) 207 483
Schleimhautanästhesie 159 Sitzende Lagerung → Lagerung, sitzende
Schleimhautverbrennungen 370 S-Ketamin → Esketamin
Schlierenbildung 172 SMOFlipid® 379
Schlitzkompresse 442 Sobelin® → Clindamycin
Schluckauf → Singultus Sofortmaßnahmen 485, 526
Schluckreflex 411 Soluvit® N 381
Schmatzreflex 415 Somatostatin 476
Schmerzbekämpfung 328 somnolent 317, 321
Schmerzkatheter 180 Sonde, postpylorische 383
Schmerzlinderung → Analgesie Sondenernährung 383 f.
Schmerzreiz 408 Sondenfehllage 384
Schmerztherapie, postoperative 329 f. Sondennahrung 382
Schmerzzustände, chronische 179 Sondenverstopfung 384
Schnüffelposition 92 Sonnenstich 509
Schnüffelstoffe 517 soporös 317, 321
Schock Sorbit 377 f.
– Defibrillation 537 Sostril® → Ranitidin
586 Sachverzeichnis

Spalthauttransplantat 482 Steuerung, Beatmungsgerät 355


Spannungspneumothorax 295, 437, 504 f. Stickoxydul → Lachgas
Spastik 416 Stilnox® → Zolpidem
Spastizität 469 Stimmbänder 214
Spät-Dumping 384 – Verletzung durch Intubation 100
Speed 517 Stimmbandgranulom 100
Speichelsekretproduktion 72 Stimmritze → Glottis
Spendernephrektomie 266 Stimmritzenkrampf → Glottiskrampf
Spinalanästhesie 168, 172 Stoffwechsellage, katabole 374
– Ausbreitung 173 Stoffwechselsteigerung 212
– Austesten 173 Stomatitis 422
– hohe 175 Strabismusoperation 284 f.
– Kaiserschnitt 255 Streptogramine 388
– Katheter 176 Streptokinase 460
– kombiniert mit Periduralanästhesie 182 Streptokokken 386
– Komplikationen 173 Stress 369
– kontinuierliche 176 Stressechokardiographie 207 f.
Spinalkanal 168 Stressulkusprophylaxe, Intensivpatient 427
Spinalkanüle 170 ff., 173 Stridor 214
Spinalpunktion 170 ff. ST-Strecke, EKG 491
Spinalraum 168 f. ST-Strecken-Hebung, EKG 489
Spironolacton 520 ST-Strecken-Senkung, EKG 33
Spitzfußprophylaxe, Intensivpatient 430 Stützautoskopie 282
Spizef® → Cefotiam Subarachnoidalblutung (SAB) 468, 508
Spontanatmung 112, 114, 121, 359, 361 f. Subileus 472
– druckunterstützte 356, 360 f. Substitutionsfluss 465
Spontaneous ventilation (SV) → Spontan­- Succinylbischolin → Succinylcholin
atmung Succinylcholin 73 ff.
Sprotte-Kanüle 173 – Gabe bei Kindern 246
Spülflüssigkeit 194 – Ileuseinleitung 210
Spurenelemente 376, 381, 384 – Intubation 116
Stabilisatorlösung 136 – – bei Kindern 242
Standardbicarbonat 395 Succinyldicholin → Succinylcholin
Stand-by 285 Succinylmonocholin 74
Staphylex® → Flucloxacillin Sucralfat 428
Staphylococcus aureus 152, 386 Sufenta® → Sufentanil
– methicillin(-multi-)resistent → Sufenta® mite 10 → Sufentanil
Methicillinresistente Staphylococcus-aureus- Sufentanil 59 f., 253, 365 f.
Stämme Sufentanil epidural 179, 253, 255
Staphylokokken 386 Sulbactam 386, 472
Stapyhlex® → Flucloxacillin Sulfonamide 389
Stärke 377 Sulproston 256
Stärkepräparate 135 Sultanol® → Salbutamol
Status Suprane® → Desfluran
– asthmaticus 499 ff. Suprarenin® → Adrenalin
– eclampticus 258, 260 Surfactant 340
– epilepticus 511 Survimed® 382
Steckverbindungen, Lösen 280 Suxamethonium → Succinylcholin
Steigrohr 440 SV → Spontanatmung
Steinschnittlagerung 261 SVR → Gefäßwiderstand
STEMI (ST-elevation myocardial infarction) 456 f., Swan-Ganz-Katheter → Pulmonalarterienkatheter
492 Sympathikusblockade 175, 180
Stent-Implantation 492 – Darmatonie 474
Sternotomie 314 Sympathikusfasern 173
Sterofundin® 134 Sympathikusstimulierung 100
Stethoskop, präkordiales 243 f.
Sachverzeichnis 587

