Professional Documents
Culture Documents
Anästhesie
Intensivmedizin
Notfallmedizin
7. Auflage
Hans Walter Striebel
Anästhesie
Intensivmedizin
Notfallmedizin
Für Studium und Ausbildung
7., aktualisierte
und erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen werden, dass es sich um einen freien Warennamen
Nationalbibliothek handelt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet die- Das Werk mit allen seinen Teilen ist urheberrechtlich
se Publikation in der Deutschen Nationalbibliogra- geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Bestim-
fie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet mungen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schrift-
über http://dnb.d-nb.de abrufbar. liche Zustimmung des Verlages unzulässig und straf-
bar. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
Besonderer Hinweis: ohne schriftliche Genehmigung des Verlages repro-
Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Ent- duziert werden.
wicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesonde-
re zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, 1988, 1994, 1997, 2000, 2003, 2005, 2009
immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der by Schattauer GmbH, Hölderlinstraße 3,
Drucklegung des Buches entsprechen können. Hin- 70174 Stuttgart, Germany
sichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Thera- E-Mail: info@schattauer.de
pie und der Auswahl sowie Dosierung von Medika- Internet: http://www.schattauer.de
menten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Printed in Germany
Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die
Beipackzettel und Fachinformationen der Herstel- Lektorat: Dipl.-Chem. Claudia Ganter
ler zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall Umschlagabbildung: Prof. Dr. med. Hans Walter
einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstim- Striebel
migkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Satz: am-productions GmbH,
Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt In den Weinäckern 12, 69168 Wiesloch
verantwortlich für jede diagnostische oder therapeu- Druck und Einband: Mayr Miesbach GmbH,
tische Applikation, Medikation und Dosierung. Druck . Medien . Verlag, Am Windfeld 15,
In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen 83714 Miesbach
(geschützte Warennamen) nicht immer besonders
kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen
eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen ISBN 978-3-7945-2635-2
Meiner Frau Ursula
und unseren beiden Kindern Julia und Matthias
gewidmet
VII
Geleitwort
Anästhesiologen, die die Entwicklung der Pflegekräften, Studenten und Ärzten in den
Anästhesiologie aus der Ära der Chlorethyl- Fächern Anästhesie, Intensiv- und Notfallme
Ethernarkose zur heutigen hoch spezifizierten dizin. Er hat – einem oft geäußerten Wunsch fol-
Narkosetechnik miterlebt haben, erinnern sich gend – seine Unterrichtsmanuskripte überar-
noch sehr wohl der Zeiten, in denen Routine beitet und ergänzt. Das Ergebnis ist dieses, aus
narkosen von überaus erfahrenen Schwestern der Unterrichtspraxis heraus gewachsene Buch.
durchgeführt wurden, während die komplizier- Dieses Werk soll eine breite Wissensbasis für
teren Narkosen dem jeweils jüngsten Assisten- alle jene sein, die sich der Anästhesie, Intensiv-
ten eines betroffenen operativen Faches über- und Notfallmedizin widmen wollen und sich
tragen wurden, der sich mehr oder weniger hierfür das notwendige Wissen aneignen möch-
geschickt der häufig ungeliebten Aufgabe unter- ten, seien es Schwestern oder Pfleger, angehen-
zog, einen Patienten zu narkotisieren. Die ihn de oder fertige Fachkräfte, Studenten im Prakti-
dabei unterstützenden Schwestern und Pfleger schen Jahr oder Berufsanfänger.
hatten meist mehr Erfahrung als er selbst, und Relativ kurze Zeit nach Erscheinen der letzten
er war für deren selbstlose Hilfe zumeist tief Auflage ist nun schon wieder eine Neuauflage
dankbar. notwendig geworden. Dies spricht für sich
Inzwischen hat sich das Bild gewandelt. Die allein und ich kann meinem hervorragenden
Anästhesiologie ist ein eigener, hoch speziali- ehemaligen Mitarbeiter Hans Walter Striebel
sierter Beruf. Nicht nur die Medikamente haben nur wärmsten zu diesem Erfolg gratulieren. Ich
sich geändert, auch die Überwachungsmöglich- bin überzeugt, dass auch diese neueste, überar-
keiten haben sich dank der von vielen merk- beitete und erweiterte Auflage eine breite Leser-
würdigerweise negativ gesehenen sog. Appara- schaft finden wird. Möge dieses Buch weiterhin
temedizin erweitert. Die Entwicklung der unseren Patienten zugutekommen sowie denje-
operativen Medizin zur heutigen Breite wäre nigen dienen, die sich auf ein Examen vorberei-
nicht möglich gewesen, wenn nicht die Mitar- ten müssen. Außerdem ist dieses Werk bestens
beiter dieses Faches gewährleisten würden, als Nachschlagewerk für jene geeignet, die
dass auch Patienten extremer Altersstufen Wissenslücken schließen möchten.
mit komplizierten Begleiterkrankungen selbst
großen operativen Eingriffen unterzogen wer- Univ.-Prof. em. Dr. med. Klaus Eyrich
den können. ehem. Leiter der Klinik für Anästhesiologie
Mein ehemaliger Mitarbeiter Prof. Dr. Hans und Operative Intensivmedizin
Walter Striebel erteilt seit langem Unterricht des jetzigen Campus Benjamin Franklin
im Rahmen der Aus- und Weiterbildung von der Charité, Berlin
VIII
Vorwort
Grundlage für dieses Buch sind die Manus sivmedizin dienen, aber auch für alle anderen
kripte zahlreicher Fortbildungsveranstaltungen, an der Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedi-
die von mir am jetzigen Campus Benjamin zin interessierten Leser soll es eine Verständnis-
Franklin der Charité in Berlin sowie an den hilfe darstellen.
Städtischen Kliniken Frankfurt am Main- Um den Lesefluss nicht unnötig zu stören, wur-
Höchst sowohl für Studenten des Praktischen de z. B. bei Berufsbezeichnungen und bei Pati-
Jahres als auch für das Anästhesie-Pflegeper enten nur die männliche Form verwendet (der
sonal – insbesondere für Teilnehmer des Wei- Arzt, der Patient). Selbstverständlich sind hier-
terbildungskurses zur Fachkrankenschwester bei stets Männer und (!) Frauen gemeint.
bzw. zum Fachkrankenpfleger für Anästhesie An dieser Stelle darf ich mich sehr herzlich bei
und Intensivmedizin – gehalten wurden. Dr. med. Tino Bastiani und Dr. med. Katrin
Für diese 7. Auflage wurde das Manuskript der Reichau (tätig am Institut für Anästhesiologie,
Vorauflage wiederum grundlegend überarbeitet Intensiv- und Notfallmedizin der Städtischen
und aktualisiert. Beispielsweise wurden die Re- Kliniken Frankfurt am Main-Höchst) bedan-
animationsrichtlinien (des European Resuscita- ken, die das Manuskript überarbeitet und kon-
tion Council) auf den neuesten Stand gebracht struktive Ergänzungen, Anmerkungen und
und das Propofolinfusionssyndrom, die Fast- Korrekturen vorgenommen haben.
Track-Prinzipien in der Kolonchirurgie sowie Herrn Dipl.-Psych. Dr. med. Wulf Bertram
moderne balancierte Infusionslösungen genau- und Frau Dipl.-Chem. Claudia Ganter vom
so ergänzt wie die Durchführung von Plexus Schattauer Verlag möchte ich für ihre Unter-
anästhesien oder zentralvenösen Punktionen stützung und die sehr gute Zusammenarbeit
unter Ultraschallkontrolle. danken.
Das Buch ist als Nachschlagewerk für in der Der größte Dank gilt meiner Familie. Da das
Anästhesie und Intensivmedizin arbeitenden Buch ausschließlich nach dem oft anstrengen-
Studenten, Absolventen des Praktischen Jahres den Klinikalltag verfasst wurde, bedeutete dies
und junge Anästhesisten gedacht. Außerdem zwangsläufig eine Einschränkung des Familien-
soll es ein Lehrbuch für die Absolventen des lebens. Ohne die verständnisvolle Nachsicht
Weiterbildungskurses zur Fachkrankenschwes und Geduld meiner Frau und unserer beiden
ter bzw. zum Fachkrankenpfleger für Anästhe- Kinder wäre dies nicht möglich gewesen.
sie und Intensivmedizin sein. Daneben kann es
für Dozenten und Fortbildungslehrkräfte als Frankfurt am Main-Höchst,
Leitfaden für den Studentenunterricht bzw. im Dezember 2008
Fachweiterbildungskurs Anästhesie und Inten- Hans Walter Striebel
IX
Inhalt
5.12.2 Herz-Lungen-Maschine _________ 298 6.8 Übelkeit und Brechreiz_ _________ 333
5.12.3 Medikamentöse Besonderheiten___ 300 6.8.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 333
5.12.4 Allgemeine Bemerkungen 6.8.2 Therapie _ ____________________ 334
zur Narkose ___________________ 305
5.12.5 Häufige Herzoperationen_ _______ 312 6.9 Kältegefühl_ __________________ 336
5.12.6 Minimalinvasive Operations- 6.9.1 Allgemeine Bemerkungen _ ______ 336
techniken _ ___________________ 314 6.9.2 Therapie _ ____________________ 336
5.12.7 Verlegung auf die Intensivstation _ _ 315
5.12.8 Fast-Track-Verfahren ___________ 315 6.10 Unruhe _ _____________________ 337
Optimale Bedingungen für den Patienten be- Im vorliegenden Buch werden die Teilgebiete
deuten: Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedi-
● Bewusstlosigkeit (Hypnose) zin abgehandelt. Bezüglich des Teilgebietes
● Schmerzfreiheit (Analgesie) Schmerztherapie wird auf das Buch „Therapie
● Dämpfung vegetativer Reflexe chronischer Schmerzen – Ein praktischer Leit-
faden“ (H. W. Striebel; Schattauer Verlag; 4.
Optimale Bedingungen für den Operateur be- Aufl.) verwiesen.
deuten bei vielen Operationen (z. B. im Bauch-
raum):
● gute Muskelerschlaffung (Relaxation) und
damit
● guter Zugang zum Operationsgebiet
2 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Tätigkeiten
● Bereitlegen der dazu notwendigen Medika-
Tab. 1-1 Operationsplan
Patient Alter Sta- Diagnose Operation Opera- OP- Anästhesist
tion teur Saal
Müller A. 17 J. 12A Abort Curettage Mai./Lut. 7 Ham. (Larynxmaske)
Maier H. 54 J. 14A Cholezystoli- laparoskopische Kre./Weg. 4 Ham. (Intubationsnarkose)
thiasis Cholezystek- Dil./Stud.
tomie
Hinz C. 78 J. 02 Magen- Magen- Kre./Wag. 4 Ham. (Intubationsnarkose,
karzinom resektion Dil./Stud. thorakale Peridural-
anästhesie, ZVK)
Kunz D. 81 J. 10 Nieren- Shunt-Revision Har./Bad. 1 Ham. (Plexusanästhesie)
insuffizienz
Der Anästhesist besorgt sich auf der Station die z. B. ein internistisches Konsil
gesamten Unterlagen des zu operierenden Pati-
enten. Die Akte des Patienten muss umfassen: Nachdem sich der Anästhesist durch das Studi-
● anamnestische Angaben um der vorliegenden Unterlagen einen Über-
● Untersuchungsbefunde blick über die aktuelle Krankheit und über den
● aktuelle Medikation allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten
● Laborwerte verschafft hat, sucht er den Patienten auf, stellt
● evtl. Blutgruppe sich vor und wird eine kurze Anamnese mit an-
ästhesiologisch relevanten Fragen erheben. Von
Sämtliche vorhandenen Unterlagen sind zu besonderem Interesse sind Vorerkrankungen,
sichten. Außerdem sind eine anästhesierelevan- die evtl. zu Narkoseproblemen führen könnten.
te Anamnese und körperliche Untersuchung Dies sind insbesondere:
vorzunehmen. Bei jungen, anamnestisch und ● Herz-Kreislauf-Probleme wie Bluthoch-
klinisch unauffälligen Patienten sind keine wei- druck, Koronar- oder Zerebralsklerose, An-
teren laborchemischen und apparativ-techni- gina pectoris, Herzinfarkt(e) oder Herzin-
schen Untersuchungen notwendig. suffizienz
Unter folgenden Bedingungen sind zusätzliche ● Lungenerkrankungen wie Asthma bronchia
● Nierenprobleme, insbesondere eine Nieren- werden kann, ob Sie genügend Sauerstoff im Blut
insuffizienz haben. Außerdem muss am Handrücken eine
● sonstige Erkrankungen (wie z. B. Diabetes ‚Nadel‘ gelegt werden, an die eine Tropfinfusion
mellitus) angeschlossen wird. Vor dem Legen der ‚Nadel‘
● Konsumgewohnheiten wie Alkohol-, Nicotin- kann eine örtliche Betäubung vorgenommen
oder Medikamentenabusus werden, sodass es nicht schmerzhaft sein wird.
Über diese ‚Nadel‘ wird dann später auch das
Gezielt gefragt werden muss immer: Schlafmittel gespritzt. Wenn Sie das Schlafmittel
● nach evtl. Problemen bei früheren Narkosen bekommen haben, schlafen Sie innerhalb von
sowie nach Narkoseproblemen bei Familien- 20–30 Sekunden ein. Wenn Sie aufwachen, wird
angehörigen die Operation bereits vorbei sein. Sie werden
● ob Allergien auf Medikamente bekannt sind dann noch vorübergehend in einem sog. ‚Auf-
und wenn ja, auf welche wachraum‘ einige Zeit überwacht werden. Sobald
● ob Zahnprothesen oder lockere Zähne vor- Sie wieder völlig wach sind, werden Sie wieder
handen sind auf Ihr Zimmer zurückgebracht.“
● ob bei einer Frau im gebärfähigen Alter im Mo- Falls für die geplante Operation sowohl eine
ment eine Schwangerschaft vorliegt Vollnarkose als auch eine Lokal- oder Regional-
anästhesie in Frage kommen, sollten dem Pati-
Eine anschließende kurze körperliche Untersu- enten der Ablauf sowie die Vor- und Nachteile
chung muss zumindest die Auskultation der der einzelnen Verfahren erläutert werden. Wenn
Lunge und des Herzens umfassen. der Patient ein bestimmtes Verfahren wünscht,
Abschließend sollte dem Patienten der Ablauf sollte dies, falls es medizinisch vertretbar ist, be-
der Narkose erklärt werden. Bei einer voraus- rücksichtigt werden. Außerdem sollte kurz auf
sichtlich unkomplizierten Vollnarkose sollte ihm spezielle Komplikationsmöglichkeiten der ge-
beispielsweise Folgendes erzählt werden: „Für planten Narkose eingegangen werden. Die be-
heute nacht verordne ich Ihnen eine Schlaftablet- sprochenen Risiken bzw. Besonderheiten soll-
te. Ab 24.00 Uhr heute nacht dürfen Sie dann bis ten vom Anästhesisten auf dem Aufklärungs- und
zur Operation nichts mehr essen. Bereits am Anamnesebogen vermerkt werden. (Es emp-
Nachmittag/Abend vor der Operation sollten Sie fiehlt sich, hierfür einen offiziellen, d. h. juris
das Rauchen einstellen (→ S. 209). Bitte auch kei- tisch abgesicherten Aufklärungs- und Anam
nen Kaugummi kauen und keine Bonbons lut- nesebogen zu verwenden. Dieser sollte dem
schen. Bei Bedarf dürfen Sie noch klare (!) Flüs- Patienten schon vor der präoperativen Visite
sigkeit bis Morgen früh um ca. 5.00 Uhr trinken. des Anästhesisten zum Durchlesen und Beant-
– Morgen früh bekommen Sie ca. 45 Minuten worten der darin gestellten Fragen gegeben
vor Narkosebeginn von einer Schwester der Sta- werden. In diesen offiziellen Bögen werden die
tion eine Beruhigungstablette. Diese bitte nur verschiedenen Narkoseverfahren sowie deren
mit einem kleinen Schluck Wasser hinunterspü- Vor- und Nachteile und deren Risiken erklärt.
len. Kurz danach werden Sie in den OP-Bereich Außerdem werden vom Patienten noch die an-
gefahren. Wichtig ist, dass Sie Ihren Schmuck, ästhesiologisch wichtigen anamnestischen Da-
Ihre Uhr sowie Ihre Zahnprothese und Brille hier ten abgefragt.) – Falls der Patient nun keine
im Zimmer lassen oder der Schwester zur Aufbe- weiteren Fragen mehr hat, muss er noch die
wahrung geben. – In einem Vorbereitungsraum „Einwilligungserklärung in die Narkose“ auf
werden Sie dann von der Narkoseschwester auf dem Aufklärungs- und Anamnesebogen in
die Narkose vorbereitet. Die Narkoseschwester Ruhe durchlesen und unterschreiben. Sollten
wird den Blutdruck messen, eine EKG-Ableitung bei dieser präoperativen Visite Probleme aufge-
zur Herzüberwachung anbringen und einen Sen- taucht sein, so müssen ggf. noch Zusatzuntersu-
sor auf den Finger aufsetzen, mit dem gemessen chungen wie eine Lungenfunktionsprüfung,
1.5 Prämedikation 5
eine arterielle Blutgasanalyse oder ein internis Tab. 1-2 ASA-Klassifikation. Muss ein Patient notfall-
tisches Konsil angefordert werden. Unter Um- mäßig operiert werden, dann wird hinter die ASA-Klasse
ständen muss, nach Rücksprache mit dem Ope- noch ein „E“ angehä ngt, das für Notfall (= emergency)
rateur, ein Wahleingriff noch um einige Tage steht.
verschoben werden, um den Patienten besser ASA 1 gesunder Patient
auf die Operation vorzubereiten. Öfter muss ASA 2 Patient mit leichter Systemerkrankung
z. B. ein Diabetes mellitus, ein Hypertonus oder (z.B. eingestellter Hypertonus)
eine Herzinsuffizienz besser „eingestellt“ wer-
ASA 3 P atient mit schwerer Systemerkrankung
den oder es muss gewartet werden, bis ein aku-
und Leistungseinschränkung
ter Infekt der oberen Luftwege abgeklungen ist. (z.B. Angina pectoris)
Abschließend wird dem Patienten eine geeigne-
te Schlafmedikation zur Nacht und eine Präme- ASA 4 P atient mit schwer beeinträchtigender,
lebensbedrohlicher Erkrankung
dikation verschrieben (→ unten).
(z.B. dekompensierte Herzinsuffizienz)
Eine evtl. Dauermedikation, die der Patient ein-
nimmt, sollte vor allem dann perioperativ wei- ASA 5 oribunder Patient, bei dem die
m
Lebenserwartung ohne Behandlung
terführt werden, falls durch ein plötzliches Ab-
geringer als 24 Stunden ist
setzen Probleme auftreten könnten. Perioperativ
(z.B. rupturiertes Aortenaneurysma)
weiterzuführen (d. h. auch am Morgen des OP-
Tages zu verabreichen) sind daher normaler-
weise vor allem:
● antiasthmatische Therapie
● Parkinson-Therapeutika
● Schizophrenietherapeutika
● Diuretika
1.5 Prämedikation
Während es lange Zeit als zwingend angesehen 1.5.1 Ziele
wurde, dass ein Erwachsener zumindest für 6
Stunden vor der Anästhesieeinleitung nichts es- Trotz des beruhigenden und aufklärenden
sen und trinken darf, wird inzwischen die Gabe Gesprächs während der präoperativen Visite
kleiner Mengen (1–2 Gläser oder Tassen) klarer (→ S. 3) ist es notwendig, dem Patienten eine
Flüssigkeiten (die kein Fett, keinen Alkohol Medikation (sog. Prämedikation) zu verordnen,
enthalten; z. B. Wasser, Tee, Limonade) bis ca. 2 die er idealerweise ca. 45 Minuten vor Narkose-
Stunden vor der Narkoseeinleitung erlaubt, da beginn verabreicht bekommt.
6 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Die primären Ziele einer Prämedikation sind: wie nicht mehr zur Anwendung, da diese Sub-
● Angstlösung (= Anxiolyse) und Sedierung stanzen jedoch früher zur Prämedikation ver-
● evtl. Schmerzlinderung (= Analgesie) wendet wurden und vor allem, weil sie im Rah-
men anderer Indikationen öfter einsetzt werden,
Die im Rahmen der Prämedikation am häufig- sollen sie dennoch hier vorgestellt werden.
sten angewandten Substanzgruppen werden im
Folgenden kurz vorgestellt.
Benzodiazepine
1.5.2 Substanzklassen Wirkungen
● angst- und spannungslösend
(bei Kindern manchmal noch ein rektal verab- stände, vor allem bei älteren Patienten
reichtes; → S. 239) Benzodiazepin verwendet. ● zentrale Herabsetzung des Muskeltonus
Schlafapnoesyndrom.
Indikationen
Medikamente und Dosierung Barbiturate in Tablettenform wurden früher öf-
In Tabelle 1-3 sind die zur Prämedikation am ter als Schlafmedikation für die präoperative
häufigsten verwendeten Benzodiazepine und Nacht oral verabreicht. Inzwischen werden sie
deren Dosierungen aufgelistet. hierfür zugunsten eines Benzodiazepins nur
noch extrem selten verabreicht. Auch im Rah-
Injektion men der Prämedikation werden Barbiturate –
Die intramuskuläre Injektion der meisten Ben- zugunsten der Benzodiazepine – nur noch ex-
zodiazepine ist sehr schmerzhaft. Nur das Ben- trem selten eingesetzt. (Inzwischen werden
zodiazepin Midazolam ist aufgrund seiner Was- Barbiturate v. a. im Rahmen der antiepilepti-
serlöslichkeit relativ wenig schmerzhaft bei der schen Therapie bei Kindern, z. T. auch bei Er-
intramuskulären Injektion. (Falls sehr selten wachsenen eingesetzt.)
einmal die üblicherweise oral durchgeführte
Prämedikation nicht möglich ist und eine intra- Kontraindikation
muskuläre Benzodiazepininjektion notwendig Beim Vorliegen einer Porphyrie sind Barbitura-
wäre, dann bietet sich hierfür Midazolam an.) te kontraindiziert (→ S. 50).
wechsel
(Bei Patienten mit einem Schädel-Hirn- Neuroleptika
Trauma kann zur akuten Senkung eines er-
höhten intrakraniellen Druckes ggf. ein Bar- Wirkungen
biturat intravenös verabreicht werden [→ S. ● Sedierung, Gleichgültigkeit, Antriebsminde-
49].) rung
● antiemetische Wirkung
Nebenwirkungen (= Verminderung von Übelkeit und Brech-
● Enzyminduktion in der Leber bei chroni- reiz)
scher Anwendung: ● Antihistaminwirkung
Bei einer Enzyminduktion werden die Barbi- (= Verminderung von allergischen und pseu-
turate – sowie andere Medikamente – schnel- doallergischen Reaktionen)
ler abgebaut. Es werden immer höhere Do-
8 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Nebenwirkungen Opioide
● evtl. extrapyramidale Bewegungsstörungen ©
● Neigung zu orthostatischer Hypotonie Die im Opium enthaltenen Analgetika werden
(= Kollapsneigung) durch Blockade der für
als Opiate bezeichnet. Wichtigster Vertreter ist
die Gefäßengstellung wichtigen Alpharezep- das Morphin. Inzwischen können auch halbsyn-
toren (→ S. 62, 131, 301) thetische oder vollsynthetische morphinartige
● Erniedrigung der zerebralen Krampfschwel- Substanzen hergestellt werden. Die natürlich vor-
le und damit Begünstigung von epileptischen kommenden Opiate sowie die halb- und vollsyn-
Anfällen thetisch hergestellten morphinartigen Substanzen
werden inzwischen unter dem Begriff Opioide zu-
Indikationen sammengefasst.
Nur falls ausnahmsweise noch eine intramusku-
läre Prämedikation durchgeführt werden muss Wirkungen
(→ S. 10), dann wird hierfür meist eine Kombi- ● starke Analgesie
Erregungszuständen vor allem älterer, verwirr- Eine Opioidgabe im Rahmen der Prämedi-
ter Patienten eingesetzt. Bei älteren, vor allem kation, Narkoseführung und postoperativen
verwirrter Patienten werden Neuroleptika öfter Schmerztherapie führt nur in extrem selte-
auch als Schlafmedikament eingesetzt. nen Fällen zu einer Sucht.
● Euphorie
Kontraindikationen ● Spasmen glatter Muskulatur
Neuroleptika sind wegen der Nebenwirkungen (z. B. Obstipation [= Verstopfung]; Konstrik-
kontraindiziert bei Patienten mit Parkinson- tion der Gallen- und Harnwege)
Krankheit und bei Epileptikern. ● Neigung zu orthostatischer Hypotonie
(= Kollapsneigung)
Medikamente und Dosierung ● Juckreiz
● Promethazin (Atosil ):
®
schmerzhaften Umlagerung des Patienten von Prämedikation wird auf die Gabe eines Para-
seinem Bett auf den Operationstisch – die zu- sympathikolytikums verzichtet. Zum einen
sätzlich intravenöse, bedarfsadaptierte Opioid- wird es oral nur schlecht resorbiert, zum ande-
gabe (→ S. 328). ren wird die routinemäßige präoperative Gabe
eines Parasympathikolytikums inzwischen
Kontraindikation nicht (!) mehr als notwendig erachtet.
Bei ehemals opioidabhängigen Patienten kann
eine Rückfälligkeit in die Opioidsucht erzeugt
werden. Opioide sollten bei diesen Patienten Atropin
vermieden werden.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Medikamente und Dosierung Die Wirkungen und Nebenwirkungen des Atro-
● Pethidin (Dolantin ): pins ergeben sich aus der Blockade des Nervus
®
– (1-2-3 mg Boli bei Erwachsenen wieder- quenz einhergehen (z. B. Hyperthyreose, ho-
holt intravenös im Rahmen der postope- hes Fieber)
rativen Schmerztherapie; streng bedarfs ● Erkrankungen, bei denen eine Steigerung
orientierte (!) Dosistitration (→ Kap. 6.7) der Herzfrequenz vermieden werden muss
(z. B. eine Mitralklappenstenose; → S. 313)
● Weitwinkelglaukom
Parasympathikolytika ● Prostatahyperplasie (vergrößerte Prostata)
Atropin wurde bei der früher üblichen intra- besten durch ein lang wirksames Benzodiaze-
muskulären Prämedikation zur Hemmung der pin, das als Schlafmedikation verabreicht wird,
Speichel- und Bronchialsekretion und zur erreicht werden. Hierzu eignen sich z. B. 20 mg
Dämpfung eventueller vagaler Reflexe am Dikaliumclorazepat (Tranxilium®) oder 1 mg
Herzen routinemäßig (zusammen mit einem Lormetazepam (Noctamid®) oral. Circa 45 Mi-
Opioid und einem Neuroleptikum) verabreicht. nuten vor OP-Beginn sollte nochmals ein Ben-
Diese für die intramuskuläre Injektion übliche zodiazepin oral verabreicht werden (z. B. 7,5 mg
Dosierung dämpft die vagalen Reflexe am Her- Midazolam oder 20 mg Dikaliumclorazepat).
zen jedoch nicht ausreichend. Die meisten Patienten leiden präoperativ nicht
an Schmerzen, sodass keine Schmerzlinderung
Sollen die vagalen Reflexe des Herzens sicher blo (= Analgesie) notwendig ist und auf eine Opio-
! ckiert werden, dann muss Atropin vor der Intuba- idgabe verzichtet werden kann. Falls ein Opioid
tion intravenös (!!) verabreicht werden. Dies ist wegen akuter Schmerzen (z. B. frischer Kno-
z. B. besonders bei der Intubation von kleinen Kin- chenbruch) verabreicht werden soll, dann sollte
dern wichtig, da bei ihnen hierbei relativ leicht ein zusätzlich zu einer üblichen oralen Prämedika-
vagaler Reflex mit einer Bradykardie, im Extrem- tion mit einem Benzodiazepin – z. B. vor der
fall ein Herzstillstand, ausgelöst werden kann. schmerzhaften Umlagerung des Patienten von
seinem Bett auf den Operationstisch – eine zu-
sätzliche bedarfsorientierte intravenöse Opio-
1.5.3 Durchführung idgabe durchgeführt werden (→ S. 328).
Früher wurden als Ziele einer Prämedikation
Die Prämedikation sollte möglichst nicht mehr ● Schmerzlinderung,
ästhetika durch die Prämedikation braucht bei Es werden folgende 4 verschiedene Narkosesys
den modernen, gut steuerbaren Anästhetika teme unterschieden:
nicht mehr angestrebt werden. Ein Opioid ist ● offenes System
1.6 Narkoseapparat
1.6.1 Narkosesysteme
Zur Durchführung einer Narkose stehen neben
den intravenös zu verabreichenden Medikamen-
ten auch Inhalationsanästhetika zur Verfügung.
Inhalationsanästhetika sind Gase (z. B. Lachgas;
→ S. 39) oder Dämpfe von leicht verdampfba-
ren Flüssigkeiten (z. B. Isofluran, Sevofluran,
Desfluran; → S. 42), die der Einatmungsluft zu-
gemischt und über die Lungen ins Blut aufge-
nommen werden. Abb. 1-1 Anwendung der Schimmelbusch-Maske (of-
fenes System)
12 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Eine Schimmelbusch-Maske ist ein dem spon- ein halboffenes System war das in der Kinder-
tan atmenden Patienten über Mund und Nase anästhesie früher übliche, inzwischen aber nicht
gelegter Metallrahmen, der mit einigen Lagen mehr verwendete Kuhn-System.
Mull bespannt ist, auf die kontinuierlich Ether
aufgetropft wird (→ S. 45). Die dabei entstehen-
den Etherdämpfe werden mit eingeatmet. Halbgeschlossenes System
Vorteil der Schimmelbusch-Maske ist die Ein-
fachheit der Anwendung. Entscheidender Beim halbgeschlossenen System wird ein Teil des
Nachteil ist jedoch, dass mit einem offenen Sys
Ausatemvolumens nach „Herausfiltern“ des darin
tem die zugeführten Gaskonzentrationen nicht enthaltenen Kohlendioxids (= CO2) mittels eines
überwacht werden können. Außerdem können CO2-Absorbers (→ S. 20) wieder zurückgeatmet.
die Atemgase weder befeuchtet noch ange- Ein Teil des Ausatemvolumens wird in eine zentra-
wärmt werden und der Narkosemittelverbrauch le Absaugvorrichtung abgegeben.
ist sehr hoch, da ein großer Teil des verdunsten-
den Ethers im Raum verloren geht (und das Zusätzlich atmet der Patient noch Frischgas aus
Personal belastet). einem Reservoir (vgl. halboffenes System) ein.
Aufgrund dieser teilweisen „Rückatmung“ des
Ausatemgemisches genügt ein wesentlich ge-
Halboffenes System ringerer Frischgasfluss als beim halboffenen
© System. Beim Erwachsenen genügen 3–4 l/min
Beim halboffenen System wird das Einat Frischgas. Der Wärme- und Feuchtigkeitsver-
mungsgemisch (= Inspirationsgemisch) aus einem lust über die Lungen ist durch diese teilweise
Reservoir (z. B. Sauerstoffflaschen) bezogen und stattfindende „Rückatmung“ wesentlich gerin-
über ein Schlauchsystem zum Patienten geleitet. ger als beim halboffenen System. Fast alle ge-
Dem Inspirationsgemisch wird ein Inhalationsan- bräuchlichen Narkosegeräte arbeiten nach die-
ästhetikum zugemischt. Das Ausatmungsgemisch sem Prinzip des halbgeschlossenen Systems.
(= Exspirationsgemisch) wird dagegen in den frei- In den letzten Jahren gewinnen sog. Low-Flow-
en Raum abgegeben. Systeme bzw. Minimal-Flow-Systeme (→ S.
119) zunehmend an Bedeutung. Hierbei han-
Beim halboffenen System muss der Frischgas- delt es sich um halbgeschlossene Systeme mit
fluss aus dem Reservoir mindestens das 2- bis geringem bzw. sehr geringem Frischgasfluss.
3-Fache des Atemminutenvolumens betragen, Beim Low-Flow-System werden normalerweise
da das Frischgas auch während der Ausatmung 1 l/min Frischgas (z. B. 0,5 l/min O2 und 0,5 l/
des Patienten weiterströmt, die Einatmungszeit min Luft bzw. N2O) und beim Minimal-Flow-
aber nur ca. 33–50 % (⅓–½) des Atemzyklus System werden normalerweise 0,5 l/min (z. B.
ausmacht. Durch diesen hohen Frischgasver- 0,3 l/min O2 und 0,2 l/min Luft bzw. N2O) ver-
brauch ist das halboffene System relativ teuer. abreicht.
Die eingeatmeten Frischgase aus dem Reservoir Sowohl bei der Low-Flow- als auch bei der Min
enthalten keine Feuchtigkeit und sind relativ imal-Flow-Anästhesie muss zur Ein- und Aus-
kühl. Sie müssen daher in den Atemwegen stark leitung ein hoher Frischgasfluss eingestellt wer-
angefeuchtet und angewärmt werden. Da je- den, um in einer angemessenen Zeit eine
doch das gesamte Ausatemvolumen in die Um- ausreichende Narkosegasanflutung bzw. -abat-
gebung abgegeben wird, droht damit beim mung zu erzielen. Wird (das gut im Körper lös-
halboffenen System ein großer Feuchtigkeits- liche) Lachgas verwendet, dann müssen für die
und Wärmeverlust über die Lungen. Außerdem ersten 10 Minuten (low flow) bzw. 20 Minuten
wird die Umgebung mit den abgeatmeten Nar- (minimal flow) z. B. 2 Liter O2/min und 4 Liter
kosegasen belastet. Das bekannteste Beispiel für N2O/min zugeführt werden. Erst danach kann
1.6 Narkoseapparat 13
Beim geschlossenen System wird das gesamte Da die gebräuchlichen Narkoseapparate fast alle
Ausatmungsgemisch, nach „Herausfiltern“ des nach dem Prinzip des halbgeschlossenen Sys
darin enthaltenen CO2 mit einem CO2-Absorber tems (→ S. 12) arbeiten, soll das Funktions
(→ S. 20), dem Patienten wieder zugeführt. Es fin- prinzip des Kreissystems anhand des halbge-
det also eine totale Rückatmung statt. schlossenen Systems nachfolgend ausführlich
beschrieben werden (vgl. Abb. 1-2).
Als Frischgas müssen nur der vom Körper im Das vom Patienten abgeatmete Gas strömt über
Stoffwechsel verbrauchte Sauerstoff von ca. 4 den sog. Exspirationsschlauch (1) und das
ml/kg KG/min (ca. 250–300 ml/min beim Er- Exspirationsventil (2) ab. Ein eingebautes Volu-
wachsenen) sowie die vom Körper verstoff- meter (3) misst das Ausatemvolumen. Ein me-
wechselten Anteile der Inhalationsanästhetika chanisch arbeitendes Manometer (4) oder in-
zugeführt werden. Vorteile des geschlossenen zwischen zumeist ein elektronisch arbeitendes
Systems sind der sehr niedrige Frischgasver- Manometer zeigt die während des Atemzyklus
brauch und, bedingt durch die vollständige auftretenden Drücke an. Diese Elemente wer-
Rückatmung, ein fehlender Wärme- und Feuch- den zusammen als Ausatem- oder Exspirations-
tigkeitsverlust über die Lungen. Außerdem be- schenkel bezeichnet. (Mechanisch arbeitende
steht keine Umweltbelastung durch abgeatmete Manometer sind inzwischen nur noch bei ma-
Narkosegase. Das geschlossene System konnte nueller Beatmung erlaubt. Wird eine maschinel-
mit den bisher üblichen Narkosegeräten jedoch le Beatmung durchgeführt, dann ist ein elektro-
nicht (!) zur Narkoseeinleitung oder zur Narko- nisch arbeitendes Manometer vorgeschrieben.
seausleitung verwendet werden. Es eignet sich Hierbei ist an der Stelle des mechanischen Ma-
nur zur Aufrechterhaltung einer konstanten nometers nur ein Druckaufnehmer für das elek-
Narkosetiefe. Für die Narkoseein- und -aus tronisch arbeitende Manometer im Kreissystem
leitung muss (wie auch beim Low-Flow- eingebaut [vgl. 2 in Abb. 1-16]. Die Druckanzei-
bzw. Minimal-Flow-System; → S. 12) ein hoher ge erfolgt dann im Display des elektronischen
Frischgasfluss eingestellt werden. Manometers). Beim halbgeschlossenen System
Seit einigen Jahren steht mit dem Physioflex- wird ein Teil des Ausatemvolumens über den
Narkosegerät (Fa. Dräger) ein technisch völlig Absaugschlauch (5) in eine Absaugvorrichtung
neuartiges Gerät zur Verfügung, das nach dem geleitet. Der andere Teil wird, nach „Herausfil-
Prinzip des geschlossenen Systems arbeitet und tern“ des CO2 durch den CO2-Absorber (6), über
zusätzlich auch eine Narkoseein- und -auslei- das Inspirationsventil (7) und den Inspirations-
tung im „geschlossenen“ System erlaubt (sog. schlauch (8) wieder dem Patienten zugeführt.
quantitatives System/Uptake). Das seit 2004
verfügbare Narkosegerät Zeus (Fa. Dräger; → S. CO -Absorber, Inspirationsventil und Inspirations-
23), das als Nachfolgegerät des Physioflex-Nar- 2
schlauch werden zusammen als Einatmungs-
kosegerätes zu betrachten ist, kann sowohl im oder Inspirationsschenkel bezeichnet. Der
halboffenen, halbgeschlossenen als auch im zurückgeatmete Anteil „kreist“ also im System
quantitativen System betrieben werden. zum Patienten zurück, weshalb das beschriebene
System als Kreissystem bezeichnet wird.
14 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Abb. 1-3 Winkelstück
1.6.2 Bauteile
Rotameter
Sauerstoff und Lachgas werden entweder aus
der zentralen Druckgasversorgung oder aus
Gasflaschen entnommen. Die jeweils zum Pati-
enten geleitete Menge an Sauerstoff bzw. Lach-
gas wird in einem sog. Rotameter gemessen
(vgl. Abb. 1-8).
Rotameter sind Präzisionsmessröhren zur Be- Abb. 1-8 Rotameter für Sauerstoff (O2), Luft (air) und
stimmung der Durchflussmengen (l/min) eines Lachgas (N2O)
bestimmten Gases.
Verdampfer
Volumeter
Abb. 1-14 Multifunktionsgerät zur Messung der beat- Abb. 1-15b Elektronisches Manometer (Barolog-
mungsrelevanten Größen (Atemwegsmonitor PM 8060, Gerät)
Fa. Dräger)
Beatmungsbeutel
Soll der Patient von Hand beatmet oder seine
Spontanatmung unterstützt werden, so muss
dies durch rhythmisches Komprimieren des Be-
atmungsbeutels (10 in Abb. 1-2) erfolgen. Die
Abb. 1-18 Druckbegrenzungsventil. Der Kippschalter
manuelle Beatmung wird ausführlich auf Seite
ist auf „SPONT“ (Spontanatmung) gestellt.
108 beschrieben.
Beatmungsgerät
Bei der maschinellen Beatmung wird der Beat-
mungsbeutel durch ein mehr oder weniger auf-
wendiges Beatmungsgerät (vgl. Abb. 1-20) er-
setzt. An neueren Beatmungsgeräten können
die verschiedenen Parameter der Beatmung,
wie z. B. Atemhubvolumen, Atemfrequenz, Ver-
hältnis der Einatmungszeit (= Inspirationszeit
= I) zur Ausatmungszeit (= Exspirationszeit =
E), also I : E, die Geschwindigkeit, mit der das
Volumen in den Patienten gedrückt werden soll
(= flow), genau eingestellt werden. Außerdem
Abb. 1-19 Modernes Überdruckventil, wie es z. B. im
Narkosegerät „Zeus“ (Fa. Dräger; vgl. Abb. 1-20c) einge- verfügen sie über verschiedene akustische und/
baut ist oder optische Alarmsysteme, um Beatmungs-
fehler schnell erkennen zu können.
Folgende Werte sind beim lungengesunden Pa-
maschinellen Beatmung ein Begrenzungsdruck tienten am Beatmungsgerät einzustellen:
von ca. 40 mbar eingestellt. Solche Druckbe- ● Atemhubvolumen:
grenzungsventile werden auch als APL-Ventile ungefähr 8–9 ml/kg KG beim Erwachsenen,
bezeichnet (APL = airway pressure limitation). also 560–630 ml bei einem 70 kg schweren
Sollte nun z. B. der Patient husten und im Kreis- Erwachsenen
1.6 Narkoseapparat 23
Abb. 1-20a Beatmungsgerät
(Ventilog, Fa. Dräger). b Modernes
Narkosegerät (Fabius Tiro, Fa. Dräger).
c Hochmodernes Narkosegerät (Zeus,
Fa. Dräger), das – bei entsprechender
Programmierung – im quantitativen
System/Uptake betrieben werden kann
und dann mit den bisherigen Narko-
segeräten nicht mehr vergleichbar ist.
● Atemfrequenz: PEEP:
●
8–10 Atemzüge/min beim Erwachsenen Am Ende der Ausatmung fällt der Beat-
● Flow: mungsdruck normalerweise auf Null ab.
ungefähr 30 l/min Durch Einschalten eines PEEP (= positive
● I : E: endexspiratory pressure = positiver endex-
1 : 2 (oder 1 : 1,5) beim Erwachsenen, 1 : 1 spiratorischer Druck) fällt der Beatmungs-
beim Säugling und Kleinkind druck am Ende der Ausatmung nicht auf
Null, sondern nur bis auf den eingestellten
24 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
PEEP-Wert ab (zumeist 5–15 cm Wassersäu- Kennzeichnung über den 01.07.2006 hinaus un-
le). Damit bleibt die Lunge auch am Ende der begrenzt beibehalten werden. Unter farbneutra-
Ausatmung noch etwas gebläht (→ S. 353). ler Kennzeichnung wird die Beschriftung mit
Bei allen Lungenschädigungen, bei denen dem chemischen Symbol der jeweiligen Farbart
ein Rechts-links-Shunt (→ S. 263, 294, 344) (z. B. O2 für Sauerstoff) in weißen oder gelben
besteht (z. B. Lungenentzündung; Auftreten Buchstaben auf schwarzem Grund (z. B. schwar-
von kollabierten Lungenbereichen mit ver- ze Schläuche) verstanden. Bei Geräten ist auch
mindertem oder fehlendem Luftgehalt, sog. eine schwarze Schrift auf blankem Aluminium
Atelektasen), kann dadurch zumeist eine Er- bzw. auf weißem Grund möglich. Zusätzlich
höhung des Sauerstoffgehalts im arteriellen zum Symbol kann der Gasname angegeben wer-
Blut erzielt werden. Bei lungengesunden Pa- den. Die Firma Dräger beispielsweise empfiehlt
tienten wird normalerweise kein PEEP ein- grundsätzlich eine „farbneutrale Kennzeich-
geschaltet. nung“. Bis Ende 2009 kann bei Altgeräten ggf.
● Sämtliche Alarmvorrichtungen müssen (!) noch die alte Farbkodierung nach DIN (Sauer-
sinnvoll (!) eingeschaltet werden. stoff = blau, Lachgas = grau, Druckluft = gelb,
Vakuum = farblos) bestehen bleiben.
Sauerstoffmessgerät
Gasflussmenge
Sämtliche Narkosegeräte müssen inzwischen
über ein Sauerstoffmessgerät verfügen, mit dem Beim versuchsweisen Öffnen des Rotameters
die inspiratorische Sauerstoffkonzentration (→ S. 16) müssen für Sauerstoff bzw. Lachgas
kontinuierlich gemessen werden kann (11 in die maximal einstellbaren Gasflussmengen (von
Abb. 1-2, S. 14). Idealerweise sollte (v. a. für meist 15 bzw. 10 l/min) gewährleistet sein.
Low-Flow- oder Minimal-Flow-Anästhesien)
auch die exspiratorische Sauerstoffkonzentra
tion gemessen werden. Bei neueren Narkosege- Gasflaschen
räten ist dies routinemäßig realisiert.
Werden Sauerstoff und Lachgas (ausnahmswei-
se) aus Gasflaschen bezogen, so muss der Fül-
Anschlüsse lungszustand der Flaschen überprüft werden.
Flüssigkeit vor. 1 kg flüssiges Lachgas ergibt 500 (z. B. Narkosegeräte, Infusionspumpen) gere-
Liter Lachgas (Gesamtflaschengewicht [in kg] gelt. Aktive Medizinprodukte (d. h. solche die
minus Gewicht der leeren Flasche × 500 = Lach- über einen elektrischen Antrieb oder über eine
gasvorrat in Litern). Das Leergewicht der Fla- Druckgasversorgung verfügen, z. B. automati-
schen ist jeweils am Flaschenhals eingeprägt. sches Blutdruckmessgerät, Narkosegerät, Infu-
sionspumpe) dürfen nur entsprechend ihrer
Zweckbestimmung errichtet, betrieben und an-
Absauggerät gewendet werden (z. B. Einsatz nur gemäß dem
in der Gebrauchsanweisung beschriebenen
Funktioniert das Absaugegerät und sind genü- Verwendungszweck; Medizinprodukt muss in
gend sterile Absaugschläuche vorhanden? ordnungsgemäßem und funktionssicherem Zu-
stand sein; Verwendung nur des zugelassenen
Zubehörs; Verwendung nur mit gültigem Eich-
Prüfung stempel).
Medizinprodukte dürfen nicht (!) betrieben und
Beim Zuhalten der Absaugöffnung muss sich angewendet werden, wenn sie Mängel aufwei-
ein genügend hoher Sog (ca. –0,4 bis –0,9 bar) sen, durch die Patienten, Beschäftigte oder
aufbauen (Regelbereich Erwachsene: 0 bis Dritte gefährdet werden können (häufige Män-
–0,9 bar, Regelbereich Kinder: 0 bis –0,5 bar, gel sind z. B. defekte Netzstecker und Netzkabel,
Frühgeborene und Säuglinge dürfen nur mit ei- nicht funktionierende Alarm- und Sicherheits-
nem Sog von maximal –0,3 bar abgesaugt wer- einrichtungen, sichtbare und unsichtbare Sturz-
den). Außerdem muss darauf geachtet werden, schäden, fehlende Zubehörteile, nicht zugelas-
dass die Saugerschläuche und die Sekretauffang- sene Zubehörteile, Fehlfunktion).
behälter regelmäßig erneuert werden. Oft wer- Aktive Medizinprodukte dürfen nur von Perso-
den hier bereits Einmalartikel verwendet. Des nen angewendet werden, die aufgrund ihrer
Weiteren muss kontrolliert werden, ob die Ausbildung oder ihrer Kenntnisse und prakti-
Spülflasche genügend Spülflüssigkeit enthält, schen Erfahrungen die Gewähr für eine sachge-
damit nach einem Absaugemanöver das rechte Handhabung bieten.
Schlauchsystem mit der Spülflüssigkeit sofort Da die Gewähr für die sachgerechte Handha-
klargespült werden kann. Da das Absaugegerät bung in evtl. gerichtlichen Auseinandersetzun-
nicht nur zum Absaugen von Speichel oder gen inzwischen eine wichtige Rolle spielt und
Bronchialsekret benützt wird, sondern unter da ggf. erhebliche Bußgelder, Geld- und Frei-
Umständen beim plötzlichen Erbrechen des heitsstrafen angedroht werden, muss den An-
Patienten notfallmäßig benötigt wird, muss die wendern von Medizinprodukten dringend an-
Funktionstüchtigkeit immer (!!) gewährleistet geraten werden,
sein. ● den eigenen Kenntnisstand kritisch zu prü-
fen,
● eine qualifizierte Basisschulung zu absolvie-
ren und
1.7 Narkosevorbereitungen ● an Wiederholungseinweisungen (die dem je-
Schläuche des Atemsystems und der Hand- Die Sichtprüfung auf ordnungsgemäßen Zu-
beatmung stand des Gerätes vor Durchführung der im
● ggf. Wasserkondensat aus Atemschläuchen Programm folgenden Narkose ist eine nicht de-
und Wasserfallen entleeren legierbare Aufgabe des Anästhesisten. Zu die-
● korrekte und ordentliche Ablage des sem Zeitpunkt sollen, so erforderlich, patien-
Schlauchsystems und der Monitorkabel am tenindividuelle Veränderungen der kliniks- bzw.
Narkosegerät abteilungsspezifischen Standardeinstellungen
● Sichtprüfung der Verdampferfüllung und vorgenommen werden.
des Zustandes des Atemkalkes Auch die Durchführung der folgenden Prüf-
● Entleeren, ggf. Reinigen der Sekretabsaugung schritte zu Beginn einer jeden Narkose gehört
1.7 Narkosevorbereitungen 29
zu den genuinen Aufgaben des Anästhesisten senen Patienten die Gefahr der Entwicklung
und ist nicht delegierbar: hoher Drücke im Atemsystem und die Gefahr
● Überprüfung der Dichtigkeit des Atemsys eines möglichen Barotraumas.)
tems
● Überprüfung der korrekten Funktion von Wann immer die manuelle Beatmung nicht
Ein- und Ausatemventil und der Handbeat- möglich ist, ist die Verbindung zwischen Pati-
mung ent und Narkosegerät wieder zu trennen und
● Überprüfung der Funktion der Gasdosier- der Patient mit dem obligatorisch vorzuhalten-
einrichtung den separaten Handbeatmungsbeutel zu beat-
● Überprüfung der Funktion des APL-Ventils men. (Die Kommission empfiehlt dringend, an
● Funktionsprüfung des Ventilatormoduls jedem Anästhesiearbeitsplatz einen separaten,
● Überprüfung der Einstellungen des Ventila selbstentfaltenden Handbeatmungsbeutel [z. B.
tormoduls Ambu®-Beutel] vorzuhalten.) Nach Sicherung
der Beatmung des Patienten kann der Geräte-
Unerfahrene Anästhesisten sollten diese Funk- fehler in Ruhe gesucht werden.
tionsprüfungen vor Anschluss eines Patienten Immer wenn auf die maschinelle Beatmung
an das Gerät durchführen, für den erfahrenen umgeschaltet wird, muss sofort die korrekte
Anästhesisten gehört die Überprüfung dieser Funktion des Ventilatormoduls überprüft und
Funktionen zur unverzichtbaren und selbstver- dessen Einstellung an den Patienten angepasst
ständlichen Prozedur beim Anschluss eines je- werden. Dies entspricht der geforderten Über-
den Patienten an ein Narkosegerät. Vor Ein- prüfung der Ventilatorfunktion und -einstel-
schalten der maschinellen Beatmung ist der lung. Auch diese Maßnahmen gehören zu den
Patient zuerst immer manuell zu beatmen. Es genuinen Aufgaben des Anästhesisten und sind
werden dann in schneller Abfolge folgende nicht delegierbar. Wann immer die maschinelle
Handgriffe ausgeführt: Beatmung gestört oder nicht möglich ist, ist auf
● Einstellung der Gasflüsse an der Gasdosier- die vorher geprüfte manuelle Beatmung des Pa-
einrichtung: entsprechende Überprüfung tienten zurückzuwechseln und erst nach der
der Gasdosierung Sicherung der Beatmung in Ruhe der Geräte-
● Einstellung der Narkosemittelkonzentration fehler zu analysieren.
am Narkosemittelverdampfer: entsprechen-
de Sichtprüfung des Verdampfers
● Durchführung der manuellen Beatmung: ent- Funktionsprüfung der Geräte im
sprechende Überprüfung des korrekten Sitzes Notfall (Gerätecheck N) (vgl. Tab. 1-6)
der Schlauchanschlüsse, der Dichtigkeit des
Atemsystems, der korrekten Funktion des Ein- Wird entsprechend den vorab dargestellten
atem- und Ausatem- sowie des APL-Ventils und Empfehlungen die Funktion der Narkosege-
Überprüfung der Einstellung eines ausreichen- räte nach Gerätecheck A überprüft, so kann
den Frischgas-Flows. (Sollte der eingestellte davon ausgegangen werden, dass jedes Nar-
Frischgasfluss nicht ausreichen, den Handbeat- kosegerät in ordnungsgemäßem, funktionsfä-
mungsbeutel suffizient zu füllen, ist der Sauer- higem Zustand im jeweiligen Funktionsbe-
stofffluss an der Gasdosierung zu erhöhen. Der reich bereitgestellt wurde. Dennoch ist nicht
Sauerstofffluss lässt sich derart auf 12–15 l/min auszuschließen, dass zwischenzeitlich un-
steigern, was auch bei großen Leckageverlusten sachgemäß am Gerät manipuliert wurde oder
zur Füllung des Systems ausreicht. Bei Verwen- einzelne technische Funktionen ausgefallen
dung des Sauerstoff-Flushs [geräteabhängig sind. Bei unmittelbarer drohender vitaler Ge-
25–75 l/min] zur Auffüllung des Gasvolumens fährdung eines Patienten stehen 2 Funktionen
besteht für den am Narkosegerät angeschlos- eines Narkosegerätes besonders im Vorder-
30 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
grund: die gesicherte Zufuhr von Sauerstoff manueller Kompression muss sich ein Über-
und die sichere Möglichkeit der Beatmung. druck im Atemsystem einstellen, bei Öffnung
So muss die Funktionsprüfung im Notfall auf des Y-Stücks muss deutlich spürbar an dessen
diese beiden Funktionen fokussieren: Öffnung ein Gasstrom austreten: Notüberprü-
Nach Herstellung der Verbindung zur Gas- und fung einer Beatmungsmöglichkeit über das
Stromversorgung sowie Einschalten des Narko- Narkosegerät. Erst jetzt kann der Patient an das
segerätes und der Überwachungsgeräte ist das Narkosegerät angeschlossen werden, wobei die
Sauerstoffventil an der Gasdosiereinrichtung zu manuelle Beatmung beibehalten werden soll.
öffnen und der Abstrom eines Gasflusses am Y- Die Beobachtung beatmungssynchroner Tho-
Stück zu verifizieren: Notüberprüfung der raxbewegungen, die Auskultation der Lungen
Funktion der Sauerstoffdosiereinrichtung. Am und das Gefühl des gewohnten elastischen Wi-
Narkosegerät ist der Beatmungsmodus „Manu- derstandes bei der Insufflation der Lungen sind
ell/Spontan“ zu wählen und das APL-Ventil auf bewährte initiale klinische Zeichen einer effizi-
einen Wert von 40–50 mbar einzustellen. Der enten Beatmung. Lässt sich der Patient nach
Handbeatmungsbeutel wird in die Hand ge- Anschluss an das Atemsystem nicht suffizient
nommen und das Y-Stück verschlossen. Bei manuell beatmen, so ist – ohne Zeitverzug
1.7 Narkosevorbereitungen 31
● Stahlkanülen
● Magill-Zangen (→ S. 90)
● intravenöse Plastikverweilkanülen
● Magensonden
● sterile Absaugkatheter
(zur Hautdesinfektion vor dem Legen eines Jede (!!) aufgezogene Spritze muss (!!) beschrif-
periphervenösen Zugangs) ! tet werden. Für die meisten Medikamente liefert
● 2-ml-Spritze mit z. B. 2%igem Lidocain für die Pharmaindustrie bereits entsprechende Auf-
die Lokalanästhesie vor dem Legen des peri- kleber. Das ledigliche Aufstecken der leeren Am-
phervenösen Zugangs, dazu eine dünne pulle auf die unbeschriftete Spritze ist nicht zu
Stahlkanüle, z. B. 26 G lässig!
vor und überprüft die Identität des Patienten Gleichzeitig muss am EKG-Gerät die Ablei-
und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Ak- tung II (nach Einthoven) eingestellt sein. Mit
ten. dieser Ableittechnik können Herzrhythmus-
Nun wird der Patient vom Bett auf den Operati- störungen am besten erkannt werden. Eine
onstisch gelegt. Er muss sich dann seines Flü- ST-Strecken-Senkung (→ S. 400; Abb. 7-7),
gelhemdes entledigen und wird umgehend mit die typisch für eine Mangeldurchblutung der
einem Tuch zugedeckt. Die Arme werden be- Koronararterien mit unzureichender Durch-
quem auf Armstützen gelagert und locker ange- blutung der Herzmuskulatur (Myokardischä-
schnallt. Der Körper wird leicht mit einem mie) ist, kann mit dieser Ableittechnik jedoch
„Bauchgurt“ am Operationstisch fixiert. (Erst weniger gut erfasst werden. Um ST-Strecken-
nach der Narkoseeinleitung wird der Patient in Senkungen besser zu erkennen, können ggf.
die eigentliche Operationslagerung gebracht.) das gelbe und grüne (bzw. schwarze) Kabel
Danach wird der Patient in den Narkoseeinlei- (→ oben) vertauscht werden; gleichzeitig
tungsraum gebracht. Während der nun folgen- muss am EKG-Gerät die Ableitung I (nach
den Vorbereitung des Patienten auf die Narkose Einthoven) eingestellt werden. Dies ist insbe-
ist es wichtig, ihm immer zu erklären, was und sondere bei Patienten mit einer Koronarskle-
ggf. warum etwas gemacht wird. rose sinnvoll. Diese Ableitung entspricht un-
Es empfiehlt sich folgendes Vorgehen: gefähr der Brustwandableitung V5 (→ S. 489),
● EKG-Elektroden anlegen und EKG-Monitor mit der Veränderungen der ST-Strecke be-
folgendermaßen anschließen (vgl. Abb. sonders gut erfasst werden können. (Diese
1-23): Ableitung wird manchmal auch als „poor-
man’s V5“ bezeichnet.)
rotes EKG-Kabel = rechte Schulter ● Fingersensor für die pulsoxymetrische Mes-
! gelbes EKG-Kabel = linke Schulter sung der arteriellen Sauerstoffsättigung anle-
grünes (bzw. schwarzes) EKG-Kabel gen (→ S. 405). Falls die arterielle Sauerstoff-
= linke Thoraxseite sättigung niedrig ist (unter ca. 95 %), dann
sollte dem Patienten Sauerstoff über eine Na-
34 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
tatorische) Blutdruckmessung
● periphervenösen Zugang anlegen:
Manchmal gestehen die Patienten auf diese Bei unsachgemäßer Lagerung des Patienten kön-
gezielten Fragen, das Nüchternheitsgebot ! nen vor allem Nervenschädigungen (durch Druck,
(→ S. 209) gebrochen zu haben. In diesem Zug oder Zerrung) sowie Schädigungen des Au-
Falle muss eine nicht notfallmäßige Operati- ges drohen. Es muss auch darauf geachtet wer-
on verschoben werden. den, dass die Haut des Patienten nicht direkt Kon-
● Haben Sie eine Zahnprothese? Wenn ja, ha- takt mit dem Gummi oder Plastik des Operations-
ben Sie diese entfernt? tisches hat. Es sollte immer z. B. ein Tuch oder eine
Manchmal gestehen die Patienten, ihre Pro- Abpolsterung dazwischen gelegt werden.
these aus Eitelkeit nicht entfernt zu haben,
obwohl dies bei der präoperativen Visite an-
geordnet wurde. Sie muss jedoch in der Re- Plexus brachialis
gel herausgenommen und sicher aufbewahrt
werden. Meist wird der Arm, an dem die Infusion läuft,
● Haben Sie eine Allergie auf bestimmte Medi- ausgelagert (abduziert). Zur Vermeidung von
kamente oder z. B. auf braunes Pflaster? Zerrungen des Plexus brachialis muss bei der
Armauslagerung Folgendes beachtet werden:
● Der Arm muss (!) unbedingt an der Arm-
1.7.6 Lagerung des Patienten – stütze fixiert werden. Ein versehentliches
Lagerungsschäden Herunterfallen des Armes von der Armstüt-
ze kann beim relaxierten Patienten zu einer
Die endgültige Operationslagerung wird erst Schulterluxation, zu einer Zerrung des
nach Einleitung der Narkose vorgenommen. Plexus brachialis oder gar zum Ausriss des
Für die korrekte Lagerung des Patienten trägt Plexus brachialis führen (!!).
der Operateur die Verantwortung. Während ● Der Oberarm darf nicht weiter als 90 Grad
ten, wenn er in Rückenlage operiert werden bogengelenk geachtet werden. Der Handrü
soll. Spezielle Operationslagerungen werden in cken sollte nach oben zu liegen kommen.
den entsprechenden Kapiteln der „Speziellen ● Der Kopf sollte leicht auf die Seite des ausge-
Aus dem Blut diffundieren die Inhalationsanäs- Es diffundiert immer weniger Inhalationsanäs-
thetika in die verschiedenen Gewebe ab. thetikum aus dem arteriellen Blut in die Gewebe
ab, da die Partialdruckdifferenz zwischen Blut
Je besser ein Gewebe durchblutet ist, desto mehr und Gewebe immer kleiner wird. Das venöse
! Inhalationsanästhetikum kann es pro Zeiteinheit Blut enthält einen zunehmend höheren Partial-
aus dem Blut aufnehmen und desto schneller druck des Inhalationsanästhetikums. Zur Auf-
wird es mit dem Inhalationsanästhetikum gesät- rechterhaltung eines bestimmten Partialdrucks
tigt sein. im arteriellen Blut und damit eines bestimmten
Partialdrucks im Gehirn (bzw. einer bestimmten
Die stark durchbluteten Organe wie ZNS, Herz, Narkosetiefe) muss immer weniger Inhalations-
Nieren und Leber sind daher schnell (innerhalb anästhetikum pro Zeiteinheit über die Lungen
von Minuten) mit dem Inhalationsanästheti- ins Blut aufgenommen werden. Mit zunehmen-
kum aufgesättigt. Die weniger gut durchblutete der Narkosedauer genügt daher eine immer ge-
Muskulatur ist z. B. erst nach Stunden gesättigt. ringer werdende inspiratorische Konzentration.
Das schlecht durchblutete Fettgewebe wäre erst Bei Narkoseausleitung, das heißt Reduktion
nach Tagen vollständig aufgesättigt. Erst wenn oder Abbruch der Zufuhr des Inhalationsanäs-
es zum Ausgleich der Partialdrücke in den ver- thetikums, kehrt sich das Partialdruckgefälle
schiedenen Geweben gekommen ist, findet kei- um. Das Inspirationsgemisch enthält nun weni-
ne Diffusion mehr statt. ger oder kein Inhalationsanästhetikum. Das In-
halationsanästhetikum diffundiert nun aus dem
Von besonderem Interesse ist der Partialdruck Blut (jetzt hoher Partialdruck) in die Alveolar-
! des Inhalationsanästhetikums im Gehirn, denn luft (jetzt niedriger Partialdruck) und wird ab-
die Narkosetiefe ist vom Partialdruck des Inha geatmet. Außerdem diffundiert das Inhalati-
lationsanästhetikums im Gehirn abhängig. onsanästhetikum aus dem Gewebe zurück ins
Blut. Wenn das Inhalationsanästhetikum aus
Da das Gehirn sehr gut durchblutet wird, gleicht den gut durchbluteten Organen (mit hohem
sich der Partialdruck des Inhalationsanästheti- Partialdruck des Narkosegases) schnell abflutet,
kums im Gehirn sehr schnell dem Partialdruck kann der Partialdruck des Gases im Blut höher
im Blut an. Der Partialdruck im Gehirn entspricht als im schlecht durchbluteten Gewebe (z. B.
daher ungefähr dem Partialdruck im Blut. dem Fettgewebe) sein. Dann diffundiert das aus
Bei Narkosebeginn diffundiert fast das gesamte den gut durchbluteten Geweben abdiffundierte
Inhalationsanästhetikum aus dem arteriellen Gas zum Teil in die schlechter durchbluteten
Blut in die verschiedenen Gewebe ab, da diese Gewebe. Es wird von einer sog. Umverteilung
noch völlig ungesättigt sind. Das venöse Blut gesprochen. Umverteilungsphänomene treten
enthält damit fast kein Inhalationsanästhetikum auch bei intravenös zu verabreichenden Medi-
mehr und muss in der Lunge wieder aufgesät- kamenten auf (→ S. 46).
tigt werden. Zur Aufrechterhaltung eines be-
stimmten Partialdrucks im arteriellen Blut und
damit eines bestimmten Partialdrucks im Ge- 1.8.2 Faktoren, die die Aufnahme
hirn (bzw. einer bestimmten Narkosetiefe) muss und die Abatmung eines
also bei Narkosebeginn viel Inhalationsanäs-
thetikum über die Lungen ins Blut aufgenom- Inhalationsanästhetikums
men werden. Hierzu ist eine hohe Konzentrati- beschleunigen bzw. verzögern
on des Inhalationsanästhetikums in dem
Inspirationsgemisch nötig. Wie schnell ein Inhalationsanästhetikum über
Mit zunehmender Narkosedauer nimmt die die Lungen aufgenommen wird, mit dem Blut
Sättigung der verschiedenen Gewebe stetig zu. ins Gehirn gelangt und dort seine narkotische
38 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Erst nach mehrfachem Ein- und Ausatmen ist Lachgas z. B. löst sich nur sehr gering im Blut, es
die gesamte funktionelle Residualkapazität mit hat einen sehr niedrigen Blut-Gas-Ver
dem Inspirationsgemisch (das einen bestimmten teilungskoeffizienten (vgl. Tab. 1-7). Da sich nur
Partialdruck an Inhalationsanästhetikum ent- wenig Lachgas im Blut löst, ist das Blut
hält) vollständig aufgesättigt. Durch eine Steige- sehr schnell mit Lachgas gesättigt. Ether da
rung der alveolären Ventilation (= Hyperventila- gegen löst sich in hohem Maße im Blut. Der
tion) wird dieser Anstieg des Partialdrucks in der Blut-Gas-Verteilungskoeffizient ist entspre-
funktionellen Residualkapazität beschleunigt. chend hoch (vgl. Tab. 1-7). Es wird also lange
dauern, bis das Blut mit Ether aufgesättigt ist
Durch Hyperventilation kann also die Narkose und sich der Partialdruck im Blut dem Partial-
! einleitung oder eine Veränderung der Narkosetie- druck im Einatmungsgemisch angeglichen
fe beschleunigt werden. hat.
1.8 Inhalationsanästhetika 39
Tab. 1-7 Blut-Gas-Verteilungskoeffizient und MAC- oder durch die Kombination mit Lachgas ernied-
Wert der wichtigsten Inhalationsanästhetika rigt werden. Auch andere zentral dämpfende
Wirkstoff Blut-Gas- MAC- MAC- Medikamente wie Barbiturate oder Benzodiaze-
Vertei- Wert in Wert in pine bewirken eine Reduktion des MAC-Wertes,
lungs 100 % O2 70 % ebenso ein Abfall der Körpertemperatur. Außer-
koeffizient (Vol.-%) N2O dem ist der MAC-Wert altersabhängig; bei Kin-
(Vol.-%) dern beträgt er z. B. für Sevofluran (→ S. 43) 2,3
Lachgas 0,47 110,00 – Vol.-%, bei Patienten über 70 Jahre dagegen nur
Halothan 2,30 0,75 0,291 noch 1,5 Vol.-%. Bei Neu- und Frühgeborenen
sowie bei sehr alten Patienten kann der MAC-
Enfluran 1,90 1,68 0,571
Wert deutlich erniedrigt sein.
Isofluran 1,40 1,15 0,501
Sevofluran 0,65 2,00 0,661
Desfluran 0,45 6,00 3,001
1.8.4 Wichtige Medikamente
Ether 12,10 1,92 –
1
In neueren Arbeiten wird – im Vergleich zum MAC- Lachgas
Wert in 100 % O2 – eine lediglich ca. 30%ige MAC-Re-
duktion durch 70% Lachgas beschrieben (vgl. Text). Lachgas (= Stickoxydul = N O = Distickstoffmon-
2
oxid) ist ein geruchloses, nicht reizendes, farblo-
ses Gas.
Je niedriger der Blut-Gas-Verteilungskoeffizient Lachgas hat inzwischen die Kennfarbe blau (Aus-
! ist, desto schneller gleicht sich der Partialdruck ! nahmen bis Ende 2009 → S. 24). Inzwischen wird
im Blut dem Partialdruck im Einatmungsgemisch allerdings zumeist die „farbneutrale“ Kennzeich-
an, desto schneller flutet das Inhalationsanästhe- nung (= Beschriftung) bevorzugt (→ S. 24).
tikum an und ab und umso besser ist seine Steu-
erbarkeit. Lachgas wird unter hohem Druck (51 atm = 51
bar) in Stahlzylindern geliefert. Lachgas liegt
dabei zu ca. 3∕₄ in flüssiger Form vor, der Rest ist
1.8.3 MAC-Wert gasförmig. 1 kg Lachgasflüssigkeit ergibt ca. 500
Liter Lachgas. Solange noch ein flüssiger Anteil
Jedes Inhalationsanästhetikum besitzt eine be- vorliegt, bleibt der Manometerdruck (51 atm =
stimmte Wirkungsstärke, eine bestimmte nar- 51 bar) konstant (→ S. 24). Beim Verdampfen
kotische Potenz. Diese wird mit dem MAC- von Lachgas wird der Umgebung Wärme entzo-
Wert (= minimale alveoläre [oder auch gen, deshalb beschlagen oder gefrieren manch-
anästhetische] Konzentration) ausgedrückt. mal die Lachgasflaschen an den Gasaustritts-
ventilen.
Der MAC-Wert ist diejenige Konzentration eines
Inhalationsanästhetikums, bei der 50 % der Pa- Lachgas wurde bis vor einigen Jahren immer als
tienten auf einen definierten Schmerzreiz (Haut- ! das sicherste aller Inhalationsanästhetika be-
schnitt) mit keiner Schmerzreaktion mehr reagie- zeichnet und normalerweise bei fast allen Nar-
ren. Je niedriger der MAC-Wert, desto potenter ist kosen – zusätzlich zum Sauerstoff – als Basis
das Inhalationsanästhetikum (vgl. Tab. 1-7). narkotikum in Konzentrationen bis 70(–75) %
zugesetzt.In den letzten Jahren nahm die Popularität
Der MAC-Wert eines Inhalationsanästhetikums von Lachgas zunehmend ab und es wird vermehrt
kann durch die zusätzliche Gabe eines Opioids auf mögliche Nachteile des Lachgases (→ S. 40)
40 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
hingewiesen. Immer häufiger wird deshalb auf die Endotrachealtubus (→ S. 97), in einen evtl.
zusätzliche Lachgasgabe verzichtet und stattdes- vorhandenen Pneumothorax, in das luftge-
sen neben Sauerstoff nicht Lachgas, sondern Luft füllte Mittelohr (→ S. 282) oder in eine Luft-
verabreicht. embolieblase (→ S. 272). Hierdurch kann es
zu einer Druck- und/oder Volumenzunah-
Als alleiniges Anästhetikum hat Lachgas eine me dieser lufthaltigen Räume kommen, was
unzureichende Wirkung. Es vermag aber als meistens nachteilige Auswirkungen hat.
Zusatzanästhetikum die Wirkung der anderen ● Da sich Lachgas nur in geringem Ausmaß im
Inhalationsanästhetika zu verstärken, das heißt Blut löst, ist das Blut bereits nach wenigen
deren MAC-Wert zu erniedrigen (vgl. Tab. 1-7). Minuten mit Lachgas gesättigt. Lachgas flu-
Nach neueren Studien kann durch 70 % Lach- tet also sehr schnell an. Es hat einen sehr
gas der MAC-Wert von Inhalationsanästhetika niedrigen Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten
ca. 30 % vermindert werden. (In älteren Studien (vgl. Tab. 1-7) und ist damit gut steuerbar.
wird zum Teil eine deutlich höhere MAC-Re- Nach Abstellen der Lachgaszufuhr flutet das
duktion beschrieben). Das volatile Inhalations- Lachgas aber ebenso schnell wieder ab. In-
anästhetikum kann also bei zusätzlicher Lach- nerhalb kurzer Zeit diffundieren nun große
gasgabe niedriger dosiert werden. Damit sind Mengen Lachgas aus dem Körper zurück in
auch dessen Nebenwirkungen geringer. Durch die Lunge und können dort, bei Atmung von
Zusatz von Lachgas kann auch die notwendige Raumluft, zu einer Verdrängung des Sauer-
Dosierung der intravenösen Anästhetika redu- stoffes mit Hypoxie führen. Dieses Phäno-
ziert werden. men wird als Diffusionshypoxie bezeichnet.
Nach Abstellen des Lachgases muss deshalb
Wirkungen mindestens über 3 Minuten 100 % Sauerstoff
● gute analgetische Wirkung verabreicht werden, um dieser Diffusions-
● schwache narkotische Wirkung; hypoxie vorzubeugen.
der (theoretische) MAC-Wert beträgt 110 ● Lachgas wird häufig angeschuldigt, eine post-
hergestellt (und müsste als Einzelimport nach grund einer zu flachen Narkoseführung der
§ 73a des Arzneimittelgesetzes aus dem Ausland Fall sein kann, oder bei Catecholaminverab-
importiert werden). Aus didaktischen Gründen reichung (z. B. Gabe von adrenalinhaltigen
soll Halothan hier dennoch vorgestellt werden. Lokalanästhetika; → S. 158), neigt das Herz
In speziellen, nur für Halothan zulässigen Ver- bei gleichzeitiger Halothangabe zu Rhyth-
dampfern (→ S. 17) können dem Frischgas Ha- musstörungen. Dies musste insbesondere in
lothandämpfe in der eingestellten Konzentrati- der HNO- und Kieferchirurgie beachtet wer-
on zugemischt werden. den. Hier werden oft adrenalinhaltige Lokal-
anästhetika ins Operationsgebiet eingespritzt
Wirkungen (um eine Gefäßkonstriktion und damit eine
● sehr potentes Narkotikum Verminderung der Blutung zu erzielen; → S.
(MAC-Wert beträgt 0,75 Vol.-%; vgl. Tab. 280).
1-7) ● Atmung:
● nur geringe analgetische Wirkung, wird des- Halothan bewirkt ab einer inspiratorischen
halb unter Umständen mit Lachgas kombi- Konzentration von ca. 0,5 Vol.-% eine dosis-
niert abhängige Atemdepression, die bei 1–1,5
● erzeugt eine leichte Muskelerschlaffung und Vol.-% zu einer ausgeprägten Veränderung
verstärkt die Wirkung von nicht depolarisie- der Ventilationsgrößen führt. Der At-
renden Muskelrelaxanzien (→ S. 64). Deren mungstyp ist dann durch eine Tachypnoe
Dosierung kann deshalb bei einer Halothan- und kleine Atemzugvolumina gekennzeich-
narkose reduziert werden. net. Der arterielle CO2-Wert steigt an. Bei
Halothangabe ist also meistens eine assistier-
Nebenwirkungen te Beatmung notwendig. Halothan weist eine
● Herz-Kreislauf-System: bronchodilatierende Komponente auf und
Halothan bewirkt eine konzentrationsab- kann deshalb bei Patienten mit Asthma
hängige Blutdruckerniedrigung. Ursache ist bronchiale von Vorteil sein. Halothan flutet
vor allem eine direkte Minderung der Herz- mäßig schnell an und ab. Der Blut-Gas-
kraft (negativ inotrope Wirkung) mit Ab- Verteilungskoeffizient beträgt 2,3 (vgl. Tab.
nahme des Herzminutenvolumens. Der 1-7).
Blutdruckabfall ist also nicht durch eine Ge- ● Uterus:
fäßweitstellung, das heißt Abnahme des pe- Halothan bewirkt eine dosisabhängige Ute-
ripheren Gesamtwiderstandes, bedingt. Der rusrelaxierung und erhöht die Gefahr einer
periphere Gesamtwiderstand bleibt unter stärkeren Blutung aus dem Uterus nach der
Halothan annähernd konstant. Lediglich im Entbindung.
Bereich der Haut und des Gehirns kommt es ● Leber (Metabolisierung):
zu einer Vasodilatation mit einer Durchblu- Bis zu 20 % (!) des Halothans werden im
tungssteigerung. Körper metabolisiert. In sehr seltenen Fällen
Die Herzfrequenz bleibt weitgehend kon- soll es zu einer akuten Leberzellschädigung
stant oder nimmt leicht ab. nach einer Halothannarkose kommen. Falls
diese sog. „Halothanhepatitis“ auftreten
Zur Beurteilung der Narkosetiefe einer Halo- sollte, dann vor allem in der ersten (oder
! thannarkose eignete sich am besten das Blut- zweiten) Woche nach einer Halothannarko-
druck- und das Herzfrequenzverhalten. se. Sie kann tödlich verlaufen. Der Mecha-
nismus dieser Leberzellschädigung ist un-
Halothan „sensibilisiert das Herz gegen Ca- klar. Möglicherweise spielen Reaktionen auf
techolamine“ (→ S. 300). Bei endogener Ca- Abbauprodukte des Halothans eine Rolle.
techolaminfreisetzung, wie dies z. B. auf- Werden innerhalb kurzer Zeit (Wochen)
42 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
drucks. Dies ist für intraokuläre Operationen Sevofluran oder Desfluran. Der MAC-Wert
erwünscht (→ S. 283). beträgt 1,15 Vol.-% (vgl. Tab. 1-7).
● Die analgetische Wirkung ist schwach; Iso-
Kontraindikationen fluran wird deshalb unter Umständen mit
● frühere „Halothanhepatitis“ Lachgas kombiniert.
● maligne Hyperthermie (→ S. 212) in der ● Die muskelrelaxierende Wirkung ist gut und
Anamnese des Patienten oder seiner Ange- der von Sevofluran vergleichbar. Die Wir-
hörigen kung der nicht depolarisierenden Muskelre-
● Leberzellschädigung (nur eine relative Kon- laxanzien (→ S. 64) wird durch Isofluran
traindikation) verstärkt. Sie können entsprechend niedriger
● bei Verdacht auf einen erhöhten intrakrani- dosiert werden.
ellen Druck
Nebenwirkungen
Dosierung ● Herz-Kreislauf-System:
ring. Es kann deshalb z. B. in der HNO- und – exspiratorisch ungefähr 0,7 MAC bei ca.
Kieferchirurgie verabreicht werden, wenn 70 % Lachgas; mit zusätzlicher Opioidga-
adrenalinhaltige Lokalanästhetika einge- be ca. 0,4–0,5 MAC
spritzt werden (→ S. 280). – exspiratorisch ca. 1–1,1 MAC bei Verzicht
● Atmung: auf Lachgas; mit zusätzlicher Opioidgabe
Auch Isofluran führt zu einer starken, dosis- ca. 0,7–0,8 MAC
abhängigen Atemdepression, sodass zumeist
eine assistierte Beatmung notwendig ist.
Aufgrund seines Blut-Gas-Verteilungskoeffi- Sevofluran (Sevorane®)
zienten von 1,4 (vgl. Tab. 1-7) flutet Isofluran
deutlich langsamer als Sevofluran oder Des- Sevofluran ist seit Oktober 1995 in Deutschland
fluran an und ab. Die Narkoseein- und -aus-
zugelassen. Sevofluran verdankt seinen Namen
leitung sowie eine Veränderung der Narko- der Tatsache, dass seine Moleküle 7 Fluoratome
setiefe verlaufen deshalb relativ langsam besitzen.
(→ S. 38)! Die Vorteile des Sevoflurans sind darin zu sehen,
● Uterus: dass es relativ schnell an- und abflutet. Der Blut-
Isofluran bewirkt eine dosisabhängige Ute- Gas-Verteilungskoeffizient beträgt 0,65 (vgl. Tab.
rusrelaxierung. 1-7). Lediglich Desfluran und Lachgas fluten noch
● Leber (Metabolisierung): schneller an und ab (vgl. Tab. 1-7). Sevofluran ist
Die Metabolisierungsrate ist mit ungefähr sehr kreislaufstabil, und aufgrund seiner relativ
0,2 % niedriger als bei Sevofluran (3–5 %), geringen Reizung der Atemwege ist es für eine
aber höher als bei Desfluran (0,02 %). Die Inhalationseinleitung besonders gut geeignet.
Möglichkeit einer Leberzellschädigung ist
relativ gering. Wirkungen
● Gehirn: ● Die narkotische Potenz ist geringer als bei
Isofluran erzeugt eine Vasodilatation mit Isofluran, aber höher als bei Desfluran. Der
Steigerung der Durchblutung. Es kann daher MAC-Wert beträgt beim Erwachsenen 2,0
bei bereits erhöhtem intrakraniellem Druck Vol.-% (vgl. Tab. 1-7).
zu einer weiteren, unter Umständen lebens- ● Die analgetische Wirkung ist schwach; Se-
bedrohlichen Steigerung des intrakraniellen vofluran wird deshalb unter Umständen mit
Drucks führen. Lachgas kombiniert.
● Die Wirkung nicht depolarisierender Rela-
Kontraindikationen xanzien (→ S. 64) wird durch Sevofluran in
● maligne Hyperthermie (→ S. 212) in der ähnlichem Ausmaß wie durch Isofluran ver-
Anamnese des Patienten oder seiner Ange- stärkt.
hörigen
● nachgewiesene frühere Hepatitis nach ver- Nebenwirkungen
dampfbaren Inhalationsanästhetika ● Herz-Kreislauf-System:
● Leberzellschädigung (nur eine relative Kon- Sevofluran führt dosisabhängig zu einer Va-
traindikation) sodilatation und zu einem Blutdruckabfall.
Eine Tachykardie ist nicht zu erwarten. Ins-
Dosierung gesamt ist Sevofluran durch eine gute hämo-
● Narkoseeinleitung: dynamische Stabilität ausgezeichnet. Da die
initiale Vaporeinstellung ca. 2–3 Vol.-% hämodynamischen Veränderungen geringer
● Aufrechterhaltung der Narkose: als bei den anderen Inhalationsanästhetika
sind, kann es bei kardialen Risikopatienten
Vorteile aufweisen. Es kann auch bei Patien-
44 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
dass Compound A beim Menschen (nieren-) xanzien (→ S. 64) wird durch Desfluran in
toxisch ist. vergleichbarem Ausmaß wie durch Isofluran
verstärkt.
Kontraindikationen
● nachgewiesene, frühere (Halothan-)Hepati- Nebenwirkungen
tis nach verdampfbaren Inhalationsanästhe- ● Herz-Kreislauf-System:
findet keine Sensibilisierung des Myokards kraniellen Druck entsprechen denen von
gegenüber Catecholaminen statt. Bei einer Isofluran. Ein bereits erhöhter intrakraniel-
schnellen Konzentrationserhöhung kann es ler Druck steigt unter Desfluran weiter an.
(aufgrund einer starken Schleimhautreizung ● Sonstiges:
allen anderen Anästhetika zu sein. So ist z. B. Anamnese des Patienten oder seiner Ange-
die Aufwachzeit nach Desfluran fast 2- bis hörigen
4-mal so schnell wie bei Isofluran. Die ● nachgewiesene, frühere (Halothan-)Hepati-
len An- und Abflutung ist Desfluran auch se) ist keine Kontraindikation
besonders gut für Low-Flow- oder Minimal-
Flow-Narkosen geeignet (→ S. 12). Dosierung
Desfluran führt ab einer Dosierung von 6 ● Narkoseeinleitung:
Vol.-% zu einer starken Irritation der Atem- initiale Vaporeinstellung ca. 6–8 Vol.-%
wege. Eine Inhalationseinleitung mit Desflu- ● Aufrechterhaltung der Narkose:
ran führt häufig zu Laryngospasmus, Atem – exspiratorisch ungefähr 0,7 MAC bei ca.
anhalten, Husten sowie zu einer Stimulation 70 % Lachgas; mit zusätzlicher Opioidga-
der tracheobronchialen Sekretion. Dies ist be ca. 0,4–0,5 MAC
bei Kindern noch stärker ausgeprägt als bei – exspiratorisch ca. 1,0–1,1 MAC bei Ver-
Erwachsenen. Zur Inhalationseinleitung bei zicht auf Lachgas; mit zusätzlicher Opio-
Kindern ist es daher nicht geeignet. Desflu- idgabe ca. 0,7–0,8 MAC
ran führt zu einer dosisabhängigen Atemde-
pression.
● Leber (Metabolisierung): Ether
Desfluran wird lediglich zu ca. 0,02 % meta-
bolisiert. Die Gefahr einer durch Desfluran Obwohl Ether (= Diethylether, Ether pro narco-
bedingten „Hepatitis“ ist extrem gering. Eine si) nur noch in einigen Entwicklungsländern
toxische Leberschädigung durch Desfluran- manchmal zum Einsatz kommt, soll es aus his
metaboliten ist weitgehend ausgeschlossen. torischen Gründen dennoch kurz dargestellt
● Gehirn: werden. Ältere Patienten berichten öfter noch
Die Wirkungen von Desfluran auf den intra- von einer erlebten Ethernarkose.
46 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
den Explosionsgefahr aufgrund der zahlrei- Die Atmung ist bei einer flachen Ethernar-
chen elektrischen Geräte im Operationssaal kose eher gesteigert. Mit zunehmender Nar-
kann Ether leider nicht mehr eingesetzt wer- kosetiefe nehmen die Atembewegungen ab,
den. In Entwicklungsländern, die noch nicht erst in tiefer Narkose wird die Atmung unzu-
über elektrische Geräte im OP verfügen, reichend. Aufgrund seiner bronchodilatie-
wird Ether dagegen noch manchmal einge- renden Wirkung eignet sich Ether gut bei
setzt. asthmatischen Patienten.
● Reizung der Atemwege: ● einfache Narkoseführung:
Durch seinen stechenden Geruch ist Ether Aufgrund der stabilen Kreislaufverhältnisse,
stark schleimhautreizend, und eine gestei- der stabilen Atemfunktion und der geringen
gerte Speichelsekretion macht Atropin in der Toxizität könnte in Katastrophenfällen auch
Prämedikation erforderlich (→ S. 9). weniger gut geschultes Personal eine Ether-
● langsame An- und Abflutung: narkose ohne größere Risiken durchführen.
Aufgrund seiner guten Blutlöslichkeit, das ● preiswert
Nach einer Ethernarkose stellt sich meist Bei den meisten vorstehend besprochenen In-
eine lang anhaltende Übelkeit mit Brechreiz halationsanästhetika wird die für die gewünsch-
ein. te Wirkung notwendige Blutkonzentration nur
langsam erreicht (5–10 min). Sie haben also den
Vorteile Nachteil des langsamen Wirkungseintritts. Da
● geringe Toxizität: die Inhalationsanästhetika fast vollständig wie-
Ether ist kaum toxisch. Ein geringer Prozent- der über die Lungen abgeatmet werden und die
satz wird über „physiologische“ Zwischen- Ventilation gut beeinflussbar ist, haben sie je-
produkte bis zu CO2 abgebaut, der Rest wird doch den großen Vorteil der relativ guten Steu-
über die Lungen wieder abgeatmet. Ether hat erbarkeit (→ S. 36).
eine große therapeutische Breite und ist im-
mer noch das sicherste verdampfbare Inhala- Bei den intravenös zu verabreichenden Anästhe-
tionsanästhetikum. ! tika wird die notwendige Blutkonzentration sehr
● gute analgetische Wirkung schnell erreicht (20–30 Sekunden). Sie haben al-
● ausgeprägte Muskelerschlaffung so den großen Vorteil des schnellen Wirkungsein-
1.9 Intravenöse Anästhetika 47
tritts. Den meisten intravenösen Anästhetika ge- Gehirn, Herz, Leber und Niere. Nur langsam
meinsam ist jedoch der Nachteil der schlechten nimmt auch die schlechter durchblutete
Steuerbarkeit. Nach der Injektion entziehen sie Muskulatur das Medikament auf. Die Blut-
sich der Beeinflussbarkeit durch den Anästhesis konzentration sinkt dadurch ab. Das Medi-
ten. Lediglich die kurz oder sehr kurz wirksamen kament diffundiert nun, aufgrund der Kon-
intravenösen Anästhetika der neueren Generati- zentrationsabnahme im Blut, teilweise
on (z. B. Remifentanil, → S. 60; Propofol, → S. 54; wieder aus dem Gehirn zurück ins Blut und
Mivacurium, → S. 71) weisen ebenfalls eine gute von dort weiter in die großen Muskeldepots.
Steuerbarkeit auf. Es findet also eine Umverteilung vom Gehirn
in die Muskulatur statt. Noch langsamer be-
Bei einer Allgemeinnarkose werden häufig Me- ginnt das Medikament auch in das sehr
dikamente aufgrund ihres schnellen Wirkungs- schlecht durchblutete Fettgewebe abzudif-
eintritts intravenös zur Narkoseeinleitung ver- fundieren. Die Plasmakonzentration fällt
wendet. Der Patient schläft schnell und weiter ab. Teilweise diffundiert das Medika-
angenehm ein. Zur Weiterführung und Auf- ment nun weiter aus dem Gehirn und der
rechterhaltung der Narkose werden dann oft Muskulatur zurück ins Blut, mit dem es in
Inhalationsanästhetika verwendet, die sich die Fettdepots transportiert wird. Das ins
durch eine gute Steuerbarkeit auszeichnen (z. B. Blut injizierte Medikament wird also kurze
Desfluran, Sevofluran). Zeit später hauptsächlich von den gut durch-
Die relativ schlechte Steuerbarkeit vieler intra- bluteten Organen, wie z. B. dem Gehirn, auf-
venös injizierten Medikamente äußert sich vor genommen. Später befindet sich der größte
allem darin, dass die Wirkungsdauer von ein- Anteil in der Muskulatur, und zuletzt wird
mal injizierten Medikamenten nicht mehr be- der Großteil des Medikaments sich im Fett-
einflusst werden kann. Auch die Wirkungsstär- gewebe befinden. Der beschriebene Mecha-
ke eines intravenös verabreichten Medikamentes nismus wird als Umverteilungsphänomen
ist von einigen Faktoren abhängig, die durch die bezeichnet.
üblichen Überwachungsmaßnahmen nicht er-
fassbar sind. Die Wirkstärke ist damit oft Vor allem durch Umverteilungsphänomene ist
schlecht vorhersehbar, das heißt relativ schlecht ! der schnelle Konzentrationsabfall im Gehirn
steuerbar. und damit die Wirkungsbeendigung vieler in-
travenöser Medikamente bedingt. Aufgrund
dieser schnellen Umverteilungsphänomene ist
Wirkungsdauer die Wirkungsdauer dieser Medikamente kürzer
als die Verweildauer im Körper.
Die Wirkungsdauer eines intravenös verab-
reichten Medikamentes ist von folgenden Fak- Bei wiederholter Nachinjektion besteht bei
toren abhängig: solchen Medikamenten eine Kumulationsge-
● Umverteilungsphänomene: fahr, das heißt, bei Nachinjektionen werden
Das ins Blut injizierte Medikament diffun- evtl. höhere Plasmakonzentrationen erreicht,
diert, ähnlich wie die Inhalationsanästhetika weil die Fett- und Muskeldepots zunehmend
(→ S. 36), entlang eines Konzentrationsge- weniger Medikamente aus dem Blut aufneh-
fälles in die Gewebe ab. Je besser ein Gewebe men können, da sie langsam gesättigt sind.
durchblutet ist, desto mehr Medikament Bei wiederholten Nachinjektionen müssen
kann es pro Zeiteinheit aus dem Blut aufneh- daher fortlaufend niedrigere Repetitionsdo-
men. Aus diesem Grund entsteht sehr schnell sen gewählt werden.
ein Konzentrationsausgleich zwischen dem ● Metabolisierung:
Blut und den gut durchbluteten Organen Die Wirkungsdauer der intravenös applizier-
48 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
tabolisierung, vor allem in der Leber, und de- Wird ein Medikament intravenös injiziert,
ren Ausscheidung über Galle und Nieren ab. so wird es zuerst nur in dem kleinen Blutvo-
Leber-Gallen-Erkrankungen und Nierenleiden lumen verteilt, das während der Injektion
können daher zu einer Wirkungsverlängerung „vorbeifließt“. Bei langsamer Injektion ist
von intravenös verabreichten Medikamenten dieses „anfängliche Verteilungsvolumen“, in
führen. Medikamente, die z. B. großteils über das das Medikament injiziert wird, relativ
die Nieren ausgeschieden werden, müssen groß. Die in diesem Blutvolumen enthalte-
bei Niereninsuffizienz entsprechend niedriger nen Proteine reichen normalerweise aus, um
dosiert werden. Je nach Medikament ist die den üblichen Prozentsatz des Medikaments
Wirkungsbeendigung vor allem durch Umver- zu binden. Wird dagegen das Medikament
teilungsphänomene oder durch eine schnelle schnell injiziert, so ist das „anfängliche Ver-
Metabolisierung und Ausscheidung bedingt. teilungsvolumen“ viel kleiner. Unter Um-
ständen reicht die in diesem kleinen Blutvo-
lumen enthaltene Proteinmenge nicht mehr
aus, um den üblichen Prozentsatz des Medi-
Blutkonzentration kaments zu binden; das heißt, der nicht an
Proteine gebundene Anteil nimmt zu. Er-
Die Blutkonzentration und damit die Wir- reicht dieses Blutvolumen mit dem hohen,
kungsstärke eines intravenös verabreichten Me- ungebundenen Medikamentenanteil das
dikamentes ist von folgenden Faktoren abhän- Zielorgan (z. B. das Gehirn), bevor eine aus-
gig: reichende Vermischung mit dem restlichen
● verabreichte Dosis Blut stattgefunden hat, so sind stärkere Wir-
● Grad des proteingebundenen Anteils: kungen und Nebenwirkungen zu erwarten.
Nahezu alle in der Anästhesie gebräuchli-
chen intravenös applizierten Medikamente Bei zu schneller Injektion stark proteingebun-
werden im Blut zu einem mehr oder weniger ! dener Medikamente können der ungebunde-
großen Prozentsatz an Plasmaproteine, ins- ne Anteil und damit Wirkungen und Nebenwir-
besondere an Albumin, gebunden. Für die kungen zunehmen.
Wirkung verantwortlich ist jedoch nur der
freie, also nicht an Proteine gebundene An- Herzminutenvolumen:
●
teil des Medikamentes. Bei Plasmaprotein- Wird ein Medikament mit der üblichen In-
mangelzuständen, wie z. B. bei Patienten mit jektionsgeschwindigkeit bei einem Patienten
einer Leberzirrhose, einem Karzinom oder mit erniedrigtem Herzminutenvolumen inji-
einem nephrotischen Syndrom, kann daher ziert, so ist das Blutvolumen, das während
vor allem bei schneller Injektion (→ unten) der Injektion „vorbeifließt“ („anfängliches
eines stark an Proteine gebundenen Medika- Verteilungsvolumen“), ebenfalls herabge-
ments die Bindungskapazität der Plasmapro- setzt. Ein erniedrigtes Herzminutenvolumen
teine überschritten werden. In diesem Fall hat also die gleichen Folgen wie eine zu
nehmen der ungebundene Anteil und damit schnelle Injektion (→ oben).
die Wirkung und Nebenwirkung des Medi- Bei einem Patienten mit einer schweren
kaments zu. Bei Plasmaproteinmangelzu- Herzinsuffizienz, das heißt einem vermin-
ständen müssen also stark plasmaproteinge- derten Herzminutenvolumen, müssen daher
bundene Medikamente niedriger dosiert stark proteingebundene Medikamente ent-
werden. Außerdem ist auf eine besonders sprechend niedriger dosiert und langsamer
langsame Injektion zu achten (→ unten). injiziert werden.
1.9 Intravenöse Anästhetika 49
Wichtig bei der Dosierung von intravenösen Wirkungen und Nebenwirkungen
! Medikamenten ist, dass sie niemals schema- ● ZNS:
tisch verabreicht werden dürfen. Die Dosie- Je nach Dosierung bewirkt Thiopental eine
rung muss – wegen der vielen unbekannten Sedierung, einen Schlaf, eine Bewusstlosig-
Einflussgrößen auf Wirkungsstärke und Wir- keit oder ein Koma. Zur Narkoseeinleitung
kungsdauer – immer nach Wirkung erfolgen wird Thiopental so hoch dosiert, dass eine
(!), das heißt Injektion mehrerer kleiner Dosen, Bewusstlosigkeit (= Hypnose) eintritt. Thio-
bis die erwünschte Wirkung erreicht ist. Also: pental weist keine analgetische Wirkung auf.
Dosierung nach Wirkung (!). Wie fast alle Barbiturate (→ S. 7) erhöht auch
Thiopental die zerebrale Krampfschwelle. Ein
epileptischer Anfall kann daher durch die in-
1.9.2 Medikamente travenöse Gabe von Thiopental durchbrochen
werden. Thiopental erniedrigt dosisabhängig
Thiopental (Trapanal®) die Aktivität der Neurone und damit den Sau-
erstoffbedarf des Gehirns sowie die Hirn-
Thiopental ist ein Hypnotikum aus der Barbitu- durchblutung. Bei erhöhtem intrakraniellem
ratgruppe (→ S. 7), das durch einen schnellen Druck („Hirndruck“) kann durch diese Ver-
Wirkungsbeginn und eine kurze Wirkungsdauer minderung des zerebralen Blutvolumens eine
gekennzeichnet ist. Nach Injektion einer Einlei- rasche Senkung des intrakraniellen Drucks
tungsdosis tritt innerhalb von 20–30 Sekunden erzeugt werden. Ist z. B. bei einem Schädel-
der Wirkungsbeginn ein. Hirn-Verletzten oder einem neurochirurgi-
schen Patienten eine akute Senkung des intra-
Es stellt sich eine Bewusstlosigkeit ein, die an- kraniellen Drucks notwendig, so eignet sich
fänglich von einer Atemdepression oder einem hierzu Thiopental sehr gut (→ S. 269).
Atemstillstand begleitet ist. Die Beendigung der ● Atmung:
Bewusstlosigkeit nach ca. 10 Minuten ist durch Thiopental bewirkt in hypnotischen Dosen
den rasch einsetzenden Konzentrationsabfall eine zentrale Atemdepression bis zum Atem-
im Gehirn bedingt. Dieser rasche Konzentrati- stillstand. Bei Patienten mit Asthma bron-
onsabfall im Gehirn und damit das Nachlassen chiale wird häufiger empfohlen, auf Thio-
der Wirkung ist durch Umverteilungsphäno- pental zugunsten von Propofol (→ S. 54) zu
mene verursacht (→ S. 47); das heißt, der Groß- verzichten. Falls Thiopental bei einem Pati-
teil des Thiopentals wird nun in die Muskulatur enten mit Asthma bronchiale verwendet
und anschließend vor allem in das Fettgewebe wird, dann scheint vor allem eine ausrei-
umverteilt. Erst in zweiter Linie ist die Wir- chend hohe Thiopentaldosierung wichtig zu
kungsbeendigung durch einen Abbau in der sein, um eine ausreichend tiefe Bewusstlo-
Leber bedingt. Durch diesen Abbau in der Le- sigkeit zu erreichen.
ber fällt die Blutkonzentration langsam weiter ● Kreislauf:
● Leber:
Thiopental wird hauptsächlich in der Leber
abgebaut. Die entstehenden wasserlöslichen
Abbauprodukte werden über die Nieren ausge-
schieden. Bei chronischer Anwendung bewirkt
Thiopental in der Leber eine Stimulierung ver-
schiedener Leberenzyme (= Enzyminduktion,
→ S. 7) mit beschleunigtem Abbau von kör-
pereigenen Substanzen sowie von Medikamen-
ten. Zur Erzielung einer bestimmten Wirkung
müssen die Medikamente in immer höheren
Dosierungen verabreicht werden. Besonders
wichtig ist die Enzyminduktion beim Krank-
heitsbild der Porphyrie, für das eine abnorm
hohe Porphyrinkonzentration verantwortlich
ist. Durch die Gabe eines Barbiturats kann un-
ter der eintretenden Enzyminduktion eine Stei-
gerung der Porphyrinsynthese auftreten. Da-
durch kann eine akute Porphyrieattacke ausge-
löst werden. Daher ist Thiopental bei Vorliegen
einer Porphyrie absolut kontraindiziert!
Dosierung
Methohexital (Brevimytal®) ● Narkoseeinleitung:
Etomidat Wirkungen
(Etomidat®-Lipuro, Hypnomidate®) ● kurze Wirkungsdauer:
● Hemmung der Cortisolsynthese: Ein großer Vorteil des Midazolams ist seine
Etomidat führt zu einer Hemmung der kör- Wasserlöslichkeit. Durch diese Wasserlös-
pereigenen Cortisolsynthese in der Neben- lichkeit ist Midazolam intravenös (und auch
nierenrinde. Dies ist vor allem bei einer wie- intramuskulär) gut verträglich. Die intrave-
derholten Gabe zu beachten. Aus diesem nöse Injektion ist nicht schmerzhaft. Throm-
Grund ist Etomidat zur Langzeitsedierung bophlebitiden treten nach intravenöser Gabe
auf der Intensivstation kontraindiziert. selten auf.
54 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
wird von einer dissoziativen Anästhesie ge- ● Zur Narkoseeinleitung wird es manchmal
sprochen. In der Aufwachphase können, vor bei Patienten mit einem Volumenmangel-
allem bei jüngeren Erwachsenen, lebhafte schock eingesetzt. Bei diesen Patienten droht
Träume, zum Teil auch bedrohliche Angst- während der Narkoseeinleitung meist ein
träume und Erregungszustände, auftreten. weiterer Blutdruckabfall. Bei Verwendung
Durch zusätzliche Gabe eines Benzodiaze- von Ketamin zur Narkoseeinleitung bleibt
pins (z. B. Midazolam oder Diazepam; → S. der Kreislauf meist relativ stabil.
6) und durch Abschirmung gegen Umwelt- ● Als Analgetikum kommt es in der Notfall-
systolischen und des diastolischen Blut- werden muss, z. B. bei Zerebralsklerose oder
drucks. Parallel dazu tritt bei bereits erhöh- Bluthochdruck
tem intrakraniellem Druck eine weitere ● bei erhöhtem intrakraniellem Druck
Drucksteigerung auf. Bei Verdacht auf einen ● bei Alkoholikern und psychiatrischen Pati-
es sei denn, dass zusätzlich eine therapiebe- unter Umständen einen epileptischen Anfall
dürftige Hypotonie vorliegt. auslösen kann
● Atmung:
besitzt durch seine Sympathikusstimulie- 1–2 mg/kg KG langsam (!) verabreichen. Bei
rung eine unspezifische bronchodilatierende zu schneller Injektion droht ein Atemstill-
Wirkung und eignet sich daher auch gut bei stand. Der Wirkungseintritt beginnt inner-
Asthmatikern als Einleitungshypnotikum. halb von 30 Sekunden. Die Narkosedauer
Ketamin kann sogar zum Durchbrechen ei- beträgt 5–10 Minuten. Als Wiederholungs-
nes Asthmaanfalls verabreicht werden. dosis empfiehlt sich die halbe Initialdosis.
● als Analgetikum ohne narkotische Wirkung:
Indikationen 0,25–0,5 mg/kg KG
● Als Monoanästhetikum eignet sich Ketamin ● intramuskuläre Narkoseeinleitung:
insbesondere bei Kindern, um z. B. einen 4–8 mg/kg KG. Der Narkoseeintritt beginnt
Verbandswechsel, eine Wundversorgung nach 3–4 Minuten. Die Narkosedauer be-
oder eine Nekrosenabtragung nach Verbren- trägt 12–25 Minuten.
nungen vorzunehmen.
1.9 Intravenöse Anästhetika 57
Die Indikationen und Kontraindikationen von Bereits ab 0,1 mg ist beim Erwachsenen mit
Esketamin entsprechen denen des Ketamins einer deutlichen Atemdepression zu rech-
(→ S. 56). nen. Bei höheren Dosierungen kann es zum
Atemstillstand kommen. Typisch für eine
Darreichungsform höher dosierte Opioidgabe ist, dass die Pati-
Ketanest S®: enten auf Aufforderung durchatmen. Wer-
● Ampullen bzw. Injektionsflaschen für hoch den sie aber in Ruhe gelassen, so „vergessen“
konzentrierte Lösung mit 2, 10 bzw. 50 ml sie, zu atmen. Als weitere Nebenwirkung auf
(25 mg/ml) die Atmungsfunktion kann beim nicht rela-
58 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Ampulle à 10 ml; 1 ml = 5 µg
Dosierung Sufenta® mite 10 ist 10-fach weniger konzen-
Meist genügen für kurze Eingriffe (z. B. eine Cu- triert als die Sufenta®-Lösung. Die hoch
rettage) ca. 15 µg/kg KG, also ca. 1,0 mg. Nachin- konzentrierte Sufenta®-Lösung wird vor al-
jektion: 0,5–1,0 mg beim Erwachsenen. Wird lem für die Kardioanästhesie sowie für die
Alfentanil ausnahmsweise für eine größere Sufentanilgabe per Infusionspumpe (vor al-
Operation verwendet, dann werden zur Narko- lem auf der Intensivstation), selten auch für
seeinleitung 25–50 µg/kg KG verabreicht. Für lang dauernde, große operative Eingriffe
eine kontinuierliche Infusion werden 1–1,5 µg/ empfohlen. Bei kleinen und mittelgroßen
kg KG/min = 8–12 ml/h bei Erwachsenen emp- Eingriffen wird normalerweise die Sufenta®-
fohlen. mite-10-Lösung verwendet!
● Sufenta :
®
Ampulle à 5 ml; 1 ml = 50 µg
60 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
ganz darauf verzichtet werden und gleich mit Die Naloxonwirkung kann unter Umständen
einer bewährten Erhaltungsdosis von ca. 0,2–0,3 nach einer Stunde abklingen und die Atemde-
µg/kg KG/min (ca. 16–25 ml/h) begonnen wer- pression kann wieder auftreten!! Dies ist mög-
den. Eventuell kann es sinnvoll sein, vor der lich, wenn intraoperativ hohe Dosen eines
Gabe von Remifentanil Atropin intravenös zu Opioids oder wenn lang wirksame Opioide ver-
verabreichen. Dadurch können Bradykardien wendet wurden. Nach einer Antagonisierung ist
und Blutdruckabfälle meist vermindert werden. deshalb eine ca. 2-stündige postoperative Über-
wachung des Patienten im Aufwachraum nö-
tig!
Opioidantagonisten
Nebenwirkungen
Opioide (→ S. 8) entfalten ihre Wirkung durch Bei einer schnellen Injektion von hohen Dosen
eine Bindung an spezifische Rezeptoren im Ge- kann es bei frischoperierten Patienten zu einem
hirn und Rückenmark. Opioidantagonisten sind erheblichen Anstieg des Blutdrucks und der
Substanzen, die die Opioide aus dieser Rezeptor- Herzfrequenz kommen. Durch die vollständige
bindung verdrängen und sich selbst an diesen Re- Aufhebung der analgetischen Wirkung klagen
zeptor binden können. Diese Opioidantagonisten die Patienten dann auch über starke postopera-
sind dem Morphinmolekül sehr ähnliche Substan- tive Schmerzen. Es sollten deshalb wiederholt
zen und können deshalb mit diesen Rezeptoren kleine Dosen injiziert werden, bis die gewünsch-
reagieren. Ihnen fehlen jedoch die für die Opioide te atemstimulierende Wirkung erreicht ist, aber
typischen Wirkungen vollständig (→ Naloxon). noch eine ausreichende Analgesie vorhanden
ist (→ unten).
Opioidantagonisten können die meisten Opio-
ide (mit Ausnahme des stark rezeptorgebunde- Darreichungsform
nen Buprenorphins; → S. 330) aus der Rezeptor- ● 1 Ampulle zu 1 ml = 0,4 mg
dem neu eingeführten Präparatenamen Xo- Droperidol war lange Zeit das zur Therapie
molix® wieder im Handel. der postoperativen Übelkeit im Aufwach-
raum vermutlich am häufigsten eingesetzte
Wirkungen Antiemetikum. Inzwischen wird es zuguns
● Sedierung, Gleichgültigkeit, Antriebshem- ten von Serotoninantagonisten (z. B. Grani-
mung setron; Anemet und Dexamethason; Forte-
● starke antiemetische Wirkung cortin®) seltener eingesetzt (→ S. 334).
(= Hemmung von Übelkeit und Brechreiz), ● Neuroleptanästhesie:
insbesondere bei einer durch Opioide (z. B. Droperidol wurde früher vor allem im Rah-
Fentanyl) induzierten Übelkeit men der sog. Neuroleptanästhesie (→ S. 130)
● Antihistaminwirkung verwendet.
(= Verminderung von anaphylaktoiden Re-
aktionen) Kontraindikationen
● starker Volumenmangel
Nebenwirkungen ● Parkinson-Krankheit, Epilepsie oder De-
blockade; → S. 301). Folge dieser Alpha Aufgrund der langen Wirkdauer sind höhere
blockade ist ein Blutdruckabfall nach Drope- Dosierungen (über ca. 2,5 mg) zu vermei-
ridolgabe. Besteht bei dem Patienten ein den.
intravasaler Volumenmangel, den der Kör-
per durch eine Gefäßengstellung zu kom- Darreichungsform
pensieren versucht, so erzeugt die Gefäß- ● 1 Ampulle zu 2 ml = 5 mg, 1 ml = 2,5 mg
Bei hoher (selten auch in niedriger) Dosie- Bei Erwachsenen wird hierfür eine Dosie-
rung können extrapyramidale Bewegungs- rung von 0,625–1,25(–2,5) mg (= 0,25–0,5
störungen, ähnlich wie bei der Parkinson- [–1] ml) empfohlen.
Krankheit, auftreten. ● (Zur Einleitung der früher üblichen Neuro-
1.10.1 Physiologie der
1.10.2 Nicht depolarisierende
neuromuskulären Übertragung
Muskelrelaxanzien
Quergestreifte Muskelfasern werden von moto-
Curare, der Prototyp der nicht depolarisieren-
rischen Nerven innerviert. Die Verbindungsstelle
den Muskelrelaxanzien, ist ein Extrakt aus den
zwischen einer motorischen Nervenendigung und
Wurzeln und Blättern der tropischen Kletter-
einer Muskelzelle wird als motorische Endplat-
pflanze Chondrodendron tomentosum und wur-
te bezeichnet. Ihr schematischer Aufbau ist in Ab-
de ursprünglich von südamerikanischen India-
bildung 1-28 dargestellt.
nern als Pfeilgift verwendet. Sämtliche wie
Curare wirkenden nicht depolarisierenden
Ein ankommender Nervenimpuls löst in der Muskelrelaxanzien werden nach ihm auch als
motorischen Nervenendigung die Freisetzung curareähnliche (= curariforme) Muskelrela-
der dort gespeicherten Überträgersubstanz xanzien bezeichnet.
Acetylcholin (vgl. Abb. 1-28) aus. Acetylcholin
(ACh) wandert durch den synaptischen Spalt
zur Muskelzellmembran, bindet sich dort an Wirkungsweise
spezifische Acetylcholinrezeptoren und verur-
sacht dadurch eine Depolarisation der Muskel- Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien sind
zellmembran, das heißt einen Zusammenbruch
Medikamente, die sich an die Rezeptoren des
des normalerweise vorhandenen Membranpo- Acetylcholins (= ACh) binden können, obwohl
tenzials mit nachfolgender Muskelkontraktion. sie dabei die Muskelzellmembran nicht (!) zu
1.10 Muskelrelaxanzien 65
depolarisieren vermögen, also auch keine Muskel- ren für das ACh frei werden (= normale
kontraktion erzeugen können. Da die Muskelzell- Wirkungsbeendigung; vgl. Abb. 1-30). Die Wir-
membran nicht (!) depolarisiert wird, werden die kung der nicht depolarisierenden Muskelrela-
Medikamente als nicht depolarisierende Muskel- xanzien kann auch beendet werden, indem
relaxanzien bezeichnet. medikamentös die Konzentration des ACh er-
höht wird. Dann ist ACh zahlenmäßig weit
Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien kon- in der Überzahl und verdrängt das nicht de
kurrieren mit dem ACh um den begehrten Re- polarisierende Muskelrelaxans schnell aus
zeptorplatz. Beide können sich gegenseitig aus seiner Rezeptorverbindung (Wirkungsbeendi-
dieser Verbindung verdrängen, je nachdem, gung durch ein Gegengift = Antagonisierung;
welche Substanz in höherer Konzentration vor- → S. 71).
handen ist (kompetitive Bindung). Wenn das
nicht depolarisierende Muskelrelaxans in genü-
gender Konzentration vorliegt, besetzt es alle Wirkungen
ACh-Rezeptoren. Das nun nach einem Nerven-
impuls freigesetzte ACh hat keine Chance mehr, Die Hauptwirkung der nicht depolarisierenden
an noch freie Rezeptoren zu gelangen, um eine Muskelrelaxanzien ist die Relaxierung der quer-
Depolarisation auszulösen (vgl. Abb. 1-29). gestreiften Muskulatur. Die relaxierende Wir-
Die Muskeln bleiben also unerregbar, das heißt kung einer hohen Dosis eines nicht depolarisie-
relaxiert. Diese nicht depolarisierenden Mus- renden Muskelrelaxans wirkt im Bereich des
kelrelaxanzien können von dem Enzym Acetyl- Kehlkopfes und des Zwerchfelles schneller
cholinesterase nicht abgebaut werden. Die Mus- als im Bereich von peripheren Muskeln. Dies
kelerregbarkeit tritt erst wieder ein, wenn die ist dadurch zu erklären, dass Kehlkopf und
nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien Zwerchfell sehr gut durchblutet werden. Des-
über die Lymphe und das Blut langsam abtrans- halb flutet das Muskelrelaxans dort schneller
portiert und zunehmend wieder mehr Rezepto- an, aber auch wieder schneller ab.
66 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Sympathikus Parasympathikus
ACh
ACh
Nebenniere
ACh
Adrenalin
ACh NA ACh
Abb. 1-31 Schematische Darstellung des somatischen und vegetativen Nervensystems. ACh = Acetylcholin;
NA = Noradrenalin.
Nieren ausgeschieden werden, ist bei einer Nie- ka wie Neomycin, Gentamicin, Streptomycin
reninsuffizienz aufgrund der verlangsamten usw.) führen unter Umständen zu einer enor-
renalen Ausscheidung eine Wirkungsverlänge- men Wirkungsverlängerung der nicht depolari-
rung dieser Relaxanzien zu erwarten. Bei nie- sierenden Muskelrelaxanzien.
reninsuffizienten Patienten müssen daher nicht
depolarisierende Muskelrelaxanzien, die über
die Nieren ausgeschieden werden, niedrig Klinisch wichtige Medikamente
dosiert oder möglichst ganz vermieden wer-
den. Inzwischen stehen mit Atracurium und Pancuronium (Pancuronium „Organon“®)
cis-Atracurium auch nicht depolarisierende
Pancuronium ist den Curarepräparaten bezüglich
Muskelrelaxanzien zur Verfügung, deren Wir-
des Molekülaufbaus in keiner Weise verwandt.
kungsdauer unabhängig von der Nieren- (so-
Chemisch gesehen gehört es zu den Steroiden.
wie Leber- und Gallen-)Funktion ist. Diese
Pancuronium gehört zu den lang wirksamen Rela-
Relaxanzien stellen bei Patienten mit Nieren
xanzien. Der Wirkungseintritt von Pancuronium ist
insuffizienz die Medikamente der ersten
nach ca. 3–4 Minuten zu erwarten. Die Wirkungs-
Wahl dar. Ansonsten sollten diejenigen nicht
dauer beträgt ca. 60 Minuten. Pancuronium wird
depolarisierenden Muskelrelaxanzien verwen-
zunehmend seltener eingesetzt.
det werden, die zu einem relativ großen
Teil über die Galle ausgeschieden werden
(→ unten). Pancuronium wird zu ca. 85 % unverändert
Auch Leber- und Gallenwegserkrankungen über die Nieren ausgeschieden. 10–20 % des
(z. B. Gallenwegsverschluss) können unter Um- Pancuroniums werden in der Leber metaboli-
ständen zu einer Wirkungsverlängerung von siert.
solchen nicht depolarisierenden Muskelrela-
xanzien führen, die in einem stärkeren Maße in Wirkungen und Nebenwirkungen
der Leber metabolisiert oder unverändert über Pancuronium bewirkt eine leichte Blockierung
die Galle ausgeschieden werden. Auch bei die- des Parasympathikus (→ S. 66) und erzeugt da-
sen Erkrankungen ist ein Relaxans vorzuziehen, mit wie Atropin (→ S. 9) eine Vagusblockade.
dessen Wirkungsdauer unabhängig von der Le- Diese leichte Vagusblockade führt meist zu ei-
ber- und Gallenfunktion ist (Atracurium oder ner Herzfrequenzsteigerung und gelegentlich
cis-Atracurium). Ansonsten sollten diejenigen zu einem leichten Blutdruckanstieg. Pancuroni-
nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien be- um verursacht keine relevante Histaminfreiset-
vorzugt werden, die hauptsächlich über die zung.
Nieren ausgeschieden werden.
Kontraindikation
Da Pancuronium größtenteils unverändert über
Interaktionen mit anderen die Nieren ausgeschieden wird, muss es bei nie-
Medikamenten reninsuffizienten Patienten vorsichtig dosiert
bzw. vermieden werden.
Alle nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien
! werden in ihrer Wirkung durch verdampfbare In- Darreichungsform
halationsanästhetika verstärkt. ● Brechampulle zu 2 ml = 4 mg
Bei Isofluran, Sevofluran und Desfluran (→ S. Es hat sich bewährt, Pancuronium 1 : 1 mit NaCl
42) ist dies stärker ausgeprägt als bei dem frü- 0,9 % zu verdünnen (1 ml enthält dann 1 mg).
her verwendeten Halothan (→ S. 40). Verschie-
dene Antibiotika (z. B. Aminoglykosidantibioti-
1.10 Muskelrelaxanzien 69
Dosierung Dosierung
● initiale Vollrelaxierung: ● initiale Vollrelaxierung:
Lagerung Dosierung
Rocuronium muss kühl (unter 8 °C) gelagert ● initiale Vollrelaxierung:
0,1–0,2 mg/kg KG
● Infusionsdosis:
Atracurium (Tracrium®)
nach Gabe einer Initialdosis 0,3–0,6 mg/
Atracurium ist ein nicht depolarisierendes Mus- kg KG/h per infusionem
kelrelaxans mit mittellanger Wirkdauer. Chemisch
gehört es zu den Estern. Ungefähr 2–3 Minuten Lagerung
nach Injektion beginnt die ca. 30–40 Minuten Atracurium muss bis kurz vor Gebrauch bei
dauernde Wirkung. 4–5 °C und lichtgeschützt gelagert werden!
Atracurium beträgt nur ca. 10–20 % derjenigen stellt kein relevantes Problem mehr dar. Auch
nach Gabe von Atracurium. Es verursacht keine nach einer längeren Infusion über mehrere
relevanten Kreislaufveränderungen. Stunden ist die Erholungszeit nicht verlängert.
Darreichungsform Nebenwirkungen
● Ampullen zu 2,5 ml bzw. 5 ml = 5 mg bzw. 10 Bei höherer Dosierung oder schnellerer Injekti-
mg; 1 ml = 2 mg onsgeschwindigkeit kann eine Histaminfreiset-
zung auftreten und zu Gesichtsrötung und
Dosierung leichtem Blutdruckabfall führen. Es ist daher
● initiale Vollrelaxierung: eine langsame Injektionsgeschwindigkeit zu
0,1–0,15 mg/kg KG empfehlen (über ca. 30 Sekunden). Dadurch
● Nachinjektionsdosis: lässt sich dieses Problem minimieren. Es sind
0,015–0,02 mg/kg KG keine klinisch relevanten Kreislaufveränderun-
● Infusionsdosis: gen zu erwarten.
nach Gabe einer Initialdosis 1–2–3 µg/
kg KG/min; 0,06–0,12–0,18 mg/kg KG/h per Indikationen
infusionem Als Indikationen für das kurz wirksame Miva-
curium bieten sich vor allem kurze Eingriffe
(z. B. kurze HNO-Eingriffe, Bronchoskopien)
Mivacurium (Mivacron®) und ambulante Eingriffe an.
Mivacurium wird zunehmend häufiger als Rou-
Mivacurium ist das am kürzesten wirkende nicht tinerelaxans für kürzere Operationen (< ca. 30
depolarisierende Relaxans. Der Wirkungsbeginn min) eingesetzt.
ist vergleichbar schnell wie bei Vecuronium oder
Atracurium. Die Wirkungsdauer einer üblichen In- Darreichungsform
tubationsdosis beträgt nur 15–20 Minuten, die ei- ● Ampullen à 5/10 ml = 10/20 mg; 1 ml = 2 mg
ner üblichen Repetitionsdosis ca. 10–15 Minuten.
In der Praxis hat es sich bewährt, Mivacurium
Micvacurium ist in Deutschland seit 1996 im mit NaCl 0,9 % 1 : 1 zu verdünnen, sodass 1 ml =
Handel. 1 mg Mivacurium enthält.
Mivacurium wird – ähnlich wie Succinylcholin
(→ S. 73) – nahezu vollständig von der Plasma- Dosierung
cholinesterase (Pseudocholinesterase) abgebaut. ● initiale Vollrelaxierung:
(0,15–)0,2(–0,25) mg/kg KG
Bei Patienten mit einer deutlich erniedrigten Kon- ● Nachinjektionsdosis:
! zentration der Pseudocholinesterase (z. B. wegen (0,05–)0,1 mg/kg KG
schwerer Leberfunktionsstörung; Normalwert Frau- ● Infusionsdosis:
en: 5,3–12,9 kU/l; Männer: 4,3–11,3 kU/l) oder nach Gabe einer Initialdosis 6–8 µg/kg KG/
bei Vorliegen einer angeborenen atypischen Pseu- min; 0,4–0,5 mg/kg KG/h per infusionem
docholinesterase ist – wie auch bei Succinylcholin
– mit einer Wirkungsverlängerung zu rechnen.
Antagonisierung
Aufgrund der schnellen Metabolisierung ist bei
Mivacurium keine Kumulation zu erwarten. Nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien kon-
Mivacurium eignet sich aufgrund der kurzen kurrieren mit dem ACh um den begehrten Re-
Wirkdauer auch gut für eine kontinuierliche In- zeptorplatz. Beide können sich gegenseitig aus
fusion. Die Gefahr eines Relaxansüberhangs dieser Verbindung verdrängen, je nachdem, wel-
72 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
che Substanz in höherer Konzentration vorhan- der Vagusblockade, erkennbar am Anstieg der
den ist (= kompetitive Bindung). Das von den Herzfrequenz, den Cholinesterasehemmer Py-
motorischen Nervenendigungen freigesetzte ridostigmin oder Neostigmin (→ unten) zu ver-
ACh wird durch ein Enzym, die sog. Acetylcho- abreichen. Atropin kann aber auch mit Pyrido-
linesterase, normalerweise sehr schnell wieder stigmin oder Neostigmin gemeinsam aus einer
abgebaut und damit inaktiviert (→ S. 64). Durch „Mischspritze“ verabreicht werden, da Atropin
die Hemmung der Acetylcholinesterase (mit ei- einen schnelleren Wirkungsbeginn aufweist als
nem sog. Cholinesterasehemmer) wird der Ace- Neostigmin oder Pyridostigmin.
tylcholinabbau blockiert, es kommt zu einer Bei der Antagonisierung der nicht depolarisie-
starken Konzentrationserhöhung des ACh. renden Muskelrelaxanzien ist Vorsicht geboten
Durch diese starke Erhöhung der ACh-Konzen- bei Patienten mit:
tration kann ACh das nicht depolarisierende ● Asthma bronchiale:
Muskelrelaxans aus seiner Rezeptorbindung ver- Unter Umständen kann es trotz zusätzlicher
drängen. ACh kann damit wieder an seine Re- Atropingabe zu einem Bronchospasmus und
zeptoren gelangen, eine Depolarisation und da- zu einer vermehrten Sekretbildung im Bron-
mit eine Kontraktion auslösen. Diese Tatsache chialsystem kommen!
wird genutzt, wenn die Wirkung der nicht depo- ● Bradykardien oder AV-Blockierungen:
larisierenden Muskelrelaxanzien mit einem Ge- Unter Umständen kann es trotz zusätzlicher
genmittel (= Antidot) aufgehoben (= antagoni- Atropingabe zu einer weiteren Abnahme der
siert) werden soll. Die Wirkung von nicht Herzfrequenz oder einer Verstärkung der AV-
depolarisierenden Muskelrelaxanzien kann also Blockierung kommen.
dadurch antagonisiert werden, dass als Gegen-
mittel (= Antidot) ein Cholinesterasehemmer Der Erfolg einer Antagonisierung kann klinisch
verabreicht wird. Diese Cholinesterasehemmer anhand der zurückkehrenden Muskelkraft oder
wirken jedoch nicht ausschließlich an der moto- objektiv mithilfe der Relaxometrie (→ S. 76)
rischen Endplatte, sondern auch vor allem an überwacht werden.
den zweiten (= postganglionären) Neuronen im
parasympathischen Nervensystem (→ S. 66).
Diese Neurone setzen als Überträgersubstanz Antidote (Cholinesterasehemmer)
ebenfalls ACh frei. Da es hier auch zu einer Ver-
mehrung des ACh kommt, resultiert daraus eine Neostigmin (Neostigmin DeltaSelect)
verstärkte Wirkung des Parasympathikus. Es zei-
gen sich daher folgende, für eine Parasympathi- Darreichungsform
kusstimulierung typischen Nebenwirkungen: ● Brechampulle zu 1 ml; 1 ml = 0,5 mg
● Bradykardie
Sehr schwere Leberschädigungen können unter block kann durch einen Cholinesterasehemmer
! Umständen zu einer Bildungsstörung dieser Pseu- (→ S. 72) wie Neostigmin oder Pyridostigmin
docholinesterase (Normalwert Frauen: 5,3–12,9 antagonisiert werden.
kU/l; Männer: 4,3–11,3 kU/l) und damit zu einem
verzögerten Abbau des Succinylcholins mit einer Nebenwirkungen
Wirkungsverlängerung führen. Bei einem erwor- ● Muskelfibrillieren:
benen Mangel an Pseudocholinesterase muss Bei Wirkungsbeginn des Succinylcholins
Succinylcholin vorsichtig dosiert werden. treten für einige Sekunden unkoordinierte
Muskelzuckungen auf, die als Muskelfibril-
Sehr selten gibt es Patienten, die aufgrund einer lieren oft erkennbar sind. Dieses initiale
genetischen Störung eine abnorme Pseudocho- Muskelfibrillieren kann die Ursache post-
linesterase besitzen. Diese veränderte (atypi- operativer Muskelschmerzen, ähnlich einem
sche) Pseudocholinesterase kann Succinylcho- Muskelkater, sein. Wird vor der Injektion des
lin nur sehr langsam abbauen. Bei diesen Succinylcholins eine kleine, nicht lähmende
Patienten kann es dadurch zu einer Wirkungs- Dosis eines nicht depolarisierenden Muskel-
verlängerung des Succinylcholins um mehrere relaxans (ca. 10–15 % der zur initialen Voll-
Stunden kommen. Ob ein Patient Träger einer relaxierung benötigten Dosis) – beim Er-
atypischen Pseudocholinesterase ist, kann an- wachsenen z. B. 1 mg Pancuronium, 1 mg
hand der sog. (und in jedem Labor leicht zu be- Vecuronium oder 10–15 % der initialen
stimmenden) Dibucainzahl ermittelt werden. Atracurium-, cis-Atracurium- oder Rocuro-
Da depolarisierende Muskelrelaxanzien wie niumvolldosis – verabreicht, so wird hier-
Succinylcholin nicht antagonisiert werden kön- durch bereits ein Teil der Acetylcholinrezep-
nen, müssen solche Patienten evtl. bis zum Wir- toren blockiert und für Succinylcholin
kungsende des Succinylcholins nachbeatmet unzugänglich. Das initiale Muskelfibrillieren
werden. In Ausnahmefällen kann auch eine nach Succinylcholingabe kann dadurch ver-
Transfusion von frisch gefrorenem Blutplas- mindert oder ganz vermieden werden. Diese
ma (= FFP; → S. 138) durchgeführt werden, Gabe einer kleinen, nicht lähmenden Dosis
wodurch dem Patienten die im FFP enthaltene eines nicht depolarisierenden Relaxans vor
„normale“ Pseudocholinesterase zugeführt der Verabreichung von Succinylcholin wird
wird. als Präcurarisierung bezeichnet (→ S. 116).
Beim Abbau des Succinylcholins durch die ● Kaliumfreisetzung:
reninsuffiziente Patienten mit erhöhter Durch eine Vagusblockade mit Atropin las-
Kaliumkonzentration, polytraumatisierte sen sich diese vagalen Herzrhythmusstörun-
Patienten, wenn die Verletzungen älter als gen des Succinylcholins vermeiden bzw.
eine Woche sind, oder Patienten mit großflä- meist sofort therapieren. Auch durch die
chigen, über eine Woche alten Verbrennun- Vorgabe einer kleinen Menge eines nicht de-
gen. Auch bei Patienten mit einer Innervati- polarisierenden Muskelrelaxans können die-
onsstörung der Muskulatur, wie z. B. einer se vagalen Reaktionen vermindert werden.
Querschnittsverletzung, die älter als eine Werden diese vagalen Reflexe durch Atropin
Woche ist, und bei Patienten, die schon län- geblockt, so kann die leichte Stimulierung
gere Zeit immobilisiert sind („Langlieger“), des sympathischen Nervensystems durch
kann es nach Succinylcholingabe zu einem Succinylcholin in Form einer Blutdruck- und
bedrohlichen Anstieg der Kaliumkonzentra- Herzfrequenzsteigerung auffallen (→ oben).
tion kommen.
● Histaminfreisetzung:
● Wirkungen im vegetativen Nervensystem: Succinylcholin kann häufig eine Histamin-
Succinylcholin wirkt nicht selektiv an den freisetzung verursachen. Folgen einer Hist-
ACh-Rezeptoren der motorischen Endplatte, aminfreisetzung können z. B. ein fleckförmi-
sondern kann, wie die nicht depolarisieren- ges Exanthem, vor allem im Gesicht und am
den Muskelrelaxanzien, auch an den ACh- oberen Körperstamm, selten ein Blutdruck-
Rezeptoren des vegetativen Nervensystems abfall und eine Tachykardie sowie sehr selten
wirken (→ S. 66). Dabei wirkt Succinylcholin bronchospastische Zustände sein. Es wurden
normalerweise vor allem im Bereich der auch schon schwere anaphylaktoide Reaktio-
postganglionären parasympathischen Fasern. nen beschrieben.
Die Wirkung an den anderen vegetativen
● Steigerung des Augeninnendrucks:
Nervenfasern, die ACH als Neurotransmitter Bei Wirkungsbeginn des Succinylcholins
benutzen, ist deutlich geringer. Als depolari- kommt es auch an den äußeren Augenmus-
sierendes Muskelrelaxans führt Succinylcho- keln zu einer kurzfristigen Muskelkontrakti-
lin zu einer Depolarisation mit einer anfäng- on und dadurch zu einem kurzfristigen An-
lichen kurzfristigen Stimulierung. Auch im stieg des Augeninnendrucks (→ S. 283).
parasympathischen Nervensystem kommt es
● Steigerung des Mageninnendrucks:
zu einer kurzfristigen, initialen Stimulierung. Die initialen Muskelkontraktionen auch der
Eine Stimulierung des Nervus vagus, dem Bauchmuskulatur sowie die initiale Vagus-
wichtigsten Nerven des parasympathischen stimulierung können zu einer Drucksteige-
Nervensystems, kann sich in einer Verlangsa- rung im Magen mit der Gefahr eines passi-
mung der Herzfrequenz (Bradykardie), in ei- ven Hochlaufens von Mageninhalt, einer
ner Bradyarrhythmie oder im Extremfall in Regurgitation (→ S. 211), führen. Insbeson-
einer Asystolie äußern. Die initiale Stimulie- dere bei der Narkoseeinleitung von nicht
rung des Nervus vagus erklärt auch eine nach nüchternen Patienten ist dies zu beachten.
Succinylcholingabe auftretende Zunahme Die Vorgabe einer kleinen Menge eines nicht
der Bronchial-, Speichel- und Magensaftpro- depolarisierenden Muskelrelaxans wird da-
duktion sowie eine Tonussteigerung im Ma- her meist empfohlen (sog. Präcurarisierung;
gen-Darm-Trakt. Die vagalen Reaktionen am → S. 74, 116).
Herzen können insbesondere bei zu schneller
● Wirkungen auf den Uterus:
Injektion oder bei Nachinjektionen von Suc- Succinylcholin kann die Plazentaschranke
cinylcholin auftreten. Bei Kindern und nicht überschreiten. Bei Succinylcholingabe
Schwangeren sind diese vagalen Reflexe be- zur Narkoseeinleitung beim Kaiserschnitt ist
sonders häufig und treten manchmal schon daher mit keiner Relaxierung des Neugebo-
bei der Erstinjektion des Succinylcholins auf. renen zu rechnen.
76 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Freisetzung von Myoglobin aus geschädigten ca. die Hälfte der Initialdosis
Muskelfaserzellen und zu dessen Ausschei-
dung über den Urin (Myoglobinurie) mit ei-
ner rotbraunen Verfärbung des Urins.
Da viele Myopathien im Kindesalter klinisch 1.11 Neuromuskuläres
noch nicht erkennbar sind, sondern sich meist Monitoring (Relaxometrie)
erst im späteren Alter äußern, darf Succinyl-
cholin bei Kindern (und auch bei Erwachse-
nen) nicht mehr routinemäßig bei Wahlein- 1.11.1 Relaxationsgrad
griffen verwendet werden (→ unten).
Beurteilung anhand klinischer
Indikationen
Parameter
Wegen des schnellen Wirkungseintritts und der
kurzen Wirkungsdauer wurde Succinylcholin Wird ein Muskelrelaxans verabreicht, so kommt
lange Zeit als das Relaxans der Wahl zur Intuba- es erst dann zu einer beginnenden Muskelläh-
tion eingesetzt. Gelang z. B. die Intubation nicht, mung bzw. einer Abnahme der Zuckungsampli-
so konnte der Patient bereits nach wenigen Mi- tude (→ S. 77), wenn mehr als ca. 70–75 % der
nuten wieder spontan atmen. Acetylcholinrezeptoren blockiert sind. Sind
1.11 Neuromuskuläres Monitoring (Relaxometrie) 77
mehr als ca. 95 % der Rezeptoren besetzt, liegt ● mindestens 5 Sekunden lang den Kopf anhe-
eine vollständige Muskellähmung vor, es kommt ben (besonders sensibler Test)
bei der Reizung eines motorischen Nerven zu ● Augen öffnen
relaxansdosis kann je nach Patient evtl. deutlich ● den gestreckten Arm anheben
kann subjektiv anhand klinischer Parameter, ● schwacher, kraftloser Hustenstoß beim en-
Damit ein Patient extubationsfähig ist, sollte er ● evtl. Stresssymptome wie Tachykardie, Blut-
Stimulationsorte
Normalerweise wird zur Überprüfung der neu-
romuskulären Übertragung der Nervus ulnaris
stimuliert. Der Nervus ulnaris innerviert am
Daumen nur den Musculus adductor pollicis.
Die anderen Muskeln des Daumenballens wer-
den vom Nervus medianus innerviert. Zur Sti-
mulation des Nervus ulnaris werden meist 2
bzw. 4 cm proximal der Handgelenksfurche im
Verlauf des Nervus ulnaris (auf der Kleinfinger-
seite) 2 Stimulationselektroden platziert (vgl.
Abb. 1-32). Der Nervus ulnaris verläuft neben
der Arteria ulnaris. Zur Orientierung bei der
Elektrodenplatzierung kann daher die Arteria
ulnaris getastet werden. Bei Stimulation des
Nervus ulnaris wird der Daumen im Grundge-
Abb. 1-32 Übliche Elektrodenpositionen für die Rei-
lenk gebeugt und adduziert. Die Daumenbewe- zung des Nervus ulnaris im Bereich des Handgelenkes.
gung ist gut sichtbar, tast- und messbar. Zur Taktiles Erfassen (oben) oder Registrierung der Reizant-
supramaximalen Stimulation des Nervus ulna- wort mittels Akzelerographie (unten).
ris sind meist ca. 50–70 mA notwendig. Es soll- 1 = Beschleunigungswandler zur akzelerographischen
te jedoch nicht mit mehr als 80 mA stimuliert Registrierung der Daumenbeschleunigung, vgl. Text
werden. unten; 2 = Temperaturfühler; 3 und 4 = Stimulations
Bei bestimmten operativen Eingriffen ist der elektroden.
Nervus ulnaris für eine Stimulation nicht zu-
gänglich. Falls z. B. der Kopf intraoperativ gut zeitlichen Abstand von jeweils 0,5 Sekunden,
zugänglich ist, dann bietet sich die Stimulation durchgeführt.
des Nervus facialis an (vgl. Abb. 1-33). Ist das Durch einen TOF-Reiz kommt es beim nicht
Bein für den Anästhesisten erreichbar, dann relaxierten Patienten zu 4 gleich starken Kon-
kann evtl. der Nervus tibialis hinter dem Innen- traktionen. Bei inkompletter Blockade mit ei-
knöchel oder der Nervus peronaeus unmittel- nem nicht depolarisierenden Muskelrelaxans
bar distal des Wadenbeinköpfchens stimuliert nimmt die Zuckungsamplitude vom ersten bis
werden (vgl. Abb. 1-33). zum vierten Reiz zunehmend ab, da es bei kurz
aufeinander folgenden Stimulationen zur Ent-
leerung der Acetylcholinspeicher und zur Ab-
„Train of four“-Reizung nahme der Zuckungsamplitude, einer sog.
Ermüdungsreaktion, kommt. Die Zuckungs-
Zur Überwachung der neuromuskulären Über- amplitude des ersten Reizes wird mit der Zu
tragung wird inzwischen fast immer die „train ckungsamplitude des vierten Reizes verglichen.
of four“-(= TOF‑)Reizung (Vierfachreizung) Der Quotient aus der Amplitude der vierten
vorgenommen. Bei der TOF-Reizung werden 4 Zuckung geteilt durch die Amplitude der ersten
supramaximale Reize mit 2 Hz, das heißt einem Zuckung wird als TOF-Quotient (T4/T1-Quoti-
80 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Stimulationsmuster 1,5 s 12 s
Reizantwort
nicht depolarisierender Block T1 T4 T1 T4
(T4/T1 = TOF-Quotient)
depolarisierender Block
Erst wenn der T4/T1-Quotient 0,8–0,9 (80–90 %) Taktiles oder visuelles Erfassen
beträgt, ist die Relaxation soweit abgeklungen,
dass der Patient extubiert werden kann. In älte- Die einfachste Methode zur Registrierung der
ren Studien wurde für die sichere Extubation nur Reizantwort nach peripherer Nervenstimulati-
ein T4/T1-Quotient von 0,7–0,75 gefordert. on ist die Beurteilung der Reizantwort durch
Die „train of four“-Methode ermöglicht auch die Fühlen mit der Hand oder durch visuelles Be-
Unterscheidung einer neuromuskulären Blocka- trachten des gereizten Muskels. In vielen Klini-
de nach Gabe eines depolarisierenden Muskelre- ken wird die Reizantwort noch taktil oder visu-
laxans (= Depolarisationsblock) von einer neu- ell beurteilt, da nicht ausreichend Geräte zur
romuskulären Blockade nach Gabe eines nicht apparativen Reizregistrierung verfügbar sind.
depolarisierenden Relaxans (= Nichtdepolarisa- Es hat sich gezeigt, dass ein taktiles Erfassen der
tionsblock). Während der inkomplette Nichtde- Reizantwort genauere Ergebnisse liefert als die
polarisationsblock (kompetitiver Block) nach optische Einschätzung.
Vierfachreizung eine charakteristische Ermü- Zur Steuerung der intraoperativen Relaxations-
dungsreaktion aufweist, kommt es beim inkom- tiefe ist die taktile Beurteilung meist ausrei-
pletten Depolarisationsblock (Phase-I-Block) zu chend. In der Erholungsphase ist das taktile
einer weitgehend gleichmäßigen Verminderung Auflösungsvermögen nicht ausreichend. Taktil
aller 4 Zuckungen gegenüber dem nicht relaxier- kann ein TOF-Quotient bis zu 0,4 erfasst wer-
ten Zustand. Die Relation des ersten zum vierten den. Bei größerem TOF-Quotient, also gerin-
Stimulus ist meist nahezu 1,0 (vgl. Abb. 1-34). Es gem Relaxierungsgrad, werden die Reizantwor-
tritt also keine Ermüdungsreaktion auf. ten als gleich stark empfunden und können
Auch ein Phase-II-Block (Dualblock) kann mit nicht mehr differenziert werden. Da für eine si-
der „train of four“-Stimulation erfasst werden. chere Extubation ein TOF-Quotient von 0,8–0,9
Kommt es nach Gabe größerer Dosen Succinyl- gefordert wird, ist die taktile Beurteilung in der
cholin zu einer Ermüdungsreaktion, dann hat Abklingphase nicht ausreichend genau möglich.
sich ein Phase-II-Block (Dualblock) entwickelt. Hier ist die apparativ-technische Registrierung
der Reizantwort (z. B. mittels Akzelerographie)
Der TOF ist vor allem bei einer Blockade mit einem am zuverlässigsten.
! nicht depolarisierenden Muskelrelaxans von gro-
ßem Aussagewert. Es kann relativ einfach der Re-
laxierungsgrad beurteilt werden. Akzelerographie
Die TOF-Stimulation bietet sich an zur: Bei der Akzelerographie wird nach Stimulation
● Überwachung des Relaxationsgrades vor eines Nervs (z. B. des Nervus ulnaris) nicht die
und während der Intubation Kraftentwicklung, sondern die nachfolgende
● intraoperativen Überwachung des Relaxati- proportionale Beschleunigungsbewegung (z. B.
onsgrades des Daumens) gemessen. Voraussetzung ist eine
● Überwachung des Relaxationsgrades wäh- freie Beweglichkeit des Daumens.
rend der Narkoseausleitung Zur Registrierung der Reizantwort wird ein Be-
schleunigungswandler am Daumen fixiert (vgl.
Abb. 1-32). Ein Beschleunigungswandler ent-
Registrierung der Muskelantwort hält einen Mechanosensor. Dieser führt zu ei-
ner Spannungsänderung, die proportional der
Die durch den elektrischen Reiz ausgelöste Beschleunigung ist. Anhand der gemessenen
Muskelantwort wird meist Beschleunigung kann auf die entwickelte Kraft
● taktil bzw. visuell oder geschlossen werden.
● mittels Akzelerographie
registriert.
82 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
eine Reizantwort bei der TOF-Reizung nach- Narkosegase ist minimal. Bei einer Intubati-
weisbar ist. Bei tieferen Relaxationsgraden ist onsnarkose können alle Narkosegase sicher
eine Antagonisierung meist unzuverlässig und abgesaugt werden. Bei einer Maskenbeat-
sollte unterlassen werden. mung kann dagegen durch die meist nicht
völlig abgedichtete Maske Narkosegas in den
OP-Raum entweichen.
1.12 Endotracheale
Intubation 1.12.2 Absolute Indikationen
Absolute Indikationen zur endotrachealen In-
Unter endotrachealer Intubation wird das Einfüh-
tubation sind:
ren eines Schlauches oder Tubus (lateinisch: tubus
● ein nicht nüchterner Patient (z. B. Patient mit
= Rohr) durch die Stimmritze in die Trachea ver-
einem Ileus, Schwangere ab der ca. 14.
standen.
Schwangerschaftswoche [d. h. ab dem zwei-
Bei der endotrachealen Intubation muss der ten Schwangerschaftstrimenon; z. T. wird als
Kehlkopf möglichst sichtbar gemacht und der Grenze auch die 20. Schwangerschaftswoche
Tubus unter Sicht durch den Kehlkopf in die angegeben], Notfallpatient usw.; → S. 209)
Trachea vorgeschoben werden. Über dieses ● Eingriffe, bei denen eine Beatmung über Ge-
Rohr kann der Patient entweder selbstständig sichtsmaske oder über eine Larynxmaske
atmen oder künstlich beatmet werden. nicht möglich ist oder sich verbietet (z. B.
Operation an der Lunge)
Wird der Tubus durch den Mund in die Trachea ● die meisten Operationen im Gesichts- und
eingeführt, so wird von orotrachealer Intuba Halsbereich
tion gesprochen. Beim Einführen des Tubus durch ● Bauch- und Thoraxeingriffe
die Nase in die Trachea wird von nasotrachealer ● ungünstige Operationslagerungen wie
Intubation gesprochen. Bauchlage, Seitenlage oder sitzende Lage-
rung, bei denen eine Maskenbeatmung bzw.
eine Beatmung über eine Larynxmaske zu
1.12.1 Vorteile vermeiden ist
● mechanische Wiederbelebung (Reanimati-
Die Beatmung während einer Narkose kann so- on) eines Patienten (→ S. 526)
wohl über eine dicht um Mund und Nase ge-
schlossene Gesichtsmaske, eine Kehlkopfmaske
als auch über einen endotrachealen Tubus er- 1.12.3 Anatomie des Kehlkopfes
folgen. Die Vorteile einer endotrachealen Intu-
bation sind: Der Kehlkopf ist aus einem Knorpelskelett auf-
● Der Patient ist vor einem Eindringen von gebaut. Wichtigster Knorpel ist der Schildknor-
Speichel, Blut, Magen-Darm-Inhalt und sons- pel, dessen prominentester Punkt normalerwei-
tigen Fremdkörpern in die Trachea (= Aspi- se als „Adamsapfel“ getastet werden kann.
ration; → S. 211) geschützt, solange er intu- Unmittelbar darunter sitzt der Ringknorpel
biert ist. (Cartilago cricoidea). Der Kehlkopfeingang, die
1.12 Endotracheale Intubation 83
1.12.4 Instrumentarium
Endotrachealtubus
Allgemeine Bemerkungen
Abb. 1-38 Spitze eines (low volume) Murphy-Tubus Abb. 1-40 Woodbridge-Tubus (selbst wenn ein Knoten
mit Murphy-Auge () entstehen würde, knickt dieses Tubusmodell nicht ab)
● Der Murphy-Tubus (vgl. Abb. 1-38) ● Der Oxford-Tubus (vgl. Abb. 1-39)
unterscheidet sich vom Magill-Tubus nur ist ein nicht knickbarer, „L“-förmiger Tubus,
dadurch, dass er auf der rechten Seite kurz der nur zur orotrachealen Intubation ver-
vor der Tubusspitze ein zusätzliches seitli- wendet werden kann. Er wird normalerweise
ches Loch, ein sog. Murphy-Auge, besitzt. mit einem speziellen, (ausnahmsweise) et-
Falls das angeschrägte Tubusende der Tra- was über die Tubusspitze herausragenden
chealschleimhaut anliegen sollte, dann kann Führungsstab (→ S. 87) angewandt. Dadurch
die Beatmung noch über das seitliche Mur- lässt sich erfahrungsgemäß mit dem Oxford-
phy-Auge erfolgen. Über dieses Auge kann Tubus sehr leicht intubieren, meist auch in
auch ein möglicherweise atypisch aus der dis- schwierigen Situationen. Der Oxford-Tubus
talen Trachea entspringender rechter Ober- kommt jedoch nur noch selten zum Einsatz.
lappenbronchus besser belüftet werden. Zu- ● Der Woodbridge-Tubus (vgl. Abb. 1-40)
meist werden Endotrachealtuben mit einem wird aus Latex hergestellt und zeichnet sich
Murphy-Auge verwendet. durch eine in die Tubuswand eingebaute Me-
86 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Abb. 1-42 Robertshaw-Tubus. a In
den linken Hauptbronchus eingeführt-
er Robertshaw-Tubus. b In den rech-
ten Hauptbronchus eingeführter Rob-
a b
ertshaw-Tubus.
1.12 Endotracheale Intubation 87
ren. Durch die Möglichkeit zur seitenge- gen. Lediglich falls der linke Hauptbronchus
trennten Beatmung kann verhindert werden, kurz hinter der Carina während der Operati-
dass z. B. während einer Lungenoperation on abgetrennt werden muss, wird ein rechts-
infektiöses Material oder Tumorgewebe von läufiger Doppellumentubus verwendet.
der kranken Lunge in die gesunde Lunge
verschleppt wird. Der Robertshaw-Tubus ist
ein dem Carlens- und White-Tubus sehr Führungsstab (vgl. Abb. 1-44)
ähnlicher doppelläufiger Tubus. Er besitzt
jedoch keinen Carinasporn. Der Robert Führungsstäbe sind kunststoffbeschichtete,
shaw-Tubus besitzt 2 typische Krümmungen biegsame Metalldrähte, die in orale (!) Tuben
und ist leichter zu platzieren als ein doppel- eingeführt werden können. Dadurch kann ein
läufiger Tubus mit Sporn. Er liegt sowohl für oraler Tubus bei schwierigen Intubationsver-
die linksseitige als auch für die rechtsseitige hältnissen in eine intubationsgünstigere Form
endobronchiale Intubation vor. Wieder ver- vorgebogen werden.
wendbare Doppellumentubi wie z. B. der Die Führungsstäbe dürfen nicht aus der Tubus-
Carlens-, der White- und auch der Robert spitze herausragen, da sie ansonsten eine große
shaw-Tubus werden inzwischen meist durch Verletzungsgefahr darstellen. Ausnahme ist der
Einwegdoppellumentubi aus Plastik (z. B. Oxford-Tubus, bei dem die sehr weiche Gum-
Broncho-Cath) ersetzt. mispitze des speziellen Führungsstabes norma-
Bei der rechtsseitigen endobronchialen Intu- lerweise aus der Tubusspitze herausragt. Die
bation kann es leicht zur Verlegung des kurz Woodbridge-Tuben müssen immer mit einem
nach der Bifurkation abgehenden Bronchus Führungsstab intubiert werden, um eine innere
für den rechten Lungenoberlappen kommen Schienung der sehr flexiblen Tuben zu garantie-
(vgl. Abb. 1-42b). Die Tubuslage muss mit- ren. Es empfiehlt sich, den Führungsstab mit
tels Fiberbronchoskop (→ S. 225) kontrol- einem Gleitmittel zu versehen, damit er sich
liert werden. Falls irgend möglich, wird die nach der Intubation wieder problemlos aus dem
linksendobronchiale Intubation mit einem Tubus herausziehen lässt.
linksläufigen Doppellumentubus vorgezo-
88 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Abb. 1-44a Bis kurz vor die Spitze eines (Woodbridge-) damit er nicht unbeabsichtigt weiter in den Tubus
Tubus eingeführter Führungsstab. b Am oralen Ende des rutscht und aus der Tubusspitze herausragt.
(Woodbridge‑)Tubus ist der Führungsstab umzubiegen,
wendet. Laryngoskope bestehen aus einem 1-45). Aufgeklappt (ca. 90°) schließt sich ein
Griff und einem Spatel. An der Spatelspitze ist Kontakt und das Lämpchen leuchtet auf (vgl.
ein Lämpchen angebracht, dessen Stromquelle Abb. 1-46). Es werden heute vor allem Laryngo-
(z. B. 2 Trockenbatterien) im Griff unterge- skope mit einem gebogenen Spatel nach Mac
bracht ist. Moderne Laryngoskope besitzen eine Intosh (vgl. Abb. 1-46) oder leichte Modifika-
Kaltlichtquelle, das heißt, das Lämpchen befin- tionen davon, seltener auch noch Laryngoskope
det sich im Griff und die Lichtstrahlen werden mit geradem Spatel (z. B. nach Miller, Abb.
über Glasfaserbündel, die in den Spatel eingear- 1-47) verwendet. Die gebogenen Spatel passen
beitet sind, bis an die Spatelspitze geleitet. sich besser der Anatomie der Mundhöhle an
Griff und Spatel sind über ein leicht ausklinkba- und werden aus diesem Grunde bei Erwachse-
res Scharniergelenk miteinander verbunden. nen allgemein bevorzugt. Bei den gebogenen
Zusammengeklappt kann das Laryngoskop Spateln nach MacIntosh gibt es 5 verschiedene
platzsparend aufbewahrt werden (vgl. Abb. Spatelgrößen (Größe 0, 1, 2, 3, 4; Abb. 1-48).
90 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern Guedel-Tubus (vgl. Abb. 1-50)
kommt öfter das Laryngoskop mit geradem
Spatel zur Anwendung (→ S. 237). Guedel-Tuben sind Oropharyngealtuben, die z. B.
beim bewusstlosen nicht intubierten Patienten
eingelegt werden, um ein Zurückfallen der Zunge
Magill-Zange (vgl. Abb. 1-49) mit Verlegung der oberen Luftwege zu verhin-
dern (vgl. Abb. 1-51). Auch beim oral intubierten
Magill-Zangen sind spezielle (scherenförmige) Patienten wird zusätzlich ein Guedel-Tubus als
Fasszangen, deren Griffteil stark zur rechten Seite „Beißschutz“ für den Orotrachealtubus eingelegt
abgebogen ist. (→ Abb. 1-67; S. 99).
Insbesondere bei der nasotrachealen Intubation Es gibt insgesamt 9 verschieden große Guedel-
sowie z. B. beim Einführen einer Magensonde Tuben: Nr. 6, 5, 4, 3, 2, 1, 0, 00, 000. Guedel-
unter Sicht wird häufig eine Magill-Zange be- Tuben werden nach der in den Abbildungen
nötigt, um den Tubus oder die Sonde zu dirigie- 1-52 und 1-53 gezeigten Weise in den Mund
ren. Der Griff der Magill-Zangen ist stark zur eingeführt. Sie werden oft auch bei der Masken-
Seite gebogen ist, damit bei Gebrauch der Blick beatmung (→ S. 109) narkotisierter Patienten in
auf den Kehlkopf frei bleibt. deren Mund eingeführt, wodurch eine Verle-
Abb. 1-49 Magill-Zange
Abb. 1-51 Verlegung der oberen Luftwege durch Abb. 1-53 Eingeführter Guedel-Tubus (richtige Größe)
zurückgefallene Zunge
Abb. 1-52 Einführen eines Guedel-Tubus der Auswahl des Tubus ist auf die richtige Grö-
ße zu achten. Ist der Guedel-Tubus zu klein ge-
gung der oberen Luftwege durch die zurückfal- wählt, kann es trotzdem zur Verlegung der obe-
lende Zunge verhindert wird. Guedel-Tuben ren Luftwege durch die Zunge kommen (vgl.
können zu einer starken Reizung der Rachen- Abb. 1-54); ist er zu groß gewählt, kann er die
wand mit Husten, Würgen und Brechreiz füh- Epiglottis vor den Kehlkopfeingang drücken (vgl.
ren. Sie dürfen deshalb erst eingeführt werden, Abb. 1-55), wodurch der Kehlkopfeingang ver-
wenn der Patient tief genug in Narkose ist und schlossen wird und es beim Beatmen zum Ein-
die Schutzreflexe sicher ausgeschaltet sind. Bei blasen von Luft in den Magen kommen kann.
92 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Abb. 1-55 Eingeführter Guedel-Tubus (zu große Abb. 1-56 Kopflagerung für die endotracheale Intuba-
Größe) tion („verbesserte Jackson-Position“)
1.12.5 Vorbereitungen 1.12.6 Intubation
unter laryngoskopischer Sicht
● Überprüfung des Narkosegerätes (→ S. 25)
● Überprüfung des Narkosewagens auf Voll-
ständigkeit (!) (→ S. 31) Orotracheale Intubation
● Vorbereitung von Material und Medikamen-
ten (→ S. 32), das heißt Bereitlegen der für Die orotracheale Intubation unter Sicht ist die
die Intubation notwendigen Dinge: Methode der Wahl bei Routineoperationen.
– Laryngoskop (Lichtquelle auf Funktions- Der Kopf des Patienten wird auf einem ca. 10
fähigkeit prüfen!) cm hohen Polster gelagert und im Nacken über-
– Tubus (Cuff durch Aufblasen auf Dichtig- streckt (= sog. „verbesserte Jackson-Position“
keit prüfen!); zusätzlich müssen noch der oder „Schnüffelposition“ wie beim „Wittern
nächstkleinere und der nächstgrößere Tu- von Morgenluft“; Abb. 1-56). Bei dieser Lage-
bus griffbereit gelegt werden; die Tubus- rung bilden die Mundhöhle, der Pharynx (=
spitze sollte mit einem Lokalanästhetikum Rachen), der Larynx (= Kehlkopf) und die Tra-
(z. B. Xylocain®-Gel) bestrichen werden. chea beinahe eine Gerade, was den Einblick auf
– 5-, 10- oder 20-ml-Spritze zum Blocken die Stimmritze und damit die Intubation unter
eines Low-Volume- bzw. High-Volume- laryngoskopischer Sicht erleichtert. Mit den be-
Cuffs nach der Intubation handschuhten Fingern der rechten Hand wird
– Guedel-Tubus bei geplanter oraler Intu- der Mund des Patienten geöffnet. Wird im rech-
bation (→ S. 90) ten Mundwinkel der Mittelfinger gegen die obe-
– evtl. Führungsstab (→ S. 87) bei geplanter re Zahnreihe und der Daumen gegen die untere
oraler Intubation Zahnreihe gedrückt (sog. Kreuzgriff), dann
– Magill-Zange (→ S. 90) bei geplanter na- kann hierdurch der Mund kraftvoll geöffnet
saler Intubation werden. Das angereichte Laryngoskop wird in
– Pflaster zum Festkleben des Tubus die linke Hand genommen, vorsichtig am rech-
● Aufziehen der Medikamente (→ S. 32) ten (!) Mundwinkel eingeführt und dann vor-
● Vorbereitung des Patienten auf die Narkose sichtig tiefer in den Mund eingeschoben und
(→ S. 32) gleichzeitig, unter Wegdrängen der Zunge nach
1.12 Endotracheale Intubation 93
Abb. 1-57 Einführen des Laryngoskops mit der linken Abb. 1-58 Eingeführtes Laryngoskop mit angedeuteter
Hand Zugrichtung
Abb. 1-60 Kehlkopfeingang
Abb. 1-63 Richtig platzierter orotrachealer Tubus Abb. 1-64 Einführung eines nasotrachealen Tubus
Stimmritze gleitet. Der Tubus sollte nicht ge- dung eines gebogenen Spatels, bei dem die Spa-
waltsam in die Trachea vorgeschoben werden. telspitze in die Falte zwischen Zungengrund
Nach erfolgreicher Intubation erfolgt: und Epiglottis eingeführt wird. Dieses Gebiet
● Blocken des Tubus (→ S. 96) wird nicht vom Nervus vagus innerviert. Aus
● Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97) diesem Grunde sind vagale Reflexe hierbei sel-
● Fixierung des Tubus (→ S. 98) tener und es genügt ein etwas flacheres Narko-
● erneute Lagekontrolle des Tubus sestadium für die Intubation.
Bei einseitiger Intubation muss der vorher wieder muss beachtet werden, dass alle bisher genann-
! entblockte (!) Tubus ca. 2 cm zurückgezogen und ten Zeichen nicht (!) sicher beweisend für eine
die Lage erneut kontrolliert werden. richtige bzw. eine falsche Intubation sind.
Die Auskultation der Lunge zur Lagekontrolle Im Regelfall sollte unmittelbar nach der Intubati-
des Tubus hat schon manchen Anästhesisten ir- ! on eine endexspiratorische CO -Messung vorhan-
2
regeführt. Bei Fehlintubation in die Speiseröhre den sein, um die Tubuslage zu kontrollieren. Die-
können unter Umständen die aus der Speise- se Methode kann als absolut sicher gelten, da nur
röhre fortgeleiteten Strömungsgeräusche als aus der Lunge, nicht jedoch aus dem Ösophagus
Atemgeräusche fehlinterpretiert werden. Ande- und Magen Kohlendioxid „abgeatmet“ wird.
rerseits können manchmal trotz richtiger Intu-
bation, z. B. bei Emphysematikern, nur sehr Weitere sichere Zeichen sind die fiberbroncho-
schwer Atemgeräusche gehört werden. Aus die- skopische Kontrolle, atemsynchrone Volumen-
sen Gründen darf die Auskultation der Lunge schwankungen des Beatmungsbeutels beim
nicht als absolut sichere Methode angesehen spontan atmenden Patienten oder ein (aller-
werden. dings erst verzögert auftretender) Abfall der
pulsoxymetrischen Sättigung sowie eine noch-
Ist die Auskultation nicht eindeutig, so sollten malige direkte laryngoskopische Bestätigung
! nicht die Lungen während mehrerer Beatmungen bei gut einstellbarer Glottis.
immer wieder auskultiert werden. Sollte der Tu- Ist es nun sicher, dass der Tubus im Tracheo-
bus in der Speiseröhre liegen, so werden mit je- bronchialsystem liegt, kann in Ruhe mehrfach
dem Atemhub z. B. 600 ml Atemgas in den Ma- die Lunge auskultiert werden, um eine einseiti-
gen geblasen! ge Intubation auszuschließen. Nach der Intuba-
tion sollte der Patient auf jeden Fall kurzfristig
Es muss sofort die Frage geklärt werden: Liegt von Hand (= manuell) beatmet werden. Bei der
der Tubus im Tracheobronchialsystem oder in manuellen Beatmung kann einerseits wesent-
der Speiseröhre? lich besser auskultiert werden als bei der ma-
schinellen Beatmung, andererseits lässt sich bei
Es sollte nun sofort eine Auskultation über der einiger Erfahrung meistens schon am Beat-
! Magengegend erfolgen; hiermit kann meist bestä- mungsbeutel fühlen, ob an der Beatmung „et-
tigt oder ausgeschlossen werden, dass der Tubus was nicht stimmt“.
im Ösophagus liegt. Liegt der Tubus in der Speise-
röhre, dann kann bei der Beatmung über dem Ma- Bestehen Zweifel, ob der Tubus richtig platziert
gen ein typisches Blubbern gehört werden. ! wurde, so sollte folgende Faustregel beachtet
werden:
Eine andere Möglichkeit besteht darin, unmit- If in doubt – take it out!! (Falls Zweifel bestehen
telbar nach der Intubation mit dem Handballen – ziehe ihn heraus!!)
kurz auf das Brustbein des Patienten zu drü
cken. Am oralen Tubusende kann mit dem an-
genäherten Ohr bei Intubation ins Tracheo- 1.12.9 Fixierung des Tubus
bronchialsystem die entweichende Luft aus der
Lunge gehört und gefühlt werden. Beim starren Ist der Tubus geblockt und die Tubuslage als rich-
Brustkorb des Emphysematikers kann diese ! tig befunden, so muss der Tubus in dieser (!) La-
Methode jedoch manchmal versagen. Auch ein ge fixiert werden. Vor der Fixierung sollte der Arzt
beatmungssynchroner Feuchtigkeitsbeschlag die gewünschte Einführtiefe des Tubus benen-
bei durchsichtigen Endotrachealtuben spricht nen (z. B. bei einem oralen Tubus 22 cm an der
für eine endotracheale Intubation. Dennoch Zahnreihe bzw. bei einem nasalen Tubus 25 cm
12 Endotracheale Intubation 99
Abb. 1-70 Larynxmaske.
a Gesamtansicht. b Aufsicht auf den geblockten Trich-
tereingang. c Aufsicht auf die Rückseite des geblockten
Maskentrichters. d Aufsicht auf den entblockten Trich-
tereingang. e Aufsicht auf die Rückseite des entblock-
ten Maskentrichters.
ren der Larynxmaske wird der Kopf des Patien- rynxmaske wird blind, das heißt ohne Verwen-
ten meist etwas stärker überstreckt als für die dung des Laryngoskops, eingeführt. Hierbei
endotracheale Intubation üblich, und der Mund muss die Öffnung der Kehlkopfmaske nach
des Patienten wird mit der linken Hand – ggf. kaudal und ventral zeigen. Die am Schlauch der
durch eine Hilfsperson – geöffnet. Nun wird die Larynxmaske angebrachte schwarze Strichmar-
Larynxmaske über den Zungenrücken, dicht kierung (vgl. Abb. 1-70c, e) muss stets in Rich-
entlang am harten Gaumen, in Richtung Kehl- tung Nase des Patienten zeigen. Der Zeigefinger
kopf vorgeschoben (vgl. Abb. 1-71a). Die La- wird als Schienung benutzt (vgl. Abb. 1-71a, b).
1.13 Kehlkopfmaske (Larynxmaske) 103
Abb. 1-71 Larynxmaske. a–c Öffnen des Mundes und Einführen einer Larynxmaske. d Richtig platzierte und ge-
blockte Larynxmaske.
Nach vollständigem Einführen der Larynxmas- mung bis zu einem Beatmungsdruck von 15–20
ke tritt ein Widerstand auf, sie kann nicht weiter cm H2O sollte keine Luft neben der Maske ent-
vorgeschoben werden. Nun liegt die Kehlkopf- weichen. Falls beim Beatmen jedoch hörbar
maske mit ihrer Spitze im Ösophaguseingang Luft entweicht, muss die Maske nachgeblockt
(Abb. 1-71c). Der Trichter der Kehlkopfmaske bzw. neu positioniert werden. Für eine evtl.
liegt vor dem Kehlkopfeingang. Die Stimmbän- Neupositionierung wird die Maske am besten
der werden nicht berührt. Es wird jetzt der nochmals entfernt, der Patient kurz mit Ge-
Maskenwulst (je nach Maskengröße) mit maxi- sichtsmaske zwischenbeatmet, und danach wird
mal 4–50 ml Luft (→ S. 104) geblockt (→ S. 96), ein erneuter Platzierungsversuch unternom-
wodurch der Kehlkopfeingang abgedichtet men. Wie beim Endotrachealtubus wird oft
wird. auch neben der Kehlkopfmaske ein Beißschutz
Jetzt kann der Patient über die Kehlkopfmaske eingeführt. Gut geeignet ist hierfür z. B. eine an-
beatmet werden (vgl. Abb. 1-71d). Bei der Beat- gefeuchtete Rolle Mullbinde. Ein Guedel-Tubus
104 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
ist weniger geeignet, da er zu einer lateralen Die Maske der Größe 1 wird mit maximal 4 ml
Verdrängung der normalerweise mittig im geblockt. Für die Maskengröße 1,5 bzw. 2 wer-
Mund und Rachen liegenden Larynxmaske den maximal 7 bzw. 10 ml, für die 2,5er Larynx-
führt. Es sind auch spezielle Fixierungshilfen masken maximal 14 ml, für die Größe 3 maxi-
erhältlich, in die der Schlauch der Larynxmaske mal 20 ml, für die Größe 4 maximal 30 ml und
eingeklemmt wird und die ein Zusammenbei- für die 5er bzw. 6er Larynxmasken werden ma-
ßen der Zähne des Patienten wirkungsvoll ver- ximal 40 bzw. 50 ml Luft zum Blocken benö-
hindern. Zum Teil wird allerdings auf den Beiß- tigt.
schutz verzichtet. Larynxmaske und evtl. Außerdem sind inzwischen auch Kehlkopfmas-
Beißschutz werden wie ein endotrachealer Tu- ken verfügbar, bei denen das Schlauchstück
bus mit Pflasterstreifen fixiert. sehr flexibel gearbeitet ist und (vergleichbar ei-
nem Woodbridge-Tubus) eine eingegossene
Die Kehlkopfmaske bietet keinen absoluten Schutz Metallspirale enthält. Diese „flexiblen Kehl-
! im Falle einer Regurgitation. Deshalb ist bei beste- kopfmasken“ (RT-Larynxmaske; RT = rein-
hender Aspirationsgefahr stets eine endotrache- forced tube) sind für Operationen mit abge-
ale Intubation vorzuziehen. decktem Kopf oder für Operationen in
Seitenlage gedacht, bei denen das aus dem
Bei zu flacher Narkoseführung kann während, Mund ausgeleitete Schlauchstück zur Seite oder
aber auch noch nach bereits erfolgreicher Plat- nach oben bzw. unten abgeleitet werden muss.
zierung der Larynxmaske ein Glottiskrampf mit Seit 2001 stehen auch doppelläufige Larynx-
Beatmungsproblemen auftreten. masken (LMA ProSeal; LMA = laryngeal mask
Der Einsatz der Larynxmaske bietet sich vor al- airway) zur Verfügung (vgl. Abb. 1-72a). Das
lem bei kürzeren, voraussichtlich unkompli- zweite Lumen endet an der Spitze des Masken-
zierten Narkosen an. wulstes und kommt im Ösophaguseingang zu
Folgende 8 Größen von Larynxmasken gibt es liegen. Über dieses zweite Lumen kann ggf. eine
und ermöglichen den Einsatz in allen Alters- Magenverweilsonde vorgeschoben werden oder
gruppen: der Magen abgesaugt werden. Der Tubusteil
● Größe 1: dieser Maske enthält außerdem einen integrier-
bis 5 kg KG ten Beißschutz.
● Größe 1,5: Für Notfallsituationen steht eine spezielle Intu-
5–10 kg KG bationslarynxmaske (Fastrach) zur Verfügung
● Größe 2: (vgl. Abb. 1-72b), deren Silikontubus metallver-
10–20 kg KG stärkt und stärker vorgebogen ist, wodurch ein
● Größe 2,5: relativ leichtes Einführen auch in schwierigen
20–30 kg KG Situationen möglich ist. Über diese spezielle
● Größe 3: Kehlkopfmaske kann nach der Platzierung auch
größere Kinder und kleine Erwachsene (30– ein (mitgelieferter) spezieller Endotrachealtu-
50 kg KG) bus relativ leicht bis in die Trachea vorgescho-
● Größe 4: ben werden.
Erwachsene Wiederverwendbare Kehlkopfmasken sind viel-
● Größe 5: fach (bis 40-mal) dampfsterilisierbar. Inzwi-
Übergröße für Männer mit 70–100 kg KG schen werden allerdings zunehmend häufiger
● Größe 6: billige Einweglarynxmasken verwendet.
Übergröße für Männer mit > 100 kg KG
1.14 Larynxtubus 105
a b
1.14 Larynxtubus
Bei einem Larynxtubus (vgl. Abb. 1-73) handelt
es sich um einen wiederverwendbaren Einlu-
mentubus aus Silikon, der an seinem Ende mit
einem kleinen (distalen) ballonartigen Cuff en-
det. Dieser distale Cuff kommt im Ösophagus-
eingang zu liegen und dichtet diesen ab. Ein
zweiter, großer (proximaler) ballonartiger Cuff
verschließt den Nasen-Rachen-Raum. Zwi-
schen diesen beiden Cuffs befindet sich auf
Höhe des Kehlkopfeinganges die Tubusöffnung,
über die der Patient beatmet wird. Beide Cuffs
werden über einen gemeinsamen Füllschlauch
mit einer großen (mitgelieferten) Blockersprit-
ze geblockt. Der Larynxtubus wird als Alterna-
tive für eine Larynxmaske angeboten. Larynx-
tuben liegen in den Größen 0, 1, 2, 3, 4 und 5
vor. Die Größe 4 bzw. 5 ist z. B. für Erwachsene
mit 155–180 bzw. > 180 cm Größe.
Das erste Stadium ist definiert vom Beginn Das Toleranzstadium wird weiter unterteilt
der Ethernarkose bis zum Verlust des Bewusst- in Planum 1–4. Im Planum 1 sind die Pupil-
seins. Es ist gekennzeichnet durch eine Erin- len eng. Mit zunehmender Narkosetiefe wer-
nerungslosigkeit (= Amnesie) und eine zuneh- den sie weiter und sind im Planum 4 weit
mende Schmerzfreiheit (= Analgesie). und reaktionslos. Der Atemtyp verlagert sich
mit zunehmender Narkosetiefe vom thora-
Der Patient kann unter Umständen noch an- kalen Atmungstyp zum diaphragmal-abdo-
sprechbar und kooperativ sein. Weniger minalen Atmungstyp. Im Planum 3 erlischt
schmerzhafte Eingriffe, wie z. B. ein Ver- die Interkostalatmung, im Planum 4 kommt
bandswechsel, werden toleriert. Dieses Sta- auch die Zwerchfellatmung zum Erliegen.
dium wird auch als „Rauschstadium“ be- Mit zunehmender Narkosetiefe nehmen der
zeichnet. Muskeltonus, die Schluck-, Würge-, Husten-
● zweite Stadium – Erregungs- oder Exzitati- und Kornealreflexe ab. Auch der Blutdruck
onsstadium sinkt mit zunehmender Narkosetiefe immer
weiter ab.
Das zweite Stadium ist definiert vom Bewusst- ● viertes Stadium – Paralysestadium
seinsverlust bis zum Beginn einer automati-
schen, regelmäßigen Atmung. Das Exzitations- Das vierte Stadium ist definiert vom Beginn
stadium entspricht der langsamen Ausschal-
der Zwerchfelllähmung bis zum Tod des Pati-
tung der Großhirnaktivität und ist gekenn- enten durch Atemstillstand mit nachfolgen-
zeichnet durch überschießende motorische Ak- dem Kreislaufstillstand.
tivität.
Aus historischen Gründen sollte das Guedel-
Reize werden übersteigert beantwortet, die Schema auch heute noch bekannt sein. Für die
Pupillen sind weit, die Augen wandern un- Zuordnung zu einem bestimmten Stadium ist
ruhig hin und her, eine gesteigerte Speichel- entscheidend das Verhalten
produktion, Schlucken sowie Atemstörun- ● der Atmung,
Das Guedel-Schema wurde für die Ethernarko- Ketamin) sowie Remifentanil führen zu einer
se entwickelt und hat nur beim nicht prämedi- dosisabhängigen Blutdrucksenkung. Eine zu
zierten und mit Ether narkotisierten Patienten hohe Dosierung der meisten Anästhetika wird
volle Gültigkeit. Bei den neueren Kombinati- sich daher in einem erniedrigten Blutdruck äu-
onsnarkosen wird durch die Verabreichung von ßern. In einem zu flachen Narkosestadium
Muskelrelaxanzien die Beurteilung des Muskel- kommt es zu einem schmerzbedingten Blut-
tonus und damit auch der Spontanatmung und druckanstieg. Ist der Patient bei einer Inhalati-
der Reflexe unmöglich gemacht. Durch die Ver- onsnarkose nicht relaxiert und hat er spontane
abreichung von Analgetika der Opioidgruppe Atembewegungen, so können durch operative
ist aufgrund deren pupillenverengender Neben- Schmerzreize in einem zu flachen Narkosesta-
wirkung (→ S. 8) die Beurteilung der Pupillen- dium Störungen der Atmung auftreten. Der Pa-
größe nicht mehr möglich. Bei der heute übli- tient atmet plötzlich tiefer durch, es kann ein
chen Narkoseeinleitung mit intravenösen Hustenanfall oder, bei einer Beatmung über
Hypnotika wie z. B. Thiopental (→ S. 49) wer- Gesichts- bzw. Larynxmaske, ein Laryngospas-
den Stadium 1 und Stadium 2 übersprungen. mus (→ S. 214) ausgelöst werden. Ebenso kön-
Das Durchlaufen der einzelnen Stadien entfällt nen schmerzbedingte Abwehrbewegungen auf-
damit. Des Weiteren wird die Stadieneinteilung treten. Auch tränende Augen oder eine stark
durch die Prämedikation verfälscht. gefäßinjizierte Bindehaut sprechen für eine zu
flache Narkose.
Das Guedel-Schema hat daher bei einer moder- Eine Herzfrequenzsteigerung (in Kombination
! nen Inhalationsnarkose nur begrenzten Aussa- mit einem Blutdruckanstieg) spricht gleichfalls
gewert. Bei einer balancierten Anästhesie (→ S. für eine zu flache Narkose. Der Abfall einer er-
124), einer intravenösen (IVA) oder einer total höhten Herzfrequenz spricht umgekehrt für
intravenösen Anästhesie (TIVA) (→ S. 125) ist es eine tiefere Narkose oder für ein Nachlassen des
nicht verwertbar. operativen Schmerzreizes.
Zur Überwachung der Narkosetiefe wird in den
Die bei einer modernen Narkose angestrebte letzten Jahren zum Teil auch eine modifizierte
Narkosetiefe würde im Guedel-Schema dem (vereinfachte) Ableitung des Elektroenzephalo-
dritten Stadium (Planum 1–2) entsprechen. gramms (EEG) propagiert. Hierbei werden aus
den EEG-Signalen bestimmte Werte (z. B. der
sog. Bispektralindex; BIS-Zahl) ermittelt und
1.15.2 Beurteilung bei moderner vom entsprechenden BIS-Monitor angezeigt.
Narkoseführung
Eine BIS-Zahl von 100 entspricht einem wachen
! Patienten, eine BIS-Zahl von ca. 70 entspricht ei-
Die Beurteilung der Narkosetiefe bei einer moder-
! nen Narkose ist abhängig von den dazu verwen- ner tiefen Sedierung! Ein BIS-Wert von ca. 50 bzw.
deten Medikamenten. Bei einer Inhalationsnarko- < 40 entspricht einer mittleren Narkosetiefe bzw.
se, einer balancierten Anästhesie bzw. einer IVA einer tiefen Narkose.
oder TIVA ist das Blutdruckverhalten der zuverläs-
sigste Parameter. Dieses prozessierte EEG soll eine Entschei-
dungshilfe zur Steuerung der Narkosetiefe dar-
stellen. Es kann jedoch stets nur im Zusammen-
Alle Inhalationsanästhetika und die meisten in- hang mit den klinisch erfassbaren Parametern
travenösen Hypnotika (mit Ausnahme von (→ oben) beurteilt werden.
108 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
1.16 Manuelle Beatmung
mit dem Kreissystem
Wird die Überdruckgrenze dagegen zu hoch ner Gesichtsmaske beatmet, denn nach Injekti-
eingestellt, z. B. auf 30 mbar, so wird vorerst bei on des Einleitungshypnotikums wird der Pati-
der Beatmung des Patienten, für die nur 10–15 ent bewusstlos und es kommt zu einem
mbar nötig sind, keine Luft über das Über- Atemstillstand. Der Patient muss dann so lange
druckventil entweichen. Da jedoch laufend über eine Gesichtsmaske beatmet werden, bis
Frischgas in das Kreissystem einströmt (z. B. 3 l/ die Kehlkopfmaske eingeführt oder er intubiert
min), nimmt das Gasvolumen im Kreissystem werden kann. Für die Maskenbeatmung stehen
und im Patienten kontinuierlich zu. Der als Gesichtsmasken unterschiedlicher Größe zur
Ausgleichsbeutel dienende Beatmungsbeutel Verfügung.
wird entsprechend praller, und es baut sich ein
zunehmender Druck im Kreissystem auf. Erst
wenn der Druck bei der manuellen Kompressi- Gesichtsmasken
on des Beatmungsbeutels über die eingestellte
Druckgrenze von 30 mbar ansteigt, kann Aus Gesichtsmasken bestehen meist aus (schwar-
atemgas über das Überdruckventil in die Ab- zem) antistatischem Gummi.
saugung entweichen. Die Lungen des Patienten Für Erwachsene gibt es, je nach Modell, meist
werden hierbei überbläht – der Patient wird 3–5 verschiedene Größen (vgl. Abb. 1-75 und
meist zu stark beatmet. 1-76). Für Säuglinge und Kleinkinder werden
in der Regel sog. Rendell-Baker-Masken ver-
Immer, wenn der Beatmungsbeutel zu prall ist wendet (→ S. 236).
! und sich nur gegen hohen Widerstand leer drü Die Maske wird über ein Winkelstück mit dem
cken lässt, muss also die Überdruckgrenze ernied- Ein- und Ausatemschlauch des Narkosegerätes
rigt werden. verbunden (vgl. auch Abb. 1-4).
(→ S. 110).
1.16.3 Manuelle Beatmung
des intubierten Patienten
Soll ein intubierter Patient manuell beatmet
werden, so muss das Überdruckventil (wie oben
beschrieben) bedient werden. Zumindest un-
mittelbar nach der Intubation wird kurzfristig
eine manuelle Beatmung durchgeführt. Bei der
manuellen Beatmung kann besser auskultiert
werden. Auch sollte der Patient immer, wenn
während der maschinellen Beatmung Probleme
auftreten, vorübergehend manuell beatmet wer-
Abb. 1-77 Korrektes Halten der Gesichtsmaske
den. Bei einiger Erfahrung kann dann am Beat-
mungsbeutel gefühlt werden, ob der Patient z. B.
sucht, das Überdruckventil hoch einzustel- einen asthmatischen Anfall hat, ob er selbst at-
len und mit einem hohen Beatmungsdruck met oder ob er hustet. Auch wenn eine Inhalati-
den Beatmungswiderstand zu überwinden. onsnarkose schnell vertieft werden muss, sollte
Durch eine korrekte Überstreckung des Kop- neben einer Erhöhung der inspiratorischen
fes kann dieses Beatmungshindernis meist Konzentration des Inhalationsanästhetikums
beseitigt werden. Manchmal ist allerdings auch eine kurzfristige manuelle Beatmung
trotz korrekten Überstreckens des Kopfes durchgeführt werden. Hierbei kann der Patient
eine Verlegung der oberen Luftwege durch kurzfristig hyperventiliert werden, wodurch die
die zurückfallende Zunge nicht zu vermei- höhere Konzentration des Inhalationsanästhe-
den. In diesem Falle empfiehlt es sich, dem tikums schneller anflutet (→ S. 38). Auch bei
Patienten einen entsprechend großen Gue- bestimmten Operationsabschnitten, z. B. bei
del-Tubus einzulegen (→ S. 90). Vorausset- Lungenoperationen, lassen sich durch die
zung für das Einlegen eines Guedel-Tubus ist manuelle Beatmung die Atemexkursionen bei
jedoch, dass der Patient genügend tief be- Bedarf besser dem operativen Vorgehen anpas-
wusstlos ist und die Reflexe des Rachens und sen. Gegen Ende der Narkose, wenn die Spon
des Kehlkopfes ausgeschaltet sind. Ansons tanatmung des Patienten wieder stimuliert
ten muss mit einer Reizung der Rachen- werden soll, empfiehlt sich ebenfalls oft eine
schleimhaut und mit dem Auslösen von manuelle Beatmung. Beginnt der Patient nun
Husten- und Würgereflexen, im schlimm- langsam spontan zu atmen, so kann die manu-
sten Falle mit Erbrechen oder einem Laryn- elle Beatmung seiner Eigenatmung ange-
gospasmus (→ S. 214) gerechnet werden. passt werden (= assistierte Beatmung). Im
● Der Patient ist noch nicht bewusstlos und Prinzip könnte auch während der ganzen Nar-
wehrt sich gegen die Maskenbeatmung. kose ein intubierter Patient manuell beatmet
Meist liegt es daran, dass eine zu niedrige werden.
112 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
0,1 mg Fentanyl oder 1,0 mg Alfentanil] verab- des volatilen Inhalationsanästhetikums von ca.
reicht, dann würde nicht von einer reinen Inha- 0,7 MAC (bzw. von 1,0–1,1 MAC) angestrebt wer-
lationsanästhesie, sondern von einer balancier- den. (Falls zusätzlich ein Opioid verabreicht wür-
ten Anästhesie gesprochen [→ S. 124].) de, d. h. eine balancierte Anästhesie durchgeführt
wird [→ S. 124], dann würde eine exspiratorische
Konzentration des volatilen Inhalationsanästheti-
Maskenbeatmung kums von ca. 0,4–0,5 MAC [bzw. 0,7–0,8 MAC]
ausreichen).
Die Gesichtsmaske wird nun, wie auf Seite 109
beschrieben, mit der linken Hand fest auf das (Würde zur Aufrechterhaltung der Narkose
Gesicht gesetzt und um Mund und Nase dicht kein volatiles Inhalationsanästhetikum plus
verschlossen. Mit der rechten Hand kann jetzt Lachgas, sondern ein intravenös zu verabrei-
der Beatmungsbeutel bedient werden (vgl. aus- chendes Hypnotikum – z. B. 3–6–10 mg/
führliche Beschreibung der Maskenbeatmung kg KG/h Propofol mittels Spritzenpumpe oder
mit dem Kreissystem auf S. 109). Am Rotame- wiederholte Einzelboli à 20–30 mg – plus Lach-
ter für Sauerstoff werden nun z. B. (1 oder) 2 gas verwendet, dann würde von einer intrave-
Liter O2/min und am Rotameter für Lachgas nösen Anästhesie gesprochen [= IVA; → S.
bzw. Luft z. B. (2 oder) 4 Liter N2O/min bzw. 124]. Würde bei diesem Vorgehen noch auf
Luft/min eingestellt. Nun muss am Verdampfer Lachgas verzichtet und stattdessen Luft zum
die gewünschte Dampfkonzentration des aus- Sauerstoff zugemischt, dann würde von einer
gewählten Inhalationsanästhetikums einge- totalen intravenösen Anästhesie gesprochen [=
schaltet werden. TIVA; → S. 124]).
Meist fängt der Patient einige Minuten nach der
Zur anfänglichen Anflutung ist bei einer reinen In- Narkoseeinleitung wieder an, spontan zu at-
! halationsanästhesie eine relativ hohe Vaporein- men. Falls nicht, kann dies durch eine geringe
stellung notwendig; bei Verwendung von Isoflu- Hypoventilation provoziert werden. Bei vor-
ran ist eine Konzentration von ca. 2–3 Vol.-% not- handener Spontanatmung muss nun versucht
wendig. Bei Gabe von Sevofluran sind initial ca. werden, die Maskenbeatmung dem Rhythmus
3–4 Vol.-% und bei Desfluran ca. 6–8 Vol.-% not- des Patienten anzupassen. Dann kann mit nur
wendig. minimalem Beatmungsdruck beatmet werden.
Immer, wenn sich z. B. der Zeiger des mechani-
Eine Ursache für anfängliche Beatmungs- schen Volumeters bewegt, atmet der Patient aus
schwierigkeiten kann sein, dass der Patient (Messung im Ausatmungsschenkel! → S. 18).
noch nicht tief genug bewusstlos ist und sich Wenn der Volumeterzeiger zum Stillstand
gegen die Maskenbeatmung wehrt. In solchen kommt, muss also erneut mit der Kompression
Fällen ist meist eine zu niedrige Dosis des Ein- des Beatmungsbeutels begonnen werden. Mit
leitungshypnotikums verabreicht worden. Es einiger Erfahrung kann die Eigenatmung des
empfiehlt sich eine Nachinjektion. Patienten auch sehr gut am rhythmisch praller
Lässt sich der Patient gut beatmen, dann muss und schlaffer werdenden Beatmungsbeutel
– spätestens nach wenigen Minuten – die Kon- gefühlt werden. Immer, wenn der Beatmungs-
zentration des Inhalationsanästhetikums schritt- beutel praller wird, atmet der Patient aus. Be-
weise auf die Erhaltungsdosis reduziert werden. ginnt der Beatmungsbeutel zu erschlaffen,
so beginnt der Patient mit der Einatmung, und
Zur Aufrechterhaltung einer reinen Inhala der Beatmungsbeutel muss gedrückt werden.
! tionsanästhesie sollte bei zusätzlicher Gabe von Durch eine leichte Hyperventilation kann die
ca. 70 % Lachgas (bzw. bei Gabe von Luft anstatt Spontanatmung auch unterdrückt werden (→ S.
von Lachgas) eine exspiratorische Konzentration 121).
1.18 Intubationsnarkose 115
Als Atemminutenvolumen sollten beim Er bereits vor OP-Ende die Konzentration des In-
! wachsenen ungefähr 8–9 ml/kg KG/min ange- halationsanästhetikums erniedrigt oder gar
strebt werden. Beim 70 oder 80 kg schweren Pa- ausgeschaltet werden.
tienten entspricht dies einem Atemminutenvolu-
men von ca. 6 oder ca. 7 l/min. Je länger die Operation dauert, desto früher kann
! das Inhalationsanästhetikum vor OP-Ende redu-
Aufgrund der relativ langsamen Anflutung der ziert bzw. ausgeschaltet werden (→ S. 37).
meisten Inhalationsanästhetika (→ S. 36) kann
mit der Operation normalerweise erst 5–10 Mi- Erst mit Ende der Operation sollte das evtl. ver-
nuten nach Narkoseeinleitung begonnen wer- abreichte Lachgas abgeschaltet werden, und es
den. sollten dann für mindestens 3 Minuten ca. 6 Li-
ter Sauerstoff verabreicht werden, um eine Dif-
Zur Beurteilung der Narkosetiefe eignen sich das fusionshypoxie (→ S. 40) zu verhindern. In der
! Blutdruckverhalten, das Verhalten der Herzfre- Regel sind die Patienten nach diesen kurzen
quenz, die spontanen Atembewegungen sowie Maskennarkosen wieder schnell wach und an-
der Muskeltonus des Patienten. sprechbar.
initialen Vollrelaxierung mit einem nicht de- gebiete führen und ist daher zu vermeiden.
polarisierenden Muskelrelaxans werden Sobald als möglich ist die Konzentration des
(nach einer evtl. vorausgehenden Priming- volatilen Inhalationsanästhetikums (schritt-
Dosis; → S. 116), bei Rocuronium ca. 50 mg, weise) auf die Erhaltungsdosis zu reduzie-
bei Mivacurium werden ca. 15 mg, bei Pan- ren.
curonium oder Vecuronium ca. 6 mg, bei ● Blutdruck- und Herzfrequenzkontrolle:
Atracurium ca. 35 mg und bei cis-Atracuri- Da die Intubationsphase einer der kritisch-
um werden ca. 7–10 mg für einen ca. 70 kg sten Momente jeder Narkose ist, müssen
schweren Erwachsenen verabreicht. kurz nach der Intubation unbedingt der
● orotracheale Intubation (→ S. 92) Blutdruck gemessen und die Herzfrequenz
● Blocken des Tubus (→ S. 96) kontrolliert werden. Zum einen droht ein
● Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97) Blutdruckabfall bei zu tiefer Narkose, zum
● Fixierung des Tubus (→ S. 98) anderen ein schmerzbedingter Blutdruck-
● erneute Lagekontrolle des Tubus und Herzfrequenzanstieg bei zu flacher Nar-
● Einstellen von O2 und N2O bzw. Luft am Ro- kose.
tameter: Ist der Blutdruck nach Narkoseeinleitung
Am Rotameter für Sauerstoff wird nun z. B. 1 kritisch abgefallen, so bieten sich folgende
Liter O2/min und am Rotameter für Lachgas Maßnahmen an:
bzw. Luft werden 2 Liter N2O/min bzw. 2 Li- – Erniedrigung der Konzentration des In-
ter Luft/min eingestellt. halationsanästhetikums
● Einstellen des Inhalationsanästhetikums: – schnellere Infusion oder evtl. Austau-
Am Verdampfer wird die gewünschte schen der kristalloiden Infusionslösung
Dampfkonzentration des ausgewählten In- gegen ein kolloidales Plasmaersatzmittel
halationsanästhetikums eingeschaltet. Zur (z. B. HES, → S. 135)
anfänglichen Anflutung sind bei einer reinen – Kippen des Operationstisches in eine
Inhalationsanästhesie (ohne zusätzliche Kopftief- und Beinhochlage
Gabe eines Opioids) kurzfristig relativ hohe (Schocklagerung; „Trendelenburg-Lage-
Verdampferkonzentrationen notwendig. Bei rung“)
Isofluran ca. 2,0–3,0 Vol.-%, bei Gabe von – Injektion eines blutdrucksteigernden Me-
Sevofluran sind initial ca. 3–4 Vol.-% und bei dikamentes
Desfluran ca. 6–8 Vol.-% notwendig. Zur Be- (z. B. Akrinor®; es empfiehlt sich 1 Am-
schleunigung der Anflutung des Inhalations- pulle Akrinor® = 2 ml mit 8 ml NaCl 0,9 %
anästhetikums empfiehlt es sich, den Patien- zu verdünnen und ggf. wiederholt 2 ml
ten kurzfristig zu hyperventilieren (→ S. 38) Boli dieser Mischung so oft zu verabrei-
und ggf. den Frischgasfluss für einige Minu- chen, bis sich der Blutdruck wieder nor-
ten zu steigern (z. B. 2 Liter O2/min und 4 malisiert hat)
Liter N2O/min bzw. 4 Liter Luft/min). Bei – falls ausnahmsweise mit Succinylcholin
Patienten mit koronarer oder zerebraler Ge- intubiert wurde, vorerst Verzicht auf die
fäßsklerose ist jedoch eine stärkere Hyper- Vollrelaxierung mit einem nicht depolari-
ventilation zu vermeiden. Durch eine Hy- sierenden Muskelrelaxans, da es dadurch
perventilation wird eine Gefäßkonstriktion zu einem weiteren Blutdruckabfall kom-
ausgelöst, die auch das zerebrale und koro- men kann (→ S. 66)
nare Gefäßsystem betrifft. Die durch eine
Gefäßkonstriktion mögliche Minderperfusi- Bei den Zeichen einer zu flachen Narkose ist die
on kann bei zerebral- und koronarsklero Konzentration des Inhalationsanästhetikums
tischen Patienten zu einer gefährlichen Man- ggf. kurzfristig zu erhöhen. Bewegt sich der Pa-
geldurchblutung der betreffenden Strom- tient oder droht er aufzuwachen, so ist nicht
118 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
eine Muskelrelaxierung, sondern zuerst eine Ist alles überprüft, so kann von der manuellen
Vertiefung des „Schlafes“, z. B. durch Nachin- auf die maschinelle Beatmung übergegangen
jektion des Einleitungshypnotikums oder durch werden. Die maschinelle Beatmung mit dem
Erhöhung des Inhalationsanästhetikums, ange- Kreissystem wurde auf Seite 21 und die nun
zeigt. Anschließend kann bei Bedarf auch rela- vorzunehmende korrekte Einstellung des Beat-
xiert werden. mungsgerätes wurde auf Seite 22 ausführlich
● ggf. Nachrelaxierung: beschrieben. Außerdem sind die Alarmvorrich-
Ist der Blutdruck normal, so kann, falls für tungen einzuschalten.
die Operation notwendig und falls zur Intu- ● Lagerung des Patienten:
bation Succinylcholin verwendet wurde, der Nun wird der Patient vom Operateur selbst
Patient nun mit dem nicht depolarisierenden oder unter Anleitung des Operateurs in die
Muskelrelaxans nachrelaxiert werden. Bei eigentliche Operationslagerung gebracht;
Verwendung mit Rocuronium sind dies hierbei ist darauf zu achten, dass Lagerungs-
beim Erwachsenen (ca. 70 kg KG) ca. 50 mg, schäden vermieden werden (→ S. 35).
bei Mivacurium ca. 15 mg, bei Pancuronium ● erneute Lagekontrolle des Tubus (→ S. 97)
niumdosis spätestens 45 Minuten und die letzte diese neu eingestellte Konzentration des Inhalati-
Mivacuriumdosis ca. 10–15 Minuten vor Ope- onsanästhetikums schneller anflutet (→ S. 38).
rationsende verabreicht werden, um nicht einen
Überhang eines Muskelrelaxans zu riskieren. Es ist stets zu empfehlen, den Patienten vorüber-
! gehend manuell zu beatmen, sobald Probleme
wegen zu flacher Narkose auftreten. Auch falls
Beurteilung der Narkosetiefe unklare Beatmungsprobleme auftreten, sollte der
Patient vorübergehend manuell beatmet werden.
Zur Beurteilung der Narkosetiefe einer Inhala-
tionsnarkose eignet sich insbesondere das Blut-
druckverhalten, da alle Inhalationsanästhetika Beobachtung des operativen Vorgehens
zu einem dosisabhängigen Blutdruckabfall füh-
ren (→ S. 107). Zur optimalen Narkoseführung ist es enorm wich-
! tig, stets genau das operative Geschehen zu ver-
Zeichen einer zu tiefen Narkoseführung kann
ein zu niedriger Blutdruck sein. folgen, denn die benötigte Narkosetiefe hängt
Maßnahmen bei zu tiefer Narkose sind Reduk- entscheidend von den momentanen operativen
tion der Konzentration des Inhalationsanästhe- Manipulationen ab.
tikums, schnellere Infusion einer kristalloiden
Lösung, evtl. Gabe eines kolloidalen Plasmaer- Bei erfahrungsgemäß sehr schmerzhaften Maß-
satzmittels und evtl. Gabe des blutdruckstei- nahmen wie dem Hautschnitt bei Operations-
gernden Medikaments Akrinor® (→ S. 117). beginn, dem Zug am Peritoneum oder an den
Zeichen einer zu flachen Narkoseführung Eingeweiden, der Durchtrennung des Sternums
kann eine schmerzbedingte Catecholaminaus- (= Sternotomie) bei Herz-Thorax-Eingriffen,
schüttung sein mit: der Dehnung des Anus oder des Gebärmutter-
● Blutdruckanstieg halses oder dem Schaben am Periost ist eine
● Herzfrequenzsteigerung tiefere Narkose erforderlich als bei schmerzar-
● Schwitzen men Manipulationen wie einer Darmnaht, ei-
● tränenden Augen und roter, gefäßinjizierter ner Operation an der Lunge, an Muskeln, Faszi-
Bindehaut en oder am Bindegewebe. Mit zunehmender
● Abwehrbewegungen beim nicht relaxierten Erfahrung sind dem Anästhesisten die Opera-
Patienten tionen bekannt, und er kann dann bereits vor
● vertieften Atemzügen beim spontan atmenden Beginn einer schmerzhaften Operationsphase
Patienten die Narkose vertiefen. Die Zeichen einer zu fla-
chen Narkoseführung treten dann nicht auf.
Die Zeichen Blutdruckanstieg, Herzfrequenz- Umgekehrt kann der Anästhesist während
steigerung und Schwitzen können allerdings schmerzarmer Phasen die Narkose flacher ge-
auch Folgen einer Hypoventilation des Patien- stalten. Nach den gleichen Kriterien müssen
ten sein! auch die Muskelrelaxanzien dosiert werden.
Maßnahme bei zu flacher Narkose ist die Erhö- Der erfahrene Anästhesist wird die Relaxation
hung der Konzentration des Inhalationsanästhe- vertiefen, bevor eine Operationsphase beginnt,
tikums. Um eine schnelle Änderung der Blut- die eine tiefe Relaxation verlangt.
konzentration des Inhalationsanästhetikums und
damit eine schnelle Änderung der Narkosetiefe Die Kunst einer guten Inhalationsanästhesie be-
zu erreichen, empfiehlt es sich, auf die manuelle ! steht darin, die Narkose so flach wie möglich zu
Beatmung überzugehen und den Patienten kurz- führen, sodass gerade noch keine Anzeichen ei-
fristig zu hyperventilieren und ggf. den Frisch- ner zu flachen Narkose wie z. B. Blutdruckanstieg
gasfluss vorübergehend zu erhöhen, wodurch auftreten.
1.18 Intubationsnarkose 121
Narkoseausleitung einer ITN mit mung muss der Patient durch eine manuelle
einem verdampfbaren Inhalations- Beatmung leicht unterstützt (= assistiert) wer-
den. Die Konzentration des Inhalationsanäs-
anästhetikum thetikums kann nun nach Bedarf weiter redu-
ziert oder ausgeschaltet werden.
Bei einer gut gesteuerten Inhalationsnarkose ist
der Patient einige Minuten nach Operationsen-
de bereits ansprechbar und atmet suffizient Reduktion des Inhalationsanästhetikums
spontan, sodass der Extubation nichts mehr im
Wege steht. Dies setzt jedoch voraus, dass der Nach einer längeren Inhalationsanästhesie sind
Patient am Operationsende das Inhalationsan- die Muskulatur- und Fettdepots mehr oder we-
ästhetikum bereits weitgehend abgeatmet hat niger mit dem Inhalationsanästhetikum aufge-
und die Wirkung des Muskelrelaxans abgeklun- sättigt. Wird das Inhalationsanästhetikum aus-
gen ist. Des Weiteren ist eine ausreichende geschaltet, so wird der Partialdruck (→ S. 37)
Spontanatmung für die Extubation zu fordern. des Inhalationsanästhetikums in der Lunge und
Das Atemzugvolumen sollte mindestens 6 ml/ im Blut schnell abfallen und bald niedriger als
kg KG betragen. der Partialdruck in der Muskulatur und im
Fettgewebe sein. Das Inhalationsanästhetikum
diffundiert nun entlang des Partialdruckgefälles
Spontanatmung anstreben wieder aus den Geweben ins Blut zurück. Die
hierdurch entstehenden Konzentrationen im
Während einer Intubationsnarkose wird der Pa- Blut reichen meist aus, die Narkose noch für
tient meist leicht hyperventiliert, das heißt, es eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten. Wird
wird vermehrt Kohlendioxid (CO2) abgeatmet. dies beachtet, so wird der erfahrene Anästhesist
Der CO2-Wert im Blut sollte unter die Norm das Inhalationsanästhetikum bereits vor Opera-
von ca. 40 mm Hg (= 5,3 kPa) im arteriellen tionsende ausschalten. Je besser die Löslichkeit
Blut auf ca. 35 mm Hg (= 4,7 kPa) erniedrigt des volatilen Inhalationsanästhetikums im Ge-
sein. webe ist, das heißt, je höher der Blut-Gas-Ver-
teilungskoeffizient ist (vgl. Tab. 1-7), desto frü-
Da der Atemantrieb über den CO -Wert reguliert her kann es ausgeschaltet werden. Schnell
! wird, fehlt dem Patienten bei einem
2
erniedrigten abflutende volatile Inhalationsanästhetika wie
CO2-Wert der Atemantrieb. Sevofluran und Desfluran brauchen daher erst
relativ kurz vor dem Operationsende ausge-
Vor der Extubation muss der Patient über eine schaltet zu werden.
ausreichende Spontanatmung verfügen. Um
den Patienten wieder zur Spontanatmung zu Das volatile Inhalationsanästhetikum kann umso
bringen, muss er leicht hypoventiliert werden. ! früher ausgeschaltet werden, je mehr Inhalations-
Der CO2-Wert sollte auf einen Wert von z. B. 45 anästhetikum aus den Geweben freigesetzt wer-
mm Hg (= 6,0 kPa) erhöht werden. Der natürli- den kann, je länger die Narkose gedauert hat, je
che Atemanreiz stellt sich dann wieder ein. Be- höher dessen Blut-Gas-Verteilungskoeffizient ist,
steht kein Muskelrelaxansüberhang mehr, so je mehr Fettdepots der Patient hat und je niedri-
wird der Patient beginnen, spontan zu atmen, ger der Frischgasfluss ist.
auch wenn noch ein Inhalationsanästhetikum
zugeführt wird. Diese Spontanatmung sollte be- Spätestens bei Beginn der Subkutannaht oder
reits vor Ende der Operation angestrebt werden, der Hautnaht kann normalerweise das Inhalati-
solange noch das Inhalationsanästhetikum ein- onsanästhetikum ausgeschaltet werden.
geschaltet (!) ist. Trotz Beginn der Spontanat-
122 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Bei ausreichender Spontanatmung und sicher Während dieser Zeit muss der Patient von äu-
zurückgekehrten Schutzreflexen kann der Pati- ßeren Reizen abgeschirmt werden. Es sollte
ent nun „abgelegt“, das heißt vom Operations- Ruhe im Raum herrschen, und jegliche Mani-
tisch in ein möglichst vorgewärmtes Bett gelegt pulationen am Patienten sollten unterlassen
werden. Anschließend muss der Patient vom werden. Insbesondere das Einlegen eines Gue-
verantwortlichen Anästhesisten in den Auf- del-Tubus darf erst vorgenommen werden,
wachraum gebracht und der dort zuständigen wenn das Exzitationsstadium sicher durchlau-
Pflegekraft übergeben werden (→ S. 321). fen ist. Sobald der Patient „eingeschlafen“ ist,
wird vorsichtig seine Spontanatmung unter-
stützt, um eine schnelle Anflutung der Inhalati-
onsanästhetika zu erreichen. Nach Durch-
schreiten des Exzitationsstadiums muss die
124 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
initial relativ hohe Konzentration des volatilen wirkungen geringer sind. Dieses Verfahren er-
Inhalationsanästhetikums reduziert werden. möglicht eine schonendere Narkoseführung
Vor dem ersten Intubationsversuch sollte in je- und eignet sich insbesondere für Risikopatien-
dem Falle ein sicherer venöser Zugang gelegt ten. Die Gabe von Fentanyl (meist 0,1–0,2 mg)
werden. Die Intubation kann ausnahmsweise in oder z. B. Sufentanil (meist 15–30 µg) sollte be-
tiefer Sevoflurannarkose durchgeführt werden. reits vor der Intubation durchgeführt werden,
Bei der meist durchgeführten zusätzlichen Gabe um die starke analgetische Wirkung dieser
von Muskelrelaxanzien genügt ein weniger tie- Opioide auch während der Intubation ausnüt-
fes Narkosestadium. zen zu können. Falls Remifentanil verabreicht
wird, sollte mindestens ca. 2 Minuten vor der
Intubation eine Remifentanilinfusionsdosis von
Indikationen ca. 0,2–0,3 µg/kg KG/min begonnen werden.
Das Einleitungshypnotikum kann nun niedri-
● bei Kindern, bei denen eine intravenöse Nar- ger dosiert werden. Herz-Kreislauf-Probleme
koseeinleitung evtl. nicht möglich ist (→ S. bei der Narkoseeinleitung sind damit seltener.
240), da sie die Anlage einer peripheren Ve- Nachinjektionen von Fentanyl oder Sufentanil
nenkanüle im Wachzustand manchmal nicht sollten bei kurzen Operationen möglichst ver-
tolerieren mieden und bei längeren Operationen eher
● evtl. bei schwerem Asthmaleiden niedrig (0,05–0,1 mg Fentanyl oder 5–15 µg
Sufentanil) dosiert werden. Eine Remifentanil-
infusion kann dagegen bis unmittelbar vor
1.18.3 Kombination eines Operationsende durchgeführt werden.
verdampfbaren Inhalations Bei der Kombination von volatilem Inhalati-
onsanästhetikum mit Remifentanil wird meis
anästhetikums mit einem Opioid tens auf die Gabe von Lachgas verzichtet und
der Patient wird mit einem Gemisch aus Sauer-
Die Kombination eines Hypnotikums, eines in- stoff und Luft beatmet.
travenösen Opioidanalgetikums (z. B. Fentanyl),
eines Inhalationsanästhetikums (und ggf. eines
Muskelrelaxans) wird auch als balancierte An-
ästhesie bezeichnet.
Opioidüberhang?
Besteht bei dem Patienten ein Opioidüberhang,
Sehr häufig wird bei einer Narkose mit einem
so wird er nur verzögert anfangen, spontan zu
verdampfbaren Inhalationsanästhetikum (→ S. atmen. Wird er aufgefordert, tief durchzuatmen,
113, 116) zusätzlich eine kleine Dosis Fentanyl, so tut er dies (= Kommandoatmung). Wird er
Alfentanil oder Sufentanil verabreicht. Eventu- jedoch in Ruhe gelassen, so „vergisst“ er oft das
ell kann auch Remifentanil per Infusionspumpe Atmen.
verabreicht werden. Durch zusätzliche Gabe ei-
nes Opioids kann der MAC-Wert des Inhalati- Der Atemtypus ist hierbei durch eine sehr lang-
onsanästhetikums vermindert werden (→ S. same Atemfrequenz bei relativ großem Atem-
39), das heißt, das Inhalationsanästhetikum zugvolumen gekennzeichnet. Die Pupillen des
kann zur Einleitung und Aufrechterhaltung Patienten sind noch sehr eng (stecknadelkopf-
niedriger dosiert werden als bei einer reinen In- große Pupillen; → S. 8). Der Patient verneint,
halationsanästhesie (→ S. 113, 116; endexspira- Schmerzen zu haben. Er liegt ruhig da und
torisch genügen – je nachdem ob zusätzlich kommt Aufforderungen, wie z. B. Anheben des
Lachgas verwendet wird oder nicht – ca. 0,4–0,5 Kopfes, nach. Er fühlt sich jedoch durch den
bzw. 0,7–0,8 MAC), womit auch dessen Neben- Tubus nicht gestört.
1.18 Intubationsnarkose 125
Bei einem Opioidüberhang sollte der Pati- dere, wenn Mivacurium verwendet wird) über
! ent ggf. mit einem Opioidantagonisten, z. B. eine Spritzenpumpe verabreicht. Es sind daher
Naloxon (→ S. 61), antagonisiert werden. die entsprechenden Spritzenpumpen und Per-
Da Naloxon eine kürzere Wirkdauer als das zu fusorleitungen vorzubereiten und über Dreiwe-
antagonisierende Fentanyl oder Sufentanil hat, gehähne an die Infusionsleitung des Patienten
besteht die Gefahr einer erneuten Atemdepressi- anzuschließen.
on, sobald die Wirkung des Naloxons nachlässt.
Aus diesem Grunde sind „antagonisierte“ Patien-
ten besonders sorgfältig für mindestens 2 Stun- Mögliche Narkoseeinleitungsformen
den im Aufwachraum zu überwachen.