Synchronized intermittend mandatory ventilation Thoraxpumpmechanismus 531


(SIMV) 359 f. Thoraxrigidität 58 ff.
Synercid® → Quinupristin Thoraxsaugdrainage 295
Synkope, vasovagale 170, 175 Thoraxstarre → Thoraxrigidität
Syntocinon® → Oxytocin Thoraxtrauma, stumpfes 452
Systemic inflammatory response syndrome → SIRS Thrombolyse 459 f., 497
Systemic vascular resistance (SVR) → Thrombophlebitiden 185, 187
Gefäßwiderstand Thrombophlebitis 53
Thrombophob® → Heparin, unfraktioniertes
Thromboplastinzeit, partielle 161, 419, 453
T Thrombose 185, 187, 427
T4/T1-Quotient 77 Thromboseprophylaxe 161
Tachykardie 9, 126, 212, 401, 479 – Intensivpatient 426
Tachyphylaxie 274 Thrombozyten 147, 419
Tagamet® → Cimetiden Thrombozytenaggregationshemmer 162 f.
Takus® → Ceruletid Thrombozytenkonzentrat 138
Target controlled infusion (TCI) 126 ff. Thrombozytenzahl 161
Targocid® → Teicoplanin Ticlopidin 162 f.
Tarivid® → Ofloxacin Tiffeneau-Atemstoßtest 341
Taschenfalten 214 Tiklyd® → Ticlopidin
Taurolin®-Lösung 472 Tinzaparin 162
Tavanic® → Levofloxacin TIPS → Transjugulärer intrahepatischer
Tavegil® → Clemastin portosystemischer Shunt
Tazobac® → Tazobactam Tirofiban 162
Tazobactam 386 f. TIVA → Anästhesie, totale intravenöse
TCI → Target controlled infusion Tobramycin 388
TE → Tonsillektomie Tod, Definition 526
Tec-6-Verdampfer 45 TOF → „Train of four“-Reizung
TEE → Echokardiographie, transösophageale TOF-Quotient 79 f.
Teerstuhl 474 TOF-Zahl 77
Teicoplanin 388 f. Toleranzstadium 106
Temgesic® → Buprenorphin Tonsillektomie (TE) 281
Temperaturempfinden 160 Torasemid 502, 520
Temperaturregulation, bei Kindern 235 Torasemid® HEXAL → Torasemid
Tenecteplase 459 f. Torem → Torasemid
Tenormin® → Atenolol Totale intravenöse Anästhesie (TIVA) →
Tentorium(-schlitz) 269 Anästhesie, totale intravenöse
TEP → Totalendoprothese Totalendoprothese (TEP) 293
TEP-Wechsel 293 Totalkapazität 343
Terbutalin 221, 500 Totalpneumothorax 505
Terlipressin 476 Totraum 234, 236, 238
Testdosis 179 – Kreissystem 16
Tetanus uteri 257 Tourniquet-Schmerzen 184
Tetracain 156 Toxin 511
Tetracycline 389 Trachea 94 f.
Tetraplegie 469 Trachealkanüle 371
Theophyllin 216, 222, 501 Trachealstenose 100
Thermistorzuleitung 198 Tracheaverletzung 100
Thermodilution, transpulmonale 204 Tracheobronchialsekret 389
Thermodilutionsmethode 201 Tracheostoma 371
Thiamin 479 – Pflege 348
Thiaziddiuretika 519 Tracheostomie 347 f.
Thiopental 49 f. Tracheotomie, Komplikationen 368
– Gabe bei Kindern 246 Tracrium® → Atracurium
Thoraxableitungen nach Wilson 489 „Train of four“-(TOF-)Reizung 79 ff.
Thoraxdrainage 436 ff., 439, 506 f. Tranexamsäure 309
588 Sachverzeichnis