● Präoxygenierung (→ S. 113)
● meist Gabe einer Priming-Dosis (oder aus-
1.18.4 Intravenöse Anästhesie nahmsweise einer Präcurarisierungsdosis)
und totale intravenöse Anästhesie (→ S. 116)
Falls eine IVA bzw. TIVA unter Verwendung
Bei einer intravenösen Anästhesie (= IVA) wird einer Larynxmaske geplant ist, wird jedoch
auf ein volatiles Inhalationsanästhetikum zu- hierauf verzichtet.
gunsten eines intravenösen Anästhetikums ver- ● Opioidgabe:
zichtet. Neben Sauerstoff wird jedoch auch Es kommt entweder Sufentanil (z. B. 20 µg),
Lachgas verabreicht. Bei einer totalen intrave- Fentanyl (z. B. 0,1–0,2 mg), Alfentanil (z. B.
nösen Anästhesie (= TIVA) wird auf ein volati- 1–2 mg) oder Remifentanil (z. B. 0,2–0,3 µg/
les Anästhetikum und auch auf Lachgas ver- kg KG/min; → S. 57) zur Anwendung.
zichtet. Neben Sauerstoff wird zusätzlich ● Einleitungshypnotikum:
soll die (T)IVA am Beispiel einer Intubations- den Muskelrelaxans (oder ausnahmsweise
narkose und einer Narkose unter Verwendung mit Succinylcholin; → S. 116)
einer Larynxmaske beschrieben werden. Falls eine IVA bzw. TIVA unter Verwendung
einer Larynxmaske geplant ist, wird jedoch
hierauf verzichtet.
Vorbereitungen ● endotracheale Intubation (→ S. 92) bzw. Ein-
Mittels TCI kann ein relativ konstantes Verhal- gung. Anhand des Codierungsstreifens erkennt
ten von Blutdruck und Herzfrequenz erzielt die TCI-Pumpe, ob es sich um 1- oder 2%iges
werden. Außerdem sollen auch grobe Fehldo- Propofol handelt. Die erkannte Propofolkon-
sierungen eher vermeidbar sein. zentration wird angezeigt und muss per Knopf-
In die spezielle Spritzenpumpe (z. B. sog. TCI- druck bestätigt werden.
Diprifusor; Abb. 1-78a) müssen zuvor die pati- Inzwischen gibt es auch TCI-Geräte (z. B.
enteneigenen Daten (Alter, Körpergewicht) und Orchestra Base Primea, Fa. Fresenius Kabi;
die Zielkonzentration im Plasma eingegeben Abb. 1-78b), bei denen übliche, selbstgefüllte
werden. Für den TCI-Diprifusor sind spezielle 50-ml-Spritzen verwendet werden können.
Propofolfertigspritzen mit einem Codierungs- Im Anzeigenteil dieser Pumpen wird die ge-
streifen an einem Spritzenflügel (zur automati- wünschte Zielkonzentration und die errechnete
schen elektronischen Erkennung der Spritzen) aktuelle Konzentration sowie die momentane
zu verwenden. Es stehen Propofolfertigspritzen Förderrate der Pumpe in mg/kg KG/h bzw. in
à 50 ml mit 1- oder 2%iger Lösung zu Verfü- ml/h angezeigt.
128 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Diese Pumpen können auch für die Narkose auch Remifentanil im Rahmen einer IVA/TIVA
einleitung verwendet werden. Hierfür kann verabreicht. Als Erhaltungsdosis reichen zu-
beim TCI-Diprifusor z. B. eingestellt werden, meist 0,2–0,3 µg/kg KG/min aus (→ S. 60). Bei
ob die eingestellte Zielkonzentration so schnell länger dauernden Eingriffen kann auch Sufenta-
wie möglich (innerhalb von 30 Sekunden) er- nil per Spritzenpumpe (0,005–0,015 µg/kg KG/
reicht werden soll bzw. es kann eine Zeitspanne min = ca. 0,3–1 µg/kg KG/h) verabreicht wer-
(zwischen 0,5 und 10 Minuten) gewählt wer- den.
den, innerhalb derer die Zielkonzentration er- Weitere Kriterien für eine nötige Nachinjektion
reicht werden soll. von Fentanyl oder Sufentanil sind Anzeichen
Zur Aufrechterhaltung der Narkose (bei Patien- einer nachlassenden Analgesie:
ten der ASA-Gruppe I oder II und bei Patienten ● Anstieg des Blutdrucks
jünger als 60 Jahre, bei denen zusätzlich eine ● Anstieg der Herzfrequenz
itial eine Zielkonzentration von ca. 4 µg/ml an- ● Schwitzen des Patienten
Es ist jedoch zu beachten, dass durch die Kombi- sonsten besteht die Gefahr eines postoperati-
! nation von Fentanyl oder Sufentanil mit höheren ven Überhangs des Muskelrelaxans mit einer
Dosen eines verdampfbaren Inhalationsanästhe- Lähmung der Atemmuskulatur.
tikums die atemdepressive Wirkung des Fentanyls
oder Sufentanils verlängert (!!!) werden kann.
Beurteilung
Das Inhalationsanästhetikum sollte also nur
kurzfristig zugegeben werden. Narkosetiefe (→ S. 112)
Bewegt sich ein Patient während der Operation Vor allem nach Gabe eines mittellang oder lang
! aufgrund der schmerzhaften Manipulation, wäre wirksamen nicht depolarisierenden Muskelrela-
es falsch, ihn nur wieder zu relaxieren. Er würde xans kann es postoperativ unter Umständen zu
sich zwar nicht mehr bewegen, aber der Grund einem Relaxansüberhang kommen (→ S. 122).
für die Bewegungen, nämlich die Schmerzen, wä-
re noch vorhanden.
Opioidüberhang?
In diesem Falle muss also zusätzlich zum Rela-
xans z. B. Fentanyl gegeben werden. Die letzte Vor allem nach Gabe der länger wirksamen
Dosis des Muskelrelaxans sollte mindestens so Opioide Fentanyl oder Sufentanil kann es post-
lange vor OP-Ende verabreicht werden, wie operativ evtl. zu einem Opioidüberhang kom-
dessen normale Wirkungsdauer beträgt. An- men (→ S. 124).
130 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Fentanyldosen nicht zu beherrschen waren. ● Vorbereitung des Patienten auf die Narkose
Eine Narkose unter Verwendung einer Kehl- ● Die vorherige Gabe eines Muskelrelaxans ist
1.19.4 Narkoseaufrechterhaltung
und -ausleitung
1.20 Narkose unter Ver-
Aufrechterhaltung und Ausleitung einer Narko-
se unter Verwendung einer Larynxmaske ent-
wendung eines Larynxtubus
spricht großteils dem Vorgehen, das bei der
Aufrechterhaltung bzw. Narkoseausleitung ei- Für eine Narkose unter Verwendung eines La-
ner ITN mit einem verdampfbaren Inhalations- rynxtubus gilt das gleiche Vorgehen wir für eine
anästhetikum (→ S. 118) bzw. der Kombination Narkose unter Verwendung einer Larynxmaske
eines verdampfbaren Inhalationsanästhetikums (vgl. Kap. 1.19). Es wird hierbei lediglich anstatt
mit einem Opioid (→ S. 124) bzw. einer IVA/ einer Larynxmaske (Kap. 1.13) ein Larynxtubus
TIVA (→ S. 125) beschrieben wurde. Es sei da- (Kap. 1.14) eingeführt.
her auf die entsprechenden Kapitel verwiesen.
Während allerdings bei endotracheal intubier-
ten Patienten fast immer eine kontrollierte ma-
schinelle Beatmung vorgenommen wird, sollte 1.21 Perioperative Infusions-
bei einer Narkose unter Verwendung einer
Kehlkopfmaske möglichst eine Spontanatmung
und Transfusionstherapie
des Patienten mit manueller Unterstützung an-
gestrebt werden. Bei der kontrollierten maschi- Der Körper des Erwachsenen besteht zu ca.
nellen Beatmung ist die Kehlkopfmaske häufi- 60 % aus Wasser. 40 % davon entfallen auf den
ger undicht. Es kann hierdurch zum Eindringen Intrazellulärraum und 20 % auf den Extrazellu-
von Beatmungsgas in den Magen (mit der Ge- lärraum. Der Extrazellulärraum kann unterteilt
fahr einer Regurgitation) kommen. Da eine werden in den Intravasalraum (4 %) und den
Spontanatmung aber nicht über längere Zeit- interstitiellen Raum (16 %).
räume erwünscht ist (Gefahr von Atelektasen), Bei einem akuten Blutverlust ist primär nur das
wird nur selten eine Kehlkopfmaske verwendet, intravasale Volumen vermindert. Bei länger
wenn die Operation länger als ca. 2 Stunden bestehender intravasaler Hypovolämie wird
dauert. Flüssigkeit aus dem interstitiellen Raum nach
intravasal verschoben, und das intravasale Vo-
1.21 Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 133
lumendefizit wird dadurch wieder teilweise aus- schen Gradienten zwischen Interstitium und
geglichen. Es bleibt aber ein noch leicht ernied- Intrazellulärraum zum Übertritt von Wasser
rigtes intravasales Volumen sowie ein Mangel nach intrazellulär. Wird dagegen eine hyperto-
an interstitieller Flüssigkeit. ne kristalloide Lösung verabreicht, dann führt
Für die perioperative Flüssigkeitstherapie ste- dies, da sie ebenfalls großteils ins Interstitium
hen je nach Bedarf verschiedene Infusions- und abwandert, zu einer Hyperosmolarität des In-
Transfusionslösungen zur Verfügung. terstitiums. Aufgrund eines dadurch zwischen
Interstitium und Intrazellulärraum auftreten-
den osmotischen Gradienten wandert nun Was-
1.21.1 Infusionslösungen ser aus den Zellen in den interstitiellen Raum.
Wird eine isotone kristalloide Lösung verab-
reicht, so bleibt der interstitielle Raum isoton. Da
Kristalloide Lösungen kein osmotischer Gradient zum Intrazellulär-
raum entsteht, kommt es zu keinem (!) Flüssig-
Kristalloide sind kristallisierbare Substanzen. keitsaustausch zwischen Intrazellulärraum und
Zu den kristalloiden Lösungen werden Elek- interstitiellem Raum. Die isotone Lösungen be-
trolytlösungen sowie niederprozentige Gluco- einflussen damit den Intrazellulärraum nicht (!).
selösungen (z. B. Glucose 5 %) gezählt. Normalerweise sollten nur isotone kristalloide
Je nachdem, wie hoch der Elektrolytgehalt ei- Lösungen verabreicht werden. (Lediglich falls
ner Elektrolytlösung im Vergleich zum Plasma ausnahmsweise der Intrazellulärraum hypoton
ist, wird von einer Vollelektrolytlösung, ei- oder hyperton ist, sollten hypertone oder hypo-
ner ½- oder ⅔-Elektrolytlösung usw. ge- tone Infusionslösungen verabreicht werden.)
sprochen. Wird die Osmolarität der Kristallo- In den letzten Jahren wurde wiederholt darauf
idlösung mit der des Plasmas verglichen, so hingewiesen, dass die Infusion größerer Mengen
können isotone, hypotone oder hypertone Kris an NaCl 0,9 % (die 154 mmol/l Chlorid enthält)
talloidlösungen unterschieden werden. zu einer sog. hyperchlorämischen metabolischen
Isotone Lösungen haben die gleiche Osmolarität Acidose führen kann. Außerdem wird durch eine
wie das Plasma (ca. 290 mOsmol/l). Hypotone hohe Chloridbelastung die Nierendurchblutung
Lösungen haben eine geringere und hypertone und damit die Urinproduktion negativ beein-
Lösungen eine höhere Osmolarität als das Plasma flusst. Außerdem kommt es durch die hohe
(vgl. Tab. 1-10). Chloridbelastung zu einer Hemmung der Renin-
freisetzung, wodurch der Blutdruck abfallen
Isotone kristalloide Lösungen verteilen sich kann. Bei Gabe größerer Mengen von Ringer-
nach deren Infusion sofort gleichmäßig im Ex- Lactatlösung ist außerdem zu beachten, dass
trazellulärraum, das heißt im Intravasalraum Ringer-Lactatlösungen eine evtl. Lactatbestim-
und im interstitiellen Raum. Da der Extravasal- mung verfälschen können, dass diese Lösungen
raum 4-mal so groß ist wie der Intravasalraum leicht hypoton sind und dass bei der Metabolisie-
(4 vs. 16 %; → S. 132) verbleiben 1⁄₅ (= 20 %) in- rung von Lactat überproportional viel Sauerstoff
travasal und ⁴⁄₅ (= 80 %) diffundieren in den in- verbraucht wird. Inzwischen werden daher zu-
terstitiellen Raum. Der intravasale Volumenef- nehmend sog. balancierte Lösungen empfohlen.
fekt einer kristalloiden Lösung ist daher relativ Balancierte Lösungen entsprechen weitgehend
gering. der Zusammensetzung des Plasmas. Sie sind iso-
Wird eine hypotone kristalloide Lösung verab- ton und enthalten deutlich weniger Chlorid als
reicht, dann diffundieren hiervon ebenfalls ca. physiologische Kochsalzlösungen. Der Chlo-
80 % in den interstitiellen Raum. Hierdurch ridgehalt entspricht ungefähr der Plasmachlorid-
wird die interstitielle Flüssigkeit ebenfalls hypo- konzentration. Balancierte Lösungen enthalten
ton und es kommt nun aufgrund eines osmoti- metabolisierbare Anionen, allerdings kein Lac-
134 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
tat, sondern Acetat oder Malat. Durch die meta- Einige Kolloide haben eine größere Wasserbin-
bolisierbaren Anionen soll einer sog. Dilutions- dungsfähigkeit als die Plasmaproteine und zie-
acidose (aufgrund einer Verdünnung der hen dadurch noch Wasser aus dem Gewebe und
Bicarbonatkonzentration bei größerer Volumen- binden es an sich. Die intravasale Volumenzu-
gabe) vorgebeugt werden. Lactat hat den Nach- nahme ist daher nach Infusion solcher Kolloide
teil, dass es in der Leber metabolisiert werden größer als das eigentlich zugeführte Volumen.
muss (und z. B. bei schwerem Schock oder Es kommt also durch diese Kolloide zu einer
schwerer Sepsis kann die hepatische Lactatmeta- Volumenexpansion. Diese Substanzen werden
bolisierung beeinträchtigt sein). Außerdem kann daher als Plasmaexpander bezeichnet.
Lactat evtl. eine Lactatbestimmung verfälschen. Kolloide werden verabreicht, um Plasmaverlus
Acetat oder Malat werden dagegen unabhängig te zu ersetzen. Sie werden daher auch als Plas-
von der Leber – ebenfalls unter Freisetzung von maersatzmittel bezeichnet. Bei den kolloidalen
Bicarbonat – metabolisiert. Plasmaersatzmitteln kann zwischen Plasmaer-
satzmitteln, die künstlich hergestellt werden,
und Plasmaersatzmitteln, die aus menschlichem
Kolloidale Plasmaersatzmittel Plasma gewonnen werden, unterschieden wer-
den.
Kolloide sind große, hochmolekulare Substanzen
mit einem Molekulargewicht größer als 10 000.
Kolloidale Lösungen sind normalerweise nicht in Künstliche Plasmaersatzmittel
der Lage, durch Zellmembranen zu diffundieren.
Kolloide haben die Fähigkeit, Wasser an sich zu Künstliche Kolloide verteilen sich nach intrava-
binden. Durch diese Fähigkeit sind sie für die Auf- saler Gabe nur im Intravasalraum. Sie wandern
rechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks nicht in den interstitiellen Raum ab (während
verantwortlich. kristalloide Lösungen zu 80 % in den interstiti-
1.21 Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 135
ellen Raum abdiffundieren; → S. 133). Mit einer parate (mit hohem Molekulargewicht von
bestimmten Menge an kolloidalen Lösungen 450 000 Dalton) zu. Bei den heute verwendeten
kann daher ein größerer intravasaler Volumen- HES-Präparaten (Molekulargewicht 200 000
effekt erreicht werden als mit dem gleichen Vo- oder 130 000 Dalton) kommt es jedoch zu kei-
lumen kristalloider Lösungen. Ein intravasaler ner relevanten Verschlechterung der Blutgerin-
Volumenverlust kann 1 : 1 mit einem Kolloid er- nung. Die Höchstdosis fast aller HES-Präparate
setzt werden, während hierfür das ca. 5-fache beträgt ca. 2 g/kg KG, das heißt z. B. ca. 33 ml/
Volumen an kristalloiden Lösungen benötigt kg KG HES 6 % oder 20 ml/kg KG HES 10 % pro
wird. Tag. Bei dem neuen HES-Präparat Voluven®
Die künstlichen Plasmaersatzmittel ermögli- (Molekulargewicht: 130 000 Dalton) wird die
chen einen vorübergehenden Ersatz der körper- zulässige Maximaldosierung mit 50 ml/kg KG/d
eigenen Plasmaproteine, bis diese nach einem angegeben. Außerdem ist es auch für Kinder,
Verlust wieder neu synthetisiert sind. Sie über- Säuglinge und Neugeborene zugelassen. Bei
nehmen die onkotische Aktivität der Plas- Stärkepräparaten können sehr selten anaphy-
maproteine, das heißt die Funktion, Wasser an laktoide Reaktionen auftreten. Meist kommt
sich zu binden. Sie können aber keine sonstigen eine 6- oder 10%ige HES-Lösung zur Anwen-
biologischen Funktionen der Plasmaproteine, dung.
wie z. B. die Transportfunktion für viele körper- Die meisten bisherigen HES-Präparate sind auf
eigene und körperfremde Substanzen, überneh- der Basis einer 0,9%igen NaCl-Lösung herge-
men. stellt. Daher kann es bei Gabe größerer Mengen
Die wichtigsten künstlichen kolloidalen Plas- an konventionellem HES zu einer hyperchlor
maersatzmittel sind: ämischen metabolischen Acidose kommen (wie
● Stärkepräparate bei großzügiger Gabe von 0,9%iger NaCl-Lö-
● Gelatinepräparate sung; → S. 133). Daher wird in den letzten Jah-
● Dextranpräparate ren wiederholt darauf hingewiesen, dass als Ba-
sislösung für HES-Präparate eine balancierte
Stärkepräparate – Hydroxyethylstärke Lösung verwendet werden sollte. Ein neues, ba-
(z. B. HES-steril 6 %, Voluven®) lanciertes HES-Präparat stellt z. B. das HES
130/0,42 (Vitafusal®; Serumwerk Bernberg)
Stärkepräparate werden aus der z. B. in Mais, Ge- dar.
treide und Reis enthaltenen Stärke hergestellt.
Damit das körpereigene Enzym Alpha-Amylase, Gelatinepräparate (z. B. Gelafundin®,
das für die Stärkespaltung verantwortlich ist, die- Haemaccel®)
ses Molekül nicht abbauen kann, wird es durch ei-
ne bestimmte chemische Umwandlung, eine sog. Gelatinepräparate werden aus Abbauprodukten
Hydroxyethylierung, stabilisiert. Das entstehende
des in Knochen, Sehnen usw. enthaltenen Kolla-
Molekül ist die Hydroxyethylstärke (= HES). gens hergestellt. Das mittlere Molekulargewicht
liegt bei ca. 30 000 Dalton. Die Wirkungsdauer be-
Die Wasserbindungsfähigkeit der HES ist hoch. trägt ca. 2–3 Stunden. Ihre Fähigkeit zur Wasser-
HES ist ein Plasmaexpander (→ S. 134). Die bindung ist deutlich geringer als bei HES (→ oben)
Wirkungsdauer beträgt ca. 3–4 Stunden. HES- und den Dextranen (→ S. 136).
Moleküle werden größtenteils über die Nieren
wieder ausgeschieden, teilweise auch im Körper Die Gelatinepräparate werden fast ausschließ-
gespalten oder auch im Körper gespeichert. lich über die Nieren ausgeschieden. Durch ihre
HES-Präparaten wird manchmal eine Beein- Fähigkeit, Wasser an sich zu binden, kommt es
trächtigung der Blutgerinnung nachgesagt. Dies während ihrer raschen Ausscheidung über die
trifft jedoch vor allem für die älteren HES-Prä- Nieren zu einer vermehrten Urinausscheidung,
136 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Erythrozytenkonzentrat
mit einer Proteinallergie zur Anwendung. Da Frischplasma (= fresh frozen plasma = FFP)
bei dem Waschvorgang den Erythrozyten wich- vorsichtig bei 37 °C maschinell aufgetaut wer-
tige Ionen entzogen werden, ist die Haltbarkeit den. FFP muss AB0-Blutgruppen-identisch
der gewaschenen Erythrozytenkonzentrate auf transfundiert werden. Der Rhesusfaktor braucht
ca. 6 Stunden begrenzt. Hepatitisgefahr! HIV- jedoch nicht berücksichtigt zu werden. Im Not-
Gefahr! fall kann als „Universalplasma“ FFP der Blut-
gruppe AB verwendet werden (enthält keine
Isoagglutinine Anti-A und Anti-B). Hepatitis-
Eigenblutkonserven gefahr! HIV-Gefahr! Eine FFP-Konserve hat
ein Volumen von ca. 200–250 ml. Es ist ein
Beträgt die Wahrscheinlichkeit einer periopera- Transfusionssystem mit Standardfilter (170–230
tiven Bluttransfusion über 10 %, dann muss auf- µm) zu verwenden.
grund einer seit 1992 bestehenden Aufklärungs-
pflicht der Patient über die Möglichkeit der
präoperativen Eigenblutspende und intraopera- Thrombozytenkonzentrat
tiven Retransfusion aufgeklärt werden. Es ma-
chen zunehmend mehr Patienten von dieser Ein Thrombozytenkonzentrat wird aus Frischblut
Möglichkeit Gebrauch. Hierbei wird dem Pati-
gewonnen.
enten in den letzten (max.) 7 Wochen vor der
Operation eine, oder es werden jeweils im Ab- Thrombozytenkonzentrate sind nur ca. 5 Tage
stand von ca. einer Woche auch mehrere Eigen- lagerungsfähig. Es sind sowohl Einzelspender-
blutkonserven abgenommen. Die letzte Eigen- Thrombozytenkonzentrate (aus einer frisch ab-
blutspende sollte normalerweise mindestens 7 genommenen Blutspende hergestellt) oder
Tage vor dem Operationstermin sein. Zwischen Pool-Thrombozytenkonzentrate (aus 4–6 frisch
mehreren Eigenblutspenden muss der Patient abgenommenen Blutspenden hergestellt) ver-
nachweislich wieder ausreichend Erythrozyten fügbar. Die therapeutische Einheit entspricht
gebildet haben (Hb-Kontrolle vor Abnahme, einem Pool-Thrombozytenkonzentrat oder 4–6
Hb-Wert muss größer als 11,5 g/dl sein). Zu- Einzelspender-Thrombozytenkonzentraten.
meist wird empfohlen, Eigenblut in Erythrozy- Dadurch kann die Thrombozytenzahl um ca.
tenkonzentrat und gefrorenes Frischplasma 30 000/ml gesteigert werden. Thrombozyten-
aufzutrennen. Bei der Retransfusion von Eigen- konzentrate müssen bei Raumtemperatur unter
blut kann der Patient keine Neuinfektion mit ständiger Bewegung (= Agitation) gelagert wer-
z. B. einem Hepatitis- oder HI-Virus erwerben. den. Es wird empfohlen, Thrombozytenkon-
Falls bei dem Patienten Eigen- und Fremdblut zentrate AB0-Blutgruppen-identisch zu über-
bereitliegen, muss im Falle einer Blutung im- tragen. Es ist über ein Transfusionssystem mit
mer zuerst das Eigenblut transfundiert werden. Standardfilter (170–230 µm) zu transfundieren.
Bezüglich der Retransfusion von Eigenblut gilt Hepatitisgefahr! HIV-Gefahr!
eine vergleichbar strenge Indikationsstellung
wie bei Fremdblut (Verwechslungsgefahr, Kon-
taminationsgefahr). 1.21.3 Durchführung
einer Bluttransfusion
Gefrorenes Frischplasma
Blutabnahme
Durch sofortiges Tiefgefrieren von Plasma kann
die Aktivität der Gerinnungsfaktoren erhalten Dem Patienten wird zur Bestimmung der Blut-
werden. Vor Gebrauch muss das gefrorene gruppe, zur Durchführung der Kreuzprobe
1.21 Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 139
Identitätskontrolle
vor der Transfusion
Es sind folgende Dinge zu beachten: Gehören
der vorliegende Blutgruppen- und Kreuzpro-
benzettel zu diesem Patienten? Wenn ja: Stimmt
die Blutgruppe auf der Konserve mit derjenigen
des Patienten überein? Wenn ja: Stimmt die auf
dem Konservenetikett angegebene Konserven-
nummer mit der Konservennummer auf dem
Kreuzprobenzettel überein? Wenn ja: Vorberei-
tung der Konserve.
Transfusion
Die Bluttransfusion ist eine ärztliche Maßnahme
und muss vom verantwortlichen Arzt eingeleitet
werden. Sie sollte immer über einen peripherve-
nösen Zugang erfolgen. Die Transfusion ist auch
über spezielle großlumige Dialysekatheter (z. B.
Shaldon-Katheter) möglich (v. a. im Rahmen ei-
ner Massivtransfusion). Möglichst nie (!) über
einen Kavakatheter transfundieren. Läuft eine
Transfusion über einen Kavakatheter einige Mi-
nuten nicht mehr, weil z. B. der Katheter abge-
knickt oder der Transfusionsbeutel leer ist, so
kann es zu einer Thrombosierung des Kavaka-
theters kommen!! Außerdem kann über einen
Abb. 1-81 Durch mehrmaliges Komprimieren der flexi- großlumigen periphervenösen Zugang wesent-
blen Tropfkammer wird die Tropfkammer ca. zur Hälfte lich schneller und erythrozytenschonender trans-
mit Blut gefüllt. Anschließend ist noch die Transfusions fundiert werden als über einen Kavakatheter.
leitung mit Blut zu füllen (vgl. Text).
Einer Blutkonserve dürfen keine Medikamente zu-
! gesetzt werden! Eine Bluttransfusion darf nicht
zusammen mit einer anderen Infusion über einen
Blutkonserve mit Transfusionsbesteck kann gemeinsamen Zugang laufen. Leere Transfusions-
nun bei Bedarf an einen venösen Zugang des beutel (mit anhängendem Pilotröhrchen) müssen
Patienten angeschlossen werden. 24 Stunden aufbewahrt werden. Im Falle einer
Unverträglichkeit sind serologische Nachuntersu-
chungen wichtig.
Durchführung des Bedside-Tests
Mithilfe z. B. einer Eldon- oder Medtro-Karte Biologische Probe
wird der sog. Bedside-Test durchgeführt, mit
dem nochmals die AB0-Gruppen des Patienten Nach der Transfusion weniger Milliliter wird
und der Konserve überprüft werden. Damit sol- die Infusion unterbrochen und der Patient auf
len Verwechslungen ausgeschlossen werden. die Zeichen einer Unverträglichkeitsreaktion
Bei dem Bedside-Test wird ein Tropfen Blut des hin überprüft (→ S. 142). Falls keine Auffällig-
Patienten bzw. der Konserve in die entspre- keiten zu registrieren sind, wird die Transfusi-
chend gekennzeichneten Antiserumschalen ge- onsgeschwindigkeit gesteigert. Vorsicht: Beim
geben (vgl. Abb. 1-82). sedierten/narkotisierten Patienten können
selbst ausgeprägte Transfusionsreaktionen nur
schwer erkennbar sein (→ S. 142).
1.21 Perioperative Infusions- und Transfusionstherapie 141
● anaphylaktoide Reaktion auf die in der Kon- ● unter Umständen Auftreten eines Bronchos-
● Behandlung des drohenden Nierenversagens Die im Folgenden angegebenen Werte sind daher
durch Erzwingung einer gesteigerten Diure- ! als grobe Richtlinien gedacht und müssen oft ent-
se mittels sprechend des Krankheitsbildes modifiziert wer-
– Volumenzufuhr den.
– evtl. Furosemid (Lasix®) oder Torasemid
(Torem®) In den letzten Jahren wurde mehrfach darauf
– evtl. Mannitol (osmotisches Diuretikum) hingewiesen, dass eine übermäßige perioperati-
– (die früher empfohlene Dopamingabe in ve Flüssigkeitstherapie zu vermeiden ist, da sie
„Nierendosis“ [ca. 3 µg/kg KG/min; → S. die Verschiebung von Flüssigkeit in den intersti-
303] ist erfolglos und sollte unterlassen tiellen Raum (und damit z. B. eine Ödembildung)
werden) begünstigt. Deshalb wird inzwischen oft auf eine
● evtl. Alkalisierung des Urins durch intrave- streng bedarfsadaptierte Flüssigkeitsgabe großen
nöse Gabe von Natriumbicarbonat (= Natri- Wert gelegt (v. a. bei großen Bauchoperationen;
umhydrogencarbonat) vgl. Fast-Track-Prinzipien → S. 291).
● evtl. Gabe von Glucocorticoiden Bei der Berechnung der perioperativen Flüssig-
● Therapie einer Hypotension mit Volumenga- keitstherapie sollte zwischen Basis-, Verlust-
be und Catecholaminen und Nachholbedarf unterschieden werden:
● notfalls Austauschtransfusion (bei sehr
schweren Fällen)
● Blutbank informieren: Basis- (oder Erhaltungs-)Bedarf
Konserve sowie frisch entnommenes Blut
des Patienten in die Blutbank zur Überprü- Es werden folgende Richtwerte angegeben:
fung der Blutgruppe, der Kreuzprobe und ● Erwachsener:
therapie
Intraoperativer Verlustbedarf
Die Empfehlungen für den perioperativen Flüs-
sigkeitsbedarf sind zum Teil recht unterschied- Der intraoperative Verlustbedarf ergibt sich vor al-
lich, dies betrifft sowohl die Menge als auch die ! lem aus der Verdunstung über Wundflächen (z. B. er-
Art der zuzuführenden Flüssigkeit. öffnetes Abdomen) und durch Sequestration (= Ab-
sonderung) von Flüssigkeit in das durch die Opera
tion geschädigte ödematös aufquellende Gewebe.
144 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
große Bauchoperation):
8–10(–15) ml/kg KG/h Nachhol- oder Korrekturbedarf
Werden Operationen nach dem Fast-Track- Der Nachholbedarf ergibt sich aus dem Zeitraum
Konzept durchgeführt (→ S. 291), dann werden ! der Flüssigkeitskarenz sowie aus zusätzlichen vor-
für große Bauchoperationen meist nur ca. 6 ml/ bestehenden Flüssigkeitsmängeln, z. B. durch prä-
kg KG und für Thoraxeingriffe meist nur ca. 4 operatives Erbrechen, Durchfall, Sondenableitung.
945 ml
+ aktueller Verlustbedarf (z.B. Blutung)
Mittlere 6 ml/kg KG/h für Sequestration ins Gewebe und Verdunstung 420 ml
Gewebstrau- + 1,5 ml/kg KG/h Basisbedarf 105 ml
matisierung
+ Nachholbedarf (6-stündige Flüssigkeitskarenz, beim Er- 630 ml
wachsenen 100 % in der ersten Operationsstunde ersetzen)
1155 ml
+ aktueller Verlustbedarf (z.B. Blutung)
Ausgeprägte 10 ml/kg KG/h für Sequestration ins Gewebe und Verdunstung 700 ml
Gewebstrau- + 1,5 ml/kg KG/h Basisbedarf 105 ml
matisierung
+ Nachholbedarf (6-stündige Flüssigkeitskarenz, beim Er- 630 ml
wachsenen 100 % in der ersten Operationsstunde ersetzen)
1435 ml
+ aktueller Verlustbedarf (z.B. Blutung)
Wird allerdings eine Operation nach den Fast-Track-Prinzipien durchgeführt, dann wird die Sequestration nur zu ca.
60 % und der Nachholbedarf wird nicht ersetzt (vgl. Text).
Während für die Nüchternheit in Bezug auf fes Kleinkindern sehr schnell eine Entgleisung
te und dickflüssige Nahrung 6 Stunden gefor- des Wasser-Elektrolyt-Haushalts droht. Bei
dert werden, darf eine kleinere Menge an klarer einem Erwachsenen (70 kg KG) ist präoperativ
Flüssigkeit bis zu ca. 2 Stunden vor Narkosebe- häufig von einer mindestens 3-stündigen, zu-
ginn verabreicht werden, ohne dass Volumen meist aber noch von einer 6-stündigen Flüssig-
und pH-Wert des Magensaftvolumens negativ keitskarenz auszugehen. Der 70 kg schwere
beeinflusst werden (→ S. 5, 209, 238). Dies wird Erwachsene hat bei einem Basisbedarf von
insbesondere bei Kindern schon in vielen Anäs- 1,5 ml/kg KG/h nach 6 Stunden einen Nachhol-
thesieabteilungen so praktiziert. Hiermit kann bedarf von mindestens 1,5 × 70 × 6 = 630 ml.
das präoperative Flüssigkeitsdefizit möglichst Dieser Nachholbedarf aufgrund der Flüssig-
gering gehalten werden. Die empfohlenen Zeit- keitskarenz soll bei Erwachsenen zumeist in-
spannen für die Nahrungs- und Flüssigkeits nerhalb der ersten Operationsstunde ausge
karenz sollten möglichst nicht wesentlich über- glichen werden (vgl. Tab. 1-11 und 1-12). Bei
schritten werden, da u. a. bei Säuglingen und einer modernen, streng bedarfsadaptierten
146 1 Anästhesie – allgemeiner Teil
Säugling, 1 J., 10 kg KG
Leistenhernie (Operationszeit: 2 ml/kg KG/h für Sequestration 20 ml (10 ml)
30 min) ins Gewebe und Verdunstung
+ 5,0 ml/kg KG/h Basisbedarf 50 ml (25 ml)
+ Nachholbedarf (3 h Flüssigkeits- 75 ml (38 ml)
karenz, beim Kind 50 % in der ersten
Operationsstunde ersetzen)
145 ml (73 ml)
Kleinkind, 5 J., 20 kg KG
Appendektomie 6 ml/kg KG/h für Sequestration 120 ml (60 ml)
ins Gewebe und Verdunstung
+ 3,5 ml/kg KG/h Basisbedarf 70 ml (35 ml)
+ Nachholbedarf (4 h Flüssigkeits- 140 ml (70 ml)
karenz, beim Kind 50 % in der ersten
Operationsstunde ersetzen)
330 ml (165 ml)
konzentrate und kolloidale Plasmaersatzlösun- ven Visite und endet mit der Entlassung des
gen verabreicht werden. Körpereigene kolloida- Patienten aus dem Aufwachraum. Hierfür wer-
le Plasmaersatzlösungen werden nur noch sehr den vorgedruckte Narkoseprotokolle verwen-
selten verabreicht. Die kolloidosmotische Wir- det, die leider von Klinik zu Klinik meist unter-
kung der Plasmaproteine kann auch durch schiedlich gestaltet sind. Das Narkoseprotokoll
künstliche Kolloide (z. B. HES) erreicht werden. dient einerseits dem Anästhesisten als Gedächt-
Auch bei Säuglingen und Kleinkindern werden nisstütze, andererseits hat es juristische Bedeu-
inzwischen Proteinlösungen nur noch selten tung und ist insbesondere im Falle eines Narko-
verabreicht, da seit 2004 das HES-Präparat Vo- sezwischenfalls als Beweisstück zu betrachten.
luven® auch bei Neugeborenen, Säuglingen und Daneben ist es Grundlage für die spätere Wei-
Kindern zugelassen ist (vgl. S. 135). terbehandlung des Patienten. Außerdem kann
Bei Blutverlusten von mehr als ca. 70 % des es für die Leistungserfassung und Qualitätskon-
Blutvolumens mit Mangel an Erythrozyten, trolle sowie für wissenschaftlich-statistische
Plasmaproteinen und einem zusätzlichen Man- Auswertungen verwendet werden. Die Doku-
gel an Gerinnungsfaktoren sind neben Erythro- mentation wird vom Anästhesisten und/oder
zyten und kolloidalen Plasmaersatzlösungen von der Pflegekraft vorgenommen. Für die
zusätzlich noch Gerinnungsfaktoren in Form Richtigkeit der Dokumentation bürgt der ver-
von frisch gefrorenem Plasma (fresh frozen antwortliche Anästhesist mit seiner Unterschrift
plasma = FFP) zu verabreichen. Bei Massiv- auf dem Narkoseprotokoll.
transfusionen empfiehlt es sich, nach jeweils Moderne Narkoseprotokolle sind meist dreige-
(6–)8 Erythrozytenkonserven 3(–4) FFP-Kon- teilt. Auf dem ersten Blatt werden die Personali-
serven zu verabreichen. en des Patienten, die aktuelle Diagnose, der
Bei extremen Blutverlusten, bei denen außer- durchzuführende Eingriff, die Vorerkrankun-
dem noch ein Thrombozytenmangel anzuneh- gen des Patienten, vorherige Operationen und
men ist (Blutaustausch größer als das 1,5-Fache Narkosen, aktuelle Medikamente sowie die ver-
des normalen Blutvolumens), müssen neben ordnete Prämedikation notiert. Auf dem zwei-
Erythrozytenkonzentraten und kolloidalen ten Blatt werden die während des Eingriffs er-
Plasmaersatzlösungen auch Gerinnungsfakto- hobenen Messwerte sowie die vorgenommenen
ren in Form von FFP und Thrombozytenkon- anästhesiologischen Maßnahmen dokumen-
zentraten verabreicht werden. tiert. Dazu gehören insbesondere:
Um den Hb-Wert um 1 g % anzuheben, werden ● Dokumentation aller verabreichten Medika-
namap-Gerät) anhand des systolischen und ● Dokumentation von Beginn und Ende des
diastolischen Blutdrucks sowie anhand der operativen Eingriffs
Herzfrequenz kontrolliert. Es ist eine 5-mi- ● Dokumentation einer abschließenden Bilanz
nütige Kontrolle und Dokumentation zu for- der ein- und ausgeführten Flüssigkeiten
dern. Bei beatmeten Patienten müssen alle
für die Beatmungseinstellung maßgeblichen Auf einem dritten Blatt wird die Überwachung
Größen wie Atemfrequenz, Atemhubvolu- im Aufwachraum dokumentiert (→ S. 321).
men, Atemminutenvolumen, Beatmungs- Alle erhobenen Parameter und durchgeführten
drücke, Beginn und Ende der Beatmung usw. Maßnahmen sind zu dokumentieren. Außer-
dokumentiert werden. dem sind hier evtl. Verordnungen für die post-
● Dokumentation der Flüssigkeitszufuhr: operative Nachbehandlung auf der Station zu
Bezeichnung und Menge der infundierten vermerken.
oder transfundierten Flüssigkeiten sind zu Von besonderen Vorkommnissen, wie z. B. ei-
protokollieren. Bei Blut oder Blutkompo- ner Reanimation, einem Transfusionszwischen-
nenten ist zusätzlich die entsprechende Kon- fall oder dem Ausbrechen eines Zahns bei der
serven- und Chargennummer zu notieren. Intubation, sollte zusätzlich noch ein gesonder-
● Dokumentation aller Flüssigkeitsverluste, tes ausführliches Protokoll angefertigt werden.
insbesondere Urinausscheidung, Verluste Das Original des Narkoseprotokolls bleibt im
über Drainagen, Sonden, Blutungen usw. Besitz des entsprechenden Anästhesieinstituts,
● Dokumentation aller Gefäßpunktionen un- der Durchschlag kommt zu der Patientenakte.
ter Angabe des Punktionsortes sowie des
dazu verwendeten Punktionsmaterials
Dokumentation aller sonstigen invasiven
1.23 Gefahren
●
(ca. 16-fach)
Kommt es zu einem Kontakt zwischen einer ● sichtbaren frischen Blutspuren auf dem ver-
von der Deutschen und Österreichischen AIDS- oder Arterie platziert war (ca. 5-fach)
● hoher Viruslast der infizierten Kontaktperson dadurch das Penicillin inaktivieren konnte.
(z. B. akute HIV-Infektion, AIDS ohne antivi- Anfang der 1960er Jahre wurden mit den
rale Therapie; ca. 6-fach) Isoxazolylpenicillinen (→ S. 387) neue Penicil-
linantibiotika eingeführt, bei denen der β-
Das Risiko einer Serokonversion nach Kontakt Lactam-Ring (aufgrund einer geänderten Mole
von HIV-haltigem Blut mit Schleimhäuten külstruktur) so geschützt war, dass die
(oder mit entzündeter Haut) wird mit 0,03 % β-Lactamasen den β-Lactam-Ring nicht mehr
angegeben. spalten konnten. Allerdings wurden bald nach
Für eine evtl. medikamentöse Postexpositions- Einführung des ersten Isoxazolylpenicillins, des
prophylaxe wird eine Kombination von 3 anti- Methicillins, bereits methicillinresistente Sta-
retroviral wirksamen Substanzen empfohlen phylococcus-aureus-Stämme (= MRSA) beschrie-
(z. B. Retrovir®, Epivir®, Viracept®). Die pro- ben. Diese Stämme weisen auch eine Resistenz
phylaktische Behandlung wird normalerweise gegen alle anderen Antibiotika auf, die einen
über 28 Tage durchgeführt. β-Lactam-Ring enthalten (= β-Lactam-Anti-
Ein maximaler Schutz ist wahrscheinlich nur biotika), also gegen alle Penicilline, Cefalospo-
dann zu erzielen, wenn noch innerhalb von 2 rine, Carbapeneme und Monobactame. Außer-
Stunden die Postexpositionsprophylaxe begon- dem sind diese Stämme gegen fast alle
nen wird. Nach einer perkutanen oder intrave- staphylokokkenwirksamen Antibiotika resis
nösen Exposition ist eine Prophylaxe vermut- tent. Anstatt von methicillinresistenten Sta
lich sinnlos, wenn sie erst nach 24 Stunden phylococcus-aureus-Stämmen wird daher oft
begonnen wird. Nach einer Schleimhautexposi- von multiresistenten Staphylococcus-aureus-
tion ist eine Prophylaxe vermutlich sinnlos, Stämmen gesprochen. Bei MRSA-Stämmen
wenn sie erst nach 72 Stunden beginnt. liegt in der Bakterienwand ein verändertes pe-
Bis 2001 sind in Deutschland 41 HIV-Infektio- nicillinbindendes Protein vor. Dadurch können
nen bei medizinischem Personal als berufsbe- Penicilline und andere β-Lactam-Antibiotika
dingt anerkannt worden. nicht an dieses penicillinbindende Protein der
Bakterienwand binden und deshalb können
Da dem medizinischen Personal vermutlich bei ei- diese Antibiotika trotz normalerweise wirksa-
! nem Großteil der HIV-positiven Patienten die In- mer Plasmakonzentration die Synthese der
fektiosität nicht bekannt ist, muss bei jedem Pati- Bakterienwand nicht mehr behindern.
enten so sorgfältig vorgegangen werden, als wäre Inzwischen sind in den westeuropäischen Län-
er HIV-positiv. dern (z. B. Frankreich, Portugal, Spanien) über
30 % der Staphylococcus-aureus-Infektionen be-
reits durch MRSA bedingt.
1.23.3 MRSA-positive Patienten Die zunehmende Verbreitung von methicillin(-
multi-)resistenten Staphylococcus-aureus-Stäm-
Als 1928 von Alexander Fleming das Penicillin men (MRSA) stellt ein großes Problem dar.
entdeckt wurde, waren damals noch alle Staphy- Staphylokokken sind beim Menschen oft auf
lococcus-aureus-Stämme auf Penicillin sensibel. der Haut sowie den Schleimhäuten des Nasen-
1944 wurden erste penicillinresistente Staphylo- Rachen-Raumes zu finden. Von den verschie-
coccus-aureus-Stämme bekannt und Ende der denen Staphylococcusstämmen weist Staphylo-
1950er Jahre waren bereits 60 % aller Staphylo- coccus aureus die stärkste Infektionskraft
coccus-aureus-Stämme resistent gegen Penicil- (Virulenz) auf. Auch MRSA können Haut und
lin. Diese Resistenz war dadurch bedingt, dass Schleimhäute besiedeln. MRSA sind vor allem
bestimmte Staphylococcus-aureus-Stämme das bei Krankenhauspatienten oder bei Patienten
Enzym β-Lactamase bilden konnten, das den aus Pflege- oder Altenheimen nachweisbar. Bei
β-Lactam-Ring der Penicilline spalten und gesunden Personen lassen sich dagegen nur sel-
1.23 Gefahren für das Anästhesiepersonal 153
ten MRSA nachweisen. Bevorzugte Stellen (Prä- der Bereichs- bzw. Berufskleidung gerechnet
dilektionsstellen) sind Nasenvorhof, Stirn- werden muss. Nach Beendigung dieser Tä-
Haar-Grenze und Achselhöhle. tigkeit sind Schutzkittel und Einmalhand-
MRSA-Stämme sind nicht virulenter als andere schuhe zu entsorgen und es ist anschließend
Staphylococcus-aureus-Stämme. Sie kommen eine klinische Händedesinfektion durchzu-
allerdings meist bei schwer kranken Patienten führen.
vor. Der Nachweis von MRSA ist jedoch nicht ● Die Narkoseeinleitung erfolgt nicht im Ein-
gleichbedeutend mit einer Infektion. In ca. 70 % leitungsraum, sondern direkt im Operati-
handelt es sich lediglich um eine Besiedelung onssaal. Die Patienten werden deshalb über
(Kolonisation) und nur in ca. 30 % liegt eine den unreinen Ausleitungsraum direkt in den
MRSA-Infektion vor. Eine MRSA-Kolonisation Operationssaal gefahren. Auch die Vorberei-
kann allerdings für Monate oder gar Jahre be- tung der Patienten für die Narkose erfolgt im
stehen bleiben. Solche Patienten stellen ein Operationssaal (z. B. Aufkleben der EKG-
MRSA-Reservoir dar. Elektroden, Anlegen eines venösen Zugan-
Die wichtigsten Ursachen für die Ausbreitung ges).
von MRSA sind: ● Der Narkosewagen soll im Einleitungsraum
vor und nach dem Patientenkontakt Tisch für die Narkoseutensilien hergerichtet.
● Selektion von MRSA durch fehlerhafte Anti- Der herzurichtende Medikamententisch soll
biotikatherapie (z. B. Antibiotikaprophylaxe, nur mit den notwendigen Medikamenten und
unzureichende Dosierung, ungezielte Antibio- Verbrauchsmaterialien bestückt sein. Dieser
tikatherapien) Tisch (nicht jedoch der Narkosewagen) wird
im Operationssaal bei der Narkose verwendet.
Die wichtigsten Regeln, die bei der Betreuung
von MRSA-Patienten im Operationssaal zu be-
achten sind, werden nachfolgend beschrieben. Hygienemaßnahmen
während der Operation
Hygienemaßnahmen ● Während der Narkose sind Schutzkittel und
vor der Operation Einmalhandschuhe zu tragen.
● Nach Kontakt mit einem MRSA-Patienten
● Die Patientenakten sind auf der Station in ist eine hygienische Händedesinfektion
eine Schutzhülle (Kunststoffbeutel oder durchzuführen.
Ähnliches) zu verpacken und so dem Patien- ● Während des Eingriffs sollte der Operations-
ten mit in den OP mitzugeben. saal nicht verlassen werden. Sind zusätzliche
● Beim Einschleusen der Patienten muss das Materialien notwendig, so sind diese von ei-
schleusende Personal Schutzkittel und Ein- ner anderen Person von außen in den OP-
malhandschuhe tragen. Die Patientenschleu- Saal nachzureichen.
se ist anschließend zu reinigen und einer ● Während des Eingriffs sind alle Türen ge-
verbleiben, bis sie wieder ausreichend fit sind ● Der für die Ablage von Narkoseutensilien
und unter Umgehung des Aufwachraumes benutzte Tisch wird gereinigt und einer
wieder direkt auf Station verlegt werden kompletten Wischdesinfektion unterzogen.
können. MRSA-Patienten sind daher aus or- Nicht verbrauchte Materialien sind desinfi-
ganisatorischen Gründen möglichst am zierend aufzubereiten oder zu verwerfen.
Ende des Operationsprogrammes zu operie- ● Das Narkosegerät wird gereinigt und einer
Wischdesinfektion des Fußbodens, bevor das filter zu wechseln, da mit einer Kontaminati-
Fahrgestell für den Operationstisch aus dem on von außen zu rechnen ist.
Operationssaal gefahren wird. ● Der Operationssaal kann eine Stunde nach
schleusen des Patienten zur Desinfektion in hen sind: Vorsicht bei Korrektur des Mund-
den Operationssaal zurückgefahren. schutzes, der Brille usw.
● Das schleusende Personal hat danach die ● Ein Händedesinfektionsmittel ist auf den
eine neue Bereichskleidung anzulegen. zu legen. Dieser ist nach Beendigung der
● Wäscheabwurf und benutzte Schuhe sind Narkose zu verwerfen oder zu desinfizieren.
anschließend durch den Reinigungsdienst ● Das Narkoseprotokoll ist nach Beendigung
Tab. 2-1 Dosierung, Anschlagszeit und Wirkdauer häufig verwendeter Lokalanästhetika. Die älteren Substanzen
vom Estertyp werden inzwischen nur noch sehr selten verwendet.
Wirkstoff Handelsname Maximale Einzeldosis Anschlags- Wirkdauer
(Beispiele) ohne Adrenalin mit Adrenalin zeit (h)
in mg/kg KG beim Erwachsenen
bzw. mg/Erwachsener (E)
Lokalanästhetika vom Amidtyp
Lidocain Xylocain® 3 mg/kg KG 7 mg/kg KG S 1,5–2,5
200 mg/E 500 mg/E
Mepivacain Meaverin®, 4 mg/kg KG 7 mg/kg KG S 2–4
Scandicain® 300 mg/E 500 mg/E
Prilocain Xylonest® 6 mg/kg KG 8,5 mg/kg KG S 2–4
400 mg/E 600 mg/E
Bupivacain Carbostesin®,, 2 mg/kg KG 2 mg/kg KG L 3–8
Bupivacain 150 mg/E 150 mg/E
Levobupivacain1 Chirocain® 2 mg/kg KG 2 mg/kg KG L 3–8
150 mg/E 150 mg/E
Ropivacain Naropin® 3 mg/kg KG 3 mg/kg KG L 3–8
250 mg/E 250 mg/E
Lokalanästhetika vom Estertyp (werden inzwischen in der Anästhesie nicht mehr eingesetzt)
Procain Novocain® 500 mg/E 600 mg/E L 0,5–1
Tetracain 100 mg L 3–8
S = schnelle, M = mittelschnelle, L = langsame Anschlagszeit.
1
Zurzeit in Deutschland nicht im Handel, aber z. B. in Österreich.
sierung)
nur von der verabreichten Dosis, sondern auch der Wahl. Hiermit wird die zerebrale
z. B. von den Resorptionsbedingungen in dem Krampfschwelle erhöht und zerebrale Erre-
Gewebe abhängt, können keine verbindlichen gungszustände sowie Krämpfe können un-
Maximaldosierungen angegeben werden. Es terdrückt werden.
wird daher anstatt von Maximaldosierungen oft ● Verabreichung eines Benzodiazepins wie
von empfohlener Grenzdosierung gesprochen. z. B. Diazepam (5–10 mg i. v.) oder Midazo-
lam anstatt eines Barbiturats
● Hyperventilation:
Gehirn Der Patient sollte zum tiefen Durchatmen (=
hyperventilieren) aufgefordert werden.
Bei toxisch hoher Blutkonzentration eines Lo- Durch eine Hyperventilation kommt es zum
kalanästhetikums wird dieses auch an den er- Abfall des CO2-Wertes im Blut, wodurch die
regbaren Strukturen des Gehirns anfluten und zerebrale Krampfschwelle gegenüber Lokal-
dort ebenfalls eine, allerdings unerwünschte, anästhetika erhöht wird. Bei einer schweren
Membranstabilisierung erzeugen. Intoxikation mit einer zerebralen Depression
Normalerweise stehen im ZNS hemmende und muss der Patient beatmet werden, wobei
erregende Neurone im Gleichgewicht. ebenfalls eine Hyperventilation anzustreben
ist. Lässt sich ein Patient aufgrund von zere-
Die hemmenden Neurone werden durch Lokal- bralen Krämpfen nicht beatmen, so kann
! anästhetika früher blockiert, sodass es bei an- eine Relaxation (mit z. B. Succinylcholin)
steigender toxischer Blutkonzentration zuerst notwendig werden.
zur Ausschaltung dieser hemmenden Neurone ● Sauerstoffverabreichung
kommt. Damit überwiegen die erregenden Neu- ● Intubation, künstliche Beatmung und kreis-
rone, und es wird somit verständlich, dass es zu- laufstabilisierende Maßnahmen können bei
erst zu Erregungszuständen, Unruhe, Muskelzu einer schweren Intoxikation mit Bewusstlo-
ckungen, metallischem Geschmack, Schwindel, sigkeit, Atem- und Herz-Kreislauf-Depressi-
Seh-, Hör- sowie Sprachstörungen und Krämpfen on notwendig werden.
kommt. Charakteristisch sind auch Parästhesien ● 20%ige Lipidlösung:
im Bereich von Zunge und Mund. Die sofortige Gabe einer 20%igen Lipidlö-
sung (wie sie im Rahmen der parenteralen
Bei noch höheren toxischen Blutkonzentratio- Ernähung zum Einsatz kommt; → S. 378)
nen kommt es zur Dämpfung auch der erregen- stellt eine relativ neue Therapiemaßnahme
den zerebralen Strukturen, also zur allgemeinen dar, falls es nach einer versehentlichen intra-
Dämpfung des Gehirns mit Bewusstlosigkeit, vasalen Injektion größerer Mengen an Bupi-
zentraler Atemdepression, zentraler Kreislauf- vacain oder Ropivacain zu schweren neuro-
depression mit Blutdruck- und Herzfrequenz- logischen und kardiologischen toxischen
abfall. Nebenwirkungen kommt. Als Dosierung
werden 2 ml/kg KG als Bolus (und anschlie-
Therapie ßend 0,5 ml/kg KG/min über 1 h) empfoh-
Zur Therapie einer Intoxikation mit zerebraler len. Die gut fett-(lipid-)löslichen Lokalanäs-
Überregbarkeit stehen folgende Optionen zur thetika Bupivacain und Ropivacain sollen
Verfügung: sich hierbei in der erzeugten Lipidphase des
● Ein Barbiturat (z. B. Thiopental 1–2 mg/ Blutes lösen und dadurch gebunden und
kg KG i. v.) ist bei leichten Intoxikationen mit biologisch inaktiviert werden.
zerebralen Erregungszuständen das Mittel
158 2 Lokal- und Regionalanästhesie
Herz kann. Dies ist vor allem bei den älteren Lokal-
anästhetika vom Estertyp bekannt (durch das
Treten versehentlich sehr hohe toxische Blut- Abbauprodukt para-Aminobenzoesäure). Bei
konzentrationen eines Lokalanästhetikums auf, den neuen Lokalanästhetikaverbindungen vom
so wird das Lokalanästhetikum auch am Reiz- Amidtyp (vgl. Tab. 2-1) sind anaphylaktoide
leitungssystem des Herzens anfluten und dort Reaktionen extrem selten. Die Therapie und die
ebenfalls eine, allerdings unerwünschte, Mem- Prophylaxe anaphylaktoider Reaktionen wer-
branstabilisierung erzeugen. Eine Dämpfung den ausführlich auf den Seiten 219 f. beschrie-
des Reizleitungssystems äußert sich vor allem in ben.
Bradykardie, AV-Blockierungen, Abnahme der
Herzkraft sowie in einem Blutdruckabfall, unter
Umständen in einem Herzstillstand. 2.3.3 Sonstige Nebenwirkungen
Einige Lokalanästhetika (z. B. Lidocain) wurden
früher oft intravenös gegeben, um deren mem- Den Lokalanästhetika kann Adrenalin (→ S.
branstabilisierende Wirkung am Herzen auszu- 302) im Verhältnis 1 : 200 000 zugesetzt werden,
nützen. Inzwischen werden Natriumkanalblo wodurch eine lokale Vasokonstriktion erreicht
cker (= Klasse-I-Antiarrhythmika) seltener zur wird. Ein Milliliter einer adrenalinhaltigen Lo-
Therapie von tachykarden Herzrhythmusstö- kalanästhetikalösung enthält 5 µg Adrenalin.
rungen eingesetzt. Mittlerweile werden bei Damit kann die Resorption verzögert, die Wir-
schweren tachykarden Herzrhythmusstörungen kungsdauer verlängert und toxische Nebenwir-
zumeist Kaliumkanalblocker (= Klasse-III- kungen können vermindert werden. Mögliche
Antiarrhythmika) wie Amiodaron (Cordarex; Gefahren sind jedoch Blutdruck- und Herz
ca. 3 mg/kg KG langsam i. v.) eingesetzt. frequenzanstiege, falls es dennoch zur Resorp
tion des adrenalinhaltigen Lokalanästhetikums
Therapie kommen sollte. Kontraindiziert ist die Anwen-
Die Therapie einer schweren Intoxikation mit dung eines Adrenalinzusatzes in Gebieten mit
Herz-Kreislauf-Depression erfolgt symptoma- Endarterien wie Finger, Ohr, Nase und Penis.
tisch; infrage kommen Maßnahmen wie: Hier könnte es durch die Vasokonstriktion zu
● Sauerstoffverabreichung und ggf. künstliche Nekrosen aufgrund einer Mangeldurchblutung
Beatmung kommen. Bei Verabreichung größerer Dosen
● Volumengabe und vasokonstringierende (= von Prilocain (Xylonest®) kann es zur Anhäu-
gefäßverengende) Medikamente wie Akrinor® fung des Abbauproduktes ortho-Toluidin kom-
oder Adrenalin (→ S. 302) bei Hypotonie men. Dieses oxidierende Abbauprodukt über-
● 20%ige Lipidlösung (→ S. 157) führt Hämoglobin in Methämoglobin. Bei
● unter Umständen kardiopulmonale Reani- hohen Methämoglobinkonzentrationen muss
mation bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand unter Umständen eine reduzierende Substanz
(→ S. 526) (z. B. Methylenblau 2 %; 1–3 mg/kg KG) verab-
reicht werden.
2.3.2 Anaphylaktoide
Nebenwirkungen
2.4 Verschiedene Formen
Eine weitere mögliche Nebenwirkung der Lo-
kalanästhetika ist eine anaphylaktoide Reakti- Das Ziel der Lokal- und Regionalanästhesie, näm-
on, die sich z. B. als Urtikaria (= Quaddelbil- ! lich die Unterbrechung der Schmerzleitung von
dung), als Asthmaanfall, als Blutdruckabfall der Körperperipherie zum Gehirn, kann auf ver-
oder gar als anaphylaktoider Schock äußern schiedenen Ebenen vorgenommen werden.
2.4 Verschiedene Formen 159
2.4.1 Lokalanästhesie
Oberflächenanästhesie
Beispiel
● Einspritzen eines lokalanästhetikumhaltigen
Medikamente
● Lidocain 2–4 %
● Mepivacain 2 %
Tab. 2-2 Klassifizierung der Nervenfasertypen sowie ihre Blockierbarkeit durch Lokalanästhetika
Fasertyp Durchmesser Myelinisiert Blockierbarkeit Funktion
(µm) durch Lokal-
anästhetika
A-Fasern Alpha 12–20 ja + Motorik
Beta 5–12 ja ++ Druck, Berührung
Gamma 3–6 ja +++ Muskelspindeln
Delta 2–5 ja ++++ Temperatur und gut
lokalisierbarer Erstschmerz
B-Fasern <3 ja ++++++ präganglionäre sympa-
thische Fasern
(Gefäßengstellung)
C-Fasern 0,3–1,2 nein +++++ schlecht lokalisierbarer
Zweitschmerz
+ bis ++++++ = je mehr +-Zeichen, desto leichter ist ein Nervenfasertyp durch Lokalanästhetika zu blockieren
2.4 Verschiedene Formen 161
Tab. 2-4 Empfohlene Zeitintervalle der letzten Gabe eines Antihrombotikums oder Thrombozytenaggregationshem-
mers vor und der ersten Gabe nach rückenmarksnaher Punktion oder Katheterentfernung
Wirkstoffgruppe oder Vor Punktion Nach Punktion oder Laborkontrolle
Wirkstoff oder Katheter- Katheterentfernung1
entfernung1
Unfraktionierte Heparine > 4 h > 1 h Thrombozyten bei Therapie
(Prophylaxe: ≤ 15 000 IE/d) > 5 d
Unfraktionierte Heparine > 4–6 h > 1 h (keine i. v. Bolus- aPTT, (ACT), Thrombozyten
(Therapie) gabe)
Niedermolekulare Heparine > 12 h > 2–4 h Thrombozyten bei Therapie
(Prophylaxe2) > 5 d
Niedermolekulare Heparine > 24 h > 2–4 h Thrombozyten (Anti-Xa)
(Therapie)
Fondaparinux (Prophylaxe: > 36–42 h > 6–12 h (Anti-Xa)
≤ 2,5 mg/d)
Vitamin-K-Antagonisten INR < 1,4 nach Katheterentfernung INR
Hirudine (Lepirudin, Desirudin) > 8–10 h > 2–4 h aPTT, ECT
Argotroban3 4 h 2 h aPTT, ECT, ACT
Acetylsalicylsäure (100 mg)4 keine (in bisherigen keine
Richtlinien: > 3 d)
Clopidogrel > 7 d nach Katheterentfernung
Ticlopidin > 10 d nach Katheterentfernung
Nicht steroidale Antirheumati- keine (in bisherigen keine
ka (NSAR) Richtlinien: > 24 h)
Prophylaxe: niedrige Dosierung, wie sie im Rahmen der Thromboseprophylaxe indiziert ist; Therapie: höhere Dosie-
rung, wie sie im Rahmen einer therapeutisch wirksamen Antikoagulation indiziert ist. Anti-Xa = Anti-Faktor-Xa-Ein-
heiten; ACT = activated clotting time; aPTT = aktivierte partielle Thromboplastinzeit; ECT = ecarin clotting time.
1
Alle Zeitangaben beziehen sich auf Patienten mit einer normalen Nierenfunktion.
2
Prophylaktische Dosierungen für NMH bei Hochrisikopatienten sind in Tabelle 2-3 aufgeführt.
3
verlängertes Intervall bei Leberinsuffizienz
4
NMH einmalig pausieren, kein NMH 36–42 h vor der Punktion oder der geplanten Katheterentfernung
Medikamente
● Lidocain 1–1,5 %
● Mepivacain 1–1,5 %
● Prilocain 1 %
● Bupivacain 0,25–0,5 %
Abb. 2-3 Punktionstechnisches Vorgehen bei der
● Levobupivacain 0,25 %
Oberst-Nervenblockade (genaues Vorgehen → Text)
lis kann im Halsbereich sowie unmittelbar un- 165), evtl. ein Ultraschallgerät (mit 10-Me-
terhalb des Schlüsselbeins oder in der Achsel- ga-Herz-Schallkopf)
höhle ausgeschaltet werden. ● steriles Verbandsmaterial für die Punktions-
Arteria axillaris palpiert. In dieser Armposition Hierzu empfiehlt es sich, evtl. eine sog. „immo-
liegt der Nervus radialis hinter und etwas ober- bile Nadel“ zu verwenden. Dies ist eine speziel-
halb der Arteria axillaris, der Nervus ulnaris le, etwas stumpfere Kanüle, die über ein kurzes
liegt hinter und etwas unterhalb der Arterie, der Schlauchstück mit der Injektionsspritze ver-
Nervus medianus liegt vor der Arteria axillaris. bunden wird (vgl. Abb. 2-5a). Durch den stump-
Die Arteria axillaris sowie die 3 sie umgeben- fen Anschliff kann meist ein Klick beim Durch-
den Nerven werden von einer Faszienscheide stechen der Gefäß-Nerven-Scheide erfasst
umgeben. Direkt über der Arterie wird die vor- werden.
aussichtliche Punktionsstelle der Haut mit einer
Hautquaddel betäubt. Wichtig ist, dass das Lokalanästhetikum sicher
Früher wurde die axillare Blockade meist fol- ! innerhalb dieser Gefäß-Nerven-Scheide injiziert
gendermaßen durchgeführt: Mit einer norma- wird. Dann genügt meist ein einziges Depot, um
len Stahlkanüle wurde unmittelbar kranial der alle 3 Nerven (vgl. Abb. 2-6) auszuschalten, da
Arteria axillaris in verschiedene Richtungen sich das Lokalanästhetikum nur innerhalb der Ge-
punktiert, bis mit der Kanülenspitze z. B. der fäß-Nerven-Scheide ausbreiten kann.
Nervus radialis mechanisch irritiert wurde. War
dies der Fall, so gab der Patient ein elektrisie- Da die „immobile Nadel“ durch eine Zuspritz-
rendes Gefühl, sog. Parästhesien, im Versor- leitung von der Spritze getrennt ist, braucht bei
gungsbereich des Nervus radialis an. Die Kanü- Manipulationen an der Spritze keine Verlage-
le wurde nun minimal zurückgezogen und das rung der Punktionskanüle befürchtet werden
Lokalanästhetikum injiziert. Ähnlich wurde der (vgl. Abb. 2-5b).
Nervus medianus aufgesucht. Nach erneuter Zum Aufsuchen des Plexus brachialis sollte in-
Punktion unterhalb der Arteria axillaris wurde zwischen möglichst ein sog. Nervenstimulator
auf dieselbe Weise auch der Nervus ulnaris auf- verwendet werden (vgl. Abb. 2-7). Die hierzu
gesucht und blockiert. benötigte spezielle Punktionskanüle (Elektro-
stimulationskanüle) wird über ein Kabel mit
Durch absichtliches Auslösen von Parästhesien dem Nervenstimulator verbunden, an dem ein
! kann es jedoch zu Nervenverletzungen mit blei- Reizstrom bestimmter Stärke und bestimmter
benden Nervenschäden kommen. Deshalb wird Frequenz eingestellt werden kann. Ein zweites
inzwischen versucht, das Auslösen von Parästhe- Kabel muss an eine in der Nähe der Punktions-
sien zu vermeiden. stelle auf die Haut geklebte EKG-Elektrode
166 2 Lokal- und Regionalanästhesie
Hierbei kann die Kanülenposition sowie die tion der Arteria axillaris:
korrekte (sichel- oder ringförmige) Ausbreitung Da die Ausbreitung des Hämatoms durch die
des Lokalanästhetikums um die Nerven herum Gefäß-Nerven-Scheide behindert ist, kann
kontrolliert werden. Außerdem können mittels es durch das Hämatom innerhalb der Gefäß-
Ultraschall auch z. B. punktionsgefährdete Struk- Nerven-Scheide zu einer Kompression und
turen (z. B. Arteria axillaris) dargestellt werden. einer Druckschädigung der dort verlaufen-
Nach der Injektion des Lokalanästhetikums den Nerven kommen. 5 Minuten kompri-
wird die Punktionsstelle mit sterilem Verbands- mieren!
material bedeckt. ● intravasale Injektion
● anaphylaktoide Reaktion
in der Axilla:
Sie sind stets vorher (!) auszuschließen.
Rückenmarksnahe
Leitungsanästhesien
Spinalanästhesie
Anatomie
Das Rückenmark endet normalerweise auf der
Höhe des ersten bis zweiten Lendenwirbels (=
L1/L2), selten erst bei L2/L3 (vgl. Abb. 2-8). Un-
terhalb davon befindet sich in dem von der
Dura umgebenen Spinalraum nur noch die aus
Nervenfasern bestehende Cauda equina (wört-
lich übersetzt: „Pferdeschweif “). Spinalpunk-
tionen dürfen daher nur unterhalb von L3
durchgeführt werden, damit das Rückenmark
nicht versehentlich verletzt wird. Die Fasern der
Cauda equina weichen dagegen einer eindrin-
genden Kanüle leicht aus. Die häufigste Punkti-
onsstelle ist zwischen dem dritten und vierten
Lendenwirbel (= L3/L4).
Bei der Punktion des Spinalkanals dringt die
Kanüle durch folgende Strukturen (vgl. Abb.
2-9):
1 = Haut
2 = subkutanes Fettgewebe
3 = Ligamentum supraspinale (Band, das von
einer Dornfortsatzspitze zur nächsten zieht) Abb. 2-8 Lage des Rückenmarks im Spinalkanal (Ende
4 = Ligamentum interspinale (Band, das sich des Rückenmarks bei L1/L2; übliche Punktionshöhe L3/
zwischen den Dornfortsätzen befindet) L4)
5 = Ligamentum flavum (= gelbes, elastisches,
aber sehr festes, derbes Band, das sich zwi- nengeflechten und ist nur einige Millimeter
schen den Wirbelbögen befindet) breit)
6 = Periduralraum (besteht aus lockerem Bin- 7 = Dura (= harte Hirnhaut)
degewebe, Fettgewebe sowie reichlich Ve- 8 = Spinalraum (mit Liquor und Cauda equina)
2.4 Verschiedene Formen 169
Abb. 2-9 Lendenwirbelsäule. 1 = Haut; 2 = subkutanes Abb. 2-10 Sitzende Lagerung zum Anlegen einer rü
Fettgewebe; 3 = Ligamentum supraspinale; 4 = Liga- ckenmarksnahen Leitungsanästhesie
mentum interspinale; 5 = Ligamentum flavum; 6 = Peri-
duralraum; 7 = Dura; 8 = Spinalraum mit Cauda
equina.
Material
● sterile Handschuhe, Mundschutz und Kopf-
haube
● Desinfektionslösung
der Punktionsstelle
● Lokalanästhetikum für die Spinalanästhesie
enthält:
– Gefäß für die Desinfektionslösung Abb. 2-11 Seitenlagerung zur Anlage einer rücken-
– sterile Tupfer und Kompressen marksnahen Leitungsanästhesie
– Stieltupfer
– steriles Lochtuch
– 2-ml-Spritze für die Lokalanästhesie Führungskanüle (→ S. 170) für die dünne
– 5-ml-Spritze für die Spinalanästhesie Spinalkanüle
– Stahlkanülen zum Aufziehen der Medika- – Spinalkanüle (z. B. 24 oder 25 G)
mente und zur lokalen Betäubung der ● steriles Verbandsmaterial für die Punktions-
Abb. 2-13 Durchführung einer Lokalanästhesie Abb. 2-15 Einführung der Spinalkanüle durch die
Führungskanüle
leicht nach kranial verlaufen. Da die Bindege- so muss der Mandrin wieder eingeführt und die
websfasern der zu durchstechenden Dura von Kanüle etwas weiter vorgeschoben werden.
kranial nach kaudal verlaufen, empfiehlt es sich, Kommt es beim Vorstechen zum Knochenkon-
den Anschliff einer Spinalkanüle mit Quincke- takt, so muss die Stichrichtung der Spinalkanüle
Schliff nach lateral zu halten. Hierdurch werden korrigiert werden. Häufig kann die Duraperfora-
die Bindegewebsfasern der Dura beim Vorste- tion als zarter Klick empfunden werden. Nach
chen auseinandergedrängt. Wird der Kanülen- der Entfernung des Mandrins tropft nun lang-
anschliff nach kranial oder kaudal gerichtet, so sam Liquor ab (vgl. Abb. 2-16 und 2-17). Die Ka-
werden diese Bindegewebsfasern der Dura nüle wird um 90 Grad gedreht, sodass der Kanü-
durchtrennt und es entsteht ein größeres Loch in lenschliff nun normalerweise nach kranial zeigt.
der Dura. Durch Entfernen des Mandrins aus Wenn versehentlich ein Gefäß perforiert wurde,
der Spinalkanüle kann geprüft werden, ob bereits sind manchmal die ersten Liquortropfen blutig
Liquor abtropft, das heißt, ob die Kanülenspitze gefärbt. Beim Abtropfen des Liquors werden die
im Spinalraum liegt. Falls dies nicht der Fall ist, Tropfen jedoch bald klar.
172 2 Lokal- und Regionalanästhesie
Medikamente
● 2–4 ml Bupivacain 0,5 % isobar oder hyper-
bar (→ unten)
● 3–4(–5) ml Ropivacain 0,5% isobar (für eine
● 3 ml Levobupivacain 0,5 %
● spezifisches Gewicht des Lokalanästheti- Durch das in die Dura gestochene Loch kann
kums (hyper- oder isobar) Liquor aus dem Spinalraum in den Peridu-
● Lagerung des Patienten bei und nach der In- ralraum abfließen. Durch diesen Liquorver-
jektion lust kann es evtl. zu geringfügigen Verlage-
● Höhe des Punktionsortes rungen des Gehirns und des Rückenmarks
mit Zug an den Hirnhäuten kommen. Da-
Angestrebt wird meist eine Ausbreitung der durch können starke, meist Analgetika-un-
Analgesie bis ungefähr Nabelhöhe (= Th10; vgl. empfindliche Kopfschmerzen auftreten. Je
Abb. 2-19). höher der Liquordruck, desto mehr Liquor
Die Wirkung der Spinalanästhesie beginnt fast wird abfließen und desto stärker wird der
unmittelbar. Die dünnen Sympathikusfasern Kopfschmerz sein. Beim stehenden Patien-
(→ S. 160) werden als Erstes blockiert. Da sie ten ist der Liquordruck im Bereich der Punk-
unter anderem für den Gefäßtonus verantwort- tionsstelle besonders hoch. Hierdurch ist ein
lich sind, kommt es durch ihre Ausschaltung zu manchmal starker Kopfschmerz zu erklären,
einer Vasodilatation, zu einer Rötung und ei- der auftritt, sobald sich der Patient erhebt.
nem Wärmegefühl in der betreffenden Region. Durch prophylaktisches Flachliegen wäh-
Oft geben die Patienten noch während der In- rend der ersten 24 Stunden nach einer Spi-
jektion ein beginnendes Wärmegefühl in den nalanästhesie können postspinale Kopf-
Beinen an. schmerzen allerdings nicht verhindert,
sondern höchstens hinausgezögert werden.
Folge dieser Vasodilatation ist meist ein Blutdruck- Die Häufigkeit eines postspinalen Kopf-
! abfall, der sehr schnell auftreten und unter Um- schmerzes soll bei jungen Patienten höher
ständen bedrohlich sein kann. Je höher die Spi- sein als bei älteren. Durch Verwendung einer
nalanästhesie aufsteigt, desto stärker ist der Blut- möglichst dünnen Spinalkanüle (z. B. 24, 25,
druckabfall. Es können deshalb bereits vor (!) An- 26 oder 27 G) oder einer sog. Whitacre- oder
lage einer Spinalanästhesie ungefähr 500 ml Flüs- Sprotte-Kanüle (spitz zulaufende Kanüle mit
sigkeit infundiert werden. seitlichem Loch; bleistiftspitzenartige Kanü-
lenspitze; Pencil-Point-Kanüle) kann die
Austesten der Ausbreitung Häufigkeit postspinaler Kopfschmerzen ver-
Hierzu eignet sich am besten ein Eiswürfel oder mindert werden. Im Falle eines therapieresis
ein alkoholgetränkter Tupfer bzw. ein Desinfek- tenten, länger als 4–5 Tage anhaltenden,
tionsspray. Die Patienten empfinden im betäub- schweren postspinalen Kopfschmerzes sollte
ten Gebiet keine Kälte mehr. Bei Ausbreitung als Therapie ein sog. periduraler Blut-Patch
der Spinalanästhesie z. B. bis zum Nabel (= (Blutplombe) durchgeführt werden. Hierzu
Th10; Abb. 2-19) empfinden die Patienten ober- werden dem Patienten unter sterilen Bedin-
halb des Nabels einen normalen Kältereiz, im gungen ca. 10 ml Eigenblut abgenommen.
betäubten Gebiet unterhalb des Nabels geben Im Wirbelzwischenraum der ursprünglichen
sie eher ein Wärmegefühl bei Berührung mit Spinalpunktion (bzw. ein Segment darüber
dem Kältereiz an. Das Austesten der Spinalan- oder darunter) wird mit der Periduraltech-
ästhesie durch Schmerzreize wie Kneifen, Na- nik (vgl. S. 177) der Periduralraum aufge-
delstiche und Ähnliches sollte möglichst ver- sucht und das Eigenblut injiziert. Das Blut
mieden werden. gerinnt und verschließt damit das Loch in
der Dura. Zumeist stellt sich innerhalb einer
Indikationen Stunde eine sehr schnelle Besserung der
● Operationen an der unteren Körperhälfte Symptomatik ein.
174 2 Lokal- und Regionalanästhesie
Abb. 2-19 Dermatome (Höhe Brustwarze: Th4 [die Brustwarze gehört noch zu Th5]; Nabel: Th10; Leiste: L1)
2.4 Verschiedene Formen 175
● Blutdruckabfall: Kontraindikationen
Er ist durch die schnell einsetzende Sympa- ● Ablehnung durch den Patienten
Patienten mit Koronar- oder Zerebralsklero- ● lokale Infektionen in Nähe der Punktions-
kommen. denwirbelsäule
● Rückenmarksverletzungen: ● nicht kooperativer Patient
(→ S. 179)
Unter einer Periduralanästhesie (= PDA) wird das ● Lokalanästhetikum für die lokale Betäubung
Einbringen eines Lokalanästhetikums in den Peri- der Punktionsstelle, z. B. 1 Ampulle mit 5 ml
duralraum zur Schmerzausschaltung verstanden. Lidocain 1 %
● Lokalanästhetikum für die Periduralanäs-
Technik
Am sitzenden oder liegenden Patienten. Der
Patient muss einen „Katzenbuckel“ machen
(vgl. Abb. 2-10 und 2-11).
Vorgehen
● Aufsuchen und Markieren der üblichen
und dehnt den Periduralraum auf. Die Kanüle rationen bei 20-Jährigen
darf nicht weiter vorgeschoben werden. Die ● ca. 15 ml Levobupivacain 0,5–0,75 % für
lendrehung.) Nun kann durch die Tuohy-Kanü- Ropivacain 0,2 % ausschließlich zur Schmerz-
le der Periduralkatheter vorsichtig eingeführt therapie oder zur Verbesserung der Durch-
werden (vgl. Abb. 2-23, 2-24 und 2-25). Über blutung
den Katheter sind später wiederholt Nachinjek- ● Lidocain 1–2 %
men. Diese ist durch eine schnelle systemische Der Karzinompatient kann also mit seinem
Resorption bedingt und bei dem gut fettlösli- „Schmerzkatheter“ noch die Beine bewegen,
chen Opioid Sufentanil eher gegeben. die Gebärende kann die Geburt trotz des
„Schmerzkatheters“ noch auf Aufforderung
Ausbreitung durch eine aktive Bauchpresse unterstützen.
Die Ausbreitung der PDA hängt vor allem vom Vo- Auch bei arteriosklerotischen Durchblutungs-
! lumen des injizierten Lokalanästhetikums ab. Je störungen oder z. B. nach einer Gefäßoperation
mehr Lokalanästhetikum injiziert wurde, desto kann durch peridural verabreichte niederpro-
höher wird die Betäubung nach kranial steigen. zentige Lokalanästhetika eine Sympathikus-
blockade mit einer Verbesserung der Durchblu-
Meistens wird ein Aufsteigen der PDA bis unge- tung und eine Analgesie erzielt werden, während
fähr Nabelhöhe, also bis zu Th10 (vgl. Abb. die Motorik erhalten bleibt.
2-19), angestrebt. Es müssen also die Segmente
Th10–Th12, L1–L5 sowie meistens S1 und S2 Durch eine Sympathikusblockade kommt es auch
(also 10 Segmente) betäubt werden. Bei 20-Jäh- ! zur Stimulierung der Darmtätigkeit.
rigen werden ca. 1,5 ml Lokalanästhetikum be-
nötigt, um ein Segment auszuschalten, insge- Der Darm wird sowohl vom Sympathikus als
samt also ca. 15 ml. Mit zunehmendem Alter auch vom Parasympathikus beeinflusst. Der Pa-
genügt ein immer geringeres Volumen, um die rasympathikus stimuliert, der Sympathikus
gleiche Ausbreitung der PDA nach kranial zu hemmt die Darmtätigkeit. Wird der Sympathi-
erreichen; bei 40-Jährigen werden ca. 1,2 ml, bei kus durch eine PDA blockiert, so überwiegt
60-Jährigen ca. 1 ml und bei 80-Jährigen ca. 0,7 nun der stimulierende Effekt des Parasympathi-
ml pro auszuschaltendem Segment benötigt. kus. Dies kann bei Patienten mit einem post-
Der den Außenknöchel mitversorgende Nerv operativen Ileus (z. B. nach großen Bauchopera-
(S1; Abb. 2-19) ist der dickste Nerv des Plexus tionen) ausgenützt werden. Wird hier zur
lumbosacralis, und häufig vermag bei der PDA Stimulierung der Darmtätigkeit eine PDA ange-
das Lokalanästhetikum diesen Nerv nicht voll- legt, so reicht ebenfalls das 0,25%ige Bupivacain
ständig zu durchdringen. Deshalb kann bei der oder das 0,2%ige Ropivacain aus. Wird bei ei-
PDA im Bereich des Außenknöchels eine fleck- nem Patienten mit einem akuten Ileus ein stär-
förmige Schmerzempfindlichkeit erhalten blei- kerer intravasaler Volumenmangel vermutet, so
ben. Dies kann insbesondere bei einer Außen- stellt dies jedoch in der Regel eine relative Kon-
bandnaht am oberen Sprunggelenk manchmal traindikation für eine Periduralanästhesie dar
Probleme bereiten. (es würde ein stärkerer Blutdruckabfall dro-
Bei Verwendung von niederprozentigen Lösun- hen).
gen, z. B. Bupivacain 0,25 % oder Ropivacain
0,2 %, werden nur die dünnen Nervenfasern, Durch hochprozentige Lokalanästhetikalö-
also die sympathischen Fasern sowie die für das ! sungen, z. B. Bupivacain 0,5 % oder Ropivacain
Wärme-Kälte-Empfinden und die für die 0,75 bzw. 1,0 %, werden auch die dickeren Fasern,
Schmerzleitung zuständigen Fasern, ausge- also das Druck- und Berührungsempfinden sowie
schaltet (→ S. 160). die motorischen Nerven, blockiert.
nach Gefäßoperationen an den Beinen) z. B. Kollabieren des Patienten beim Legen
● Stimulierung der Darmtätigkeit bei Patien- der PDA
ten mit einem chronischen Ileus (z. B. nach
großen bauchchirurgischen Operationen) Kontraindikationen
Die für eine PDA geltenden Kontraindikatio-
Komplikationen nen entsprechen weitgehend denen für die Spi-
● Blutdruckabfall nalanästhesie (→ S. 175). Jugendliche Patienten
durch die Sympathikusblockade bei Injekti- sowie eine Kopfschmerzanamnese sind jedoch
on eines Lokalanästhetikums. Wird über den keine Kontraindikationen der PDA, da es bei
PDA-Katheter lediglich ein Opioid wie korrekter Durchführung zu keinem „postspina-
Sufentanil oder Morphin gespritzt, so tritt len Kopfschmerz“ kommen kann.
keine Sympathikusblockade und damit auch
kein Blutdruckabfall auf. Therapie eines übermäßigen Blutdruckabfalls
● bakterielle Infektion ● Infusion beschleunigen bzw. Austausch ge-
bei nicht aseptischem Vorgehen gen einen Plasmaexpander (z. B. HES; → S.
● versehentliche Duraperforation 135)
meist von starken postspinalen Kopfschmer- ● Vasopressorgabe (z. B. Akrinor )
● Katheterabscherung ● Sauerstoffgabe
durch zu hohes Aufsteigen des Lokalanäs- Eine thorakale PDA (= PDA im Bereich der Brust-
thetikums aufgrund einer Überdosierung ! wirbelsäule) kann z. B. bei thorakalen Opera
oder aufgrund einer sehr schnellen Injekti- tionen, großen Bauchoperationen oder nach
on Rippenserienfrakturen angelegt werden, damit
182 2 Lokal- und Regionalanästhesie
diese pneumoniegefährdeten Patienten postope- anästhesie durchgeführt. Da nur noch die zarte
rativ gut durchatmen und schmerzarm abhusten Dura mater perforiert zu werden braucht, kann
können. eine extrem dünne Spinalkanüle verwendet
werden, wodurch das Risiko postspinaler Kopf-
Hierbei sollte die Katheterspitze ungefähr in der schmerzen deutlich vermindert ist. Anschlie-
Mitte der auszuschaltenden Segmente liegen. ßend wird ein Periduralkatheter in den Peridu-
Bei einer thorakalen PDA muss wegen des Ver- ralraum eingeführt.
laufs der Wirbelkörperdornfortsätze relativ steil Die CSE verbindet die Vorteile der Spinalanäs-
nach kranial gestochen werden. thesie (schneller Wirkungsbeginn, gute motori-
sche Blockade) mit den Vorteilen der Katheter-
Eine thorakale PDA ist nur dem erfahrenen Anäs- periduralanästhesie (Möglichkeit der Nach
! thesisten vorbehalten. Bei einer versehentlichen injektion). Entscheidender Nachteil der CSE ist,
Duraperforation droht eine Rückenmarksverlet- dass der Periduralkatheter (nach Anlage der
zung (!). Spinalanästhesie) nicht mehr ausgetestet wer-
den kann. Es ist daher eine besonders vorsich
Als Medikament für eine thorakale PDA zur tige Dosistitration über den PDA-Katheter
Schmerztherapie eignet sich z. B. Bupivacain wichtig, um eine evtl. intraspinale Lage den-
0,25 % oder Ropivacain 0,2 %. Empfohlen wer- noch erfassen zu können.
den ca. 0,5 ml pro auszuschaltendem Segment. Wird eine spezielle (doppellumige) CSE-Kanüle
Der thorakale PDA-Katheter kann auch mit ei- verwendet, dann kann zuerst der PDA-Katheter
ner Mischung aus niederprozentigem Lokalan- gelegt und darüber eine Testdosis gespritzt wer-
ästhetikum (z. B. 0,2%iges Ropivacain) plus den. Anschließend wird über das zweite Kanü-
0,5–1 µg Sufentanil/ml „angespritzt“ werden. Es lenlumen die Spinalpunktion vorgenommen.
können auch 2- bis 3-mal pro Tag 2–3 mg Mor- Hierbei muss aber die CSE-Kanüle so lange be-
phin injiziert werden. Es ist wiederum auf eine lassen werden, bis die Periduralanästhesie aus-
„frühe“ oder eine unter Umständen erst nach getestet ist. Während dieser Zeit muss der Pati-
Stunden eintretende „verzögerte“ Atemdepres- ent sehr ruhig in seiner Position verharren.
sion zu achten (→ S. 179). Der Vorteil einer Insgesamt ist die CSE noch nicht sehr weit ver-
Opioidgabe ist, dass es zu keinem Blutdruckab- breitet.
fall und zu keiner Bradykardie wie nach Ver-
wendung eines Lokalanästhetikums kommt, da
weder der Gefäß- noch der Herzsympathikus 2.4.3 Intravenöse
ausgeschaltet werden. Es wird eine reine Anal- Regionalanästhesie
gesie erzielt.
Die intravenöse Regionalanästhesie (= IVRA)
wurde bereits 1908 von dem Kieler Chirurgen
Kombinierte Spinal- August Bier beschrieben (= Bier’s block).
und Periduralanästhesie
In den letzten Jahren wird häufiger eine kombi- Vorgehen
nierte Spinal- und Periduralanästhesie (= com-
bined spinal and epidural analgesie = CSE) Am Oberarm, Oberschenkel oder evtl. am Un-
empfohlen. Hierbei wird mit einer Periduralka- terschenkel wird eine spezielle, 2-kammerige
nüle der Periduralraum aufgesucht (→ S. 177). Blutdruckmanschette um die mit Watteband
Danach wird über die liegende PDA-Kanüle mit abgepolsterte Extremität gelegt. Es ist auf die
einer sehr dünnen Spinalkanüle vollends bis in richtige Platzierung der Manschette zu achten.
den Spinalraum vorgestochen und eine Spinal- Die als proximal (= körpernah) und distal
2.4 Verschiedene Formen 183
Ort Bei ca. 25–30 % der Patienten sind bei einer in-
! travenösen Regionalanästhesie Schmerzen durch
Arm die Manschette, sog. Tourniquet-Schmerzen,
zu erwarten. Sie treten bei zunehmender Dauer
Die IVRA ist z. B. bei einer Ganglienoperation, der Blutsperre häufiger auf und können evtl. zu
Metallentfernung oder geschlossenen Repositi- einem Blutdruckanstieg führen. Die Ursache des
on einer Radiusfraktur gut geeignet. Bei Anle- Tourniquet-Schmerzes ist unklar. Es handelt sich
gen einer Oberarmmanschette werden ca. 0,5– jedoch vermutlich um keinen Ischämieschmerz.
0,6 ml/kg KG Prilocain 0,5 % benötigt. Möglicherweise liegt ein nicht sicher blockiertes
Druckempfinden vor. Dieser Tourniquet-Schmerz
limitiert die Anwendungsdauer der IVRA.
Bein
Um das blutleere Gefäßsystem ausreichend mit
Die IVRA wird nur relativ selten an der unteren Lokalanästhetikum zu füllen, werden relativ
Extremität angewandt. Indikationen sind hier große Volumina benötigt. Aufgrund seiner gro-
vor allem bei Eingriffen am distalen Unter- ßen therapeutischen Breite stellt Prilocain 0,5(–
schenkel und am Fuß gegeben. Bei Anlage einer 1,0) % das Lokalanästhetikum der Wahl dar.
Unterschenkelmanschette werden ca. 0,4–0,6 Adrenalinhaltige Lokalanästhetika dürfen nicht
ml/kg KG, bei einer Oberschenkelmanschette verwendet werden. Mittel der zweiten Wahl
ca. 1 ml/kg KG an Lokalanästhetikum (norma- sind Lidocain und Mepivacain. Deren empfoh-
lerweise Prilocain 0,5 %) benötigt. lene Konzentrationen liegen zwischen 0,25 und
Bei Anwendung am Unterschenkel ist darauf zu 1 %.
achten, dass die Manschette mindestens 6 cm Insbesondere bei ambulanten Eingriffen wird
unterhalb des Fibulaköpfchens oder in der Mit- dieses Verfahren relativ häufig eingesetzt.
te des Unterschenkels platziert wird, um eine
Druckschädigung des Nervus peronaeus zu
verhindern. Die Manschette kann auch am Kontraindikationen
Oberschenkel platziert werden, was von den Pa-
tienten allerdings öfter als unangenehmer emp- ● Herzrhythmusstörungen
funden wird als eine Platzierung am Unter- (vor allem bradykarder Art oder höhergradi-
schenkel. ge Blockbilder)
Je distaler die Manschette angelegt wird, desto ● Gefäßerkrankungen
● Sichelzellanämie
● Epilepsie
3 Spezielle Narkosevorbereitungen
3.1.2 Indikationen
3.1.4 Vorbereitung
● Messung des zentralvenösen Drucks (=
ZVD) ● EKG anschließen,
● voraussichtlich blutreiche Operationen oder da beim Vorschieben des Katheters Herz-
grenzwertige Herzleistung (Beurteilung des rhythmusstörungen auftreten können
ZVD → S. 202)
186 3 Spezielle Narkosevorbereitungen
le
● steriles Lochtuch aufkleben
Patienten
● richtige Lagerung des Patienten (→ unten)
Periphervenöse Punktion
Punktion in der Ellenbeuge (vgl. Abb. 3-2)
Lagerung
● Rückenlagerung, leicht ausgelagerter Arm
Vorteil
Die Punktion in der Ellenbeuge gelingt meist
leicht.
Gefahren
Das Vorschieben des Venenkatheters ist auf-
grund von Venenklappen oft erschwert. Durch
Außenrotation oder Abspreizen des Armes so-
wie Drehen des Kopfes lassen sich Hindernisse Abb. 3-2 Punktion der Vena basilica in der Ellenbeuge
beim Vorschieben oft überwinden. Die Vena zur Anlage eines zentralen Venenkatheters.
basilica, die an der Ellenbeugeninnenseite ver- (Zur besseren Detaildarstellung ist keine sterile Abdeck-
läuft (1 in Abb. 3-1), sollte stets der Vena cepha- ung dargestellt.)
3.1 Zentraler Venenkatheter 187
tionsbereich
mieden werden muss (→ S. 268), oft vorgezogen. ● Frakturen des Schultergürtels
Gefahren
● Pneumothorax (!): Punktion der Vena jugularis externa
Wegen der relativ großen Gefahr eines Pneu- (vgl. Abb. 3-5)
mothorax darf bei erfolgloser Punktion nicht
auf der anderen Seite ebenfalls punktiert
werden! Die meist gut sichtbare und subkutan liegende
● Hämatothorax Vena jugularis externa wird – ungefähr auf
● Punktion der lateral verlaufenden Arteria Höhe des Kehlkopfes – ähnlich wie eine Vene
subclavia (3–5 Minuten komprimieren!) am Handrücken (→ S. 34) punktiert.
190 3 Spezielle Narkosevorbereitungen
tionsbereich bildung)?
● Lage der Katheterspitze?
● Pneumothorax?
Abb. 3-9 Elektromechanischer
Druckwandler. 1 = Druckdom;
2 = Zuleitung für Mikrospülsystem;
3 = Hebel für Schnellspülung;
4 = roter Dreiwegehahn für
Nullpunktkalibrierung;
5 = blauer Dreiwegehahn für ZVD-
Messung; 6 = starre Druckleitung.
Der dem Druckdom am nächsten liegen- Rückschlagventil) zum Anschluss an die in-
de erste (rote) Dreiwegehahn (4 in Abb. traarterielle Kanüle (8 in Abb. 3-10)
3-9) ist für die Nullpunktkalibrierung ● Druckwandler (= Transducer):
(→ S. 196), der zweite (blaue) Dreiwege- Zumeist werden wieder verwendbare Druck-
hahn (5 in Abb. 3-9) ist für den Anschluss wandler verwendet. Zum Teil gibt es auch
einer Druckleitung zur intermittierenden Druckmesssysteme, die einen Einwegdruck-
Messung des zentralen Venendrucks wandler enthalten.
(ZVD). ● Monitor mit „Druckeinschub“ (Abb. 3-10)
194 3 Spezielle Narkosevorbereitungen
● Spülflüssigkeit (500 ml NaCl, die in manchen Erwachsenen mit einer 20-G-Teflonkanüle oder
Kliniken mit 500–1 000 IE Heparin versetzt vorzugsweise mit der Stahlkanüle eines Seldin-
wird) für eine kontinuierliche Spülung des ger-Bestecks in einem Winkel von ca. 30 Grad
arteriellen Zugangs. Da diese Spülflüssigkeit die Arterie im Bereich des Handgelenks punk-
unter Druck gesetzt werden muss, wird noch tiert (vgl. Abb. 3-11c). Hierbei wird mit dem
ein Druckbeutel benötigt (1 in Abb. 3-13). Zeige- und dem Ringfinger der anderen Hand
der Arterienverlauf ertastet. Nach erfolgreicher
Punktion der Arterie wird der Seldinger-Draht
3.2.5 Vorbereitung durch die Punktionskanüle (Abb. 3-11d) vorge-
schoben. Die Punktionskanüle wird über den
Für die kontinuierliche Druckmessung werden Seldinger-Draht entfernt und nun wird über
inzwischen zumeist fertig zusammengebaute den Seldinger-Draht die intraarterielle Kunst-
Druckmesssysteme für den Einmalgebrauch stoffverweilkanüle vorgeschoben (Abb. 3-11e)
verwendet. Deren Vorbereitung ist relativ ein- und dann mittels Naht fixiert (Abb. 3-11f). An-
fach und wenig zeitaufwendig. Dieser Einweg- schließend wird der Seldinger-Draht entfernt
druckdom sowie die bereits konnektierten Ver- und die Druckleitung des Messsystems an die
bindungsschläuche brauchen lediglich mit NaCl intraarterielle Verweilkanüle konnektiert.
0,9 % luftblasenfrei durchgespült und einerseits Nachdem die arterielle Kanüle mittels der
an die arterielle Kanüle und andererseits an den Schnellspülung (3 in Abb. 3-9) des konnektier-
Druckwandler angeschlossen werden. Das Ka- ten Einwegdrucksystems durchgespült ist, wird
bel des Druckwandlers ist noch in das entspre- sie penibel, z. B. wie in Abbildung 3-12 und 3-13
chende Monitorgerät einzustecken und das gezeigt, fixiert. Durch das zwischen der intraar-
Druckmesssystem muss abschließend noch ka- teriellen Kanüle und dem dritten (roten) Drei-
libriert werden (Kalibration → S. 196). Nun ist wegehahn (7 in Abb. 3-10) eingebaute kurze
eine Druckmessung möglich. Druckleitungsstück (8 in Abb. 3-10) braucht
z. B. beim Blutabnehmen aus dem arteriellen
Zugang am Dreiwegehahn kein Wackeln, Ab-
3.2.6 Punktion der Arteria radialis knicken oder Verrutschen der intraarteriellen
Verweilkanüle befürchtet werden.
Wenn immer möglich, sollte die arterielle Druck-
! messung bereits vor Narkoseeinleitung beim noch Absolut zwingend ist das Kenntlichmachen des
wachen Patienten vorgenommen werden. Denn ! Zugangs als Arterie, z. B. durch Aufkleben von
hiermit ist die fortlaufende Blutdruckkontrolle vorgedruckten Klebeschildern oder deutliche Be-
während der Narkoseeinleitung, einem der gefah- schriftung eines aufgeklebten Pflasterstreifens
renträchtigsten Momente jeder Narkose, möglich. (vgl. Abb. 3-12). Bei Verwechslung mit einem ve-
Außerdem kann noch eine Blutprobe zur Bestim- nösen Zugang und Injektion von z. B. Thiopental
mung einer arteriellen Blutgasanalyse (= BGA) droht der Verlust der Hand (!) (→ S. 51).
vor Narkoseeinleitung, also unter Spontanat-
mung, abgenommen werden. Über die starre Druckleitung, die 3 Dreiwege-
hähne und den Druckdom wird der arterielle
Für die Punktion sollte die Hand im Handge- Druck auf den elektromechanischen Druck-
lenk über eine Tuchrolle nach dorsal überstreckt wandler, der den mechanischen Druck in ein
und in dieser Lagerung sollten die Finger mit- elektrisches Signal umwandelt, angeschlossen.
tels Pflasterstreifen fixiert werden (vgl. Abb. Das Kabel des Druckwandlers ist in den Druck-
3-11a). Nach mehrmaliger Desinfektion, dem einschub eines geeigneten Gerätes einzustecken,
Anlegen einer Lokalanästhesie beim wachen der das Signal des Druckwandlers verstärkt und
Patienten (vgl. Abb. 3-11b) und evtl. Vorpunk- auf einem Monitor digital als Zahlenwert und
tion der Haut mit einer Stahlkanüle wird bei analog als Druckkurve anzeigt (Abb. 3-10).
3.2 Blutige arterielle Druckmessung 195
Abb. 3-11 Punktion der Arteria radialis mittels Vorschieben des Seldinger-Drahtes durch die Punktions
Seldinger-Technik. a Richtige Lagerung und Fixierung kanüle. e Nach Entfernen der Punktionskanüle über den
des Armes zur Punktion der Arteria radialis. b Sterile An- Seldinger-Draht wird die intraarterielle Verweilkanüle
lage einer Lokalanästhesie. c Tasten des Arterienverlaufs über den Seldinger-Draht eingeführt. f Die intraarterielle
und Punktion der Arterie. d Nach erfolgreicher Punktion Verweilkanüle wird fest genäht.
196 3 Spezielle Narkosevorbereitungen
3.2.7 Nullpunktabgleich
und Kalibration
Der rote Dreiwegehahn direkt vor dem Druck-
wandler (4 in Abb. 3-9) wird so gestellt, dass die
Verbindung Druckleitung/Druckwandler un-
terbrochen und der Druckwandler zur Atmo-
sphäre hin geöffnet ist. Auf das Druckelement
wirkt nun der atmosphärische Luftdruck. Die-
ser wird als Bezugspunkt gleich Null gesetzt.
Nach Drücken der entsprechenden Nulltaste
am Monitor muss die angezeigte Linie mit der
Abb. 3-12 Fixierte intraarterielle Kanüle und Markie Null-Linie des Monitors übereinstimmen (=
rung der intraarteriellen Kanüle durch entsprechenden Nullpunktabgleich). Mit der (nur bei älteren
Aufkleber. An die intraarterielle Kanüle ist ein kurzes Geräten noch durchzuführenden) Kalibrierung
Druckleitungsstück (mit speziellem Rückschlagventil) wird kontrolliert, ob ein definierter Druck im-
konnektiert (1). 2 = starre Druckleitung, die zum Druck- mer einen bestimmten Kurvenausschlag ergibt;
wandler führt.
z. B. muss ein Druck von 100 mm Hg immer
einen 5 cm hohen Ausschlag ergeben. Nach
Drücken der entsprechenden Kalibrierungs
taste muss eine Eichzacke definierter Höhe er-
scheinen. Auch während der Kalibrierung muss
der Druckwandler zur Atmosphäre hin offen
sein. Bei modernen Monitorgeräten genügt es,
nach Öffnen des Druckwandlers zur Atmo-
sphäre lediglich den Kalibrationsknopf zu drü
cken. Es werden dann sowohl die Nullpunktab-
gleichung als auch die Kalibration automatisch
durchgeführt.
Nach dem Nullpunktabgleich und der Kalibrie-
rung des Gerätes wird die Verbindung Druck-
leitung/Druckwandler wieder freigegeben. Der
Druckwandler muss noch auf Höhe des rechten
Vorhofs (ca. Mitte des Thoraxdurchmessers
beim liegenden Patienten) angebracht werden.
Nun kann der aktuelle Druck am Monitor abge-
lesen werden.
Anschließend sollte nochmals sorgfältig über-
prüft werden, ob alle Schraubverbindungen der
Druckleitung fest angezogen sind, damit eine
versehentliche Lösung mit einer drohenden
Abb. 3-13 Vorrichtung zur blutigen arteriellen Druck- Entblutung nicht möglich ist.
messung mit angeschlossenem Druckbeutel (1) mit
Spülflüssigkeit für das Mikrospülsystem.
3.3 Pulmonalarterienkatheter 197
3.2.8 Probleme 3.3 Pulmonalarterienkatheter
● abgerundeter, sog. gedämpfter Kurvenver-
Ein Pulmonalarterienkatheter (= Pulmonaliska-
lauf: theter, Swan-Ganz-Katheter, Einschwemmkathe-
Ursache sind meist Luftblasen oder ein Blut- ter) ist ein meist 4-lumiger Katheter, dessen Spit-
koagel im System oder eine ungünstige Lage- ze über das venöse System und durch das rechte
rung des kanülierten Arms bzw. ein zu langer Herz bis in einen Ast der Arteria pulmonalis einge-
Druckschlauch. führt wird.
● falsch hohe oder falsch niedrige Druckanzei-
teninjektion 3.3.1 Indikationen
● arterielle Entblutung
Thermistorzuleitung (4)
Sie dient zur Verbindung des kurz vor der Ka-
theterspitze befindlichen Temperaturfühlers (=
Thermistor; 4b) mit einem HMV-Gerät (= Car-
diac-Output-Monitor).
Daneben verfügen manche Pulmonaliskatheter
über einen weiteren Schenkel (häufig weißer
Anschluss), der unmittelbar neben dem proxi-
malen Schenkel endet. Er wird meist zur herz-
nahen Applikation von Medikamenten, vor al-
lem von Catecholaminen, verwendet.
3.3.3 Material
● Kopfhaube, Mundschutz, sterile Handschu-
he, steriler Kittel
● Hautdesinfektionsspray
Abb. 3-14 Pulmonalarterienkatheter. 1 = Ballonzulei-
● steriles Lochtuch
tung; 2 = distaler Schenkel; 3 = proximaler Schenkel;
● steriles Abdecktuch (ca. 100 × 100 cm) zum
4 = Thermistorzuleitung. Aufblasbarer Ballon (1b) sowie
Mündung des distalen (2b) und proximalen (3b) Schen- großflächigen Abdecken
kels; 4b = Thermistor (Temperaturfühler) (nähere Be ● Lokalanästhetikum
in die Vena jugularis interna vorgeschoben. die Druckkurve eindrucksvoll. Während der
Nachdem die Katheterspitze ca. 15 cm eingeführt Systole des rechten Herzens lässt sich ein
ist, wird der unmittelbar hinter der Katheterspit- Druck von ca. 25 (± 8) mm Hg, während der
ze befindliche Ballon mit 1–1,5 ml Luft aufgebla- Diastole des rechten Herzens ein Druck von
sen und der Katheter langsam vorgeschoben. Der ca. 4 (± 3) mm Hg ableiten.
aufgeblasene Ballon, und damit die Katheterspit- ● 3 in Abb. 3-15:
ze, wird mit dem Blutstrom über die Vena cava Wird die Katheterspitze weiter durch die
nach ca. 20 cm in den rechten Vorhof, nach ca. 30 Pulmonalklappe bis in die Arteria pulmona-
cm in den rechten Ventrikel und nach ca. 45 cm lis geschwemmt, ändert sich die Druckkurve
in die Arteria pulmonalis „eingeschwemmt“. Der erneut. Der systolische Druck bleibt mit 25
Pulmonaliskatheter wird deshalb zum Teil auch (± 8) mm Hg gleich. In der Arteria pulmona-
als „Einschwemmkatheter“ bezeichnet. Da sich lis herrscht jedoch ein diastolischer Druck
die Arteria pulmonalis in immer kleiner werden- von ca. 9 (± 4) mm Hg, sodass der Druck
de Äste aufzweigt, bleibt der aufgeblasene Ballon jetzt nicht mehr so weit wie bei der Ventri-
meist nach 50–60 cm in einem kleineren Ast der kelkurve abfällt.
Arteria pulmonalis stecken. ● 4 in Abb. 3-15:
3.3.7 Veränderung
der Kreislaufparameter Sepsis
Während einer Sepsis ist das Gefäßsystem durch
Rechtsherzinsuffizienz Bakterientoxine weitgestellt. Der Gefäßwider-
stand im großen Kreislauf ist deutlich ernied-
Bei Rechtsherzinsuffizienz ist der rechte Ventri- rigt. Folge der Gefäßweitstellung ist ein relativer
kel nicht mehr in der Lage, das ihm angebotene Volumenmangel mit niedrigem ZVD und nied-
Blutvolumen adäquat wegzupumpen. Das Blut rigem Wedge-Druck. Das HMV und die Herz-
staut sich vor dem rechten Herzen. Klinische frequenz sind kompensatorisch erhöht.
Zeichen sind z. B. gestaute Halsvenen und präti-
biale Ödeme. Der ZVD ist erhöht, das HMV
erniedrigt, die Herzfrequenz kompensatorisch 3.3.8 Gefahren
erhöht.
● Herzrhythmusstörungen beim Einführen
des Pulmonaliskatheters
Linksherzinsuffizienz ● Ruptur eines Pulmonalarterienasts bei zu
nicht mehr in der Lage, das ihm angebotene dauernder Wedge-Position des Katheters
Blutvolumen adäquat wegzupumpen. Das Blut ● Verletzungen der Herzklappen des rechten
staut sich vor dem linken Herzen. Unter Um- Herzens und der Papillarmuskeln
ständen kann sich das Blut bis in die Lungen ● erhöhte Thrombosegefahr aufgrund des di
● Knotenbildung des Katheters im Herzen, vor HMV), das Schlagvolumen (SV) und der syste-
allem bei zu schnellem Vorschieben mische Gefäßwiderstand (SVR) ermittelt wer-
● Komplikationen der Gefäßpunktion (Pneu- den. Die Ermittlung der PC-HMV erfolgt
mo- oder Hämatothorax, arterielle Punkti- anhand der Fläche unter der arteriellen Druck-
on; → S. 188): kurve, der Form der Druckkurve, der Herzfre-
Aus diesem Grunde muss nach dem Legen quenz, einem patiententypischen Kalibrations-
eines Pulmonaliskatheters (auch nach einem faktor (→ oben) und der Compliance der Aorta
vergeblichen Versuch) stets eine Röntgen- (die anhand der transpulmonalen Thermodilu-
aufnahme des Thorax durchgeführt werden! tion und der Blutdruckkurve ermittelt wird).
● Sonstiges: Anhand der transpulmonalen Thermodilution
Mittels Pulmonaliskatheter können zahlrei- können u. a. das transpulmonale HMV, das in-
che hämodynamische Parameter genau über- trathorakale Blutvolumen (ITBV), das extrava-
wacht werden. Es konnte jedoch bisher nicht sale Lungenwasser (EVLW), das globale end-
bewiesen werden, dass durch Einführung des diastolische Volumen (GEDV = Summe aus
Pulmonalarterienkatheters die Überlebensra- dem enddiastolischen Volumen des rechten so-
te schwerstkranker Patienten erhöht werden wie linken Vorhofs und Ventrikels) gemessen
konnte. werden. Die transpulmonale Messung des HMV
soll mindestens so genau sein wie das mithil-
fe eines Pulmonalarterienkatheters ermittelte
Herzminutenvolumen. Die Interpretation der
ermittelten PiCCO-Werte ist einfacher als die
3.4 PiCCO mittels Pulmonalarterienkatheter erhobenen
Werte.
1997 wurde mit PiCCO ein neues Verfahren zur Als mögliche Indikationen für PiCCO werden
wenig invasiven Bestimmung hämodynami- vor allem schwere Herzinsuffizienz, Schock,
scher Parameter (z. B. Herzminutenvolumen) ARDS, Polytrauma und Verbrennungen ge-
und sog. volumetrischer Parameter (z. B. extra- nannt.
vasales Lungenwasser) eingeführt. PiCCO ist
bei Erwachsenen sowie auch bei Kindern (ab
ca. 2 kg KG) einsetzbar. Hierzu wird ein (evtl.
bereits platzierter, möglichst mehrlumiger) zen- 3.5 Echokardiographie
traler Venenkatheter (an den ein sog. Injektat-
Temperatur-Sensor-Kabel angeschlossen wird) In den letzten Jahren wird die Echokardiogra-
und ein spezieller arterieller PiCCO-Katheter phie zunehmend von Anästhesisten und Inten-
(der z. B. in der Arteria femoralis oder Arteria sivmedizinern angewandt.
brachialis platziert wird) benötigt. Ein Pulmo- Mittels Echokardiographie können zahlreiche
nalarterienkatheter ist nicht notwendig. wichtige anästhesiologische, intensiv- und not-
PiCCO beruht auf der transpulmonalen Ther- fallmedizinische Fragestellungen untersucht
modilution und der sog. Pulskonturanalyse der werden (Tab. 3-1). Damit können vor allem
arteriellen Druckkurve. Bei der transpulmona- bei solchen Patienten Informationen erhalten
len Thermodilution wird über den ZVK ein de- werden, bei denen die Ursache einer Kreislauf
finiertes Volumen an eiskaltem oder raumtem- instabilität unklar ist, bei denen eine unklare
periertem Injektat injiziert. Hierbei kann ein intravasale Volumensituation (Hypo- oder Hy-
patiententypischer Kalibrationsfaktor ermittelt pervolämie) besteht oder bei denen der Erfolg
werden. Anhand der kontinuierlichen Pulskon- einer medikamentösen Herz-Kreislauf-Stüt-
turanalyse der arteriellen Druckkurve können zung (z. B. mit Catecholaminen; → S. 300) be-
u. a. das Pulskontur-Herzminutenvolumen (PC- urteilt werden muss. Die sachgerechte Anwen-
3.5 Echokardiographie 205
Tab. 3-1 Fragestellungen, die mittels echokardiographischer Untersuchung beurteilt werden können
Fragestellung Mögliche Befunde oder Bemerkungen
Größe der Vorhöfe und Ventrikel? Dilatation?
Herzklappen? Beweglichkeit, Klappenfunktion, Klappengröße, endokarditische Auflage-
rungen?
Wandbeweglichkeit? regionale Wandbeweglichkeitsstörungen, die Hinweis auf eine Infarktnar-
be oder eine myokardiale Ischämie sind
Wanddicke? Myokardhypertrophie
Vorhof-, Ventrikelseptum? Septumdicke, Verlagerung
Luft in den Herzbinnenräumen? empfindlichste Methode zum Nachweis einer Luftembolie (v. a. bei neuro-
chirurgischer Operation in sitzender Lage; einzige Nachweismethode für
stattfindende paradoxe Luftembolie; → S. 271)
Herztumor? z.B. Vorhofmyxom
Darstellung der linken proximalen z.B. Stenose
Koronararterie?
Kontraktilität? Herzinsuffizienz
Kongenitaler Herzfehler?
Aortendissektion?
Vorhof-, Herzohrthromben?
Perikarditis? Perikarderguss? Nachweisgrenze bereits bei ca. 50 ml
Herzwandaneurysma?
Lungenarterienembolie? hämodynamisch wirksame Lungenembolien verursachen Vergrößerung
des rechten Ventrikels, Erweiterung der Arteria pulmonalis, abnorme
Bewegungen des Ventrikelseptums
Intrakardiale Shunts? Untersuchung ggf. nach Injektion einer kontrastgebenden Lösung
dung der Echokardiographie und die korrekte Die 2-dimensionale Echokardiographie (= 2D-
Interpretation der Ergebnisse setzen eine große Echokardiographie) stellt inzwischen das Stan-
Erfahrung voraus und die Geräte sind noch re- dardverfahren dar.
lativ teuer.
Bei der Echokardiographie werden Schallwellen
mit hoher Frequenz (Ultraschall) in den Körper 3.5.1 Doppler-Effekt
geleitet. Diese werden an Organoberflächen so-
wie an Innenstrukturen der Organe – je nach Während unbewegte Grenzflächen von Orga-
deren Strukturdichte – mehr oder weniger stark nen den Ultraschall lediglich reflektieren, füh-
reflektiert bzw. absorbiert. Die reflektierten ren bewegte Grenzflächen dazu, dass sich zu-
Schallwellen werden vom Schallkopf wieder re- sätzlich die Frequenz der reflektierten
gistriert. Damit ist es möglich, (1- oder) 2-di- Ultraschallwellen ändert. Dieser Frequenzun-
mensionale Bilder der inneren Organe zu er- terschied zwischen ausgesendeten und empfan-
stellen. Das Auflösungsvermögen moderner genen Ultraschallwellen ist proportional zu der
Echokardiographiegeräte beträgt inzwischen Geschwindigkeit der Organbewegungen. Die-
1–2 mm. ses Phänomen wird als Doppler-Effekt bezeich-
206 3 Spezielle Narkosevorbereitungen
Tab. 3-2 Wichtige Indikationen für die transösophage- net. Mithilfe dieses Doppler-Effektes ist es mög-
ale Echokardiographie in Anästhesie, Intensiv- und Not- lich, die Fließgeschwindigkeit von Blut, z. B. im
fallmedizin Bereich der Herzklappen, darzustellen.
TEE-Indikationen in der Anästhesie Das Doppler-Verfahren sowie die 2D-Echokar-
diographie können kombiniert werden. Es wird
● Patienten mit hohem kardialem Risiko
dann von Doppler-Echokardiographie gespro-
● chirurgische Eingriffe mit hohem Risiko einer
hämodynamischen Entgleisung chen. Wird hierbei die Richtung des Blutstroms
● embolieträchtige Eingriffe (z.B. neurochirurgi- farbkodiert, wird von Farb-Doppler-Echokar-
sche Operation in sitzender Lagerung; → S. 270) diographie gesprochen. Blutfluss zur Sonde hin
● Operationen am Herzen (z.B. Klappenrekon wird bei fast allen Geräten mit roter Farbe, Blut-
struktionen, Korrektur angeborener Herzfehler, fluss von der Sonde weg wird normalerweise
Klappenprothetik, Verdacht auf myokardiale mit blauer Farbe kodiert.
Ischämien, minimalinvasive kardiochirurgische Die Echokardiographie kann transthorakal
Operationen) oder transösophageal erfolgen. Bei der transt-
TEE-Indikationen in der Intensiv- und Notfall- horakalen Echokardiographie (= TTE) wird der
medizin Schallkopf entweder direkt unterhalb des Rip-
● Diagnostik bei unklarer Kreislaufinstabilität penbogens und neben dem Brustbeinfortsatz
(Kontraktilität? Volumenstatus? grobe, (im Rippenwinkel), direkt oberhalb des Brust-
diskontinuierliche HZV-Abschätzung) beins im Bereich des Jugulum sternae oder im
● Beurteilung der Klappenfunktion Rippenzwischenraum auf die Haut aufgesetzt.
● Verdacht auf kardiale Ischämie Bei der transösophagealen Echokardiographie
● Beurteilung der rechts- und linksventrikulären wird ein kleiner Schallkopf, der in einen gastro-
Füllung skopähnlichen, steuerbaren Schlauch integriert
● Verdacht auf Lungenembolie ist, durch den Mund in den Ösophagus einge-
● Verdacht auf Perikardtamponade führt. Das unmittelbar ventral des Ösophagus
liegende Herz kann bei der TEE ohne störende
Zwischenstrukturen gut beurteilt werden.
Die 2-dimensionale transoesophageale Echo-
kardiographie (= TEE) findet zunehmenden
Einsatz auch in der Anästhesiologie und Inten-
Tab. 3-3 Kontraindikationen für die transösophageale sivmedizin. Die häufigsten Indikationen sind
Echokardiographie vor allem die Überwachung während kardio-
Absolute Kontraindikationen chirurgischer Eingriffe, die Überwachung neu-
● unzureichende Ausbildung des Untersuchers
rochirurgischer Patienten in sitzender Position
● Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts
(bei denen das erhöhte Risiko einer Luftembolie
(Pharynx, Larynx, Ösophagus, Magen) besteht) sowie anästhesiologische oder inten-
sivmedizinische Patienten mit hohem kardi-
Relative Kontraindikationen
alem Risiko. Indikationen zur transösophage-
● anatomische Missbildungen des oberen alen Überwachung in der Anästhesiologie und
Verdauungstraktes Intensivmedizin bestehen vor allem bei den in
● Zustand nach chirurgischen Eingriffen am Tabelle 3-2 dargestellten Krankheitsbildern
oberen Verdauungstrakt oder operativen Eingriffen.
● schwieriges Einführen der TEE-Sonde in den Bei der Durchführung einer TEE sind die in Ta-
Ösophagus belle 3-3 angegebenen Kontraindikationen zu
● Ösophagusvarizen beachten.
● klinisch relevante Blutungen im Bereich Vor Beginn der TEE-Untersuchung ist eine Ver-
des oberen Verdauungstrakts
tiefung der Narkose bzw. bei Intensivpatienten
3.5 Echokardiographie 207
Belastungs-EKG durchführbar ist, kann zur steigert werden. Es wird nach Änderungen der
präoperativen Beurteilung eine sog. Stressecho- Wandbewegungen, des arteriellen Blutdrucks
kardiographie durchgeführt werden. Hierbei sowie nach Änderungen in der 12-Kanal-EKG-
wird eine pharmakologische Belastung des Ableitung gesucht. Bei der Dipyridamol-Stress
Myokards, zumeist mit Dobutamin oder Dipy- echokardiographie wird die Tatsache ausge-
ridamol, durchgeführt. Es kann hierzu auch ein nutzt, dass Dipyridamol in den gesunden
Phosphodiesterasehemmer (z. B. Milrinon, Myokardarealen zu einer starken koronaren Va-
Enoximon) verwendet werden. Bei z. B. der sodilatation mit Anstieg des Blutflusses um den
Dobutamin-Stressechokardiographie wird das Faktor 4–5 führt. Aufgrund der Dilatation ge-
Catecholamin Dobutamin (→ S. 300) in stei- sunder Koronararterien mit Luxusperfusion
gender Dosierung verabreicht. Hierdurch kön- kommt es zu einer Minderdurchblutung mit Is-
nen – ähnlich wie bei einer körperlichen Belas chämie distal von Koronarstenosen. Hierdurch
tung – Herzfrequenz, Herzkraft (Inotropie), kann es zu nachweisbaren, neu auftretenden
Schlagvolumen und Herzminutenvolumen ge- Wandbewegungsstörungen kommen.
209
4 Typische Narkoseprobleme
nen 30 ml Natriumcitrat (ca. 5–10 Minuten vor Der Oberkörper wird ca. 30 Grad hochgela-
Narkoseeinleitung) verwendet. gert, um eine Regurgitation zu vermeiden.
Mittels H2-Rezeptoren-Blocker kann die Bil- Selten (vor allem bei akuten Blutungen im
dung von Magensäure blockiert und der pH- Nasen- und/oder Rachenraum) kann es auch
Wert des Magensekrets angehoben werden. sinnvoll sein, eine starke Oberkörpertieflage
Hierfür wird oft eine orale Gabe von z. B. Cime- durchzuführen.
tidin (Tagamet®) oder Ranitidin (Sostril®) ca. ● eingeschaltete, funktionsgeprüfte Absaug-
den hierfür beim Erwachsenen 10 mg Metoclo- Bei Maskenbeatmung kann Luft in den Ma-
pramid intravenös empfohlen. gen eingeblasen und eine Regurgitation pro-
Auch durch Gabe eines sog. Protonenpumpen- voziert werden.
hemmers kann die Bildung von Magensäure ● Succinylcholin
und eine Anhebung des pH-Wertes des Magen- sofort nach dem Einleitungshypnotikum
sekretes erzielt werden. Hierfür wird Omepra- spritzen. Obwohl die routinemäßige Gabe
zol (Antra®) oder Pantoprazol (Pantozol®) ca. 2 von Succinylcholin bei Wahleingriffen in-
Stunden präoperativ oral oder 1 Stunde präope- zwischen wegen möglicher Nebenwirkungen
rativ intravenös empfohlen. (maligne Hyperthermie; Rhabdomyolyse;
→ S. 76) abgelehnt wird, stellt die Ileuseinlei-
tung (falls keine absolute Kontraindikation
4.1.4 „Ileuseinleitung“ gegen Succinylcholin vorliegt) noch eine kla-
re Indikation für Succinylcholin dar. Der
Die Aspirationsgefahr ist bei der Narkoseeinlei- sehr schnelle Wirkungseintritt überwiegt
tung am größten. Mit Beginn der Narkose fallen hier normalerweise die möglichen Neben-
die Schutzreflexe aus, die Luftwege müssen aber wirkungen. Besteht eine Kontraindikation
erst noch durch die Intubation gesichert wer- gegen Succinylcholin, dann ist das schnell
den. Um in diesem Zeitraum die Gefahr eines wirkende Rocuronium das Relaxans der
Erbrechens oder einer Regurgitation zu ver- Wahl. In diesem Falle kann auf eine Präcur-
mindern, wird eine spezielle Einleitungsform, arisierung bzw. Priming-Dosis verzichtet
eine sog. „Ileuseinleitung“ (rapid sequence in- werden (→ S. 116).
duction = RSI) gewählt. Es hat sich bei Erwach- ● Sellik-Handgriff:
senen folgendes Vorgehen bewährt: Ein Helfer drückt vom Eintritt des Bewusst-
4.2 Aspiration 211
seinsverlusts beim Patienten bis kurz nach der Häufig handelt es sich um die Aspiration von
Intubation (mit Daumen und Zeigefinger) auf erbrochenem oder regurgitiertem Magen-
den Ringknorpel des Patienten. Durch dieses Darm-Inhalt. Bei einer Aspiration von Magen-
„Nach-hinten-Drücken“ des Ringknorpels Darm-Inhalt drohen eine Epithelschädigung
wird der Ösophagus zwischen Ringknorpel des Bronchialsystems mit Schleimhautödem
und Halswirbelsäule komprimiert, dadurch und spastischer Bronchitis sowie eine Schä
kann eine passive Regurgitation verhindert digung des Alveolarepithels bzw. ein Lun
werden. Der Sellik-Handgriff muss jedoch genödem. Folgen sind Tachypnoe, Zyanose,
während eines aktiven Erbrechens unterlas- Hypoxämie, Tachykardie und Hypotonie. Wei-
sen werden, da hierbei unter Umständen eine tere mögliche Probleme sind Lungenatelekta-
Ösophagusruptur drohen kann. sen, Lungenentzündungen sowie Lungenab-
● Blitzintubation (= crash intubation) szesse.
● sofortiges Blocken des Tubus:
rungen (Frühsymptom)
Bei der malignen Hyperthermie (= MH) handelt ● Hypoxämie oder Zyanose
es sich um eine sehr seltene, aber gefürchtete ● metabolische und respiratorische Acidose
Narkosekomplikation. Bei Patienten mit einer ent- (pH-Abfall):
sprechenden genetischen Disposition kann durch Durch die massive Stoffwechselsteigerung in
bestimmte Narkosemedikamente eine MH ausge- der Muskulatur kommt es zu einer exzessiven
löst werden. Eine MH führt über eine exzessive CO2-Produktion. Bei relaxierten und volu-
Steigerung des Stoffwechsels letztlich zu einem menkonstant beatmeten Patienten entwickelt
extremen Anstieg der Körpertemperatur. Unbe- sich ein enormer Anstieg des arteriellen CO2-
handelt führt die MH zum Tode. Wertes. Bei spontan atmenden Patienten
ergibt sich eine auffällige Steigerung von
Die Häufigkeit einer Disposition zur MH be- Atemzugvolumen und Atemfrequenz. Die
trägt bei Jugendlichen und Kindern 1 : 15 000, CO2-Absorber sind bald erschöpft und verfär-
bei Erwachsenen 1 : 50 000. Bei Kindern unter 2 ben sich schnell. Außerdem kommt es zur
Jahren und bei älteren Patienten ist die MH ex- Ausbildung einer metabolischen Acidose. Ur-
trem selten. Die Neigung zur malignen Hyper- sache ist eine Gewebshypoxie mit beginnender
thermie ist erblich (Familienanamnese?!). anaerober Glykolyse und Lactatbildung.
● Hyperkaliämie:
Die Ursache liegt in einer noch nicht ganz geklär- Durch eine Rhabdomyolyse (= Auflösung
! ten Störung der Skelettmuskulatur. Durch eine quergestreifter Muskelfasern) wird Kalium
plötzlich ausgelöste Störung im Calciumhaushalt aus den Muskelzellen freigesetzt (→ S. 76).
4.3 Maligne Hyperthermie 213
● Fieber bis über 42 °C: Falls innerhalb dieser Zeit keine eindeutige
Fieber ist nicht die Ursache der MH, sondern Wirkung erkennbar wird, ist die Diagnose in
die Folge des erhöhten Muskelstoffwechsels. Zweifel zu ziehen. Dantrolen greift in den Cal-
Daher ist der Fieberanstieg kein Früh-, son- ciumhaushalt ein.
dern ein Spätsymptom der MH. Je höher
der Fieberanstieg, desto schlechter ist die Die bisher genannten Maßnahmen sind mit Ab-
Prognose. stand die wichtigsten. Sie sind sofort durchzu-
● Myoglobinämie, Myoglobinurie durch auf- führen. Von nachgeordneter Wichtigkeit sind:
tretende Rhabdomyolyse ● Kontrolle der Plasmakaliumkonzentration
● instabiler Blutdruck (Hypertonie oder Hy- (ggf. Therapie einer Hyperkaliämie)
potonie) ● pH-Korrektur
● sofort Erhöhung des Atemminutenvolumens Plasma: K, Na, CK, GOT, GPT, LDH, Blut-
auf den ca. 3- bis 4-fachen Ausgangswert zucker, Gerinnungsstatus, Lactat, BGA;
(Frischgasfluss für Sauerstoff auf den Maxi- im Serum und Urin: Myoglobin
malwert (ca. 15 l/min) erhöhen, um den An- ● MH-Krise muss am Ort des Auftretens be-
teil der Rückatmung zu minimieren; → S. herrscht werden. Erst danach erfolgt die Ver-
12 f.). Es sind ein normaler arterieller CO2- legung (z. B. auf Intensivstation oder in ein
Wert und eine normale arterielle Sauerstoff- anderes Krankenhaus).
sättigung anzustreben. ● initial keine Therapie des Fiebers; initial The-
● Dantrolen mit einer Dosierung von 2,5 mg/ rapie des Hypermetabolismus!
kg KG intravenös als Schnellinfusion. Diese ● keine Calciumkanalblocker (z. B. Verapamil)
Dosis von 2,5 mg/kg KG ist (ggf. mehrfach) zu verabreichen (Unverträglichkeit mit Dantro-
wiederholen, bis sich eindeutige Zeichen eines len)
Therapieerfolges einstellen oder bis zu einer ● keine Digitalispräparate verabreichen
Innerhalb von 20–30 Minuten nach Infusions- 0 71 31-48 20 50 (Städt. Krankenhaus Heil-
beginn ist ein Wirkungsbeginn zu erwarten. bronn)
214 4 Typische Narkoseprobleme
ger Minuten oder kann er nicht durchbrochen Stimulus, also den irritierenden Fremdkörper
werden, so droht der Tod durch Sauerstoffman- (z. B. Guedel-Tubus), am Kehlkopfeingang zu
gel. Insbesondere bei Kleinkindern entsteht sehr entfernen oder die schmerzhafte Manipulation
schnell eine kritische Situation (→ S. 234). in zu flacher Maskennarkose zu unterbrechen.
Durch die energische Anwendung des Es-
march-Handgriffs (= Überstreckung des Kop-
4.4.3 Mögliche Ursachen fes und Subluxation des Unterkiefers nach vorn;
→ S. 323) kann es gelingen, den Laryngospas-
● Ein Laryngospasmus kann vor allem nach mus zu durchbrechen.
der Extubation auftreten, wenn der Kehl- Kommt es bei der Narkoseeinleitung zu einem
kopfeingang durch Sekret, Blut oder sonstige Laryngospasmus, so kann durch eine Vertie-
Fremdkörper gereizt wird. fung des Narkosestadiums mit einem intrave-
● Auch ein Intubationsversuch oder das Ein- nösen Hypnotikum der Reflex zentral im Ge-
führen eines Guedel-Tubus bei zu oberfläch- hirn durchbrochen werden. Alternativ kann
licher Narkose oder eine Extubation während auch (frühzeitig!) Succinylcholin verabreicht
des Exzitationsstadiums (→ S. 106) können werden. Der Patient muss dann kurzfristig mit
einen Laryngospasmus hervorrufen. der Maske beatmet werden. Nach einer Relaxa-
● Des Weiteren tritt manchmal während einer tion mit Succinylcholin kann der Patient ggf.
Maskennarkose ein Laryngospasmus auf, auch intubiert werden.
wenn sehr schmerzhafte Manipulationen in Zumeist lässt sich der Laryngospasmus durch
zu oberflächlicher Narkose vorgenommen die beschriebenen Maßnahmen beheben. Durch
werden. einen Laryngospasmus kann u. U. eine hoch-
dramatische Situation entstehen, die z. B. das
Einstechen mehrerer großlumiger Stahlkanülen
4.4.4 Therapie durch das Ligamentum cricothyreoideum (beim
Kind) oder eine Notkoniotomie (beim Erwach-
Der Versuch, durch eine Maskenbeatmung mit senen; → S. 229) notwendig macht.
hohem Beatmungsdruck zu beatmen, mag bei
einem Glottiskrampf meist gelingen. Bei einem
echten Laryngospasmus ist dies nicht (!) mög- 4.4.5 Prophylaxe
lich. Hier besteht lediglich die große Gefahr, das
Beatmungsgemisch in den Magen zu blasen. Durch korrektes Vorgehen kann ein Laryngo-
Dem Patienten sollte die Maske mit einem ho- spasmus meistens vermieden werden. Vor der
hen Sauerstofffluss nur dicht vors Gesicht ge- Extubation ist der Mund-Rachen-Raum von
halten werden. Auch der zumeist unkluge und Blut und Sekreten sorgfältig zu reinigen. Bei
vergebliche Versuch, sofort einen Tubus durch Operationen im Mund-Rachen-Bereich oder
den spastischen Kehlkopf zu zwängen, sollte sonstigem Verdacht auf Fremdkörper im Ra-
vermieden werden. Hierdurch können schwere chenraum sollte immer eine Absaugung un-
Verletzungen des Kehlkopfes gesetzt werden. ter laryngoskopischer Sicht durchgeführt wer-
Der manchmal empfohlene Versuch, den La- den. Eine Extubation im sog. Exzitationsstadium
ryngospasmus mit intravenöser Atropingabe zu (→ S. 106) muss vermieden werden. Ebenso
durchbrechen, ist ebenfalls nicht erfolgreich. ist das Einlegen eines Guedel-Tubus oder
Die einfachste Maßnahme, um einen Laryngo- die Intubation in zu flacher Narkose zu unter-
spasmus zu durchbrechen, ist, den auslösenden lassen.
216 4 Typische Narkoseprobleme
4.5 Bronchospasmus 4.5.4 Therapie
Unter Singultus (= Schluckauf) wird eine unwill- Es muss vor allem an einen Kaliummangel
! kürliche rasche Kontraktion des Zwerchfells mit gedacht werden, der bei Patienten, die mit
gleichzeitigem Stimmritzenverschluss und nach- Diuretika behandelt sind, häufig anzutreffen
folgender brüsker Einatmung verstanden. Bei der ist. Digitalisierte Patienten reagieren auf ei-
brüsken Einatmung wird ein hoher Ton hervorge- nen Kaliummangel besonders empfindlich.
rufen. Außerdem ist zu beachten, dass durch eine
Hyperventilation (= respiratorische Alkalo-
Intraoperativ kann es (v. a. bei abdominalen se) der Kaliumwert abfällt. Kalium muss in
Eingriffen) manchmal zu einem hartnäckigen Form von Kaliumchlorid zentralvenös sub-
Singultus kommen. stituiert werden. Nur im Ausnahmefall darf
Kaliumchlorid über einen periphervenösen
Zugang verabreicht werden (venenreizend
4.6.2 Therapie und schmerzhaft!). Es sollten nicht mehr als
20 mmol/h verabreicht werden.
● Vertiefung der Narkose ● Catecholamingabe oder Catecholaminaus-
Die Therapie besteht in einer Vertiefung der Sowohl bei den allergischen als auch bei den
Narkose oder einer adäquaten postoperativen pseudoallergischen Reaktionen kommt es zur
Analgesie. Auch bei einer Überdosierung von Freisetzung einer großen Anzahl von Mediato-
Medikamenten wie Catecholaminen (→ S. 300), ren (= chemischen Überträgerstoffen). Einer
Akrinor® (→ S. 117) oder Theophyllin (→ S. der bedeutendsten Mediatoren ist das Hist-
501) kann ein übermäßiger Blutdruckanstieg amin. Histamin wird insbesondere aus Mast-
auftreten. Des Weiteren kann es bei der Antago- zellen sowie basophilen Leukozyten freigesetzt.
nisierung eines postoperativen Opioidüber- Histamin übt seine Wirkungen über spezifische
hangs zu einem plötzlichen Blutdruckanstieg H1- und H2-Rezeptoren aus. H1-Rezeptoren
kommen (da hierdurch die opioidbedingte vermitteln eine Gefäßweitstellung (= Vasodila-
Dämpfung der postoperativen Schmerzen tation) mit Zunahme der Gefäßdurchlässigkeit
plötzlich wegfällt und akut Schmerzen auftreten (= Permeabilität) sowie eine Bronchokonstrik-
können, → S. 61). Diese Medikamente müssen tion und eine Konstriktion im Bereich des Ma-
entsprechend vorsichtig dosiert werden. gen-Darm-Trakts. H2-Rezeptoren vermitteln
Manchmal kann es sich aber auch um einen Pa- Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Steige-
tienten mit einem schlecht eingestellten Blut- rung der Magensaftproduktion sowie eine
hochdruck handeln. Die Therapie wird auf Seite verzögert auftretende und länger andauernde
325 beschrieben. Vasodilatation mit Steigerung der Gefäßper-
meabilität. Für die H2-vermittelte Vasodilatati-
on und Zunahme der Gefäßpermeabilität (=
kapilläres Leck) sind allerdings relativ hohe
4.10 Anaphylaktoide Histaminkonzentrationen notwendig.
Reaktionen
4.10.2 Einteilung
4.10.1 Allgemeine Bemerkungen der Schweregrade
Unter einer Allergie werden immunologische Anaphylaktoide Reaktionen können in ver-
Reaktionen verstanden, die durch Kontakt mit schiedene Schweregrade unterteilt werden (vgl.
solchen körperfremden Substanzen ausgelöst Tab. 4-1). Die Stadieneinteilung gibt aber kei-
werden, gegen die eine vorausgegangene Sensi- neswegs die Reihenfolge des Auftretens der ein-
bilisierung besteht. zelnen Symptome wieder. Es kann auch initial
Unter einer Anaphylaxie wird die Maximalvari- ein Kreislaufstillstand auftreten und erst nach
ante einer allergischen Reaktion verstanden. erfolgreicher Therapie können dann z. B. Haut-
Unter dem Begriff Pseudoallergie werden da- quaddeln (= eine Urtikaria) erkennbar werden.
gegen Unverträglichkeitsreaktionen verstanden,
die klinisch einer allergischen Reaktion gleichen,
denen jedoch keine immunologische Reaktion 4.10.3 Häufigkeit
zugrunde liegt. Eine pseudoallergische Reaktion
kann bereits beim Erstkontakt mit einer bestimm- In ca. 1–5 % aller Narkosen kommt es zu einer
ten Substanz auftreten, während bei einer echten klinisch nachweisbaren anaphylaktoiden Reak-
allergischen Reaktion immer eine Sensibilisierung tion unterschiedlichster Ausprägung. Bei ca.
vorausgehen muss. Klinisch sind allergische und 1 : 5 000 bis 1 : 25 000 Narkosen kommt es zu
pseudoallergische Reaktionen nicht zu unter- einer schweren anaphylaktoiden Reaktion. Le-
scheiden. Allergische und pseudoallergische Re- diglich bei ca. 30 % der Fälle liegt eine immuno-
aktionen werden unter dem Oberbegriff anaphy- logisch vermittelte Allergie zugrunde. Die häu-
laktoide Reaktionen zusammengefasst. figste Ursache für eine anaphylaktoide Reaktion
220 4 Typische Narkoseprobleme
Tab. 4-1 Schweregrade und Symptomatik anaphylak- sind auch in Kosmetika, industriellen Lösungs-
toider Reaktionen mitteln und Chemikalien (z. B. Haushaltsreini-
Schweregrade Symptomatik gern) weit verbreitet, wodurch es bei Frauen rela-
tiv oft zu einer Sensibilisierung kommt.
0 lokal (am Ort des lokal begrenzte kutane
Kontakts mit dem Reaktion
Auslöser)
1 leichte disseminierte kutane
4.10.4 Therapie
Allgemeinreaktion Reaktion
Bei Auftreten einer anaphylaktoiden Reaktion
(z.B. Flush, generalisierte
Urtikaria, Pruritus) muss – falls noch möglich – die weitere Zufuhr
Schleimhautreaktion des auslösenden Präparates sofort gestoppt wer-
(z.B. Nase, Konjunktiven) den. Zur Therapie einer anaphylaktoiden Reak-
Allgemeinreaktionen tion haben sich nur wenige Medikamente bzw.
(z.B. Unruhe, Kopfschmerz) Maßnahmen bewährt.
2 ausgeprägte Kreislaufregulations-
Allgemeinreaktion störungen Stadium 0/I:
! Therapie normalerweise nicht notwendig. Le-
(Blutdruck-,
Pulsveränderung) diglich bei subjektiven Beschwerden kann eine
Luftnot (leichte Dyspnoe, H1- oder H2-Rezeptor-Blockade durchgeführt wer-
beginnender den.
Bronchospasmus) Stadium II:
3 lebensbedrohliche Schock (schwere Sauerstoffgabe, Volumengabe, H1- oder H2-Rezep-
Allgemeinreaktion Hypotension, Blässe) tor-Blockade, pulmonale Probleme können meist
Bronchospasmus mit mit Beta-2-Mimetika gebessert werden. Wird ein
bedrohlicher Dyspnoe fortschreitendes Geschehen vermutet, kann ein
Bewusstseinstrübung Glucocorticoid verabreicht werden.
oder -verlust
Stadium III:
ggf. mit Stuhl-
Volumengabe, Catecholamingabe, bei pulmonaler
und/oder Urinabgang
Symptomatik sollten Beta-2-Mimetika und Corti-
4 vitales Atem- und/oder costeroide verwendet werden. Wird ein fortschrei-
Organversagen Kreislaufstillstand
tendes Geschehen vermutet, zusätzlich H1- oder
H2-Rezeptor-Blockade.
Stadium IV:
bei Erwachsenen sind Muskelrelaxanzien. Wei- Vorgehen nach den Richtlinien für die kardiopul-
tere wichtige Auslöser sind Knochenzement, monale Reanimation.
Latex, Röntgenkontrastmittel, Antibiotika und
Protamin.
Volumengabe
Muskelrelaxanzien sind in 60–80 % der Fälle die
! Ursache für eine anaphylaktoide Reaktion wäh- Da Elektrolytlösungen zum großen Teil inner-
rend der Narkose. halb kurzer Zeit aus dem Intravasalraum ins
Gewebe diffundieren, haben sie einen relativ
In ca. 85 % der Fälle handelt es sich um Frauen. geringen Volumeneffekt. Es müssen daher gro-
Eine Sensibilisierung gegen Muskelrelaxanzien ße Volumina verabreicht werden. Als Volumen-
tritt deshalb vor allem bei Frauen auf, da Muskel- ersatzmittel wird oft auch HES verwendet. HES
relaxanzien quartäre Ammoniumverbindungen besitzt jedoch selbst ein (geringes) anaphylak
darstellen. Quartäre Ammoniumverbindungen toides Potenzial. Die Volumenzufuhr hat bei
4.10 Anaphylaktoide Reaktionen 221
erwiesen. Bei pulmonalen Reaktionen kann Medikamente, die selten zu einer anaphylakto-
durch eine Glucocorticoidgabe die Wirkung iden Reaktion führen, sind z. B.:
der zusätzlich verabreichten Beta-2-Mimetika ● Inhalationsanästhetika
● Ketamin
kg KG) oder Clemastin (Tavegil®: 0,05 mg/ sind mehrfache Intubationsversuche notwendig,
kg KG) plus Cimetidin (Tagamet®) liegen posi- und bei 0,05–0,35 % der Patienten gelingt die
tive Ergebnisse vor. laryngoskopische endotracheale Intubation
Für folgende Risikogruppen wird z. B. meist nicht. Bei 0,0001–0,02 % der Patienten ist weder
eine Vorbehandlung mit H1- und H2-Rezeptor- die endotracheale Intubation noch die Masken-
Blockern empfohlen: narkose möglich (,,can’t ventilate, can’t intu
● Patienten, die eine Überempfindlichkeit ge- bate“).
gen intravenös applizierte Medikamente Von einer schwierigen Intubation wird meist
oder Röntgenkontrastmittel aufweisen dann gesprochen, wenn zur Intubation
● Patienten, die eine Neigung zu anaphylakto- ● Hilfsmittel eingesetzt werden müssen
iden Reaktionen in der Anamnese haben, wie ● mehr als 3 Intubationsversuche notwendig
● Patienten, bei denen eine große Gefäßopera- sisten als schwierig eingeschätzt wird
tion (z. B. Bauchaortenaneurysma) durchge-
führt wird Bei Intubationsproblemen lässt sich zumeist die
Glottis nicht oder nur unzureichend mit dem
Laryngoskop einstellen. Die Einstellbarkeit der
Glottis mithilfe des Laryngoskops kann (nach
4.11 (Un-)erwartete Cormack) in Grad I bis IV unterteilt werden
(vgl. Abb. 4-1).
Probleme bei der Intubation
Grad I:
4.11.1 Allgemeine Bemerkungen ! Die gesamte Larynxöffnung ist einsehbar.
Grad II:
Etwa 30 % der anästhesiebedingten Todesfälle Lediglich der hintere Anteil der Larynxöffnung ist
sind darauf zurückzuführen, dass ein Offenhal- erkennbar.
ten der Atemwege und eine suffiziente Ventilati- Grad III:
on nicht gelingen. Bei ca. 1–18 % der Patienten Lediglich die Epiglottis ist erkennbar.
zum Pharynx
● Überstreckbarkeit im Atlantookzipitalgelenk Überstreckbarkeit
● Größe des Mandibularraumes im Atlantookzipitalgelenk
● (Beurteilung des Zahnstatus)
Abb. 4-2 Mallampati I bis IV
4.11 (Un-)erwartete Probleme bei der Intubation 225
sehen, und die laryngoskopische Einstellbarkeit ● keine (!) Überstreckung der Halswirbelsäule
Abb. 4-3 Schematische Darstellung
der nasotrachealen fiberbronchoskopis-
chen Intubation
Abb. 4-5 Schematische Darstellung
der orotrachealen fiberbroncho-
skopischen Intubation über eine
spezielle Gesichtsmaske
Werden große Intubationshindernisse erwartet, stützung hinzugezogen werden. Falls die Ope-
! dann ist es ratsam, dass die HNO-Ärzte zuerst in ration nicht dringend durchgeführt werden
Lokalanästhesie eine Tracheostomie durchführen. muss, sollte man bei großen Operationen den
Während der nachfolgenden Narkose wird der Pa- Patienten wach werden lassen und ihn später
tient über das Tracheostoma beatmet. nach entsprechender Vorbereitung primär fi-
berbronchoskopisch (→ S. 225) intubieren. Falls
die Operation dringend ist und sich der Patient
4.11.4 Unerwartete Intubations- gut mit Maske ventilieren lässt, kann eine klei-
probleme beim bereits nere, periphere Operation evtl. auch in Mas-
kennarkose durchgeführt werden. Falls sich der
anästhesierten Patienten Patient gut über Maske beatmen lässt, es sich
um eine dringende und größere Operation han-
Ein entscheidendes Problem bei Intubations- delt, kann nun versucht werden, den Patienten
! schwierigkeiten besteht häufig darin, dass frustra- unter Maskenbeatmung fiberbronchoskopisch
ne Intubationsbemühungen so lange fortgeführt oral zu intubieren (→ S. 226).
werden, bis es aufgrund von Schwellungen und
Blutungen im Rachenraum letztlich nicht mehr Bei unerwarteten Intubationsproblemen kann ins-
möglich ist, den Patienten mittels Maske zu beat- ! besondere auch versucht werden, dem Patienten
men. eine Larynxmaske einzulegen, über die dann blind
oder idealerweise mithilfe eines Fiberbroncho-
Werden mehrere vergebliche Intubationsversu- skops ein Tubus eingeführt wird. Für dieses Vorge-
che durchgeführt, so ist es wichtig, zwischen hen stehen inzwischen auch spezielle Larynxmas-
den einzelnen Versuchen eine suffiziente Mas- ken (sog. Intubationslarynxmasken; LM-Fastrach)
kenbeatmung sicherzustellen. Wenn sich der zur Verfügung (Abb. 1-72b).
Patient trotz Verbesserung der Kopflagerung
und trotz Verwendung der richtigen Spatelgrö- Über eine erfolgreich platzierte Kehlkopfmaske
ße nicht intubieren lässt, sollte bereits nach kann (möglichst nicht blind, sondern unter fi-
wenigen frustranen Intubationsversuchen ein beroptischer Kontrolle) ein dünnerer Endotra-
besonders erfahrener Anästhesist zur Unter- chealtubus (der auf ein Fiberbronchoskop auf-
4.11 (Un-)erwartete Probleme bei der Intubation 229
Abb. 4-7 Manujet-III-Gerät
Bei Durchführung dieser transtrachealen Jet-Ven-
! tilation muss sichergestellt werden, dass das ein-
Für Säuglinge werden 18-G-Transtrachealka- geblasene Gas über die Glottis und den Mund-
theter, für Kinder 14-G-Transtrachealkatheter Rachen-Raum nach oben sicher entweichen kann,
und für Erwachsene 13-G-Transtrachealkathe- da ansonsten ein Barotrauma der Lunge droht!!
ter empfohlen. Sehr wichtig ist es, dass die Thoraxbewegungen
Die manuelle Beatmung, z. B. mit einem Ambu®- während der transtrachealen Jet-Beatmung beob-
Beutel oder einem Beatmungsbeutel des Kreis- achtet und die Lungen auskultiert werden.
systems, ist über eine solche Kanüle nicht mög-
lich. An eine solche transtracheal platzierte
Kanüle muss nun ein Jet-System angeschlossen 4.11.5 Extubation
werden. Es sind hierfür Jet-Pistolen verfügbar, nach schwieriger Intubation
die an die zentrale Sauerstoff- oder Druckluft-
versorgung konnektiert und von Hand bedient Bei der Extubation von Patienten, die schwierig
werden (Manujet-III-Gerät; Abb. 4-7). An dem zu intubieren waren, sollte so vorgegangen wer-
Manujet-III-Gerät muss durch Betätigen eines den, dass ggf. eine sichere Reintubation mög-
Druckreglerknopfes noch der gewünschte lich ist. Hierfür bietet sich die Extubation unter
Druck eingestellt werden. Verwendung eines speziellen Katheters an (Tu-
Für Säuglinge ist ein Druck von < 1,0 bar, für buswechselstab mit Luftzufuhransatz, Fa.
Kinder ein Druck von 1–2,5 bar und für Er- Cook). Ein solcher Tubuswechselstab ist ein
wachsene ein Druck von 2,5–4,0 bar einzustel- langer, relativ rigider, hohler, zigarettendicker
len. Stab, der vor der Extubation über den Endotra-
Empfehlenswert ist es, mit einem niedrigen chealtubus bis in die Trachea vorgeschoben
Druck zu beginnen und diesen dann ggf. zu wird. Nun kann der Endotrachealtubus über
steigern. Da bei dieser Beatmung ein Teil diesen Tubuswechselstab zurückgezogen oder
des insufflierten Volumens über die oberen ganz entfernt werden. Auf das orale Ende dieses
Atemwege entweicht, sind höhere Volumina Katheters kann ein spezieller Konnektor aufge-
pro Minute zur Beatmung notwendig. Die emp- steckt werden, sodass eine Steckverbindung mit
fohlenen Parameter sind in Tabelle 4-3 angege- dem Y- bzw. Winkelstück des Beatmungsgerä-
ben. tes (bzw. mit einem Beatmungsbeutel) möglich
4.13 Intraoperative Wachheit 231
Sauerstoff über diesen endotracheal liegenden (fönartige Gebläse, die Warmluft in eine spe-
Katheter zugeführt werden. Falls Probleme auf- zielle Körperdecke blasen, z. B. Warm
treten, kann ggf. erneut ein Endotrachealtubus Touch, Fa. Mallinckrodt). Diese Systeme
über diesen relativ rigiden Tubuswechselstab sind besonders effektiv.
vorgeschoben werden. ● Warmwasserzirkulationsmatte
● Heizstrahler
Nach Einführen des Fiberbronchoskops bis in ● Anwärmen der Infusions- und Transfusionslö-
Zu intraoperativer Wachheit kommt es vor al- hoch dosiert wurden, während die hypnotische
lem in besonderen Situationen wie Kreislaufin- Komponente eher gering war und meist nur
stabilität mit sehr niedrigem Blutdruck oder bei durch Lachgas in Kombination mit einem
einer Sectio caesarea vor Abnabelung des Kin- Opioid aufrechterhalten wurde. Bei Durchfüh-
des, also in Situationen, in denen manchmal rung der inzwischen zunehmend häufiger ange-
vorübergehend bewusst eine relativ flache Nar- wandten total intravenösen Narkose (bei der
kose angestrebt wird. Auch bei kardiochirur auf ein volatiles Inhalationsanästhetikum und
gischen Operationen scheint das Risiko einer auf Lachgas verzichtet wird) ist das Risiko einer
intraoperativen Wachheit erhöht zu sein. Insbe- intraoperativen Wachheit möglicherweise er-
sondere auch bei der noch vor ca. 20 Jahren sehr höht. Durch eine tiefe Inhalationsanästhesie
populären Neuroleptanästhesie (→ S. 130) war kann das Risiko einer intraoperativen Wachheit
das Risiko einer intraoperativen Wachheit er- am sichersten vermieden werden.
höht, da hierbei die Muskelrelaxanzien relativ
233
5.1 Anästhesie bei Kindern low birth weight infants; < 1 500 g] und ex-
trem untergewichtige Neugeborene [= ELBW
5.1.1 Allgemeine Bemerkungen = extremely low birth weight infants;
< 1 000 g]).
Zwischen Kindern und Erwachsenen bestehen ● Neugeborene:
nicht nur hinsichtlich Größe und Gewicht (vgl. bis zum 28. Lebenstag
Tab. 5-1) erhebliche Unterschiede. Auch bezüg- ● Säuglinge:
lich der Anatomie, Physiologie und Pathophy- bis zum Ende des ersten Lebensjahrs
siologie und der Psychologie sind zum Teil gro- ● Kleinkinder:
ße Unterschiede zu beachten. zweites bis fünftes Lebensjahr
Daraus ergibt sich: ● Schulkinder:
sechstes bis 14. Lebensjahr
In der Kinderanästhesie müssen folgende Alters-
! gruppen unterschieden werden:
5.1.2 Physiologische
Frühgeborene:
Besonderheiten
●
bation in einen Hauptbronchus. Zumeist gleitet (→ S. 236). Wegen dieses unvermeidbaren Ap-
der Tubus – wie auch beim Erwachsenen – in paratetotraums empfiehlt es sich, bei der kon-
den rechten Hauptbronchus. trollierten Beatmung intubierte Kinder mit ei-
Bedingt durch einen nahezu horizontalen Rip- nem Atemhubvolumen von ca. 10 ml/kg KG
penverlauf und eine nur schwach ausgebildete und einer etwas erniedrigten Atemfrequenz (→
Interkostalmuskulatur kann das Kind fast nur oben) zu beatmen.
mit dem Zwerchfell atmen. Jegliche Einschrän-
kung der Zwerchfellatmung, z. B. durch eine
Erhöhung des intraabdominalen Drucks, kann Herz-Kreislauf-System
daher schnell zu einer unzureichenden Ventila-
tion führen. Die alveoläre Ventilation pro Kurz nach der Geburt kommt es zum vorerst
kg KG ist im Verhältnis zum Erwachsenen 2- nur funktionellen (und erst später, ca. am Ende
bis 3-mal höher. Die Ursache liegt in einer ent- des dritten Lebensmonats, zum definitiven)
sprechend höheren Stoffwechselrate und einem Verschluss der für den fetalen Kreislauf not-
2- bis 3-fach höheren Sauerstoffverbrauch. Da wendigen Kreislaufkurzschlüsse. Das Foramen
beim Kind die funktionelle Residualkapazität ovale (= Verbindung zwischen rechtem und lin-
(→ S. 342) pro kg KG vergleichbar groß ist wie kem Vorhof) und der Ductus arteriosus Botalli
beim Erwachsenen, die alveoläre Ventilation (= Verbindung zwischen Aorta und Arteria pul-
und der Sauerstoffverbrauch pro kg KG und monalis) verschließen sich.
Minute aber deutlich höher sind, wird verständ-
lich, dass es bei Ventilationsstörungen des Kin- Bei Auftreten eines Sauerstoffmangels oder einer
des viel schneller zu einem Sauerstoffmangel ! Acidose in der Neugeborenenzeit droht eine Wi-
und zu einer Zyanose kommt als beim Erwach- derstandserhöhung im Lungenkreislauf mit Wie-
senen. dereröffnen dieser fetalen Kurzschlüsse!
Die Atemfrequenz des Neugeborenen liegt bei
40–60/min, beim Säugling bei 30–60/min, beim Hierdurch kommt es zu einer weiteren Ver-
3-Jährigen bei 30–40/min und beim 8-Jährigen schlechterung der Kreislaufsituation, wodurch
bei ca. 20/min. Das spontane Atemzugvolu- Hypoxie und Acidose verstärkt werden. Ein
men von Kindern beträgt ca. 7 ml/kg KG, beim Teufelskreislauf beginnt.
Neugeborenen also nur ca. 20 ml; davon sind Eine Hypoxie sowie eine Acidose müssen ver-
⅓ (= 7 ml) Totraumventilation. Jegliche Ver- mieden werden!
größerung des Totraums geht auf Kosten der Die Herzfrequenz des Kindes ist relativ hoch,
alveolären Ventilation. der Blutdruck relativ niedrig (vgl. Tab. 5-2).
Eine Steigerung des Herzminutenvolumens ist
Bereits eine Vergrößerung des Totraums um 3 ml nur über eine Steigerung der Herzfrequenz
! bedeutet beim Neugeborenen, dass der Totraum möglich, jedoch kaum durch eine Vergröße-
jetzt 10 ml, also schon 50 % des Atemzugvolu- rung des Schlagvolumens des Herzens. Bei Auf-
mens, beträgt. treten eines Sauerstoffmangels reagiert das
kindliche Herz, im Gegensatz zu dem des Er-
Bei Verwendung von Anästhesiezubehör wie wachsenen, typischerweise mit einer sofortigen
einer Gesichtsmaske, eines Winkel- oder Y- Frequenzverlangsamung.
Stückes oder einer Messküvette für die endex-
spiratorische CO2-Messung zwischen Tubus Bei Auftreten einer Bradykardie ist bei Kindern im-
und Winkel- bzw. Y-Stück, kommt es zwangs- ! mer zuerst an einen Sauerstoffmangel zu denken!
läufig zu einer Vergrößerung des Totraumvolu- Bei unklarer Bradykardie ist Sauerstoff die Thera-
mens. Es darf daher nur spezielles Kinderzube- pie der Wahl!
hör mit minimalem Totraum verwendet werden
5.1 Anästhesie bei Kindern 235
Tab. 5-2 Richtwerte für Herzfrequenz und Blutdruck im durch Wärmeleitung (Konduktion; durch kalte Un-
Kindesalter terlage) und Wärmeabstrahlung (Radiation; Ab-
Alter Herz- Blutdruck Blutdruck strahlung z. B. an kalte Wände des OP-Saales) ent
frequenz systo- diasto- stehen.
(Herz- lisch lisch
schläge/min) (mm Hg) (mm Hg) Des Weiteren sind Neugeborene und Kleinkin-
Neuge- 130 75 50 der noch nicht in der Lage, durch Muskelzit-
borenes tern Wärme zu produzieren. Eine Wärmepro-
3 Mo. 130 80 50 duktion ist nur über eine Steigerung des
Stoffwechsels möglich. Da hierbei Glykogen,
1 J. 125 90 65
Lipide und Sauerstoff verstoffwechselt werden,
5 J. 100 95 50 drohen eine metabolische Acidose durch die bei
10 J. 90 100 60 der Lipidverstoffwechselung entstehenden Ke-
tonkörper sowie eine Hypoglykämie und Hyp-
oxie. Perioperativ ist eine Unterkühlung der
Führt dies nicht sofort zum Erfolg, sollte zu- Kinder unbedingt zu vermeiden! Neugeborene
sätzlich Atropin intravenös (0,01–0,02 mg/ dürfen erst unmittelbar vor Narkoseeinleitung
kg KG) verabreicht werden. aus dem Inkubator genommen werden. Der
Durch die intravenöse Gabe von Atropin kön- Operationssaal sollte auf 26–28 °C geheizt sein.
nen oft Frequenzsteigerungen von 160–190/ Der Operationstisch sollte über eine beheizbare
min auftreten. Wärmematte verfügen, idealerweise sollte ein
Bei Neugeborenen sind der Hb-Wert mit 18– Warmluftsystem (z. B. Warm Touch®, Fa. Mal-
20 g % und der Hkt-Wert mit 45–55 % relativ linckrodt) verwendet werden (→ S. 231). Zur
hoch. Bis zum dritten Monat fallen diese Werte Ein- und Ausleitung sollte das Früh- bzw. Neu-
auf ein Minimum ab (= Trimenonanämie). Der geborene in warme Tücher eingewickelt wer-
Hb-Wert beträgt hier ca. 10 g %, der Hkt-Wert den. Solange es aufgedeckt sein muss, sollte es
ca. 35 %. In den folgenden Jahren werden die unter eine Wärmelampe (Infrarotlampe) gelegt
Erwachsenenwerte erreicht. Das Blutvolumen werden. Des Weiteren dürfen keine kalten Infu-
beträgt beim Neugeborenen ca. 8,5 % des Kör- sions- oder Transfusionslösungen verwendet
pergewichts und ist damit etwas höher als das werden.
Blutvolumen des Erwachsenen (ca. 7,5 % des Bei Eingriffen, die länger als 30 Minuten dau-
Körpergewichts). ern, sollte stets die Körpertemperatur gemessen
Ein Neugeborenes mit 3 kg KG hat also nur ca. werden, am besten mittels einer ösophagealen
250 ml Blut! Bereits „geringe“ Blutverluste kön- oder rektalen Temperatursonde. Da bei jungen
nen zu einem bedrohlichen Volumenmangel Säuglingen eine Hypothermie zu einer Hypo-
und Blutdruckabfall führen! ventilation führt, sollten unterkühlte Kinder am
Ende der Operation bis zur Wiedererwärmung
nachbeatmet werden.
Temperaturregulation
Je kleiner das Kind, desto größer ist dessen Kör- Wasser- und Elektrolythaushalt
! peroberfläche bezogen auf das Körpergewicht.
Hierdurch werden ein großer Wärmeverlust und Während beim Erwachsenen der Flüssigkeits-
eine schnelle Unterkühlung begünstigt. Wärme- ! anteil ca. 60 % des Gesamtkörpergewichts aus-
verluste können durch Verdunstung (Evaporati- macht, beträgt er beim Neugeborenen und beim
on; z. B. von Desinfektionsmitteln), durch Zugluft Kleinkind ca. 75 %. Insbesondere der extrazellulä-
(Konvektion; z. B. bei offenen Türen im OP-Saal), re Flüssigkeitsanteil ist relativ hoch.
236 5 Anästhesie – spezieller Teil
5.1.3 Spezielles Narkosezubehör
Gesichtsmasken
Abb. 5-2 Gesichtsmaske für Erwachsene. Beachte: rela-
Bei der Anästhesie von Kindern haben sich tiv großer Totraum.
die sog. Rendell-Baker-Masken bewährt (vgl.
Abb. 5-1). Sie passen sich optimal der kindli-
chen Gesichtsform an und zeichnen sich im Ge- Die Rendell-Baker-Masken liegen in 4 Größen
gensatz zu den Masken für Erwachsene (vgl. ! vor:
Abb. 5-2) durch einen minimalen Totraum aus 0 für Frühgeborene
(vgl. Abb. 5-3). Der Innenraum dieser Masken = ca. 2 ml Totraum
wird fast vollständig vom kindlichen Gesicht 1 für Neugeborene
ausgefüllt. = ca. 4 ml Totraum
2 für das erste bis dritte Lebensjahr
= ca. 8 ml Totraum
3 für das vierte bis achte Lebensjahr
= ca. 15 ml Totraum
5.1 Anästhesie bei Kindern 237
Endotrachealtuben
5.1.4 Narkosesysteme
Ein Narkosesystem für Kinder unter 15 kg KG dünne (kleinvolumige)
muss folgenden Anforderungen gerecht wer- Beatmungsschläuche
den:
● minimaler Totraum
● minimaler Atemwiderstand O2
und Säuglinge können bis 4 Stunden vor Beginn aber auch spezielle, auf den Spritzenkonus auf-
der Narkoseeinleitung gestillt werden oder Fla- steckbare Applikatoren zur Verfügung. Hiermit
schennahrung erhalten. Neugeborene und wird das Medikament rektal (kurz hinter den
Säuglinge sollten stets am Anfang des Operati- Analsphinkter) injiziert.
onsprogramms operiert werden.
Der große Vorteil der rektalen Prämedikation liegt
! in der Schmerzfreiheit. Außerdem wird sie von
Prämedikation Kindern meist gut toleriert, da ihnen diese rek-
talen Maßnahmen vom Fiebermessen oder von
Orale Prämedikation „Fieber-“ und „Schmerzzäpfchen“ her bekannt
sind.
Bei der oralen Prämedikation wird eine Medi-
kamentenflüssigkeit oder eine Tablette mit ei- Für die rektale Prämedikation mit Midazolam
nem Schluck Wasser verabreicht. Durch die ge- wird eine Dosierung von 0,5–1,0 mg/kg KG
ringe Menge der hierbei nötigen Flüssigkeit empfohlen. Es wird die für die intravenöse In-
wird das Nüchternheitsgebot (→ S. 5, 209) nicht jektion übliche Lösung (1 ml = 1 mg) rektal ver-
gebrochen. Zur oralen Prämedikation kann abreicht. Die Kinder schlafen meist nicht tief
vorzugsweise Midazolamflüssigkeit (0,4–0,5 ein. Nach 5–7 Minuten tritt aber ein Stim-
mg/kg KG) verabreicht werden. Die Kinder mungswandel von „ängstlich-traurig“ zu „hei-
schlafen hierbei meist nicht ein, sondern wer- ter-gelöst“ auf, in der die Kinder die intravenöse
den lediglich schläfrig und heiter-gelassen. Einleitung oder die Maskeneinleitung gut tole-
Nach ca. 10 Minuten setzt die Wirkung ein, die rieren.
ungefähr 30 Minuten anhält. Aufgrund des bit- Auf die Prämedikation kann auch (selten) zu-
teren Geschmacks von Midazolam sollten ge- gunsten einer rektalen Narkoseeinleitung (→ S.
schmackskorrigierte Lösungen verwendet wer- 240) im Operationssaal verzichtet werden.
den. So ist z. B. der Zusatz von Fanta oder
Orangenaroma zu der handelsüblichen Mida-
zolamlösung möglich. In der Regel können sol- Narkoseeinleitung
che speziellen Midazolamsäfte von der Kran-
kenhausapotheke hergestellt werden. Sinnvoll Die Narkoseeinleitung beim Kind verlangt Zeit
erscheint eine Konzentration von 2 mg/ml. und Einfühlungsvermögen. Kleinere Kinder
weinen oft, da sie Trennungsängste empfinden,
Großer Vorteil der oralen Prämedikation ist ihre wenn sie die Eltern verlassen müssen. Ältere
! Schmerzfreiheit bei der Applikation. Kinder haben daneben noch direkte Angst vor
der Operation und der Narkose. Durch gutes
Zureden, Spielen lassen, z. B. mit einem aufge-
Rektale Prämedikation blasenen Latexhandschuh oder mit einer Sprit-
ze, können die Kinder meistens abgelenkt wer-
Zur rektalen Prämedikation von Kindern hat den. Wichtig ist es, die Kinder niemals bezüglich
sich insbesondere Midazolam (→ S. 53) be- der durchzuführenden Maßnahmen zu belü-
währt. Die rektale Prämedikation wird zuguns gen, da sie sonst sehr schnell jegliches Vertrau-
ten der oralen Prämedikation jedoch nur noch en verlieren.
selten durchgeführt. Die Medikamente für die
rektale Prämedikation werden in einer Spritze
aufgezogen, auf deren Konus das abgeschnitte-
ne und mit Xylocain®-Gel bestrichene Ende ei-
nes Absaugkatheters aufgesetzt wird. Es stehen
240 5 Anästhesie – spezieller Teil
Intramuskuläre Einleitung
Venöser Zugang
Narkoseführung
Lediglich bei kurzen, unproblematischen Nar-
kosen ist eine Maskennarkose zu empfehlen.
Zunehmend häufiger wird auch in der Kinder-
anästhesie eine Larynxmaske eingesetzt. Dies
erfordert jedoch entsprechende Erfahrung mit
dieser Methode und der Anästhesie bei Kin-
dern. Bei Risikokindern oder Unsicherheit des
Anästhesisten sollte eine Intubationsnarkose
Abb. 5-8 Einstellung des Kehlkopfes beim Kind durchgeführt werden.
(Soll ein Neugeborenes, ein Säugling oder ein Der Anästhesist sollte über ein Ohrstück
Kleinkind jedoch mehrere Tage intubiert blei- ständige Verbindung zu einem linksthorakal
ben, dann wird zumeist eine nasotracheale In- aufgeklebten, sog. präkordialen Stethoskop
tubation vorgezogen, da hierbei der Tubus bes- haben. Mit dem Stethoskop kann sowohl die
244 5 Anästhesie – spezieller Teil
Herzfrequenz als auch die Lautstärke der Rocci ist jedoch insbesondere bei Säuglingen
Herztöne beurteilt werden. Die Lautstärke und Kleinkindern schwierig und oft unzu-
der Herztöne verändert sich bei Kleinkin- verlässig. Bewährt hat sich die Blutdruck-
dern parallel zum Blutdruck. Außerdem messung mit der oszillometrischen Methode
kann natürlich das Atemgeräusch beurteilt (z. B. mit dem Dinamap®-Gerät). Nur bei
und damit eine Kontrolle des Atemhubvolu- sehr kritischen Operationen mit hohen Vo-
mens vorgenommen werden. Ist ein präkor- lumenumsätzen und bei Kindern mit kar-
diales Stethoskop aus operationstechnischen diorespiratorischem Versagen wird eine blu-
Gründen nicht zu platzieren, sollte ein Öso- tige arterielle Druckmessung notwendig
phagusstethoskop eingeführt werden. werden.
● Messung der Körpertemperatur:
Das präkordiale Stethoskop ist bei Kindern die rektal oder tief ösophageal
! mit Abstand wichtigste Überwachungsmaß- ● Blutgasanalyse:
nahme! Hierzu eignet sich arterialisiertes Kapillar-
blut, z. B. aus der hyperämisierten Finger-
● Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung beere, der Ferse oder dem Ohrläppchen. Zur
mittels Pulsoxymetrie (→ S. 405) exakten Beurteilung des Sauerstoffpartial-
● endexspiratorische CO -Messung: drucks ist jedoch arterielles Blut notwendig.
2
Da in der Kinderanästhesie häufig eine ma- ● Blutzuckerkontrolle:
nuelle Ventilation durchgeführt wird und Diese ist vor allem bei Frühgeborenen wegen
manche älteren Volumeter bei sehr kleinen der Gefahr einer Hypoglykämie notwendig.
Atemhubvolumina nicht ausreichend genau Aber auch eine Hyperglykämie (durch Infu-
arbeiten, empfiehlt sich bei jeder Intubati- sionstherapie oder starke Stresssituation) ist
onsnarkose eine kontinuierliche endexspira- bei Früh- und Neugeborenen unbedingt zu
torische CO2-Messung (→ S. 405). Bei der vermeiden.
Messung im Hauptstrom, das heißt zwischen
Tubus und Y- bzw. Winkelstück, müssen
spezielle Kinderküvetten mit besonders klei- Perioperative Infusionstherapie
nem Totraumvolumen verwendet werden.
Anhand der endexspiratorischen CO2-Mes- Bezüglich der perioperativen Infusions- und
sung kann auch sofort und zuverlässig er- Transfusionstherapie sei auf die ausführlichen
kannt werden, ob das Kind richtig, das heißt Beschreibungen auf den Seiten 136 und 143
endotracheal intubiert ist (→ S. 98). verwiesen.
● EKG-Ableitung: Bei Kindern < 2 Jahren bietet sich für den Ersatz
Ihre Durchführung ist obligat. des Basisbedarfs eine Halbelektrolytlösung mit
● Blutdruckmessung: 2,5 % Glucose an (z. B. 0,45 % Natriumchlorid
Es ist auf eine korrekte Manschettenbreite zu – 2,5 % Glucoselösung, 77 mmol/l Natrium,
achten. Die Breite der Blutdruckmanschette 2,5 % Glucose, Fa. Serag-Wiessner) und für den
sollte ca. ⅔ der Oberarmlänge betragen. Zu Ersatz des Nachhol- und Verlustbedarfs kann
breite Manschetten ergeben zu niedrige, zu (wie bei Erwachsenen; → S. 144) Vollelektro
schmale Manschetten zu hohe Blutdruck- lytlösung verwendet werden (→ S. 133). Bei
werte. Die Blutdruckmessung ist der zuver- Kindern > 2 Jahren kann prinzipiell Vollelektro-
lässigste Parameter für die Kreislaufüberwa- lytlösung verwendet werden. Bei großen Ope-
chung beim Kind. Der systolische Blutdruck rationen (z. B. Omphalozele) wird meist auch
ist ein guter Gradmesser für einen Volumen- eine großzügige Proteinzufuhr durchgeführt.
mangel. Die Blutdruckmessung nach Riva-
5.1 Anästhesie bei Kindern 245
Neugeborene, Säuglinge und Kinder bis 8 J.: 0,01 mg/kg KG i. v. oder intraossär
1 ml = 1 mg mit 9 ml NaCl 0,9% verdünnen;
davon: 0,1 ml/kg KG
für endotracheale Gabe 0,1 mg/kg KG = 0,1 ml/kg KG der unverdünnten Lösung
Wiederholungsdosen ggf. alle 3–5 Minuten
Pethidin 0,25–0,5 mg/kg KG i. v. (mittlere Erfolgsdosis im Rahmen der postoperativen Schmerz-
therapie; → S. 328)
246 5 Anästhesie – spezieller Teil
Volumenzufuhr bei Hypovolämie und Schock 5–10–20 ml/kg KG i. v. HES (Voluven®) oder
Humanalbumin 5%, bei Bedarf wiederholen
Blutverluste sind sehr genau zu registrieren. Bei Als Parameter für eine ausreichende intraopera-
älteren Säuglingen und Kindern können Blut- ! tive Volumensubstitution können der systolische
verluste bis ca. 25–30 % des Blutvolumens (Hb- Blutdruck, die Urinausscheidung sowie der ZVD
Abfall bis auf ca. 7 g/dl), bei Frühgeborenen, (falls ein Kavakatheter liegt) gelten.
Neugeborenen und jungen Säuglingen können
meist Blutverluste bis (10–)15 % (Hb-Abfall bis
auf ca. 10 g/dl) durch HES (Voluven®; → S. 135) Extubation
oder 5%iges Humanalbumin ersetzt werden.
Bei noch größeren Blutverlusten wird eine Blut- Da Kinder zu einer stärkeren Speichelbildung
transfusion notwendig. Die Substitution von neigen, ist der Mund vor der Extubation stets
Blut, Humanalbumin oder HES erfolgt am bes sorgfältig von Speichel freizusaugen. Bei Ope
ten über 10-ml-Spritzen oder eine Spritzen- rationen im Nasen-Rachen-Bereich muss
pumpe, um eine möglichst genaue Dosierung das Blut vor der Extubation gezielt (ggf. unter
zu garantieren. Blut- und Humanalbumingabe laryngoskopischer Sicht) abgesaugt werden.
können auch mittels Spritzenpumpe verabreicht Ein endobronchiales Absaugen sollte bei der
und so genau dosiert werden. Extubation normalerweise nicht vorgenom-
5.1 Anästhesie bei Kindern 247
men werden. Falls dies unbedingt notwendig Säuglinge unter 3 Monaten sollten immer erst
erscheint, muss danach die Lunge mehrmals ge- extubiert werden, wenn sie wieder richtig wach
bläht werden. sind. Auch bei älteren Kindern empfiehlt sich
die Extubation erst dann, wenn die Kehlkopfre-
Auf keinen Fall darf beim Herausziehen des Tubus flexe zurückgekehrt sind. Eine Extubation in
! endotracheal abgesaugt werden. Die Gefahr der tiefer Narkose sollte nur in Ausnahmefällen,
Ausbildung von Atelektasen ist bei Kindern sehr z. B. bei bekanntem Asthma bronchiale oder bei
groß. Neigung zu Laryngospasmen, durchgeführt
Tab. 5-5 Häufiger eingesetzte Antibiotika für die perioperative Antibiose in der Kinderchirurgie
Wirkstoff (Handelsnamen) Alter Einzeldosis Tagesdosis
Ampicillin (z. B. Binotal )
®
NG < 7 d 50 mg/kg KG 3 × 50 mg/kg KG
NG > 7 d bis 12 J. 50 mg/kg KG 4 × 50 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl./Erw. ED = 2 g 2×2g
Cefazolin (z. B. Cephazolin®) NG < 7 d 20 mg/kg KG 2 × 20 mg/kg KG
NG > 7 d 20 mg/kg KG 3 × 20 mg/kg KG
> 1 Mon. bis 12 J. 30 mg/kg KG 3 × 30 mg/kg KG
12 J./Jgdl. 1,5 g 3 × 1,5 g
Erw. 2,0 g 3×2g
Cefotaxim (z. B. Claforan®) NG < 7 d bis 12 J. 35 mg/kg KG 3 × 35 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl./Erw. mit 2g 3×2g
> 50 kg KG
Cefuroxim (z. B. Zinacef®) NG < 7 d bis 3 Mo. 30 mg/kg KG 2 × 30 mg/kg KG
> 3 Mon. bis 12 J. 35 mg/kg KG 3 × 35 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl./Erw. ED = 1,5 g 3 × 1,5–2 g
Flucloxacillin (z. B. Staphylex®) NG < 7 d 25 mg/kg KG 3 × 25 mg/kg KG
NG > 7 d bis 3 Mo. 30 mg/kg KG 3 × 30 mg/kg KG
> 3 Mon. bis 12 J. 25 mg/kg KG 4 × 25 mg/kg KG
> 12 J./Jgdl. 1g 4×1g
Erw. 2g 3×2g
Metronidazol (z. B. Clont®) NG < 7 d initiale loading danach 24 h Pause, anschließend
dose: 15 mg/ 2 × 7,5 mg/kg KG
kg KG
NG > 7 d/Sgl./Jgdl. initiale loading anschließend 3 × 7,5 mg/kg KG
dose: 15 mg/
kg KG
Erw. (> 50 kg KG) 500 mg 2 × 500 mg
Mezlocillin (Baypen®) NG < 7 d bis 12 Mo. 75 mg/kg KG 3 × 75 mg/kg KG
1–12 J. 100 mg/kg KG 3 × 100 mg/kg KG
> 12 J. bis Jgdl. 2g 4×2g
Erw. 4g 3×4g
Erw. = Erwachsene, Jgdl. = Jugendliche, NG = Neugeborene, Sgl. = Säugling; ED = Einzeldosis
248 5 Anästhesie – spezieller Teil
werden. Eine Extubation während des Exzitati- diese Patienten oft Digitalispräparate, blut-
onsstadiums ist zu vermeiden, da hier die große drucksenkende Medikamente sowie Diuretika
Gefahr eines Laryngospasmus besteht. Zur Ex- einnehmen, ist auf Elektrolytverschiebungen
tubation hat es sich bewährt, die Lunge noch- (vor allem Kaliummangel) zu achten. Die Herz-
mals zu blähen und den Tubus unter Blähen frequenz ist meist langsam und nicht selten
herauszuziehen. Hiermit wird eine Sauerstoff- durch Rhythmusstörungen beeinträchtigt. Die
reserve in der Lunge geschaffen und die Kinder Gesamtproteinkonzentration kann vermindert
werden nach der Extubation zur Ausatmung sein, was bei intravenösen Medikamenten zu
gezwungen. beachten ist, die stark an Proteine gebunden
Postoperativ sollte das Kind in stabiler Seitenla- sind (→ S. 48).
ge in ein vorgewärmtes Bett gelegt werden. Die
Seitengitter der Betten müssen unbedingt hoch-
gezogen werden, damit die Kinder nicht her- Atmung
ausfallen können, falls sie sich unruhig hin und
her wälzen. Eine zunehmende Thoraxstarre im hohen Alter
Dosierungsempfehlungen für die in der Kin- bedingt eine bevorzugte Bauchatmung. Häufig
deranästhesie häufig verwendeten Medikamen- ist ein Altersemphysem anzutreffen. Die funk-
te sind der Tabelle 5-4 zu entnehmen. Insbeson- tionelle Residualkapazität ist vergrößert, was
dere bei abdominalchirurgischen Eingriffen ein verzögertes An- und Abfluten der Inhalati-
(z. B. Appendektomie) ist öfter eine perioperati- onsanästhetika zur Folge hat (→ S. 38).
ve Antibiotikagabe auf Wunsch des Operateurs
durchzuführen. Die hierzu häufig verwendeten
Antibiotika sowie deren Dosierungen und Do- 5.2.2 Präoperative Visite (→ S. 2)
sierungsintervalle sind in Tabelle 5-5 zusam-
mengestellt. Einer der wichtigsten Punkte bei der Anästhe-
sie von älteren Patienten ist die gründliche Vor-
bereitung des älteren Patienten auf Operation
und Narkose. Besonderes Augenmerk ist auf die
5.2 Anästhesie im hohen Atmung zu richten.
Lebensalter
Die Abnahme einer präoperativen arteriellen Blut-
! gasanalyse sollte bei jedem Verdacht auf eine
5.2.1 Allgemeine Bemerkungen ernste Lungenerkrankung oder bei der Möglich-
keit einer postoperativen Nachbeatmung auf ei-
Herz-Kreislauf-System ner Intensivstation vorgenommen werden (Aus-
gangswert!). Besonders wichtig ist es auch, dar-
Bei älteren Patienten liegt häufig eine arterio- auf zu achten, dass die Patienten bereits präope-
sklerotische Veränderung der Zerebral- und rativ Atemgymnastik erlernen.
Koronararterien vor. Das Herz weist oft eine la-
tente oder manifeste Schwäche (= Insuffizienz) Präoperativ bestehende Entgleisungen eines
auf. Das Herzminutenvolumen ist vermindert, Diabetes mellitus, eines arteriellen Hypertonus
die Kreislaufzeit kann dadurch deutlich verlän- oder einer Herzinsuffizienz müssen bei einem
gert sein. Ältere Patienten leiden außerdem Wahleingriff erst medikamentös gebessert wer-
häufig an Bluthochdruck. Das Gefäßsystem den.
zeigt einen chronischen Volumenmangel. Da
5.2 Anästhesie im hohen Lebensalter 249
5.2.3 Prämedikation Medikamente
Es ist auf eine niedrige Dosierung der Medi Prinzipiell kommen die gleichen Medikamente
kamente für die Prämedikation zu achten. wie in anderen Altersgruppen zur Anwendung.
Oft muss weniger verordnet werden, als z. B. Wichtig erscheint nur eine sehr vorsichtige, be-
anhand des Körpergewichts theoretisch er darfsorientierte Dosierung.
rechnet wird. Bei Patienten über ca. 80 Jahren
sollten keine Benzodiazepine verabreicht
werden, da eine stärkere Atemdepression und Kreislauf
eine paradoxe Reaktion (Erregungszustand
anstatt Anxiolyse/Sedierung) auftreten kön- Aufgrund der verlängerten Kreislaufzeit tritt die
nen. Eventuell kann die sedierende Neben ! Wirkung von intravenösen Medikamenten oft
wirkung eines Antihistaminikums (z. B. Di- wesentlich verzögert ein. Vor einem voreiligen
menhydrinat; Vomex®; → S. 334) ausgenutzt Nachinjizieren wegen vermeintlich zu niedriger
werden. Dosierung ist zu warnen.
Ventilation 5.3 Anästhesie
Bei der Respiratoreinstellung sollte eine Nor-
in der Geburtshilfe
moventilation angestrebt werden. Eine stärkere
Hyperventilation ist zu vermeiden, da hier- 5.3.1 Allgemeine Bemerkungen
durch auch eine zerebrale und koronare Gefäß
engstellung (→ S. 272) eintritt. Bei bereits Im Verlauf einer Schwangerschaft kommt es zu
grenzwertiger Durchblutung aufgrund einer zahlreichen physiologischen Veränderungen
Arteriosklerose könnte dies zu einer Mangel- des mütterlichen Organismus. Für den Anäs-
durchblutung führen. thesisten sind besonders wichtig:
Bei optimaler Narkoseführung ist die intraope- ● Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems
durch bedingte Verminderung des venösen Die Steigerung der alveolären Ventilation sowie
Rückflusses verursacht einen plötzlichen Abfall ! die Abnahme der funktionellen Residualkapazi-
des Herzminutenvolumens mit den Zeichen ei- tät bedingen ein schnelleres An- und Abfluten der
nes Volumenmangelschocks. Inhalationsanästhetika (→ S. 38) und damit eine
Die Symptome sind: schnellere Ein- und Ausleitung einer Inhalations-
● Schwindel, Benommenheit, Bewusstlosig- narkose bei einer Schwangeren.
keit
● Blässe, Schwitzen, kalte Haut
1. Eröffnungsperiode
2. Austreibungsperiode
fahr aus dem Uterus ein besonders hohes müt- bei einer Schwangeren sollte daher dem er-
terliches Risiko. Um in dieser Phase atonische fahrenen Anästhesisten vorbehalten sein.
Uterusblutungen zu therapieren oder um ihnen ● Lokalanästhetikum:
Bezüglich Anatomie, Technik, Vorgehen sowie Das Lokalanästhetikum sollte immer in ei-
Komplikationen und Kontraindikationen für ner Wehenpause injiziert werden, da es bei
die Periduralanästhesie (= PDA) sei auf Seite der Injektion während einer Wehe (durch ei-
176 verwiesen. Hier sollen nur die Besonder- nen Druckanstieg im Periduralraum) zu ei-
heiten hervorgehoben werden, die bei der PDA nem unkontrollierbar hohen Aufsteigen der
im Kreißsaal zu beachten sind. Blockade kommen kann.
Bei 20-jährigen Patienten müssen normaler-
Vorgehen weise ca. 1,5 ml Lokalanästhetikum pro aus-
● periphervenösen Zugang legen: zuschaltendem Segment verabreicht werden
ca. 500(–1 000) ml kristalloide Lösung vor (→ S. 179). Bei Schwangeren wird aufgrund
Anlage der PDA infundieren, da Schwangere des erhöhten Drucks im Periduralraum emp-
oft mit einem stärkeren Blutdruckabfall nach fohlen, ca. ⅓ weniger Volumen an Lokalan-
Einsetzen der sympathischen Blockade rea- ästhetikum zu geben, bei einer 20-jährigen
gieren Frau also ca. 1,0 ml/Segment.
● Lagerung: ● evtl. Zusatz von Sufentanil:
Zur Ausschaltung der Eröffnungswehen wür- ● Einleitung der Geburt mit einem Wehen-
de die Blockade der Segmente Th10–L1, also tropf
die Blockade von 4 Segmenten, ausreichen. Im ● Herz- und/oder Lungenerkrankung der
wird sich von der Katheterspitze jedoch nicht Bei Patientinnen, die bei einer früheren Ge-
nur nach oben zu den auszuschaltenden Seg- burt durch einen Kaiserschnitt entbunden
menten hin ausbreiten, sondern auch teilweise haben, besteht die erhöhte Gefahr einer Ute-
nach unten abfließen. Daher muss das Volumen rusruptur an der alten Uterusnaht. Da dies
höher als die berechnete Dosis liegen. unter einer PDA nur schwer zu erkennen ist,
Zur Ausschaltung der Austreibungsschmer- besteht eine relative Kontraindikation für
zen müssen die Segmente Th10–S4 blockiert, eine PDA. Falls dennoch eine PDA angelegt
also insgesamt 12 Segmente (Th10–Th12, wird, wird häufig zusätzlich eine intrauteri-
L1–L5, S1–S4) ausgeschaltet werden. Hierzu ne Druckmessung (= IUD) durchgeführt.
werden ca. 12 ml Bupivacain 0,25 % (!) bzw. Ro- ● notfallmäßiger Kaiserschnitt (= „Notsec-
Die mit Bupivacain bzw. Ropivacain erzielte Anal- schwieriger und sollte nur von einem erfah-
! gesie hält bei einer Schwangeren ca. 2 Stunden an renen Anästhesisten vorgenommen werden
und verlangt dann ggf. eine meist gleichvolumi- (Duraperforation!).
ge Nachinjektion. ● Ein evtl. übermäßiger Blutdruckabfall kann
Geplanter Kaiserschnitt
Geplanter Kaiserschnitt in PDA in Spinalanästhesie (→ S. 168)
(→ S. 176) In den letzten Jahren wird zunehmend häufiger
auch eine Spinalanästhesie für eine geplante
Lokalanästhetikum und Dosierung Sectio caesarea empfohlen. Es wird die gleiche
Es ist eine Blockade von Th4 (knapp unterhalb Ausbreitung der sensiblen und motorischen
der Brustwarze) bis S4, also von 18 Segmenten Blockade wie bei einer PDA (→ S. 253) ange-
(Th4–Th12, L1–L5, S1–S4) anzustreben (vgl. strebt. Als Lokalanästhetikum werden ca. 2,5–
Abb. 2-19). Bei ca. 20-jährigen Schwangeren 3,0 ml Bupicavain 0,5 % isobar oder 2,0–2,5 ml
wird ca. 1 ml pro auszuschaltendem Segment Bupivacain hyperbar verwendet. Nachteil ist ein
empfohlen (→ S. 253), insgesamt ist also ein evtl. schnell auftretender Blutdruckabfall, der
Volumen von ca. 18 ml Bupivacain bzw. Ropi- durch Vorgabe von ca. 1 000–1 500 ml Elektro-
vacain notwendig. Um neben einer Analgesie lytlösung bzw. Gabe von Akrinor® zumeist ver-
auch eine Muskelerschlaffung der Bauchdecke, hindert bzw. schnell therapiert werden kann.
also eine Blockade der dicken motorischen
Nervenfasern zu erreichen, wird 0,5%iges (!)
Bupivacain, 0,5%iges Levobupivacain oder Geplanter Kaiserschnitt
0,75%iges Ropivacain benötigt (→ S. 179). in Vollnarkose
Bupivacain 0,75 %, Ropivacain 1 % und Levo Da eine Schwangere ab dem 2. Trimenon der
! bupivacain 0,75 % sind in der Geburtshilfe nicht ! Schwangerschaft (ca. 14. Schwangerschaftswo-
erlaubt! che; z. T. wird als Grenze auch die 20. Schwanger-
schaftswoche angegeben) stets als nicht nüchtern
Obwohl Sufentanil epidural (→ S. 253) offiziell zu betrachten ist (→ S. 251), darf ein in Vollnar-
nur in Kombination mit Bupivacain für Ge- kose durchgeführter Kaiserschnitt normalerwei-
burtswehen und vaginale Entbindung zugelas- se nicht in Maskennarkose bzw. unter Verwen-
sen ist, wird Sufentanil epidural [meist 10 µg] dung einer Larynxmaske erfolgen, sondern muss
inzwischen sehr häufig auch für eine Sectio cae- als Intubationsnarkose durchgeführt werden. Da-
sarea in Periduralanästhesie eingesetzt. Auch in bei muss stets eine sog. Ileuseinleitung (→ S. 210)
Kombination mit Ropivacain wird Sufentanil vorgenommen werden.
epidural öfter angewendet, obwohl es offiziell
nur in Kombination mit Bupivacain zugelassen Der Schwangeren ist zu erklären, dass die Nar-
ist.) kose aus Rücksicht auf ihr Kind erst begonnen
wird, wenn die Operateure den Bauch desinfi-
ziert und steril abgedeckt haben und schnittbe-
reit sind. Die Zeit zwischen Narkosebeginn und
256 5 Anästhesie – spezieller Teil
Abnabelung ihres Kindes muss so kurz wie ● ggf. auf Wunsch des Operateurs z. B. 0,025
möglich gehalten werden. mg Partusisten® intravenös zur Verminde-
Bei einem Kaiserschnitt (einer Sectio caesarea) rung von Uteruskontraktionen:
hat sich folgendes anästhesiologisches Vorge- 1 Ampulle Partusisten® intrapartal = 1 ml =
hen bewährt: 0,025 mg. 1 ml wird normalerweise mit 4 ml
● Lagerung: Glucose 5 % (oder NaCl 0,9 %) aufgezogen.
Oberkörperhochlagerung zur Verminde- ● 2–3 Minuten vor Abnabelung, meist mit Be-
● sofortiges Blocken des Tubus und Lagekon- Die Blutverluste betragen normalerweise
trolle 500(–1000) ml und müssen durch ein Plas-
● sofortiger Beginn der operativen Entbindung: maersatzmittel, z. B. HES steril 6 %, ersetzt
Zur Verbesserung der Operationsbedingun- werden; eine Bluttransfusion ist nur sehr sel-
gen wird der Operationstisch meist noch in ten notwendig.
Kopftieflage gebracht (und die Linksseitenla- ● Tonisierung des Uterus:
Mögliche Ursachen für eine Notsectio sind: Kommt es dennoch zu toxisch hohen Blutkon-
● Nabelschnurvorfall (Minderperfusion des zentrationen beim ungeborenen Kind, so dro-
Kindes!) hen Nebenwirkungen vonseiten des Herzens
● schwere Eklampsie (→ unten) (bradykarde Rhythmusstörungen; → S. 158)
● Tetanus uteri (Rupturgefahr des Uterus) und des zentralen Nervensystems (→ S. 157).
● vorzeitige Plazentaablösung
Abb. 5-10 Steinschnittlagerung
262 5 Anästhesie – spezieller Teil
Abdominale Uterusexstirpation
Die abdominale Uterusexstirpation (= Hyster- 5.5 Anästhesie
ektomie) wird stets in Intubationsnarkose
durchgeführt.
in der Urologie
5.5.1 Allgemeine Bemerkungen
Laparoskopie
Häufig sind in der Urologie ältere Patienten mit
Eine Intubation und eine kontrollierte Beat- entsprechenden Nebenerkrankungen zu ope-
mung sind bei einer Laparoskopie (= Bauch- rieren (→ S. 248). Die Eingriffe werden oft in
spiegelung) zwingend. Um die Bauchspiegelung einer rückenmarksnahen Leitungsanästhesie,
besser durchführen zu können, wird die Bauch- insbesondere einer Spinalanästhesie, durchge-
höhle nach Einstechen eines Trokars zuerst mit führt (→ S. 168).
CO2 aufgeblasen. Außerdem muss die Patientin
in eine starke Kopftieflage gebracht werden. Da-
durch rutschen die Därme aus dem kleinen 5.5.2 Operationen
Becken nach kopfwärts. Da ein Teil des einge-
blasenen CO2 resorbiert wird und zum anderen
die starke Kopftieflage die Beatmung behindert, Nierenoperationen
droht ein Anstieg des CO2-Gehalts im Blut. Zur
genauen Ventilationskontrolle ist eine endex- Lagerung
spiratorische CO2-Messung (→ auch minimal- Seitliche Lagerung mit extremer Abknickung
invasive Chirurgie; S. 288) empfehlenswert. des Operationstisches (= Nierenlagerung; Abb.
5-11).
Abb. 5-11 Lagerung für
Nierenoperationen
ausreichend mit Sauerstoff aufgesättigt wird. Oxygenierung führen. Der Grund für eine evtl.
Folge dieser Ventilations-Perfusions-Störungen PEEP-bedingte Verschlechterung der Oxyge-
ist also, dass ein Teil des Blutes vom rechten nierung wäre darin zu sehen, dass sich der PEEP
Herzen durch die Lunge zum linken Herzen vor allem auf die leichter dehnbare und oben
fließt, ohne dass es ausreichend mit Sauerstoff liegende Lunge auswirkt, weniger aber auf die
gesättigt wird. Dieses Phänomen wird als schlechter dehnbare und minder ventilierte un-
Rechts-links-Shunt bezeichnet und bedingt ten liegende Lunge. Dadurch können die vorbe-
eine entsprechende Verminderung des Sauer- stehenden Ventilations-Perfusions-Störungen
stoffgehaltes im arteriellen Blut. unter Umständen sogar verstärkt werden. Der
Außerdem neigt die untere Lunge durch die Erfolg eines PEEP ist daher anhand einer arte-
schlechte Belüftung zum Kollabieren der Alveo- riellen Blutgasanalyse zu überprüfen. Vor der
len, das heißt zur Ausbildung von Atelektasen, Extubation muss der Patient erst in Rückenlage
wodurch ein Rechts-links-Shunt noch verstärkt gebracht und die Lunge muss mehrmals manu-
wird. Durch diese Lagerung werden auch die ell gebläht werden, um evtl. Atelektasen wieder
Bewegungen des Zwerchfells deutlich einge- aufzudehnen.
schränkt. Des Weiteren kann bei dieser „Nie-
renlagerung“ unter Umständen die Vena cava Mögliche Komplikationen
inferior komprimiert werden, wodurch der ve- Neben einer Verletzung von großen venösen
nöse Rückstrom zum Herzen behindert ist. Fol- Gefäßen mit der Gefahr einer akuten Blutung
ge davon kann ein deutlicher Blutdruckabfall oder einer Luftembolie kann auch eine Verlet-
sein. zung von großen arteriellen Gefäßen auftreten.
Des Weiteren kommt es manchmal zu einer
Narkoseführung Verletzung der Pleurahöhle. Wird hierbei keine
Die beschriebenen Ventilationsprobleme ma- Pleuradrainage eingelegt, sondern nach manu-
chen immer eine Intubationsnarkose notwen- ellem Blähen der Lungen die Pleurahöhle wie-
dig, um eine möglichst gute Ventilation zu ga- der verschlossen, so muss die Narkose ohne (!)
rantieren. Aus den erwähnten Gründen sollen Lachgas zu Ende geführt werden (→ S. 40).
in dieser Lagerung ca. 50 % Sauerstoff einge- Postoperativ ist eine Röntgenaufnahme des
schaltet werden. Ein PEEP kann bei dieser La- Thorax durchzuführen.
gerung zu einer Verbesserung, unter Umstän-
den aber auch zu einer Verschlechterung der
264 5 Anästhesie – spezieller Teil
meist nicht gelingt, alle 3 genannten Nerven auf Während der transurethralen Resektion der
einmal zu blockieren. Deshalb wird die Be- Prostata mit der Elektroschlinge muss das
zeichnung 3-in-1-Block zunehmend als nicht Operationsfeld laufend mit einer nicht strom-
zutreffend bezeichnet. Daher wird inzwischen leitenden, daher elektrolytfreien Spülflüssig-
häufig von einer inguinalen paravaskulären keit klargespült werden. Da elektrolytfreies,
Blockade des Plexus lumbalis gesprochen. Es destilliertes Wasser stark hypoton ist und bei
sollte ggf. zusätzlich eine isolierte Blockade des einer Einschwemmung ins Gefäßsystem
Nervus obturatorius durchgeführt werden. großteils nach intrazellulär (auch in die Ery-
throzyten) abdiffundieren würde, käme es zu
Mögliche Komplikationen einem Platzen der Erythrozyten, zu einer Hä-
Eine evtl. Blasenperforation äußert sich bei molyse. Daher werden der elektrolytfreien
einer rückenmarksnahen Leitungsanästhesie Spülflüssigkeit hochmolekulare Kohlenhy-
meist in plötzlichen Bauchschmerzen, in ge- drate (z. B. 27 g/l Mannit, 5,4 g/l Sorbit; Os-
spanntem Abdomen, in Übelkeit, Blässe und molarität: 178 mOsmol) zugesetzt. Dadurch
Hypotonie. Bei beatmeten Patienten äußert sich ist die Spülflüssigkeit weniger hypoton, eine
eine Perforation meist nur in einem Anstieg des Hämolyse kann somit vermieden werden. Da
Beatmungsdrucks. bei der Elektroresektion der Prostata zahlrei-
che Venen der Prostatakapsel unvermeidbar
eröffnet werden, droht ein Einschwemmen
5.5 Anästhesie in der Urologie 265
der Spülflüssigkeit durch diese eröffneten Ve- von (v. a. gramnegativen) Bakterien mit ei-
nen in den Kreislauf. Kommt es zur Ein- nem meist in der frühen postoperativen
schwemmung großer Mengen von Spülflüs- Phase beginnenden septischen Schock kom-
sigkeit, so kann es zur Kreislaufüberladung men. Bei einem postoperativen Zittern und
mit einem Lungenödem kommen. Da die einem Fieberanstieg nach urologischen Ope-
Spülflüssigkeit elektrolytfrei ist, kommt es bei rationen muss unbedingt an eine beginnen-
größeren Einschwemmungen durch den Ver- de Sepsis gedacht werden!
dünnungseffekt zu einer Erniedrigung des ● größere Blutverluste:
Natriumgehalts im Blut. Folge dieser Ver- Wegen der permanenten Spülung des Ope-
dünnungshyponatriämie kann ein Hirnödem rationsfeldes mit Spülflüssigkeit ist die verlo-
mit Unruhe, Verwirrtheit und Brechreiz sein. rene Blutmenge oft sehr schwer abzuschät-
Außerdem kann es auch zu einer metaboli- zen. In ca. 5–10 % der Fälle wird eine
schen Acidose kommen. Von einer schweren Bluttransfusion notwendig.
Verdünnungshyponatriämie wird gespro- ● Nachblutung:
chen, wenn der Natriumwert bis auf 120 evtl. mit einer Blasentamponade (= Ausfül-
mmol oder weniger abgesunken ist. Es emp- lung der Blase mit Blutgerinnseln)
fiehlt sich eine wiederholte Elektrolytbestim- ● Blutgerinnungsstörungen:
mung. Das Prostatagewebe enthält reichlich Sub-
Prophylaxe: zurückhaltende Infusionsthera- stanzen, die die Fibrinolyse steigern. Bei Ein-
pie. Es sollten jedoch ausschließlich Vollelek- schwemmung dieser Substanzen in den
trolytlösungen eingesetzt werden. Hypotone Kreislauf kann es über eine gesteigerte Fibri-
Lösungen wie Glucose 5 % sind kontraindi- nolyse zu einer verstärkten Blutungsneigung
ziert! kommen. Die Therapie besteht in der Gabe
Therapie: Lasix® 20–40 mg intravenös. Bei von Fibrinolysehemmern (z. B. Cyclokap
schwerer Hyponatriämie: 5,85%ige NaCl- ron® i. v.).
Lösung intravenös (1 ml = 1 mmol). ● stärkere Auskühlung
der Patienten, da die Spüllösung normaler-
(Natriumsoll – Natriumist) × kg KG × 0,2 = mmol weise nur Raumtemperatur hat.
! des Natriumdefizits
(Der Faktor 0,2 ergibt sich aus der Tatsache,
dass der Verteilungsraum für Natrium, d. h.
Transurethrale Holmiumlaser-
der Extrazellulärraum, ca. 20 % des Körperge-
wichts ausmacht.) Enukleation der Prostata
● Perforation der Prostatakapsel: Inzwischen wird für die Entfernung eines Pro-
Eine versehentliche Perforation der Prosta- stataadenoms anstatt einer transurethralen
takapsel äußert sich bei einer rückenmarks- Elektroresektion der Prostata (= TUR-P; → S.
nahen Leitungsanästhesie zumeist in plötz 264) zunehmend häufiger eine transurethrale
lichen Bauchschmerzen, in gespannten Holmiumlaser-Enukleation der Prostata (=
Bauchdecken, in Übelkeit und Blutdruckab- HoLEP) durchgeführt. Wichtiger Vorteil einer
fall. Bei beatmeten Patienten äußert sich eine HoLEP-Operation ist, dass es bei der Gewebe-
Perforation meist nur in einer Erhöhung des zerschneidung mit dem Laser zu einer gleich-
Beatmungsdrucks. zeitigen guten Koagulation der Blutgefäße
● Sepsis: kommt. Dadurch kann sehr blutarm operiert
Bei Operationen an einem infizierten harn werden und es kommt (im Unterschied zur
ableitenden System kann es durch die ope TUR-P; → S. 264) zu keiner Einschwemmung
rative Manipulation zum Einschwemmen größerer Mengen an Spülflüssigkeit. Eine Blut-
266 5 Anästhesie – spezieller Teil
transfusion wird (im Gegensatz zur TUR-P- In Absprache mit den Operateuren ist
Operation) so gut wie nie notwendig. Im Unter- Heparin (ca. 300 IE/kg KG; zumeist 25 000 IE)
schied zur Elektroresektion (→ S. 264) braucht zu verabreichen.
auch keine elektrolytfreie (nicht stromleitende) Nach der Organentnahme wird der Tote extu-
Spülflüssigkeit verwendet werden. Dadurch biert. Bis auf zentralvenöse Katheter sollten alle
kommt es (im Gegensatz zur TUR-P) zu keiner Zugänge entfernt werden.
Verdünnungshyponatriämie. Die Nachteile ei- Als Todeszeitpunkt gilt der Zeitpunkt der Hirn-
ner HoLEP-Operation sind: todfeststellung.
● Die Operationszeit ist meist länger als bei ei-
ner TUR-P.
● Diese Operationstechnik verlangt eine große Nierentransplantation
Erfahrung des Operateurs.
Da Patienten, bei denen eine Transplantation
Häufig wird eine HoLEP-Operation in Allge- vorgenommen werden soll, meist seit vielen
meinanästhesie durchgeführt. Jahren nierenkrank und dialysepflichtig sind,
liegen oft folgende Befunde vor:
● Hypertonus
Nierenentnahme beim hirntoten ● schwere, chronische Anämie
Patienten ● Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säu-
re-Basen-Haushalts
Absolute Voraussetzung für eine Nierenentnahme ● Gerinnungsstörungen
! (= Spendernephrektomie) ist ein nachgewiese- ● Diabetes mellitus, der eine perioperative
ner und schriftlich bestätigter Hirntod des Patien- Blutzuckerkontrolle notwendig macht
ten, also ein irreversibler Ausfall aller (!) Hirnfunk- ● deutlich reduzierter Allgemeinzustand
tionen. Daneben muss ein Organspenderpass des ● häufig eine koronare Herzkrankheit oder
Hirntoten oder die Einwilligung der Angehörigen eine latente Herzinsuffizienz
vorliegen. Sind keine Angehörigen bekannt, so ist ● Proteinmangel
die Einwilligung der Staatsanwaltschaft notwen-
dig. Innerhalb der letzten 24 Stunden vor der Ope-
ration werden die Patienten dialysiert. Die Elek-
Da mit dem Ausfall aller zerebralen Funktionen trolytwerte sowie die Blutgerinnungswerte und
auch die zentrale Kreislaufregulation versagt, der Säure-Basen-Haushalt müssen nach der
müssen diese Toten unter Volumen- und Ca- Dialyse nochmals kontrolliert werden.
techolamingabe (z. B. Dobutamin; → S. 300)
kreislaufstabil gehalten werden. Die Diurese Narkoseführung
sollte nicht unter 100 ml/h abfallen. Die Beat- Periphervenöse Zugänge sowie die Blutdruck-
mung erfolgt während der Explantation immer manschette dürfen nicht am Shunt-Arm ange-
mit 100 % Sauerstoff. Es ist eine Normoventila- legt werden! Der Shunt-Arm muss gut gepols
tion anzustreben. Die Gabe von Hypnotika und tert und geschützt werden!
Analgetika ist bei einem Toten (!) nicht notwen-
dig. Da durch operative Maßnahmen aufgrund Da die Patienten bei einer Organtransplantation
spinaler Reflexe eine (organschädigende) Ta- ! immunsuppressiv behandelt werden (mit Pred-
chykardie und Hypertension auftreten können, nisolon und Ciclosporin A), sind sie besonders in-
kann die Gabe von z. B. Esmolol (→ S. 327) und fektionsgefährdet. Aus diesem Grunde ist bei al-
Nitroglycerin (→ S. 304) sinnvoll sein. Außer- len Injektionen, Infusionen, Zugängen usw. auf ei-
dem kann die Gabe eines Relaxans für den ne absolut sterile Vorgehensweise zu achten!
Operateur vorteilhaft sein.
5.6 Anästhesie in der Neurochirurgie 267
● Sonstiges:
75 Eine Hypoxie führt zu einer Steigerung des
intrakraniellen Drucks. Ketanest® kann evtl.
den intrakraniellen Druck steigern.
50
ICP (mmHg)
Senkung
Eine Senkung des intrakraniellen Drucks ist da-
gegen möglich, wenn das zerebrale Blutvolu-
25
men, das Hirnvolumen oder das zerebrale Li-
quorvolumen abnimmt.
Eine Verminderung des intrakraniellen Blutvo-
0 lumens ist möglich durch:
intrakranielle Volumenzunahme (ml)
● zerebrale Vasokonstriktion aufgrund einer
(→ S. 267), der Anwendung von Inhalations- Wasser entziehen (→ S. 269)
anästhetika wie Isofluran, Sevofluran, Des- ● Steroide, die ein Hirnödem vermindern sollen.
fluran, Lachgas (→ S. 39) oder der Anwen- Erfolg versprechend sind Steroide beim peritu-
dung von Vasodilatanzien wie z. B. Nitro morösen Ödem. Beim Hirnödem nach einem
glycerin (→ S. 304). Schädel-Hirn-Trauma (SHT) sind sie dagegen
● Der venösen Rückfluss aus dem Gehirn ist wirkungslos.
bei einer Kopftieflagerung, bei Husten oder
Pressen infolge zu flacher Narkose, bei einem Eine Verminderung des intrakraniellen Liquor-
PEEP (→ S. 23) oder seitlich gedrehtem Kopf volumens ist möglich durch:
und bei Faszikulationen nach Succinylcho- ● Liquordrainage mittels Ventrikelkatheter
lingabe behindert.
● Eine intrakranielle Blutung, z. B. eine epidu-
parasympathischen Fasern) gequetscht wird. ● Intubation und sofortiger Beginn einer Hy-
Wird diese Situation nicht erkannt oder unzu- perventilation evtl. bis zu einem paCO2 von
reichend therapiert und steigt der „Hirndruck“ 28–30 mm Hg (3,7–4,0 kPa) (= forcierte Hy-
weiter an, so können auch Teile der Kleinhirn- perventilation; → S. 272)
tonsillen ins Foramen magnum occipitale hin- ● sofort Barbiturat intravenös (z. B. wiederholt
CO2-Wertes:
Die durch eine Luftembolie verlegten Anteile
Abb. 5-15 Sitzende Lagerung für neurochirurgische der Lungenstrombahn werden plötzlich
Operationen in der hinteren Schädelgrube nicht mehr durchblutet. In diesen Lungenbe-
reichen kann daher auch kein CO2 mehr aus-
geschieden werden. Der CO2-Partialdruck
ßere Luftmengen durch das rechte Herz bis in im Blut steigt an. Der CO2-Gehalt der Aus
die Lungenstrombahn, dann kann es zu einer atemluft nimmt plötzlich ab.