Transducer 193 TUR-Prostatasyndrom 262, 264


Transfusion → Bluttransfusion Tympanoplastik 282
Transfusionsbesteck 139 f.
Transfusionslösungen 136
Transfusionstherapie 132 U
Transfusionszwischenfall 142 f. UAP → Unstable angina pectoris
Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Übelkeit, postoperative 333 f.
Shunt (TIPS) 476 Überdosierung, Lokalanästhetikum 156
Translokation 472 Überdruckbeatmung, intermittierende 354
Transmitter 64 Überdruckgrenze 21
Transport des Patienten auf die Intensivstation 295 Überdruckventil 21, 108 f., 111
Transurethrale Resektion 264 Überstreckung des Kopfes 528
Tranxilium → Dikaliumclorazepat Übertragung, neuromuskuläre 64
Trapanal® → Thiopental Überwässerung 463
Trasylol → Aprotinin Ubretid® → Distigmin
Triagegrade 524 Ulcogant® → Sucralfat
Triamteren 519 Ulcus pepticum 475
Trigger-Latenz 359 Ulkus, stressbedingter 369
Trigger-Schwelle 359 Ulkusblutung 475
Triglyceride 378 f. Ultiva® → Remifentanil
Trilumensonde 381 Ultrafiltrat 464
Trimenonanämie 235 Ultraschall 205
Trimethoprim 389 – Punktion 167, 187
Trinitrosan® → Nitroglycerin Umgehungskreislauf 475
Triple-H-(HHH-)Therapie 468, 475 Umverteilungsphänomene
Trizepssehnenreflex 411, 413 – Anästhetika, intravenöse 47
Trokar 262, 288 – Muskelrelaxanzien, nicht depolarisierende 67
Trommelfell 282 – Thiopental 49
Trömmner-Reflex 411, 413 Unacid® → Ampicillin
Troponin 419, 457, 495 Universalblut 141
Trübungssyndrom 414, 470 Universalspenderblut 137
TSR → Trizepssehnenreflex Unizink® 376
TTE → Echokardiographie, transthorakale Unruhe 337
Tubulusnekrose 462 Unstable angina pectoris (UAP) 492
Tubus Unterkühlung → Hypothermie
– Blocken 96 f. Untersuchung, körperliche 4
– doppelläufiger 87 Uptake 13
– Durchmesser 226 Urapidil 260, 305, 326, 521 f.
– Fixierung 98 Urbason® → Methylprednisolon
– Innendurchmesser 84 Urease-Test 475
– für Kinder 242 Urinosmolarität 462
– Komplikationen 100 Uterusdurchblutung 251
– Lagekontrolle 97 Uterusexstirpation 262
– nasotrachealer 95 f.
– – Fixierung 99
– orotrachealer 94 f. V
– – Fixierung 99 V. A. C. (vacuum assisted closure) 445
– Verlegung 101 Vagusreizung 287
Tubus-Cuff 83 Vagusstimulierung 100
Tubusgrößen 84 Vakuum, Kennfarbe 24
Tubuswahl, Richtwerte, Kindesalter 237 Vakuumversiegelung 445
Tubuswechselstab 230 f. Valium® → Diazepam
Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNF-α) 484 Valsartan 521
Tuohy-Kanüle 176 ff. Vancomycin 388 f.
TUR-Blase 264 Vancomycin CP Lilly® → Vancomycin
TUR-Prostata 264 Vasodilatation 62, 219, 267
Sachverzeichnis 589

Vasodilatatoren 304 Verletztensammelstelle 524


Vasokonstriktion 267 Verlustbedarf, intraoperativer 143
Vasospasmus, zerebraler 468 Vernichtungsschmerzen 457, 493
VCV → Beatmung, volumenkontrollierte Verschlussdruck, pulmonalkapillärer → Wedge-
Vecuronium 69 Druck
– Gabe bei Kindern 246 Versorgungsphasen, Polytrauma 317, 319 f.
Vena Verstopfung → Obstipation
– azygos 251 Verweilkanüle periphervenöse →
– basilica 186 Venenverweilkanüle, periphervenöse
– cava inferior 185, 250 Verwertungsstörung 375
– cava superior 185 Vierfachreizung 79
– cephalica 186 f. Viracept® 152
– femoralis 185 Virchow-Trias 426
– jugularis externa 186, 189 f. Virulenz 152
– jugularis interna 186 f. Visite, präoperative 2
– saphena magna 313 – bei älteren Patienten 248
– subclavia 186, 188 f. – in der Herzchirurgie 305
Venenkatheter, zentraler 185 ff., 436, 486 – bei Kindern 238
– EKG-Kontrolle 190 – in der Thoraxchirurgie 294
– Lagekontrolle 190 Visken® → Pindolol
– Punktionsorte 186 f. Vitafusal® → Hydroxyethylstärke
Venenklappen 186 Vitalfunktionen 526
Venenpunktion 34 Vitalipid 381
– beim Kind 242 Vitalkapazität, Richtwerte für die Intubation und
Venenschmerzen 53 Beatmung 346
Venenverweilkanüle, periphervenöse, Vitalkapazität 343
verletzungssicher 31 Vitamin B1 479
Ventilation, alveoläre 38, 251, 345 Vitamin B6 479
– bei Kindern 234 Vitamin B12 40
Ventilations/Perfusions-Verhältnis 344, 446 Vitaminbedarf 381
Ventilations-Perfusions-Störungen 263 Vitamine 384
Ventilmechanismus 437 – fettlösliche 381
Ventilog-Beatmungsgerät 18, 23 – wasserlösliche 381
Ventilpneumothorax → Spannungspneumothorax Vitrektomie 286
Ventrikelkatheter 267, 417 Vollblut 136
Verapamil 521 Vollelektrolytlösung 133, 244
Verätzung 515 Vollnarkose 1
Verbrauchskoagulopathie 484 – Kaiserschnitt 255 f.
Verbrennungen Voltaren® → Diclofenac
– 9er-Regel 480 Volume controlled ventilation (VCV) → Beatmung,
– Schweregrade 480 volumenkontrollierte
– Therapie 481 Volumen, globales enddiastolisches (GEDV) 204
– Volumentherapie 482 Volumenbegrenzung 356
Verbrennungskrankheit 479 Volumengabe, bei Kindern 545
Verdampfer 17, 364 Volumenmangel 203, 316
Verdampferkammer 17 – intravasaler 289
Verdrängung, kompetitive 65 Volumenmangelschock 251, 525
Verdünnungshyponatriämie 265 Volumensteuerung, Beatmungsgerät 355
Vergiftung 511 ff. Volumenzufuhr, bei Kindern 246
– mit Alkohol 514 f. Volumeter 13 f., 18 f.
– durch Drogen 516 Volumetrie 405
– mit Insektenvernichtungsmittel 516 Voluven® → Hydroxyethylstärke
– mit Kohlendioxid 514 f. Vomex-A® → Dimenhydrinat
– mit Kohlenmonoxid 514 Vorbereitung, Patient 33
– mit Medikamenten 515 Vorderwandinfarkt 493 ff.
Verletztenanhängekarte 524 f. Vorerkrankungen 3
590 Sachverzeichnis