Verlegung der Lungenstrombahn durch Luft-
blasen kommen (= Luftembolie), wodurch der Durch eine kontinuierliche Messung der CO -
Widerstand im Lungenkreislauf so stark zuneh- ! Konzentration im endexspiratorischen Gas-2
men kann, dass das rechte Herz nicht mehr in gemisch (z. B. mittels Kapnometer) kann also
der Lage ist, dagegen anzupumpen. Unter Um- eine Luftembolie sofort erkannt werden. Die
ständen tritt ein akutes Rechtsherzversagen ein. Alarmgrenzen der CO2-Messung müssen stets
Hat der Patient zufällig noch ein funktionell of- sehr eng eingestellt sein!
fenes Foramen ovale (was bei ca. 20–30 % der
Erwachsenen der Fall ist), dann könnte bei ei- ● transösophageale Echokardiographie
nem Lufteintritt ins Gefäßsystem ein Teil dieser (= TEE):
Luft aus dem rechten in den linken Vorhof Neuerdings wird auch die intraoperative
übertreten und zu einer sog. paradoxen Luft- transösophageale Echokardiographie (TEE)
embolie im arteriellen Systemkreislauf führen. als ein sehr empfindliches Verfahren zum
Bei einer Embolisation in den Bereich der Ko- Nachweis evtl. Luftembolien empfohlen
ronararterien bzw. des Zerebralkreislaufs kann (→ S. 206). Bei dieser Ultraschalldiagnostik
es zu einem Herz- bzw. Hirninfarkt kommen. des Herzens erfolgt die Schalleinstrahlung
Um ein evtl. noch vorhandenes offenes Fora- über einen in den Ösophagus eingeführten
men ovale zu erfassen, wird inzwischen eine schlauchförmigen Schallkopf.
präoperative transthorakale Echokardiographie Wird nach Narkoseeinleitung eine TEE-Son-
empfohlen (→ S. 204). Falls das Foramen ovale de in den Ösophagus eingeführt (→ S. 207),
noch funktionell offen ist, wird zumeist auf eine dann können im Falle einer Luftembolie die
Operation in sitzender Lagerung verzichtet und durch das rechte Herz strömenden Luftbläs-
in Seiten- oder Bauchlage operiert. chen online auf dem TEE-Bildschirm er-
kannt werden. Die TEE-Überwachung wird
Hinweise bisher noch relativ selten durchgeführt.
● präkordiale Dopplersonographie: ● Blutdruckabfall, Tachykardie, Herzrhyth-
Therapie 5.6.3 Anästhesiologische
● sofort den Operateur informieren, Besonderheiten
der das Gefäß zuhält, unterbindet oder, wenn
es nicht auffindbar ist, das Operationsgebiet
unter Wasser setzt, um einen weiteren Luft- Volumenzufuhr
eintritt zu verhindern.
● Absaugen der Luft aus dem rechten Vorhof/ Bei Gehirnoperationen ist eine übermäßige Vo-
Herzen: lumenzufuhr zu vermeiden. Blutverluste sollten
Über einen Kavakatheter, dessen Spitze bei durch Plasmaersatzmittel oder Blut ersetzt wer-
solchen Operationen ausnahmsweise im den. Auf reine Glucoselösungen (z. B. Glucose
rechten Vorhof platziert wird, kann versucht 5 %) muss verzichtet werden, da nach Metaboli-
werden, die Luft abzusaugen. Um eine sierung der Glucose freies Wasser, also eine hy-
schnelle Absaugmöglichkeit zu garantieren, potone Lösung, übrig bleibt. Dieses freie Wasser
muss eine 20-ml-Spritze oder besser eine Va- diffundiert großteils ins Gewebe und kann zu
kuumflasche über einen geschlossenen Drei- einer Verstärkung eines Hirnödems führen.
wegehahn bereits vor Operationsbeginn an
den Kavakatheter angeschlossen werden.
Am Ende der Operation ist beim liegenden Kontrollierte Hyperventilation
Patienten der Kavakatheter wieder einige
Zentimeter zurückzuziehen, sodass die Spit- Bei vielen neurochirurgischen Patienten besteht
ze kurz vor Einmündung der Vena cava su- bereits präoperativ ein erhöhter intrakranieller
perior in den rechten Vorhof zu liegen Druck. Durch die Hirnoperation kommt es
kommt (→ S. 190). meist zu einem Ödem des Gehirns mit Gefahr
● Lachgas (falls verwendet) sofort abstellen der weiteren postoperativen Steigerung des in-
und 100 % Sauerstoff einschalten: trakraniellen Drucks (→ S. 268).
Lachgas diffundiert in die embolisierten
Luftblasen (→ S. 39) und führt zu deren Grö- Durch eine kontrollierte mäßige Hyperventilati-
ßenzunahme und damit zur Verschlimme- ! on mit einem angestrebten arteriellen p CO -Wert
a 2
rung der Symptomatik. Inzwischen wird bei von ca. 4,0–4,7 kPa (= 30–35 mm Hg) kann ei-
einer Operation in sitzender Lagerung zu- ne zerebrale Vasokonstriktion (→ S. 267) mit Ab-
meist prinzipiell auf eine Lachgasgabe ver- nahme der Hirndurchblutung und damit des in
zichtet. trakraniellen Drucks (→ S. 267) erzielt werden.
● PEEP einschalten: In Ausnahmefällen kann auch eine forcierte Hy-
Hierdurch wird der venöse Rückfluss aus perventilation durchgeführt werden, wobei ein
dem Gehirn reduziert; weiteren Luftemboli- paCO2 von 3,7–4,0 kPa (= 28–30 mm Hg) notwen-
en soll dadurch vorgebeugt werden. Die pro- dig ist.
phylaktische Anwendung eines PEEP ist da-
gegen sehr umstritten. Die normale Hirndurchblutung beträgt ca. 50
● (evtl. Senken des Kopfteils des Operationsti- ml/100 g Hirngewebe pro Minute. Durch eine
sches) Änderung des paCO2 um 1 mm Hg ändert sich
● (evtl. manuelle Kompression der Venae ju- die Hirndurchblutung um 1(–1,5) ml/100 g
gularis internae) Hirngewebe pro Minute. Wird beispielsweise
5.6 Anästhesie in der Neurochirurgie 273
der paCO2 von normalerweise 40 auf 30 mm Hg ● Die Rupturgefahr eines Aneurysmas einer
gesenkt, dann nimmt die Hirndurchblutung Hirnarterie kann während der operativen Frei-
von ca. 50 auf 40(–35) ml/100 g Hirngewebe legung vermindert werden.
pro Minute ab. In den letzten Jahren wird eine
starke (forcierte) Hyperventilation zunehmend Insgesamt wird eine kontrollierte Hypotension
kritisch beurteilt. Falls sie durchgeführt wird, aufgrund verbesserter Operationsbedingungen
sollte sie nur möglichst kurzfristig angewandt nur noch selten durchgeführt.
werden. Spätestens nach 24 Stunden wird sie
auch wirkungslos, da – aufgrund von Kompen-
sationsmechanismen – die Hirndurchblutung Medikamente
wieder zunimmt.
Die kontrollierte Hyperventilation ist anhand Nitroglycerin (Trinitrosan®)
einer kontinuierlichen endexspiratorischen Nitroglycerin (in der Praxis oft nur als „Nitro“
CO2-Messung zu überwachen. Zur exakten Be- bezeichnet; eigentlich Glyceroltrinitrat) wirkt
urteilung der endexspiratorischen CO2-Mes- vor allem auf die venösen Kapazitätsgefäße di-
sung muss mehrmals eine arterielle Blutgasana- latierend.
lyse vorgenommen werden. Beim Vergleich des
kontinuierlich angezeigten endexspiratorischen Vorteile: keine Toxizität, gute Steuerbarkeit,
CO2-Wertes mit dem CO2-Wert der arteriellen kurze Plasmahalbwertszeit
Blutgasanalyse lässt sich feststellen, dass der ar-
terielle Wert etwas höher ist. Diese alveoloarte- Nachteile: Auch die intrakraniellen venösen
rielle CO2-Partialdruckdifferenz (AaDCO2) ist Gefäße werden weitgestellt mit der Gefahr, dass
bei gleichbleibender Lungenfunktion konstant. ein bereits erhöhter intrakranieller Druck wei-
Je schlechter die Lungenfunktion, desto größer ter ansteigt (→ S. 268). Bei neurochirurgischen
ist dieser Differenzbetrag. Der genaue arterielle Patienten mit Verdacht auf einen erhöhten in-
CO2-Wert ist also um diesen Differenzbetrag trakraniellen Druck darf Nitroglycerin deshalb
höher als der aktuell angezeigte endexspiratori- erst nach Eröffnung der Dura eingesetzt wer-
sche CO2-Wert. den. In ca. 20 % ist die blutdrucksenkende Wir-
kung des Nitroglycerins jedoch nicht ausrei-
chend.
Kontrollierte Hypotension
Lösung: z. B. 1 Ampulle Trinitrosan® = 50 mg/10
Durch eine vorübergehende, medikamentös er- ml in einer Perfusorspritze auf 50 ml aufziehen
zielte Blutdrucksenkung (= kontrollierte Hypo- (1 mg/ml)
tension) bis auf einen minimalen arteriellen
Mitteldruck von ca. 50 mm Hg kann Folgendes Dosierung: nach Wirkung, bis zu 10(–15) ml/h
erreicht werden: über einen Perfusor
● Bei voraussichtlich sehr blutreichen Opera-
Unter Umständen tritt eine sehr schnelle ● Beginn mit 0,2 µg/kg KG/h; langsame, be-
Es hat sich folgendes Vorgehen bewährt: Mittel über eine rektale oder ösophageale Tempera-
der ersten Wahl ist Trinitrosan® (→ S. 273). Falls tursonde. Der Auskühlungsgefahr sollte
die Hypotension unzureichend sein sollte, kann durch eine Wärmedecke, Wolldecke oder
zusätzlich bis 1 Vol.-% Isofluran zugegeben oder idealerweise durch eine Warmluftdecke vor-
notfalls auf NPN übergewechselt werden. Bei gebeugt werden (→ S. 231).
Durchführung einer totalen intravenösen An- ● Dauerkatheter
5.6.5 Operationen Narkoseführung
Es ist eine TIVA (→ S. 125) durchzuführen. Bei
Bandscheibenvorfall diesen Patienten ist ein erhöhter intrakranieller
Druck (ICP = intracranial pressure) anzuneh-
Bei degenerativen Veränderungen der Bandschei- men. Jegliche Maßnahme, die eine weitere Stei-
ben kann der Kern einer Bandscheibe durch einen gerung des intrakraniellen Drucks provozieren
Riss des äußeren Faserringes hernienartig hervor- könnte, ist zu unterlassen (→ S. 268). Mindes
treten (Prolaps). Ein solcher Bandscheibenvorfall tens bis zur Eröffnung der Dura sollte der Pati-
(= BSV) kann auf eine Spinalnervenwurzel drücken ent leicht kontrolliert hyperventiliert werden
und zu starken, ausstrahlenden Schmerzen oder (→ S. 272).
zu motorischer Schwäche bzw. Lähmung im Ver-
sorgungsgebiet des betroffenen Nerven führen. Extubation
Nach Rücksprache mit dem Operateur ist post-
operativ die Extubation oder die Verlegung des
Prämedikation intubierten Patienten auf die Intensivstation an-
Bei stärkeren präoperativen Schmerzen sollte zustreben.
ggf. ein Analgetikum im Rahmen der Prämedi-
kation verabreicht werden. Besser scheint die
intravenöse bedarfsadaptierte Opioidtitration, Hämatomausräumung bei akuter
z. B. beim Umlagern des Patienten vom Bett auf Steigerung des ICP
den Operationstisch, zu sein (→ S. 10).
Hämatomausräumung
bei chronischer Steigerung des ICP Narkoseführung
Es ist eine TIVA (→ S. 125) durchzuführen. Jeg-
Eine chronische Steigerung des ICPs ist zumeist liche Maßnahme, die eine Steigerung des intra-
Folge eines chronischen sub- oder epiduralen kraniellen Drucks provozieren könnte, ist streng
Hämatoms oder eines chronischen Hydroze- zu vermeiden (→ S. 268). Maßnahmen zur Sen-
phalus. kung des intrakraniellen Drucks sind durchzu-
führen (→ S. 269). Postoperativ wird der Patient
intubiert auf die Intensivstation verlegt.
278 5 Anästhesie – spezieller Teil
272) Besonderheiten
● bei gefäßreichen Tumoren evtl. kontrollierte ● am Operationstag:
5.7.1 Allgemeine Bemerkungen
Tumoren der hinteren Schädelgrube
Ungünstigerweise liegt in der HNO- und Kie-
Lagerung ferchirurgie das Operationsgebiet zumeist im
● meist sitzende Lagerung (→ S. 270) oder Bereich der Luftwege. In diesen Fällen ist zur
Bauchlagerung Sicherung der Luftwege normalerweise eine In-
tubationsnarkose durchzuführen.
Narkoseführung
● Gefahr einer Luftembolie (→ S. 270)
Hypophysentumoren
Lagerung
● Rückenlagerung
● Seitenlagerung
Tubus
Bei transnasaler Operation muss mit einem
Woodbridge-Tubus (→ S. 85) oral intubiert Abb. 5-16 Vorgeformter Tubus für HNO- oder kiefer-
werden. chirurgische Eingriffe (sog. RAE-Tubus)
280 5 Anästhesie – spezieller Teil
dann wird oft der Rachen austamponiert, damit Inspektion der oberen Luftwege, notfalls unter
es nicht neben dem liegenden Tubus zu einer leichter Sedierung und mithilfe des Laryngo-
Blutaspiration kommen kann. Bei HNO- und skops, durchzuführen. Außerdem ist Rückspra-
kieferchirurgischen Narkosen kommt es über- che mit dem HNO-Arzt zu halten, ob er auf-
durchschnittlich häufig zum versehentlichen grund seiner präoperativen Kehlkopfspiegelung
Lösen der Steckverbindungen: Tubus – Kon- Intubationsprobleme vermutet. Sind Intubati-
nektor – Y-Stück – Atemschläuche. Da während onsprobleme zu vermuten, so sollte ein Intuba-
der Operation diese Steckverbindungen zumeist tionsversuch nur am spontan atmenden Pati-
unter den Abdecktüchern liegen und nicht ein- enten vorgenommen werden. Es sollte eine
sehbar sind, sollten diese Steckverbindungen fiberbronchoskopische Intubation am spontan
mit Pflasterstreifen gesichert werden (vgl. Abb. atmenden Patienten angestrebt werden.
5-17). Die Pflasterstreifen sollten am Ende leicht Müssen in der HNO- und Kieferchirurgie Pati-
umgeschlagen sein, damit notfalls sofort das enten mit schweren Gesichts- und Kieferverlet-
Pflaster gefasst und abgezogen werden kann. zungen versorgt werden, dann ist mit Intubati-
Außerdem empfiehlt es sich, mittels eines onsschwierigkeiten zu rechnen. Daher sollte
linksthorakal über der Herzspitze aufgeklebten auch in diesen Fällen ein fiberoptischer Intuba-
sog. präkordialen Stethoskops Kontakt zum Pa- tionsversuch am spontan (!) atmenden Patien-
tienten zu halten. An der Kapnographiekurve ten vorgenommen werden (→ S. 225).
kann eine Diskonnektion oder eine versehentli-
che Extubation sofort erkannt werden. Bei la- Bei Verdacht auf einen Schädelbasisbruch darf der
serchirurgischen Eingriffen müssen spezielle ! Patient nicht nasal intubiert werden!
Lasertuben verwendet werden.
Narkoseführung
Intubation
Häufig werden in der HNO- und Kieferchirur-
Sehr häufig ist in der HNO- und Kieferchirurgie gie adrenalinhaltige Lösungen in das Operati-
mit Intubationsproblemen zu rechnen, z. B. bei onsgebiet eingespritzt, um eine Verminderung
Patienten mit einem Zungengrundkarzinom der Blutung anzustreben. Bei schnellerer Re-
oder einem Kehlkopfkarzinom oder bei Patien- sorption des Adrenalins kann es zu Blutdruck-
ten, bei denen ein Halstumor bereits operiert anstieg und Tachykardie kommen. Oft wird in-
wurde (und nun atypische pathologisch-anato- zwischen eine (T)IVA unter Verwendung von
mische Verhältnisse vorliegen) oder bei Patien- Propofol und Remifentanil durchgeführt. Insbe-
ten mit einer Kieferklemme usw. Bei diesen Pa- sondere bei Kindern kommt meist eine Inhalati-
tienten ist vor der Intubation eine sehr genaue onsanästhesie mit Sevofluran zur Anwendung.
5.7 Anästhesie in der HNO- und Kieferchirurgie 281
Kehlkopfuntersuchung und
Mikrochirurgie im Kehlkopfbereich
Damit die Operateure neben dem Tubus im Be-
reich des Kehlkopfes noch inspizieren und ope-
rieren können, muss ein sehr dünner Tubus
(beim Erwachsenen ein 5,0er bis 6,5er Tubus) Abb. 5-18 Stützautoskopie
verwendet werden (sog. MLT-Tubus; Mikrola-
ryngealtubus). Auch die Anwendung der Hoch-
frequenz-Jet-Ventilation (= high frequency jet Zur guten Sicht auf den Kehlkopf wird dieser
ventilation) ist möglich. vom Operateur oft mit einem sog. Stützauto-
skop eingestellt (vgl. Abb. 5-18). Es gibt auch
Bei der Hochfrequenz-Jet-Ventilation wird das spezielle Stützautoskope, die eine eingebaute
Atemgas über einen sehr dünnen Katheter in die Düse für die Hochfrequenz-Jet-Ventilation be-
Trachea geleitet. Dieser Katheter wird wie ein na- sitzen.
saler Tubus in die Trachea eingeführt. Die Atemga-
se können aber auch über eine dünne Kanüle (z. B.
14 G), die durch das Ligamentum cricothyreoide- Tympanoplastik
um (→ S. 229) gestochen wird, in die Trachea ge-
leitet werden. Bei einer Tympanoplastik wird der Schalllei-
tungsapparat im Mittelohr operativ wiederher-
Mithilfe eines speziellen Hochfrequenz-Jet- gestellt. Da hierbei mit dem Operationsmikro-
Ventilators werden nun kleine Gasstöße mit ho- skop gearbeitet wird, darf der Operationstisch
her Geschwindigkeit und sehr hoher Frequenz nicht versehentlich erschüttert werden! Vor
(bis mehrere Hundert pro Minute) in das Tra- dem operativen Verschluss des Trommelfells
cheobronchialsystem geblasen. Hiermit ist bei muss evtl. verabreichtes Lachgas abgestellt wer-
minimalem Platzbedarf im eng begrenzten den. Bei Verwendung von Lachgas muss mit
Operationsgebiet eine ausreichende Beatmung einer Lachgasdiffusion in die luftgefüllte Pau-
möglich. Die Hochfrequenz-Jet-Ventilation hat kenhöhle gerechnet werden. Falls die Ohrtrom-
sich inzwischen für Laryngoskopien, Broncho- pete (Verbindung: Mittelohr – Rachenraum)
skopien und mikrochirurgische Eingriffe im nicht durchgängig sein sollte, würde es hier-
Kehlkopf bewährt. Gegebenenfalls kann – wie durch zur Drucksteigerung im Mittelohr kom-
im Falle einer nicht möglichen Intubation und men, wodurch unter Umständen das wieder
nicht möglichen Beatmung empfohlen – eine adaptierte Trommelfell bzw. ein Trommelfell-
transtracheale (manuelle) Jet-Ventilation durch- transplantat abgehoben werden könnte.
geführt werden (→ S. 229).
5.8 Anästhesie in der Augenheilkunde 283
Halsdissektion 5.8 Anästhesie
Bei Halsdissektionen (= neck dissection = sub-
in der Augenheilkunde
totale operative Ausräumung der Halsweichtei-
le bei einem Karzinom im Halsbereich) handelt
es sich meist um lange Operationen. Die Patien- 5.8.1 Allgemeine Bemerkungen
ten benötigen oft einen Kavakatheter (→ S.
185), der jedoch nicht an der Halsseite, an der Augeninnendruck
operiert wird, gelegt werden darf. Manchmal
wird auch eine arterielle Blutdruckmessung Im Auge herrscht normalerweise ein Augenin-
vorgenommen (→ S. 191). nendruck von 15 (± 5) mm Hg. Eine chronische
Bei der Präparation am Hals im Bereich des Erhöhung oder Herabsetzung des Augeninnen-
Nervus vagus oder des Sinus caroticus kann es drucks führt zu einer Schädigung des Auges.
zum Auslösen von bradykarden Herzrhyth- Für den Anästhesisten besonders wichtig sind
musstörungen kommen. Die Operation muss akute Änderungen des Augeninnendrucks wäh-
dann kurzfristig unterbrochen werden. Wird rend der Narkose.
hierdurch keine sofortige Unterbrechung des
Reflexes erzielt, sollten 0,5 mg Atropin intrave- Ist der Augapfel operativ oder traumatisch er-
nös verabreicht werden. ! öffnet, so kann eine plötzliche Erhöhung des
Häufig können im Verlaufe dieser oft mehr- Augeninnendrucks zum Herauspressen von Au-
stündigen Operationen erhebliche Blutverluste geninhalt und damit zum Verlust der Sehkraft
auftreten. Bei der Eröffnung größerer Venen be- führen (!).
steht die Gefahr einer Luftembolie (→ S. 270).
Zur Verringerung der Gefahr einer Luftembolie Eine Erhöhung des Augeninnendrucks ist
wird oft ein PEEP (→ S. 353) von ca. 5–8 cm möglich durch: Ketamin, Succinylcholin, Hy-
Wassersäule eingestellt. Oft werden die Patien- poventilation, Hypoxie, Erhöhung des Venen-
ten während dieser Operation tracheostomiert. drucks beim Husten, Pressen, Würgen, eine zu
Falls nicht, so werden sie meist auf der Intensiv- flache Narkose, durch Druck auf das Auge bei
station nachbeatmet, bis die Schwellung wieder unvorsichtiger Maskenbeatmung während der
weitgehend abgeklungen ist. Eine unmittelbar Narkoseeinleitung oder bei lokaler Anwendung
postoperative Extubation sollte nur dann vorge- von Atropin.
nommen werden, wenn der Operateur keine Eine Senkung des Augeninnendrucks ist mög-
Schwellungsgefahr befürchtet. Die unmittelbar lich durch: Hypnotika, Neuroleptika, Opioide,
postoperative Extubation dieser Patienten ist Tranquilizer, Inhalationsanästhetika, nicht de-
oft problematisch, da postoperativ die gesamten polarisierende Muskelrelaxanzien, Hyperventi-
Halsweichteile stark angeschwollen sind. Da lation und eine tiefe Narkoseführung. Außer-
eine evtl. Reintubation erfahrungsgemäß sehr dem kann durch verschiedene Medikamente,
schwierig oder unmöglich sein kann, sollte eine wie z. B. Acetazolamid (Diamox®) die Produkti-
evtl. Extubation möglichst im Beisein eines on des Augenkammerwassers vermindert und
284 5 Anästhesie – spezieller Teil
eine Ruhigstellung des Auges Voraussetzung dierung evtl. bedingte stärkere Dämpfung der
für den Operationserfolg. Dies kann durch eine Atmung kann hierdurch frühzeitig erkannt
tiefe Inhalationsnarkose oder durch eine werden und so können die Analgosedativa si-
(T)IVA mit Relaxation erzielt werden. Da ins- cherer dosiert werden. Jedem Patienten sollten
besondere bei augeneröffnenden Operationen ca. 5 Liter O2/min vor das Gesicht geleitet wer-
Augenbewegungen sowie andere Bewegungen den. Dadurch kann eine Ansammlung von
des Patienten unbedingt zu vermeiden sind, CO2-haltiger Exspirationsluft unter den Ab-
wird meist eine tiefe Relaxation vorgenommen. decktüchern (die über das Gesicht des Patien-
Es empfiehlt sich die Überwachung des Relaxa- ten gelegt werden) verhindert bzw. weggespült
tionsgrades mithilfe eines Relaxometers (→ S. werden und eine erhöhte FiO2 erzielt werden.
76). Auch postoperativ ist auf eine ausreichende Häufiger tritt bei diesen Patienten ein stärkerer
Ruhigstellung sowie eine Analgesie des Patien- Blutdruckanstieg auf, der ggf. die Gabe eines
ten zu achten, um übermäßige Augenbewegun- Antihypertensivums (z. B. 10–15 mg Urapidil;
gen, Husten und Pressen zu vermeiden. Die Ebrantil®; → S. 522) notwendig macht.
Patienten sollten mit leicht erhöhtem Oberkör-
per auf die Seite des nicht operierten Auges ge-
lagert werden. Je nach Anweisung des Augen-
arztes muss der Patient postoperativ für einige 5.8.2 Operationen
Zeit auch z. B. eine Bauchlagerung oder eine an-
dere Lagerung einnehmen. Insbesondere bei Strabismusoperation
Kindern ist darauf zu achten, dass sie nicht nach
dem operierten Auge fassen und den Verband Eine Strabismus-(Schiel-)Operation wird zu-
abreißen. Bei Patienten mit einem Diabetes meist bei ansonsten gesunden Kinder durchge-
mellitus ist perioperativ wiederholt die Blutzu führt. Bei einer Schieloperation besteht durch
ckerkonzentration zu messen. Zug an den äußeren Augenmuskeln die erhöhte
Gefahr, einen okulokardialen Reflex auszulösen
(→ S. 284). Atropin muss griffbereit sein. Even-
Stand-by tuell kann es prophylaktisch intravenös gegeben
werden.
Wird der Anästhesist zu einem Stand-by für
eine ophthalmologische Operation in Regional-
oder Lokalanästhesie gebeten, so ist auf das üb- Versorgung einer perforierenden
liche Monitoring (EKG, Pulsoxymetrie, nicht Augenverletzung
invasive Blutdruckmessung) zu achten. Gut be-
währt hat sich die fraktionierte Dosierung von Bei jeder augeneröffnenden Verletzung (und Ope-
Fentanyl (z. B. Boli à 0,025 mg) und/oder die ! ration) kann eine akute Steigerung des Augenin-
Gabe kleiner Propofolboli. Stets sollte der Pati- nendrucks zum Herauspressen von Augeninhalt
ent dabei noch kooperativ und ansprechbar mit Verlust der Sehkraft führen (!). Jegliche aku-
bleiben. Um eine gute Überwachung der At- te Erhöhung des Augeninnendrucks ist absolut zu
mung dieser intraoperativ großteils abgedeck- vermeiden (!).
ten Patienten zu ermöglichen, ist eine Kapno-
metrie im Seitenstrom sehr wertvoll. Hierzu Patienten mit einer perforierenden Augenver-
wird – wie bei der nasalen Applikation von letzung müssen notfallmäßig operiert werden,
Sauerstoff – ein kleines Schläuchlein in ein sie sind daher als nicht nüchtern zu betrachten.
Nasenloch eingelegt, an dem aber der Proben- Es muss deshalb eine sog. Ileuseinleitung durch-
absaugschlauch der Seitenstromkapnometrie geführt werden (→ S. 210). Allerdings darf
angeschlossen wird. Eine durch die Analgose- nicht, wie sonst üblich, vorher eine Magenson-
286 5 Anästhesie – spezieller Teil
de gelegt werden, da die Patienten hierbei meist Operativ wird – zur Erniedrigung des Augenin-
würgen und pressen, wodurch ein akuter An- nendrucks – eine Abflussmöglichkeit für das
stieg des Augeninnendrucks mit Gefahr für die Kammerwasser nach außen (unter die Binde-
Sehkraft droht (!). Die Intubation muss in tie- haut, in den subkonjunktivalen Raum) geschaf-
fer Narkose durchgeführt werden. Bei der Rela- fen (d. h. eine sog. Goniotrepanation durchge-
xation zur Intubation sollte Succinylcholin nur führt). Ein Anstieg des Augeninnendrucks
verwendet werden, falls eine ganz eindeutige muss während der Narkose unbedingt vermie-
Indikation hierfür besteht (→ S. 76), da es nach den werden. Bei einem sog. Engwinkelglaukom
Succinylcholingabe zu einem Anstieg des Au- ist eine Atropingabe zu vermeiden, da durch die
geninnendrucks kommen kann (→ S. 283). Pupillenerweiterung der Abfluss des Augen-
Durch eine entsprechende Präcurarisierung kammerwassers weiter behindert wird und der
können diese Muskelfaszikulationen und damit Augeninnendruck noch höher ansteigt.
der Anstieg des Augeninnendrucks zumeist
vermieden werden. Daher wird Succinylcholin
meist nicht als absolut kontraindiziert angese- Kataraktoperation
hen. Dennoch scheint es ratsam zu sein, Succi-
nylcholin möglichst zu vermeiden. Es empfiehlt Unter einer Katarakt wird eine Linsentrübung
sich auch bei einer „Ileuseinleitung“ zumeist
(= grauer Star) verstanden.
die Gabe des schnell wirkenden, nicht depolari-
sierenden Relaxans Rocuronium (ca. 0,9 mg/ Diese meist nur 10–15 Minuten dauernde Ope-
kg KG). Während der Narkose muss bei augen ration wird häufig in Lokalanästhesie und zu-
eröffnenden Operationen eine tiefe Relaxation sätzlicher Analgosedierung durchgeführt. Zu-
sichergestellt werden, sodass auch das auf Mus- meist handelt es sich um ältere Patienten, mit
kelrelaxanzien relativ unempfindliche Zwerch- den typischen Nebenerkrankungen (→ S. 248).
fell gelähmt ist und keine Zwerchfellkontraktio-
nen (z. B. Schluckauf) möglich sind. Eine
relaxometrische Überwachung ist empfehlens- Pars-plana-Vitrektomie
wert (→ S. 76). Bei der Extubation sollten Hus
ten, Pressen und Würgen am Tubus vermieden Eine Pars-plana-Vitrektomie (= PPV) dauert
werden. Falls z. B. bei Glaskörperentfernung (= meist ca. 30–45 Minuten und wird oft in Allge-
Vitrektomie) das Auge mit Gas gefüllt wird, meinanästhesie durchgeführt. Wird die Opera-
sollte vorher das evtl. verwendete Lachgas aus- tion in Lokalanästhesie mit Analgosedierung
gestellt werden. Inzwischen wird zunehmend durchgeführt, dann ist es wichtig, dass der Pati-
häufiger bei augeneröffnenden Operationen ent vollkommen schmerzfrei ist und ruhig liegt,
prinzipiell auf Lachgas verzichtet und eine TIVA da nicht nur der Glaskörper abgesaugt und
durchgeführt. durch Flüssigkeit, Öl oder Luft ersetzt wird,
sondern zusätzlich zumeist im Bereich der
Netzhaut operiert und Membranen und Nar-
Glaukomoperation bengewebe entfernt werden.
Ein weiteres alltägliches Problem in der Abdo- keit. Zur postoperativen Schmerztherapie hat
minalchirurgie ist der Wiederverschluss der sich die Anlage eines Periduralkatheters (→ S.
Bauchdecken, vor allem des Peritoneums. 176) bewährt.
Hierzu ist meist eine gute Muskelerschlaffung
notwendig. Da beim Verschluss der Bauchde
cken das baldige Ende der Operation abzusehen 5.9.2 Minimalinvasive Chirurgie
ist, muss bei Nachinjektion eines zumeist ver-
wendeten mittellang wirkenden nicht depolari- Sehr häufig werden in den letzten Jahren la
sierenden Muskelrelaxans mit der Gefahr eines paroskopische Eingriffe (= minimalinvasive
postoperativen Relaxansüberhangs gerechnet Chirurgie = MIC; „Knopflochchirurgie“) durch-
werden. Daher wird dieses Vorgehen meist ab- geführt. Neben der laparoskopischen Cholezyst
gelehnt. Empfehlenswert ist der Versuch einer ektomie wird inzwischen auch häufiger die
kurzfristigen Narkosevertiefung durch Erhö- laparoskopische Herniotomie oder z. B. Ap-
hung oder Zugabe eines Inhalationsanästheti- pendektomie durchgeführt. Bei laparoskopi-
kums sowie eine manuelle Beatmung, um die schen Eingriffen wird der Peritonealraum mit
Ventilation der momentanen Operationssitua- CO2 aufgefüllt (Pneumoperitoneum). Die da-
tion besser anpassen zu können. durch bedingte Steigerung des intraabdominalen
Drucks führt zur Behinderung der Zwerchfellbe-
Die Kunst einer guten abdominalchirurgischen weglichkeit. Der Beatmungsdruck steigt an. Eine
! Narkoseführung besteht unter anderem dar- CO2-Resorption bewirkt einen Anstieg des arte-
in, beim Verschluss des Abdomens, insbesondere riellen CO2-Partialdrucks. Es ist stets eine Intu-
bei der Naht des Peritoneums, eine ausreichende bationsnarkose mit kontrollierter Beatmung und
Narkosetiefe und eine ausreichende Relaxation zu kapnometrischer CO2-Überwachung notwendig.
garantieren und kurz danach bei Operationsende Beim Einführen des Trokars in die Bauchhöhle
einen spontan atmenden, extubationsbereiten Pa- kommt es in ca. 5 % der Fälle zu vasovagalen Re-
tienten zu haben. aktionen mit vor allem einer Sinusbradykardie.
Bei Operationen im Oberbauch (z. B. Cholezyst
ektomie) wird eine Kopfhoch- und Beintieflage-
Extubation rung, bei Operationen im Unterbauch (z. B. Her-
niotomie oder gynäkologische Eingriffe im
Bei nicht nüchternen Patienten darf die Extuba- kleinen Becken) wird eine Kopftief- und Bein-
tion erst nach völliger Rückkehr der Schutzre- hochlagerung vorgenommen, damit die Gedär-
flexe durchgeführt werden. Bei bestimmten me nicht auf das Operationsgebiet drücken.
Operationen (z. B. einer Leistenbruchoperati- Die Erhöhung des intraabdominalen Drucks
on) sollten die Patienten im Rahmen der Extu- führt zu einer Behinderung des venösen Rück-
bation möglichst wenig husten. stroms zum Herzen (Vorlasterniedrigung). Au-
ßerdem kommt es durch eine Kompression der
intraabdominalen Gefäße zu einer Steigerung
Postoperative Nachbetreuung des peripheren Gefäßwiderstandes (Nachlaster-
höhung). Auch die vermehrte Freisetzung des
Vor allem nach Oberbaucheingriffen ist post- gefäßverengenden Hormons Vasopressin führt
operativ eine schmerzbedingte Atemschonhal- zu einer Steigerung des peripheren Gefäßwider-
tung zu beobachten. Die Patienten atmen meist standes. Folge ist eine Steigerung des arteriellen
unzureichend durch und husten kaum ab. Eine Blutdrucks.
ausreichende postoperative Analgesie sowie Aufgrund der Vorlasterniedrigung und der
eine intensive, bereits präoperativ erlernte Nachlasterhöhung kommt es zum Abfall des
Atemgymnastik sind von besonderer Wichtig- Herzminutenvolumens. Die hämodynamischen
5.9 Anästhesie in der Abdominalchirurgie 289
Eine erniedrigte Cholinesterase kann unter serven ist notwendig. Unter laufender Transfu-
Umständen einen verlangsamten Abbau von sion ist eine Ileuseinleitung (→ S. 210) vorzu-
Mivacurium und Succinylcholin verursachen, nehmen.
was durch eine entsprechend niedrigere Dosie-
rung zu berücksichtigen ist.
Kolon- und Rektumoperationen
Bei Transfusion mehrerer Konserven sollte beim
! lebergeschädigten Patienten ausnahmsweise zu- Bei der anterioren Rektumresektion werden
sätzlich Calcium verabreicht werden, denn die ge- das Colon sigmoideum und das Rektum (der
schädigte Leber ist nicht mehr in der Lage, das im Mastdarm) bis kurz vor den Analkanal entfernt.
Stabilisator des konservierten Blutes enthaltene Es wird eine den Schließmuskel (die Kontinenz)
Citrat schnell genug abzubauen. erhaltende End-zu-End-Anastomose angelegt.
Bei einer abdominoperinealen Rektumexstir-
Die dadurch evtl. auftretenden hohen Citrat- pation wird das gesamte Rektum und das dista-
konzentrationen binden das körpereigene Cal- le Sigma entfernt. Es wird ein Anus praeter na-
cium, wodurch es für Gerinnungsvorgänge, für turalis sigmoideus angelegt.
die es unabdingbar ist, nicht mehr in ausrei- Bei einer Operation nach Hartmann, die z. B.
chender Menge zur Verfügung steht. Die Folge bei einer Perforation des Sigmas durchgeführt
wäre eine Verstärkung der bereits vorbestehen- wird, werden das Colon sigmoideum und das
den Gerinnungsstörung (→ S. 289). proximale Rektum entfernt. Das verbleibende
Rektum wird proximal blind verschlossen. Das
Colon descendens wird endständig ausgeleitet.
Später kann die Darmkontinuität wiederherge-
Operationen bei gastrointestinalen
stellt werden.
Blutungen Bei der gleichzeitig von abdominal und perine-
al durchgeführten Rektumresektion bzw. Rek-
Eine akute gastrointestinale Blutung, die z. B. tumexstirpation ist auf einen oft großen Blut-
gastroskopisch nicht zu stillen ist, stellt eine ab- verlust zu achten, der allerdings schwer zu
solut dringliche Operationsindikation dar. Der kalkulieren ist und deshalb oft unterschätzt
Blutverlust wird oft unterschätzt. wird. Große Mengen von Blut können in die
Abdecktücher verloren gehen. Inzwischen wer-
Zu beachten ist, dass bei einer akuten Blutung der den auch größere Darmoperationen zuneh-
! Hb- und der Hkt-Wert keine zuverlässigen Para- mend häufiger laparoskopisch operiert.
meter für den Blutverlust sind. Sie sind bei aku- Besondere Überwachungsmaßnahmen sind:
ten Blutungen falsch hoch (!). Selbst wenn z. B. ● Anlage eines Kavakatheters (→ S. 185)
akut (!) 50 % des Blutvolumens verloren gehen, ● evtl. blutige arterielle Druckmessung (→ S.
sind im verbleibenden Blutvolumen der Hb- und 191)
Hkt-Wert noch normal hoch, solange kein Verdün-
nungseffekt durch Gabe von Infusionslösungen
oder durch Resorption von Flüssigkeit aus dem in- Operationen in der Analregion
terstitiellen Raum erfolgt ist. Aussagekräftiger als
der Hb- und Hkt-Wert bei einer akuten Blutung Als Narkoseform bei Operationen in der
ist zumeist ein Blick in die anämische Bindehaut Analregion (z. B. Analfissuren, -fisteln, Hämor-
(Konjunktiva) des Patienten (!). rhoiden) bietet sich die Spinalanästhesie, ein
Sattelblock, eine Masken- oder Larynxmasken-
Die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl narkose oder eine Intubationsnarkose an. Bei
von evtl. vorerst noch ungekreuzten Blutkon- zu flacher Narkoseführung kann es durch die
5.9 Anästhesie in der Abdominalchirurgie 291
nun der Tubus genau in dieser geprüften Lage Seite hin mit starker Mediastinalverlagerung
sorgfältig kontrolliert. Nach der Fixierung und und Abklemmung der herznahen Gefäße dro-
auch nach einer evtl. Umlagerung des Patienten hen würde.) Nach einer Pneumektomie muss
(z. B. in die Seitenlage) hat nochmals eine Lage- der Wasserschlossstab (mittlere Flasche in Abb.
kontrolle des Tubus zu erfolgen. Gegebenenfalls 15-10c) aus dem Wasser zurückgezogen wer-
kann eine fiberbronchoskopische Lagekontrolle den, damit es nicht bei jedem Hustenstoß zu
des Doppellumentubus notwendig sein. einer weiteren Verlagerung des Mediastinums
kommt.
Spezielle Überwachungsmaßnahmen sind:
Narkoseführung ● Anlage eines Kavakatheters (→ S. 185)
Wird intraoperativ durch den Operateur ei- Bei Punktion der Arteria radialis sollte der
ne Lunge komprimiert oder eine Lunge auf bei der Seitenlagerung oben liegende Arm
Wunsch des Operateurs gar vollständig von der vorgezogen werden.
Belüftung abgeschaltet (durch Abklemmen ei- ● engmaschige arterielle Blutgasanalysen
5.11.3 Postoperative
Nachbehandlung
Die postoperative Analgesie (ggf. mittels thora-
kalem Periduralkatheter) ist bei Thoraxeingrif-
fen sehr wichtig, um einer schmerzbedingten
Atemschonhaltung mit mangelhafter Sekret-
abhustung und damit einer Pneumoniegefahr
vorzubeugen.
Die Vorlast des linken Ventrikels kann unter be- Die Koronardurchblutung erfolgt fast aus-
stimmten Voraussetzungen vereinfachend mit schließlich während der Diastole. Die Kraft,
dem enddiastolischen Druck im linken Ventri- die das Koronarblut durch die Herzkranzge-
kel gleichgesetzt werden. Dieser kann jedoch fäße treibt, ist der diastolische arterielle
nicht direkt gemessen werden. Der linksventri- Druck. Dem wirkt der im Ventrikel herr-
kuläre enddiastolische Druck entspricht nor- schende enddiastolische Druck entgegen.
malerweise (falls z. B. keine Mitralklappenste-
nose vorliegt) weitgehend dem über einen Der koronare Perfusionsdruck des linken Ventri-
Pulmonaliskatheter messbaren pulmonalkapil- ! kels ergibt sich also aus der Differenz des dia-
lären Verschlussdruck (= Wedge-Druck; → S. stolischen arteriellen Drucks bzw. des Drucks
202). Während der systolischen Kontraktion distal einer Koronarstenose minus dem links-
des Herzmuskels steigt der Druck im Ventrikel ventrikulären enddiastolischen Druck.
und gleichzeitig die Wandspannung des Herz-
muskels.
298 5 Anästhesie – spezieller Teil
Bei einem „partiellen“ Bypass wird nur ein des Herzens zu erhöhen, wird das Herz mit eis-
Teil des venösen Blutes durch die Herz-Lungen- gekühlter Ringer-Lactatlösung oder mit eisge-
Maschine geleitet, der andere Teil wird noch vom kühlter 0,9%iger NaCl-Lösung übergossen. Au-
rechten Herzen durch die Lungen zum linken Her- ßerdem wird noch eine spezielle, ebenfalls
zen gepumpt. Die um die kanülierte obere und un- eisgekühlte, sog. kardioplegische Lösung über
tere Hohlvene geschlungenen Bänder sind noch die Aortenwurzel ins Koronarsystem gepresst
nicht ganz zugezogen. (= Koronarperfusat). Diese kardioplegische Lö-
sung erzeugt einen schlaffen, asystolischen Zu-
Während des partiellen Bypasses wird der Pati- stand des Herzens (= Kardioplegie) und senkt
ent mit 100 % Sauerstoff beatmet. den Stoffwechsel der Herzmuskulatur weiter.
Da während dieser Herzoperationen die Koro- Während der EKZ wird außerdem eine Abküh-
nararterien nicht durchblutet sein dürfen, wird lung des Blutes auf ca. 30 °C vorgenommen, um
die Aortenwurzel mit einer sog. Aortenklem- den Sauerstoffbedarf des Körpers zu senken. In-
me abgeklemmt (1 in Abb. 5-20). Das von der zwischen wird zunehmend in mehreren Zen-
HLM in die Aorta zurückgepumpte Blut kann tren nur noch in einer milden Hypothermie (ca.
also nicht in die Aortenwurzel und in die dort 34 °C) oder gar in Normothermie operiert. (Bei
entspringenden Koronararterien fließen. Auf- der Operation bestimmter angeborener Herz-
grund dieser „Nichtdurchblutung“ der Koro- fehler wird die Temperatur unter Umständen
nararterien droht eine ischämische Schädigung bis auf 18–20 °C gesenkt. Bei einer so tiefen
der Herzmuskulatur. Um die Ischämietoleranz Körpertemperatur kann dann für bis zu ca. ei-
300 5 Anästhesie – spezieller Teil
Tab. 5-6 Wichtige Catecholamine und deren Wirkung auf die Alpha-, Beta- und Dopaminrezeptoren
Catecholamin Alpha- Beta-1- Beta-2- Dopamin-
Rezeptoren Rezeptoren rezeptoren rezeptoren
Noradrenalin +++ + 0 0
Adrenalin in niedriger Dosierung + +++ ++ 0
Adrenalin in hoher Dosierung +++ +++ + 0
Dobutamin (Dobutamin Solvay Infus)
®
0 +++ + 0
Dopamin in niedriger Dosierung + ++ 0 ++
(Dopamin-ratiopharm®)
Dopamin in hoher Dosierung ++ ++ 0 ++
(Dopamin-ratiopharm®)
Dopexamin (Dopacard®) 0 (+) +++ ++
}
0 = keine
(+) = evtl. geringe
+ = geringe Stimulation der entsprechenden Rezeptoren
++ = mittlere
+++ = starke
5.12 Anästhesie in der Herzchirurgie 301
Vegetatives Nervensystem
Sympathikus Parasympathikus
ACh
ACh
Nebenniere
ACh
Adrenalin
NA ACh
Abb. 5-21 Schematische Darstellung
des sympathischen und parasympathi- • glatte Muskulatur:
schen Nervensystems. ACh = Acetyl- Magen-Darm- und Bronchialmuskulatur, Gefäße, Drüsen
cholin; NA = Noradrenalin. • Herz
trägersubstanz des Nebennierenmarks ist je- Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin werden als
doch nicht Noradrenalin, sondern Adrenalin. ! physiologische (= körpereigene) Catecholami-
Das Nebennierenmark gibt bei Stimulation das ne bezeichnet. Diese Catecholamine wirken an
Adrenalin ins Blut ab. den Erfolgsorganen über spezifische Rezeptoren.
Da Adrenalin über das Blut zu den verschiedens Es kann zwischen Alpha-, Beta-1- und Beta-2-
! ten Organen transportiert wird, entfaltet es keine sowie Dopaminrezeptoren unterschieden wer-
lokale, sondern generalisierte systemische (!) Wir- den.
kungen im gesamten Körper.
Alpharezeptoren
In den Nervenzellen und im Nebennierenmark Inzwischen werden die Alpharezeptoren in Al-
wird aus der Aminosäure l-Tyrosin über meh- pha-1- und Alpha-2-Rezeptoren unterteilt (sub-
rere Zwischenstufen Dopamin hergestellt. In klassifiziert). Eine Stimulation der postsynapti-
verschiedenen Gehirnarealen, vor allem im ex- schen Alpha-1-Rezeptoren führt vor allem zu
trapyramidalen System, wird Dopamin als einer Gefäßkonstriktion und damit zu einem
Transmitter freigesetzt. In den postganglionä- Anstieg des systolischen und diastolischen Blut-
ren Nervenzellen des sympathischen Nervensys drucks. Das aus den postganglionären sympa-
tems wird Dopamin weiter zu Noradrenalin thischen Nervenzellen als Transmitter frei
umgewandelt, das als Transmitter freigesetzt gesetzte Noradrenalin (sowie ein extern
wird. Nur im Nebennierenmark wird Noradre- zugeführtes Catecholamin) bindet an die post-
nalin noch weiter umgewandelt, nämlich bis synaptischen Alpha-1-Rezeptoren. Ist ausrei-
zum Adrenalin, das dann als Transmitter ins chend Noradrenalin in die Synapse abgegeben
Blut freigesetzt wird. worden und ist die Noradrenalinkonzentration
302 5 Anästhesie – spezieller Teil
– Initialdosis: Indikationen:
50 µg/kg KG sehr langsam intravenös ● Senkung eines erhöhten Blutdrucks (vgl.
Rechtsherzinsuffizienz
● Senkung eines erhöhten Wedge-Drucks, z. B.
Vasodilatatoren bei Linksherzinsuffizienz
● Senkung des Sauerstoffbedarfs bei ischämi-
stieg beim Absetzen des Medikamentes (sog. ● Senkung der linksventrikulären Nachlast
Da die Patienten häufig nicht nur mit einer an- ten (!). Insbesondere bei Patienten mit schwerer
tihypertensiven Medikation, sondern auch mit Koronarsklerose oder schwerer Mitralstenose
Diuretika eingestellt sind, ist insbesondere auch kann dies evtl. fatale Folgen haben.
auf die möglicherweise durch Diuretika beding- Als Schlafmedikation für die präoperative
ten Störungen des Kaliumhaushalts (Hypokali- Nacht haben sich Benzodiazepine wie z. B.
ämie) zu achten. Eventuell auch digitalisierte Flunitrazepam (Rohypnol®, 1–2 mg oral; → S.
Patienten neigen bei einer Hypokaliämie leicht 6) bewährt. Auch zur Prämedikation hat sich
zu Herzrhythmusstörungen. Nimmt der Patient der anxiolytische Effekt der Benzodiazepine be-
β-Rezeptoren-Blocker (Hemmung vor allem währt. Bei Erwachsenen empfehlen sich z. B.
der Beta-1-Rezeptoren zur Senkung der Herz- 1–2 mg Flunitrazepam oral.
frequenz, der Inotropie und des Blutdrucks und
damit des myokardialen Sauerstoffbedarfs; → S.
296) oder Hochdruckmedikamente ein, so dür- Narkosevorbereitung
fen diese Medikamente nicht vor der Operation
abgesetzt werden (→ S. 5). (Lediglich für ACE- Sobald der Patient in den Narkoseeinleitungs-
Hemmer wird oft empfohlen, diese am Opera raum kommt, sind Pulsoxymeter, EKG und os-
tionstag morgens nicht zu verabreichen, da an- zillometrische Blutdruckmessung anzuschlie-
sonsten während der Narkose stärkere Blut- ßen und es ist ein periphervenöser Zugang zu
druckabfälle begünstigt werden können.) Bei legen.
plötzlichem Absetzen z. B. einer Hochdruck Sind die Patienten, wenn sie in den Narkosevor-
medikation kann es zu unerwünschten, über- bereitungsraum kommen, noch ängstlich-auf-
schießenden Blutdruckanstiegen kommen. geregt und haben sie eine Tachykardie sowie
Auch Nitroglycerinpräparate (z. B. Nitrolingu- einen hohen Blutdruck, dann empfiehlt sich zu-
al®), die die Patienten wegen ihrer pektanginö- erst eine intravenöse Gabe z. B. von Midazolam
sen Beschwerden einnehmen, müssen bis zum oder Flunitrazepam zur stärkeren Anxiolyse
Operationstermin verabreicht werden. Dagegen und Sedierung. Die Dosierung muss streng
muss eine evtl. Marcumar®-Therapie ausrei- nach Wirkung erfolgen. Eventuell kann auch
chend lange vor der Operation abgesetzt wer- eine bedarfsadaptierte Applikation von Fenta-
den. Ist eine Therapie mit Antikoagulanzien je- nyl (Boli à 25 µg) durchgeführt werden, wobei
doch unbedingt notwendig, so muss auf Hepa- (aufgrund dessen atemdepressiver Wirkung)
rin umgestellt werden. Falls vertretbar, sollten auf eine ausreichende Spontanatmung zu ach-
Diuretika und Digitalis 1–2 Tage vor der Opera- ten ist. Klagt ein Patient gar über pektanginöse
tion abgesetzt werden. Eine Digitalisierung bis Beschwerden, muss ein Nitrospray oder eine
zum Operationstermin sollte z. B. nur bei mani- Nitrolingual®-Kapsel verabreicht werden. Zu-
fester Herzinsuffizienz und bei Vorhofflimmern sätzlich empfiehlt sich ebenfalls eine Sedierung
durchgeführt werden. und Anxiolyse. Nitroglycerin bewirkt eine
Weitstellung der venösen Kapazitätsgefäße (=
Bei der Verordnung der Prämedikation ist auf venöses Pooling). Dadurch wird der venöse
! eine ausreichende anxiolytische und sedierende Rückstrom zum Herzen vermindert. Das Herz
Wirkung zu achten, denn vor einer Herzoperation muss weniger Blut pumpen und wird entlastet.
haben Patienten oft besonders viel Angst. Der Sauerstoffbedarf des Herzens ist damit ge-
ringer. Nitroglycerin ist daher das Mittel der
Bei unzureichender Dosierung droht eine Wahl bei pektanginösen Beschwerden (→ S.
stressbedingte Herzfrequenz- und Blutdruck- 304).
steigerung in der unmittelbar präoperativen Da die Narkoseeinleitung eine besonders kriti-
Phase, wodurch die engen kardialen Reserven sche Situation darstellt, muss bereits vorher eine
unter Umständen überschritten werden könn- blutige arterielle Druckmessung angelegt wer-
5.12 Anästhesie in der Herzchirurgie 307
den (→ S. 191). Es sollte vorzugsweise am nicht zu einem deutlichen Abfall des Blutdrucks
dominanten Handgelenk (bei Rechtshänder führen.
also links) punktiert werden. (Es ist jedoch ● Vollrelaxierung mit einem nicht depolarisie-
vorher zu klären, ob nicht für die Anlage eines renden Muskelrelaxans; z. B. 0,6 mg/kg KG
aortokoronaren Bypasses evtl. die Entnahme ei- Rocuronium (ca. 50 mg beim Erwachsenen)
nes Teils der linken Arteria radialis geplant ist; ● schonende orotracheale Intubation:
→ S. 313). Bei Operationen an der Aorta sollte Die Narkoseeinleitung ist besonders schonend
stets die rechte Arteria radialis punktiert wer- mit möglichst konstantem Verhalten von Blut-
den, da beim Abklemmen der Aorta manchmal druck und Herzfrequenz durchzuführen.
die linke Arteria subclavia mit abgeklemmt
wird. Nach der Narkoseeinleitung wird ein (unter
Umständen mehrlumiger) zentraler Venenka-
theter gelegt. Er dient der herznahen Applikati-
Narkoseeinleitung on von Medikamenten und der Kontrolle des
zentralen Venendrucks. Häufig wird die Punkti-
Als Narkoseform wird normalerweise eine on der Vena jugularis interna rechts bevorzugt.
TIVA (→ S. 125) oder balancierte Anästhesie In seltenen Fällen muss evtl. ein Pulmonaliska-
(→ S. 124) gewählt. theter eingeführt werden (→ S. 197), mit dem
das Herzminutenvolumen, der Druck in der
Alle Medikamente müssen stets sehr langsam Arteria pulmonalis sowie der pulmonalkapillä-
! und nach Bedarf unter Kontrolle der hämodyna- re Verschlussdruck (= Wedge-Druck) gemessen
mischen Parameter injiziert werden (!!). werden können. Das Einführen eines Pulmona-
liskatheters ist z. B. bei schweren Formen einer
Die Narkoseeinleitung kann z. B. folgenderma- Mitralstenose angezeigt. In manchen Kliniken
ßen durchgeführt werden: wurde früher grundsätzlich ein Pulmonalarte-
● Anxiolytikum: rienkatheter für alle Herzoperationen gelegt.
Falls der Patient nicht ausreichend angst- Seit einigen Jahren wird in der Kardioanästhe-
und stressfrei ist, sollte im Einleitungsraum sie allerdings zunehmend häufiger auf das Ein-
während der Vorbereitungen intravenös ein schwemmen eines Pulmonaliskatheters ver-
Anxiolytikum verabreicht werden (z. B. Boli zichtet.
à 0,5 mg Midazolam, 0,25 mg Flunitrazepam Wird ein Pulmonaliskatheter bereits vor Narko-
oder Fentanylboli à 25 µg; → S. 306). seeinleitung gelegt, so sind bei der Narkoseein-
● Präoxygenierung (→ S. 113) leitung optimale Überwachungsmöglichkeiten
● großzügige Opioidgabe gegeben. Außerdem können dann bereits vor
z. B. 0,5 mg Fentanyl oder eine entsprechen- Narkoseeinleitung der ZVD, das HMV sowie
de Dosis an Sufentanil (ca. 70 µg). Es ist auf der Wedge-Druck gemessen werden. Diese
eine langsame Injektion zu achten. Zuneh- Ausgangswerte bieten wichtige Vergleichsmög-
mend häufiger wird als Opioid Remifentanil lichkeiten für intraoperativ gemessene Werte.
per Spritzenpumpe (initial oft 0,2–0,3 µg/ Anschließend müssen neben einem Dauerka-
kg KG/min) eingesetzt. theter und einer Magensonde noch eine rektale
● den Patienten zum Einatmen auffordern und eine ösophageale Temperatursonde gelegt
(Kommandoatmung) werden. Es ist auf eine ausreichende Anzahl ve-
● Hypnotikum nöser Zugänge zur Volumensubstitution zu
z. B. Etomidat (0,2–0,3 mg/kg KG), Propofol achten.
(ca. 1,5–2 mg/kg KG) oder Thiopental (ca. Inzwischen wird auch in der Kardioanästhesie
4–5 mg/kg KG). Bei Patienten mit einge- zunehmend häufiger eine TIVA unter Verwen-
schränkter Ventrikelfunktion kann Propofol dung von Remifentanil (meist 0,25–0,5 µg/
308 5 Anästhesie – spezieller Teil
kg KG/min), Propofol (3–6 mg/kg KG/h), nicht Rocuronium oder Pancuronium) und einem
depolarisierendes Relaxans und Sauerstoff Hypnotikum (z. B. Propofol) durchgeführt. Das
durchgeführt. Hypnotikum (z. B. Propofol) und das Opioid
Wird im Rahmen einer balancierten Anästhesie (z. B. Sufentanil) sollten per Spritzenpumpe ver-
ein volatiles Inhalationsanästhetikum eingesetzt abreicht werden.
(bei Patienten ohne Zeichen einer Herzinsuffi- Eventuell kann auch ein verdampfbares Inhala-
zienz), so scheint hierfür in der Kardioanästhe- tionsanästhetikum, vor allem Sevofluran oder
sie das Sevofluran besonders geeignet. Es weist Isofluran, über den Oxygenator der Herz-Lun-
eine gute Kreislaufstabilität auf und in neueren gen-Maschine verabreicht werden. Der Bedarf
Studien wird ihm auch eine gute kardioprotek- an Narkosemitteln ist individuell recht unter-
tive Wirkung (mit Erhöhung der Ischämietole- schiedlich und hängt auch von dem Ausmaß
ranz) zugeschrieben. der Hypothermie ab.
● EKG
● Neurologie
Narkoseführung während ● ZVD und ggf. Wedge-Druck
● Beatmung
Die Aufrechterhaltung der Narkose wird zu- ● Relaxierung
wird vor allem durch den Sympathikotonus, die Zentraler Venendruck und Wedge-Druck
Anästhesie, die Temperatur, den pH-Wert und
durch vasoaktive Medikamente beeinflusst. Der zentrale Venendruck (= ZVD) sollte wäh-
Ein systolischer, arterieller Blutdruck von mehr rend der extrakorporalen Zirkulation bei oder
als 100 mm Hg spricht bei einem normalen Per- unter 0 mm Hg liegen. Auch der evtl. gemessene
fusionszeitvolumen der Herz-Lungen-Maschi- Wedge-Druck sollte während des Bypasses bei
ne für einen hohen peripheren Gefäßwider- ca. 0 mm Hg liegen.
stand. Durch eine Vertiefung der Narkose sowie
durch Vasodilatanzien, wie z. B. Nitroglycerin,
Urapidil oder Nitroprussidnatrium (→ S. 304), Urinausscheidung
kann der periphere Widerstand und damit der
arterielle Druck gesenkt werden. Falls der arte- Die Urinproduktion sollte nicht unter 1 ml/
rielle Perfusionsdruck trotz eines normalen kg KG/h abfallen. Eine unzureichende Diurese
oder erhöhten Perfusionszeitvolumens mit der kann z. B. Folge eines zu niedrigen HMV, eines
Herz-Lungen-Maschine unter 60 mm Hg ab- Volumenmangels oder einer tiefen Hypotonie
fällt, so scheint eine Drucksteigerung durch Va- sein. Kommt es zu einer starken Hämolyse (zu-
sopressoren wie Noradrenalin und/oder eine meist aufgrund einer mechanischen Schädi-
Senkung der Körpertemperatur notwendig. gung der Erythrozyten vor allem durch das Ab-
saugen des Blutes) mit einer Verfärbung des
Urins, so sollte die Diurese mit Furosemid (z. B.
EKG Lasix®) oder einem Osmodiuretikum wie Man-
nit gesteigert werden.
Während der Kardioplegie ist das Herz asysto-
lisch.
Beatmung
die venöse sowie die arterielle Kanüle entfernt, ● HMV weitgehend normal, arterieller Druck
wird nach Rücksprache mit dem Operateur das weitgehend normal, ZVD hoch, Wedge-
Heparin mittels langsamer Protamininfusion Druck hoch:
antagonisiert (→ S. 309). ⇒ Die Gabe von Nitroglycerin (→ S. 304) ist
Der Abgang von der HLM kann je nach Myo- zu empfehlen.
kardfunktion wenige Minuten bis einige Stun- ● HMV hoch, Blutdruck niedrig, Gefäßwi-
den dauern. Während der Entwöhnung können derstand im großen Kreislauf niedrig:
unter Umständen erhebliche hämodynamische ⇒ Die Infusion von Noradrenalin ist indiziert.
Probleme auftauchen. Wichtig ist der direkte
Blick auf das schlagende Herz. Eine gezielte Un- Bei bradykarden Rhythmusstörungen kann
terstützung des Kreislaufs in dieser Situation ist auch die Gabe von Atropin, Orciprenalin oder
möglich, wenn der arterielle Druck, das Herz- eine Herzschrittmacherstimulation notwendig
minutenvolumen sowie der ZVD (und der werden. (Bei den Patienten werden meist intra-
Wedge-Druck) bekannt sind. Mithilfe dieser operativ passagere Schrittmacherelektroden am
Größen können außerdem die Gefäßwiderstän- Vorhof und am linken Ventrikel platziert. Die
de im Lungenkreislauf sowie im großen Kreis- elektrische Stimulation ist dann der medika-
lauf errechnet werden. Je nach Situation müssen mentösen Stimulation vorzuziehen.)
die folgenden Maßnahmen getroffen werden: Bleibt trotz einer differenzierten medikamentö-
● HMV niedrig, Blutdruck niedrig, ZVD nied- sen Therapie die Herzleistung zu niedrig (= low
rig, Wedge-Druck niedrig: cardiac output syndrome), kann zur Unter-
⇒ Dem Patienten muss Volumen zugeführt stützung des insuffizienten Herzens über die
werden. Falls bei einer solchen hämodyna- Arteria femoralis ein aufblasbarer Ballon in die
mischen Konstellation der Hb-Wert zu nied- thorakale Aorta eingeführt werden. Abhängig
rig ist, sollten (möglichst frische) Erythrozy- vom EKG wird dieser Ballon während der frü-
tenkonzentrate transfundiert werden. Ist es hen Diastole aufgepumpt und während der Sy-
zu einem starken Abfall der Thrombozyten- stole entleert. Dieser Ballon pulsiert entgegen-
zahl gekommen, kann auch die Gabe eines gesetzt zum Herzen; das Prinzip wird deshalb
Thrombozytenkonzentrats notwendig wer- als intraaortale Ballongegenpulsation be-
den (Thrombozytenverbrauch in der HLM zeichnet. Der in der frühen Diastole aufge-
und im extrakorporalen Kreislauf). Auch die pumpte Ballon verhindert den schnellen Ab-
Gabe von FFP (= fresh frozen plasma) kann fluss des in die Aorta ausgeworfenen Blutes und
notwendig werden. Eine übermäßige Blu- verbessert damit die koronare und zerebrale
tung kann verschiedene Ursachen haben Durchblutung. Kurz vor der Systole entleert
(→ S. 309), ist aber zumeist durch ein opera- sich der Ballon schlagartig, wodurch der Druck
tives Problem bedingt. in der Aorta plötzlich abfällt und die Nachlast
● HMV niedrig, Blutdruck niedrig, ZVD nor- (→ S. 297) und damit auch der Sauerstoffbedarf
mal oder erhöht, Wedge-Druck normal oder für das sich jetzt kontrahierende linke Herz re-
erhöht: duziert wird.
⇒ Die Gabe von Catecholaminen (z. B. Do-
butamin) zur Unterstützung der Herzleis
tung ist notwendig. 5.12.5 Häufige Herzoperationen
● HMV niedrig, Gefäßwiderstand hoch, ZVD
urgie zunehmend sog. minimalinvasive Techni- oder Vorhofseptum unter Verwendung der
ken zum Einsatz. Hierbei wird zum Teil am HLM bei Vermeidung einer kompletten Ster-
schlagenden Herzen ohne Einsatz der Herz- notomie (über eine Ministernotomie)
Lungen-Maschine operiert. Von minimalinva- ● thorakoskopische Präparation der Arteria
Bei minimalinvasiven Herzoperationen hat der schine gewechselt werden und damit wird auch
Anästhesist eine besonders große Verantwor- eine Vollheparinisierung notwendig.
tung und muss einen wichtigen Beitrag zum
Gelingen der Operation leisten. Dem Operateur
ist eine direkte Beurteilung und Befühlung des 5.12.7 Verlegung
Herzens deutlich erschwert. Der Anästhesist auf die Intensivstation
muss hämodynamische Störungen oder myo-
kardiale Ischämien sofort richtig erkennen, the- Unter kontinuierlichem Monitoring wird der
rapieren und dem Operateur mitteilen. An zu- Patient anschließend auf die Intensivstation
sätzlichem erweitertem Monitoring ist bei transportiert. Der Patient wird weiterhin anal-
minimalinvasiven kardiochirurgischen Eingrif- gesiert und sediert, bis Körpertemperatur und
fen vor allem die transösophageale Echokardio- Oxygenierung eine Entwöhnung vom Respira-
graphie zu nennen (→ S. 204). Während die tor zulassen. Es ist auch darauf zu achten, dass
TEE beispielsweise bei der konventionellen eine gute periphere Durchblutung vorliegt. Hä-
Klappenchirurgie wünschenswert ist, ist sie bei modynamisch instabile Patienten werden erst
minimalinvasiver Klappenchirurgie zwingend, dann von der Beatmung entwöhnt, wenn die
um Volumenstatus, Kontraktilität und evtl. Catecholamin- und Vasodilatanziendosis auf
Luftblasen erkennen zu können. ein vertretbares Maß reduziert werden konnten.
Im Rahmen der operationstechnisch bedingten In der Aufwachphase können durch Stresssitua-
Herzdislokation und beim Einsatz mechani- tionen erhebliche Kreislaufbelastungen auftre-
scher Stabilisationssysteme kann eine hämody- ten.
namische Instabilität auftreten. Zum Teil wird
auch eine Einlungenanästhesie (z. B. bei MID-
CAB-Operationen) zwingend notwendig. Eine 5.12.8 Fast-Track-Verfahren
entsprechende präoperative Überprüfung der
Lungenfunktion (Beurteilung von Lungenfunk- Während früher nach kardiochirurgischen
tionstests, Blutgasanalyse, Röntgenaufnahme Operationen meist routinemäßig eine postope-
des Thorax und eine ausführliche pulmonale rative Nachbeatmung bis zum nächsten Morgen
Anamnese) ist wichtig. durchgeführt wurde, wird in den letzten Jahren
Zur Narkoseeinleitung empfiehlt sich z. B. die versucht, diese Nachbeatmung zu verkürzen
Gabe von Sufentanil, Etomidat sowie eines nicht und die Patienten früh zu extubieren (innerhalb
depolarisierenden Relaxans (häufig Atracurium von ca. 1–6 Stunden nach Operationsende). Die
oder Vecuronium). Öfter wird für Operationen zunehmend häufigeren minimalinvasiven kar-
am schlagenden Herzen inzwischen auch das diochirurgischen Eingriffe sowie Änderungen
Opioid Remifentanil verwendet. Die Narkose des perioperativen anästhesiologischen Ma-
wird oft als IVA/TIVA weitergeführt. Zur Auf- nagements (Verwendung von Propofol plus
rechterhaltung der Narkose werden häufig auch Sufentanil oder Remifentanil) begünstigen
50 % O2, 50 % Luft bzw. N2O, Propofol plus eine ein solches Vorgehen. Dieses Vorgehen wird
thorakale PDA (Punktion vor allem bei Th5/6; in der Literatur als sog. Fast-Track-Verfahren
Injektionen von Bupivacain plus Sufentanil) („Schnellspurverfahren“) bezeichnet (→ S.
empfohlen. Die thorakale PDA ist bereits am 291).
Vortag anzulegen. Damit kann sichergestellt Durch eine frühzeitige Extubation können Risi-
werden, dass zwischen Punktion und intraope- ken einer Nachbeatmung vermieden (z. B. pul-
rativer Heparingabe ein ausreichendes Zeitin- monale Infekte) und es kann ein Beitrag zur
tervall besteht. Unter Umständen muss bei ope- Effektivitätssteigerung geleistet werden. Ziel des
rationstechnischen Problemen sogar auf eine Fast-Track-Verfahren ist es auch, die Verweil-
Operation unter Einsatz der Herz-Lungen-Ma- dauer des Patienten auf der Intensivstation so-
316 5 Anästhesie – spezieller Teil
tenselektion, das heißt, es müssen diejenigen ● Hyperkaliämie (durch Acidose und Zerstö-
Patienten erfasst werden, die für eine Frühextu- rung von Zellen)
bation ohne Risikoerhöhung geeignet sind bzw.
solche Patienten erkannt werden, bei denen kei- Ganz entscheidend für den Behandlungserfolg
ne Frühextubation zu empfehlen ist. ! eines polytraumatisierten Patienten ist die opti-
male Organisation und Koordination der bei
der Diagnostik und Behandlung mitwirkenden
Helfer.
5.13 Polytraumatisierte
Patienten
5.13.2 Diagnostik
5.13.1 Allgemeine Bemerkungen Nach einer kurzen Anamneseerhebung durch
Befragen des begleitenden Notarztes oder einer
Unter einem Polytrauma (= einer Mehrfachver- evtl. Begleitperson muss sofort mit Diagnostik
letzung) werden gleichzeitig entstandene Verlet- und Therapie begonnen werden.
zungen mehrerer Körperteile verstanden, wobei
wenigstens eine oder die Kombination mehrerer
Verletzungen lebensbedrohlich ist. Anästhesiologische Untersuchung
Ein polytraumatisierter Patient kann die unter- Es sind die Vitalfunktionen Atmung und Herz
schiedlichsten Verletzungsmuster aufweisen. und Kreislauf zu beurteilen.
Trotzdem enden die auftretenden pathophysio-
logischen Veränderungen immer in einem Vo- Atmung:
lumenmangelschock mit all seinen Folgen. Bei ● normale Atmung?
● Hypovolämie (= Volumenmangel)
● Hypotonie Kreislauf:
● Tachykardie ● normale Kreislaufverhältnisse?
Verdacht auf einen erhöhten intrakraniellen ter (z. B. ein Shaldon-Katheter) in der Vena
Druck (SHT?) muss auf das Legen einer Ma- subclavia oder Vena femoralis platziert wer-
gensonde vor (!) Intubation zumeist verzichtet den.
werden. Vor Narkoseeinleitung sollte aber eine ● sofort (!) Beginn der Volumensubstitution (!),
adäquate Volumentherapie bereits begonnen auch dann, wenn der Blutdruck noch schein-
werden, um drastische Blutdruckabfälle durch bar ausreichend ist und keine großen äuße-
die Narkosemedikamente zu vermeiden. ren Blutungen erkennbar sind (innere Blu-
Prinzipiell müssen bei Patienten im Schock die tungen?!, Weichteilblutungen?!):
Medikamente vorsichtig dosiert werden. Au- Es handelt sich dann meist um einen durch
ßerdem muss auf blutdrucksenkende Medika- maximale Kreislaufzentralisation gerade
mente (z. B. Propofol, Inhalationsanästhetika) noch kompensierten Schockzustand, der je-
verzichtet werden. Die Narkose wird meist mit derzeit dekompensieren kann!
einem Hypnotikum wie Etomidat oder Thio- ● sofort (!) Abnahme von Kreuzblut
pental eingeleitet und mit Sauerstoff/Luft, ei- zur Bestimmung der Blutgruppe und Anfor-
nem Opioid (z. B. Fentanyl oder Sufentanil), ei- derung von mindestens 6–8 vorerst noch un-
nem nicht depolarisierenden Relaxans (z. B. gekreuzten Blutkonserven. Nur in absolut
Rocuronium, Vecuronium) und einem Hypno- lebensbedrohlichen Ausnahmefällen sollten
tikum (z. B. Midazolam) aufrechterhalten. Bei als „Universalspenderblut“ Erythrozyten-
Patienten mit starker Hypotonie kann die Intu- konzentrate der Blutgruppe 0 Rhesus-nega-
bation auch nach intravenöser Gabe von tiv transfundiert werden (→ S. 141). In der
Ketamin durchgeführt werden. Hierbei bleibt Regel können jedoch einige Minuten abge-
ein weiterer Blutdruckabfall normalerweise wartet werden, bis die Blutgruppe festgestellt
aus. und ungekreuztes, blutgruppengleiches Blut
bereitgestellt ist. Dies ist bei guter Organisa-
Kreislauf: Die einzige kausale Therapie des vor- tion innerhalb von wenigen Minuten mög-
liegenden Volumenmangelschocks ist die Volu- lich! Bis dahin sollten vor allem Plasmaer-
mengabe! Nur damit ist eine Normalisierung satzmittel wie Hydroxyethylstärke (= HES)
des Kreislaufs, eine kausale Therapie der meta- zur Anwendung kommen (→ S. 135). Trans-
bolischen Acidose sowie ein Wiedereinsetzen fusionen und Infusionen müssen mithilfe
der Urinausscheidung zu erwarten. Ebenso eines Druckbeutels vorgenommen werden.
kann drohenden Gerinnungsstörungen am
besten dadurch vorgebeugt werden, dass der Bei einer evtl. notwendigen Massivtransfusi-
Volumenmangelschock schnell unterbrochen ! on ist daran zu denken, dass Erythrozytenkon-
wird. Daher gilt: zentrate keinerlei funktionsfähige Thrombozy-
ten mehr enthalten und eine verminderte Akti-
Sofortige großzügige vität vor allem der Gerinnungsfaktoren V und
! Volumengabe! VIII aufweisen.
Bei jedem Mehrfachverletzten müssen folgende ● Es muss deshalb frühzeitig zusätzlich FFP (=
Maßnahmen erfolgen: fresh frozen plasma; enthält Gerinnungs
● sofort (!) EKG und Pulsoxymeter anschlie- faktoren; → S. 138) und manchmal gegen
ßen Ende der operativen Blutstillung Thrombo-
● sofort (!) Blutdruck messen zytenkonzentrat transfundiert werden, um
● sofort (!) mehrere, möglichst großlumige pe- einer Entgleisung der Blutgerinnung vorzu-
riphervenöse Zugänge legen: beugen.
Bei schlechten peripheren Venenverhältnis-
sen sollte frühzeitig ein großlumiger Kathe-
5.13 Polytraumatisierte Patienten 319
● sofort (!) Abnahme von Laborwerten wie Die Ausräumung eines epiduralen Hämatoms
Na, K, Hb, Hkt, Quick-Wert, PTT, Thrombo- wäre sinnlos, wenn der Patient inzwischen an
zyten, BZ seiner Milzruptur verblutet. Sofort anschlie-
ßend muss dann das epidurale Hämatom entlas
Bei einer akuten Blutung sind Hb- und Hkt- tet werden.
! Wert keine zuverlässigen Parameter für das Im Anschluss an diese lebensrettenden Notope-
Ausmaß des Blutverlustes. Sie sind bei akuten rationen wird eine ausführliche röntgenologi-
Blutungen oft falsch hoch! Aussagekräftiger sche Diagnostik durchgeführt. Besteht der Ver-
ist zumeist ein Blick in die anämische Binde- dacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma, so muss,
haut (Konjunktiva) des Patienten (!). sobald die Vitalfunktionen einigermaßen stabi-
lisiert sind, ein kranielles Computertomo-
● Möglichst bald sollte eine arterielle Blut- gramm (= cranial computerized tomography =
druckmessung (→ S. 191) angelegt und eine CCT) durchgeführt werden. Die Frage nach ei-
arterielle Blutgasanalyse abgenommen wer- nem therapiebedürftigen Hirnödem oder nach
den. einer operativ angehbaren intrakraniellen Blu-
● Möglichst bald sollte ein Dauerkatheter ge- tung oder nach einer Verletzung der Halswir-
legt werden, um die Urinausscheidung und belsäule muss beantwortet werden. Bereits im
damit die Suffizienz der Volumentherapie Zweifelsfalle müssen Manipulationen unterlas-
beurteilen zu können. sen werden, die den intrakraniellen Druck stei-
● Das Platzieren eines Kavakatheters ist wün- gern könnten und Maßnahmen durchgeführt
schenswert, aber zweitrangig (→ S. 185). Bei werden, die zu einem Abfall des intrakraniellen
schlechten Kreislaufverhältnissen bietet Drucks führen (vgl. dazu die ausführliche Dar-
hierbei die Punktion der Vena subclavia die stellung im Kapitel „Intrakranieller Druck“ auf
besten Erfolgsaussichten (→ S. 188). Treten S. 267). Das knöcherne Skelett sowie die Lunge
trotz ausreichender Volumenzufuhr unklare müssen geröntgt werden. Ergeben sich hieraus
Kreislaufprobleme auf, muss stets auch an keine neuen operativen Konsequenzen, so wird
die Möglichkeit eines Spannungspneumo- der Patient auf eine operative Intensivstation
thorax gedacht werden. zur Stabilisierung seines Zustandes verlegt.
Phase 2: Phase 3:
lebensrettende Notoperationen Stabilisierungsphase
Liegen Verletzungen vor, die eine endgültige Alle anderen nicht unmittelbar lebensbedrohli-
Stabilisierung der Vitalfunktionen Atmung und chen Verletzungen sollten erst operiert werden,
Kreislauf nicht erlauben, z. B. ein Pneumotho- wenn sich der Zustand des Patienten durch eine
rax oder eine Milzruptur, so müssen entspre- entsprechende intensivmedizinische Therapie
chende lebensrettende Eingriffe (Thoraxdraina- (ca. zweiter bis vierter Tag) stabilisiert hat (=
ge bzw. Milzexstirpation) ohne jegliche Ver- Stabilisierungsphase).
zögerungen (1. Tag) durchgeführt werden.
6 Aufwachraum
wachraum muss eine „Übergabe“ des Patienten schlaftrunkener Zustand. Der Patient kann
stattfinden; das heißt, der für die Narkose ver- leicht erweckt werden. Wird er in Ruhe ge-
antwortliche Anästhesist berichtet der für den lassen, so schläft er wieder ein.
Aufwachraum zuständigen Pflegekraft bzw. ● soporös:
dem zuständigen Arzt, welche Operation und Nur auf lautes Zurufen versucht sich der Pa-
welches Narkoseverfahren durchgeführt wur- tient kurz zu orientieren. Auf Schmerzreize
den und welche Probleme während der Narko- reagiert er mit gezielten Abwehrbewegun-
se aufgetreten sind. Wichtig ist auch zu berich- gen. Er ist aber unfähig zu jeglicher sponta-
ten, an welchen Nebenerkrankungen der Patient nen Aktivität.
leidet. Besonderer Erwähnung bedarf es, ob bei ● komatös:
dem Patienten z. B. ein Opioid oder ein nicht Der Patient ist bewusstlos.
depolarisierendes Muskelrelaxans antagonisiert
322 6 Aufwachraum
Überhang an Narkosegas?
Bei Patienten mit einem Isofluran-, Sevofluran-
oder Desfluranüberhang kann die Bewusst-
seinslage von somnolent bis bewusstlos (→ S.
321) reichen.
Indikationen: β-Rezeptoren-Blocker eignen sich Der Arm, an dem der Zugang liegt, muss jedoch
vor allem bei jüngeren Patienten zur Hoch- ! sichtbar auf (!) der Bettdecke liegen, damit eine
druckbehandlung. Esmolol stellt in der Anäs- evtl. Diskonnektion mit Blutung aus der Kanüle
thesie inzwischen den β-Rezeptoren-Blocker sofort erkennbar ist (dies gilt insbesondere auch
der ersten Wahl dar. bei liegender arterieller Kanüle).
– initial:
0,5 mg/kg KG über 2–3 min
– Erhaltungsdosis:
0,1–0,2 mg/kg KG/min 6.6.2 Einschätzung
● Beloc :
® anhand postanästhetischer
5 ml = 5 mg; ggf. eine Wiederholungsdosis Checkliste
Zur postoperativen Beurteilung des Patienten
können auch bestimmte Checklisten verwendet
werden. In Tabelle 6-1 ist der PARS (= post
328 6 Aufwachraum
Abb. 6-6 Patientenkontrollierte
Analgesie
wird eine PCA-Maschine mit einer verdünnten nötigt werden, muss die Pflegekraft vorher den
Piritramidlösung (→ unten) gefüllt (z. B. 1 ml = zuständigen Anästhesisten informieren.
2 mg). Als Bolus werden bei Erwachsenen zu- Dieses Vorgehen scheint die beste Annäherung
meist 2 mg und als Sperrintervall meist 10 Minu- an die Prinzipien der PCA darzustellen und er-
ten programmiert. Die 4-Stunden-Maximaldosis laubt ebenfalls eine bedarfsadaptierte intravenö-
wird z. B. mit 25 mg eingestellt. Es sollte keine se Opioidtitration.
Hintergrundinfusion (Basalinfusion) eingestellt
werden. Mit einem solchen PCA-Gerät kann Zur postoperativen Schmerztherapie eignen
eine sehr gute und sehr sichere postoperative sich besonders die Analgetika vom Opioidtyp.
Schmerzlinderung erzielt werden. Ein Problem Die Wirkungen und Nebenwirkungen dieser
ist jedoch, dass diese mikroprozessorgesteuerten Analgetika werden auf Seite 8 ausführlich be-
PCA-Geräte relativ teuer sind (ca. 1 500 Euro). schrieben. Für den Aufwachraum eignen sich
vor allem die folgenden Opioide:
Opioidtitration: praktisches Vorgehen im Auf- ● Piritramid
! wachraum ● Buprenorphin
Für die postoperative Schmerztherapie im Auf-
wachraum hat sich, falls keine PCA-Geräte
(→ oben) zur Verfügung stehen, folgendes Vor- 6.7.2 Postoperativ häufig
gehen bestens bewährt: 1 Ampulle Dipidolor®
eingesetzte Opioide
(2 ml = 15 mg) wird mit NaCl 0,9 % auf 10 ml
verdünnt. 1 ml entspricht 1,5 mg Dipidolor®. Der
Anästhesist protokolliert auf dem Narkosebo- Piritramid (Dipidolor®)
gen: „Dipidolor® bitte nach Bedarf titrieren. In-
itial beim Erwachsenen (z. B.) 3,0 oder 4,5 (oder Wirkungsdauer:
6) mg.“ Die Pflegekraft im Aufwachraum verab- ● ca. 6 Stunden
reicht bei Bedarf diese relativ niedrige Initial-
dosis. Sollte diese nicht ausreichen, so kann al- Nebenwirkungen:
le 10 Minuten ca. ¹⁄³–½ der Initialdosis nachinji- ● bei Überdosierung Atemdepression
ziert werden, bis der Patient weitgehend schmerz- ● relativ selten Übelkeit
frei ist. Sollte eine zweiten Ampulle Dipidolor® be-
330 6 Aufwachraum
● Diclofenac
● selektive Cyclooxygenase-2-(COX-2-)Hemmer
Buprenorphin (Temgesic®)
In zahlreichen Untersuchungen konnte gezeigt
Wirkungsdauer: werden, dass durch den perioperativen Einsatz
● 6–8 Stunden eines antipyretischen Analgetikums eine signi-
fikante Einsparung an Opioiden erzielt werden
Nebenwirkungen: kann. Als alleiniges Analgetikum reicht ein an-
● Müdigkeit und Schlaf tipyretisches Analgetikum in der frühen post-
● bei Überdosierung Atemdepression operativen Phase nach größeren Operationen
● manchmal Übelkeit jedoch meistens nicht aus. Antipyretische Anal-
● relativ langsamer Wirkungsbeginn getika werden inzwischen oft als Basisanalgeti-
kum im Rahmen einer sog. balancierten (kom-
Darreichungsform: binierten) Analgesie eingesetzt. Bei der rektalen
● 1 Ampulle = 1 ml = 0,3 mg Gabe eines antipyretischen Analgetikums ist
der langsame Wirkungsbeginn zu beachten.
Mittlere Erfolgsdosis: Wird z. B. ein Paracetamolsuppositorium erst
● ½–1 Ampulle intravenös (→ S. 239) bei Er- am Ende der Operation verabreicht, dann ist
wachsenen keine signifikante Schmerzlinderung in den
ersten 60 postoperativen Minuten zu erwarten.
Überdosierung:
Eine Überdosierung ist durch die üblichen Ein antipyretisches Analgetikum sollte spätestens
Opioidantagonisten nicht sicher aufhebbar! Bu- ! zu Beginn der Operation rektal, idealerweise aber
prenorphin hat eine höhere Rezeptoraffinität als schon im Rahmen der Prämedikation oral oder
Naloxon oder andere Opioide. rektal verabreicht werden. Zunehmend häufiger
wird intra- oder postoperativ Perfalgan® intrave-
nös verabreicht.
6.7.3 Antipyretische Analgetika
Zur postoperativen Schmerztherapie eignet sich Paracetamol
oft auch ein Medikament aus der Gruppe der (ben-u-ron®, Perfalgan®)
antipyretischen Analgetika, die vor allem die
Bildung der Entzündungssubstanzen (z. B. Pro- Nebenwirkungen:
staglandine) im Wundgebiet blockieren. Dies ● Leberschädigung bei Überdosierung
ca. 150 mg/kg KG/d muss mit einer Leber- 20–30 mg/kg KG/d, verteilt auf 3–4 Dosen;
schädigung gerechnet werden. Bei Säug- z. B. 3 × 10 mg/kg KG/d
lingen < 6 Monaten sollten nur 3 Dosen à
20 mg/kg KG/d und bei Frühgeborenen ma-
ximal 2 Dosen à 20 mg/kg KG/d verabreicht Metamizol (Novalgin®)
werden. Die Maximaldosierung wird bei
Neugeborenen und Säuglingen < 6 Monaten Metamizol wird oft als das Analgetikum der
mit 60 mg/kg KG/d angegeben. Wahl bei ehemaligen opioidabhängigen Patien-
● Perfalgan : ten bezeichnet.
®
Indikationen: Darreichungsform:
Als Anwendungsindikationen für Metamizol ● Suppositorien à 12,5, 25, 50, 100 mg
Rofecoxib Indikationen:
Parecoxib ist für die Kurzzeitbehandlung von
Rofecoxib war früher unter dem Namen Vioxx® (postoperativen) Schmerzen bei Erwachsenen
und Vioxx® Dolor zugelassen. Rofecoxib ist ein zugelassen.
selektiver COX-2-Hemmer, der u. a. für die Be-
handlung akuter Schmerzen bei Erwachsenen Kontraindikationen:
zugelassen war. Im Jahr 2004 wurde es überra- Dynastat® ist inzwischen kontraindiziert bei
schenderweise weltweit vom Markt genommen, koronarer Herzkrankheit, zerebrovaskulärer
da bei Langzeitanwendung eine Begünstigung Erkrankung, Herzinsuffizienz oder nach einer
von Herzinfarkten und zerebralen Schlaganfäl- koronaren Bypass-Operation. Es ist eine ent-
len bekannt wurde. sprechende Nutzen-Risiko-Abwägung wichtig.
Darreichungsform:
Celecoxib (Celebrex ) ® ● Durchstechflasche mit Pulver à 20 oder 40
Darreichungsform:
● Hartkapseln à 100/200 mg 6.8 Übelkeit und Brechreiz
Dosierung:
● 2 Dosen/d 6.8.1 Allgemeine Bemerkungen
● Osteoarthrose:
100 bis maximal 200 mg/d Ein weiteres, häufig auftretendes Problem im
● chronische Polyarthritis: Aufwachraum ist eine postoperative Übelkeit
200 bis maximal 400 mg/d mit Brechreiz. Dies kann sowohl nach einer In-
● Maximaldosierung: halationsnarkose als auch nach einer balancier-
400 mg/d ten Anästhesie, seltener auch nach einer IVA/
TIVA auftreten. Bei Patienten, bei denen die
Schutzreflexe noch nicht sicher zurückgekehrt
sind, kann Erbrechen zu einer Aspiration füh-
ren (→ S. 211). Sind die Schutzreflexe eines Pa-
tienten noch nicht zurückgekehrt, so sollte er,
334 6 Aufwachraum
● Serotoninantagonisten Indikationen:
● Droperidol Dimenhydrinat ist zur Prophylaxe und sympto-
● Metoclopramid matischen Therapie von Übelkeit und Erbre-
chen unterschiedlicher Genese zugelassen.
Bei Übelkeit und/oder Erbrechen aufgrund va- ● perioperativ 1 mg intravenös (im Rahmen
galer Reize, einer Opioidgabe oder einer Stimu- einer Strahlentherapie 3 mg als Kurzinfusi-
lation des Gleichgewichtsorgans sind Sero- on)
toninantagonisten weniger wirksam.
Die prophylaktische Gabe von Ondansetron
war perioperativ in mehreren Studien allerdings Droperidol (Xomolix®) (→ S. 61)
nicht signifikant besser antiemetisch wirksam
als Droperidol. Darreichungsform:
Neben Ondansetron (Zofran®) sind auch Dola- ● 1 Ampulle = 1 ml = 2,5 mg
travenös
Ondansetron (Zofran®)
Metoclopramid (Paspertin®)
Nebenwirkungen:
Bei jeweils 3 % der Patienten ist mit Kopf- Wirkung:
schmerzen bzw. einem Anstieg der Leberwerte Nach neueren Studien scheint Metoclopramid
durch Ondansetron zu rechnen. Sonstige rele- nur eine geringe bzw. keine relevante antiemeti-
vante Nebenwirkungen sind selten. sche Wirkung bei postoperativer Übelkeit zu
haben.
Darreichungsform:
● 1 Ampulle à 4/8 mg Nebenwirkungen:
● Filmtablette à 4/8 mg ● Bewegungsstörungen (nicht bei Kindern un-
Dosierung: Medikamente
● 10 mg intravenös bei Erwachsenen
Clonidin (Catapresan®)
Hauptwirkung:
6.9 Kältegefühl Clonidin (stimuliert die präsynaptischen Al-
pha-2-Rezeptoren [→ S. 301], hemmt dadurch
die weitere Freisetzung des Neurotransmitters
6.9.1 Allgemeine Bemerkungen Noradrenalin und)wwirkt sympathikolytisch
und führt daher zu einem Blutdruckabfall. Es
Häufig klagen Patienten im Aufwachraum über wird daher primär zur Blutdrucksenkung ein-
ein ausgeprägtes Kältegefühl. gesetzt. (Daneben führt es auch zu einer Ver-
langsamung der Herzfrequenz, zu einer Unter-
Die Ursache liegt in der intraoperativen Ausküh- drückung von Kältezittern und zu einer
! lung der Patienten vor allem aufgrund der ungenü- Sedierung.)
genden Bekleidung und Bedeckung in den kalten
Operationsräumen, einem Wärmeverlust über die Indikation:
Lungen aufgrund der kalten Atemgase (→ S. 14) In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden,
sowie in einer oft medikamentös bedingten Gefäß- dass sich das (sympathikolytisch wirkende) An-
weitstellung, was die Wärmeabgabe über die Haut tihypertensivum Clonidin zur Therapie des
noch verstärkt. Perioperativ sind daher wärmekon- Kältezitterns (= shivering) eignet.
servierende Maßnahmen (→ S. 231) wichtig.
Darreichungsform:
Postoperativ klagen daher viele Patienten nicht ● 1 Ampulle = 1 ml = 0,15 mg
● Durchlaufen eines Exzitationsstadiums nach Bei Patienten, die eine rückenmarksnahe Lei-
einer Inhalationsnarkose tungsanästhesie, also eine Spinalanästhesie oder
● eine überfüllte Blase aufgrund einer post- eine PDA hatten, muss im Aufwachraum mehr-
operativ häufig auftretenden Blasenentlee- mals die Höhe der Blockade kontrolliert wer-
rungsstörung: den. Dies kann am besten mit einem Kältespray
Der Patient muss katheterisiert werden, falls oder Eiswürfel erfolgen (→ S. 173). Im noch be-
eine spontane Blasenentleerung nicht mög- täubten Gebiet hat der Patient kein Kälteemp-
lich ist. finden. Vor der Verlegung muss die Höhe der
● pulmonale Probleme: Blockade eindeutig rückläufig sein und mindes
– Hypoxie und Hyperkapnie, tens unterhalb von Th10 (= Nabelhöhe; Abb.
z. B. aufgrund eines Relaxansüberhangs 2-19) liegen.
oder einer Verlegung der oberen Luftwege
– beginnendes Lungenödem
aufgrund einer Überinfusion oder Über-
transfusion oder durch eine kardiale De- 6.12 Verlegung
kompensation
– Pneumothorax,
auf die Allgemeinstation
z. B. aufgrund einer Pleuraverletzung bei
einer Fehlpunktion für einen zentralve- Damit ein Patient aus der Überwachung des
nösen Katheter (→ S. 185) oder aufgrund Aufwachraumes entlassen werden kann, müs-
eines Barotraumas mit Pneumothorax sen folgende Punkte erfüllt sein:
unter maschineller Beatmung ● Der Patient muss wach sein.
338 6 Aufwachraum
● Die Schutzreflexe müssen sicher vorhanden gekraft derjenigen Station, auf der der Patient
sein. normalerweise liegt, informiert werden, dass
● Die Spontanatmung muss zufriedenstellend der Patient im Aufwachraum abgeholt werden
sein. kann. Bei der Übergabe an die Pflegekraft der
● Der Kreislauf muss stabil sein. Station müssen intraoperativ und postoperativ
aufgetretene Probleme des Patienten mitgeteilt
Zur Überprüfung der Verlegungsfähigkeit bie- werden. Außerdem müssen Anordnungen für
ten sich ggf. spezielle Check-Listen (→ PARS- die folgende Zeit weitergegeben werden, z. B.
Score; → S. 327) an. Die beabsichtigte Verle- dass der Patient ab jetzt alle 8 Stunden ein
gung eines Patienten auf die Normalstation Antibiotikum erhalten muss, dass noch Labor-
muss vom verantwortlichen Anästhesisten be- kontrollen notwendig sind oder dass eine Infu-
stätigt werden. Der Zeitpunkt der Verlegung auf sionstherapie bzw. eine Schmerztherapie ange-
die Normalstation sollte im Narkoseprotokoll ordnet sind.
vermerkt werden. Anschließend muss eine Pfle-
339
7 Intensivmedizin
● Teilnahme an Stationsvisiten
ßerdem ein weit über das normale Maß hinaus- ● allgemeine und spezielle pflegerische Maß-
Geräten
Die empfohlene Anzahl an Intensivbetten wird ● Erkennung und sachgerechte Beseitigung
Die Arbeit auf einer Intensivpflegestation be- fließt dann über die Venae pulmonales zum lin-
deutet sowohl für Ärzte als auch für das Pflege- ken Herzen.
personal eine große körperliche und seelische Zwischen den Alveolarendothelzellen gibt es
Belastung. Da das Pflegepersonal zumeist einen vereinzelt sog. große Alveolarzellen. Diese sind
engeren Kontakt zum Patienten hat als der Arzt, die Produzenten eines Antiatelektasefaktors
scheint dessen seelische Belastung besonders (des sog. Surfactants).
hoch zu sein.
Der Surfactant kleidet die Alveolen als eine dünne
Schicht aus, erniedrigt deren Oberflächenspan-
nung und vermindert deren Tendenz, zu kollabie-
7.2 Beatmungstherapie ren.
Der Großteil der Intensivpatienten muss vor- Ein Mangel an Surfactant spielt z. B. beim Atem-
übergehend künstlich beatmet werden. Die Be- notsyndrom des Frühgeborenen eine große
atmungstherapie sowie die entsprechenden Rolle.
Grundlagen sollen daher ausführlich dargestellt
werden.
Atemmechanik
7.2.1 Physiologie und Pathophy- Der knöcherne Thorax funktioniert nach dem
siologie der Atmung Prinzip einer Saug-Druck-Pumpe. Bei der akti-
ven Einatmung (= Inspiration) werden die
schräg (nach ventrokaudal) verlaufenden Rip-
Blut-Luft-Schranke pen durch die äußeren Interkostalmuskeln an-
gehoben. Der (dorsoventrale) Durchmesser des
Aufgabe der Atmung ist der Gasaustausch des Thorax nimmt zu (thorakale Atmung). Gleich-
Organismus mit der Umgebung. Sauerstoff wird zeitig kontrahiert sich das Zwerchfell und be-
als lebensnotwendiges Substrat über die Lungen wegt sich nach kaudal. Die (kraniokaudale)
in den Organismus aufgenommen, und Kohlen- Ausdehnung der Lunge nimmt zu (Bauchat-
dioxid wird als Abfallprodukt des Stoffwechsels mung). Die Lunge folgt dieser Volumenzunah-
abgeatmet. me des Thoraxraumes. Hierdurch entsteht ein
Unterdruck in der Lunge und Luft strömt in die
Die Arteria pulmonalis (welche aus dem rech- Lungen. Bei körperlicher Anstrengung können
ten Herzen kommt und sauerstoffarmes Blut vor allem die Halsmuskeln, die Brustmuskeln
enthält) teilt sich entsprechend dem Bronchial- und die Schultermuskeln als zusätzliche Atem-
baum in immer kleinere Gefäße auf. Die Kapil- hilfsmuskeln zur Einatmung benutzt werden.
laren liegen geflechtartig unmittelbar den Al- Die Ausatmung (= Exspiration) erfolgt norma-
veolen auf. lerweise passiv aufgrund der elastischen Rück-
stellkräfte von Lunge und Thorax sowie der Er-
Die aneinandergrenzenden Kapillar- und Alveolar- schlaffung des Zwerchfelles. Bei erschwerter
membranen bilden die sog. Blut-Luft-Schranke. Ausatmung können die inneren Interkostal-
muskeln sowie die Bauchmuskeln die Rippen
Der in die Alveolen eingeatmete Sauerstoff dif- kraftvoll nach unten ziehen. Gleichzeitig wird
fundiert durch die Blut-Luft-Schranke in die (in meist der Oberkörper gebeugt, wodurch die
den Kapillaren fließenden) Erythrozyten. In Baucheingeweide und damit auch das Zwerch-
den Erythrozyten bindet sich der Sauerstoff an fell nach kranial gedrückt und eine forcierte
das Hämoglobin. Das sauerstoffbeladene Blut Ausatmung unterstützt wird.
7.2 Beatmungstherapie 341
Aufgrund der elastischen Eigenschaft des Lun- des Trachealbaumes entstehen) und zum klei-
gengewebes und der Oberflächenspannung der neren Teil (10–20 %) aus nicht elastischen Ge-
Alveolen tendiert die Lunge zum Kollabieren. webswiderständen zusammen. Die Resistance
Im Pleuraspalt herrscht daher ein Negativdruck ist insbesondere bei asthmatischen Erkrankun-
von ca. –4 cm H2O. gen, bei Trachealstenosen oder bei Sekretan-
sammlung in den Luftwegen erhöht.
Resistance Lungenvolumina
Die Resistance (R) ist ein Maß für die nicht elas Die meisten Lungenvolumina (vgl. Abb. 7-1)
tischen (= viskösen) Strömungswiderstände in können mithilfe eines Blasebalgs (= Spirome-
den Atemwegen, die sowohl bei der Inspiration ters) oder eines modernen Pneumotachogra-
als auch bei der Exspiration zu überwinden sind. phen gemessen werden. Sie hängen von Alter,
Die Resistance ist definiert als Druckdifferenz (∆P) Geschlecht, Körpergröße, Körperlage, Körper-
zwischen Anfang und Ende des gemessenen Luft- bau und anderen Faktoren ab.
weges pro Atemstromstärke (Vol/Zeit). Es gilt: R =
∆P/Vol/s (mbar/l/s).
Atemzugvolumen
Sie setzt sich zum größeren Teil (ca. 80–90 %)
aus den Strömungswiderständen in den Luftwe- Das Atemzugvolumen ist das Luftvolumen, das
gen (bedingt durch Turbulenzen, die vor allem bei einem normalen Atemzug spontan venti-
bei schnellem Gasfluss an den Aufzweigungen liert wird. Das spontane Atemzugvolumen
342 7 Intensivmedizin
maximale
Inspirationslage
TC VC IC IRV FEV1
FVC
AZV
Atem-
ruhelage
IVC ER V
maximale
Exspirationslage
RV FRC RV
(= AZV) beträgt in allen Lebensaltern ca. 7 bis 8 mung noch maximal ausgeatmet werden kann.
ml/kg KG. Beim Erwachsenen sind dies ca. Beim Erwachsenen sind dies ca. 1,3 Liter.
500 ml. Etwa ⅓ des Atemzugvolumens ist Tot
raumvolumen, lediglich ⅔ des Atemzugvolu-
mens nehmen an der alveolären Ventilation Residualvolumen
(also am Gasaustausch) teil (→ S. 350).
Das Residualvolumen ist das Luftvolumen, das
Während bei Spontanatmung definitionsgemäß nach einer maximalen Ausatmung noch in der
von Atemzugvolumen gesprochen wird, wird bei Lunge verbleibt. Beim Erwachsenen sind dies
der Beatmung eines Patienten von Atemhubvolu- ca. 1,2 Liter.
men gesprochen.
Funktionelle Residualkapazität
Inspiratorisches Reservevolumen
Die funktionelle Residualkapazität stellt die
Das inspiratorische Reservevolumen ist das Summe aus exspiratorischem Reservevolumen
Luftvolumen, das nach einer normalen Einat- und Residualvolumen dar. Beim Erwachsenen
mung zusätzlich noch maximal eingeatmet sind dies ca. 2,5 Liter. Die funktionelle Residu-
werden kann. Beim Erwachsenen sind dies ca. 3 alkapazität (= FRC) ist eine für den Anästhe
Liter. sisten und Intensivmediziner besonders wichti-
ge Größe.
Die FRC übernimmt eine Art Pufferfunktion.
Exspiratorisches Reservevolumen Das Volumen eines Atemzuges verteilt sich zu-
erst in der FRC.
Das exspiratorische Reservevolumen ist das
Luftvolumen, das nach einer normalen Ausat-
7.2 Beatmungstherapie 343
Vitalkapazität mit ca. 21 % von 760 mm Hg = 159 mm Hg (21,2
kPa) aus. Dies wird als Teil- oder als Partial-
Die Vitalkapazität ist die Summe aus exspirato- druck des Sauerstoffs bezeichnet. Da die einge-
rischem Reservevolumen, inspiratorischem Re- atmete Luft in den Luftwegen maximal ange-
servevolumen und Atemzugvolumen. Beim feuchtet wird, entsteht dadurch ein zusätzlicher
Erwachsenen sind dies ca. 4,5 Liter. Bei einer Wasserdampfdruck von 47 mm Hg (6,3 kPa).
Erniedrigung der Compliance ist die Vitalkapa- Der Gesamtdruck der Gase in den Atemwegen
zität vermindert. bleibt konstant. Der Sauerstoffpartialdruck in
den zuleitenden Strukturen macht daher nur
noch 21 % von 760 mm Hg – 47 mm Hg = 149
Totalkapazität mm Hg (19,8 kPa) aus. Im Bereich der Alveolen
befindet sich auch das aus den Lungenkapilla-
Die Totalkapazität entspricht der Summe aus ren in die Lunge abdiffundierte Kohlendioxid.
Vitalkapazität und Residualvolumen. Beim Er- Zur Errechnung des Sauerstoffpartialdrucks in
wachsenen sind dies ca. 6 Liter. den Alveolen muss der dort vorhandene Koh-
lendioxidpartialdruck noch subtrahiert werden.
Der Kohlendioxidpartialdruck in den Alveo-
Atemfrequenz len ist normalerweise nahezu identisch mit dem
Kohlendioxidpartialdruck im arteriellen Blut,
Die Atemfrequenz ist altersabhängig. Sie be- also ca. 40 mm Hg (5,3 kPa).
trägt beim Frühgeborenen ca. 60/min, beim rei-
fen Neugeborenen in Ruhe ca. 40–50/min, beim Der Sauerstoffpartialdruck in den Alveolen
6 Monate alten Säugling ca. 30/min, beim Ein- ! beträgt damit näherungsweise
jährigen ca. 25/min, beim 6-Jährigen ca. 20/min (760 – 47) × 21 % – paCO2 = 109 mm Hg
und beim Erwachsenen ca. 12–16/min. (14,5 kPa).
Der Gehalt des chemisch an das Hämoglobin ge- + 1,95 (= physikalisch gelöster Sauerstoff) =
! bundenen Sauerstoffs in 100 ml arteriellem Blut 21,45 Vol.-%. Dieser Wert ist nur unwesentlich
bei einem Hb von 15 g % und einer Sättigung von höher als die 19,8 Vol.-% bei Atmung von Raum-
97 % beträgt damit: 15 × 1,34 × 0,97 = 19,5 ml luft (→ oben).
O2/100 ml Blut.
Damit wird deutlich, dass bei einer Vollsätti-
Dass die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins gung des Hämoglobins (97–99 %) der Sauer-
nicht 100 % beträgt, hat seinen Grund darin, stoffgehalt im Blut nur noch über den physika-
dass immer ca. 2–4 % des Herzminutenvolu- lisch gelösten Sauerstoffanteil gesteigert werden
mens (HMV) über physiologische Rechts-links- kann. Die dadurch erzielbare Steigerung des
Shunts die Oxygenierung umgehen. Sauerstoffgehalts ist jedoch verschwindend
Der Sauerstoff ist zu einem verschwindend klei- klein und hat normalerweise keine Vorteile.
nen Teil auch physikalisch im Blut gelöst (ge-
nauso wie Sauerstoff in Quellwasser gelöst ist).
Der physikalisch gelöste Sauerstoff ist abhän- 7.2.2 Respiratorische Insuffizienz
gig vom Sauerstoffpartialdruck im Blut. Pro
1 mm Hg (0,13 kPa) paO2 werden 0,003 ml O2
gelöst. Im arteriellen Blut beträgt der paO2 bei Hypoxie und Hypoxämie
Atmung von Raumluft normalerweise ca. 100
mm Hg (13,3 kPa). Damit beträgt der physika-
Hypoxie ist definiert als ein erniedrigter Sauer-
lisch gelöste Sauerstoff 100 × 0,003 = 0,3 ml stoffpartialdruck (paO2) im arteriellen Blut, Hyp-
O2/100 ml Blut. Der gesamte Sauerstoffgehalt oxämie ist ein erniedrigter Sauerstoffgehalt im
des Blutes errechnet sich aus dem physikalisch arteriellen Blut.
gelösten und dem ca. 60- bis 65-mal größeren
Anteil des chemisch an das Hämoglobin gebun- Der Körper versucht eine Hypoxie bzw. Hypox-
denen Sauerstoffanteils. ämie über eine Stimulierung des Sympathikus
zu kompensieren. Es kommt dabei anfänglich
Insgesamt ergibt sich: physikalisch gelöster Sau- zu Tachykardie, Steigerung von Herzminuten-
! erstoff (0,3 ml O /100 ml) plus chemisch gebun- volumen und Blutdruck mit dem Ziel, die
2
dener Sauerstoff (19,5 ml/100 ml O2) = ca. 19,8 Organdurchblutung zu verbessern. Außerdem
ml O2/100 ml Blut, also ca. 20 Vol.-%. tritt eine Hyperventilation auf. Zeichen der un-
genügenden zerebralen und peripheren Oxyge-
Wird ein lungengesunder Patient anstatt mit ei- nierung sind Unruhe, Verwirrtheit, Zyanose.
ner FiO2 von 0,21 mit einer FiO2 von 1,0 beat- Bei länger bestehender, schwerer Hypoxie
met, so beträgt der paO2 anstatt ungefähr 100 kommt es zu den Zeichen der Organinsuffizi-
mm Hg ca. 650 mm Hg (86,6 kPa). Während der enz wie Bradykardie, Blutdruckabfall, Rhyth-
chemisch an das Hämoglobin gebundene Sau- musstörungen und Schläfrigkeit.
erstoff nicht mehr gesteigert werden kann, da
bereits bei einer FiO2 von 0,21 beim lungenge-
sunden Patienten eine maximale Sättigung von Hypokapnie und Hyperkapnie
97–99 % vorliegt, nimmt hierbei nur der physi-
kalisch gelöste Sauerstoffanteil zu. Er beträgt
Eine zu hohe alveoläre Ventilation (= Hyperven-
nun 0,003 × 650 = 1,95 ml/100 ml Blut. tilation) führt zum vermehrten Abatmen von CO2
und damit zu einem Abfall des arteriellen Kohlen-
Der gesamte Sauerstoffgehalt bei einer F O von dioxidpartialdrucks (paCO2) (Hypokapnie).
! 1,0 beträgt also beim lungengesunden iPatien-
2
Eine zu geringe alveoläre Ventilation (= Hy-
ten 19,5 (= chemisch gebundener Sauerstoff) poventilation) führt zu einem Anstieg des paCO2
(Hyperkapnie).
346 7 Intensivmedizin
wenn bei Spontanatmung eine ausreichende z. B. aufgrund einer Depression des Atem-
Sauerstoffaufnahme über die Lungen und/oder zentrums durch Medikamente (Barbiturate,
eine ausreichende Kohlendioxidabatmung nicht Opioide) oder Gifte, einer Schädigung des
mehr gewährleistet sind (vgl. Tab. 7-1). Atemzentrums im Rahmen eines Schädel-
Hirn-Traumas (SHT) oder eines Hirntu-
Ist nur der paO2 zu niedrig, so wird von einer Par- mors
tialinsuffizienz gesprochen. Ist der paO2 zu nied- ● periphere Atemlähmung,
rig und gleichzeitig der paCO2 zu hoch, so wird z. B. aufgrund einer hohen Querschnittsläh-
von einer Globalinsuffizienz gesprochen. mung oder der Wirkung von Muskelrelaxan-
zien
ten nach einer langen Operation. Durch das ● Es drohen mögliche Knorpelschädigungen
stoffverbrauches kommen. Bei einem koro- meist dünneren Tubus ist schwieriger.
narsklerotischen Patienten mit bereits grenz-
wertiger Sauerstoffversorgung des Myokards
könnte hierdurch eine Myokardischämie Tracheostomie
verursacht werden.
● bei erhöhtem intrakraniellem Druck (z. B. Die Tracheostomie wird öfter der längerfristi-
SHT), gen endotrachealen Intubation vorgezogen. In-
um eine kontrollierte Ventilation und ggf. dikationen für eine Tracheostomie sind:
kontrollierte Hyperventilation durchzuführen ● Verletzungen des Kehlkopfes
348 7 Intensivmedizin
● Erkrankungen, Verletzungen oder ein Tu- bildet hat, kann das Einsetzen der neuen Kanüle
mor der oberen Luftwege, wodurch eine In- sehr schwierig bis unmöglich sein! Es müssen
tubation unmöglich ist stets ein Trachealspreizer (zur evtl. notwendi-
● eine frontobasale Schädelfraktur, die eine gen Aufdehnung des Tracheostomas) sowie ein
nasotracheale Intubation verbietet (Infekti- Intubationsbesteck und eine Beatmungsmög-
onsgefahr) lichkeit griffbereit sein. Eventuell ist es auch
● Kehlkopf- oder Trachealläsionen nach Lang- sinnvoll, die Trachealkanüle über einen zuvor
zeitintubation (als Leitschiene) eingeführten dünnen Katheter
● kieferchirurgische oder HNO-chirurgische (z. B. Absaugkatheter) vorzuschieben. Später
Operationen wird die Kanüle ca. 2-mal pro Woche gewech-
● wenn absehbar ist, dass der ansonsten stabile selt.
Patient noch für längere Zeit nicht extubiert Falls ein Patient spontan atmet und falls keine
und/oder nur langwierig vom Beatmungsge- Aspirationsgefahr besteht, kann die Trachealka-
rät abtrainiert werden kann (Entwöhnung des nüle entblockt werden. Vor dem Entblocken
langzeitbeatmeten Patienten; → S. 371): sind Mund und Rachen und unmittelbar nach
Eine Verlegung solcher Patienten in ein klei- dem Entblocken ist die Trachea sorgfältig abzu-
neres Krankenhaus ist auch oft nur möglich, saugen. Zum Essen und Trinken muss die Ka-
wenn ein (pflegeleichteres) Tracheostoma an- nüle jedoch vorübergehend geblockt werden.
gelegt ist. Über ein Tracheostoma kann der Pa- Inzwischen wird zunehmend häufiger eine sog.
tient intermittierend spontan atmen, aber auch Punktions-(Dilatations-)Tracheostomie ange-
zu jeder Zeit wieder an das Beatmungsgerät legt. Zwischen dem ersten und zweiten oder dem
angeschlossen werden. zweiten und dritten Trachealring wird die Haut
inzidiert und das Gewebe mittels Schere stumpf
Die Tracheostomie wurde früher normalerwei- auseinandergedrängt. Danach erfolgt eine Punk-
se vom HNO-Arzt als geplanter Eingriff im tion der Trachea mittels einer Kanüle, über die
Operationssaal vorgenommen. Dabei wird zwi- dann ein Seldinger-Draht bis in die Trachea vor-
schen der epithelialisierten Stomaanlage, bei geschoben wird. Anschließend erfolgt über den
der die äußere Haut in die Trachea eingenäht Draht eine Aufdehnung mittels Dilatator, über
wird, und der nicht epithelialisierten Stomaan- den dann die Trachealkanüle vorgeschoben
lage unterschieden. Zunehmend häufiger wer- wird. Diese Punktionstracheostomie wird nor-
den auch perkutane Tracheostomietechniken malerweise auf der Intensivstation durchgeführt.
angewandt (Punktion und [mehrfache] Auf- Später braucht die Kanüle nur gezogen zu wer-
bougierung des Punktionskanals = Dilatations- den. Es kommt dann zum Spontanverschluss, es
tracheostoma; → unten). Notfallmäßige Tra- ist keine Verschlussoperation notwendig.
cheostomien bei Erstickungsgefahr werden nur
noch sehr selten durchgeführt. In diesen Fällen
ist die Koniotomie oder die transtracheale Jet- Pflege des Tracheostomas
Ventilation meist das Verfahren der Wahl (→ S.
229). Das Tracheostoma muss normalerweise einmal
Nach einer operativen Tracheostomie wird vom pro Schicht gepflegt werden, je nach Sekretion
Operateur die Trachealkanüle (mit einem high und Hautverhältnissen ggf. auch häufiger oder
volume, low pressure cuff; → S. 83) eingesetzt seltener. Hierzu wird der Kopf des Patienten
und fixiert. Nach normalerweise 48 Stunden leicht überstreckt gelagert und es wird der alte
wird zum ersten Mal die Trachealkanüle ge- Tracheostomaverband entfernt, Bronchialsekret
wechselt. Den ersten Wechsel sollte ein Arzt der aus dem Tracheostoma und um das Stoma her-
HNO-Abteilung vornehmen. Falls sich der Tra- um wird abgesaugt, die Haut gereinigt und ge-
cheostomiekanal noch nicht vollständig ausge- trocknet. Je nach Pflegestandard wird das Tra-
7.2 Beatmungstherapie 349
cheostoma auch desinfiziert und anschließend nun wiederholt aus seiner Umhüllung endotra-
mit etwas Olivenöl eingerieben, um die Haut cheal eingeführt und wieder in seine sterile
geschmeidig zu halten. Danach wird eine neue Umhüllung zurückgezogen werden. Der Kathe-
sterile Schlitzkompresse oder Metaline zwi- ter kann eingeführt werden, ohne dass die Beat-
schen Haut und Abschlussplatte der Tracheal- mung unterbrochen werden muss und ohne
kanüle eingebracht und die Trachealkanüle dass z. B. ein hoher positiver endexspiratori-
wird dann mit einem neuen Fixierband um den scher Druck (PEEP; → S. 353) verloren geht.
Hals befestigt. Diese geschlossenen Absaugsysteme können je-
weils für 24 Stunden verwendet werden. Ob das
geschlossene Verfahren im Hinblick auf die In-
7.2.5 Bronchialtoilette zidenz nosokomialer Pneumonien Vorteile im
Vergleich zum herkömmlichen Absaugverfah-
Beim intubierten oder tracheostomierten Pati- ren hat, ist bisher nicht belegt.
enten ist je nach den Bedürfnissen des Patien-
ten eine mehr oder weniger häufige Bronchial- Das Absaugmanöver sollte nicht länger als 10–15
toilette notwendig. Mittels Auskultation ! Sekunden dauern. Insbesondere bei schwerkran-
(grobblasige Rasselgeräusche? → S. 404) kann ken Patienten mit einer hohen FiO2 (→ S. 344)
am besten festgestellt werden, wann wieder ein kann es bei längeren Absaugmanövern zu schwe-
endobronchiales Absaugen nötig ist. Die endo- ren Hypoxämien (→ S. 345) und auch Bradykar-
bronchiale Absaugung muss unter sterilen Be- dien kommen.
dingungen durchgeführt werden. Jeder Patient
benötigt sein eigenes Absauggerät. Es sind ein Zum Absaugen der linken Lunge wird empfoh-
Mundschutz, sterile Handschuhe und ein steri- len, den Kopf des intubierten Patienten nach
ler Absaugkatheter zu benutzen. Vor dem Ab- rechts zu drehen, zum Absaugen der rechten
saugmanöver wird dem Patienten für einige Lunge wird empfohlen, den Kopf nach links zu
Minuten reiner Sauerstoff verabreicht, falls die drehen. Der Nutzen dieses Vorgehens scheint
FiO2 mehr als 0,5 beträgt. jedoch nicht sicher belegt. Nach dem Absaug-
Während der Absaugkatheter eingeführt wird, manöver empfiehlt sich ein mehrmaliges kräfti-
darf bei üblichen Kathetern nicht (!) gesaugt ges Blähen der Lunge mit 100 % O2. Anschlie-
werden. Es gibt inzwischen allerdings auch Ab- ßend wird der Patient wieder an den Respirator
saugkatheter, die unter Sog eingeführt werden angeschlossen und kurz danach wird wieder die
(AERO-JET®-Katheter, Fa. Sherwood Medical). übliche Sauerstoffkonzentration eingestellt.
Der Absaugkatheter – dessen Durchmesser Eine Gefahr beim endotrachealen Absaugen
höchstens 50 % des Tubusinnendurchmessers liegt immer in der Möglichkeit, einen Vagusreiz
betragen darf – wird bis zum Auftreten eines mit akuter Bradykardie auszulösen.
Widerstandes eingeführt. Nun wird der Kathe- Das Bronchialsekret sollte regelmäßig mikro-
ter einen Zentimeter zurückgezogen, mit dem biologisch untersucht werden (→ S. 389).
Finger das Y-Ventil bzw. der Fingertip ver-
schlossen und der Katheter unter Sog langsam
herausgezogen (Erwachsene 0,4 bar, Kinder 0,2 7.2.6 Langzeitbeatmung
bar Sog). Inzwischen gibt es auch geschlossene
Systeme zur endotrachealen Absaugung (z. B. Beatmungsparameter
TRACH CARE®, Fa. Kendall). Der Absaugka-
theter befindet sich in einer Schutzhülle. Das Die eingestellten Beatmungsparameter müssen
T-Stück dieses Systems wird zwischen Endotra- in regelmäßigen Abständen sowie bei einer Ver-
chealtubus und Y-Stück der Beatmungsschläu- änderung von Parametern in einem Beatmungs-
che konnektiert. Dieser Absaugschlauch kann protokoll schriftlich dokumentiert werden.
350 7 Intensivmedizin
Wird eine computergestützte Dokumentation ter paCO2 [z. B. permissive Hyperkapnie; → S.
vorgenommen, dann ist es sinnvoll, dass die Be- 447] oder ein erniedrigter paCO2 [z. B. kontrol-
atmungsparameter direkt in den Dokumentati- lierte Hyperventilation; → S. 272] angestrebt.)
onscomputer eingespeist werden. Durch ein relativ hohes Atemhubvolumen bei
relativ niedriger Atemfrequenz kann die pro-
zentuale Totraumventilation verringert und der
Inspiratorische Sauerstoffkonzentration Entstehung von Atelektasen vorgebeugt werden.
Ob allerdings die Beatmung mit hohem Hubvo-
Es ist wichtig, eine unnütz hohe Sauerstoffkon- lumen und niedriger Atemfrequenz tatsächlich
zentration (FiO2; → S. 344) zu vermeiden. An- einer höherfrequenten Beatmung mit geringe-
zustreben ist eine (fast) normale Sauerstoffsätti- rem Hubvolumen überlegen ist, ist nicht bewie-
gung von 97–99 % und ein (fast) normaler paO2 sen. Handelt es sich um eine gesunde Lunge,
(ca. 12–13 kPa). Die Gefahren einer zu hohen dann sind vermutlich beide Konzepte vergleich-
FiO2 werden auf Seite 370 beschrieben. Für die bar gut. Sehr große Atemhubvolumina sind je-
meisten kritischen klinischen Situationen reicht doch auf jeden Fall zu vermeiden, da eine Über-
aber ggf. auch ein paO2 von > 60 mm Hg bzw. dehnung der Lunge und hohe Beatmungsdrücke
eine Sättigung von > 90 % aus (z. B. bei ARDS; (> 30 mbar) sehr schädlich sind. Hierdurch
→ S. 445). nimmt die Gefahr einer druck- bzw. volumen-
bedingten Lungentraumatisierung (Barotrauma
bzw. Volutrauma) zu (vgl. protektive Beatmung,
Atemhubvolumen z. B. bei ARDS; → S. 445). Bei lungenkranken
Patienten mit schlechter Lungen-Compliance
Bei der Spontanatmung ist ca. ⅓ des Atemzug- sollte daher ein eher niedriges Hubvolumen an-
volumens (= AZV) Totraumventilation (anato- gestrebt werden. Oft wird dann ein Atemhubvo-
mischer Totraum der zuleitenden Atemwege: lumen von ca. 6 ml/kg KG eingestellt (vgl. lun-
Mund, Nase, Rachen, Trachea und Bronchien). genprotektive Beatmung; → S. 446).
Beim Erwachsenen sind dies ⅓ von 500 ml und
damit ca. 150 ml Totraum. Die restlichen ⅔ = Bei der Ausbildung z. B. einer schweren Pneumo-
350 ml des AZV entsprechen der alveolären ! nie nimmt die Compliance der Lunge ab. Bei Beat-
Ventilation, die für den Gasaustausch entschei- mung mit einem konstanten Beatmungsvolumen
dend ist. Würde ein Patient bei gleichem AMV werden die Beatmungsdrücke daher höher.
mit einer erhöhten Atemfrequenz, dafür aber
mit nur 300 ml/Atemhub beatmet, würde die Da zu hohe Beatmungsdrücke die Gefahr
Totraumventilation von 150 ml bereits 50 % des einer druckbedingten Lungenschädigung (z. B.
Atemhubvolumens betragen. Pneumothorax) beinhalten (sog. Barotrauma),
Entscheidend ist jedoch die alveoläre Ventilati- wird versucht, den Beatmungsdruck möglichst
on. Um diese zu vergrößern, wird bei der nicht zu hoch ansteigen zu lassen. Vor allem
konventionellen künstlichen Beatmung des lun- durch folgende Methoden kann der Beatmungs-
gengesunden Erwachsenen (mit normaler Com- spitzendruck vermindert werden:
pliance) mit einem etwas über dem spontanen ● Erniedrigung des Atemhubvolumens
Atemzugvolumen (von ca. 7 ml/kg KG) liegen- (ca. 6 ml/kg KG) bei gleichzeitiger Erhöhung
den Atemhubvolumen von ca. 8–9 ml/kg KG der Atemfrequenz
und mit einer etwas unter der normalen Atem- ● Verlängerung der Inspirationszeit (→ S. 352)
frequenz (von 12–16/min) liegenden Atemfre- ● Verminderung des Flows (→ S. 351)
quenz von ca. 8–10/min beatmet. Ziel ist ein ● inspiratorische Druckbegrenzung
Flow-Phase und Inspirationspause (vgl. Abb. 7-2a) PEEP
werden zusammen als die Inspirationsdauer be-
zeichnet.
PEEP (= positive endexspiratory pressure = po-
sitiver endexspiratorischer Druck) bedeutet, dass
25%ige Flow-Phase und 10%ige inspiratorische der Beatmungsdruck am Ende der Ausatmung
Pause bedeuten, dass die gesamte Inspirations- nicht wie normalerweise auf Null, sondern nur bis
phase 35 % des kompletten Atemzyklus dauert, auf einen eingestellten positiven Druck abfällt.
dies entspricht einem Atemzeitverhältnis I : E
von 35 : 65 % = 1 : 1,9. Ein evtl. PEEP wird meistens zwischen 5 und 15
Das I : E-Verhältnis kann jedoch nicht bei allen cm H2O (= mbar) eingestellt.
Beatmungsformen eingestellt werden (nur bei
zeitgesteuerter Beatmung). Ziel eines PEEP ist die Verbesserung des arteriel-
! len p O -Wertes und damit die Erniedrigung der
a 2
FiO2.
354 7 Intensivmedizin
Erreicht wird dies dadurch, dass mithilfe des Bei hohem PEEP-Niveau kann die dadurch be-
PEEP das am Ende der Ausatmung in der ! dingte Abnahme des HMV so groß sein, dass der
Lunge verbleibende Volumen vergrößert, positive Effekt durch die PEEP-bedingte Erhöhung
das heißt die funktionelle Residualkapazität des paO2 übertroffen wird, das heißt, die Sauer-
(FRC) (→ S. 342) erhöht wird. Dadurch wer- stofftransportkapazität ist aufgrund des stark er-
den Atelektasen aufgebläht und Rechts-links- niedrigten HMVs vermindert, obwohl der paO2 er-
Shunts werden vermindert. Besteht kein Rechts- höht ist.
links-Shunt, so kann durch den PEEP keine
Verbesserung der Oxygenierung erzielt wer- Es gilt nun, denjenigen PEEP einzustellen, mit
den. dem die größte Sauerstofftransportkapazität er-
reicht werden kann (= optimaler PEEP). Ein
Wird der PEEP am Beatmungsgerät eingestellt, gut geeigneter Parameter für die Ermittlung des
dann wird von Extrinsic-PEEP gesprochen. Ent- optimalen PEEP ist die Compliance von Lunge
wickelt sich in der Lunge (z. B. durch zu kurze Aus- und Thorax. Dasjenige PEEP-Niveau, das eine
atmungszeit) ein PEEP, dann wird von Intrinsic- Beatmung mit der größten Compliance ermög-
bzw. Auto-PEEP gesprochen (→ S. 352). licht, entspricht dem optimalen PEEP: Ist der
PEEP zu niedrig, kommt es im Bereich geschä-
Bei einem Patienten mit Lungenödem ist das digter Lungenareale endexspiratorisch zum Al-
Einschalten eines relativ hohen PEEP aus ver- veolarkollaps. Bei der nächsten Inspiration
schiedenen Gründen sinnvoll. Durch einen müssen diese Alveolen wieder aufgedehnt (re-
PEEP wird der venöse Rückfluss zum rechten krutiert) werden. Ist der PEEP zu hoch, kommt
Herzen behindert (→ S. 358, 369). Dies hat es endinspiratorisch zu einer Überdehnung von
eine ähnliche Wirkung wie ein Aderlass oder Lungengewebe. In beiden Fällen ist die Dehn-
die Gabe von Nitroglycerin und entlastet das barkeit (Compliance) von Lunge und Thorax
Herz. vermindert. Eine weitere Möglichkeit zur Er-
Des Weiteren wird durch den erhöhten mecha- mittlung des optimalen PEEP ist die Bestim-
nischen Druck in den Alveolen das aus den mung der gemischtvenösen Sauerstoffsätti-
Kapillaren ins Lungengewebe ausgepresste gung (→ S. 201). Bei einem niedrigen paO2 oder
Lungenödem wieder zurückgedrängt bzw. bei einem erniedrigten HMV nimmt die Aus-
in der Entstehung behindert. Als weitere In schöpfung des Blutes im Gewebe zu, die ge-
dikationen für einen PEEP werden z. B. Pneu- mischtvenöse Sättigung fällt weiter ab als nor-
monie, ARDS und Lungenkontusion genannt. malerweise üblich. Ist unter PEEP der paO2
Ob ein prophylaktischer PEEP sinnvoll ist, hoch und ist auch das HMV noch hoch (d. h.
ist nicht eindeutig geklärt. (Mögliche Neben- PEEP-bedingt noch nicht abgefallen), so ist die
wirkungen eines höheren PEEP → S. 268, 358, gemischtvenöse Sättigung ebenfalls hoch.
369.)
Durch das Einstellen eines PEEP nimmt Ein optimaler PEEP ist also dann auch eingestellt,
normalerweise der paO2 des arteriellen Blutes ! wenn die gemischtvenöse Sauerstoffsättigung am
und damit der Sauerstoffgehalt des Blutes (→ S. höchsten ist.
345) zu. Der Sauerstoffgehalt multipliziert
mit dem HMV ergibt die Sauerstofftransport-
kapazität des Blutes, die letztlich entscheidende Beatmungsgeräte
Größe, die besagt, wie viel Sauerstoff pro Zeit-
einheit dem Gewebe zur Verfügung gestellt Mit einem Beatmungsgerät wird ein bestimm-
wird. Mit steigendem PEEP-Niveau kommt es tes Hubvolumen mit Überdruck in die Lungen
jedoch zu einer Reduktion des HMV. des Patienten gepresst. Es wird von intermittie-
render Überdruckbeatmung (= intermittent
7.2 Beatmungstherapie 355
gesprochen. Zumeist kommt die PCV oder Eine Änderung der Compliance von Lunge oder
VCV zur Anwendung. Fast alle neueren Beat- Thorax hat fast keinen Einfluss auf das Beat-
mungsformen für Intensivpatienten sind druck- mungsvolumen. Volumengesteuerte Geräte be-
kontrolliert. Eine druckkontrollierte Beatmung atmen nahezu volumenkonstant. Allerdings
(vgl. Abb. 7-2b) ist stets auch druckbegrenzt kann bei einer Verschlechterung der Com
(→ S. 356). Bei der volumenkontrollierten Be- pliance der Beatmungsdruck stark ansteigen
atmung wird bei Intensivpatienten durch An- (Gefahr des Barotraumas). Daher sollten bei
wendung eines dezelerierenden (während der solchen Beatmungsgeräten die Druckgrenzen
Inspiration abnehmenden) Flows der Beat- (→ S. 356) genau eingestellt werden.
mungsspitzendruck vermieden und eine ähnli-
che Druckkurve erzielt wie bei der PCV. VCV Drucksteuerung
mit dezelerierendem Flow und PCV sind ver- Bei Erreichen eines einstellbaren Drucks schaltet
gleichbar günstig. ! der Respirator in die Ausatmung.
Damit nimmt das Atemminutenvolumen (= gerade hustet oder ausatmet, so kann es unter
AMV) ab, die Atemfrequenz steigt an. Sobald Umständen zu einem enormen Druckanstieg
sich also die Compliance der Lunge oder des im Bronchialsystem kommen, da das volumen-
Thorax oder die Resistance ändert, muss das gesteuerte Gerät rücksichtslos die eingestellten
Gerät neu eingestellt werden. 700 ml Hubvolumen abgibt. Es ist nun möglich,
eine Druckbegrenzung einzuschalten.
Druckgesteuerte Geräte können also eine Ände-
! rung des Atemwiderstandes nicht kompensieren. Eine Druckbegrenzung von beispielsweise 30
! cm H O bedeutet, dass das volumengesteuerte
2
Deshalb sollten solche Geräte immer in Kombi- Gerät mit z. B. 700 ml Atemhubvolumen beatmet
nation mit einem Kapnometer (→ S. 405) be- wird, wobei ein Beatmungsdruck von 30 cm H2O
trieben werden, damit eine Änderung des AMVs nicht überschritten wird.
am Kapnometer erkannt werden kann. Außer-
dem sollten die Grenzwerte für das Atemminu- Wird hierbei jedoch ein Beatmungsdruck von
tenvolumen eng eingestellt werden. Druckge- 30 cm H2O erreicht, so wird der Druck auf 30
steuerte Geräte werden aus obigen Gründen nur cm H2O begrenzt, die Inspiration wird jedoch
selten zur maschinellen Beatmung, sondern fast nicht (!) abgebrochen, sondern fortgesetzt. Es
nur im Rahmen der Atemtherapie extubierter handelt sich damit um ein volumengesteuertes,
Patienten eingesetzt (als intermittent positive druckbegrenztes Beatmungsmuster.
pressure breathing = IPPB). Inzwischen wird Es gibt folgende prinzipielle Begrenzungsmög-
aber auch hierfür zumeist eine Form der druck- lichkeiten:
unterstützten Spontanatmung (= pressure sup- ● Volumenbegrenzung
● Flow-Begrenzung
Flow-Steuerung
Ein Flow-gesteuerter Respirator schaltet von der Die beiden wichtigsten Begrenzungsprinzipien
! Inspiration auf die Exspiration, wenn ein be- sind die Volumen- und die Druckbegrenzung.
stimmter Minimal-Flow (→ S. 351) von z. B. 25 % Es können in einem Respirator auch gleichzei-
des Spitzen-Flows unterschritten wird. tig z. B. eine Druck- und eine Volumenbegren-
zung vorhanden sein. Eine druckgesteuerte Be-
Eine Flow-Steuerung wird vor allem bei Beat- atmung kann nicht druckbegrenzt (oder
mungsformen verwendet, die die Spontanat- druckkontrolliert) sein. Sie ist meist Flow-be-
mung unterstützen (→ S. 361). grenzt (und Flow-kontrolliert).
Zeitsteuerung
Nach Ablauf eines einstellbaren Zeitintervalls Zuordnung von häufig verwendeten
! schaltet der Respirator in die Ausatmung. Respiratoren
Viele der modernen Respiratoren sind zeitge- Viele der modernen Respiratoren sind Misch-
steuert. formen bezüglich Steuerung und Begrenzung,
wie z. B.:
● Evita (Fa. Dräger; vgl. Abb. 7-3):
● reine Spontanatmung
Kontrollierte Beatmung
der Beatmungsdruck (und die Gefahr eines Ba- Durch die Erhöhung des intrathorakalen
rotraumas) an. Bei einer Leckage erhält der Pa- Drucks bei der maschinellen Einatmung nimmt
tient weniger als das eingestellte Hubvolumen. auch der Druck im rechten Vorhof zu. Der ve-
Seit einigen Jahren wird zunehmend häufiger nöse Rückfluss zum Herzen ist gedrosselt. Dies
eine PC-CMV (v. a. bei schlechter Lungenfunk- ist um so gravierender, je höher die Beatmungs-
tion) durchgeführt. Ein vorgewählter maxima- drücke und je höher das PEEP-Niveau sind. Die
ler Atemwegsdruck (meist ≤ 30 cm H2O) wird Drosselung des venösen Rückflusses zum
hierbei nicht überschritten, auch nicht bei einer Herzen hat folgende Auswirkungen:
Abnahme der Compliance. Die Geräte arbeiten ● Anstieg des zentralen Venendrucks (ZVD)
mit einem dezelerierenden Flow. Das Risiko ei- ● Anstieg eines bereits erhöhten intrakraniel-
bene Minutenvolumen. Bei einer Abnahme der ● Abfall des arteriellen Blutdrucks
Eine kontrollierte Beatmung sollte nur so kurz Dies ist als Kompensationsmechanismus des
wie möglich durchgeführt werden, z. B. wäh- Körpers zu verstehen, wodurch der vermin-
rend schwerer respiratorischer Probleme, einer derte venöse Rückstrom zum Herzen ausge-
kontrollierten Hyperventilation oder einer not- glichen werden soll.
wendigen Muskelrelaxation. Bei einer kontrol- ● Verminderung der Leberdurchblutung,
lierten Beatmung ist eine tiefere Analgosedie- wodurch es zu einem Anstieg der Transami-
rung notwendig als bei den moderneren nasenaktivität und der Bilirubinkonzentrati-
Beatmungsformen mit Spontanatmungsanteil on kommen kann
(z. B. ASB, BIPAP; → S. 360). ● Rechtsherzbelastung:
Die kontrollierte Beatmung hat eine Reihe von Vor allem bei hohen Beatmungsdrücken
Nachteilen bzw. Nebenwirkungen. Beim spon- kann es zur Kompression der Lungenkapilla-
tan (!) atmenden Patienten entsteht bei der Ein- ren mit einer Druckerhöhung im Lungen-
atmung ein Unterdruck in der Lunge. Der kreislauf und damit zu einer Rechtsherzbelas
Druck in der Lunge und im Pleuraspalt fällt ab. tung kommen.
Luft wird angesaugt. Gleichzeitig wird der ve- ● erhöhte Gefahr eines Barotraumas (→ S. 370)
Mischformen aus Beatmung sprochen. Triggert der Patient das Gerät manch-
und Spontanatmung mal über einen bestimmten Zeitraum nicht,
dann beginnt das Beatmungsgerät mit einem
Assistierte/kontrollierte Beatmung maschinellen Beatmungshub (= assistierte/kon-
Die assistierte/kontrollierte Beatmung ist eine trollierte Beatmung). Bei der A/C-Beatmung
! Kombination aus kontrollierter Beatmung (= PC- kann durch jeden Inspirationsversuch des Pati-
CMV oder VC-CMV; → S. 357) plus assistierter enten ein maschineller Atemhub getriggert
Beatmung. Bei der assistierten/kontrollierten Be- werden. Bei einer A/C-Beatmung benötigen die
atmung (= A/C = assist/control ventilation) darf Patienten meist eine etwas tiefere Analgosedie-
der Patient versuchen, selbst zu atmen. Erzeugt er rung als unter BIPAP oder druckunterstützter
dabei während der Einatmung einen festgelegten Spontanatmung (→ S. 361).
Negativdruck bzw. Flow, dann wird hierdurch ein
maschineller Atemhub ausgelöst (= getriggert) IMV
und der Respirator beginnt mit der volumen- oder
IMV ist die Abkürzung für intermittent mandatory
druckkontrollierten Inspiration (Abb. 7-2c). ventilation, was mit intermittierender maschinel-
ler Ventilation übersetzt werden kann. IMV ver-
Diese Schwelle, bei deren Unterschreiten der Re- bindet die maschinelle Beatmung mit der Spon
spirator sich einschaltet, wird als Trigger-Schwel- tanatmung des Patienten.
le, der Vorgang als Triggern der Maschine be-
zeichnet. Die Trigger-Schwelle wird meist ca. 1–3 Der Respirator arbeitet mit einer vorgegebenen,
cm H2O unterhalb des endexspiratorischen niedrigen Beatmungsfrequenz (z. B. 7/min). Die
Drucks eingestellt, das heißt 1–3 cm H2O unter- maschinellen Atemhübe können volumen- oder
halb des PEEP-Wertes, oder 1–3 cm H2O unter- druckkontrolliert sein (VC-IMV, PC-IMV).
halb des Nullwertes. Wird diese Trigger-Schwelle Dazwischen kann der Patient beliebig selbst at-
versehentlich über dem endexspiratorischen men. Es wechseln also maschinelle Atemhübe
Druck eingestellt, so triggert sich die Maschine mit Phasen der Spontanatmung. Es kann jedoch
selbst. Bevor der Druck bis auf den endexspirato- sein, dass der Patient gerade ausatmen will, die
rischen Druck abgefallen ist, ist die Trigger- Maschine ihm aber den jetzt fälligen Atemhub
Schwelle schon unterschritten und die Maschine aufzwingt. Mit Verbesserung der Atemfunktion
beginnt bereits mit der Inspiration. Der Patient kann die IMV-Frequenz zunehmend reduziert
wird dadurch fälschlicherweise stark hyperventi- werden und der Patient muss zunehmend mehr
liert. Die sog. Trigger-Latenz, das heißt die Zeit- Atemarbeit übernehmen. Reicht eine IMV-Fre-
spanne zwischen Triggerung und Auslösung des quenz ≤ 4/min aus (und ist die notwendige FiO2
Inspirations-Flows, sollte ≤ 0,1 Sekunden betra- ≤ ca. 0,4), dann kann ein Extubationsversuch
gen. Bei modernen Respiratoren wird inzwischen unternommen werden.
anstatt einem Druck-Trigger meist ein Flow-Trig- Im Rahmen der Entwöhnung vom Respirator
ger verwendet. Sobald der Patient einen Inspirati- wird IMV zunehmend seltener eingesetzt. Im-
ons-Flow von z. B. 33–100 ml/s (= 2–6 l/min) ein- mer häufiger wird hierbei eine Form der druck-
atmet, wird das Gerät getriggert. Häufig wird die unterstützten Spontanatmung (→ S. 361) ange-
Flowtrigger-Schwelle auf 3 l/min gestellt. wendet.
Bei einem getriggerten Atemhub ist es auch
wichtig, dass der Respirator initial einen ausrei- SIMV (Abb. 7-2d)
chend hohen Flow abgibt, damit der Patient bei SIMV ist die Abkürzung für synchronized intermit-
seinem Entwöhnungsversuch keinen „Luftman- tent mandatory ventilation, was mit synchroni-
gel“ verspürt. sierter intermittierender maschineller Beatmung
Triggert der Patient das Beatmungsgerät jedes übersetzt werden kann. SIMV verbindet maschi-
Mal, dann wird von assistierter Beatmung ge- nelle Beatmung, Spontanatmung und assistierte
Beatmung.
360 7 Intensivmedizin
SIMV war eine logische Weiterentwicklung der Bei ausreichender Spontanatmung werden also
IMV. Hierbei können die intermittierenden keine maschinellen Atemhübe mehr aufge-
maschinellen Atemhübe an die Spontanatmung zwungen und z. B. aus einer MMV plus PEEP
des Patienten angepasst werden. Damit es nicht wird eine CPAP-Atmung (→ S. 362) und aus
wie bei der IMV vorkommen kann, dass der Pa- einer MMV plus PSV wird eine reine PSV-At-
tient gerade ausatmen will, die Maschine aber mung (→ S. 361).
in dem Moment mit dem Atemhub beginnt,
wurde bei der SIMV vor jedem maschinellen BIPAP
Atemhub ein gewisser Zeitraum, ein sog. Er- BIPAP ist die Abkürzung für biphasic positive
wartungsfenster eingebaut. Innerhalb dieses airway pressure. Bei BIPAP (Abb. 7-2e) werden
Zeitraumes kann der Patient den maschinellen Spontanatmung und maschinelle, druckkontrol-
Atemhub triggern und damit an seine Atmung lierte Beatmung in einer voneinander unabhängi-
anpassen. Triggert er die Maschine in diesem gen Form überlagert.
Erwartungsfenster nicht, so beginnt der Atem-
hub nach Ablauf des Erwartungsfensters (Ma- Bei BIPAP (z. B. EVITA, Fa. Dräger) atmet der
schinen-Triggerung). Bei SIMV wechseln eben- Patient über das Gerät CPAP (→ S. 362). Das
falls maschinelle Atemhübe mit Phasen der Gerät schaltet gleichzeitig zwischen 2 verschie-
Spontanatmung. Während bei der A/C-Beat- denen CPAP-Niveaus hin und her. Das untere
mung jeder (!) Inspirationsversuch des Patien- BIPAP-Niveau wird initial auf das gewünschte
ten einen maschinellen Atembub triggern kann, PEEP-Niveau bzw. ca. 5–10 cm H2O eingestellt.
ist bei der SIMV nur eine Triggerung während Das obere BIPAP-Niveau wird auf einen ca.
des Erwartungsfensters möglich. 12–16 cm H2O höheren Wert eingestellt. Durch
Bei modernen Beatmungsgeräten können die eine Veränderung des oberen BIPAP-Niveaus
Spontanatmungen während der SIMV zusätz- kann das Atemhubvolumen ggf. verändert wer-
lich druckunterstützt (pressure support ventila- den.
tion = PSV) werden (SIMV plus PSV). Mit Ver- Wird allerdings ein hohes oberes BIPAP-Niveau
besserung der Atemfunktion kann die notwendig, dann muss beachtet werden, dass
SIMV-Frequenz zunehmend reduziert werden eine Spontanatmung auf einem hohen BIPAP-
und der Patient muss zunehmend mehr Atem- Niveau nur schwer möglich ist. Bei BIPAP ist
arbeit übernehmen. Reicht eine SIMV-Frequenz auch eine patientengetriggerte Form möglich.
von ≤ 4/min aus (und ist die notwendige FiO2 ≤ Innerhalb eines Zeitfensters kann der Patient
ca. 0,4 und eine evtl. Druckunterstützung ≤ ca. die Umschaltung auf das höhere CPAP-Niveau
10 mm Hg), dann kann ein Extubationsversuch triggern. Die Höhe der beiden CPAP-Niveaus
unternommen werden. sowie die Zeitdauer der unteren und oberen
Im Rahmen der Entwöhnung vom Respirator Druckniveaus können eingestellt werden. Wäh-
wird SIMV zunehmend seltener eingesetzt. Im- rend bei anderen Beatmungsformen wie z. B.
mer häufiger wird hierbei eine Form der unter- SIMV die maschinelle Beatmung und die Spon-
stützten Spontanatmung (→ S. 361) eingesetzt. tanatmung jeweils nacheinander ermöglicht
werden, können bei BIPAP maschinelle Beat-
MMV mung und spontane Atmung zeitgleich (überla-
MMV ist die Abkürzung für mandatory minute gert) erfolgen.
ventilation. Während bei der (IMV oder) SIMV der Die Druckdifferenz zwischen den beiden CPAP-
Respirator kontrollierte Atemhübe mit der vorge- Niveaus sowie die Umschaltfrequenz bestim-
wählten (IMV- oder) SIMV-Frequenz auf jeden Fall men den maschinellen Anteil an der Atmung.
abgibt, erfolgen bei der MMV nur maschinelle Sind die Phasen mit hohem CPAP-Niveau län-
Atemhübe, falls eine eingestellte Untergrenze für ger als diejenigen mit niedrigem CPAP-Niveau,
das Atemminutenvolumen unterschritten wird. dann wird von „inversed“ BIPAP gesprochen.
7.2 Beatmungstherapie 361
Falls der Patient nicht mehr spontan atmet, Bei der druckunterstützten Spontanatmung
kann er über BIPAP auch rein maschinell kon- führt eine spontane Einatmung zur Triggerung
trolliert beatmet werden (CMV). Mittels BI- der Beatmungsmaschine. Die Einatmung wird
PAP-Beatmungsmodus kann auch eine übliche dann durch einen hohen, zusätzlichen Gasfluss
CPAP-Atmung (→ S. 362) erfolgen (oberes und unterstützt, bis ein einstellbarer Atemwegsdruck
unteres CPAP-Niveau sind hierbei identisch). erreicht ist. Eine druckunterstützte Spontanat-
mung lässt sich als eine assistierte, Flow-gesteu-
Auf vielen Intensivstationen stellt BIPAP inzwi- erte Beatmung beschreiben. Durch eine geringe
! schen die zumeist praktizierte Beatmungsform Druckunterstützung (ca. 3–5 cm H2O über
dar. PEEP-Niveau) kann die durch das Beatmungs-
gerät und den Tubus bedingte Atemarbeit aus-
APRV geglichen werden, durch eine hohe Druckunter-
APRV ist die Abkürzung für airway pressure re- stützung (ca. 20–25 cm H2O) kann dem Patienten
lease ventilation. Bei APRV (Abb. 7-2f) werden die gesamte Atemarbeit abgenommen werden.
(wie bei BIPAP) Spontanatmung und maschinelle Eine übliche effektive Druckunterstützung be-
Unterstützung in einer voneinander unabhängi- trägt ca. 12–16 cm H2O über PEEP-Niveau. Ist
gen Form überlagert. nur noch eine Druckunterstützung von ca. 5
cm H2O notwendig, dann kann der Patient meist
Bei APRV atmet der Patient über ein CPAP- problemlos extubiert werden.
System spontan. In diesem CPAP-System wird Unter einer druckunterstützten Spontanatmung
mit einer wählbaren Frequenz (ca. 6–15/min) nimmt die spontane Atemfrequenz ab, das
für meist 0,5–3 Sekunden das CPAP-Niveau Atemzugvolumen nimmt zu und der Sauer-
(durch Öffnen eines Exspirationsventils) abge- stoffverbrauch für die Atemarbeit nimmt ab.
senkt. Nach Ende dieses 0,5- bis 3-sekündigen Diese Beatmungsform kann während der Ent-
Intervalls steigt das CPAP-Niveau sehr schnell wöhnung eines Patienten von der maschinellen
wieder an, da es sich um ein CPAP-System mit Beatmung sowie auch als primäre Beatmungs-
sehr hohem Flow (ca. 100 l/min) handelt. APRV form durchgeführt werden.
scheint zu einer nur geringen Beeinträchtigung
der Hämodynamik zu führen. Bei fast allen un- Bei Intensivpatienten mit erhaltener Spontanat-
terstützten (augmentierten) Spontanatmungs- ! mung wird inzwischen sehr häufig eine CPAP-At-
formen wird stets die Einatmung, nur bei der mung (kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck;
APRV wird die Ausatmung unterstützt. → S. 362) mit einer Druckunterstützung (ASB)
der spontanen Atemzüge kombiniert.
Druckunterstützte (augmentierte)
Spontanatmung Falls bei einer PSV der Atemantrieb des Patien-
Mit modernen Beatmungsgeräten kann meist ten nachlässt oder unterdrückt wird (z. B. durch
auch eine druckunterstützte Spontanatmung Opioidgabe), dann drohen eine Hypoventilation
(= inspiratorischer Assist = IA) durchgeführt oder Apnoe. Aus Sicherheitsgründen kann daher
werden. Andere Bezeichnungen für druckun- PSV mit MMV (→ S. 360) kombiniert werden.
terstützte Spontanatmung bzw. inspiratorischer
Assist sind:
● assisted spontaneous breathing (= ASB) Reine Spontanatmung
● inspiratory pressure support (= IPS)
CPAP
CPAP ist die Abkürzung für continuous positive
airway pressure, was mit kontinuierlichem posi-
tivem Atemwegsdruck übersetzt werden kann.
CPAP-Atmung stellt eine spezielle Spontanat-
mungsform (= spontaneous ventilation = SV) mit
PEEP dar. Durch CPAP kann die FRC vergrößert,
die Oxygenierung verbessert und die Atemarbeit
vermindert werden.
Bei einer CPAP-Atmung mit 5 cm H2O ist die führt. NIV kann als CPAP, PSV, BIPAP oder
Atemarbeit ca. 20(–40) % niedriger als bei einer CMV durchgeführt werden. Um das Risiko ei-
Atmung über ein T-Stück. ner Insufflation in den Magen mit der Gefahr
CPAP kann nicht nur über einen Endotracheal- von Erbrechen und Aspiration zu vermeiden,
tubus, sondern ggf. auch über eine Gesichts- sollte ein PEEP auf ≤ 10 cm H2O und der Beat-
(Nasen-)Maske verabreicht werden (= Masken- mungsspitzendruck auf ca. 20 cm H2O begrenzt
CPAP). Hierfür bietet sich vor allem der werden.
Continuous-Flow-CPAP an. Die Maske wird mittels eines Gummibandes fi-
Neben dem oben beschriebenen Continuous- xiert. Die NIV wird meist nur intermittierend
Flow-CPAP gibt es auch einen sog. Demand- durchgeführt. Dieses Verfahren erfordert eine
Flow-CPAP. Moderne Respiratoren verfügen engmaschige Überwachung und einen höheren
über einen Demand-Flow-CPAP. Der Patient Pflegeaufwand als eine Beatmung über einen
muss hierbei durch eine Inspirationsanstren- Endotrachealtubus.
gung den Inspirations-Flow triggern. Zusätzlich
kann ggf. noch eine Druckunterstützung einge-
stellt werden. Die Atmungsform entspricht da- Anfeuchtung der Einatmungsluft
mit PSV plus PEEP.
Normalerweise wird die Einatmungsluft im
Bereich der oberen Luftwege erwärmt und
Nicht invasive Beatmung angefeuchtet. Dies ist wichtig, damit das Flim-
merepithel des Bronchialsystems normal funk-
Um die Risiken einer endotrachealen Intubati- tionieren und damit es Staubpartikel abtrans-
on zu vermeiden, wird in Grenzfällen (z. B. bei portieren kann. Fällt die Luftfeuchtigkeit unter
obstruktivem Schlafapnoesyndrom, neuromus- ca. 70 %, so droht das Tracheobronchialsekret
kulären Erkrankungen, Pneumonie, nach gro- einzudicken und zu verborken.
ßen Operationen oder einer Langzeitbeatmung)
manchmal über eine gutsitzende Gesichts- oder Bei einem intubierten Patienten ist die Anfeuch-
Nasenmaske eine sog. nicht invasive Beatmung ! tungs- und Erwärmungsfunktion der oberen Luft-
(= non-invasive ventilation = NIV) durchge- wege ausgeschaltet.
364 7 Intensivmedizin
Deshalb ist es zwingend erforderlich, das Inspi- nun tiefer sediert (oder gar relaxiert) wird, da-
rationsgemisch anzufeuchten. Außerdem ist auf mit er nicht mehr gegen den Respirator an-
eine gleichzeitige Erwärmung zu achten. Selbst kämpft, müssen stets folgende Fragen beant-
wenn die kalten, aus der zentralen Gasversor- wortet sein:
gung kommenden Gase zu 100 % mit Feuchtig- ● Auskultation?
keit beladen werden, ist dies ungenügend. Denn Die Lunge des Patienten muss auskultiert
die Fähigkeit, Feuchtigkeit aufzunehmen, ist werden, ob nicht ein Pneumothorax, eine
stark von der Temperatur abhängig. Je wärmer Tubusdislokation (z. B. einseitige Intubation,
die Luft, desto mehr Feuchtigkeit kann sie auf- versehentliche Extubation) Ursache für die
nehmen. Beatmungsproblematik ist.
● fehlerhafte Respiratoreinstellung?
Eine bei ca. 20 °C zu 100 % mit Wasserdampf ge- Sehr oft ist das Beatmungsgerät falsch einge-
! sättigte Luft ist nach Erwärmung auf 37 °C nur stellt. Das Beatmungsmuster muss optimiert
noch zu 30 % mit Wasserdampf gesättigt! Ganz werden. Das Beatmungsgerät muss dem Pa-
wichtig sind also die Anfeuchtung und Erwär- tienten und nicht der Patient dem Beat-
mung der Inspirationsluft. mungsgerät angepasst werden!
● Schmerzen?
Zur Anfeuchtung stehen aktive Befeuchtungs- Es muss geklärt werden, ob der Patient stär-
systeme (Verdampfer) und passive Befeuch- kere Schmerzen und deshalb Beatmungspro-
tungssysteme (HME-Filter) zur Verfügung. bleme hat.
Früher kamen bei langzeitintubierten Patienten ● Sedierung?
routinemäßig Aktivbefeuchter, z. B. sog. Pass- Erst wenn die obigen Punkte ausgeschlossen
over-Verdampfer (z. B. RT 340, Fa. Fisher & sind, darf ein Patient zur Beatmung stärker
Paykel Healthcare) zum Einsatz. Hierbei wird sediert werden.
die Inspirationsluft über erwärmtes steriles ● Relaxierung?
Wasser geleitet und wird dabei erwärmt und Eine Relaxierung sollte nur in verzweifelter
mit Feuchtigkeit beladen. Es stehen auch Ein- Situation und möglichst nur kurzzeitig
malgeräte zur Anfeuchtung und Anwärmung durchgeführt werden, wenn z. B. anders eine
zur Verfügung. ausreichende Beatmung nicht mehr möglich
Inzwischen werden in der Intensivmedizin zu- ist.
nehmend häufiger sog. HME-Filter (HME =
heat and moisture exchanger = Wärme- und
Feuchtigkeitsaustauscher) verwendet. Diese Analgosedierung
Filter werden zwischen Endotrachealtubus und
Y-Stück konnektiert und vermindern den Wär- Während in der Vergangenheit bei beatmeten
me- und Feuchtigkeitsverlust über die Atmung. Intensivpatienten häufig für längere Zeit eine
Sie können anstelle von aktiven Befeuchtungs- kontrollierte Beatmung (CMV; → S. 357)
und Erwärmungssystemen (z. B. Pass-over-Ver- durchgeführt wurde und hierfür eine relativ tie-
dampfer) eingesetzt werden. fe Analgesie und Sedierung (sog. Analgosedie-
rung) des Patienten notwendig war, werden in
den letzten Jahren möglichst frühzeitig Beat-
Anpassung des Beatmungsgerätes mungsformen eingesetzt, die eine Spontanat-
an den Patienten mung des Patienten ermöglichen und diese
unterstützen. Dadurch können die bei kontrol-
Bei der maschinellen Beatmung tritt manchmal lierter Beatmung häufig in den dorsobasalen
das Problem auf, dass der Patient gegen die Be- Lungenabschnitten auftretenden Atelektasen
atmungsmaschine ankämpft. Bevor der Patient (mit Ausbildung eines Rechts-links-Shunts)
7.2 Beatmungstherapie 365
vermindert werden. Als moderne Beatmungs- Tab. 7-2 Ramsay-Skala zur Einstufung des Sedierungs-
form kommt z. B. BIPAP häufig zum Einsatz grades bei Intensivpatienten
(oder auch PSV bzw. APRV; → S. 361). Bei die- Sedie- Sedie- Reaktionen
sen modernen Beatmungsformen reicht ein rungs- rungsgrad
deutlich flacherer Analgesie- und Sedierungs- stufe
grad aus. Zumeist wird eine Sedierung der Stufe 0 wach voll orientiert
2 bis 3 auf der sog. Ramsay-Skala angestrebt
1 unzu- halbwach, ängstlich, agi-
(vgl. Tab. 7-2). Bei diesem Sedierungsgrad ist reichend tiert, unruhig
der intubierte Patient schläfrig und ruhig, tole-
2 erwünscht sediert, kooperativ,
riert die Beatmung, reagiert aber auf Stimulati-
orientiert, ruhig, toleriert
on und ist dann orientiert und kooperativ. Bei
Beatmung
der endotrachealen Absaugung ist ein heftiger
Hustenreflex auslösbar. Eine tiefere Analgose- 3 erwünscht sediert, schlafend, ange-
messene lebhafte Reaktion
dierung ist zumeist unerwünscht und würde zu
nach leichter Stimulation
einer Beeinträchtigung der Spontanatmung
führen. 4 nachts tief sediert, schlafend, nach
Für eine Analgosedierung wird stets ein Opioid erwünscht Stimulation träge Reaktion
analgetikum und häufig zusätzlich ein Sedati- 5 tief nur auf schmerzhafte
vum benötigt. Entscheidend ist eine gute Anal- Stimulation verlangsamte
gesie, um schmerzbedingte Atemschonhaltung Reaktion
und Stressreaktionen zu vermeiden. Bei richti- 6 zu tief nach Stimulation keine
ger Dosierung eines geeigneten Opioidanalgeti- Reaktion, Koma
kums reicht unter Umständen dessen sedieren-
de Wirkkomponente aus, um die zusätzlich
erwünschte Sedierung zu erzielen, sodass dann dierung von Intensivpatienten verwendet wurde
auf die Verabreichung eines Sedativums ver- – ist bei Sufentanil die hämodynamische Stabili-
zichtet werden kann. tät deutlich besser und die sedierende Kompo-
Häufig wird zur Analgosedierung eine Kombi- nente ist ebenfalls stärker ausgeprägt. Außerdem
nation aus einem potenten Opioid (Sufentanil, ist bei Sufentanil nach wiederholter (repetitiver)
Fentanyl, selten Alfentanil) und einem Benzo- Gabe bzw. bei längerfristiger Zufuhr über eine
diazepin (Midazolam, früher häufig Flunitraze- Spritzenpumpe mit einer wesentlich geringeren
pam) bzw. einem Sedativum/Hypnotikum (v. a. Kumulation als bei Fentanyl zu rechnen. Daher
Propofol) eingesetzt. Vor allem bei delirgefähr- ist die sog. kontextsensitive Halbwertszeit (Zeit-
deten Patienten werden das Opioid und das Se- spanne, die nach einer Beendigung einer konti-
dativum evtl. mit dem Alpha-2-Rezeptor-Ago- nuierlichen Medikamentenzufuhr vergeht, bis
nisten Clonidin kombiniert (→ S. 367, 479). die Plasmakonzentration auf 50 % des Wertes
Für die Analgosedierung von Intensivpatienten vor Zufuhrende abfällt) bei Sufentanil wesent-
hat sich in den letzten Jahren insbesondere das lich niedriger als bei Fentanyl. Die kontextsen
Opioidanalgetikum Sufentanil gut bewährt. sitive Halbwertszeit ist abhängig von der In
Sufentanil stellt das zurzeit potenteste Opioid fusionsdauer und berücksichtigt eine evtl.
analgetikum dar (→ S. 59). Die Stressabschir- Kumulation der Substanz (infusionsdauerab-
mung scheint unter Sufentanil besser zu sein als hängige Halbwertszeit). Bei einer Infusionsdau-
unter Fentanyl, denn unter Sufentanilgabe sind er von unter 8 Stunden ist diese kontextsensitive
beispielsweise die Plasmakonzentrationen von Halbwertszeit für Sufentanil sogar niedriger als
körpereigenem Adrenalin und Noradrenalin bei dem kurz wirksamen Alfentanil. Die kon-
niedriger als unter Fentanylgabe. Im Vergleich textsensitive Halbwertszeit beträgt nach einer
zu Fentanyl – das bisher zumeist zur Analgose- ca. einstündigen Infusion von Sufentanil unge-
366 7 Intensivmedizin
fähr 18 Minuten und nach einer ca. 2-stündigen Wird als Opioidkomponente Fentanyl verab-
Infusion ca. 22 Minuten. Damit ist sie ähnlich reicht, dann ist zumeist eine Dosierung von
niedrig wie die Werte der kontextsensitiven 0,05–0,4 mg/h beim Erwachsenen notwendig.
Halbwertszeiten bei einer entsprechenden Pro- Mit Fentanyl ist aufgrund der geringen sedieren-
pofolinfusion. Für Fentanyl beträgt dagegen die den Wirkung keine Monotherapie möglich. Fen-
kontextsensitive Halbwertszeit nach einer ein- tanyl muss stets mit einem Sedativum kombi-
stündigen Infusionsdauer ca. 35 Minuten. Sie niert werden. Inzwischen wird im Rahmen einer
beträgt nach einer 2-stündigen Infusionszeit ca. kurzfristigen Analgosedierung (< 3 Tage) als
100 Minuten und ist damit ca. 4-mal länger als Opioid häufiger auch Remifentanil eingesetzt.
nach einer 2-stündigen Sufentanilzufuhr. Vereinzelt kommt zur Analgosedierung auch
Falls initial eine kontrollierte Beatmung unter Ketamin (Ketanest® 30–60 mg/h beim Erwach-
Sufentanilgabe durchgeführt wird, empfiehlt sich senen) in Kombination mit einem Benzodiaze-
meist eine Anfangsdosis für Sufentanil von ca. pin (v. a. Midazolam) zum Einsatz.
0,75–1,0 µg/kg KG/h. Bei einer unterstützten
Spontanatmung kann die Sufentanildosierung Während der Entwöhnung nach einer längerfris
meist auf ca. 0,25–0,35 µg/kg KG/h reduziert ! tigen Analgosedierung droht oft eine Hyperak-
werden. Aufgrund der sedierenden Eigenschaf- tivität des sympathischen Nervensystems (ähn-
ten des Sufentanils benötigen ca. 30 % der Patien- lich wie bei einem Alkoholentzugsdelir) mit Hy-
ten kein zusätzliches Sedativum. Mit Beginn der pertonie, Tachykardie, Tachypnoe, Zittern, mo-
Spontanatmungsphase sollte ein evtl. zusätzlich torischer Unruhe, Schwitzen und Delir.
verabreichtes Sedativum reduziert oder mög- Nach einer langfristigen Analgosedierung muss
lichst schon langsam ausgeschlichen werden. daher Wert darauf gelegt werden, dass die Sedie-
Für die kontinuierliche Zufuhr von Sufentanil rung langsam reduziert wird. Bei zu schneller Re-
hat es sich bewährt, 3 Ampullen Sufentanil à 5 duktion kann es zu stärkeren Entzugssymptomen,
ml (1 ml = 50 µg) mit 35 ml NaCl 0,9 % auf 50 Unruhe, Delir oder gar zerebralen Krampfanfällen
ml aufzuziehen (750 µg pro 50 ml = 15 µg pro kommen.
ml). Eine Dosierung von ca. 0,4 µg/kg KG/h
entspricht bei einem ca. 75 kg schweren Patien- Die Ursache von Entzugssymptomen ist folgen-
ten ca. 30 µg/h (= 2 ml dieser Verdünnung). Um dermaßen zu erklären: Durch zentral dämpfen-
eine zusätzliche Sedierung zu erzielen, bietet de Medikamente wie z. B. Benzodiazepine wird
sich für eine länger dauernde Analgosedierung die Erregbarkeit des Gehirns vermindert. Der
meist eine Kombination mit Midazolam (ca. Körper versucht bei längerfristiger Gabe eines
0,025–0,05 mg/kg KG/h; ca. 1,5–3,5 mg/h beim zentral dämpfenden Medikamentes dieser
Erwachsenen) an. Daneben wird – vor allem für Dämpfung entgegenzuregeln und die neuronale
eine kurze oder mittellange Analgosedierung – Aktivität kompensatorisch wieder zu steigern.
anstatt Midazolam häufig auch Propofol (zu- Haben sich nach einer längerfristigen Analgo-
meist Propofol 2 %; ca. 1,5–3 mg/kg KG/h = ca. sedierung solche neuronalen Kompensations-
100–200 mg/h beim Erwachsenen) eingesetzt. mechanismen eingestellt und werden nun
Eine Maximaldosierung von 4 mg/kg KG/h plötzlich die sedierenden und dämpfenden
sollte bei Propofol im Rahmen der Analgose- Medikamente abgesetzt, so überwiegt der
dierung nicht überschritten werden. Außerdem Kompensationsmechanismus mit neuronaler
darf es im Rahmen der Analgosedierung nicht Überaktivität und bedingt Unruhe, Erregungs-
bei Patienten < 16 Jahren und nicht länger als 7 zustände und unter Umständen zerebrale
Tage verabreicht werden. Bei höherer Dosie- Krampfanfälle. Diese Symptomatik ist ähnlich
rung (> 4 mg/kg KG/h) ist das Risiko eines Pro- dem Alkoholentzugsdelir (→ S. 478).
pofolinfusionssyndroms (PRIS) zu beachten Durch Gabe von Clonidin (Catapresan®, Parace-
(→ S. 55). fan®; → S. 479) kann, vor allem nach einer länger-
7.2 Beatmungstherapie 367
Eine weitere Gefahr besteht in der Entstehung ● Herz- und/oder Kreislaufprobleme durch
von druckbedingten Nervenläsionen. Bedroht Drosselung des venösen Rückstroms:
ist vor allem der Nervus peronaeus an der Knie- Durch die beatmungsbedingte Behinderung
außenseite, der entsprechend abzupolstern ist. des venösen Rückstroms kommt es z. B. zu
einer Drosselung der Nierendurchblutung
Seitenlagerung mit Flüssigkeitsretention, zu einer Abnahme
(→ S. 431) der Durchblutung von Leber und Splanchni-
kusgebiet sowie zu einem Anstieg des intra-
Bauchlagerung kraniellen Drucks und zu einer Abnahme
(→ S. 431) des zerebralen Blutflusses (→ S. 358).
● Tracheal- und Kehlkopfschäden:
In dieser Situation kann es notwendig sein, die Vor allem beim ersten Wechseln der Kanüle
beiden Lungen getrennt zu beatmen. Dazu kann es vorkommen, dass die Kanüle nicht
erhält der Patient einen Doppellumentubus, durch den Tracheostomiekanal bis in die
der besonders sorgfältig platziert und in seiner Trachea, sondern subkutan vorgeschoben
Lage (bronchoskopisch) kontrolliert werden wird.
muss. Über jedes Lumen kann nun ein eigenes ● Druckulzera in der Trachea:
Beatmungsgerät angeschlossen werden. Die Ursache ist oft ein zu starkes Blocken der Ka-
Lungen können auf diese Weise bevorzugt syn- nülenmanschette. Beim Blocken der Trache-
chron, aber auch leicht asynchron (stärkere alkanüle gilt das Gleiche wie beim Endotra-
Scherkräfte sind dabei zu vermeiden!) mit un- chealtubus: Blocken nach Gehör (→ S. 96).
terschiedlichen Beatmungsparametern beatmet Durch Scheuerbewegungen der Trachealka-
werden. nüle oder durch Druckschädigungen vor al-
lem am Kanülenende kann es zu Ulzera oder
gar Gefäßverletzungen mit unter Umständen
Nebenwirkungen und erheblichen Blutungen kommen.
Komplikationen ● ösophagotracheale Fistel:
Im Rahmen einer Langzeitbeatmung über ein Bei einem täglichen Wechsel der Beatmungs-
Tracheostoma bzw. über einen Endotrachealtu- schläuche und des Befeuchtertopfes ist die
bus können außerdem die folgenden Probleme nosokomiale Pneumonierate höher als bei ei-
häufiger auftreten: nem 48-stündigen Wechsel. Möglicherweise ist
● Infektionen sogar ein Wechsel in noch größeren Abständen
● Stress sinnvoll. Zunehmend häufiger kommen Ein-
● Gefahren eines PEEP malsysteme zur Anwendung. Der sich in den
● Barotrauma Beatmungsschläuchen niederschlagende Was-
● Atrophie der Atemmuskulatur serdampf ist als infiziert zu betrachten, und es
● Sekretstau ist nicht erlaubt, das in den Schläuchen befind-
● Schleimhautverbrennungen liche Kondenswasser zurück in den Verdamp-
● Schäden bei chronischer Sauerstoffanwen- fertopf zu leiten.
dung
● retrolentale Fibroplasie
Stress
nen guten Nährboden für Bakterien dar. Die ● Abfall des arteriellen Drucks
vor Gebrauch mit sterilem Wasser gefüllt und ● Verminderung der Nierendurchblutung und
Durch Eintrocknen der Bronchialsekrete bei Bei der Beatmung mit einer F O von 1,0 ist schon
ungenügender Befeuchtung und unzureichen- ! innerhalb von 24 Stunden miti 2Lungenschädigun-
der Bronchialtoilette kann es zu einem Se- gen zu rechnen. Die FiO2 soll so niedrig wie mög-
kretstau und unter Umständen zu einer Verle- lich gehalten werden. Schädlicher als hohe Sauer-
gung des Tubus oder des Tracheostomas stoffkonzentrationen scheinen jedoch hohe Beat-
kommen. mungsdrücke und eine übermäßige Dehnung der
Lunge zu sein.
Schleimhautverbrennungen
nach der Empfängnis (der 46. postkonzeptio- wendig. Da die Trachealkanüle normalerweise
nellen Woche). Beispielsweise durch eine zu großlumiger als ein Endotrachealtubus ist, sind
hohe arterielle Sauerstoffspannung, aber auch die Atemwegswiderstände geringer und die
durch eine Acidose (z. B. im Rahmen einer Sep- Bronchialtoilette ist leichter durchzuführen.
sis) oder durch andere Störungen der Homö Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche
ostase kann das Krankheitsbild der retrolenta- Entwöhnung sind:
len Fibroplasie ausgelöst werden. Dadurch kann ● ausreichender p O
a 2
es unter Umständen zu irreversiblen Sehstörun- ● ausreichende Spontanatmung
gen, im Extremfall bis zur Erblindung des Kin- (Ausreichender Atemantrieb? Ausreichende
des kommen. Unnötig hohe arterielle Sauer- Kraft der Atemmuskulatur? Nicht zu hohe
stoffspannungen sind daher bei Früh- und Atembehinderung durch z. B. zu stark ver-
Neugeborenen zu vermeiden. minderte Compliance oder zu hohen Atem-
wegswiderstand?)
● ausgeglichener Säure-Basen-Haushalt,
Entwöhnung des langzeit- damit der Patient z. B. nicht eine metaboli-
beatmeten Patienten sche Acidose durch eine Hyperventilation
auszugleichen versucht
Die Entwöhnung (= weaning) eines langzeitbe- ● weitgehende Fieberfreiheit,
atmeten Patienten von der Beatmungsmaschine weil Fieber einen höheren Stoffwechsel und
stellt oft ein großes Problem dar. Auf der einen damit eine gesteigerte Ventilation bedeuten
Seite sollte die Entwöhnung so bald als möglich würde
beginnen, um z. B. eine Schwächung der Atem- ● stabile Herz-Kreislauf-Funktion:
muskulatur durch Inaktivierung zu verhindern, Auch falls die Kreislaufverhältnisse nur unter
andererseits führt eine zu frühzeitige oder zu einer laufenden Catecholamininfusion stabil
schnelle Entwöhnung oft zu einem Abbrechen sind, ist ein Entwöhnungsversuch möglich.
des Entwöhnungsversuchs oder zu einer
Reintubation des Patienten. Bei ca. 20 % der Das weaning ist zwar bei einem bewusstseins-
Patienten mit einer Langzeitbeatmung muss klaren, kooperativen Patienten leichter als bei
mit Entwöhnungsproblemen gerechnet werden. einem nicht ansprechbaren, unkooperativen
Bei Patienten mit einer chronisch obstruk- Patienten, dennoch spielt die Bewusstseinslage
tiven Lungenerkrankung (= chronic obstructive des Patienten für den Beginn der Entwöhnung
pulmonary disease = COPD; → S. 451) treten keine entscheidende Rolle. Das heißt:
in ca. 50 % der Fälle Entwöhnungsprobleme
auf. Auch bewusstlose Patienten können von der Be-
! atmung entwöhnt werden. Allerdings kann die
Faustregel: Extubation erst nach Rückkehr der Schutzreflexe
! Die Entwöhnung vom Respirator dauert beim erfolgen.
langzeitintubierten Patienten ungefähr so lange,
wie die Zeitspanne zwischen der Intubation und Ist abzusehen, dass die Schutzreflexe über län-
dem Beginn der Entwöhnung. gere Zeit nicht oder überhaupt nicht mehr zu-
rückkehren werden, so bietet sich die Anlage
Häufig wird bei Langliegern und bei schwieri- eines Tracheostomas und die Verlegung dieser
ger Entwöhnung des Patienten eine Indikation pflegebedürftigen Patienten mit dem Tracheo-
zur Anlage eines Tracheostomas gesehen (→ S. stoma an. Bei der Entwöhnung sollte der Tag-
347). Eine Trachealkanüle wird vom Patienten Nacht-Rhythmus beachtet werden, das heißt, es
besser toleriert als ein Endotrachealtubus. Es ist sollte nicht nachts mit dem Entwöhnungsver-
hierbei eine geringere Analgosedierung not- such begonnen werden.
372 7 Intensivmedizin
Entwöhnungsprotokolle Extubation
Oft wird die Entwöhnung nach persönlichen Der Patient ist über die geplante Extubation
Vorlieben und Erfahrungen des Arztes durch- aufzuklären. Vor der Extubation ist immer ein
geführt. Häufiger wird hierbei allerdings zu spät sorgfältiges Absaugen des Rachens erforder-
erkannt, dass der Patient bereits entwöhnungs- lich.
fähig ist und die Intubations- und Beatmungs-
dauer sind daher oft unnötig lange. Inzwischen Die Extubation sollte nur am ausreichend spontan
konnte gezeigt werden, dass durch die schema- ! atmenden Patienten mit zurückgekehrten Schutz-
tische Anwendung von Entwöhnungsprotokol- reflexen vorgenommen werden.
len (anhand derer z. B. täglich überprüft wird,
ob der Patient schon entwöhnungsfähig ist) die Vor der Extubation darf der Patient mindestens
Intubations- und Beatmungsdauer signifikant 6 Stunden keine enterale Ernährung mehr be-
gesenkt sowie die Erfolgsrate bei der Entwöh- kommen. Bei der Extubation müssen alle Uten-
nung signifikant erhöht werden können. Dabei silien für eine evtl. Reintubation (→ S. 82)
ist es zweitrangig, welches Entwöhnungsproto- griffbereit sein. Bei der Extubation kann es auch
koll verwendet wird. Wichtig ist, dass ein Ent- zum Erbrechen des Patienten kommen. Die
wöhnungsprotokoll angewandt wird. Magensonde sollte vor der Extubation noch
einmal abgesaugt werden. Sind hierbei die
Schutzreflexe noch nicht zurückgekehrt, so
Überwachung während Entwöhnung droht eine Aspiration (→ S. 211).
also eine enterale und parenterale Ernäh- dadurch bereits einen Teil seines Energiebedarfs
rung durchgeführt werden. Anzustreben ist – so- im Postaggressionsstoffwechsel ab. In der Post-
bald eine ausreichende Darmfunktion vorhan- aggressionsphase liegt eine Verwertungsstörung
den ist – die rein enterale Ernährung. extern zugeführter Nährstoffe vor und die Zu-
Wichtiges Ziel der künstlichen Ernährung ist es, fuhr der theoretisch errechneten Kalorienmen-
das Ausmaß der Katabolie im Postaggressions- ge würde nicht verstoffwechselt. Es käme zu ei-
stoffwechsel zu minimieren. Ein erhöhter Prote- ner deutlichen Hyperglykämie und zu hohen
inabbau könnte zu verzögerter Wundheilung und Triglyceridwerten (→ S. 379). Es ist daher – je
verminderter Infektabwehr aufgrund eines Man- nach Verstoffwechselungskapazität – eine lang-
gels an Immunglobulinen führen. same Steigerung vorzunehmen. Oft wird mit ca.
12–20 kcal/kg KG/d (= 900–1 400 kcal/d) be-
Bei der künstlichen Ernährung müssen die not- gonnen (z. B. 1,5 g Kohlenhydrate/kg KG/d und
wendigen Bausteine Kohlenhydrate, Fette, Pro- 0,5 Fett/kg KG/d; → S. 378).
teine, Wasser, Elektrolyte, Vitamine und Spu-
renelemente verabreicht werden. Die einzelnen
Bausteine müssen in adäquater Menge zuge- 7.3.1 Totale parenterale
führt werden (vgl. Tab. 7-3). Ernährung
Der Energiebedarf beim Intensivpatienten liegt in Ist wegen unzureichender Magen-Darm-Funk-
! der Größenordnung von 30–40 kcal/kg KG/d. Bei tion eine enterale Ernährung nicht möglich und
übergewichtigen Patienten soll zur Berechnung daher eine totale parenterale Ernährung (tpE)
des Energiebedarfs das Sollgewicht (Sollgewicht notwendig (vgl. Tab. 7-4), so müssen die Bau-
in kg KG = Körpergröße in cm – 100) verwendet steine der Ernährung, also
werden. ● Kohlenhydrate,
● Fette,
Der Energiebedarf des Menschen in Ruhe be- ● Proteine (in Form von Aminosäurelösungen
gieumsatz. Bei mittlerer bzw. starker Stresssi- in einem ausgewogenen Verhältnis und einer
tuation ist der 1,4- bzw. 1,6-fache Ruheenergie- bedarfsadaptierten Menge verabreicht werden.
umsatz notwendig. Außerdem steigt der Mit der totalen parenteralen Ernährung (=
Energiebedarf pro Grad Fieber um ca. 10 % des Nährstoffzufuhr) sollte erst am ersten Tag nach
Ruheenergiebedarfs an. Bei den meisten Inten- der Operation bzw. dem Trauma begonnen
sivpatienten beträgt der Energiebedarf ca. 1,3- werden. Bis dahin sollte lediglich eine Flüssig-
mal Ruheenergieumsatz. Eine übermäßige keits- und Elektrolytsubstitution erfolgen. Bei
Nährstoffzufuhr (hyperkalorische Ernährung; schwerstkranken Patienten und auch nach gro-
Hyperalimentation) ist zu vermeiden, da hier- ßen Operationen muss zumeist eine vorüberge-
durch eine Leberverfettung droht. hende totale parenterale Ernährung durchge-
Es ist jedoch zu beachten, dass dieser Ernäh- führt werden, bis sich die Darmfunktion wieder
rungsbedarf in der Postaggressionsphase nicht zu normalisieren beginnt.
durch exogene Nährstoffzufuhr komplett abge- Um stärkere Schwankungen in der Infusionsge-
deckt werden kann, denn der Körper metaboli- schwindigkeit parenteraler Ernährungslösun-
siert eigene Fett- und Proteinreserven und deckt gen zu verhindern, sind diese über eine Infusi-
376 7 Intensivmedizin
Tab. 7-3 Beispiel für einen Ernährungsplan zur totalen parenteralen Ernährung bei einem 70 kg schweren Pati-
enten. Oben: konventioneller Ernährungsplan mit verschiedenen Einzelnährlösungen (ASL = Aminosäurelösung).
Unten: moderner Ernährungsplan mit Gesamtnährlösungen (Dreikammerbeutel).
Konventioneller Ernährungsplan mit verschiedenen Einzelnährlösungen
Zeit Infusionslösung ml K+ Na+ Cl– Zusätze kcal
(Uhr) (mmol) (mmol) (mmol)
5–17 Glucose 40 % 450 35 20 55 + 40 ml Inzolen 720
+ 30 ml Natriumgly-
cerophosphat (enthält
30 mmol Phosphat und
60 mmol Natrium)
17–5 Glucose 40 % 450 35 20 55 + 20 ml Mg-5-sulfat 720
10 % (enthält 8,1 mmol
Magnesium)
+ 30 ml Calcium-
Sandoz® 10 % (enthält
6,75 mmol Calcium)
5–17 ASL 10 % 350
17–5 ASL 10 % 350
5–17 Lipofundin MCT 20 % 250 450
17–5 Lipofundin MCT 20 % 250 450
Summe 2340
+ 1 Amp. Cernevit® als
Kurzinfusion (enthält alle
Vitamine außer Vitamin K)
+ 10 mg Vitamin K
(Konakion®) als Kurzinfusion
2 ×/Wo. (bzw. öfter je nach
Quick-Wert)
+ 1 Amp. Unizink®
(bei Langliegern)
+ 1 Amp. selenase® 100 pro
injectione (bei Langliegern)
Beispiel für einen modernen Ernährungsplan mit Gesamtnährlösung (Dreikammerbeutel)
Zeit Infusionslösung Zusätze kcal
(Uhr)
5–5 3 000 ml NuTRIflex® Lipid basal 1 Amp. Addel® N (Spurenelemente) 2652
(enthält: 300 g Glucose, 76,8 g Aminosäuren, 1,5 ml/kg KG Dipeptamin (enthält Glutamin;
120 g Lipide, Wasser, Elektrolyte) wichtig für intestinale Abwehrfunktion [→ S.
385]; nicht bei schwerer Niereninsuffizienz
verabreichen!
Summe 2652
+ 1 Amp. Cernevit als Kurzinfusion
®
Tab. 7-4 Basisbedarf pro Tag und Bedarf bei (postoperativer) Stresssituation
Bausteine der Ernährung Basisbedarf Bedarf bei (postoperativer)
Stresssituation
H2O 30 ml/kg KG 30(–40) ml/kg KG
Aminosäuren 1 g/kg KG 1,5(–2) g/kg KG
Na+ 1–1,5 mmol/kg KG bis 3 mmol/kg KG
K+ 0,5–1 mmol/kg KG bis 2 mmol/kg KG
Cl–
1 mmol/kg KG bis 3 mmol/kg KG
Ca 2+
0,1 mmol/kg KG bis 0,2 mmol/kg KG
PO4 3–
0,4 mmol/kg KG bis 0,8 mmol/kg KG
Mg2+ 0,1 mmol/kg KG bis 0,3 mmol/kg KG
kcal/kg KG 25 30–40
Verteilung der Kalorienträger
Glucose 3–5 g/kg KG 4–5(–6) g/kg KG
Fett 1–1,5 g/kg KG 1–1,5(–2) g/kg KG
onspumpe kontinuierlich über 24 Stunden zu kann aber auch wieder zum Aufbau von Glyko-
verabreichen. Ernährungslösungen mit einer gen und zur Umwandlung in Fette verwandt
Osmolarität über ca. 800 mOsmol/kg H2O sind und in dieser Form als Energielieferant gespei-
über einen zentralen Venenkatheter zu verab- chert werden.) Circa 60 % der benötigten Ener-
reichen, um eine Reizung und Schädigung der gie sollten in Form von Kohlenhydraten verab-
peripheren Venen zu vermeiden. reicht werden. Kohlenhydrate werden nor-
malerweise in Form von Glucose zugeführt.
Eine parenterale Ernährung macht eine (2- bis) Glucose kann in allen Geweben verstoffwech-
! 6-stündliche Kontrolle des Blutzuckers und Urin- selt werden. Bei ausreichender Sauerstoffver-
zuckers sowie eine (6- bis) 12-stündliche Kontrolle sorgung wird Glucose unter Sauerstoffver-
der Elektrolyte sowie eine einmalige Kontrolle pro brauch (aerob) zu CO2 und H2O metabolisiert.
Tag von Triglyceriden, pH-Wert, Blutgasen, Blutbild, (Bei übermäßiger Glucosezufuhr wird Glucose
BUN (= blood urea nitrogen; → S. 374), Harnstoff auch in Glykogen sowie in Triglyceride und Fet-
und Kreatinin sowie bei Leberinsuffizienz auch von te umgewandelt und so als Energielieferant ge-
Ammoniak (NH3) notwendig. Magnesium, Cal speichert.) Die Glucoseaustauschstoffe Fructo-
cium, Phosphat, Albumin und Leberwerte sollten se, Xylit und Sorbit können dagegen nicht von
2- bis 3-mal pro Woche kontrolliert werden. allen Geweben, sondern vor allem von der Le-
ber metabolisiert werden. Von den Glucoseaus-
tauschstoffen dürfen Fructose und auch Sorbit
Kohlenhydrate (das in der Leber zu Fructose umgewandelt
wird) nur dann verabreicht werden, wenn eine
Zu den Kohlenhydraten gehören Glucose, Fruc- Fructose-Intoleranz (1 : 20 000) anamnestisch
tose, Xylit, Sorbit, Stärke und Glykogen. Diese oder anhand eines Fructosetoleranztests ausge-
Substanzen werden ggf. zuerst zu Glucose abge- schlossen ist. Fructose und Sorbit werden daher
baut. Glucose wird dann unter Energiegewin- nur noch sehr selten verwendet. Fructose wird
nung zu CO2 und H2O metabolisiert. (Glucose (unabhängig von Insulin) in der Leber zu Glu-
378 7 Intensivmedizin
cose metabolisiert. Sorbit wird in der Leber in- besondere bei Beginn einer totalen parenteralen
sulinunabhängig über Fructose ebenfalls zu Ernährung kann eine Glucoseverwertungsstö-
Glucose metabolisiert. Die Glucose kann dann rung mit Hyperglykämie auftreten, sodass an-
insulinabhängig in die Zellen aufgenommen fangs meist eine reduzierte Glucosezufuhr sinn-
und verwertet werden. Häufiger kommt noch voll ist. Noch vor wenigen Jahren wurde oft
der Glucoseaustauschstoff Xylit zur Anwen- empfohlen, dass bezüglich der Blutzuckerkon-
dung. Xylit wird zunächst insulinunabhängig zentration während der parenteralen Ernäh-
(v. a. in der Leber) verwertet und in Xylulose rung Werte bis ca. 150–180 mg/dl (aber mög-
umgewandelt und dann (v. a. in der Leber) lichst nicht über ca. 180 mg/dl) akzeptiert
großteils zu Glucose metabolisiert. Die Glucose werden können und dass die Zufuhr von Altin-
wird dann wiederum insulinabhängig in die sulin eher zurückhaltend gehandhabt werden
Zellen aufgenommen und weiter verwertet. Die sollte. Inzwischen ist belegt, dass durch eine
Tagesmaximaldosierung aller 3 Glucoseaus- sog. intensivierte Insulintherapie mit sehr enger
tauschstoffe beträgt 3 g/kg KG. Einstellung der Blutzuckerkonzentration auf
Der Glucosebedarf liegt normalerweise bei ca. ca. 80–110(–150) mg/dl (hierzu reichen meist
3–6 g/kg KG/d. Die Anfangsdosis wird mit 1,5– ≤ 4 IE Insulin/h aus) bei Intensivpatienten eine
2,0 g/kg KG/d angegeben. Die Dosis kann um 1 signifikante Reduktion der Letalität erzielt wer-
g/kg KG/d bis zu einer Maximaldosis von 5(–6) den kann. Es ist aber die Gefahr einer evtl. Hy-
g/kg KG/d gesteigert werden. Bei eingeschränk- poglykämie zu beachten. Diese droht vor allem
ten Stoffwechselbedingungen (z. B. periphere In- dann, falls die Glucosezufuhr unterbrochen
sulinresistenz im Postaggressionsstoffwechsel, sein sollte, die Insulininfusion aber weiter läuft.
Hypoxie) sollten maximal 2–4 g/kg KG/d Glu- Bei einer vermehrten Glucoseaufnahme in die
cose verabreicht werden. Zellen wird auch vermehrt Kalium und Phos-
phat in die Zellen aufgenommen, sodass es häu-
1 g Kohlenhydrate liefert fig zu einem Kalium- und Phosphatmangel im
! ca. 4,0 kcal = 17 kJ. Blut kommen kann (Normalwert für Phosphat:
0,8–1,6 mmol/l).
Glucoselösungen mit bis zu 10 % Glucose dür-
fen über eine periphervenöse Kanüle verab-
reicht werden. Da höherprozentige Glucoselö- Fette
sungen (> 10 %) deutlich hyperton sind
(Glucose 10 %: 500 mOsm; Glucose 70 %: 3 500 Fette (Triglyceride) werden zu freien Fettsäuren
mOsm), dürfen sie nur über einen zentralen gespalten. Diese können unter Energiegewin-
Venenkatheter verabreicht werden (→ S. 185). nung zu CO2 und H2O metabolisiert werden
Glucose wird meist in Form hochprozentiger (oder wieder zum Fettaufbau verwendet und in
(bis 70%iger) Glucoselösungen verabreicht. dieser Form als Energielieferant gespeichert
Glucose wird (zusammen mit Kalium) in die werden). Normalerweise werden ca. 1–1,5(–2)
Zellen aufgenommen. Hierfür ist Insulin not- g/kg KG/d (Kinder bis 3 g/kg KG/d) oder ca.
wendig. Besteht ein Insulinmangel (Diabetes 40 % des gesamten Kalorienbedarfs in Form
mellitus) oder ist die Wirkung von Insulin ver- von 10- oder 20%igen Fettlösungen verabreicht
mindert (Insulinresistenz), was im Rahmen des (z. B. Lipofundin®). Inzwischen werden nicht
Postaggressionsstoffwechsels häufiger der Fall mehr Fettemulsionen der ersten Generation,
ist, dann wird weniger Glucose in die Zellen das heißt nur langkettige Fettsäuren (LCT),
aufgenommen. Es droht ein Anstieg der Blut- sondern Fettemulsionen der zweiten Generati-
zuckerkonzentration (eine Hyperglykämie). Bei on empfohlen, die ein Gemisch aus mittelketti-
Gabe von Glucoselösungen ist die Blutzucker- gen (MCT) und langkettigen (LCT) Triglyceri-
konzentration regelmäßig zu bestimmen. Ins- den (im Verhältnis 1 : 1) darstellen (Lipofundin®
7.3 Künstliche Ernährung 379
MCT). Mittelkettige Triglyceride werden z. B. Bevor die Fettzufuhr gesteigert wird, sollte die
schneller hydrolysiert. MCT enthalten jedoch Triglyceridkonzentration kontrolliert werden.
keine essenziellen Fettsäuren. LCT-Lösungen Kontraindikation für eine Fettzufuhr sind eine
werden aus Sojabohnenöl hergestellt. Die Fett- Hypertriglyceridämie (> 300 mg/dl bzw. 3,1
lösungen enthalten einen hohen Anteil an es- mmol/l), eine schwere Acidose (pH-Wert < 7,2)
senziellen Omega-6-Fettsäuren (die Vorläufer und eine Mikro- oder Makrozirkulationsstö-
für entzündungsfördernde Mediatoren sind) rung (Schock). Eine hyperdyname Sepsis, eine
und einen geringen Anteil an essenziellen Ome- Leberinsuffizienz oder ein akutes Nierenversa-
ga-3-Fettsäuren (die Vorläufer für entzün- gen sind keine Kontraindikationen für die Gabe
dungshemmende Mediatoren sind). Die Relati- von Fettlösungen.
on von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren Täglich sollten fettlösliche Vitamine (z. B.
beträgt in den LCT-Lösungen 1 : 7. Es sollte je- Vitalipid) verabreicht werden (→ S. 381).
doch bei schwerkranken Patienten (z. B. mit
Sepsis) eine Relation von 1 : 3 angestrebt wer-
den. Deshalb sollte bei diesen Patienten zusätz- Proteine
lich Fischöl (das eine hohe Konzentration an
Omega-3-Fettsäuren enthält; z. B. in Form von Die Bausteine der Proteine sind die Aminosäu-
Omegaven; → S. 385) verabreicht werden. In- ren. Im menschlichen Organismus gibt es 20
zwischen liegen auch Fettlösungen vor, die ein verschiedene Aminosäuren, 8 davon sind sog.
Gemisch aus lang- und kurzkettigen Fettsäuren, essenzielle Aminosäuren, die der Organismus
aus Olivenöl und aus Fischöl darstellen (z. B. nicht herstellen kann und die daher mit der
SMOFlipid®, Fa. Fresenius). Diese Lösungen Nahrung aufgenommen werden müssen. La-
bieten sich bei schwerkranken Patienten anstatt gern sich bis zu 100 Aminosäuren zusammen,
der Kombination MCT/LCT-Gemisch plus wird von Peptiden gesprochen, lagern sich mehr
Omegaven® an. Am ersten postoperativen Tag als 100 Aminosäuren zusammen, wird von Pro-
werden normalerweise noch keine Fette zuge- teinen gesprochen.
führt. Am zweiten postoperativen Tag werden
meist nur 0,5 g/kg KG/d verabreicht. Die Dosis Proteine haben zwar einen Brennwert von ca. 4,0
sollte höchstens um 0,25–0,5 g/kg KG jeden Tag ! kcal/g (= ca. 17 kJ), sollten jedoch nicht mit dem
bis zu einer Maximaldosis von 1,5(–2) g/kg Ziel verabreicht werden, als Energieträger zu die-
KG/d gesteigert werden. Fette weisen einen sehr nen. Sie sind für die Synthese von Funktionsprote-
hohen Energiewert auf. inen gedacht.
1 g Fett liefert ca. 9,0 kcal = Proteine sollten daher immer zusammen mit
! ca. 38 kJ (1 kcal = 4,2 kJ). Energieträgern in Form von Kohlenhydraten
und/oder Fettinfusionen verabreicht werden.
Fette sind aufgrund ihrer Wasserunlöslichkeit Proteine werden im Rahmen der parenteralen
nicht osmotisch aktiv (ca. 270 mOsm), führen Ernährung in Form von (meist 10%igen) Ami-
zu keiner Venenreizung und könnten auch über nosäurelösungen in einer Dosierung von
eine dünne periphere Vene verabreicht werden. 1–1,5(–2) g/kg KG/d (bei Kindern bis 2,5 g/
Fettemulsionen sollten möglichst nicht mit kg KG/d) verabreicht, um einen Abbau körper-
Glucose- oder Aminosäurelösungen über einen eigener Proteine (katabole Stoffwechselsituati-
gemeinsamen Zugang verabreicht werden. Bei on) zu vermeiden (Aminosäurelösung, z. B.
einer ungenügenden Verstoffwechselung der Aminofusin® 10 %). Die Anfangsdosis beträgt
zugeführten Fettlösungen droht eine Hyperlipid 0,5–1,0 g/kg KG/d. Die Dosis kann pro Tag um
ämie mit Anstieg des Triglyceridwertes (Nor- bis zu 0,5 g/kg KG bis auf 1,5(–2) g/kg KG ge-
malwert: 50–180 mg/dl bzw. 0,4–2,3 mmol/l). steigert werden. Aminosäurelösungen sind hy-
380 7 Intensivmedizin
perosmolar und sind daher über einen zentra- Flüssigkeit, Elektrolyte, Vitamine
len Venenkatheter zu verabreichen. Bei Vor- und Spurenelemente
liegen einer Niereninsuffizienz oder einer
schweren Leberschädigung (mit verminderter Der Flüssigkeitsbedarf beträgt 30(–40) ml/
Synthese von Gerinnungsfaktoren) ist der Ami- kg KG/d. Damit wird z. B. auch die Perspiratio
nosäurebedarf geringer (bei Leberinsuffizienz insensibilis (Flüssigkeitsverlust über Haut [ohne
0,6–1,0 g/kg KG/d; bei Niereninsuffizienz 0,8– Beteiligung der Schweißdrüsen] und Atmung)
1,4 g/kg KG/d). Es werden dann zum Teil modi- ersetzt. Die Perspiratio insensibilis wird mit 10–
fizierte Aminosäurelösungen verwendet (z. B. 12 ml/kg KG/d und pro Grad Fieber (> 37,5 °C)
Aminosteril® N-Hepa 8 %). „Leberlösungen“ mit zusätzlich 3 ml/kg KG/d angenommen. Bei
enthalten einen geringeren Anteil solcher Ami- einer Erhöhung der Körpertemperatur um je-
nosäuren, die hepatisch metabolisiert werden weils 1 Grad Celcius muss also jeweils ca. 10 %
müssen und einen erhöhten Anteil an Amino- mehr Flüssigkeit pro Tag verabreicht werden. Bei
säuren, die „peripher“ verstoffwechselt werden. intubierten Patienten mit Anfeuchtung des In-
(Die Ammoniakkonzentration darf unter Gabe spirationsgemisches wird die Perspiratio insensi-
dieser „Leberlösungen“ nicht ansteigen.) bilis lediglich mit 50 % veranschlagt. In dem
Inzwischen werden Glucose-, Fett- und Amino- Flüssigkeitsbedarf von 30(–40) ml/kg KG/d ist
säurelösungen meist nicht mehr über einzelne auch berücksichtigt, dass im Stoffwechsel des
separate Infusionsflaschen verabreicht, sondern Organismus ca. 300–400 ml sog. Oxidationswas-
es werden zumeist Mischlösungen, das heißt ser pro Tag anfallen. Falls der Patient schwitzt,
Gesamtnährlösungen (All-in-One-Lösungen) muss diese Perspiratio sensibilis beim Erwachse-
verwendet. Vorteile sind geringerer Arbeitsauf- nen meist mit ca. 1 000 ml/d veranschlagt wer-
wand, geringeres Kontaminationsrisiko und ge- den, diese kann aber bei starkem Schwitzen bis
ringere metabolische Nebenwirkungen. Diese zum ca. 10-fachen dieses Wertes betragen.
Gesamtnährlösungen enthalten Glucose, Fette, Die wichtigsten Elektrolyte sind Natrium, Kali-
Aminosäuren sowie Elektrolyte (z. B. NuTRI- um, Chlorid, Phosphat, Calcium und Magnesi-
flex® Lipid basal). Daneben gibt es auch Kombi- um. Der Basisbedarf folgender Elektrolyte be-
nationslösungen, die nur Kohlenhydrate und trägt (vgl. Tab. 7-4):
Aminosäuren sowie Elektrolyte enthalten (z. B. ● Natrium:
3,5 % oder Aminoven® 3,5 % GE [enthalten (z. B. Mg 5-Sulfat 10 %: 20 ml enthalten 8,1
Glucose, Aminosäuren, Elektrolyte]). mmol Magnesium)
7.3 Künstliche Ernährung 381
Initial wird bei den Elektrolyten zumeist der gesetzt werden darf, ansonsten kommt es zu
Basisbedarf, und – je nach Elektrolytkonzentra- Ausfällungen oder Verfärbungen. Natriumgly-
tion – ggf. eine Nachdosierung verabreicht. cerophosphat darf wiederum calcium- und ma-
Der Vitaminbedarf kann mit Multivitaminprä- gnesiumhaltigen Lösungen nicht zugesetzt wer-
paraten gedeckt werden. Wie hoch der Tagesbe- den.
darf an Vitaminen bei Intensivpatienten ist, ist Inzwischen stehen auch Elektrolytmischkon-
nicht genau bekannt. Wasserlösliche Vitamine zentrate zur Verfügung, die den üblichen Basis-
(B1, B2, B6, B12, C, Folsäure, Biotin, Nicotinsäure, bedarf pro Tag an Elektrolyten und Spuren
Pantothensäure) sollten bereits ab dem ersten elementen enthalten und einer Nährlösung
Tag verabreicht werden, denn sie können kaum zugesetzt werden können.
gespeichert werden und daher sind keine Re- Der früher übliche Zusatz von Heparin zu den
serven vorhanden. Dies kann z. B. durch Gabe Nährlösungen scheint nicht sinnvoll und not-
von 1 Amp. (= 2 ml) Polybion® (= Vitamin-B- wendig zu sein und wurde inzwischen wieder
Komplex) pro Tag erfolgen. Zusätzlich sind 100 verlassen.
mg Vitamin C pro Tag und 2-mal pro Woche 2 Im Rahmen einer totalen parenteralen Ernäh-
mg Folsäure (z. B. Folsäure-Injektopas®) zu sub- rung kann öfter (v. a. bei Lebererkrankungen;
stituieren. Alternativ kann auch ein Kombinati- diabetischer Ketoacidose) eine Hypophosphat
onspräparat, z. B. Soluvit® N, verabreicht wer- ämie auftreten. Während einer längerfristigen
den, das alle wasserlöslichen Vitamine enthält; totalen parenteralen Ernährung kommt es zu-
täglich 1 Ampulle (lichtempfindliches Medika- meist zu einem Anstieg der Cholestaseparame-
ment). Fettlösliche Vitamine (Vitamine A, K, D, ter. Ursache ist die zunehmende Ablagerung
E; z. B. eine Ampulle Vitalipid Infant/-Adult = von Triglyceriden in der Leber, also eine Leber-
10 ml/d) sollten ab dem dritten bis fünften Tag verfettung.
verabreicht werden. Eine sofortige Substitution
(wie bei den wasserlöslichen Vitaminen) ist
nicht notwendig, da sie im Körper gespeichert 7.3.2 Enterale Ernährung
werden können und daher normalerweise Re-
serven (ggf. für Wochen) vorhanden sind. Vit- Die enterale Ernährung (= eE) ist nicht nur
amine sind häufig licht- und sauerstoffempfind- physiologischer als die parenterale Ernährung,
lich und können sich ungeschützt innerhalb sie ist auch komplikationsärmer, billiger und
weniger Stunden zersetzen. einfacher. Die Mortalität lässt sich durch eine
Der Bedarf an Spurenelementen (z. B. Eisen, enterale Ernährung im Vergleich zu einer par-
Zink, Kupfer, Chrom, Fluor, Iod, Cobalt, Man- enteralen Ernährung jedoch nicht senken.
gan, Selen, Molybdän) kann mit z. B. Inzolen®
(0,5[–1,0] ml/kg KG/d) oder Addel® N (1 Am-
pulle = 10 ml/d; nur für Erwachsene) gedeckt Ernährungssonden
werden. Allerdings ist nicht eindeutig geklärt,
wie hoch der tägliche Bedarf an Spurenelemen- Initial ist ggf. eine enterale Ernährung über eine
ten bei Intensivpatienten ist (und welche Spu- Magensonde oder (bei Magenatonie oder Ma-
renelemente essenziell sind). genausgangsstenose, Regurgitations- und Aspi-
Elektrolyte, Vitaminlösungen und Spurenele- rationsrisiko) über eine Duodenalsonde oder
mente können den Glucoselösungen zugesetzt möglichst eine Jejunalsonde notwendig. Eine
werden. Fettlösliche Vitamine (z. B. Vitalipid spezielle Sonde stellt die sog. Trilumensonde
Infant/-Adult) sind den Fettlösungen zuzuset- dar. Diese Sonde verfügt über zwei Schenkel
zen. Zu beachten ist allerdings, dass Inzolen® (ein Belüftungsschenkel), die bis in den Magen
bzw. Addel® N nicht in magnesium- oder reichen, und einen dritten Schenkel, der bis in
kaliumphosphathaltige Infusionslösungen zu- das Jejunum reicht. Diese Sonde wird bei Pati-
382 7 Intensivmedizin
enten mit hohem Reflux angelegt, die dennoch laren, leicht verdaulichen Bestandteilen zusam-
enteral ernährt werden sollen. Sie erhalten die mengesetzt ist und damit keiner Verdauungsen-
Nahrung jejunal. Gastral kann überschüssiges zyme aus Magen und Pankreas bedarf (=
Sekret entleert werden. Astronautenkost), enthält die nährstoffdefinier-
Ist absehbar, dass der Patient auf lange Sicht te Kost hochmolekulare Bausteine, die die voll-
künstlich ernährt werden muss (z. B. in Form ständige Verdauungsleistung erfordern.
einer Palliativmaßnahme), so empfiehlt sich die
Anlage einer PEG-Sonde (PEG = perkutane Hochmolekulare Kost darf aufgrund der mangeln-
endoskopische Gastrostomie). Soll eine Ernäh- ! den Vorverdauung also nicht duodenal bzw. jeju-
rungssonde längere Zeit liegen bleiben, dann nal verabreicht werden. Dies führt sonst zu konti-
sollte keine Sonde aus Polyvinylchlorid (= PVC) nuierlichen Durchfällen, vor allem auch zu einer
verwendet werden, da diese Sonden bald den fehlenden Resorption der benötigten Nahrungs-
Weichmacher verlieren, spröde und hart wer- bestandteile.
den und Drucknekrosen begünstigen. Es sind
dann Sonden aus Polyurethan, Silikonkau- An industriell hergestellten, nährstoffdefinier-
tschuk oder Polyethylen vorzuziehen. Diese ha- ten Diäten (die also über den Magen zu verab-
ben eine gute Gewebeverträglichkeit. reichen sind) stehen Standardlösungen (z. B.
Bei der Magen-, Duodenal-, Jejunal- und Trilu- Nutricomp Standard, Fresubin original®, Fresu-
mensonde ist auf eine sichere Fixierung an der bin original fibre®) sowie Spezialdiäten, das
Nase mit täglichem Pflasterwechsel zu achten. heißt an spezielle Stoffwechselstörungen ange-
Eine PEG-Sonde ist in der Regel angenäht und passte Lösungen (z. B. Nutricomp Diabetes, Nu-
wird mit Desinfektion, Schlitzkompressen und tricomp Hepa, Nutricomp Intensiv, Fresubin
zusätzlichem Pflastersteg versorgt und gesi- hepa®, Survimed® renal) zur Verfügung.
chert. Für Intensivpatienten stehen inzwischen auch
immunmodulierte Lösungen zur Verfügung,
die einen hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren,
Herstellung und Art Glutamin und zum Teil auch an Arginin auf-
der Sondennahrung weisen (vgl. Immunonutrition). Inzwischen
häufig eingesetzte Präparate sind Reconvan®
Sondennahrung kann durch Passieren und Ho- (Fa. Fresenius) und Impact® (Fa. Novartis).
mogenisieren selbst (home made) oder indus An chemisch definierten Diäten (die über eine
triell (sog. Formulardiät) hergestellt werden. Duodenal- oder Jejunalsonde zu verabreichen
Selbst hergestellte Sondennahrung darf nur sind) steht z. B. Nutricomp Peptid oder Survi-
über die Magensonde verabreicht werden, da zu med® OPD zur Verfügung.
deren Resorption die Verdauungsleistung der Die Osmolarität der CDD- bzw. NDD-Lösun-
Magensekrete notwendig ist. Bewährt hat sich gen sollte nicht > 600 bzw. > 450 mOsmol/l be-
jedoch die Verwendung industriell hergestellter tragen.
Sondennahrungen, die eine definierte Zusam- Die Anforderungen an die Zusammensetzung
mensetzung aufweisen. Die industriell herge- der enteralen Ernährung bezüglich Kohlenhy-
stellten Sondennahrungen enthalten auch den draten, Fetten, Proteinen, Vitaminen, Spuren-
Basisbedarf an Vitaminen und Spurenelemen- elementen und Wasser entspricht weitgehend
ten. den Anforderungen, die an die Zusammenset-
Bei der Sondenkost wird unterschieden zwi- zung einer total parenteralen Ernährung gestellt
schen der niedermolekularen, chemisch defi- werden (→ S. 375).
nierten (= CDD) und der hochmolekularen,
nährstoffdefinierten (= NDD) Diät. Während
die chemisch definierte Kost aus niedermoleku-
7.3 Künstliche Ernährung 383
Eine Ernährungspause (z. B. über die Nacht) ist ● Infektion der Einstichstelle der PEG
bei der duodenalen Verabreichung nicht nötig. ● Sondendislokation:
Bei einer pumpengesteuerten Gabe über Ma- Bei Verdacht auf eine Dislokation der Duo-
gensonde oder PEG-Sonde sollte jedoch nachts denal-, Jejunal- oder Trilumensonde kann
eine Verabreichungspause eingehalten werden, der pH-Wert des Sekrets, das über die ent-
damit sich das saure Milieu des Magens mit sei- sprechende Sonde aspiriert wurde, aussage-
ner bakteriostatischen Wirkung wieder regene- kräftig sein. Der duodenale und jejunale pH-
rieren kann. Wert liegt etwa bei einem Wert von 8 (gastral
bei einem Wert von 2). Zeigt sich bei einer
anschließenden Röntgenkontrolle eine Lage-
Komplikationen verschiebung (Dislokation), dann muss die
Duodenal- oder Jejunalsonde meist endo-
Komplikationen der Sondenernährung können skopisch korrigiert werden.
sein: ● druckbedingte Schleimhautschäden durch
● Reflux und „stille“ Aspiration die Sonde (Erosionen oder gar Ulzerationen)
bei mangelnden Schutzreflexen und unzu- ● diabetische Stoffwechselentgleisung
durch zu schnelle Zufuhr, zu schnellen Nah- Absolute Kontraindikationen für eine enterale
rungsaufbau, zu große Mengen, verkeimte Sondenernährung sind akute gastrointestinale
Sondenkost oder falschen Verabreichungs- Blutungen, Ileus und Schock.
weg. Bei Auftreten von Durchfall ist die ente- Relative Kontraindikationen sind akute Pan-
rale Ernährung u. U. einige Tage auszusetzen kreatitis, Peritonitis, unstillbares Erbrechen und
und es sollte nur Tee verabreicht werden längerfristiger Durchfall.