Vorhofflimmern 402 X
Vorlast 207, 297, 304 XANEF® → Enalapril
Vorlastsenkung 502 Xigris → Drotrecogin alfa
Vorwärtsversagen 503 Xomolix® → Droperidol
Xylit 377 f.
Xylocain → Lidocain
W Xylonest → Prilocain
Wachheit, intraoperative 130, 231 f.
Wachheitsgrad 321
Wake ups 517 Y
Wandbewegungsstörung 207 Y-Stück 15
Warfarin 162
Warm Touch 231
Wärmelampe 235 Z
Wärmeverlust 231, 481 Zahnbeschädigungen 100
– halbgeschlossenes Narkosesystem 12 Zähne, lockere 238
– halboffenes Narkosesystem 12 Zahnstatus 225
– bei Kindern 235 Zantic® → Ranitidin
– Kreissystem 14 ZAS → Zentrales anticholinerges Syndrom
Wasserdampf 364 Zeitsteuerung, Beatmungsgerät 356
Wasserdampfdruck 343 Zentrales anticholinerges Syndrom (ZAS) 63, 337
Wasserhaushalt 235 Zeus-Narkosegerät 13, 23
– bei Kindern 236 Zielkonzentration 126, 128
Wasserschloss 295, 439, 506 Zienam® → Imipenem
Wasserstoffionen 391 Zinacef® → Cefuroxim
Wasserstoffionenkonzentration 390 Zink 381
Weaning → Langzeitbeatmung, Entwöhnung Zirkulation, extrakorporale (EKZ) 298, 308 ff., 311
Weckamine 517 Zithromax® → Azithromycin
Wedge-Druck 197, 200, 202, 297 Zittern, postoperatives 336
Wehenschmerz 253 ZNS, Störung 258
Wehentropf 251 ZNS-Erkrankungen 466 ff.
Weichteilverletzungen, Wundbehandlung 445 Zofran® → Ondansetron
Wendl-Tubus 323 f. Zolpidem 6
Whitacre-Kanüle 173 Zuckerdiurese 275
White-Tubus 86 Zuckungsamplitude 77, 79
Widerstandsverlustmethode 178 Zuckungsreaktion 77
Wiederbelebungszeit 526 Zugang
Winkelstück 15 – intravenöser 485
Wirbelsäulenverletzung 317 – bei Kindern 241
Woodbridge-Tubus 85 f. – periphervenöser 34
Wundauflage 442 Zungengröße 224
Wundbehandlung 444 ZVD → Druck, zentralvenöser
– feuchte 443 ZVK → Venenkatheter, zentraler
– Materialien 442 Zweiflaschensystem, Thoraxdrainage 438, 440
– trockene 442 Zweikammerbeutel 380
Wunden Zwerchfellatmung 234
– chronische 445 Zyanose 404
– infizierte 444 Zyvoxid® → Linezolid
Wundheilung 441
Wundverband 442 f.
Wundversorgung 441 ff.
Würgereflex 411

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