(Teepause). Im Zusammenhang mit der
enteralen Ernährung ist das Dumping-
Syndrom zu beachten (to dump = hinein- 7.3.3 Immunonutrition
plumpsen). Das sog. Früh-Dumping äußert
sich unmittelbar nach der zu raschen In den letzten Jahren wurde wiederholt berich-
Verabreichung hochmolekularer Nahrungs- tet, dass durch eine spezielle enterale oder par-
bestandteile. Dadurch kommt es zu enterale Ernährung u. a. eine Stimulation des
Dehnungsschmerzen und einem schnellen Immunsystems möglich ist. Es wird von einer
Flüssigkeitseinstrom ins Darmlumen mit sog. Immunonutrition gesprochen. Eine Immu-
Blässe, Übelkeit und Schweißausbruch des nonutrition soll vor allem erhöhte Konzentra-
Patienten (bis hin zur Schocksymptomatik). tionen an Glutamin und Omega-(ω-)3-
Beim Spät-Dumping kommt es erst (wenige) Fettsäuren enthalten. Zusätzlich enthält eine
Stunden nach der Gabe schnell resorbierbarer Immunonutritionslösung meist noch (antioxi-
Kost aufgrund einer vermehrten Insulinaus- dative) Vitamine (C, E und β-Carotin), Spuren-
schüttung zu Symptomen einer Hypoglyk- elemente (Selen), Nucleotide und zum Teil Ar-
ämie mit Schwitzen und Kollapsneigung. ginin. Durch eine Immunonutrition soll der
● Sondenverstopfung Verlauf intensivmedizinischer Krankheitsver-
durch mangelndes Nachspülen nach Kost- läufe positiv beeinflusst werden können. Es
oder Medikamentenverabreichung konnte z. B. gezeigt werden, dass bei Patienten
● Sondenfehllage (z. B. im Tracheobronchial- nach einer großen Operation oder mit einer be-
system) ginnenden Sepsis die Mortalität durch Verab-
7.4 Antibiotikatherapie 385
reichung einer solchen angereicherten Sonden- ω-3-Fettsäuren Ausgangssubstanzen für die Bil-
kost u. U. erniedrigt werden kann. Bei einer dung entzündungshemmender (antiinflamm-
schweren Sepsis soll allerdings keine Immuno- atorischer) Substanzen dar. Dagegen sind be-
nutrition durchgeführt werden. stimmte ω-6-Fettsäuren Ausgangssubstanzen
von entzündungsfördernden (proinflammatori-
schen) Substanzen. Durch zusätzliche Gabe von
Glutamin Fischöl, das höhere Konzentrationen an ω-3-
Fettsäuren enthält, kann eine Optimierung des
Die Aminosäure Glutamin scheint für die Sti- Verhältnisses von ω-3-Fettsäuren zu ω-6-
mulation der Immunkompetenz und die Auf- Fettsäuren bei der parenteralen oder enteralen
rechterhaltung der intestinalen Abwehrfunkti- Ernährung erreicht werden. Idealerweise scheint
on wichtig zu sein. Der Glutaminbedarf ist bei dieses Verhältnis (ω-3- zu ω-6-Fettsäuren) 1 : 2
Intensivpatienten deutlich erhöht. Die körper- bis 1 : 4 betragen. Durch eine zusätzliche Gabe
eigene Bildung von Glutamin kann daher bei von ω-3-Fettsäuren im Rahmen der enteralen
einer längerfristigen Intensivbehandlung unzu- Ernährung konnten bei Patienten, die an einem
reichend werden. Es kann dadurch zu einer sepsisbedingten ARDS litten, die Beatmungspa-
Entleerung des Glutaminspeichers kommen. rameter signifikant verbessert, die Beatmungs-
Aus der eigentlich nicht essenziellen Amino- dauer und der Intensivaufenthalt verkürzt und
säure Glutamin wird unter diesen Bedingungen das Risiko eines zusätzlichen Organversagens
eine essenzielle Aminosäure die zum Teil von signifikant vermindert werden.
extern zugeführt werden muss. Seit einigen Jah- Für die parenterale Gabe von ω-3-Fettsäuren
ren wird daher die zusätzliche Gabe von Glut- kann z. B. Omegaven® (Fa. Fresenius) verab-
amin im Rahmen der enteralen Ernährung reicht werden. Es wird empfohlen, dass ca. 10–
von Intensivpatienten propagiert. In einzelnen 20 % der Gesamtfettzufuhr (= 0,1 – maximal 0,2
Studien konnten durch die zusätzliche Glut- g pro kg KG/d) als Fischöl verabreicht werden
aminzufuhr günstige Auswirkungen auf Im- sollte (z. B. 1–2 ml/kg KG Omegaven®).
munkompetenz, infektiöse Komplikationen,
gastrointestinale Funktion, Dauer des Kranken-
hausaufenthaltes und die Überlebensrate nach- Lösungen
gewiesen werden. Inzwischen konnte gezeigt
werden, dass auch nach parenteraler Gabe von An parenteralen immunstimulierenden Ernäh-
Glutamin diese Effekte erzielbar sind. rungslösungen mit erhöhter Konzentration an
Durch die zusätzliche parenterale Gabe von 0,2 Glutamin und ω-3-Fettsäuren steht z. B. Nutri-
g/kg KG/d Glutamin konnte das Langzeitüber- comp® Immun (Fa. Braun) zur Verfügung.
leben nach 6 Monaten signifikant verbessert An enteralen immunstimulierenden Ernäh-
werden. Die positive Wirkung war jedoch nur rungslösungen stehen z. B. Impact® (Fa. Novar-
bei Patienten nachweisbar, die länger als 9 Tage tis) oder Reconvan® (Fa. Fresenius Kabi) zur
künstlich ernährt wurden. Für die parenterale Verfügung.
Gabe von Glutamin kann z. B. Dipeptamin®
(1,5–2 ml/kg KG/d) verabreicht werden.
7.4 Antibiotikatherapie
Omega-(ω-)3-Fettsäuren (Fischöl)
Antibiotika sind neben herz- und kreislauf-
Den ω-3-Fettsäuren wird eine entzündungs- wirksamen Medikamenten die am häufigsten
hemmende und immunmodulierende Wirkung auf der Intensivstation eingesetzten Medika-
nachgesagt. Beispielsweise stellen bestimmte mente.
386 7 Intensivmedizin
Tab. 7-5 (Fortsetzung)
Gruppe Wirkstoff Handelsname Dosierung (Hochdosis)
(Beispiele)
Makrolide
Erythromycin Erythrocin® 4 × 1 g
Clarithromycin Klacid ®
2 × 500 mg
Azithromycin Zithromax® 1 × 500 mg
Glykopeptide
Vancomycin Vancomycin CP Lilly® 2 × 1 g
Teicoplanin Targocid ®
initial 2 × 400 mg
dann 1 × 400 mg
Aminoglykoside
Amikacin Biklin® 3 × 5 oder 2 × 7,5 mg/kg KG
Gentamicin Refobacin ®
1 × 3–4 mg/kg KG
Netilmicin Certomycin ®
1 × 3–4 mg/kg KG
Tobramycin Gernebcin ®
1 × 3–4(–5) mg/kg KG
Weitere
Oxazolidinone Linezolid ZYVOXID® 2 × 600 mg
Lincosamide Clindamycin Sobelin ®
3 × 600 mg
Streptogramine Quinupristin/Dalfo- Synercid ®
3 × 7,5 mg/kg KG
pristin
Chloramphenicol Chloramphenicol Paraxin® 80 mg/kg KG/d
Ansamycine Rifampicin Eremfat , Rifa
® ®
1 × 10 mg/kg KG, max.
900 mg
Nitroimidazole Metronidazol Infectoclont® 3 × 500 mg
Fosfomycine Fosfomycin InfectoFos® 3 × 5 g
Die angeführten Dosierungen stellen hohe Dosierungen für schwere Infektionen (z. B. Sepsis) dar. Anstatt der ange-
führten fixen Kombinationen aus Aminopenicillin/BLI bzw. Acylaminopenicillin/BLI können auch Aminopenicillin bzw.
Acylaminopenicilline frei mit einem BLI-Präparat (Sulbactam; Combactam®) kombiniert werden.
Präparate der Gruppe 2 (z. B. Ciprofloxacin, sollten nur bei nachgewiesener Wirksamkeit
Ciprobay®) wirken gut gegen gramnegative gegen Pneumokokken, Streptokokken, Hae-
Bakterien (z. B. Enterobakterien), schwächer mophilus influenzae und Escherichia coli ein-
gegen grampositive Erreger (z. B. Staphylo- gesetzt werden, da häufig diese Erreger gegen
kokken). Außerdem sind sie gut wirksam ge- Tetracycline resistent sind. Tetracycline wir-
gen Pseudomonas aeruginosa. Präparate der ken gut gegen „atypische“ Erreger (Legio-
Gruppe 3 (z. B. Levofloxacin; Tavanic®) wei- nellen, Chlamydien, Mykoplasmen). Tetra-
sen zusätzlich noch eine verbesserte Wirkung cycline haben im Bereich der Intensivmedizin
gegen grampositive Bakterien und „atypische“ keine relevante Bedeutung.
Erreger (Chlamydien, Legionellen, Mykoplas- ● Lincosamide (z. B. Clindamycin; Sobelin )
®
men) auf. Präparate der Gruppe 4 weisen eine Clindamycin wird vor allem gegen anaerobe
noch bessere Wirkung gegen grampositive und gegen grampositive Bakterien einge-
Erreger auf, einschließlich Pneumokokken. setzt. Bei Auftreten von Durchfall sollte die
Sie erfassen fast alle ambulant erworbenen Therapie abgesetzt werden.
Erreger von Atemwegsinfekten. Sie wirken ● Sulfonamide
auch gut gegen „atypische“ Erreger. Zur Anwendung kommt meist ein Sulfonamid
● Aminoglykoside (z. B. Gentamicin; Refo- plus Trimethoprim = Co-trimoxazol (z. B.
bacin®) Sulfamethoxazol plus Trimethoprim; Eusa-
wirken gegen gramnegative aerobe Bakteri- prim®). Es wird vor allem bei AIDS-Patienten
en (auch Pseudomonas aeruginosa) und En- oder anderen immungeschwächten Patienten
terokokken. Nebenwirkungen: Schädigung eingesetzt, falls eine Pneumonie durch Pneu-
der Nierentubuli, Schädigung des VIII. Hirn- mocystis-carinii-Erreger auftritt. Auch bei be-
nerven (Plasmakonzentrationsbestimmun- stimmten Harnwegsinfekten oder Atemwegs-
gen sind sinnvoll). Aminoglykoside sollten infekten kommt es zur Anwendung.
nur einmal pro Tag verabreicht werden. Es
sind Plasmakonzentrationsbestimmungen
(Talspiegelkontrollen) durchzuführen. Ami- 7.4.2 Bakteriologische
noglykoside sollten im Kombination mit ei- Untersuchungen
nem β-Lactam-Antibiotikum (= Antibiotika,
die einen β-Lactam-Ring enthalten: Penicil- Um eine evtl. bakterielle Besiedlung des Patien-
lin, Cefalosporine, Carbapeneme) oder ei- ten nachzuweisen oder auszuschließen, werden
nem Fluorchinolon verabreicht werden. wiederholt folgende Proben entnommen und
● Glykopeptide (z. B. Vancomycin; Vancomy- zur Untersuchung in ein mikrobiologisches Ins
cin CP Lilly® – Teicoplanin; Targocid®) titut geschickt:
wirken gut gegen grampositive Kokken, auch ● Urin
– Clarithromycin; Klacid )
®
(Nachweis von methicillin-[multi-]resisten-
sind gut wirksam gegen Pneumokokken, tem Staphylococcus aureus? → S. 152)
Streptokokken, Chlamydien, Mykoplasmen ● u. U. Liquor
und Legionellen.
● Tetracycline (z. B. Doxycyclin; z. B. Doxy- Bei der Entnahme von Tracheobronchialsekret
cyclin-ratiopharm) wird zwischen Absaugschlauch und Absaug-
390 7 Intensivmedizin
lendioxid (CO2) und Wasser (H2O). Die Koh- Herkunft der Wasserstoffionen
lensäure kann als schwächere Säure Wasserstoff
ionen abgeben. Die meisten Säuren entstehen im Stoffwechsel,
ein Teil stammt aus der Nahrung. Aus dem Ab-
H CO → H+ + HCO3– bau der Kohlenhydrate gehen große Mengen
! (Kohlen-
2 3
(Wasser- (Bicar- Kohlendioxid (CO2) hervor (ca. 20 000 mmol/d).
säure) stoffion) bonation) Unter körperlicher Arbeit kann sogar bis zu 10-
mal mehr CO2 entstehen. Dies führt zu einer
Verschiebung des Säure-Basen-Milieus zur sau-
Basen ren Seite.
Basen sind Substanzen, die in wässriger Lösung
Wasserstoffionen (H+) aufnehmen. ! CO2 + H2O s H2CO3 s H+ + HCO3–
Eine der wichtigsten Basen im Körper ist das Die Kohlensäure wird als sog. flüchtige Säure
Bicarbonat. über die Lungen ausgeatmet. Daneben entste-
hen geringe Mengen an nicht flüchtigen (fixen)
HCO – + H+ → H2CO3 Säuren (ca. 40–60 mmol H+/d). Diese müssen
! (Bicar-
3
(Wasser- (Kohlen- über die Nieren ausgeschieden werden. Zum
bonation) stoffion) säure) Teil werden mit der Nahrung saure Substanzen,
also H+-Ionen, zugeführt. Ebenso werden bei
körperlicher Arbeit in den Muskelzellen saure
pH-Wert Stoffwechselprodukte, insbesondere Milchsäure
(Lactat), freigesetzt.
Der pH-Wert ist ein Maß für die H+-Ionen-Konzen-
tration (negativ genommener 10er-Logarithmus
der H+-Ionen-Konzentration). Beispiel: pH-Wert 7.5.2 Regulation
von 7,4 bedeutet eine H+-Ionen-Konzentration
von 10–7,4. Der Normalwert für den pH-Wert be- Der Organismus verfügt über Kompensations-
trägt: 7,4 ± 0,04 (7,36–7,44). mechanismen, um evtl. Störungen entgegen
zuwirken und den pH-Wert konstant zu hal-
Der physiologische pH-Wert wird durch die ten. Zu diesen Kompensationsmechanismen
fortlaufend im Stoffwechsel entstehenden Säu- gehören Puffersysteme, Lungen, Nieren und Le-
ren und Basen gefährdet. Es droht entweder ber.
eine zu hohe Wasserstoffionenkonzentration
(Acidose, Abfall des pH-Wertes unter 7,36)
oder eine zu niedrige Wasserstoffionenkonzen- Puffersysteme im Intra-
tration (Alkalose, Anstieg des pH-Wertes über und Extrazellulärraum
7,44). Beide Störungen beeinträchtigen glei-
chermaßen die Funktion der Organe. Bei einem Überangebot an Säuren und Basen
setzen zunächst die Kompensationsvorgänge
Acidose: der Pufferung ein.
! pH < 7,36 (hohe H+-Ionen-Konzentration)
Alkalose:
Als Pufferlösungen werden Stoffgemische be-
pH > 7,44 (niedrige H+-Ionen-Konzentration) zeichnet, die bei Zugabe einer Säure oder Base
saure oder basische Valenzen abfangen und che-
misch binden. Dadurch wird der pH-Wert (Wasser-
392 7 Intensivmedizin
stoffionenkonzentration) der Pufferlösung nicht Fällt die CO2-Konzentration durch vermehrte
wesentlich verändert. Pufferlösungen bestehen Atmung wieder ab, so steigt der pH-Wert an, da
aus dem Gemisch einer schwachen Säure mit die Wasserstoffionenkonzentration abnimmt.
einem ihrer Salze oder aus dem Gemisch einer Diese Veränderungen werden anhand der fol-
schwachen Base mit einem ihrer Salze. genden Gleichung nochmals deutlich:
● Proteinpuffersystem
● Phosphatpuffersystem Niere
Die Pufferkapazität des Blutes wird zu gleichen Die Regulationen durch Ausscheidung saurer
Teilen von den Bicarbonatpuffern und den oder basischer Stoffwechselprodukte durch die
Nichtbicarbonatpuffern abgedeckt. Der Hämo- Niere kommen erst langsam zur Wirkung. Sie
globinpuffer hat einen Anteil von 80 % an den sind deshalb besonders für chronische Störun-
Nichtbicarbonatpuffern. gen des Säure-Basen-Haushalts von Bedeu-
Von den Puffersystemen im Plasma ist der Koh- tung. Durch die verschiedensten chemischen
lensäure-Bicarbonat-Puffer von großer klini- und biologischen Austauschvorgänge an der
scher Bedeutung, da er sich durch die Labor- Tubuluszelle kommt es bei einem Überangebot
analyse leicht erfassen lässt. Er wird durch die an sauren Substanzen zu einem vermehrten
Bestimmung der Standardbicarbonatkonzen- Ausscheiden von H+-Ionen durch die Nieren.
tration überwacht. Mit dieser Ausscheidung von H+-Ionen ist die
Niere gleichzeitig in der Lage, die für den Kör-
per notwendigen Basen (v. a. Bicarbonat) zu-
Lunge rückzuhalten.
Über die Nieren können also mehr oder weni-
Der weitaus größte Anteil der Säureausschei- ger H+-Ionen ausgeschieden bzw. es kann mehr
dung erfolgt durch Abgabe von flüchtigem CO2 oder weniger Bicarbonat rückresorbiert wer-
über die Lungen. Das als Endprodukt des Stoff- den.
wechsels in den Zellen reichlich anfallende CO2
diffundiert ins Blut und wird über die Lunge ab-
geatmet. Leber
Ein Anstieg des CO -Partialdrucks im Blut bzw. ein Auch die Leber spielt bei der Regulation des
! pH-Abfall aufgrund2 der vermehrt gebildeten Koh- Säure-Basen-Haushalts eine wichtige Rolle. Im
lensäure stimuliert das Atemzentrum und bewirkt Körper entstehen täglich 50–80 mmol nicht
eine Zunahme der Atemfrequenz und Atemtiefe. flüchtige Säuren, z. B. Milchsäure (Lactat) und
Dies führt zu einer vermehrten CO2-Abgabe über Ammoniumionen (NH4+). Die Leber kann Lac-
die Lunge. tat metabolisieren. Ammoniumionen (NH4+;
die eine schwache Säure darstellen) und Bicar-
7.5 Säure-Basen-Haushalt 393
sind: 7,38
● respiratorische Acidose ● pCO :
2
● respiratorische Alkalose 46 mm Hg = 6,1 kPa
394 7 Intensivmedizin
● pO2: Therapie
40 mm Hg = 5,3 kPa Akute respiratorische Acidosen müssen respi-
● O -Sättigung: ratorisch (!) behandelt werden durch Steigerung
2
75 % der Ventilation, z. B. durch assistierte oder kon-
● Standardbicarbonatkonzentration: trollierte Beatmung.
24–28 mmol/l
● Basenabweichung (= base excess):
Eine respiratorische Alkalose bedeutet einen er-
Respiratorische Acidose niedrigten pCO2 aufgrund einer gesteigerten CO2-
Ausscheidung der Lunge (Hyperventilation).
Bei der respiratorischen Acidose handelt es sich
um einen erhöhten paCO2-Wert aufgrund einer Ursachen
verminderten CO2-Abatmung über die Lungen ● Hyperventilation (psychisch bedingte Hy-
(Hypoventilation). perventilation), kontrollierte Hyperventilati-
on, z. B. bei Patienten mit Schädel-Hirn-
Ursachen Trauma
Die wichtigsten Ursachen der respiratorischen ● falsche Einstellung des Respirators
● zentrale Atemdepression
spielt die Niere die wichtigste Rolle. Sie steigert oberer Normalbereich
die H+-Ionen-Ausscheidung mit dem Urin und ● pCO :
2
fördert die Bicarbonatbildung. Hierdurch wird < 35 mm Hg = < 4,7 kPa
der pH-Abfall kompensiert, allerdings nicht ● Standardbicarbonatkonzentration:
> 25 mmol/l
7.5 Säure-Basen-Haushalt 395
Metabolisch bedingte Störungen Wert von 7,4 bei einem pCO2 von 40 mm Hg (5,3
kPa) und einer Temperatur von 37 °C erforderlich
Alle nicht respiratorisch bedingten Abweichungen ist. Der BE wird nicht vom pCO2 beeinflusst.
der Wasserstoffionenkonzentration vom Normal- Ein Überschuss an Basen wird als positiver BE,
bereich werden als metabolische Störungen be- ein Mangel an Basen als negativer BE bezeich-
zeichnet. Es wird zwischen metabolischer Acido- net (sprachlich richtig wäre die Bezeichnung: po-
se und metabolischer Alkalose unterschieden. sitive bzw. negative Basenabweichung).
● Hungeracidose
auch vom CO2, also dem respiratorischen Para- Ein Verlust von Bicarbonat entsteht durch:
meter, beeinflusst. ● Verlust von Pankreassaft
● Durchfälle
● Standardbicarbonatkonzentration: Ursachen
< 21 mmol/l Verlust von Wasserstoffionen z. B. durch:
● base excess: ● Verlust von saurem Magensaft (Erbrechen,
sion führen. Es ist daher bei Patienten mit einer oberer Normalbereich
Ateminsuffizienz abzulehnen. Kontraindiziert ● Standardbicarbonatkonzentration:
> +3 mmol/l
● pCO :
2
Metabolische Alkalose > 45 mm Hg = > 6 kPa
Einer metabolischen Alkalose liegt ein Überschuss Therapie
an Bicarbonat und ein positiver base excess (+BE) Metabolische Alkalosen werden metabolisch
zugrunde. korrigiert, nicht respiratorisch.
7.6 Blutgasanalyse 397
Liegt eine diuretikabedingte Alkalose vor, dann versorgenden Arterien gehen aus dem präduk-
! bietet sich die Gabe von KCl und NaCl an, um den talen Bereich des Aortenbogens ab.
auslösenden K+- und Cl–-Mangel auszugleichen.
Bei der Abnahme einer BGA ist zu beachten, dass
Erst sehr schwere metabolische Alkalosen (pH- ! ein Schreien des Kindes zu einem schnellen Abfall
Wert > 7,55) müssen durch die Gabe von ver- des pO2-Wertes führt und eine unter solchen Be-
dünnter (0,1 molarer) Salzsäure (HCl) korri- dingungen abgenommene Probe mit Vorbehalt zu
giert werden. Säurebedarf in mmol/l = BE × 0,3 interpretieren ist.
× kg KG (0,1 molare HCl enthält 100 mmol/l).
HCl muss über einen zentralvenösen Zugang Anhand einer Blutgasanalyse können die Oxy-
verabreicht werden. genierung, die Ventilation und der Säure-Ba-
sen-Haushalt überprüft werden. Für das Neuge-
borene wird ein paO2 von 60–80 mm Hg
7.6 Blutgasanalyse (8,0–10,7 kPa) empfohlen, für den Erwachse-
nen ein paO2 knapp über 100 mm Hg (vgl. Tab.
7-6).
7.6.1 Abnahme der Blutprobe
Eine zuverlässige Beurteilung der Blutgase pO
Die Blutgasanalyse als invasives Verfahren ist nur ! und pCO ist nur im arteriellen oder arterialisier-2
! punktuell möglich. Punktionsort der Wahl ist die 2
ten Blut möglich.
Arteria radialis. Aus zentral- oder gemischtvenösem Blut bestimm-
te BGAs sind speziellen Fragestellungen vorbehal-
Bei Kindern kann stellvertretend arterialisier- ten (→ S. 202). Metabolische Parameter des Säu-
tes Kapillarblut, z. B. aus der hyperämisierten re-Basen-Haushalts können dagegen auch im ve-
Fingerbeere, Ferse oder dem Ohrläppchen ver- nösen Blut bestimmt werden.
wendet werden. Zuverlässige Ergebnisse sind
bei einer kapillären BGA nur zu erwarten, wenn
das Blut ohne übermäßiges Pressen der Ferse
oder des Fingers leicht in die Kapillare eintritt Tab. 7-6 paO2-Werte (in Abhängigkeit vom Alter)
und keine Kreislaufstörung oder Hypothermie
vorliegt. Alter paO2 unter Atmung von Raumluft
Wird bei einem Neugeborenen eine arterielle 3–5 h ca. 60 mm Hg (8,0 kPa)
BGA abgenommen, so ist die rechte Arteria ra- 6–24 h ca. 68 mm Hg (9,1 kPa)
dialis Punktionsort der Wahl. Hier lässt sich 25–48 h ca. 73 mm Hg (9,7 kPa)
Blut aus dem sog. präduktalen Bereich (d. h. vor
Einmündung des Ductus arteriosus Botalli in 3–4 d ca. 78 mm Hg (10,4 kPa)
den Aortenbogen) gewinnen; dies ist von Be- 5–10 d ca. 80 mm Hg (10,7 kPa)
deutung, falls der Ductus arteriosus (Ductus 11–40 d ca. 78 mm Hg (10,4 kPa)
Botalli; eine für den Feten wichtige Gefäßver-
1–10 Mo. ca. 85 mm Hg (11,3 kPa)
bindung zwischen Pulmonalarterie und Aor-
tenbogen, die sich nach der Geburt normaler- 1–8 J. ca. 90 mm Hg (12,0 kPa)
weise bald verschließt) noch offen sein sollte 10–20 J. ca. 96 mm Hg (12,8 kPa)
und hierüber ein Rechts-links-Shunt besteht. 40 J. ca. 92 mm Hg (12,3 kPa)
Für den Bereich des Kopfes (Gehirn/Auge) ist
60 J. ca. 83 mm Hg (11,1 kPa)
die präduktale paO2-Spannung von Bedeutung,
denn die das Gehirn (und den rechten Arm) 80 J. ca. 75 mm Hg (9,5 kPa)
398 7 Intensivmedizin
● intravasale Gerinnsel-(Thrombose-)Bildung
Punktionsorte ● Hämatom
keit. Neben der klinischen Überwachung (Haut- Bei der EKG-Ableitung werden die während
farbe, Kapillardurchblutung, Rekapillarisie- der Depolarisation und Repolarisation der
rungszeit) ist insbesondere die apparative Herzmuskulatur auftretenden Ströme über
Überwachung von EKG, arteriellem Blutdruck Hautelektroden gemessen. Für die Routine-
und zentralem Venendruck (ggf. pulmonalarte- überwachung reicht meist die Brustwandablei-
riellem Druck und pulmonalkapillärem Ver- tung mit 3 Elektroden. Diese sind folgenderma-
schlussdruck) wichtig. ßen zu platzieren:
● rot:
R QT
T
P
U
a
QS
PQ QRS ST
SVES
c
kleine negative Q-Zacke, die bei Vorliegen eines brechung eines vagalen Reizes (z. B. Laryngo-
alten Herzinfarkts zumeist vergrößert ist. Nach skopie, Bronchoskopie). Ist dies nicht möglich,
der R-Zacke tritt die kleine negative S-Zacke so muss – falls die Herz-Kreislauf-Funktion be-
auf. Q-, R- und S-Zacken werden zusammen als einträchtigt ist – eine symptomatische Behand-
QRS-Komplex bezeichnet. Die Bezeichnung lung (Atropin, Orciprenalin, Schrittmacheran-
dieser Zacken stellt eine willkürlich entnomme- lage o. Ä.) durchgeführt werden.
ne Reihe aus dem Alphabet (P, Q, R, S, T, U) dar
(Abb. 7-7a). Extrasystolen
Bei einer Extrasystole handelt es sich um eine
verfrüht auftretende elektrische Erregung des
Häufige Veränderungen des Herzrhythmus Herzens. Je nachdem, von welcher Stelle der Herz-
muskulatur der elektrische Reiz ausgeht, wird von
Sinustachykardie einer supraventrikulären oder ventrikulären
EKG-Kurve mit erhöhter Frequenz über 100 Extrasystole gesprochen.
Schlägen/min beim Erwachsenen. Ursächlich
kommen infrage: Eine supraventrikuläre Extrasystole hat ihren
● intravasaler Volumenmangel Ursprung im Bereich der Vorhöfe (oder des AV-
● Fieber Knotens), das heißt in der Nähe des Sinuskno-
● Schmerz tens. Der QRS-Komplex ist bei einer supraven-
● Stress trikulären Extrasystole daher gleich konfiguriert
● Hyperthyreose wie bei einer normalen Sinuserregung. Norma-
● Atropingabe lerweise sind lediglich die P-Zacke sowie der
● Adrenalingabe (Suprarenin ) Abstand zwischen P- und Q-Zacke verändert
®
Vorhofflimmern
Beim Vorhofflimmern handelt es sich um eine vor-
übergehende oder langfristige Herzrhythmusstö-
rung mit ungeordneter Vorhoferregung. Anstatt
den P-Wellen treten nur Vorhofflimmerwellen mit
wechselnder Größe, Gestalt und Frequenz auf, die
sich kaum von der isoelektrischen Linie abheben.
Unregelmäßig kommt es zur Erregung der Kam-
mern, es tritt eine absolute Arrhythmie auf.
meist eine Rippenserienfraktur oder eine der Alveolen zu interpretieren ist. Bei krankhaf-
partielle Verlegung der oberen Luftwege, z. B. ten Prozessen sind häufig sog. Rasselgeräusche
durch die beim bewusstlosen Patienten zu- (meist nur als RG bezeichnet) zu auskultieren
rückgefallene Zunge. (= Auskultation = Abhorchen).
● Wie ist die Oxygenierung des Patienten? Trockene RG werden auch als Giemen und
Insbesondere am Nagelbett ist eine Zyanose Brummen bezeichnet. Sie entstehen durch zä-
frühzeitig zu erkennen. Mindestens eine hes Sekret in den großen Luftwegen und sind
Hand des Patienten sollte daher stets aufge- z. B. typisch für eine Bronchitis oder für den in-
deckt liegen. Ist eine Zyanose erkennbar, so tubierten Patienten, der wieder endobronchial
handelt es sich allerdings bereits um eine abgesaugt werden muss.
ausgeprägte Hypoxämie. Eine Zyanose ist Feuchte RG sind wesentlich schwieriger zu aus-
normalerweise erst bei einer arteriellen Sät- kultieren und klingen, als wenn mit einem
tigung von ca. 80 % zu erkennen, das ent- Strohhalm in ein volles Wasserglas geblasen
spricht beim Erwachsenen einem paO2 von wird. Feuchte RG entstehen, wenn die kleinen
ca. 50 mm Hg (6,6 kPa). Luftwege mit Flüssigkeit gefüllt sind und die
Luft hindurchgeblasen wird.
Befindet sich Flüssigkeit in den Alveolen, so
Palpation entstehen kleine Luftblasen, falls Luft durch die
Flüssigkeit strömt. Es wird dann von feinblasi-
Durch Auflegen der flachen Hände (= Palpation gen RG gesprochen. Sie sind typisch für ein
= Tastuntersuchung) auf jeweils eine Tho- Lungenödem oder eine Pneumonie.
raxflanke kann die Seitengleichheit der Atem- Mittelblasige RG entstehen in den kleineren,
bewegungen abgeschätzt werden. Bei einem grobblasige RG in den größeren Bronchien.
Hautemphysem kann ein typisches Schneeball- Ein anderes wichtiges Krankheitsmerkmal sind
knirschen getastet werden. Ursache kann ein abgeschwächte oder fehlende Atemgeräusche.
Bronchialeinriss sein. Stets muss dann ein Sie sprechen für einen Erguss oder einen Häma-
Pneumothorax ausgeschlossen werden. tothorax. Häufig lässt sich ein abgeschwächtes
Atemgeräusch beim sitzenden Patienten nur
über den unteren Lungenpartien, beim liegen-
Perkussion den Patienten nur an der Flanke und vor allem
auf dem Rücken feststellen. Die Flüssigkeit, die
Bei der Perkussion (= Untersuchung durch Be- für die Dämpfung meist verantwortlich ist, folgt
klopfen der Körperoberfläche) können vor allem den Gesetzen der Schwerkraft. Eine weitere Ur-
Seitendifferenzen zwischen rechter und linker sache für ein abgeschwächtes Atemgeräusch
Lunge erkannt werden. Ein einseitiger dumpfer kann eine Atelektase sein.
Klopfschall (wie beim Perkutieren der Ober-
schenkel = Schenkelschall) spricht für einen Er-
guss, einen Hämatothorax oder eine schwere
Pneumonie. Ein hypersonorer Klopfschall (wie
Apparative Überwachung
beim Beklopfen einer leeren Schachtel = Schach-
telschall) spricht für einen Pneumothorax. Atemfrequenzmonitor
Die endexspiratorische CO2-Messung (Kapno- Hierzu wird ein Klippsensor z. B. an einem Fin-
metrie) ist neben der punktuellen Blutgasanaly- ger oder an einem Ohrläppchen festgeklemmt.
se die zuverlässigste Möglichkeit zur Ventilati- Die pulsoxymetrisch gemessenen Sättigungs-
onskontrolle. Bei der Kapnometrie im Haupt- werte stimmen sowohl im Kindesalter als auch
406 7 Intensivmedizin
Während eine Hypoxämie mit dem Pulsoxymeter Die Messgenauigkeit der transkutanen Sauer-
! sofort und zuverlässig erkannt werden kann, ist ! stoffspannung ist jedoch sehr stark von der Haut-
die Erkennung eines zu hohen Sauerstoffpartial- durchblutung abhängig.
drucks nicht möglich.
Bei Hypothermie, bei Hypovolämie, bei einer
Bei einer arteriellen Sättigung von 97–99 % Abnahme des HMV, auch schon bei Druck auf
kann (aufgrund der S-förmigen Sauerstoffdis- die Elektrode oder bei Veränderungen der Haut
soziationskurve) nicht erkannt werden, ob der ist die Sauerstoffspannung in der Haut wesent-
paO2 100 mm Hg (13,3 kPa) oder z. B. 500 lich niedriger als der arterielle paO2. Die trans-
mm Hg (66,6 kPa) beträgt (vgl. Abb. 7-9). kutane pO2-Messung spiegelt in diesen Fällen
Bei Früh- und Neugeborenen wird empfohlen, die Güte der Hautdurchblutung wider.
eine Sättigung von ca. 95 % anzustreben. Damit Nachteile sind das zeitaufwendige Anbringen
können ein zu hoher paO2 und die Gefahr einer und Kalibrieren der Elektroden sowie die ca.
retrolentalen Fibroplasie vermieden werden. 10-minütige Stabilisierungsdauer. Außerdem
müssen die Elektroden spätestens alle 4 Stun-
den gewechselt und neu kalibriert werden, da-
Transkutane Sauerstoffmessung mit es durch die auf 43–44 °C beheizte Elektro-
de nicht zu Hautverbrennungen kommt.
Mithilfe der transkutanen Sauerstoffmessung Die transkutane pO2-Messung hat sich auf neo-
kann kontinuierlich die Sauerstoffspannung in der natologischen Intensivstationen bewährt, nicht
Haut gemessen werden. jedoch in der Erwachsenenmedizin.
präduktale Sauerstoffspannung (→ S. 397) er- abhängig als die transkutane pO2-Messung und
fasst werden. liefert auch im Schock bei relativ schlechter Haut-
durchblutung noch akzeptable Werte.
7.7 Überwachung des Intensivpatienten 407
Nachteil der Methode ist das zeitaufwendige tigsten Überwachungsmaßnahmen eines schä-
Anbringen und Kalibrieren des Sensors. Außer- del- und hirnverletzten Patienten. Eine Verände-
dem ist die Anschlagzeit relativ träge (bis 60 s), rung der Bewusstseinslage ist der beste Indikator
weshalb akute Ventilationsstörungen unter Um- für eine Verbesserung bzw. Verschlechterung
ständen nicht rechtzeitig erkannt werden kön- der Gehirnfunktion. Eine plötzliche klinische
nen. Die Methode ist der Kapnometrie (→ S. Verschlechterung legt den Verdacht auf eine Er-
405) unterlegen. Es sind auch kombinierte Sen- höhung des intrakraniellen Drucks, z. B. auf-
soren zur transkutanen O2- und CO2-Messung grund einer Zunahme eines Hirnödems oder
verfügbar. Auch die transkutane CO2-Messung aufgrund eines epiduralen, subduralen oder in-
kommt üblicherweise nur in der neonatologi- trazerebralen Hämatoms, nahe.
schen Intensivmedizin zum Einsatz.
Da der Bewusstseinsgrad mit apparativen Über-
! wachungsmaßnahmen nicht sicher erkannt wer-
7.7.4 Säure-Basen-Haushalt den kann, kommt der engmaschigen klinischen
und Blutgase Überwachung der Patienten besondere Bedeu-
tung zu.
Die Abnahme von Blutproben zur Bestimmung
des Säure-Basen-Haushalts und der Blutgase Vor allem dem Pflegepersonal fällt die entschei-
sowie die Interpretation der entsprechenden dende Aufgabe zu, Veränderungen sofort zu
Resultate sind auf den Seiten 390 ff. ausführlich erkennen. Solche Änderungen müssen umge-
dargestellt. hend dem zuständigen Arzt mitgeteilt werden.
(→ auch: Spezielle Krankheitsbilder, Lungener- Zur Beurteilung der Bewusstseinslage hat sich
krankungen; S. 445) die Glasgow-Koma-Skala (= Glasgow Coma Sca-
le = GCS) bewährt. Hier werden 3 Kategorien
beurteilt: Augen öffnen, verbale Antwort und
7.7.5 Hirnfunktion motorische Reaktion. Diese 3 Kriterien werden
nach einem definierten Punkteschlüssel bewer-
Fast alle Intensivpatienten zeigen eine Störung tet (vgl. Tab. 7-7). Die erreichbare Punktezahl
des Bewusstseins. Die wichtigsten Ursachen bewegt sich zwischen mindestens 3 und maximal
sind: 15 Punkten. Da schädel- und hirnverletzte Pati-
● Sedativa, Opioidanalgetika und andere Me- enten oft intubiert und kontrolliert beatmet wer-
dikamente den, kann in diesen Fällen die verbale Antwort
● Alkoholentzug, Drogenentzug nicht bewertet werden. Oft wird noch die Klassi-
● Sepsis fizierung in wach/adäquat, somnolent, soporös
● Schädel-Hirn-Verletzung oder komatös vorgenommen (→ S. 317, 321).
Neben der Beurteilung der Bewusstseinslage ist
Die Überwachung der Hirnfunktion soll nach- auch die regelmäßige Überprüfung der Pupil-
folgend am Beispiel von Patienten mit einer lomotorik von entscheidender Bedeutung:
Schädel-Hirn-Verletzung beschrieben werden. ● Reagieren die Pupillen auf Licht?
Tab. 7-7 Glasgow-Koma-Skala (= Glasgow Coma Scale trocknen, Ulzerationen und Infektionen gefähr-
= GCS) zur Beurteilung des Bewusstseinsgrades det. In diesen Fällen muss eine sorgfältige Au-
Glasgow-Koma-Skala Punkte genpflege durchgeführt werden (→ S. 421).
Augen öffnen
Um schädel- und hirntraumatisierte Patienten op-
● spontan 4 ! timal überwachen und therapieren zu können, ist
● auf Ansprache 3
eine engmaschige klinisch-neurologische Über-
● auf Schmerz 2
wachung und ein ausgedehntes apparatives Mo-
● nicht 1
nitoring notwendig.
Beste motorische Reaktion
● kommt Aufforderungen nach 6
● gezielte Abwehr auf Schmerz 5 Klinisch-neurologische
● ungezielte Abwehr auf Schmerz 4 Überwachung
● beugt auf Schmerz 3
● streckt auf Schmerz 2 Hierbei ist insbesondere die Beurteilung des
● keine 1 Bewusstseinszustands (Unterscheidung zwi-
Verbale Antwort schen wach und adäquat, somnolent, soporös,
● orientiert 5 komatös; → S. 317) oder Einstufung nach der
● verwirrt 4 Glasgow Coma Scale (→ oben) wichtig.
● unangemessene Worte 3 Bei einem ansprechbaren Patienten ist auch zu
● unverständliche Geräusche 2 klären, ob er orientiert ist:
● keine 1 ● zur Person
Ganz wichtig ist auch hier die Verlaufsbeurtei- (Wo befinden Sie sich? Wo wohnen Sie?)
lung und deren Dokumentation. Plötzliches ● zur Zeit
Weiterwerden einer Pupille legt immer den (Welchen Tag, welches Datum haben wie heu-
Verdacht auf eine intrakranielle Drucksteige- te?)
rung aufgrund einer gleichseitigen intrakraniel-
len Blutung nahe und verlangt eine sofortige Bei der Überprüfung der Sensibilität ist (beim
Drucksenkung sowie Abklärung der Ursache wachen Patienten) zu überprüfen, ob und in
mittels kranieller Computertomographie (Sen- welchem Bereich Empfindungsstörungen vor-
kung des intrakraniellen Drucks; → S. 268). liegen (auf Druck, Berührung, Schmerz, Tem-
peraturreiz). Wichtig sind hierbei stets evtl. Sei-
Um die Pupillomotorik stets beurteilen zu können, tenunterschiede.
! dürfen diesen Patienten keine Augentropfen ver- Wichtig ist auch die motorische Reaktion auf
abreicht werden, die die Pupillomotorik beeinflus- Schmerzreiz. Anhand der motorischen Reaktion
sen. Außerdem ist nur klare Augensalbe zu ver- auf einen künstlich gesetzten Schmerzreiz (z. B.
wenden. starkes Kneifen) können Rückschlüsse auf eine
evtl. zerebrale Schädigung geschlossen werden.
Des Weiteren ist die Überwachung von Atem- Mögliche Antworten auf einen Schmerzreiz sind:
muster, Herzfrequenz und Blutdruckverhalten ● gezielte Abwehrbewegung
(Cushing-Reflex? → S. 269 – Glasgow Coma (z. B. Wegziehen der Extremität oder gezieltes
Scale; → oben) wichtig. Falls der Kornealreflex, Greifen nach dem schmerzauslösenden Reiz)
das heißt der reflektorische Lidschluss beim Be- ● ungezielte Abwehrbewegung mit Beuge-
rühren der Kornea mit einem sterilen Tupfer, oder Streckmechanismen der Extremitäten
ausgefallen ist, so ist die Kornea durch Aus- ● fehlende, ausbleibende Reaktion
7.7 Überwachung des Intensivpatienten 409
Ausbleibende motorische Reaktionen sprechen lischen Syndroms; → S. 414) wieder aufklart,
für schwere Hirnstammschädigung, schweres dann durchläuft er zuerst noch Durchgangssyn-
Koma oder schwere Intoxikation. Muskeleigen- drome, bevor er – falls es evtl. zu einer weiteren
reflexe sind in diesem Fall nicht auslösbar, der Besserung kommt – wieder adäquat reagiert.
Muskeltonus ist schlaff. Beugemechanismen
(v. a. Beugung im Ellenbogengelenk) sprechen
für eine Schädigung der Großhirnhemisphären. Klinisch-neurologische
Streckmechanismen an Beinen und Armen mit Untersuchung
Innenrotation weisen auf eine Schädigung des
Mittelhirns hin. Bei gezielter Abwehr versucht Eine Schädigung des zentralen Nervensystems
der Patient, den Schmerzstimulus gezielt zu kann durch direkte Schädigung (z. B. Verlet-
entfernen. Bewegt sich der Patient auf Auffor- zung, Hirnödem, Tumor, Hirnblutung, Hyp-
derung, so bedeutet dies, dass er bei Bewusst- oxie, Abszess) oder durch eine indirekte
sein ist. Schädigung (z. B. Intoxikation, Sepsis, Stoff-
wechselentgleisung, Leber- oder Nierenversa-
gen) bedingt sein.
Durchgangssyndrome Bei Patienten mit Verdacht auf eine Schädigung
des zentralen Nervensystems ist eine wieder-
Bei Intensivpatienten tritt relativ häufig vor- holte ausführliche klinische Untersuchung und
übergehend ein Durchgangssyndrom auf. Unter apparative Diagnostik sowie eine kontinuierli-
einem Durchgangssyndrom wird eine unspezi- che klinische und apparative Überwachung
fische, körperlich begründbare Psychose ver- notwendig. An apparativer Diagnostik sind vor
standen. Es werden unterschieden: allem Magnetresonanztomographie (= MRT),
● affektives Durchgangssyndrom cerebrale Computertomographie (= cCT), Elek-
(hierbei fallen deutliche Stimmungsschwan- troenzephalographie (= EEG) sowie Röntgen-
kungen auf, vor allem eine depressive Ver- untersuchungen (einschließlich einer zerebra-
stimmung und übermäßige Reizbarkeit) len Angiographie) wichtig. An apparativen
● amnestisches Durchgangssyndrom Überwachungsmaßnahmen ist vor allem die
(hierbei fallen v. a. Merkfähigkeitsstörungen, kontinuierliche Messung des intrakraniellen
Konfabulation, d. h. Ausfüllen von Erinne- Druckes wichtig (→ S. 267). Bei der klinischen
rungslücken mit frei erfundenen Inhalten, Untersuchung sind vor allem folgende Parame-
und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses ter zu überprüfen:
auf und eine erhöhte Suggestibilität, d. h. ● Reflexstatus
steigerung auf)
● apathisches Durchgangssyndrom
● Eigenreflexe ● Pupillomotorik:
(bei denen Reizort und Erfolgsorgan iden- Pupillenreaktion auf Licht? Konsensuelle Licht-
tisch sind z. B. Muskeleigenreflexe) reaktion vorhanden?
● Fremdreflexe
(bei denen meist über eine Reizung der Haut Eine einseitig weite Pupille ist meist Folge einer
benachbarte Muskeln reflektorisch erregt einseitigen intrazerebralen Raumforderung
werden) (z. B. Blutung, Ödem mit Hirnverlagerung und/
● pathologische Reflexe oder Hirnherniation) mit Druckschädigung des
(die zu den Fremdreflexen gehören): Sind pa- Nervus oculomotorius (→ S. 269). Zusammen
thologische Reflexe auslösbar, so spricht dies mit dem Nervus oculomotorius verlaufen para-
für eine Schädigung der Pyramidenbahn (d. h. sympathische Fasern, die eine Pupillenveren-
die ersten motorischen Neurone, die von der gung vermitteln. Fallen diese Fasern z. B. durch
Präzentralregion, d. h. vom Gyrus praecentra- Druckschädigung aus (→ S. 269), dann über-
lis zum motorischen Vorderhorn des Rücken- wiegt nun die Sympathikuswirkung an der ent-
marks ziehen, sind beschädigt) sprechenden Pupille, wodurch eine einseitige
Pupillenerweiterung vermittelt wird. Tritt eine
Reflexe können normal vorhanden sein, gestei- einseitig weite Pupille auf, dann ist eine soforti-
gert sein oder übermäßig stark auslösbar (sehr ge Therapie (z. B. Ausräumung einer epiduralen
lebhaft auslösbar) sein. Sie können auch nur Blutung) zwingend (vgl. S. 268).
schwach auslösbar sein oder nicht vorhanden Beidseitig weite Pupillen sind meist Folge einer
(fehlend) sein. Stets ist zu klären, ob die Re- massiven Steigerung des intrakraniellen Drucks
flexantwort seitengleich ist oder ob eine Seiten- (mit schwerer Schädigung des Mittel- und
differenz besteht. Bei pathologisch gesteigerten Stammhirns), Folge einer allgemeinen zerebra-
Eigenreflexen sind auch die möglichen Auslöse- len Hypoxie oder Folge einer hoch dosierten
orte (reflexogene Zonen) verbreitert. Adrenalin- oder Atropingabe bzw. einer Intoxi-
Die Muskeleigenreflexe sind bei bewusstlosen kation. Sind auch ca. 6 Stunden nach einer Re-
Patienten, bei peripheren Nervenläsionen oder animation die Pupillen noch weit und reakti-
auch bei bestimmten Schädigungen der Pyra- onslos auf Licht, dann stellt dies ein sehr ernster
midenbahn (z. B. einer frischen Querschnitts- prognostischer Faktor dar. Liegt eine Großhirn-
lähmung) abgeschwächt oder nicht auslösbar. schädigung vor, so liegt meist eine Abweichung
Eine lebhaft gesteigerte Reflexaktivität ist bei der Augäpfel auf die Seite der Hirnverletzung
einer Schädigung der Pyramidenbahn nach- und nach oben vor (der Patient schaut seine
weisbar, da hierbei von zentral (neben der Pyra- Hirnverletzung an).
midenbahn) ins Rückenmark absteigende hem-
mende Fasern ausgefallen sind und damit eine Kornealreflex (Lidreflex)
normalerweise vorhandene zentral bedingte Um den Kornealreflex auszulösen, wird mit ei-
Dämpfung der Reflexaktivität fehlt. nem Wattebausch die Hornhaut (Kornea) be-
rührt. Dadurch kommt es normalerweise über
Hirnnervenfunktionen und Hirnstammreflexe den Nervus trigeminus (afferenter, sensibler
Bei Verdacht auf eine Hirnverletzung ist insbe- Schenkel) und dem Nervus facialis (efferenter,
sondere die Überprüfung der Hirnnerven und motorischer Schenkel) zu einem reflektorischen
der Hirnstammreflexe wichtig. Lidschluss. Fehlt der Kornealreflex beidseits,
Hirnnervenfunktionen: dann deutet dies auf ein Bulbärhirnsyndrom
● Pupillenbefund: (oder einen Hirntod) hin. Ein einseitiges Fehlen
Pupillengröße (eng, mittel, weit)? Pupillen- des Reflexes deutet auf eine Schädigung im Be-
form (rund, entrundet)? Sind beide Pupillen reich des Nervus trigeminus und/oder der Ner-
unterschiedlich weit (sog. Anisokorie)? vus facialis hin.
7.7 Überwachung des Intensivpatienten 411
● Achillessehnenreflex (= ASR)
Abb. 7-10 Okulozephaler Reflex (Hirnstammreflex). stamm noch intakt ist (sog. Puppenkopfphänomen).
a Geradeaus gerichtete Augäpfel. b Bei passiver Kopf c Hirnstammschädigung, die Augen bewegen sich bei
drehung durch den Untersucher bewegen sich die Augen Kopfdrehung nicht.
entgegen der Drehrichtung des Kopfes falls der Hirn
412 7 Intensivmedizin
Abb. 7-11 Okulovestibulärer Reflex
(Hirnstammreflex). a Bei intaktem Hirn-
stamm kommt es zur Blickwendung
zum gespülten Ohr hin. b Bei einer
Hirnstammschädigung kommt es zu
keiner Abweichung der Augen durch
die Spülung.
Dezerebrationssyndrome
Querschnittssyndrom auf der Ebene des Ge-
In Abhängigkeit vom Ausmaß der Hirnschädi- hirns (vgl. Abb. 7-14). Sie sind immer mit neu-
gung kommt es zuerst zu einer Schädigung des rologischen Ausfällen verbunden.
besonders empfindlichen Großhirns (Kortex),
dann zu einer Schädigung des Mittelhirns und Apallisches Syndrom
im schlimmsten Falle zu einer Schädigung (ei- Beim apallischen Syndrom ist der Hirnmantel
nem Ausfall) des entwicklungsgeschichtlich äl- (Pallidum) ausgefallen. Der Hirnstamm ist noch
testen Teil des Gehirns, des Hirnstammes. Es (weitgehend) intakt. Auch die Mittelhirnfunk-
wird von Dezerebrationssyndromen gespro- tionen sind erhalten. Typisch sind ein sog. Coma
chen (z. T. wird auch von sog. Trübungssyndro- vigile, das heißt der Patient ist wach, öffnet die
men gesprochen). Dezerebrationssyndrome Augen, kann jedoch nicht fixieren und blickt
entsprechen einem weitgehend kompletten ausdruckslos und teilnahmslos in die Ferne.
7.7 Überwachung des Intensivpatienten 415
Bulbärhirnsyndrom
Beim Bulbärhirnsyndrom sind auch die Pons
(weitgehend) und die Medulla oblongata (z. T.)
ausgefallen. Typisch sind eine tiefe Bewusstlo-
sigkeit, reaktionslose, maximal weite Pupillen,
die Augäpfel sind meist leicht divergent. Es be-
steht eine Areflexie, es treten auch keine patho-
Abb. 7-14 Querschnittssyndrome auf Gehirnebene.
logischen Reflexe und keine Enthirnungsstarre
a Bulbärhirnsyndrom (Querschnitt auf Höhe des Hirn-
stammes). b Mittelhirnsyndrom (Querschnitt in Höhe mehr auf. Es kommt zu einer zentralen vegetati-
des Mittelhirns). c Apallisches Syndrom (Abkoppelung ven Lähmung mit Bradykardie, Blutdruckabfall
der Großhirnrinde). und Atemstillstand. Die Prognose ist infaust, es
besteht ein fließender Übergang zum Hirntod
(→ S. 470).
Kau‑, Saug- und Schmatzreflexe sind erhalten.
Es besteht eine überschießende zentrale vegeta-
tive Reaktion mit Tachykardie, Blutdruckanstieg Kloni
und verstärktem Speichelfluss. Durch Schmerz-
reize werden unkoordinierte Reflexsynergien Im Rahmen einer gesteigerten Reflexaktivität
ausgelöst. Die Muskulatur ist durch einen er- können evtl. sog. Kloni (wiederholte Reflexakti-
höhten Tonus mit Spastik in Beugestellung ge- vitäten) ausgelöst werden. Wird die Patella (zwi-
kennzeichnet. Eine definitive Prognose kann schen Daumen und Zeigefinger) ruckartig nach
erst nach ca. 2 Jahren gegeben werden. Es müs- kaudal geschoben und festgehalten, können evtl.
sen vor allem Muskelkontrakturen, Muskelatro- wiederholte Reflexaktivitäten ausgelöst werden.
phien, Dekubitalulzera, Pneumonien sowie auf- Erschöpfliche Kloni (Patellarkloni) sind nur bei
steigende Harnwegsinfekte vermieden werden. Seitendifferenz pathologisch. Unerschöpfliche
Zur Therapie des erhöhten Sympathikotonus ist Kloni sind stets Ausdruck einer Pyramiden-
meist die Gabe eines β-Rezeptoren-Blockers, bahnschädigung. Der sog. Fußklonus ist evtl.
zur Therapie von Muskelspastiken ist oft ein folgendermaßen auszulösen: Bei leicht gebeug-
zentral wirkendes Muskelrelaxans wie ein Ben- tem Knie wird der Fuß ruckartig dorsalflektiert,
zodiazepin (Diazepam; Valium® – Tetrazepam; wodurch evtl. wiederholte Kontraktionen der
Musaril®) oder Baclofen (Lioresal®) notwendig. Wadenmuskulatur ausgelöst werden können.
Mittelhirnsyndrom
Beim Mittelhirnsyndrom ist auch das Mittelhirn Rigor
weitgehend ausgefallen. Typisch sind Bewusstlo-
sigkeit und Enthirnungsstarre, das heißt eine Rigor ist charakteristisch für eine Schädigung
ausgeprägte Streckstellung der Beine und Arme des extrapyramidalmotorischen Systems. Bei
und öfter auch ein Opisthotonus. Die Pupillenre- passiver Bewegung liegt ein gleichmäßiger,
aktion auf Licht ist noch (schwach) erhalten, die „wächserner“ Widerstand (oft mit Zahnradphä-
Bulbi sind leicht divergent, es treten keine Spon- nomen) vor. Ursache ist eine die Agonisten und
416 7 Intensivmedizin
Spastik ist durch einen federnden Dehnungswi- Kontrolle der arteriellen Blutgaswerte
derstand gekennzeichnet. Ursächlich kommt
vor allem eine Schädigung der Pyramidenbahn → Abschnitt „Die blutige arterielle Druckmes-
infrage. Bei passiver Überdehnung kann dieser sung“ auf Seite 191
Widerstand evtl. plötzlich völlig zusammenbre-
chen. Zusätzlich liegen gesteigerte und patholo-
gische Reflexmuster vor. Kontrolle der Beatmungsparameter
Aus der Differenz des mittleren arteriellen Drucks Messung der Sättigung
! (= MAP) und des intrakraniellen Drucks (= ICP) im Bulbus venae jugularis
kann der zerebrale Perfusionsdruck errechnet
werden: CPP = MAP – ICP (→ S. 269). In den letzten Jahren wird vor allem bei Patien-
ten mit schwerem SHT eine Messung der Sauer-
Kurzfristige ICP-Anstiege, z. B. während des stoffsättigung im Bulbus venae jugularis emp-
Hustens, sind physiologisch. Entscheidend ist fohlen. Hierzu wird ein Spezialkatheter über die
der rasche Rückgang auf den Ausgangswert. Bei Vena jugularis interna eingeführt und nach kra-
bereits vorbestehendem hohem ICP kann je- nial bis zur knöchernen Schädelbasis gescho-
doch durch den Hustenakt eine kritische ICP- ben, wo sich eine Erweiterung der Vene (der
Steigerung, evtl. mit Einklemmung (→ S. 269), Bulbus venae jugularis) befindet. Über einen fi-
provoziert werden. In kritischen Fällen ist des- beroptisch arbeitenden Katheter kann kontinu-
halb vor dem endotrachealen Absaugen die in- ierlich die Sauerstoffsättigung gemessen wer-
travenöse Gabe eines Barbiturates (z. B. Thio- den. Fällt die Durchblutung des Gehirns ab
pental) gerechtfertigt. (z. B. wegen Blutdruckabfalls oder zu starker
Zur Messung des intrakraniellen Drucks eignen Hyperventilation mit massiver zerebraler Vaso-
sich: konstriktion), dann nimmt die jugularvenöse
● Ventrikelkatheter: Sauerstoffsättigung (SjvO2) ab. Ein Abfall unter
Nach Anlegen eines frontalen Bohrlochs wird ca. 55 % ist pathologisch (Normalwert: ca.
ein Katheter in den ersten oder zweiten Hirn- 65 %).
ventrikel (Seitenventrikel) eingeführt. Über (→ auch: Spezielle Krankheitsbilder, ZNS-Er-
einen Ventrikelkatheter kann der Liquordruck krankungen; S. 466)
im Seitenventrikel gemessen werden, ggf. kann
Liquor abgelassen bzw. zu Untersuchungs-
zwecken entnommen werden. Die Gefahr be- 7.7.6 Urinausscheidung
steht vor allem darin, dass diese Katheter leicht
verlegt oder infiziert werden können. Die übermäßige Ausscheidung eines wasserkla-
● epidurale Drucksonde: ren Urins lässt einen Diabetes insipidus vermu-
Nach Anlegen eines frontalen Bohrlochs ten. Ursache ist meist eine verletzungsbedingte
wird ein Druckaufnehmer zwischen Kno- Verminderung der zerebralen Sekretion des an-
chen und harter Hirnhaut eingesetzt. Da die tidiuretischen Hormons (= ADH). Das spezifi-
Dura intakt bleibt, ist das Infektionsrisiko re- sche Uringewicht liegt hierbei unter 1 004 g/l
lativ gering. Häufig kommt es jedoch bei die- und die Urinosmolarität ist niedriger als die
sem Messverfahren zu Fehlmessungen, die Plasmaosmolarität. Oftmals limitieren sich sol-
evtl. zu nicht indizierten therapeutischen che Phasen eines Diabetes insipidus von selbst.
Maßnahmen veranlassen. In diesen Fällen ist es wichtig, die Flüssigkeits-
● intraparenchymatöse Messung (Camino- und Elektrolytverluste zu ersetzen. Dauert ein
Sonde): Diabetes insipidus längere Zeit an, dann sollte
Hierbei wird eine optisch arbeitende Druck- ein dem ADH (= antidiuretisches Hormon)
sonde ca. 4 cm tief in das Hirngewebe einge- verwandtes Hormon (z. B. Desmopressin; Mi-
führt. Diese Sonden messen sehr genau. Kom- nirin®) appliziert werden.
plikationen scheinen relativ selten zu sein. (→ auch: Spezielle Krankheitsbilder, Nierener-
krankungen; S. 461)
Kapnometrische Überwachung
Außerdem ist darauf zu achten, dass die Plas- (→ auch: Spezielle Krankheitsbilder, Abdomi-
manatrium- und Plasmakaliumkonzentratio- nalerkrankungen; S. 471)
nen im Normbereich liegen. Die Körpertempe-
ratur sollte nicht erhöht sein (regelmäßige
Temperaturkontrolle wegen der Möglichkeit ei- Überwachung der Laborparameter
nes zerebralbedingten Fiebers), der Hämato-
kritwert sollte etwa bei 30–35 % liegen. Je nach zugrunde liegender Erkrankung sind
Auf möglichen Blut- oder Liquoraustritt aus evtl. die in Tabelle 7-8 aufgeführten Parameter
Nase und Ohren ist zu achten, was auf eine bzw. die Blutgase (→ S. 393) oder der Säure-
Schädelfraktur hinweisen kann. Ob es sich um Basen-Haushalt (→ S. 390) zu kontrollieren.
Liquor oder ein anderes Sekret handelt, kann
mit einem Glucose-Stick erfasst werden (Zu
ckerkonzentration im Liquor ca. 30–50 % der
Blutzuckerkonzentration). 7.8 Pflege
Wichtig ist eine besonders schonende Pflege
des Patienten. Bei erhöhtem intrakraniellem
des Intensivpatienten
Druck sollte der Patient nur auf dem Rücken
gelagert werden. Der Oberkörper ist zur Opti- 7.8.1 Allgemeine Bemerkungen
mierung des venösen Blutabflusses aus dem Ge-
hirn leicht (bis ca. 30 Grad) anzuheben. Der Die Körperpflege stellt ein menschliches Grundbe-
Kopf muss in Neutralstellung gelagert werden. ! dürfnis dar, dem der Intensivpatient jedoch nicht
Insbesondere beim Betten oder beim endotra- selbst nachkommen kann. Die Durchführung ei-
chealen Absaugen des Patienten kann es zu er- ner angemessenen Körperpflege ist eine wichti-
heblichen intrakraniellen Drucksteigerungen ge Aufgabe des Pflegepersonals. Ziel hierbei ist es
kommen. Häufig empfiehlt es sich, vor solchen nicht nur, die Haut zu reinigen, sondern auch ihre
Maßnahmen prophylaktisch z. B. Fentanyl oder Schutzfunktion aufrechtzuerhalten und damit das
ein Barbiturat zu injizieren, um eine Stressreak- Risiko von Infektionskrankheiten zu minimieren.
tion zu vermindern. Darüber hinaus wird über die Körperpflege (Berüh-
Bezüglich der Lagerung dieser Patienten ist zu rung) das Wohlbefinden des Patienten gefördert.
beachten, dass keine Spitzfußprophylaxe durch-
geführt werden soll, da durch das Anbringen Der pflegerische Aufwand muss an den indivi-
eines Fußbrettes Streckmuster und die Gefahr duellen Bedürfnissen des Patienten orientiert
eines ICP-Anstieges begünstigt werden. werden. Hierzu ist ein Pflegeplan zu erstellen,
der wiederholt an den aktuellen Zustand des
Patienten anzupassen ist. Ziel muss es sein, den
Überwachung der gastrointestinalen Patienten in seiner Ganzheitlichkeit zu verste-
Funktion hen und zu betreuen.
Stets ist darauf zu achten, dass der Patient wäh-
Es sind sorgfältig durchzuführen (→ auch rend der pflegerischen Maßnahmen nicht ge-
Stressulkusprophylaxe; S. 427): fährdet wird, dass z. B. weder liegende Katheter
● Inspektion (Umfangsänderung?) noch Drainagen versehentlich dislozieren.
● Perkussion (luftgefüllte Darmschlingen, Me- Mögliche Lagerungseinschränkungen (z. B. we-
teorismus?) gen evtl. Frakturen) sind zu beachten. Bei einer
● Palpation (Abwehrspannung?) Seitenlagerung des Patienten muss verhindert
7.7 Überwachung des Intensivpatienten 419
werden, dass der Patient aus dem Bett fällt. Normalerweise sollte einmal pro Tag eine Ganz-
Werden während der Körperpflege irgendwel- körperwäsche durchgeführt werden. Starke
che Besonderheiten erkannt, so müssen diese Verunreinigungen durch Kot, Urin, Blut oder
dem betreuenden Arzt mitgeteilt und doku- Sekret müssen stets umgehend entfernt werden,
mentiert werden. Entsprechende hygienische um eine Schädigung der Haut oder z. B. eine
Maßnahmen sind zu beachten (→ S. 424). Pilzbesiedelung zu vermeiden. Auch durchge-
Vor der Durchführung pflegerischer Maßnah- nässte Verbände und Wäsche sind sofort zu
men muss der Patient in leicht verständlichen wechseln. Anstatt Seife sollte hierzu eine haut-
Worten über die geplanten Maßnahmen infor- freundliche Waschlotion eingesetzt werden, die
miert werden. Wichtig ist auch, dass vor Beginn den natürlichen Säureschutzmantel und die
einer Pflegemaßnahme eine sog. Initialberüh- Normalflora der Haut (natürliche Keime wir-
rung durchgeführt wird. Hierbei sollte z. B. der ken als Platzhalter) erhält. Bei Patienten, die
Thorax oder der Arm des Patienten vorberührt Fieber haben, kann für die Hautwaschung nur
werden. Dadurch kann sich der Patient darauf gering erwärmtes Wasser verwendet werden.
einstellen, dass nun eine Pflegemaßnahme be- Anschließend muss die Haut, im Rahmen der
ginnt, er erschrickt nicht und bekommt Vertrau- Intertrigoprophylaxe (→ S. 430) vor allem in
en. Wichtig ist, dass jede Pflegeperson die gleiche den Hautfalten, gut getrocknet werden. Trocke-
Stelle zur Initialberührung benutzt. Bei Beendi- ne Haut sollte mit einer Creme (Wasser in Öl)
gung einer Pflegemaßnahme sollte dem Patien- oder mit Öl (das auf einen nassen Handschuh
ten wiederum über eine solche Berührung ver- gegeben wird) gepflegt werden. Vor operativen
mittelt werden, dass die Pflegemaßnahme nun abdominalchirurgischen Eingriffen ist eine
beendet ist. Wichtig ist, dass der Patient während gründliche Nabelpflege besonders zu beachten.
pflegerischer Maßnahmen keine Schmerzen er- Bei der täglichen Hautpflege ist gleichzeitig eine
leidet. Gegebenenfalls muss – z. B. vor der Durch- detaillierte Hautinspektion durchzuführen.
führung einer notwendigen Lagerungsmaßnah- Eine Waschung sollte auch immer einen Bezie-
me – ein Analgetikum verabreicht werden. hungsaufbau zwischen Patient und Personal zu-
lassen und sollte an das individuelle Befinden
des Patienten angepasst werden. So kann ein
7.8.2 Hautpflege unruhiger oder ängstlicher Patient eine „beru-
higende“ Waschung erhalten, bei der mit 37–
Ziel der Hautpflege muss neben der allgemeinen 40 °C warmem Wasser ohne weitere (ablenken-
! Reinigung vor allem auch die Infektionsprophy- de) Waschzusätze im Haarstrich vom Rumpf
laxe, die Anregung der Hautdurchblutung und ausgehend bis zu den Extremitäten hin gewa-
damit eine Dekubitusprophylaxe (→ S. 428) und schen und getrocknet wird. Dabei sollten eine
eine Kreislaufaktivierung sein. ruhige Atmosphäre und großflächige, sichere
7.8 Pflege des Intensivpatienten 421
Glasauge sollte einmal pro Tag entfernt und speicheldrüsenentzündung führt zu einer
(genauso wie die Augenhöhle) mit physiologi- Schwellung vor dem Ohr, zu einer Einschrän-
scher Kochsalzlösung gereinigt werden. kung der Kieferbeweglichkeit und zu Schmer-
zen. Da tief sedierte oder komatöse Patienten
nicht kauen und damit keine regelmäßige Spei-
7.8.5 Mundpflege chelproduktion und -abgabe haben, ist die Ge-
fahr einer Parotitis erhöht. Durch Einmassieren
Ziele der Mundpflege sind neben der Entfernung von z. B. Vitamin-C-haltiger Paste im Bereich
! von Zahnbelägen und Sekreten im Mund- und Ra- der Speicheldrüsenausführungsgänge (Backen-
chenraum vor allem die Infektions- und Aspirati- schleimhaut im Bereich der oberen seitlichen
onsprophylaxe. Beim oral intubierten Patienten ist Zahnreihe) oder durch Massage der Ohrspei-
auch die Dekubitusprophylaxe ein wichtiges Ziel cheldrüsen vor den Ohren kann der Speichel-
der Mundpflege. fluss angeregt werden.
Zusätze zu Mundspüllösungen sind nur bei ge-
Beim Intensivpatienten ist mindestens einmal reizter Schleimhaut anzuwenden. Es können
pro Schicht eine sorgfältige Mundpflege durch- z. B. desinfizierende oder anästhesierende Zu-
zuführen. Je nach Quick-Wert und INR sollte sätze verwendet werden. Bei intakter Schleim-
eine härtere oder besonders weiche Zahnbürste haut genügt das Reinigen mit Wasser oder Tee.
verwendet werden. Nach Verletzungen oder Zur Steigerung des Wohlbefindens und zur Ak-
Operationen im Mund-Rachen-Bereich ist indi- tivierung kann der Mundraum des Patienten
viduell zu klären, inwieweit mundpflegerische zwischendurch auch mit Zusätzen ausgewischt
Maßnahmen ergriffen werden dürfen. Eventuel- werden, die der Patient gerne mag (z. B. Oran-
le Sekrete müssen aus dem Mund-Rachen-Be- gensaft, Bier).
reich mit einem sterilen Katheter abgesaugt Bei oral intubierten Patienten ist einmal pro
werden, um eine Aspiration im Falle eines nicht Schicht die Tubusfixierung zu lösen, Pflaster-
ausreichend geblockten Cuffs und um eine rückstände sind mit Wundbenzin zu entfernen
Schleimhautreizung und Kariesbildung durch und der Tubus ist im anderen Mundwinkel er-
aggressive Speichelbestandteile zu vermeiden. neut sorgfältig zu fixieren, um Druckstellen zu
Danach kann bei intubierten Patienten die verhindern (cave: Dislokation des Tubus). Tro
Mundhöhle durch gleichzeitiges Spülen und ckene Lippen sind einzufetten.
Absaugen oder durch Auswischen von Zun-
genober- und -unterfläche, Gaumen sowie Wan-
gentaschen (mit einer um den Finger gewickel- 7.8.6 Nasenpflege
ten feuchten Kompresse) gereinigt werden.
Die Mundhöhle muss täglich mithilfe eines Ziele der Nasenpflege sind neben der Entfernung
Spatels und einer Lampe inspiziert werden. Sie ! von Borken und Sekreten vor allem die Infektions-
muss auf evtl. Veränderungen, wie z. B. eine und Aspirationsprophylaxe. Bei nasal intubier-
Pilzinfektion durch den Pilz Candida albicans ten Patienten ist auch eine Dekubitusprophylaxe
(Soor) mit den typischen grauweißen fleckigen wichtig.
Schleimhautbelägen, auf schmerzhafte, bis lin-
sengroße Schleimhautdefekte mit festhaftenden Die Nasenpflege sollte mindestens 3-mal pro
Belägen und zentralem Defekt (Aphten) und Tag durchgeführt werden. Durch vorsichtiges
eine generalisierte Entzündung und Schwellung Absaugen von Sekreten durch den unteren Na-
der Mundschleimhaut (Stomatitis) kontrolliert sengang mittels eines sterilen Katheters (je Na-
werden. Daneben ist auf Ulzerationen oder eine senloch einen neuen Katheter, wegen der Gefahr
manchmal auftretende Entzündung der Ohr- der Keimverschleppung) wird einer Entzün-
speicheldrüse (Parotitis) zu achten. Eine Ohr- dung der Nebenhöhlen (Sinusitis) und einer
7.9 Prophylaktische Maßnahmen 423
Aspiration von Sekreten (bei unzureichend ge- sammeln, sollte unter den Nägeln eine regelmä-
blocktem Tubus) vorgebeugt. Der Absaugkathe- ßige Reinigung stattfinden. Aus ästhetischen
ter ist hierbei bis in den Rachen vorzuschieben. Gründen und um eine Selbstverletzung des Pa-
Danach sind die Naseneingänge mit panthenol- tienten oder eine Verletzung des Personals zu
getränkten Tupfern zu reinigen. Falls der Patient vermeiden, sollten Nägel auch nach Bedarf ge-
nasal intubiert ist oder über eine Magensonde schnitten werden. Dabei ist das Entfernen über-
verfügt, müssen die entsprechenden Pflaster bei schüssiger Hornhaut zu unterlassen. Dadurch
Verunreinigung oder mangelnder Klebekraft können Verletzungen und Eintrittspforten für
vorsichtig entfernt werden. Zur Beseitigung evtl. Keime entstehen. Bei Patienten mit Diabetes
Klebstoffrückstände kann Wundbenzin verwen- mellitus oder arterieller Verschlusskrankheit ist
det werden. Anschließend ist wieder eine sorg- vor allem bei der Fußpflege besondere Vorsicht
fältige Fixierung vorzunehmen. Dabei ist darauf geboten und ggf. ist eine fußpflegerische Be-
zu achten, dass der Endotrachealtubus und eine handlung hinzuzuziehen. Bereits bei kleinsten
evtl. vorhandene Magensonde nicht dislozieren Verletzungen können schlecht heilende Wun-
und dass die Schläuche keinen Druck oder Zug den entstehen.
auf die umliegende Haut und den Knorpel aus-
üben, um Ulzerationen zu verhindern. Gegebe-
nenfalls sind Tubus oder Magensonde vor dem 7.8.9 Wechsel der Bettwäsche
Fixieren mit einem Stück Schaumstoff abzupols
tern. Es ist zu kontrollieren und dokumentieren, Zumindest einmal pro Tag sollte die Bettwäsche
wie tief der Endotrachealtubus und die Magen- aus Gründen der Reinigung, der Dekubituspro-
sonde eingeführt sind. phylaxe (Kontakt mit Sekreten) und Infektions-
prophylaxe vollständig gewechselt werden. Es
bietet sich an, dies im Zusammenhang mit der
7.8.7 Ohrenpflege Ganzkörperpflege vorzunehmen. Zusätzlich ist
bei jeder Verunreinigung mit Körpersekreten
Ziel der Ohrenpflege ist es, Ohrmuscheln und äu- (also auch nach starkem Schwitzen, z. B. bei
! ßeren Gehörgang zu reinigen und damit eine Ver- Fieber) ein Wechsel der Bettwäsche durchzu-
stopfung des Gehörgangs durch Ansammlung von führen. Beim Wäschewechsel ist sorgfältig dar-
Ohrenschmalz zu verhindern. auf zu achten, dass weder der Endotrachealtu-
bus noch intravenöse oder arterielle Katheter,
Werden zur Reinigung feuchte Watteträger ver- Thoraxdrainagen, der Blasenkatheter oder sons
wendet, dann ist ein zu tiefes Eindringen in den tige Schläuche dislozieren. Für den Wechsel der
äußeren Gehörgang unbedingt zu vermeiden, Bettwäsche und die dafür notwendigen Lage-
um eine Verletzung des Trommelfells auszu- rungsmanöver sind meist 2 Personen notwen-
schließen. Bei Patienten mit einem Schädel- dig.
Hirn-Trauma ist nach evtl. Blut- oder Liquor-
spuren im Ohr zu suchen.
7.9 Prophylaktische
7.8.8 Nagelpflege Maßnahmen
Ziele der Nagelpflege sind die Reinigung, die In- Der Intensivpatient ist durch eine Reihe von
! fektions- und Verletzungsprophylaxe. Komplikationsmöglichkeiten gefährdet. Daher
sind z. B. folgende vorbeugende (prophylakti-
Da sich besonders unter langen Finger- und Ze- sche) Maßnahmen wichtig:
hennägeln Verunreinigungen und Keime an- ● Infektionsprophylaxe
424 7 Intensivmedizin
vorgenommen werden, bei der die Gefahr einer des Bronchialsekret sicher abzuhusten. Die
Kontamination der Hände besteht. Eine wichti- Ansammlung von Schleim führt in vielen Fäl-
ge Maßnahme zur Prävention von Kontamina- len zur Atelektasenbildung und bei geschwäch-
tionen besteht darin, Einmalhandschuhe zu tem Immunsystem zu einer Superinfektion
tragen. Um eine Kontamination der Arbeits- (Auto- oder Kreuzinfektion) mit anschließen-
kleidung zu vermeiden, ist insbesondere bei der Pneumonie.
pflegerischen Maßnahmen (z. B. Ganzkörper- Um der Entstehung einer Pneumonie vorzu-
wäsche oder Säubern des Patienten nach Einko- beugen, sind verschiedene Maßnahmen erfor-
ten u. Ä.) eine Plastikeinmalschürze zu tragen. derlich. In erster Linie ist ein aseptischer Um-
Um das Risiko einer Kreuzinfektion zu mini- gang mit allen Gegenständen erforderlich, die
mieren, sollten auf Intensivstationen möglichst mit dem Respirationstrakt des Patienten in Be-
Artikel für den Einmalgebrauch verwendet rührung kommen. Das gilt sowohl für die Ein-
werden. Jeder Patient benötigt eine eigene ap- haltung steriler Bedingungen bei der künstli-
parative Ausstattung (Absaugvorrichtung, Ste- chen Beatmung als auch für die hygienische
thoskop, Blutdruckmanschette usw.). Handhabung von Geräten, die zur Atemthera-
pie bei aktiv mitarbeitenden Patienten einge-
setzt werden. Dem Austrocknen der Schleim-
7.9.2 Pneumonieprophylaxe häute wird bei beatmeten Patienten durch die
und Prophylaxe lagebedingter Anfeuchtung und Anwärmung der Atemluft
vorgebeugt (→ S. 363). Mit kooperativen Pati-
pulmonaler Schäden enten können vorbeugende atemtherapeutische
Maßnahmen durchgeführt werden.
Zu den wichtigsten Ursachen für die Entstehung
! einer Pneumonie zählen: Aspiration, mangeln-
de Belüftung einzelner Lungenareale mit Atelek- Atemtherapie
tasenbildung, Austrocknen der Schleimhäute und
damit reduzierter Reinigungsmechanismus der Mithilfe der Atemtherapie kann der kooperati-
Atemwege, Sekretstau durch mangelndes Abhus ve Patient aktiv helfen, die Entstehung pulmo-
ten bzw. Absaugen, Kontamination oder abstei- naler Schäden mit all ihren Folgen zu verhin-
gende Infektion aus dem Mund-Nasen-Rachen- dern. Dem Patienten sollte grundsätzlich ein
Raum. schmerzfreies Atmen ermöglicht werden. An-
sonsten droht eine oberflächliche Atmung mit
Die Pneumonieprophylaxe beginnt bereits bei mangelnder Belüftung und Sekretstau. Vor akti-
der gründlichen Mundpflege. Dadurch können ven Übungen sollte der Patient je nach Bedarf
absteigende Infektionen oft verhindert werden. zusätzlich ein Analgetikum erhalten.
Eine Aspiration kann z. B. durch regelmäßige Eine sehr wichtige Maßnahme ist die Inhalati-
Kontrolle und optimale Einstellung des Cuff- onstherapie. Durch fein vernebeltes NaCl 0,9 %
Drucks (v. a. vor der Mundpflege) und durch (mit oder ohne Medikamentenzusätze) kann
leichte Oberkörperhochlagerung (v. a. bei der das selbstreinigende Flimmerepithel im Bron-
Verabreichung von Nahrung) oft verhindert chialsystem angefeuchtet und das zähe Bronchi-
werden. Außerdem sollte kein Extubationsver- alsekret verflüssigt, Schleimbrücken können ge-
such unternommen werden, bevor nicht die sprengt, die Lunge und damit evtl. Atelektasen
Schutzreflexe wieder gut ausgebildet sind. Be- können aufgedehnt werden. Dünnflüssige Bron-
dingt durch Schmerzen, geschwächten Allge- chialsekrete können besser abgehustet werden
meinzustand und/oder verminderten Glottis- und durch Aufdehnung von Atelektasen kommt
verschluss nach einer Langzeitintubation sind es zu einer Verbesserung der Oxygenierung.
die Patienten häufig nicht in der Lage, anfallen- Bronchialsekrete können dadurch gelockert
426 7 Intensivmedizin
werden, dass bei dem in Seitenlage befindlichen auf 2 schmalen Kissen auf, die sich zu den
Patienten die jeweils oben liegende Lungenhälf- Schultern hin V-förmig öffnen und somit eine
te am Rücken von lateral nach medial abgeklopft Dehnung im Flankenbereich verursachen. Die
wird. Beim anschließenden Aufsitzen kann der umgekehrte V-Lagerung mit der Spitze unter
Patient das Sekret oft abhusten. Daneben gibt es dem Oberkörper und der offenen Seite im Flan-
eine Reihe weiterer Pneumonieprophylaxen, wie kenbereich führt zur Dehnung des Schultergür-
z. B. das Atemtraining (Richtungsatmen, Atmen tels. Sobald als möglich sollte der (evtl. sogar
gegen Widerstand u. Ä.) unter physiotherapeuti- noch intubierte) Patient häufig an den Bettrand
scher Anleitung oder das tiefe Einatemtraining bzw. in einen Sessel gesetzt werden.
mit einem sog. Incentive-Spirometer. Bei der Bei übermäßiger Bronchialsekretion kann beim
Incentive-Spirometrie atmet der Patient über intensivpflichtigen Patienten neben der übli-
ein kleines Gerät bewusst tief ein. Seine Atembe- chen Bronchialtoilette (→ S. 349) auch eine
mühungen werden von dem Gerät angezeigt. Er wiederholte gezielte fiberbronchoskopische Ab-
muss hierbei versuchen, ein vorgegebenes Inspi- saugung notwendig werden.
rationsvolumen zu erreichen. Dieses Inhalati-
onsvolumen soll dann für einige Sekunden ge-
halten werden, um ein Eröffnen kollabierter 7.9.3 Thromboseprophylaxe
Alveolen zu ermöglichen.
Auch eine längerfristige gleichbleibende Kör- Die wichtigsten Ursachen für ein erhöhtes Throm-
perhaltung begünstigt die Entstehung von Lun- ! boserisiko werden als sog. „Virchow-Trias“ zu-
genschädigungen wie Atelektasen und Pneu- sammengefasst. Hierzu zählen neben verlang-
monie. Bei fehlendem Lagerungswechsel werden samtem venösem Rückfluss durch Immobilisation
die unten liegenden Lungenpartien gut perfun- auch Veränderungen der Gefäßwände durch Ent-
diert, aber schlecht ventiliert; in den oben lie- zündung oder Verletzung und eine beschleunigte
genden Lungenpartien ist dieses sog. Ventilati- Blutgerinnung.
ons/Perfusions-Verhältnis umgekehrt (→ S.
262). In den abhängigen Lungenpartien kann es Als Risikofaktoren für die Entstehung einer
zur Ansammlung von Bronchialsekret kom- Thrombose gelten daher Herzinsuffizienz, venö-
men. Durch wiederholte Lagerungswechsel se Insuffizienz, Übergewicht, kürzlich durchge-
wird aufgrund der Schwerkraftwirkung die machte Operation oder Geburt, Schwanger-
Drainage von Bronchialsekret begünstigt. schaft und Wochenbett. Routinemäßig wird bei
Wundliegen und Lungenschäden können durch Vorliegen solcher Risikofaktoren eine Low-
entsprechende Lagerungsmanöver (Wechsel Dose-Heparinisierung (z. B. 100–150 IE/kg KG/d
von Rückenlage, Linksseitenlage, Rückenlage, = ca. 10 000 IE Heparin/d i. v. bzw. 3 × 5 000 IE
Rechtsseitenlage; evtl. Bauchlage) verhindert bzw. 2 × 7 500 IE s. c./d oder aber 1 × niedermo-
werden. Ideal wäre ein 1- bis 2-stündlicher La- lekulares Heparin/d s. c., z. B. 2 850 Anti-Xa-Ein-
gerungswechsel. Daneben dienen bei wachen heiten = 0,3 ml Nadroparin; Fraxiparin® oder
und schlecht oxygenierten Patienten sog. atem 3 000 Anti-Xa-Einheiten = 0,3 ml Certoparin;
erleichternde Lagerungen der Dehnung des Mono-Embolex®) durchgeführt. Soweit keine
Brustkorbes und damit einer großflächigen Kontraindikationen vorliegen, wie z. B. eine ar-
Lungenbelüftung. Zum Einsatz kommt die T- terielle Verschlusskrankheit und starkes Schwit-
Lagerung mit einem schmalen Kissen längs un- zen bei Fieber, sollten Antithrombosestrümpfe
ter der Wirbelsäule und einem weiteren Kissen (= ATS) angelegt werden. Bei sedierten und be-
quer unter dem Kopf. Dabei entsteht die Deh- atmeten Patienten soll auf die Anlage von ATS
nung durch die beidseits des Kissens unter dem verzichtet werden, weil sie keine Beschwerden
Rücken abfallenden Schultern und Brustkorb- bei Mangeldurchblutung (z. B. wegen Einschnü-
anteile. Bei der V-Lagerung liegt das Kreuzbein rung) äußern können. Die Beine sollten leicht
7.9 Prophylaktische Maßnahmen 427
verhindert werden. Sobald als möglich ist eine ● Anhebung des pH-Wertes des Magensaftes
werden. Die Dosisfindung ist bei den Antacida laufsituation (v. a. Zentralisation) und/oder
relativ schwierig und ist an wiederholten Mes- Catecholamintherapie (v. a. Noradrenalin) nei-
sungen des pH-Wertes zu orientieren. gen aufgrund der geringen Hautdurchblutung
Häufig wird auch Pirenzepin (Gastrozepin®) bzw. der Vasokonstriktion (mit Mikrozirku-
eingesetzt (Anticholinergikum, das die post- lationsstörungen) zu Dekubitalulzera. Weitere
ganglionären parasympathischen [= muscarin Risikofaktoren für die Entstehung lagebedingter
ergen] Rezeptoren blockiert = Muscarinrezep- Ulzerationen sind Immobilisation, Sensibilitäts-
torenblocker; → S. 66). In den letzten Jahren störungen, reduzierter Allgemeinzustand, Durch-
werden zunehmend häufiger sog. Proto blutungsstörungen, Fieber und Inkontinenz.
nenpumpenhemmer eingesetzt. Mit diesen Besonders gefährdete Körperregionen sind:
Substanzen ist die stärkste Hemmung der Ma- ● Körperbereiche, bei denen der Knochen bzw.
gensäureproduktion möglich. Zu den Proto- Knorpel direkt unter der Haut liegt:
nenpumpenhemmern gehören Omeprazol – Trochanter major
(Antra®) und Pantoprazol (Pantozol®, z. B. – Innenseiten der Knie
2-mal 20 mg/d). Entscheidend für eine Ul- – Fersen
kusprophylaxe sind auch die Aufrechterhaltung – Fußknöchel
einer ausreichenden Schleimhautdurchblutung – Kreuzbein
(indem eine Hypotension und vasokonstringie- – Ellenbogen
rende Medikamente, z. B. Catecholamine, mög- – Schulterblätter
lichst vermieden werden) sowie eine gute Anal- – Wirbelsäule
gesie und Sedierung der Patienten. – Hinterkopf
– Ohrmuscheln
● Körperbereiche, die mit Drainagen bzw.
Aufrechterhaltung der Schläuchen in Kontakt kommen:
schleimhautschützenden Barriere – Nasenflügel (nasal eingeführte Magen-
sonde oder nasotrachealer Tubus)
Die wichtigste Substanz hierfür ist Sucralfat – Mundwinkel (orotrachealer Tubus)
(Ulcogant®). Sucralfat (3–4 × 1,0 g/d) ist billig – Hautpartien, die z. B. auf Plastik aufliegen
und nebenwirkungsarm. Einzige relevante Ne- und bei der Lagerung nicht ausreichend
benwirkungen sind eine Phosphatverarmung unterpolstert wurden
und selten eine Obstipation. Während einer
Therapie mit Sucralfat braucht der pH-Wert des Wie stark ein Patient gefährdet ist, einen Deku-
Magensaftes nicht kontrolliert werden. bitus zu erleiden, kann anhand des Punktesys
tems der erweiterten Norton-Skala abgeleitet
werden. In der sog. erweiterten Norton-Skala
7.9.5 Dekubitusprophylaxe werden Motivation und Kooperation, Alter,
Hautzustand, Zusatzerkrankungen, körperli-
Bei längerfristigem, stärkerem Druck auf be- cher Zustand, geistiger Zustand, Aktivität, Be-
stimmte Hautpartien droht (evtl. schon innerhalb weglichkeit und Inkontinenz punktemäßig (je-
weniger Stunden) aufgrund einer Komprimierung weils 1, 2, 3 oder 4 Punkte) eingestuft (vgl. Tab.
der ernährenden Haut- und Unterhautgefäße ei- 7-9). Besonders gefährdet sind dabei Patienten
ne Minderdurchblutung (Ischämie) mit Gewebs- mit mangelnder Kooperationsbereitschaft, fort-
schädigung (Dekubitus oder „Wundliegen“). geschrittenem Alter, geschädigtem Hautzu-
stand, Zusatzerkrankungen, schlechtem kör-
Ein Dekubitus droht insbesondere bei immobili- perlichem Zustand, reduziertem geistigem
sierten, stark sedierten oder komatösen Intensiv- Zustand, Inaktivität, eingeschränkter Beweg-
patienten. Auch Patienten mit schlechter Kreis lichkeit und Inkontinenz.
7.9 Prophylaktische Maßnahmen 429
Auf die Dekubitusbehandlung wird im Ab- tens 2-mal pro Tag funktionsgerecht durch-
schnitt über die Wundversorgung eingegangen bewegt werden (Physiotherapie). Regelmäßige
(→ S. 444). passive Bewegungen vor allem der Fußgelenke
sollten bei jeder Lagerung routinemäßig durch-
geführt werden. Die Mobilisation kann je nach
7.9.6 Intertrigoprophylaxe Mitarbeit des Patienten aktiv oder passiv erfolgen.
(Bezüglich der Besonderheiten der Kontraktur-
Der Begriff „Intertrigo“ bezeichnet das Wundwer- und Spitzfußprophylaxe bei Patienten mit Schä-
den in Körperfalten. del-Hirn-Trauma wird auf S. 418 verwiesen.)
Ursachen der Kontrakturentstehung sind Läh-
Die Ursache von Intertrigo ist das Haut-auf-Haut- mungen, Nervenschädigungen, Gelenkerkran-
! Liegen, was zu Reibung und Feuchtigkeitsan- kungen, Fehl- und Schonhaltungen, lange un-
sammlung führt. Als Folge kann es zur Aufquel- physiologische Ruhigstellung (z. B. im Gips)
lung bzw. Erweichung (Mazeration) der Haut und und Lagerungsfehler!
zu sekundären Infektionen, bevorzugt mit Candi- Bei der Lagerung von Patienten sollte daher auf
da albicans, kommen. eine sog. Funktionsstellung der Gelenke geach-
tet werden. Dabei werden die Gelenke in eine
Bevorzugte Stellen sind die Körperfalten unter Haltung gebracht, in der für den Patienten im
den Brüsten, in der Leistenregion, die Bauchfal- Falle einer Versteifung bzw. Kontrakturbildung
ten und die Analfalte. Besonders betroffen sind noch die meisten Handlungsmöglichkeiten ge-
adipöse Patienten. geben sind:
Zur Prophylaxe zählt in erster Linie das peinli- ● Schultergelenk:
dem Waschen sowie Einlegen und regelmäßiges Abwinkeln des Unterarms zum Oberarm um
Auswechseln von Kompressen, die den Körper- 100 Grad, Unterarm leicht erhöht lagern
schweiß aufsaugen. ● Handgelenk:
Zur Behandlung bereits entzündeter Hautfal- Pronation, Handgelenk leicht aufgestellt, zur
ten bzw. Hautdefekte gehören (je nach Wund- Streckseite gebeugt, Fingergelenke leicht ge-
abstrich) desinfizierende Maßnahmen, evtl. die beugt, Oppositionsstellung zwischen Dau-
Pflege mit speziellen Heilsalben und das konse- men und Zeigefinger
quente Trockenhalten. Alternativ können Hydro- ● Hüftgelenk:
kolloidverbände (→ S. 443) zum Einsatz kom- gestreckt, leichte Abduktion der Oberschen-
men, soweit keine Sekundärinfektion vorliegt. kel ohne Außenrotation der Beine
● Kniegelenk:
gestreckt
7.9.7 Kontraktur- und ● Fußgelenk:
Spitzfußprophylaxe rechter Winkel zwischen Fuß und Unterschen-
kel, keine Außen- oder Innenrotation, die Fuß-
Bei einer Kontraktur handelt es sich um eine spitzen müssen vor dem Aufliegen der Bettde
Funktions- und Bewegungseinschränkung, die cke geschützt sein
durch Verkürzung der Muskeln und Sehnen und
Schrumpfung der Gelenkkapseln verursacht ist. Bereits bestehende Kontrakturen sind für den
Patienten bei der Mobilisation immer mit
Um immobilisationsbedingten Gelenkkontrak- Schmerzen verbunden. Außerdem schränken
turen, Muskelatrophien und einer Spitzfußbil- Kontrakturen den Patienten in seiner Selbst-
dung vorzubeugen, sollten die Gelenke mindes ständigkeit massiv ein.
7.10 Lagerung des Intensivpatienten 431
liegen kommen. Nachdem das später oben lie- schäden (Nerven-, Haut-, Gelenk- und andere
gende linke Bein über das rechte Bein nach vorn Organschäden) führen, zumal sie nicht selten
gelagert wurde, wird der Oberkörper in Rechts- über mehrere Stunden beibehalten wird und
seitenlagerung gebracht. Um ein Zurückrollen dann nur noch stündlich sog. Mikrolagerungen
des Patienten zu verhindern, ist der Rücken mit zulässt. Dabei werden die Extremitäten bzw. der
einem Kissen abzustützen, das von den Schul- Kopf nur minimal verlagert bzw. gedreht, um
tern bis oberhalb (!) des Steißbeines reicht. Da- die Gelenke leicht zu bewegen und die Auflage-
mit der Patient nicht auf dem unten liegenden fläche (und damit die Durchblutung) zu verän-
rechten Arm ruht, ist die unten liegende Schul- dern. Idealerweise wird die seitliche (135 Grad)
ter nach vorn zu ziehen, und der rechte Ober- Bauchlage (2- bis 4-stündlich) von rechts nach
arm ist etwas vom Körper abzuspreizen. Das links gewechselt.
Ellenbogengelenk sollte gebeugt und der Unter- Zur Vorbereitung der Bauchlagerung gehört das
arm auf einem Kissen gelagert werden. Der gründliche Abpolstern zwischen Haut und
oben liegende Arm ist im Ellenbogengelenk sämtlichen Kunststoffdrainagen mit zugeschnit-
ebenfalls leicht zu beugen. Um einen Haut-auf- tenem Schaumstoff und/oder Kompressen.
Haut-Kontakt zu vermeiden, muss zwischen Dann muss der Patient von der Rücken- in die
Körper und oben liegendem Arm ein Kissen Bauchlage gedreht werden. Er muss dazu an
eingelegt werden. eine Seite des Bettes verlagert werden. Besonde-
Das unten liegende, nur leicht gebeugte Bein re Beachtung gilt der Sicherung sämtlicher
sollte etwas nach hinten verlagert werden. Da- Drainagen und Schläuche. Eine Person sollte
durch kann ein Zurückrollen des Patienten ver- sich ausschließlich um den Kopf, die Beat-
hindert werden. Das oben liegende Bein wird mungs- und Infusionsschläuche sowie die Kabel
bei deutlich gebeugtem Kniegelenk etwas nach zum Monitor kümmern. Der Patient wird zu-
vorn gelagert. Dadurch kann der Patient nicht erst in Seitenlage gebracht. Der unten liegende
nach vorn rollen. Um einen Haut-auf-Haut- Arm wird eng an den Rumpf geschoben, sodass
Kontakt zu vermeiden, muss zwischen Knie der Patient nun über den Arm auf den Bauch
und Unterschenkel ein Kissen eingebracht wer- gerollt werden kann. Unter den Brustkorb des
den. Die Füße sollten möglichst wiederum in Patienten wird auf der erhöht zu lagernden Seite
eine etwa 90-Grad-Stellung gebracht werden ein Kissen geschoben. Eventuell wird auch un-
(Spitzfußprophylaxe). Der Außenknöchel des ter Hüfte und Oberschenkel ein zweites Kissen
unten liegenden Beines sollte frei gelagert sein. geschoben. Der Bauch soll frei liegen, um die
Hierzu kann ein kleines Lagerungskissen unter Zwerchfellbewegung beim Atmen nicht einzu-
den distalen Unterschenkel geschoben werden. schränken. Auf der erhöht gelagerten Körper
seite wird der Arm nach oben neben den Kopf
gelagert, auf der anderen Seite wird der Arm
7.10.3 Bauchlagerung dem Körper angelagert. Der oben liegende Arm
wird neben dem Kopf im Schulter- und im El-
Die Bauchlagerung wird zum Teil im Rahmen lenbogengelenk um jeweils etwa 100 Grad ge-
der Dekubitusprophylaxe, vor allem aber in beugt gelagert, wobei auf eine frei (!) gelagerte
Verbindung mit pulmonalen Schädigungen an- Ellenbogenspitze zu achten ist, um eine Läsion
gewandt. Der auf dem Rücken liegende Patient des Nervus ulnaris zu verhindern. Das oben lie-
wird hierbei meist nicht um 180 Grad flach auf gende Bein wird leicht in Hüfte und Knie ange-
den Bauch gedreht sondern er wird normaler- winkelt und auf einem Kissen leicht erhöht gela-
weise nur um 135 Grad gedreht, sodass er in gert. Der unten liegende Arm wird mit der
seitlicher Bauchlage liegt. Die Bauchlage ist auf- Schulter vorsichtig nach unten außen gezogen
wendig in der Durchführung und kann bei un- und bleibt leicht angewinkelt neben dem Rumpf
sachgemäßer Ausführung zu schweren Folge- liegen. Das unten liegende Bein wird leicht an-
7.11 Sonde, Katheter und Drainage 433
gewinkelt und im Fußbereich unterpolstert, da- rungen durch schrittweise Drehung der Ebe-
mit der Fuß nicht in Form eines Spitzfußes auf- ne an die Bewegung im Raum gewöhnt
liegt. Der Kopf wird in Richtung der oberen werden.
Körperhälfte gedreht und mit einem individuell ● Lungenventilation:
tels Magenspritze Luft insuffliert und wieder Charrière, Frauen: 14–16 Charrière)
abgesaugt wird. Weist das abgeleitete Sekret ei- ● Desinfektionsmittel für Schleimhäute (z. B.
nen pH-Wert von ca. 2 auf, so spricht dies für Povidon-Iod; Braunol®)
eine intragastrale Lage (bei einer Lage im Duo- ● mit Aqua destillata gefüllte 10-ml-Spritze
denum beträgt der pH-Wert des Sekretes ca. 8). ● Gleitmittel (Instillagel ), das ein Lokalanäs-
®
Die Vorteile der suprapubischen Punktion ge- oder einer arteriellen Kanüle zu verhindern, ist
genüber der transurethralen Katheterisierung diese täglich mit einer antiseptischen Lösung
sind darin zu sehen, dass die Gefahr einer im zu reinigen. Anschließend ist ein steriler und
Krankenhaus erworbenen (nosokomialen) In- trockener Verband anzulegen. Um Katheterin
fektion sowie das Risiko einer Harnröhren-, fektionen vorzubeugen, müssen die angeschlos-
Hoden-, Nebenhoden- oder Prostataentzün- senen Infusionssysteme bzw. die zu den Mess-
dung oder die Gefahr einer Harnröhrenstriktur fühlern führenden Schläuche einmal pro Tag
geringer ist. Außerdem kann nach Abklemmen gewechselt werden, soweit kein Bakterienfilter
des suprapubischen (!) Katheters die Spontan- mit längerer Anwendungszulassung zwischen-
miktion trainiert und die Restharnbildung geschaltet ist. Ein unnötiges Manipulieren an
überwacht werden. diesen Kathetern ist zu vermeiden. Nicht ve-
Da bei einer suprapubischen Fehlpunktion nenreizende Medikamente sollten nicht über
Bauchorgane verletzt werden können, ist eine zentrale Venenkatheter, sondern möglichst über
suprapubische Punktion stets vom erfahrenen einen periphervenösen Zugang verabreicht
Arzt durchzuführen. Außerdem ist bei der werden. Infusionslösungen für die künstliche
Punktion eine sonographische Kontrolle sinn- intravenöse Ernährung sollten über einen Bak-
voll. terienfilter verabreicht werden. Fettemulsionen,
hochosmolare Infusionslösungen und Vitamine
Eine der häufigsten Ursachen für eine plötzliche dürfen jedoch nicht über Bakterienfilter laufen,
! Anurie ist ein verstopfter oder abgeknickter Urin- da sie zum Verschluss der Filter führen. Ca-
katheter! Der Katheter muss in diesem Falle unter techolamine sollten über speziell dafür zugelas-
sterilen Bedingungen mit physiologischer Koch- sene Filter verabreicht werden.
salzlösung durchgespült oder entknickt werden.
7.11.4 Blutige arterielle
Druckmessung
7.11.3 Zentraler Venenkatheter (→ S. 191)
(→ S. 185)
Venen zu einer guten Vermischung der Infusi- (zell- und proteinarmes Sekret, spezifisches
onslösung mit dem Blut kommt. Gewicht < 1 016; Proteingehalt < 30 g/l, z. B.
Um eine Infektion der Kathetereintrittsstelle ei- Pleuraerguss),
nes Kavakatheters, Pulmonalarterienkatheters ● Exsudat
7.11 Sonde, Katheter und Drainage 437
(entzündlich bedingtes, trübes Sekret, spezi- re Thoraxdrainage oft im zweiten oder dritten
fisches Gewicht > 1 016; Proteingehalt > 30 Interkostalraum in der Medioklavikularlinie
g/l, z. B. Pleuraempyem) und/oder eingeführt (Monaldi-Drainage). Es wird in
● versehentlich über einen fehlplatzierten zen- Richtung Schulter punktiert. Häufiger wird bei
tralen Venenkatheter infundierte Flüssigkeit einem Pneumothorax auch (genauso wie bei ei-
(Infusionsthorax) nem Pleuraerguss; → unten) im vierten oder
befindet. fünften Interkostalraum in der mittleren oder
hinteren Axillarlinie punktiert und die Tho-
Ursachen für einen Pneumothorax sind z. B. raxdrainage dann nach ventral vorgeschoben.
Fehlpunktionen mit Pleuraverletzung bei Anla- Soll Flüssigkeit aus dem Interpleuralraum abge-
ge eines zentralen Venenkatheters (→ S. 185) lassen werden, so wird normalerweise in der
oder spontane bzw. traumatische Lungenverlet- mittleren oder hinteren Axillarlinie im vierten
zungen. oder fünften Interkostalraum punktiert (=
Bülau-Drainage).
Bildet sich im Bereich der Verletzungsstelle ein Hierzu sollte der Oberkörper des Patienten zur
! Ventilmechanismus aus, das heißt, Luft tritt Punktion angehoben werden, sodass sich die
zwar aus der Lunge in den Pleuraspalt über, kann Flüssigkeit unten (im Punktionsbereich) an-
aber nicht mehr aus dem Pleuraspalt in die Lunge sammelt und die Gefahr einer punktionsbe-
zurückströmen, so entwickelt sich ein ständig grö- dingten Lungenverletzung minimiert wird. Die
ßer werdender Pneumothorax (Spannungspneu- Spitze der Thoraxdrainage sollte nach dorsal
mothorax). (wo sich die Flüssigkeit beim liegenden Patien-
ten ansammelt) vorgeschoben werden.
Die Gefahr eines Spannungspneumothorax ist Beim Einführen einer Thoraxdrainage ist zu
insbesondere bei künstlich beatmeten Patienten beachten, dass am Unterrand jeder Rippe eine
mit einer Lungenverletzung sehr groß. Ein Span- Arterie und eine Vene verlaufen. Zur Minimie-
nungspneumothorax führt zur Kompression der rung der Verletzungsgefahr der Lunge sollte im
verletzten Lunge und letztlich zur Verdrängung entsprechenden Interkostalraum der Zugangs-
des Mediastinums zur Gegenseite mit Kompres- weg möglichst stumpf mit Schere und Finger
sion großer venöser Gefäße und damit zur Dros- präpariert sowie gespreizt und erweitert werden
selung des venösen Rückflusses mit Kreislauf- (sog. Minithorakotomie). Die Thoraxdrainage
problemen. Ein Spannungspneumothorax kann nun – unter digitaler Führung – ohne Me-
kann klinisch festgestellt werden anhand von: tallmandrin bis in die Pleurahöhle eingeführt
● hypersonorem Klopfschall werden. Soll Luft drainiert werden, genügt eine
● einseitig fehlenden Atemgeräuschen dünne Thoraxdrainage (z. B. 24–28 Charrière),
● einseitigen Thoraxexkursionen soll Flüssigkeit drainiert werden, sollte eine di
● Oxygenierungsproblemen ckere Drainage (28–32 Charrière) verwendet
● Kreislaufproblemen werden. Anschließend wird der Schlauch mit
einer Tabaksbeutelnaht im Hautniveau ange-
Es ist eine sofortige Entlastung angezeigt. Hier- näht. Die Tabaksbeutelnaht wird später beim
zu wird unter sterilen Bedingungen eine groß- Ziehen der Drainage schnell zusammengezo-
lumige Thoraxdrainage mit Trokar in den Pleu- gen, dadurch kann der Eintritt von Luft in den
raspalt eingeführt (normalerweise bei Männern Pleuraspalt verhindert werden.
32 Charrière, bei Frauen 28 Charrière; → un- An eine Thoraxdrainage ist ein entsprechendes
ten). In Notsituationen kann initial auch eine Drainagesystem anzuschließen. Dieses Drai-
großlumige periphervenöse Verweilkanüle ein- nagesystem besteht zumeist aus Sekretauffang-
geführt werden. behälter, sog. Wasserschloss und Saugvorrich-
Im Falle eines Pneumothorax wird eine dünne- tung (Abb. 7-15a–e).
438 7 Intensivmedizin
b
Abb. 7-15 Thoraxdrainage.
a Einflaschensystem, das als Sekretauf-
fangkammer und als Wasserschloss
fungiert (Eintauchtiefe des Wasser-
schlossstabes sollte stets ca. 2–3 cm
betragen und muss bei Sekretnachfluss
ggf. korrigiert werden). b Zweiflaschen-
system; die erste Flasche dient als
Sekretauffangkammer, die zweite
Flasche als Wasserschloss. Bei Sekret-
nachfluss verändert sich die Eintauch-
tiefe des Wasserschlossstabes nicht.
c Dreiflaschensystem mit aktiver Sau-
gung; die erste Flasche dient als Sekret
auffangkammer, die zweite Flasche als
Wasserschloss und die dritte Flasche
dient dem Anschluss des Sogs und der
c
Sogregulierung.
7.11 Sonde, Katheter und Drainage 439
Abb. 7-15 Thoraxdrainage.
d Pleur-evac®-System zum Einmal d
gebrauch. 1 = Saugschlauch;
2 = Saugerkammer (wird die
Saugerkammer z. B. 15 cm hoch mit
Wasser gefüllt, dann ergibt sich ein
Sog von –15 cm H2O (die Füllhöhe des
Wassers entspricht bei diesem System
im Prinzip der Einführtiefe des Steig-
rohres bei anderen Systemen; vgl.
Text); 3 = Wasserschloss; 4 = Auffang-
kammern 1 und 2; 5 = Thoraxdraina-
gen 1 und 2.
e Manchmal eingesetzte Konstruktion,
bei der die Funktion der zweiten und
dritten Flasche kombiniert werden
e
(vgl. Abb. 7-15c).
Thoraxdrainagesysteme wurden von Einfla- Flüssigkeit aus dem Pleuraspalt entweichen und
schensystemen über die Zweiflaschensysteme es kann gleichzeitig verhindert werden, dass Luft
zu den Dreiflaschensystemen weiterentwickelt. wieder zurück in den Pleuraspalt gelangt (= sog.
Die heute üblichen Drainagesysteme beruhen Wasserschloss). Das Drainagesystem muss stets
zumeist auf dem Funktionsprinzip der Dreifla- unterhalb des Patiententhorax und in stehender
schensysteme. Position gelagert werden, damit Flüssigkeit drai-
Bei den Einflaschensystemen (Abb. 7-15a) wird nieren und das Wasserschloss funktionieren
eine teilweise mit Flüssigkeit gefüllte Flasche kann. Entweicht Luft aus der Lunge (besteht z. B.
verwendet, wobei der Drainageschlauch (Was- eine sog. Lungenfistel), dann blubbert es am
serschlossstab) stets ca. 2–3 cm in die Flüssigkeit Wasserschloss kontinuierlich (Abb. 7-15a).
eintauchen muss. Hierdurch können Luft und Fließt über die Thoraxdrainage Sekret in die Fla-
440 7 Intensivmedizin
sche und steigt daher der Flüssigkeitsspiegel an, 15 cm H2O – 3 cm H2O = 12 cm H2O). Taucht al-
dann muss wiederholt der Wasserschlossstab lerdings der Stab des Wasserschlosses versehent-
nachgestellt werden, sodass er stets ca. 2–3 cm lich viel zu tief unter Wasser (z. B. 10 cm), dann
unter den Wasserspiegel reicht. Je tiefer der Was- beträgt der tatsächlich wirksame Sog nur noch
serschlossstab in die Flüssigkeit tauchen würde, 15 cm H2O – 10 cm H2O = 5 cm H2O. In diesem
desto schwerer könnte evtl. Luft nur entweichen. Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die
Damit nicht laufend der Wasserschlossstab Schläuche des Thoraxdrainagesystems nicht
nachkorrigiert werden muss, werden Sekret- siphonartig durchhängen und Flüssigkeit enthal-
kammer und Wasserschloss zumeist getrennt. ten dürfen. Ansonsten muss die Höhe dieser
Dies ist im Zweiflaschensystem realisiert. Wassersäule durch den Sog ebenfalls erst über-
Das Zweiflaschensystem (Abb. 7-15b) besteht wunden werden und der tatsächlich wirksame
aus einer ersten Flasche für den Sekretauffang Sog wird noch um die Höhe dieser Wassersäule
und einer zweiten Flasche für das Wasser- gemindert (wirksamer Sog = eingestellter Sog
schloss. Sekretsammelkammer und Wasser- minus Tiefe des Wasserschlosses minus Höhe
schloss sind getrennt. Läuft Flüssigkeit in die evtl. Flüssigkeitsspiegel in den Schläuchen).
Sammelkammer nach, hat dies keinen Einfluss Oft werden als Thoraxdrainagesysteme auch
auf das Wasserschloss. Der Wasserschlossstab Einwegsysteme verwendet. Die in Deutschland
braucht also nicht nachjustiert werden. häufig eingesetzten Einwegsysteme (v. a. Pleur-
Beim Dreiflaschensystem (Abb. 7-15c) dient die evac® [Abb. 7-15d] und Sential Seal®) beruhen
erste Flasche als Sekretauffangkammer, die auf dem Prinzip des Dreiflaschensystems. Diese
zweite Flasche als Wasserschloss und die dritte, Einwegsysteme besitzen noch zusätzliche Si-
nachgeschaltete Flasche dem Anschluss eines cherheitsventile (z. B. Positivitätsventil, Negati-
Vakuums (Sogs) und der Regulierung der Sog- vitätsventil).
stärke. Beim Anschluss eines Thoraxdrainage- Manchmal werden auch Konstruktionen einge-
systems an eine der in Krankenhäusern übli- setzt (Abb. 7-15e), bei denen die Funktion der
chen Vakuumanschlüsse ist zu beachten, dass zweiten und dritten Flasche in einer Flasche
dieser Anschluss nur einen konstanten Sog er- kombiniert sind. Die erste Flasche entspricht
möglicht. Daher muss die dritte Flasche eine der Sekretauffangflasche und die zweite Flasche
Sogregulierung ermöglichen. Über die Ein- erfüllt die Funktion des Wasserschlosses und
tauchtiefe eines zur Atmosphäre hin offenen, der Saugregulierung (vgl. Abb. 7-15c).
hohlen Steigrohres kann der an der Flasche an- Um ein Verstopfen der Thoraxdrainage durch
gelegte konstante Sog reguliert werden. Wird Koagel zu verhindern, muss der ableitende
durch den angelegten Sog nun Luft über das zu- Schlauch intermittierend „ausgemolken“ wer-
meist 15–20 cm tief eingetauchte Steigrohr den. Die Punktionsstelle muss täglich gereinigt,
(Abb. 7-15c) angesaugt, dann blubbert es konti- inspiziert, desinfiziert und neu verbunden wer-
nuierlich am Steigrohr und der Sog beträgt –15 den. Besteht eine Verbindung (Fistel) zwischen
bis –20 cm H2O. Würde das Steigrohr nur 10 cm der Lunge und dem Unterhautzellgewebe, so
tief unter Wasser geführt, dann würde der ent- kann sich die Luft bei ungenügender Drainage-
standene Sog nur –10 cm H2O betragen. funktion in diesem Gewebe ansammeln und es
Der Sog wird normalerweise auf ca. –5 bis kommt zu einem knisternden Hautemphysem.
–20 cm H2O (= 5–20 cm Eintauchtiefe des Steig- Die abgesaugte Flüssigkeitsmenge wird überprüft
rohrs eingestellt; häufig ca. 15 cm H2O). Bei der und dokumentiert. Falls der Patient Fieber un-
Einstellung des Sogs ist allerdings zu beachten, klarer Ursache hat, sollte 2-mal pro Woche eine
dass der tatsächlich im Pleuraraum wirksame Sog Probe zur bakteriologischen Kontrolle aus der
sich aus der Differenz zwischen eingestelltem Sog abgesaugten Flüssigkeit entnommen werden.
(z. B. –15 cm H2O) minus Höhe des Wasser- Soll ein beatmeter Patient mit Thoraxdrainage
schlosses (z. B. 3 cm H2O; → S. 339) ergibt (z. B. transportiert werden, so darf die Thoraxdrainage
7.12 Wundversorgung 441
nicht abgeklemmt werden. Bei Abklemmung be- von einer primären Wundheilung gesprochen.
steht die Gefahr eines Spannungspneumothorax Dieser Heilungsverlauf kann in folgende 3 Sta-
(→ S. 295). Beim Patiententransport sollen (so- dien unterteilt werden:
wohl beim beatmeten als auch spontan atmen- ● Latenz- oder Exsudationsphase:
den Patienten) Thoraxdrainagesysteme mit Was- In der Latenz- oder Exsudationsphase füllen
serschloss ohne Saugung angeschlossen bleiben kleine, eröffnete Blut- und Lymphgefäße den
und mitgenommen werden. Aufgrund des Was- entstandenen Defekt solange mit Wundse-
serschlosses kann ggf. Luft über das Wasser- kret, bis die Gerinnung und die Vasokon-
schloss aus dem Pleuraspalt entweichen, aber es striktion den Vorgang stoppen und die Wun-
kann keine Luft über die Thoraxdrainage in den de verklebt (Schorfbildung). Daraufhin
Pleuraspalt gelangen. Für den Patiententransport werden evtl. vorhandene Keime von den aus
kann die Thoraxdrainage aber auch mit einem den Kapillaren einwandernden Granulozy-
sog. Heimlich-Ventil versehen werden, das an ten, Histiozyten und Fibroblasten phagozy
das Schlauchende angesteckt wird. Es lässt Luft tiert. Dieses Stadium dauert etwa 4 Tage.
aus dem Pleuraspalt entweichen, aber umgekehrt ● Proliferationsphase:
keine Luft von außen in den Pleuraspalt hinein. In der Proliferationsphase sprießen, von den
Wundrändern ausgehend, Kapillaren in das
Wundbett ein, Fibroblasten bilden Kollagen-
vorstufen, und innerhalb von 4–7 Tagen be-
7.12 Wundversorgung ginnt die Wunde zu schrumpfen und deren
Festigkeit nimmt zu.
Mechanische, thermische, chemische und strah- ● Regenerations- oder Reparationsphase:
Heilungsstörungen können verursacht sein schaften der Wunde (trocken oder sezernie-
durch Primärerkrankungen wie Diabetes melli- rend) muss der Verband einmal oder mehrmals
tus, periphere arterielle Verschlusskrankheit (= täglich gewechselt werden. Unauffällige reizlose
PAVK), chronisch venöse Insuffizienz, Polyneu- Wunden können bereits nach wenigen Tagen
ropathie, immunsuppressive Behandlung oder ohne Verband belassen werden.
Druckbelastung. Ursache der verzögerten oder Als Auflagen dienen bei der trockenen Wund-
unzureichenden Heilung ist dabei die mangelnde versorgung:
Durchblutung des geschädigten Gewebes. Auch ● Kompressen:
schutzfilme (zum Schutz der die Wunde um- Sie sind von einer Vliesumhüllung umgeben
gebenden intakten Haut) zur Wundbehand- und werden auf leicht sezernierende Wun-
lung mitverwendet werden. den aufgelegt. Die herkömmlichen Kom-
● Materialien zur Verbandfixierung: pressen würden mit solchen Wunden leicht
Die Fixierung von Wundauflagen erfolgt, so- verkleben und bei der Entfernung könnte
weit sie nicht selbstklebend sind, mit (un-) leicht eine erneute Verletzung verursacht
elastischem Pflaster, (un-)elastischen Binden werden.
oder (un-)elastischem Klebemull. ● Saugkompressen:
gebiete entsprechen denen der nicht haften- band medikamentös wirksame Zusätze,
den Kompressen (→ S. 442). meist zur Desinfektion, beigefügt werden.
● Pflaster: Wichtig ist, dass ein feuchter Kompressen-
Sie eignen sich zur Abdeckung trockener verband stets feucht gehalten wird, damit
Einstichstellen oder Operationswunden. seine Wirkung aufrechterhalten wird. Dazu
sind häufige Verbandswechsel nötig, die al-
lerdings eine mögliche Kontamination der
Feuchte Wundbehandlung Wunde begünstigen. Es ist daher auf ein
sorgfältiges Arbeiten zu achten. Anwen-
Indikationen für die feuchte Wundbehandlung dungsgebiete für angefeuchtete Kompressen
sind: können septische, sekundär heilende, chro-
● septische, sekundär heilende Wunden nische offene Wunden und Weichteilverlet-
● offene Weichteilverletzungen zungen sein. In der Praxis wird allerdings die
● offene chronische Wunden Arbeit mit den speziellen Wundverbänden
● Verbrennungswunden (→ S. 481) bevorzugt, soweit keine Kontraindikationen
● oberflächliche Erosionen vorliegen (→ unten). Diese führen zudem zu
● Einstichstellen einem beschleunigten Heilungsverlauf.
● transparente Wundverbände:
Zur feuchten Wundbehandlung stehen 2 grund- Sie bestehen aus selbstklebenden semiper-
sätzlich verschiedene Methoden zur Auswahl. meablen Folien. Damit können reizlose tro
Je nach Eigenschaften und Beschaffenheit der ckene Einstichstellen, wie z. B. Einstichstel-
Wunde wird die Versorgung mit angefeuchte- len von intravasalen Kathetern oder supra-
ten herkömmlichen Kompressen oder mit spe- pubischen Blasenkathetern, versorgt werden.
ziellen Wundverbänden bevorzugt. Gegenüber der Versorgung mit Pflasterver-
Als Auflagen dienen bei der feuchten Wund- bänden haben sie den Vorteil, dass sie wegen
versorgung: ihrer Transparenz eine kontinuierliche Wund-
● angefeuchtete Kompressen: inspektion zulassen und mehrere Tage belas-
Die herkömmliche Methode besteht darin, sen werden können.
dass angefeuchtete Kompressen auf die Wun- ● Hydrokolloidverbände (= HKV):
de aufgebracht und diese dann trocken abge- Sie schaffen ein feuchtes, körperwarmes
deckt werden. Zur Anfeuchtung wird Rin- Wundmilieu. Ihre semipermeable Folien las-
ger-Lösung empfohlen, die ein breiteres sen den Gasaustausch zu, ermöglichen die
Angebot an Elektrolyten bietet als die phy- Abgabe überschüssiger Feuchtigkeit nach
siologische Kochsalzlösung. Dies scheint für außen, sind aber von außen her was-
die Wundheilung von Vorteil zu sein. Häufig serundurchlässig. Die Verbände enthalten
wird zur Anfeuchtung auch Lavasept® ver- hydrophile Partikel. Die hydrophilen Parti-
wendet. Die feuchte Wundbehandlung hat kel nehmen unter Aufquellen Wundsekret
zum Ziel, nicht epithelialisiertes Gewebe vor auf, binden es und bilden eine Gelmasse, die
dem Austrocknen zu bewahren und ein sich beim Verbandswechsel leicht von der
feuchtes, körperwarmes Milieu zur Unter- Wunde entfernen lässt. Flexible HKV
stützung der Wundheilung zu schaffen. Da- können viel Wundsekret aufnehmen. An-
neben kann die entstehende Verdunstungs- wendungsgebiete sind offene chronische
kälte bei entzündlich veränderten Wunden Wunden und Weichteilverletzungen, Ver-
als angenehm empfunden werden. Bei Ver- brennungswunden vom Grad I und II sowie
wendung hyper- oder hypotoner Lösungen oberflächliche Erosionen. Bei Verbrennungs-
kann zudem eine osmotische Wirkung er- wunden vom Grad I oder II bzw. oberflächli-
zielt werden. Außerdem können dem Ver- chen Erosionen mit geringer Sekretion kom-
444 7 Intensivmedizin
men transparente HKV zur Anwendung. Die Infizierte Wunden sollten mit Ringer-Lösung
Verbände sollten je nach Sekretion der Wun- gereinigt werden. Anschließend sind die Wun-
de mehrere Tage belassen werden. Nicht an- den – je nach Sekretion – mit feuchten oder
gewendet werden sollte der HKV bei infi- trockenen Kompressen (mit oder ohne Medika-
zierten Wunden, bei Nekrosen oder auf mentenzusatz) steril zu bedecken und zu ver-
Wunden, in denen Muskeln, Sehnen oder kleben (→ S. 442). Dadurch soll eine von der
Knochen frei liegen. Wunde ausgehende Verunreinigung der Umge-
● Alginate: bung ausgeschlossen werden.
Hierbei handelt es sich um Wundauflagen mit Eine Besonderheit stellt dabei die Versorgung
einem besonders hohen Quellvermögen. Sie eines septischen (offenen) Bauchs dar. Manch-
eignen sich daher für sehr stark sezernierende mal wird ein Vicrylnetz mit Reißverschluss ein-
Wunden. Meist handelt es sich um Calciumal- genäht damit ggf. wiederholt eine Peritoneal-La
ginate, die Calcium an die Wunde abgeben und vage durchgeführt werden kann (→ S. 472). Auf
Natrium aus der Wunde aufnehmen. Dabei dieses Netz werden Kompressen, die mit Ringer-
entsteht eine Gelmasse, die Wundsekrete, Ge- Lösung angefeuchtet sind, gelegt. Dabei soll der
webereste und Mikroorganismen einschließt nicht epithelisierte Wundrand völlig bedeckt
und sich beim Verbandswechsel leicht entfer- sein, um eine Austrocknung zu verhindern. Die
nen lässt. Weil Alginate nicht selbstklebend umliegende intakte Haut muss aber unbedingt
sind, bietet sich die Abdeckung mit einem Hy- trocken gehalten werden, um sie vor Mazeration
drokolloidverband an. zu schützen. Es empfiehlt sich, diese mit einem
Hautschutzfilm zu versehen. Die feuchten
Zur Wundversorgung stehen also eine Reihe Kompressen sind mit trockenen Kompressen
von Verbandsarten zur Verfügung, die indivi- abzudecken und werden mit einer Bauchbinde
duell, das heißt je nach Beschaffenheit und fixiert, die eine Wunddehiszenz verhindern soll.
Besonderheiten einer Wunde, ausgesucht und Je nachdem, wie stark die Wunde sezerniert, ist
angewandt werden müssen. Weil der Verbands- ein 2- bis 6-stündlicher Verbandswechsel indi-
wechsel primär eine ärztliche Tätigkeit darstellt, ziert.
muss das Pflegepersonal das Vorgehen bei der
Wundversorgung mit dem behandelnden Arzt
absprechen. Die Art der Wundversorgung ist Dekubitus (→ S. 428)
vom Arzt anzuordnen.
Bei der Dekubitusbehandlung wird bei tiefen,
nicht infizierten Dekubitalulzera unter sterilen
7.12.3 Spezielle Wundbehandlung Bedingungen eine Wundreinigung mit Pinzette
und Schere (durch den Arzt) vorgenommen,
Im Folgenden werden einige Wundarten, die um abgestorbenes Gewebe zu entfernen, falls
bei intensivpflichtigen Patienten häufiger vor- eine enzymatische Wundreinigung nicht aus-
kommen und die aufwendig versorgt werden reichend ist. Die Dekubituswunde wird mit
müssen, näher beschrieben. Ringer-Lösung gespült. Obwohl Dekubitalulze-
ra keine aseptischen Wunden darstellen, wer-
den sie bevorzugt mit Hydrokolloidverbänden
Septische oder infizierte Wunden versorgt. Unter dieser Therapie findet nachweis-
lich eine Keimreduktion statt. Bei tiefen Wun-
Infizierte Wunden sind, obwohl sie bereits konta- den sollte vorher eine Alginatkompresse einge-
! miniert sind, immer unter sterilen Bedingungen zu legt werden.
versorgen, um eine weitere Kontamination zu ver- Bei Verdacht auf eine Infektion des Dekubital
meiden! ulkus ist vor der Spülung ein Wundabstrich zu
7.13 Spezielle Krankheitsbilder 445
entnehmen. Entsprechend dem Erregernach- Schutzfolie) einen guten Schutz der Darm-
weis kann eine lokale oder systemische Behand- schlingen ermöglichen (Abdominal-V. A. C.).
lung mit Antibiotikum oder Antimykotikum
indiziert sein. Aufgebrachte Salben sind dann
mit nicht haftenden Kompressen abzudecken.
Nach Abklingen der Lokalinfektion kann wie 7.13 Spezielle
bei nicht infizierten Dekubitalulzera vorgegan- Krankheitsbilder
gen werden. Sorgfältig ist darauf zu achten, dass
Dekubitalulzera vor der Einwirkung von Stuhl,
Urin oder anderen Sekreten geschützt werden. 7.13.1 Lungenerkrankungen
Akutes Lungenversagen
Chronische Wunden,
große Weichteilverletzungen,
Nach unterschiedlichsten Schädigungen der
Lunge kann es zu einem akuten Lungenver-
Knochen- und Weichteilinfekte
sagen kommen. Es wird zwischen ARDS (=
Bei diesen schwer zu versorgenden Wunden hat acute respiratory distress syndrome) und
sich als eine neue Methode der Wundbehand- ALI (= acute lung injury) unterschieden.
lung die sog. Vakuumversiegelung (= V. A. C. = Das ARDS (schwere Form des akuten Lungenver-
vacuum assisted closure) bewährt. Auf das sagens) ist gekennzeichnet durch:
Wundgewebe werden speziell gefertigte sterile – akuter Beginn
Schaumstoffe aufgelegt, aus denen dünne – Tachypnoe
Schläuche abgeleitet werden. Über das gesamte – beidseitige Lungenverschattungen im Röntgen-
Wundgebiet und die eingebrachten Schaum- bild des Thorax (wobei ein kardiales Lungen-
stoffe wird eine transparente, selbstklebende ödem ausgeschlossen werden kann)
und semipermeable Folie geklebt. Wichtig ist – schwere Oxygenierungsstörung:
dabei, dass die Folie absolut dicht hält. An die Der sog. Oxygenierungsindex (paO2/FiO2) beträgt
austretenden Schläuche wird bei kleinen Wun- < 200 mm Hg.
den eine Redonflasche mit Sog, bei größeren Für das ALI (leichtere Form des akuten Lungenver-
eine Vakuumsaugung mit einem Sog von –70 sagen) gilt:
bis –125 mm Hg angeschlossen. Damit wird die Definition wie ARDS (→ oben), der Oxygenie-
Luft unter der Folie entfernt und die Wundrän- rungsindex ist mit < 300 mm Hg jedoch um eini-
der werden dadurch leicht adaptiert. Die Folie ges besser.
wirkt als Schutzbarriere gegen den Eintritt von
Mikroorganismen. Durch kontinuierliche Drai- Ätiologie
nage der Wundsekrete wird möglichen Keimen Ein ARDS oder ALI kann Folge sein von:
der Nährboden entzogen. Gleichzeitig führt die ● Aspiration
angegeben. Die Volumenangabe von 0,4 ml/ Anfangs tritt eine kompensatorische Hyper-
kg KG scheint jedoch wissenschaftlich nicht gut ventilation mit Abfall des arteriellen CO2-
belegt zu sein. Partialdrucks auf (→ S. 343). Im Spätstadi-
um droht die Erschöpfung des Patienten mit
Komplikationen Anstieg des CO2-Partialdrucks.
Folge des Aspirationssyndroms kann eine ● Dyspnoe
Therapie Ätiologie
Therapeutisch stehen bei einer Linksherzinsuf- Die Lobärpneumonie (die streng auf die Gren-
fizienz folgende Maßnahmen im Vordergrund: zen eines Lungenlappen begrenzt ist) und
● Verabreichung von Sauerstoff die Broncho-(Herd-)Pneumonie (die zu diffu-
● Steigerung der Diurese mittels Diuretika sen, fleckigen Infiltraten führt, die in allen
(z. B. 40 mg Furosemid) Lungenbereichen auftreten können), führen
● Hochlagerung des Oberkörpers und Gabe vor allem zu einer alveolaren Infiltration,
von Nitroglycerin das heißt es kommt zur Sekretansammlung
(zur Verringerung des venösen Rückflusses) in den Alveolen. Lobär- und Bronchopneumo-
● Sedierung mit einem Opioid nien sind zumeist bakteriell verursacht. Die
(v. a. Morphin) interstitielle Pneumonie beschränkt sich
meist auf das Lungeninterstitium und ist
In schweren Fällen wird eine Masken-CPAP zumeist durch Viren oder Mykoplasmen be-
(→ S. 362) oder gar eine endotracheale Intuba- dingt.
tion und maschinelle Beatmung mit PEEP not- Bei intensivmedizinisch betreuten Patienten ist
wendig. die nosokomiale Pneumonie die häufigste im
Krankenhaus erworbene Infektion. Etwa 30 %
der maschinell beatmeten Intensivpatienten
Pneumonie entwickeln eine Pneumonie (sog. Beatmungs-
pneumonie). Das Risiko hierfür ist abhängig
Bei einer Pneumonie handelt sich um eine akute von der Beatmungsdauer.
Entzündung des Lungengewebes (= Lugenent- Eine nosokomiale Pneumonie wird durch fol-
zündung). gende Umstände begünstigt:
● Notwendigkeit der maschinellen Beatmung
Einteilung ● Alter > 65 Jahre bzw. < 1 Jahr
nach folgenden Kriterien eingeteilt werden: die zu einer Schwächung des Immunsystems
450 7 Intensivmedizin
und/oder zu einer Beeinträchtigung des Be- Bei einer primär atypischen Pneumonie lassen
wusstseinsgrades führt sich mit den üblichen Methoden keine pathoge-
● Vorerkrankungen des Atmungstraktes nen Keime nachweisen.
● Thorax- oder Bauchoperationen
Therapie
Eine Lungenentzündung wird zumeist durch Je nach Ergebnis der arteriellen Blutgasanalyse
eine bakterielle Infektion verursacht (falls werden eine Intubation und maschinelle Beat-
ambulant erworben: vor allem durch Pneumo- mung des Patienten notwendig. Die Kriterien
kokken oder Hämophilus; falls nosokomial er- für die endotracheale Intubation sind auf den
worben: vor allem durch gramnegative Entero- Seiten 346 ff. beschrieben.
bakterien oder Staphylococcus aureus bedingt).
In der Intensivmedizin ist die nosokomiale Entscheidende Therapiemaßnahmen sind die Ver-
Pneumonie durch gramnegative Bakterien ! abreichung von Antibiotika (→ unten) sowie die
(→ S. 385) von besonderer Bedeutung. Bei der Zufuhr einer erhöhten inspiratorischen Sauerstoff-
häufig vorliegenden Bronchopneumonie breitet konzentration. In schweren Fällen ist eine maschi-
sich die Infektion über Bronchien und kleine nelle Beatmung mit PEEP notwendig.
Luftwege in das Lungengewebe aus.
Bei einer ambulant erworbenen bakteriellen
Klinik Pneumonie bietet sich die Gabe eines Cefalo-
Das klinische Bild ist gekennzeichnet durch: sporins der Gruppe 2 plus die Gabe eines Ma-
● Tachypnoe krolids, bei einer nosokomialen Pneumonie
● Dyspnoe die Gabe eines Cefalosporins der Gruppe 2, 3a
● Hypoxämie oder 3b, eines bestimmten Penicillins (Amino-
● Fieber penicillin oder Acylaminopenicillin jeweils in
● Schüttelfrost Kombination mit einem β-Lactamase-Inhibitor)
● eitriger Auswurf oder eines Carbapenems an. In sehr schweren
● Rasselgeräusche Fällen wird das obige Antibiotikum noch mit
● Bronchialatmen einem Fluorchinolon der Gruppe 2 oder 3 oder
einem Aminoglykosid kombiniert (→ S. 385).
Komplikationen Bei einer Aspirationspneumonie bietet sich
Folgen der Entzündung sind: Imipenem, bei einer Pneumonie mit MRSA
● Gewebsödem Vancomycin und bei einer interstitiellen Pneu-
● Abfall der Compliance monie (mit z. B. Mykoplasmen oder Chlamydi-
● erhöhter Rechts-links-Shunt en) Erythromycin an.
Bei einer sekundären Pneumonie unter Anti-
Diagnostik biotikatherapie kommen oft Imipenem plus
Das Röntgenbild der Lunge zeigt bei der Bron- ein Fluorchinolon z. B. der Gruppe 3 und bei
chopneumonie zumeist fleckförmige Verschat- einer Pilzpneumonie kommt z. B. Fluconazol
tungen und bei der interstitiellen Pneumonie (Diflucan) zur Anwendung.
eher relativ gleichmäßige, milchig weiße Ver-
schattungen. Prognose
Beim intubierten Patienten ist wiederholt Tra- Durch eine beatmungspflichtige Pneumonie
cheobronchialsekret unter sterilen Bedingun- nimmt die Letalität der Patienten um bis zu
gen abzusaugen. In dem Sekret soll der bakteri- 30 % zu.
elle Erreger nachgewiesen und dessen Empfind-
lichkeit auf Antibiotika ausgetestet werden.
7.13 Spezielle Krankheitsbilder 451
stören und einen Reflux begünstigen, sollten sie ● überdehnter Thorax mit relativ horizontal
Patienten nur noch geringe pulmonale Reser- einer relativ langen Exspirationsphase (Atem-
ven besitzen, können sie bereits im Rahmen zeitverhältnis 1 : 2; 1 : 3; 1 : 4) gewählt wird und
eines relativ geringen bronchopulmonalen In- dass die Sauerstoffkonzentration lediglich bis
fektes, einer Operation oder einer stärkeren Se- auf das notwendige Mindestmaß gesteigert
dierung dekompensieren. Die Therapie solcher wird.
Patienten gestaltet sich erfahrungsgemäß
schwierig und langwierig.
Lungenkontusion
Da insbesondere das Abtrainieren von einem Be-
! atmungsgerät sehr problematisch ist, sollte die
Im Rahmen eines stumpfen Thoraxtraumas kann
maschinelle Beatmung, wenn irgend möglich, ver- es zu einer Quetschung von Lungengewebe (=
mieden werden. Lungenkontusion) kommen.
der chronischen Herzinsuffizienz meist günsti- Arbeiten (z. B. aufgrund eines Linksschenkel-
ge Effekte hat. β-Rezeptoren-Blocker sind – wie blockes) kann durch die Implantation eines bi-
ACE-Hemmer – vorsichtig einzuschleichen ventrikulären Herzschrittmachers (sog. kardi-
(initial z. B. 1 × 10 mg/d Metoprolol; Zieldosis 2 ale Resynchronisation) eine Synchronisation
× 100 mg/d Metoprolol). und deutlich effektivere Kontraktion der Ven-
Diuretika (z. B. Furosemid) sind zum Aus- trikel mit Zunahme des HMVs erzielt werden.
schwemmen evtl. Ödeme sinnvoll. Die meisten Da Patienten mit einer Herzinsuffizienz oft an
Diuretika können zu einer Hypokaliämie füh- akuten Herzrhythmusstörungen versterben,
ren (und dadurch u. U. digitalisbedingte Herz- wird öfter ein ICD (= implantierbarer Car
rhythmusstörungen begünstigen). Außerdem dioverter/Defibrillator) implantiert. Dies ist
können sie eine Hypovolämie und orthostati- ein spezieller Herzschrittmachertyp, der ein
sche Dysregulation verursachen. Kammerflimmern erkennen kann und dann
Digitalispräparate wirken durch die Erhöhung automatisch eine interne Defibrillation durch-
der intrazellulären Calciumkonzentration posi- führt.
tiv inotrop. Die therapeutische Plasmakonzen-
tration von Digoxin wird mit 0,7–1,8 ng/ml, die Therapie der akuten Herzinsuffizienz
von Digitoxin mit 8–25 ng/ml angegeben. Au- Bei der Therapie der akuten Herzinsuffizienz
ßerdem können sie bei Vorhofflimmern eine ist, wenn möglich, eine kausale Therapie
schnelle Reizüberleitung vom Vorhof zum Ven- durchzuführen. Zum Beispiel ist bei einem aku-
trikel verzögern und so eine Tachyarrhythmie ten Myokardinfarkt ggf. eine Thrombolyse der
vermeiden bzw. so die Ventrikelfrequenz sen- Koronararterien (→ S. 460, 497) oder bei einer
ken. Digitalispräparate werden inzwischen zu- hypertensiven Krise eine entsprechende Blut-
meist mit dem Ziel der Frequenzkontrolle ein- drucksenkung durchzuführen. Eine kausale
gesetzt. Es wird dann eine relativ niedrige Therapie ist jedoch nur in einem geringen Pro-
Plasmadigoxinkonzentration (0,5–0,8 ng/ml) zentsatz der Fälle möglich.
angestrebt. Bei einem digitalisierten Patienten Typisch für eine akut dekompensierte Herzin-
tritt als unspezifisches Zeichen eine muldenför- suffizienz sind:
mige ST-Strecken-Senkung auf. ● systolischer Blutdruck < 80 mm Hg
nung empfohlen wurde, wird inzwischen – falls rung der myokardialen Pumpleistung (v. a.
keine akute Dekompensation vorliegt – ein do- Catecholamine; → S. 300)
siertes Bewegungstraining empfohlen. ● Vasopressoren zur Steigerung des Perfusi-
itiale sublinguale Gabe erfolglos blieb. Zur rung) des myokardialen Sauerstoffverbrauches
Nachlastsenkung kommen arterielle Vasodila- aufgrund der verminderten Vor- und Nachlast
tatoren (Nitroprussidnatrium, Calciumkanal-
blocker) infrage. Da PDE-Hemmer zu einer Vasodilatation füh-
Als Basistherapie der akuten Herzinsuffizienz ren, ist auf eine ausreichende Volumenzufuhr
gilt seit Jahren die Gabe eines Catecholamins. zu achten. Bei schwerer Herzinsuffizienz kön-
Catecholamine (z. B. Dobutamin, Noradrena- nen PDE-Hemmer evtl. mit einem Catechol
lin, Adrenalin) sind die Mittel der Wahl zur amin kombiniert werden.
akuten Steigerung von myokardialer Kontrakti- Ist eine akute Herzinsuffizienz medikamentös
lität, Blutdruck und Herzminutenvolumen. Soll nicht zu bessern, dann kann vorübergehend
eine positiv inotrope Substanz verabreicht wer- eine intraaortale Ballongegenpulsation (→ S.
den, so wird meist Dobutamin als Mittel der 312) sinnvoll sein.
Wahl genannt. Dobutamin führt allerdings zu Digitalispräparate sollten bei der Therapie der
einem Abfall des peripheren Gefäßwiderstan- akuten Herzinsuffizienz nicht zur Steigerung
des. Da unter Dobutamin gleichzeitig das der Kontraktilität verabreicht werden. Sie soll-
Herzminutenvolumen ansteigt, bleibt der Blut- ten höchstens als Antiarrhythmikum eingesetzt
druck normalerweise weitgehend konstant. werden. Tritt z. B. im Rahmen der akuten Herz-
Noradrenalin wird im Falle einer akuten insuffizienz ein Vorhofflimmern mit schneller
Herzinsuffizienz vor allem dann zusätzlich zu Überleitung auf, so kann durch eine schnelle
Dobutamin verabreicht, wenn trotz Optimie- Aufdigitalisierung die Herzfrequenz meist er-
rung von Vor- und Nachlast und Gabe von Do- niedrigt und die hämodynamische Situation
butamin der arterielle Druck kritisch erniedrigt meist verbessert werden. Hierfür bietet sich bei-
bleibt. spielsweise die Gabe von Digoxin (3–4 × 0,25
Catecholamine haben allerdings folgende Nach- mg) intravenös über 24 Stunden an (anschlie-
teile: ßend die tägliche Erhaltungsdosis). Gegebenen-
● Sie steigern die Herzfrequenz. falls kann zusätzlich die Gabe von Verapamil
● Sie erhöhen den peripheren Widerstand. oder Diltiazem sinnvoll sein, um die Herzfre-
● Sie steigern den myokardialen Sauerstoffbe- quenz zu senken.
darf.
● Sie können Herzrhythmusstörungen verursa-
chen. Herzinfarkt
deutliche ST-Strecken-Hebung
T positiv sofort/1–2 h
Stadium 1
R klein bis 1 Wo.
frischer Infarkt Q noch klein
(akutes Stadium) leichte ST-Strecken-Hebung
Zwischen- T spitz-negativ 1.–10. d/kurz
stadium Q groß
R klein
T spitz-negativ
Q groß 3.–7. d/6 Mo.
Stadium 2
R noch klein bis mehrere J.
akuter Infarkt keine ST-Strecken-Hebung
(chronisches
Stadium) Q pathologisch
T bereits positiv – /6 Mo.
Stadium 3
R normal oder reduziert bis bleibend
keine ST-Strecken-Hebung
ponin I bestimmt werden. Troponin I hat eine Kreatinkinase: Die Kreatinkinase (= CK = Krea-
vergleichbare Aussagekraft wie Troponin T. Der tinphosphokinase = CPK; Normalwert: Männer
Schwellenwert für Troponin I hängt jedoch ent- < 190 U/l, Frauen < 170 U/l; vgl. Tab. 7-8; S.
scheidend davon ab, was für ein Testsystem 419) beginnt 4–6 Stunden nach dem Infarkt an-
hierfür verwendet wird. Häufig wird ein Tropo- zusteigen, erreicht ihr Maximum nach 18–24
nin-I-Testsystem verwendet, das einen Schwel- Stunden und normalisiert sich nach 3–4 Tagen.
lenwert von 0,1 ng/ml verwendet. Bei einem Bei einem CK-Maximum von < ca. dem 6-fa-
negativen Troponintest sollte der Test nach 6–9 chen Normalwert kann mit einem komplikati-
Stunden wiederholt werden. Ist in dem zweiten onslosen Verlauf gerechnet werden, bei einem
Test die Konzentration ebenfalls nicht patholo- CK-Maximum von > ca. dem 14-fachen Nor-
gisch erhöht, dann kann ein Myokardinfarkt malwert muss von einem riesigen Infarkt ausge-
ausgeschlossen werden. Da die einzelnen herz- gangen werden. Die CK ist sehr empfindlich, sie
spezifischen Enzyme einen charakteristischen kann allerdings auch nach z. B. einer intramus-
zeitlichen Verlauf aufweisen, kann anhand des kulären Injektion, mechanischen Reanimation
Enzymmusters auf das Alter des Infarkts ge- oder elektrischen Defibrillation oder sonstigen
schlossen werden. Neben den Veränderungen Muskelverletzungen ansteigen. Da die CK in
herzspezifischer Enzyme kommt es noch zu un- Form von 3 Isomeren vorkommt (CK-MM
spezifischen Entzündungszeichen wie Leukozy- [Muskel-Typ], CK-BB [Gehirn-Typ] und CK-
tose (10 000–15 000/mm3), Beschleunigung der MB [Herzmuskel-Typ]), bietet sich die Bestim-
Blutsenkungsgeschwindigkeit und Anstieg des mung der CK-MB wegen ihrer Spezifität für
C-reaktiven Proteins (CRP). Der Normalwert den Herzmuskel zur Diagnostik des Herzin-
des CRP beträgt < 0,5 mg/dl. Laborchemische farkts an. Die CK-MB ist zwar herzspezifisch
Untersuchungen sind weniger für die Akut (CK-MB > 24 U/l spricht für einen Herzinfarkt),
diagnostik, sondern vor allem für die Verlaufs- aber weniger empfindlich als die CK, sodass
beobachtung geeignet. kleinere Infarkte evtl. nicht erfasst werden. Die
7.13 Spezielle Krankheitsbilder 459
CK-MB beginnt 2–6 Stunden nach dem Infarkt wendig werden. Es ist Vorsicht geboten, da
anzusteigen, erreicht ihr Maximum nach 24–36 Nitroglycerin evtl. zu einem deutlichen Blut-
Stunden und normalisiert sich nach 1–1,5 Ta- druckabfall führen kann.
gen wieder.
● Dobutamin
bei Linksherzinsuffizienz zur Steigerung der
Myoglobin: Die Myoglobinkonzentration steigt Inotropie
(zusammen mit Troponin T) als erster Parame-
● β-Rezeptoren-Blocker
ter an. Die Myoglobinkonzentration kann aller- können bei tachykarden und hypertensiven
dings auch z. B. nach einer intramuskulären In- Patienten sinnvoll sein und evtl. die Infarkt-
jektion, elektrischen Defibrillation oder einer größe vermindern. Es werden z. B. 2,5–5 mg
sonstigen Muskelverletzung ansteigen. Bei Metoprolol intravenös empfohlen.
Männern ist eine Myoglobinkonzentration im
● Metoclopramid (z. B. Paspertin)
Serum von > 76 ng/ml und bei Frauen eine kann zur Therapie einer evtl. Übelkeit verab-
Konzentration von > 64 ng/ml pathologisch. reicht werden.
● Atropin
ist bei bradykarden Rhythmusstörungen in-
Therapie (→ auch S. 490) diziert.
Ziel der Therapie ist es, den Sauerstoffverbrauch
● Amiodaron
des Herzens zu vermindern sowie die Myokard- ist bei tachykarden ventrikulären Rhythmus-
durchblutung zu verbessern bzw. wiederherzu- störungen (z. B. 5 mg/kg KG; meist 300 mg)
stellen. das Antiarrhythmika der Wahl.
Folgende Therapiemaßnahmen kommen in-
● temporärer Herzschrittmacher:
frage: muss ggf. platziert werden
● Analgetika,
● Defibrillation
vor allem Morphin; wiederholt 1–5 mg Mor- bei Kammerflimmern oder pulsloser Kam-
phin bis zum individuellen Dosisbedarf mertachykardie (→ S. 537). Nach erfolgrei-
● Sedativa/Anxiolytika, cher Therapie empfiehlt sich die Gabe eines
z. B. Diazepam; wiederholt ca. 5 mg bis zum Antiarrhythmikums.
individuellen Dosisbedarf
● Acetylsalicylsäure:
● Sauerstoffgabe, initial ein Bolus von 250–500 mg intravenös
falls der paO2 erniedrigt ist. Bei Auftreten ei- (Aspirin® i. v.), danach in einer Dosierung
ner Herzinsuffizienz mit Lungenödem kann von 100–250 mg/d per os zur Thrombozy-
eine endotracheale Intubation mit Beatmung tenaggregationshemmung. Dadurch kann
notwendig werden. die Rate von Gefäßneuverschlüssen vermin-
● Bettruhe und Immobilisierung dert werden.
für 2–3 Tage beim unkomplizierten Infarkt.
● Heparin:
Für ca. 1–3 Wochen ist eine stationäre Be- Bei einer Thrombolyse (→ S. 460) mit
handlung notwendig. thrombusspezifischen Thrombolytika wie rt-
● Nitropräparate, PA (Alteplase; Actilyse®) oder entsprechen-
z. B. eine Kapsel Nitrolingual® bukkal (→ S. den Derivaten (z. B. Tenecteplase; Metalyse)
491) zur Erweiterung der Kollateralgefäße oder mit einer geplanten Katheterinterventi-
und zum Ausschluss einer (nitrosensiblen) on muss zusätzlich Heparin gegeben werden,
Angina pectoris. Der Infarktschmerz ist – im da sonst die Rate an Wiederverschlüssen re-
Gegensatz zum Angina-pectoris-Schmerz – lativ hoch ist. Nach Gabe eines Initialbolus
allerdings nicht nitrosensibel. Bei Auftreten (70 U/kg KG, maximal 5 000 U) werden dann
einer Herzinsuffizienz kann auch die Gabe ca. 1 000 IE/h empfohlen. Es ist eine Verlän-
von Nitroglycerin per Infusionspumpe not- gerung der PTT auf den 2- bis 2,5-fachen
460 7 Intensivmedizin
Normalwert (60–75 Sekunden) anzustreben. ist, ist der Wert einer Spätlyse (> 12 Stunden)
Nach ca. 2–3 Tagen kann auf subkutane He- nicht belegt (→ S. 497).
paringaben (z. B. 2 × 7 500 IE unfraktionier- Als Thrombolytika haben sich bewährt:
tes Heparin) umgestellt werden. Inzwischen – rt-PA (= recombinant tissue plasminogen
wird zumeist niedermolekulares (fraktio- activator; recombinant = gentechnisch
niertes) Heparin 1 × pro Tag subkutan be- hergestellt; entspricht der körpereigenen
vorzugt. t-PA, die vom Gefäßendothel freigesetzt
● Clopidogrel wird und Fibrin [Thromben] auflösen
(Plavix®; ein Thrombozytenfunktionshem- kann). rt-PA (Alteplase; Actilyse®) muss
mer) sollte möglichst frühzeitig (oral) verab- in Kombination mit Heparin (→ S. 459)
reicht werden falls eine Katheterintervention verabreicht werden. Beim ST-Strecken-
durchgeführt wird. Hebungs-Myokardinfarkt werden 15 mg
● Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonis Alteplase als Bolus (über 1–2 Minuten),
ten anschließend 50 mg über 30 Minuten und
werden bei Hochrisikopatienten zusätzlich danach noch 0,5 mg/kg KG über 60 Mi-
vor einer Katheterintervention empfohlen, nuten empfohlen (sog. GUSTO-Schema).
um eine aggressive Thrombozytenaggregati- Die Maximaldosis beträgt 100 mg.
onshemmung zu erzielen. – Tenecteplase (Metalyse®):
● Revaskularisation: Tenecteplase ist ein gentechnisch herge-
Sobald als möglich sollte bei Patienten mit stellter Abkömmling von rt-PA mit länge-
einem Myokardinfarkt eine kausale Therapie rer Halbwertszeit und höherer Fibrinspe-
durchgeführt werden, das heißt die entspre- zifität. Systemische Nebenwirkungen
chende Koronararterie wieder durchgängig (z. B. zerebrale Blutungen) sollen seltener
gemacht werden. Insbesondere beim ST- sein als unter rt-PA. Tenecteplase kann als
Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) Bolus zügig über ca. 10 Sekunden intrave-
sollte dies so schnell als irgend möglich an- nös injiziert werden. Dies wird als ein
gestrebt werden. Beim NSTEMI sollte dies großer Vorteil z. B. im Rahmen der
möglichst innerhalb von 24 Stunden erfol- prähospitalen Lyse bezeichnet. Die Dosie-
gen. Zur Revaskularisation kommen Throm- rung wird mit ca. 0,5 mg/kg KG angege-
bolyse und primäre Coronarintervention (= ben. Es liegen Durchstechflaschen mit
PCI = perkutane Koronarintervention/Ka- 8 000 U (40 mg) oder 1 000 U (50 mg) vor.
theterintervention) infrage. Die Ergebnisse scheinen vergleichbar gut
● Thrombolyse: wie beim Einsatz von rt-PA zu sein. Zu-
Da ein Myokardinfarkt zumeist durch einen sätzlich ist eine Heparintherapie notwen-
Thrombus bedingt ist, kommt der früh dig (→ S. 459).
zeitigen Thrombolyse oder einer primären – (Streptokinase; 1,5 Millionen IE in 30–60
Koronarintervention enorme Bedeutung Minuten; Kontraindikation: Streptokok-
zu. Die Thrombolyse hat – im Gegensatz keninfekt; Beginn einer Heparininfusion
zur primären Koronarintervention – den erst nach 12–24 Stunden)
entscheidenden Vorteil, dass sie in jedem Kommt es nach einer Thrombolyse nicht in-
Krankenhaus (und ggf. auch schon prähos- nerhalb einer Stunde zu einer Besserung der
pital vom Notarzt) durchgeführt werden Schmerzen und zu einem Rückgang der ST-
kann. Bei Durchführung einer Thrombolyse Strecken-Hebung, dann sollte noch eine not-
innerhalb von 4 Stunden gelingt eine fallmäßige PCI (perkutane Koronarinterven-
Wiedereröffnung des Gefäßes in bis zu 70– tion; → unten) durchgeführt werden.
75 % der Fälle. Während eine Frühlyse (in- ● PCI (= perkutane Koronarintervention/ Kathe-
Zur Behandlung eines akuten Myokardinfarkts Arrhythmieerkennung). Außerdem ist ein hä-
können notfallmäßig eine Koronarangiogra- modynamisches Monitoring notwendig sowie
phie, eine perkutane transluminale Koronar- die konsequente Therapie z. B. einer auftreten-
angioplastie (= PTCA) und eine Ballondilata- den Herzinsuffizienz.
tion sowie ggf. eine Stent-Einlage durchgeführt Viele Patienten verlassen inzwischen nach ei-
werden. Vor allem bei einem ST-Strecken- nem unkomplizierten Herzinfarkt das Kran-
Hebungs-Myokardinfarkt sollte so schnell als kenhaus schon nach 1 Woche wieder.
möglich eine Koronarintervention angestrebt
werden. In bis zu über 90 % der Patienten ge- Prognose
lingt mit dieser Methode eine Wiedereröffnung Etwa 5–10 % der Patienten mit einem Myokard-
des entsprechenden Gefäßes. Durch den zu- infarkt versterben innerhalb einer Stunde zu-
nehmenden Einsatz der primären Koronarin- meist an Herzrhythmusstörungen (v. a. Kam-
tervention konnte die Mortalität nach einem merflimmern).
Herzinfarkt vermindert werden. Nach einer
Katheterintervention sind – im Vergleich zu
einer Thrombolyse – Wiederverschlüsse sel- 7.13.3 Nierenerkrankungen
tener und es können Blutungskomplikationen
(wie sie bei einer Thrombolyse möglich sind) Akutes Nierenversagen
vermieden werden. Nachteil der Methodik ist,
dass sie nur in spezialisierten Zentren und oft Erwachsene scheiden pro Tag 1 000–2 000 ml
nur mit zeitlicher Verzögerung (Transportwege, Urin aus. Mit dem Urin werden Abfallprodukte
aufwendige Vorbereitung) durchgeführt wer- des Stoffwechsels eliminiert. Um eine noch aus-
den kann. Der Zeitraum zwischen möglichem reichende Ausscheidung dieser harnpflichtigen
Lysebeginn und Katheterintervention sollte je- Abfallprodukte zu ermöglichen, müssen pro Tag
doch nicht länger als 90 Minuten betragen. Es jedoch mindestens 400–500 ml Urin ausgeschie-
ist dann eine Thrombolyse durchzuführen. den werden. Über die Nieren werden auch z. B.
der Flüssigkeitshaushalt, der Säure-Basen- und
Da Thrombolytika nicht nur Thromben in den Elektrolythaushalt über eine mehr oder weniger
Koronararterien auflösen, sondern eine gene- starke renale Ausscheidung von Wasser, H+-Io-
relle thrombolytische Wirkung haben und nen oder Elektrolyten reguliert. Typisch für das
daher Blutungskomplikationen begünstigen, Nierenversagen ist die unzureichende Ausschei-
stellen z. B. kurz zurückliegende relevante Ver- dung harnpflichtiger Substanzen. Beim nieren-
letzungen oder große Operationen (< 3 Wo- insuffizienten Patienten steigt die Konzentration
chen), Magen-Darm-Blutung in den zurücklie- des normalerweise renal eliminierten Kreatinins
genden 4 Wochen, Blutungsneigung, ein Apo- und des Harnstoffs an (ein isolierter Anstieg des
plex in den letzten 6 Monaten, vorausgegangene Harnstoffs spricht dagegen für einen katabolen
Vena-subclavia- oder Vena-jugularis-interna- Stoffwechsel; → S. 374).
Punktionen, Tumorerkrankungen, Schwanger- Bei ca. 4–20 % der Intensivpatienten tritt ein
schaft oder eine vorausgegangene, längerfristige akutes Nierenversagen auf.
Herzdruckmassage (mit Rippen- und Sternum-
frakturen) Kontraindikationen dar.
Es kann zwischen anurischem (< 200 ml Urinaus-
Nach Auftreten eines Herzinfarkts ist eine In- scheidung pro Tag), oligurischem (< 400 ml Urin
tensivüberwachung von entscheidender Wich- pro Tag) und polyurischem Nierenversagen (über-
tigkeit, um akute Herzrhythmusstörungen so- normale Urinausscheidung) unterschieden wer-
fort erkennen und therapieren zu können. den. In ca. ⅔ der Fälle liegt bei Intensivpatienten
Wichtig ist daher eine kontinuierliche EKG- ein oligurisches oder anurisches Nierenversagen
Überwachung (möglichst mit automatischer vor.
462 7 Intensivmedizin
rasch eine Überwässerung des Patienten mit kant bessere Überlebenswahrscheinlichkeit des
Wassereinlagerung und Ödemen, die sich häu- akuten Nierenversagens erzielt werden, wie
fig als periphere Ödeme, Lidödeme und wenn erst relativ spät (Harnstoffkonzentration
Lungenödem äußern. Bei anurischem Nieren- > 200 mg/dl, BUN > 100 mg/dl) mit dem Nie-
versagen dürfen beim normalgewichtigen Er- renersatzverfahren begonnen wird.
wachsenen lediglich ca. 900 ml Flüssigkeit pro Zumeist genügt bei Patienten, die sich nicht auf
Tag verabreicht werden. Dies entspricht dem einer Intensivstation befinden und ein isolier-
Verlust über Stuhl, Atmung und Verdunstung. tes, chronisches Nierenversagen haben, eine in
Im Falle eines polyurischen Nierenversagens 2-tägigem Abstand durchgeführte Hämodialy-
drohen aufgrund der hohen Flüssigkeits- und se (= HD). Bei Intensivpatienten mit einem
Elektrolytverluste entsprechende Bilanzstörun- akuten Nierenversagen wird eine tägliche in-
gen. Es ist eine sorgfältige Substitution notwen- termittierende Hämodialyse empfohlen. Eine
dig. Hämodialysebehandlung dauert üblicherweise
Eine apparative Blutreinigung (z. B. Hämodia- ca. 4 Stunden. Normalerweise wird bei Inten-
lyse) wird bei Patienten, die nicht auf einer In- sivpatienten über einen großlumigen (in der
tensivstation liegen und ein konservativ be- Vena jugularis interna oder Vena subclavia plat-
handeltes, isoliertes Nierenversagen haben, zierten) doppelläufigen, sog. Shaldon-Katheter
meist erst bei folgenden Bedingungen durchge- dialysiert. Das Blut wird in eine „künstliche
führt: Niere“ (Dialysemaschine) geleitet. In dieser
● starke Überwässerung Blutentgiftungsmaschine wird das Blut an einer
● schwere Hyperkaliämie semipermeablen Membran vorbeigeleitet, auf
● urämische Intoxikation deren Gegenseite die Dialysierflüssigkeit vor-
(Harnstoff > ca. 200 mg/dl bzw. 30–40 beiströmt. Durch Verwendung unterschiedli-
mmol/l; BUN [= blood urea nitrogen; → S. cher Dialysierflüssigkeiten kann beeinflusst
374] > 100 mg/dl; BUN × 2,14 = Harnstoff in werden, welche Substanzen in welchem Maße
mg/dl) aus dem Blut über die semipermeable Membran
● Plasmakreatininkonzentration: (entlang eines Konzentrationsgradienten) in die
≥ 6–8 mg/dl Dialysierflüssigkeit diffundieren. Während und
● ZNS-Symptome nach der Dialyse ist eine entsprechende Über-
● Perikarderguss wachung des Patienten notwendig, da es hierbei
zu Hämolyse, Thrombozytenabfall, Herzrhyth-
Bei schwerkranken Intensivpatienten wird zu- musstörungen (dialysebedingte Elektrolytver-
meist ein wesentlich frühzeitigerer Beginn der schiebungen) oder Blutungen kommen kann.
Nierenersatztherapie empfohlen. Als Indikation Vor und ca. 4 Stunden nach der Dialyse sollten
wird bereits das sich ankündigende akute Nie- Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, Gerinnungs-
renversagen genannt. Hinweise darauf sind: parameter und Blutbild kontrolliert werden.
● Abfall der Urinproduktion Eine Dialyse wird normalerweise unter Hepari-
● Abfall der Kreatinin-Clearance nisierung durchgeführt. Unter Dialyse kann ein
● Anstieg der Retentionswerte stärkerer Blutdruckabfall auftreten, denn wäh-
(bereits eine Harnstoffkonzentration von ca. rend der ca. 4-stündigen Hämodialysedauer
100–120 mg/dl bzw. ein BUN-Wert von ca. muss oft ein großes Volumen an überschüssiger
50–60 mg/dl) Flüssigkeit entzogen werden (bis zu 3–4 Liter
sind möglich). Etwa 10 % der Intensivpatienten
Wird bei Intensivpatienten eine solch frühzeitig reagieren darauf mit einem so starken Blut-
begonnene Nierenersatztherapie durchgeführt druckabfall, dass eine intermittierende Hämo-
(bei Harnstoffkonzentration ca. 100–120 mg/dl, dialyse nicht durchführbar ist. Es ist dann ein
BUN ca. 50–60 mg/dl), dann kann eine signifi- kontinuierliches Nierenersatzverfahren durch-
464 7 Intensivmedizin
Heparin Substituat
arteriell venös
CAVHF Ultrafiltrat
Heparin Substituat
„arteriell” „venös”
CVVHF Ultrafiltrat
wünscht war oder nicht. Um ein Verstopfen der Bei der kontinuierlichen Hämodiafiltration
Hämofiltrationspatrone zu verhindern, musste (CVVHDF) werden das Dialyseprinzip und das
in den arteriellen Schlauch kontinuierlich He- Filtrationsprinzip kombiniert. Hierbei werden
parin zugeführt und ein ausreichender systoli- ca. 50 % der Blutreinigung durch das Dialyse-
scher Blutdruck garantiert werden. prinzip und ca. 50 % durch das Filtrationsprin-
Vorteile der apparativ einfachen CAVHF wa- zip erreicht. Während bei einer reinen Filtration
ren, dass nur geringe Heparinmengen benötigt (CVVHF) ca. 35 ml/kg KG/h (ca. 2–2,5 l/h) Ul-
wurden und relativ geringe Kreislaufbeeinträch- trafiltrat empfohlen werden, genügt bei der
tigungen zu erwarten waren. CVVHDF für das Filtrationsprinzip ein halb so
Inzwischen wird anstatt einer CAVHF eine kon- hohes Filtrationsvolumen (ca. 1,2 l/h). Für das
tinuierliche venovenöse Hämofiltration (= Dialyseprinzip wird ein Dialysatfluss von eben-
continuous veno-venous hemofiltration = CVV- falls ca. 1,2 l/h gefordert. Filtrationsvolumen
HF) über eine Pumpe durchgeführt (vgl. Abb. plus Dialysatfluss sollten zusammen ebenfalls
7-17a, b). Diese pumpengetriebenen venovenö- ca. 2–2,5 l/h ergeben. Am CVVHDF-Gerät sind
sen Verfahren sind effektiver als die spontane ein Dialysatfluss (z. B. 1,2 l/h), ein Substitutions-
(vom arteriellen Blutdruck abhängige) CAVH. fluss (z. B. 1,0 l/h), ein Entzug (z. B. 200 ml/h)
Außerdem stehen inzwischen auch kontinuierli- und ein Blutfluss (z. B. 150 l/min) einzustellen.
che Verfahren mit Gegenstrom (z. B. CVVHDF Das Filtrationsvolumen (z. B. 1,2 l/h) minus
= kontinuierliche [continuous] venovenöse dem Substitutionsfluss (z. B. 1,0 l/h) ergibt den
Hämodiafiltration) zur Verfügung (vgl. Abb. Entzug (z. B. 200 ml/h) (bzw. der am Gerät ein-
7-17a, b). Sie stellen eine Kombination aus stellbare Substitutionsfluss und der einstellbare
Hämodialyse und Hämofiltration dar. Hierbei Entzug entsprechen zusammen dem Filtrations-
wird eine Dialyseflüssigkeit entgegen der Blut- volumen). Die Flüssigkeitsbilanz ergibt sich aus
flussrichtung an der Filtrationsmembran vorbei- Einfuhr (Ernährungslösungen, Medikamente,
geleitet. Bei diesem Verfahren wird ein hoher Perfusoren; z. B. 3,5 l/d) minus Entzug (z. B. 200
Konzentrationsgradient vom Blutplasma zur Dia- ml/h × 24 h = 4,8 l/d) = – 1,3 l/d.
lyseflüssigkeit aufrechterhalten. Daher ist dieses Bei allen kontinuierlichen Verfahren ist eine An-
Nierenersatzverfahren deutlich effektiver als eine tikoagulation notwendig, um eine Thrombenbil-
spontane CAVHF, aber auch effektiver als die dung im System zu verhindern. Initial wird das
CVVHF. Kontinuierliche Verfahren (wie die extrakorporale System mit z. B. 3 000 ml NaCl
CVVHF) weisen eine deutlich bessere hämody- 0,9 %, das mit 10 000 IU Heparin versetzt wurde,
namische und metabolische Stabilität auf als in- durchgespült. Während der Dialyse wird Hepa-
termittierende Verfahren (wie die Hämodialyse). rin vor dem Hämofilter ins extrakorporale Sys
Bei der Hämofiltration können für niedermole- tem eingeleitet. Initial werden z. B. 250 IE/h
kulare Stoffe keine so hohen Clearance-Raten verabreicht und dann erfolgt ggf. eine Dosisstei-
erzielt werden wie bei der Hämodialyse. Bei- gerung um jeweils z. B. 125 IE/h, bis ein ACT-
spielsweise ist die Kaliumelimination weniger Wert [→ S. 309] von ca. 180–210 Sekunden er-
effektiv. Bei den kontinuierlichen Verfahren reicht ist. Bei blutungsgefährdeten Patienten
wird ein Flüssigkeitsentzug von ca. 35 ml/ wird ein ACT-Wert von nur 140–180 Sekunden
kg KG/h (ca. 2–2,5 l/h) empfohlen. Das entzoge- angestrebt und bei stark blutungsgefährdeten
ne Ultrafiltrat muss großteils wieder durch eine Patienten wird u. U. ganz auf eine Heparinisie-
lactat- oder bicarbonatgepufferte Substitutions- rung verzichtet [wodurch es allerdings zum bal-
lösung (Substituat) ersetzt werden. Falls eine ne- digen Verstopfen des Hämofilters kommt, der
gative Flüssigkeitsbilanz von z. B. minus 1,5 Liter dann übermäßig oft erneuert werden muss]).
angestrebt wird, dann sollte die Substitutionslö- Vor allem in den USA wird oft auch eine Antiko-
sung pro Tag plus die Einfuhr (Ernährungslö- agulation mit Citrat durchgeführt. Inzwischen
sungen, Medikamenten u. Ä.) um 1,5 Liter gerin- wird auch in Deutschland zunehmend häufiger
ger sein als das pro Tag entzogene Ultrafiltrat. eine Citratantikoagulation durchgeführt.
466 7 Intensivmedizin
kann, ist inzwischen eindeutig widerlegt. Bei be- – Bewusstlosigkeit 1–7 Tage oder Hirn-
ginnendem oligurischem oder anurischem Nie- stammschädigung und Bewusstlosigkeit
renversagen kann versucht werden, durch sehr länger als 6 Stunden
hohe Furosemidgaben (max. 1 500 mg über ei- – neurologische Störungen länger als 3 Wo-
nen Tag) die Urinausscheidung zu steigern. Vor- chen
aussetzung für eine Furosemidgabe ist jedoch ein – häufig Spätschäden
ausreichendes intravasales Volumen.
Ätiologie
Ein Schädel-Hirn-Trauma kann durch unter-
7.13.4 ZNS-Erkrankungen schiedlichste Ursachen (z. B. Stoß-, Schlag-,
Sturz-, Stich-, Schussverletzungen) bedingt
sein.
Schädel-Hirn-Verletzungen
Klinik
Bei einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) muss zwi- An klinischen Zeichen imponieren bei einem
schen primärer Hirnschädigung, die direkt beim SHT neben der Bewusstseinstrübung je nach
Unfall auftritt, und zwischen evtl. später noch auf- Schweregrad:
tretender, sekundärer Hirnschädigung unterschie- ● Zeichen eines erhöhten intrakraniellen
den werden. An sekundären Hirnschädigungen Drucks:
sind vor allem das posttraumatische Hirnödem – Übelkeit, Erbrechen
mit Gefahr des intrakraniellen Druckanstiegs – Bradykardie, Hypertonie
(→ S. 268), eine Meningitis oder ein Abszess zu – Kopfschmerzen, Schwindel
nennen. – Sehstörungen
– Stauungspapille
Patienten mit traumatischer Schädel-Hirn-Ver- – zentral ausgelöstes Fieber
letzung sind relativ häufig auf Intensivstationen
zu betreuen.
7.13 Spezielle Krankheitsbilder 467
genierung sicherzustellen. Die Indikation zur Durch eine künstliche Senkung der Körper-
Intubation und kontrollierten Beatmung ist temperatur können Hirnstoffwechsel sowie
großzügig zu stellen. An intensivmedizinischen intrakranieller Druck gesenkt werden. Der
Möglichkeiten zur Bekämpfung eines patholo- dadurch bedingte ICP-senkende Effekt wird
gisch erhöhten intrakraniellen Drucks (ICP) jedoch zum Teil als relativ gering bezeichnet.
stehen folgende Maßnahmen zur Diskussion: Beginnt die Hypothermie bereits vor oder
● Lagerung des Patienten mit leicht erhöhtem während des Eintritts der Hirnschädigung,
Oberkörper (→ S. 268) kann ein sicherer hirnprotektiver Effekt er-
468 7 Intensivmedizin
täten (Paraplegie) oder alle 4 Extremitäten (Te- chenden Muskulatur. Es entwickeln sich spinale
traplegie) gelähmt. Schädigungen im Bereich der Automatismen (z. B. Blasen- und Darmentlee-
Halswirbelsäule zwischen C3 und C5 (Ursprung rung ab einem bestimmten Füllungsgrad). Die
des für die Zwerchfellatmung notwendigen Ner- Herz-Kreislauf-Situation ist labil und insbeson-
vus phrenicus) oder oberhalb davon sind mit dem dere in den ersten Wochen nach Abklingen des
Leben nicht vereinbar. spinalen Schocks durch eine sog. autonome
Hyperreflexie gefährdet. Durch unterschied-
Ätiologie lichste Reize im Verletzungsgebiet (Schmerzrei-
Ursache der Lähmung ist eine Durchtrennung ze, Überdehnung der Blase o. Ä.) kann eine au-
oder Schädigung der Nervenbahnen durch dis- tonome Hyperreflexie mit exzessiver Hypertonie
lozierte Knochenfragmente der verletzten Wir- und reflektorischer Bradykardie auftreten.
belsäule oder eine Hämatombildung im Spinal-
kanal durch Stauchung oder Überbiegung der Diagnostik
Wirbelsäule. Die Diagnose Querschnittslähmung kann nor-
malerweise klinisch gestellt werden. Zusätzlich
Klinik ist jedoch stets eine radiologische Diagnostik
Unmittelbar nach Auftreten einer Querschnitts- (dislozierte Knochenfragmente?) notwendig
lähmung kommt es zur Ausbildung eines sog. (Röntgen, CT, MRT). Stets ist zu klären, ob es
spinalen Schocks. Es imponieren ein komplet- sich um eine inkomplette Querschnittslähmung
ter Ausfall von Sensibilität, Motorik und Mus- handelt, bei der durch eine sofortige Operation
keleigenreflexen unterhalb der Querschnittshö- und Wirbelsäulenstabilisierung noch eine Er-
he. Distal der Verletzungsstelle weisen die gebnisverbesserung möglich ist bzw. eine weite-
Patienten eine Vasodilatation, hervortretende re Dislokation und Verschlechterung verhindert
Venen und eine warme Haut auf. Ursache ist ein werden kann.
Ausfall der sympathisch gesteuerten Vasokon-
striktion. Diese distal der Querschnittshöhe Therapie
auftretende Vasodilatation führt zu einem Blut- In früheren Studien konnte gezeigt werden,
druckabfall. Kranial der Verletzungsstelle kommt dass therapeutisch durch die frühzeitige Gabe
es zur kompensatorischen Vasokonstriktion. Es (innerhalb von 8 h) von 30 mg/kg KG Methyl-
tritt außerdem ein paralytischer Ileus auf. Wäh- prednisolon (z. B. Urbason®) als Bolus und eine
rend dieser etwa 2 Wochen dauernden Phase des anschließende Gabe von ca. 5 mg/kg KG/h über
spinalen Schocks drohen vor allem respiratori- ca. 24 Stunden das neurologische Ergebnis
sche Komplikationen, weshalb eine intensivme- (outcome) nach Rückenmarksverletzungen
dizinische Überwachung notwendig ist. möglicherweise verbessert werden kann. Es gibt
allerdings auch zahlreiche negative Studiener-
Zu beachten ist, dass während der Phase des spi- gebnisse zur Gabe von Glucocorticoiden. Laut
! nalen Schocks beim Absaugen des Nasen-Rachen- Aussage des Arbeitskreises Neuroanästhesie der
Raumes starke vagale Reaktionen bis hin zur Asy- Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und In-
stolie ausgelöst werden können. tensivmedizin bleibt die Entscheidung, Gluco-
corticoide bei einer Rückenmarksverletzung zu
Mit Übergang in das chronische Stadium keh- geben (aufgrund der widersprüchlichen Daten-
ren die spinalen Reflexe wieder zurück. Der Pa- lage), dem behandelnden Arzt überlassen.
tient ist nun vor allem durch aufsteigende In-
fektionen im Urogenitalbereich und – bei Pflege des Patienten
hohem Querschnitt mit grenzwertiger Atem- Stets muss vorher geklärt werden, ob ein quer-
funktion – durch pulmonale Komplikationen schnittsgelähmter Patient gelagert werden darf
gefährdet. Es imponieren gesteigerte Muskelei- (partielle Querschnittslähmung bei instabiler
genreflexe, Spastizität und Rigidität der entspre- Fraktur?). Sind Lagerungsmanöver erlaubt,
470 7 Intensivmedizin
zien) oder eine Hypothermie des Patienten. on im Bereich von Magen-Darm-Trakt oder
Nach einer ersten klinischen Hirntodfeststel- Gallenblase bedingt ist. Es wird von sekundärer
lung ist – nach einem vorgeschriebenen Be Peritonitis gesprochen. Eine weitere häufige Ur-
obachtungszeitraum – eine zweite klinische sache stellt die Anastomoseninsuffizienz nach
Hirntoddiagnostik durchzuführen. Anhand kli- Operationen im Bereich des Gastrointestinal-
nischer Symptome und unter Beachtung eines traktes dar.
vorgeschriebenen Beobachtungszeitraums kann Bei einer länger bestehenden Entzündung oder
die Diagnose Hirntod zweifelsfrei (!) festgestellt Ischämie kann es auch zu einer (Durchwande-
werden. Zur Abkürzung des Beobachtungszeit- rungs‑)Peritonitis kommen. Mögliche Ursa-
raums können auch apparativ-technische Me- chen sind Appendizitis, Ileus, Gallenblasenem-
thoden angewandt werden (EEG, evozierte Po- pyem, inkarzerierte Hernie, Mesenterialinfarkt,
tenziale, Perfusionsszintigraphie, Angiographie, Pankreatitis, Divertikulitis oder ein nekrotisie-
Dopplersonographie). Ein sicheres Kriterium render Tumor. Aufgrund der zumeist vorliegen-
ist der Nachweis eines intrazerebralen Kreis- den bakteriellen Entzündung des Peritoneums
laufstillstands in allen 4 das Gehirn versorgen- kommt es zu einer ausgeprägten Flüssigkeitsse-
den Arterien (Arteriae carotis internae und Ar- questration in das entzündlich veränderte Ge-
teriae vertebrales). webe. Folge ist ein deutlicher Volumenmangel.
Ein sekundär auftretender Ileus verstärkt den
Trotz isolierten Hirntods können evtl. noch auf Volumenmangel weiter. Eine unbehandelte
! Rückenmarksebene vermittelte spinale Reflexe generalisierte eitrige Peritonitis führt zu Vo
auslösbar sein. Dies widerspricht nicht der Dia- lumenmangelschock und septischem Schock.
gnose Hirntod! Sekundärkomplikationen sind vor allem res
piratorische Schädigungen, Niereninsuffizienz,
Bei diesen Toten kann eine Organexplantation Leberinsuffizienz und Gerinnungsstörungen.
diskutiert werden (→ S. 266).
Klinik
Kennzeichen der diffusen Peritonitis sind:
● Bauchschmerzen
7.13.5 Abdominalerkrankungen ● „bretthartes“ Abdomen
Peritonitis ● Erbrechen
Ein Ileus (Darmverschluss) stellt eine Unterbre- Therapie
chung der Darmpassage dar. Ursächlich können Bei mechanischem Ileus sind therapeutisch
eine Verlegung des Darmlumens (mechanischer primär eine Entlastung mittels Magensonde,
Ileus) oder eine Darmlähmung (paralytischer ein entsprechender Ausgleich der Flüssigkeits-,
Ileus) vorliegen. Bei unvollständiger Ausprägung Elektrolyt- und Proteinverluste und danach
der Symptomatik wird von Subileus gesprochen. eine operative Intervention durchzuführen.
Je nach Ursache ist als Therapie des paralyti-
Ätiologie schen Ileus neben einer Entlastungssonde z. B.
Die häufigsten Ursachen eines mechanischen eine operative Intervention oder eine Stimulati-
Ileus sind Verwachsungen (zumeist nach vor- on des Darms durch Einläufe oder Medikamen-
ausgegangenen Abdominaloperationen), inkar- te wie Parasympathikomimetika (z. B. Distig-
zerierte Hernien und Tumoren. Vor der Stenose minbromid; Ubretid®) oder selten Ceruletid
7.13 Spezielle Krankheitsbilder 473
(Takus®, Krötengift; bei Pankreatitis jedoch gegen weisen Ketamin und Propofol nur eine
nicht anwenden!) indiziert (→ unten; postope- geringe Mobilitätshemmung auf.)
rative Darmatonie). ● sonstige begünstigende Faktoren
● atypische Zusammensetzung der Nahrung hemmt das Enzym Cholinesterase und ver-
● Erkrankungen hindert dadurch den Abbau des Neurotrans-
(z. B. Diabetes mellitus) mitters Acetylcholin (→ S. 72). Über die
● Operationen oder Verletzungen erhöhte Acetylcholinkonzentration im synap-
(z. B. Bauchoperationen, Schädel-Hirn-Trau- tischen Spalt wird eine Stimulation der Peri-
ma) staltik erzeugt. Die Dosierung von Distigmin
● Medikamente beträgt z. B. 0,5 mg (= 1 Ampulle) in 100 ml
(z. B. Opioide, Barbiturate, Catecholamine, NaCl 0,9 % als Kurzinfusion oder in 50 ml
Clonidin, Diuretika, Benzodiazepine). (Da- NaCl 0,9 % langsam über Spritzenpumpe in-
474 7 Intensivmedizin
travenös. Anstatt Distigmin wird öfter auch Flüssigkeitsmengen kann evtl. der im Darm
der Cholinesterasehemmer Neostigmin (z. B. befindliche Stuhl aufgeweicht und durch die
3 Ampullen = 1,5 mg in 50 ml NaCl 0,9 % über Volumendehnung der Ampulla recti kann zu-
2–3 Stunden) verabreicht, obwohl Neostig- sätzlich die Defäkation stimuliert werden.
min hierfür offiziell keine Zulassung hat. ● rückenmarksnahe Sympathikusblockade:
● Erythromycin: Durch eine rückenmarksnahe Sympathikus-
Das Antibiotikum Erythromycin führt in blockade (Periduralanästhesie mit z. B.
niedriger, antibiotisch unwirksamer Dosie- 0,2%igem Ropivacain) kann eine Stimulati-
rung zu einer Beschleunigung der Magen- on der intestinalen Mobilität erzielt werden
entleerung. Bei erhöhtem Magenrückfluss (→ S. 181).
oder zur Platzierung einer durch den Magen ● frühzeitige enterale Nahrungszufuhr:
Komplikation Diagnostik
Gemeinsames Merkmal aller stärkeren gastro- Helicobacter pylori kann z. B. mit dem Helico-
intestinalen Blutungen ist der sich entwickelnde bacter-Urease-Test nachgewiesen werden.
hämorrhagische Schock. Aufgrund des oft aku-
ten Blutverlusts ist der Hb-Wert meist falsch Therapie
„hoch“ (→ S. 319). Zur Therapie wird eine sog. Eradikation emp-
fohlen (Eradikation bedeutet: mit der Wurzel
Diagnostik ausreisen). Hierzu wird eine sog. Dreifachthe-
Die Diagnostik (Lokalisation der Blutung) ge- rapie (Triple-Therapie) über 7 Tage mit zumeist
lingt meist mittels Endoskopie. Für die Diagno- 2-mal 250 mg Clarithromycin (z. B. Klacid®)
se einer intraperitonealen Blutung sind entwe- und 2-mal 400 mg Metronidazol (z. B. Clont®)
der eine sonographische Untersuchung, eine und 2-mal einem Protonenpumpenhemmer
Abdominal-Lavage oder eine sorgfältige klini- (z. B. 2 × 40 mg Pantoprazol; Pantozol® – 2 ×
sche Untersuchung (Palpation, Zunahme des 20–40 mg Omeprazol; Antra® – 2 × 20–40 mg
Bauchumfanges?) notwendig. Esomeprazol; Nexium®) oral empfohlen.
Bei einer Ulkusblutung wird stets eine Gastro-
Therapie skopie und Duodenoskopie durchgeführt. In-
Die Therapie (Stillung der Blutung) ist meist en- zwischen wird bei einer Ulkusblutung oft eine
doskopisch bzw. operativ und manchmal medi- endoskopische Unterspritzung (mit verdünnter
kamentös möglich. Therapeutisch stehen die Adrenalinlösung oder dem Gewebekleber His
Platzierung mehrerer großlumiger peripherer toacryl) oder eine Laserung durchgeführt.
Verweilkanülen sowie energische Volumen- Manchmal kann konservativ therapiert werden.
und Blutsubstitution an erster Stelle. Bei schwe- Selten kann auch eine operative Blutstillung
ren Blutungen muss die Operation noch vor notwendig werden.
der Stabilisierung des Kreislaufs begonnen wer-
den. Vorbeugende Maßnahmen
Bei Intensivpatienten besteht die erhöhte Ge-
fahr von stressbedingten Gastrointestinalblu-
Ulkusblutungen tungen. Daher hat die Ulkusprophylaxe einen
hohen Stellenwert in der Intensivmedizin. Zu-
Einteilung sätzlich ist stets eine medikamentöse Stressul-
Ulkusblutungen werden nach der sog. Forrest- kusprophylaxe (→ S. 427) wichtig.
Klassifikation eingeteilt:
Ia = spritzende arterielle Blutung
Ib = Sickerblutung Ösophagusvarizenblutungen
IIa = nicht blutender, sichtbarer Gefäßstumpf
IIb = anhaftendes Koagel
Bei Vorliegen einer Leberzirrhose ist der Ge-
IIc = Hämatin am Ulkusgrund fäßwiderstand in der zirrhotischen Leber hoch
III = keine sichtbare Blutungsquelle und die Leberdurchblutung dadurch gedros-
selt. Das Blut staut sich vor der Leber in der
Ätiologie Pfortader, es wird von portaler Hyperten-
Bei einem Ulcus pepticum kann häufig eine sion gesprochen. Das Blut aus der Pfortader
Besiedelung der Magenschleimhaut mit dem fließt daher zum Teil über Umgehungskreisläufe
Bakterium Helicobacter pylori nachgewiesen (an der Leber vorbei) in die Vena cava.
werden (bei einem Magen- oder Duodenalul- Bei portaler Hypertension stellen die Ösophagus-
kus in ca. 80 bzw. 90 % der Fälle). venen einen wichtigen Umgehungskreislauf
dar.
476 7 Intensivmedizin
Die bei der portalen Hypertension dilatierten Ge- Pfortaderblut gelangt über den Shunt unter
! fäße (Ösophagusvarizen) können einreißen und Umgehung der Leber direkt in die Vena cava.
zu massiven Blutungen mit Volumenmangel- Bei einer Ösophagusvarizenblutung ist eine um-
schock führen. Bei dem oft massiven Bluterbre- gehende Volumensubstitution notwendig. Rela-
chen besteht die Gefahr einer Aspiration! Zumeist tiv selten wird durch Kompressionssonden, wie
wird die Transfusion von Blut und FFP notwendig. die Sengstaken-Blakemore-Sonde (2-Ballon-
Sonde) oder die Linton-Nachlas-Sonde (1-Bal-
lon-Sonde), eine Blutstillung versucht. Die
Therapie Sengstaken-Blakemore-Sonde wird über die
Bei anhaltender Blutung kann versucht werden, Nase bis in den Magen vorgeschoben. Der unte-
die Varizenblutung endoskopisch (meist mittels re, kleinere und runde Ballon dieser Sonde wird
Ligatur oder Injektionen eines Sklerosierungs- mit Luft gefüllt und an die untere Ösophagusöff-
mittels; bei Magenfundusvarizen wird dagegen nung herangezogen. Dieser Ballon dient der
meist ein Gewebekleber in die Varizen injiziert) Sondenfixierung unterhalb der Kardia. Danach
zu behandeln. Es kann zusätzlich auch eine me- wird der längliche, im distalen Ösophagus lie-
dikamentöse Senkung des Pfortaderdrucks gende zweite Ballon aufgeblasen, wodurch die
durch Terlipressin (Glycylpressin®, Haemopres- blutenden Ösophagusvarizen komprimiert wer-
sin®) oder Somatostatin (Somatostatin HEX- den (vgl. Abb. 7-18). Über die Sonde kann auch
AL®) oder Octreotid (Sandostatin®) versucht eine Magenspülung vorgenommen werden. Der
werden. Eventuell kann vom Gastroenterologen Magen muss klargespült werden.
– nach Punktion der Vena jugularis interna –
auch ein TIPS (= transjugulärer intrahepati- Kompressionssonden dürfen wegen der Gefahr
scher portosystemischer Shunt = Shunt-Röhr- ! einer Ösophaguswandnekrose höchstens 48 Stun-
chen zwischen prähepatischer Pfortadervene den in geblocktem Zustand belassen werden.
und posthepatischer Vene) angelegt werden. Zwischenzeitlich sind sie wiederholt kurzfristig zu
Langfristig kann die Anlage einer Anastomose entblocken, um Drucknekrosen vorzubeugen.
zwischen Pfortader und Vena cava (eines porto-
kavalen Shunts) indiziert sein. Die Leber wird Der Kompressionsdruck der Ösophagussonde
dann weiterhin über die Arteria hepatica aus- sollte höchstens 35–40 mm Hg betragen.
reichend mit arteriellem Blut versorgt. Das Kommt die Blutung nicht zum Stehen, so ist sel-
tion (vgl. Tab. 7-8; → S. 419). Die Bestimmung Die Durchführung einer großzügigen Volu-
der Lipasekonzentration ist aussagekräftiger als menzufuhr und der Einsatz von Catecholami-
die Amylasekonzentration. Liegt der Pankreati- nen sind bei der schweren Verlaufsform norma-
tis ein Gallenabflusshindernis zugrunde (Cho- lerweise notwendig.
lestase), dann sind die Aktivität der alkalischen
Phosphatase, die direkte Bilirubinkonzentrati- Prognose
on und die Aktivität der Gamma-GT (vgl. Tab. Bei der nekrotisierenden Pankreatitis handelt
7-8; → S. 419) erhöht. sich um ein schweres Krankheitsbild mit
Bei der nekrotisierenden Pankreatitis sind die schlechter Prognose.
CRP-Konzentration (> 12–15 mg/dl) und die
Leukozytenzahl (> 16 000/mm3) deutlich er-
höht. 7.13.6 Alkoholkrankheit
Zur Beurteilung des Pankreas eignen sich vor
allem die Sonographie und die Computertomo- 1998 wurde nach offiziellen Statistiken davon
graphie. ausgegangen, dass in Deutschland 2,5 Millio-
nen alkoholkranke Menschen leben. Alkohol ist
Therapie die häufigste Suchtdroge in Deutschland. Bei
Um jegliche Stimulation der Pankreassekretion verunfallten Patienten handelt es sich in bis zu
zu vermeiden, muss der Patient parenteral er- 15–20 % um alkoholkranke Patienten. Die jähr-
nährt und der Magensaft abgeleitet werden. Au- lichen Folgekosten des Alkoholkonsums wer-
ßerdem kann eine Insulingabe erforderlich den in Deutschland mit ca. 15 Milliarden Euro
werden. Wird eine bakterielle Besiedelung der angegeben.
Nekrosen oder ein Abszess vermutet, dann soll- Bei Alkoholkranken ist das Risiko eines Karzi-
te eine Antibiotikatherapie eingeleitet werden. noms im Mund-Kehlkopf-Bereich ca. 10-fach
Gut geeignet sind: erhöht. Bei gleichzeitigem Alkohol- und Nico-
● Carbapeneme (v. a. Zienam ) tinmissbrauch ist dieses Risiko ca. 44-fach er-
Übererregbarkeit des ZNS. Wird bei einem al- kann auch die Gabe eines β-Rezeptoren-Blockers
koholkranken Patienten die Alkoholzufuhr un- notwendig werden. Gegebenenfalls muss der
terbrochen, so droht ein Alkoholentzugsdelir. Patient intubiert werden. Flüssigkeitshaushalt
Es ist gekennzeichnet durch: (meist Hypovolämie), Elektrolytstörungen (Hy-
● motorische Unruhe pomagnesiämie, Hypokaliämie) sowie ein
● Nesteln Vitaminmangel (Thiamin-[Vitamin-B1-]Man-
● Halluzinationen gel; eine Ampulle Betabion® = 100 mg i. v.; Pyri-
● Desorientiertheit doxin-[Vitamin-B6-]Mangel; z. B. Vitamin B6-
ratiopharm Injektionslösung oder Tabletten
Es besteht eine sympathikotone Reaktionslage oder Neurotrat S forte Filmtabletten; enthalten
mit Tachykardie, Schwitzen, Hypertension und Thiamin plus Pyridoxin), ein Folsäuremangel
Hyperventilation. Die Symptomatik beginnt und ein Spurenelementmangel (z. B. Zinkman-
meist 6–48 Stunden nach Abfall der Blutalko- gel) sind zu korrigieren.
holkonzentration. Zur Therapie der Hypomagnesiämie werden
Im Rahmen eines schweren Alkoholentzugsde- initial z. B. 1 000 mg Magnesiumgluconat (Mag-
lirs kann ein lebensbedrohliches Delirium tre- nerot® 1 000 Injekt als Kurzinfusion) intravenös
mens auftreten. 2–3 Tage nach Alkoholabsti- empfohlen.
nenz (manchmal auch im Rahmen eines
Alkoholexzesses) treten Tachykardie, Hyperto- Vorbeugende Maßnahmen
nie, Hyperthermie, Halluzinationen und evtl. Wird bei einem alkoholabhängigen Patienten
zerebrale Krampfanfälle auf. Es ist eine aggres- eine elektive Operation durchgeführt, dann soll-
sive Therapie (→ unten) notwendig. te möglichst bis ca. 6 Stunden vor der Operation
der übliche Alkoholkonsum erlaubt werden und
Therapie postoperativ sollte sobald als möglich wieder oral
Zur Therapie des Delirium tremens wird oft Di- (ggf. über Magensonde) Alkohol angeboten
azepam (z. B. 5–10 mg i. v. alle 5 Minuten, bis der werden. Perioperativ sollte kein Alkoholentzug
Patient sediert ist; beim lebensbedrohlichen De- versucht werden. Eine prophylaxtische Delirthe-
lir bis 120–240 mg/d i. v.; bei oraler Therapie bis rapie wird nicht empfohlen. Es wird eine engma-
60 mg/d) verabreicht. Im Falle einer schweren schige Überwachung und eine sofortige Therapie
vegetativen Alkoholentzugssymptomatik kann evtl. auftretender Entzugssymptome empfohlen.
zusätzlich Clonidin (Paracefan®) meist mit gu- Eine Magnesiumsubstitution ist zur Prophylaxe
tem Erfolg eingesetzt werden. Nach einer Initial- zerebraler Krampfanfälle sehr wichtig. Das
dosierung (= loading dose) von bis 150–600 µg Vitamin Thiamin ist stets zu substituieren.
intravenös wird eine bedarfsadaptierte kontinu- Zur Substitution von Spurenelementen bietet
ierliche Infusion (initial ca. 60 µg/h; danach be- sich die Gabe von Addel® oder Inzolen® an.
darfsadaptierte Dosissteigerung) angeschlossen. Um Selbstverletzungen des Patienten oder
Bei einer halluzinatorisch betonten Delirsympto- Verletzungen anderer Personen zu vermeiden,
matik sollte Haloperidol (Haldol®) entweder sind diese Patienten ggf. an den Armen und den
kontinuierlich oder in mehrfachen täglichen Beinen zu fixieren.
Einzeldosen (z. B. 4–6 × 5–10 mg) zugeführt
werden. Auch Clomethiazol (Distraneurin®) ist
für die Therapie eines unvollständigen oder voll- 7.13.7 Verbrennungskrankheit
ständigen Alkoholdelirs (nicht jedoch für ein
lebensbedrohliches Delir) geeignet. Clomethia-
Schwere Verbrennungen führen nicht nur zu loka-
zol wird oral (4–8 × 2 Kapseln à 192 mg bzw. 4–8 len, sondern auch zu generalisierten Veränderun-
× 12 ml verdünntem Saft = Distraneurin Mix- gen. Es wird von Verbrennungskrankheit gespro-
tur) verabreicht. Zur Therapie einer Tachykardie chen.
480 7 Intensivmedizin
gerötete und trockene Haut ohne Blasenbil- Es sind Subkutis, Muskeln und zum Teil Sehnen
dung, schmerzhaft. Die Verbrennung be- betroffen (Verkohlung, nicht schmerzhaft).
trifft nur die Epidermis.
● Verbrennung II. Grades: Bei Verbrennungspatienten ist stets nach Be-
Grad IIa: Blasenbildung mit feuchtem gleitverletzungen (z. B. wegen aufgetretener Ex-
Wundgrund, sehr schmerzhaft. Die Rötung plosion oder wegen Sprung aus dem Fenster bei
ist gut „wegdrückbar“. Die Verbrennung der Flucht vor den Flammen) zu suchen.
reicht bis in die oberflächliche Dermis.
Grad IIb: Blasenbildung mit rotem Wund- Ätiologie
grund, schmerzhaft. Die Rötung ist kaum Eine Verbrennung führt durch die Freisetzung
oder nicht wegdrückbar. Zum Teil helle von Entzündungsmediatoren zu:
Areale als Zeichen tiefer Nekrosen. Weitge- ● Kapillardilatation
hende Schädigung der Epidermis und Der- ● Sequestration von Flüssigkeit ins Gewebe
● verstärkter Verdunstung von Flüssigkeit über Nach Überwindung der initialen Schockphase
die geschädigten Hautpartien ist der Patient in der Regenerationsphase insbe-
sondere durch Infektionen und einen Hyper-
In der sog. Schockphase kommt es zu massiven metabolismus gefährdet.
Flüssigkeits- und Proteinverlusten innerhalb Die häufigsten Komplikationen einer Verbren-
der ersten 24–48 Stunden. Der entstehende in- nungskrankheit sind:
travasale Flüssigkeitsverlust ist proportional der ● Sepsis
● Ateminsuffizienz
Diagnostik ● Magen-Darm-Ulzera
travasalen Volumensubstitution darstellt. Bei einer Sepsis liegen die für eine SIRS
Wichtig ist das tägliche Wiegen der Patienten. (→ oben) definierten Kriterien vor. Zusätz-
Bei adäquater Volumentherapie sollte das Kör- lich liegt eine mikrobiologisch oder klinisch
pergewicht am ersten Tag – je nach Ausdeh- nachgewiesene Infektion vor.
nung der Verbrennung – um 10–20 % zuneh- ● schwere Sepsis:
phagen. Diese Blutzellen binden sich an Gefäß- Erregern z. B. Imipenem oder Piperacillin plus
wände und setzten Entzündungsfaktoren (sog. Sulbactam).
proinflammatorische Mediatoren) frei (z. B. An unterstützender Therapie stehen vor allem
Tumor-Nekrose-Faktor-alpha [TNF-α], Inter- Volumensubstitution, Catecholamingabe und
leukin-1β). Es kommt dadurch vor allem zu maschinelle Beatmung im Vordergrund. Ob die
einer Schädigung der Kapillarwände. Die Ka- Gabe von kristalloiden oder kolloidalen Lösun-
pillarmembranen werden „porös“, es entsteht gen vorzuziehen ist, bleibt noch ungeklärt. An
ein sog. „capillary leak syndrome“. Intravasale Catecholaminen kommt zur Steigerung von
Flüssigkeit kann leicht ins Gewebe abwandern, peripherem Widerstand und systemischem
es bilden sich Ödeme aus. In den geschädigten Blutdruck vor allem Noradrenalin (Arterenol)
Kapillaren beginnen Gerinnungsprozesse, es infrage. Zur Steigerung eines erniedrigten Herz-
droht eine disseminierte intravasale Gerinnung minutenvolumens sollte vor allem Dobutamin
(= disseminated intravascular coagulation = eingesetzt werden. Adrenalin und Dopamin
DIC) die zum Verbrauch der Gerinnungsfak- werden hierzu nicht mehr als Medikamente der
toren (= Verbrauchskoagulopathie) mit diffu- ersten Wahl empfohlen. Bei der Beatmung sind
ser Blutungsneigung führen kann. Da der Kör- die Kriterien der lungenprotektiven Beatmung
per versucht, diese DIC-bedingten Gerinnsel (→ S. 446) zu beachten. Der erhöhte Energie-
wieder abzubauen, fallen vermehrt Fibrinspalt- umsatz führt zu einer katabolen Stoffwechsel
produkte an. Typischerweise öffnen sich arte- lage, denn exogen zugeführte Nährstoffe wer-
riovenöse Shunts in den verschiedenen Gewe- den nur unzureichend metabolisiert. Häufig
ben. Es kommt zur Umverteilung in der wird eine kontinuierliche Nierenersatztherapie
Gewebsperfusion. notwendig.
An spezieller Therapie wurden eine Reihe von
Komplikationen Antimediatorstrategien untersucht (z. B. Gabe
Folge der entstehenden Mikrozirkulations- von Anti-Tumor-Nekrose-Faktor-alpha). Diese
störungen sind eine Mangelversorgung des Strategien haben jedoch enttäuscht. Empfohlen
Gewebes mit Hypoxie, Acidose und Anstieg werden zurzeit nur die Gabe von aktiviertem
der Lactatkonzentration. Aufgrund der zahl- Protein C (Drotrecogin alfa [aktiviert]; Xigris®)
reichen peripheren Shunts kommt es zu unzu- sowie ggf. die niedrig dosierte Gabe von Hydro-
reichender Sauerstoffausschöpfung des Blutes cortison (ca. 300 mg/d).
(hohe gemischtvenöse Sauerstoffsättigung).
Manchmal ist die gemischtvenöse Sauerstoff- Vorbeugende Maßnahmen
sättigung aufgrund eines deutlich erniedrigten Septische Patienten benötigen einen sehr hohen
Herzminutenvolumens und einer dadurch ver- pflegerischen und apparatetechnischen Auf-
mehrten Sauerstoffausschöpfung erniedrigt. wand. Aufgrund der instabilen Kreislaufver-
Der periphere Gesamtwiderstand ist deutlich hältnisse und der Tatsache, dass diese Patienten
erniedrigt, das Herzminutenvolumen kompen- oft nicht gelagert werden können, sind sie stark
satorisch erhöht. dekubitusgefährdet. Es sind eine Stressul-
kusprophylaxe (→ S. 427) und Thrombosepro-
Therapie phylaxe (→ S. 426) und eine engmaschige Über-
Therapeutisch kommen als kausale Therapie wachung der Blutzuckerkonzentration (Zielwert
bei der Sepsis – falls möglich – eine operative ca. 80–110[–150] mg/dl; ggf. unter entspre-
Sanierung des auslösenden Herdes (z. B. Abs chender Insulingabe) wichtig [sog. intensivierte
zess im Bauchraum) sowie eine entsprechende Insulintherapie]).
Antibiotikatherapie infrage (bei unbekannten
485
8 Notfallmedizin
Abb. 8-1 Rettungskette. Sie besteht aus a Notfallmel- sionelle Helfer) und d Versorgung in der Klinik. Diese
dung und b Basismaßnahmen (durch Laienhelfer), Glieder müssen reibungslos ineinander greifen.
c erweiterten Reanimationsmaßnahmen (durch profes-
ge eine sehr wichtige Maßnahme dar, deren nes Pneumothorax) unter Notfallsituationen
Versäumnis später u. U. nicht mehr nachzuho- deutlich erhöht ist und da die pro Zeiteinheit
len ist (zunehmende Hypovolämie mit „Kolla- über einen zentralen Venenkatheter infundier-
bieren“ der Venen). bare Flüssigkeitsmenge geringer ist als bei einer
Lediglich in Notsituationen, in denen kein peri- üblichen periphervenösen Kanüle, sollte auf
phervenöses Gefäß mehr punktierbar ist, sollte eine routinemäßige Anlage eines zentralen Ve-
vom Notarzt ein zentraler Venenkatheter (ZVK) nenkatheters bei Notfallpatienten verzichtet
gelegt werden (→ S. 185). Da die für eine zen- werden. Vor allem bei Säuglingen und Klein-
tralvenöse Punktion notwendige sterile Arbeits- kindern, evtl. auch bei Erwachsenen, bietet sich
weise am Notfallort oft kaum möglich ist, da ggf. die Anlage einer intraossären Kanüle an
das Risiko von Komplikationen (z. B. Gefahr ei- (→ S. 544).
8.1 Allgemeine Bemerkungen 487
Schmutz kann die Pflasterfixierung des Tubus linker und linkes Bein
beeinträchtigt werden. Es empfiehlt sich daher,
den Tubus ggf. mit einer Mullbinde, die um den Unipolare Extremitätenableitungen nach Gold-
Hals geschlungen wird, zusätzlich zu fixieren. berger: Bei den unipolaren Extremitätenablei-
Gelingt eine Intubation unter laryngoskopi- tungen aVR, aVL, aVF werden die Elektroden
scher Sicht nicht, z. B. wegen einer massiven oberhalb des rechten und linken Handgelenks
Schwellung im Bereich des Kehlkopfes, eines sowie oberhalb des linken Fußgelenks angelegt
Tumors oder einer schweren Verletzung im Ge- (Abb. 8-2, rechts). Es wird die Potenzialdiffe-
sichtsbereich, so kann u. U. eine Notkoniotomie renz zwischen einer dieser Extremitätenelek-
notwendig werden (→ S. 229). troden (differente Elektrode) und den beiden
Nach erfolgter endotrachealer Intubation ist der anderen, zusammengeschalteten Extremitäten-
Patient zu beatmen. Mit den inzwischen im elektroden (indifferente Elektrode, Null-[0-]
Rettungswesen zur Verfügung stehenden Beat- Elektrode), gemessen. Der Buchstabe „a“ be-
mungsgeräten (z. B. Oxylog 2000, Fa. Dräger) deutet augmented (verstärkt). Der Buchstabe
kann meist nicht nur eine kontrollierte Beat- „V“ steht für Voltage. Die Buchstaben „R“, „L“
mung, sondern oft auch z. B. SIMV oder CPAP oder „F“ entsprechen der differenten Elektrode
488 8 Notfallmedizin
Abb. 8-2 EKG-Standardableitungen;
bipolare Extremitätenableitungen
nach Einthoven (I, II, III) und
unipolare Extremitätenableitungen
nach Goldberger (aVR, aVL, aVF)
am rechten (= right = R) Arm, linken (= left = ● V5: linke vordere Axillarlinie auf gleicher
L) Arm oder linken Fuß (= foot = F). Höhe wie V4
● V : linke mittlere Axillarlinie auf gleicher Höhe
6
Unipolare Brustwandableitungen nach Wilson: wie V4 und V5
Die unipolaren Brustwandableitungen werden
an 6 definierten Thoraxpunkten abgeleitet und Als indifferente Elektrode wird der Zusammen-
als V1–6 bezeichnet (Abb. 8-3). Der Buchstabe schluss der 3 Extremitätenableitungen verwen-
„V“ steht für Voltage (→ S. 487). det (0-Elektrode).
● V : rechter Sternalrand im vierten Interkos Beim Aufzeichnen eines EKGs ist zuerst eine
1
talraum Eichzacke zu schreiben. Dabei sollte 1 mV
● V : linker Sternalrand im vierten Interkostal- einem Ausschlag von 1 cm entsprechen.
2
raum Normalerweise wird im deutschsprachigen
● V : Mitte zwischen V und V Raum für EKG-Ableitungen eine Papierge-
3 2 4
● V : Schnittpunkt der linken Medioklaviku- schwindigkeit von 50 mm/s eingestellt. Eine
4
larlinie mit fünftem Interkostalraum (etwa horizontale Strecke von 5 mm entspricht dabei
Herzspitze) 0,1 Sekunden.
8.2 Leitsymptom: akuter Brustschmerz 489
Koronare Herzkrankheit
Ätiologie
Stabile Angina pectoris
Die häufigste Ursachen für akute Brustschmer-
zen sind Bei Patienten mit einer koronaren Herzkrank-
● stabile Angina pectoris und heit kann bei körperlicher oder seelischer Belas
● akutes Koronarsyndrom. tung eine Myokardischämie mit Angina-pec
© toris-Schmerzen auftreten.
Der Begriff „akutes Koronarsyndrom“ umfasst: ©
● instabile Angina pectoris Von einer sog. stabilen Angina pectoris wird
● akuter Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-
gesprochen, wenn sich Häufigkeit und Dauer der
Hebung Anfälle sowie auslösende Faktoren in den letzten
● akuter
Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung 2 Monaten nicht verändert haben. Durch körperli-
che Ruhe und evtl. Gabe von Nitroglycerin bessert
Sonstige Ursachen für akute Brustschmerzen sich diese Symptomatik normalerweise innerhalb
können eine Pleuritis, Perikarditis, Ösophagitis, von ca. 15 Minuten.
490 8 Notfallmedizin
Eine KHK kann sehr lange asymptomatisch blei- cken (Abb. 8-4)
! ben. Oft tritt ein akuter Myokardinfarkt oder ein ● horizontale oder deszendierende ST-Strecken-
plötzlicher Herztod aufgrund einer KHK auf, oh- Senkungen von mehr als 0,1 mV (= 1 mm)
ne dass der Patient vorher an pektanginösen Be-
schwerden litt.
Präterminal negatives T
a (Verdacht auf Koronarinsuffizienz, Herzmuskel-
hypertrophie, evtl. arterielle Hypertonie)
Terminal negatives T
b (Verdacht auf Koronarinsuffizienz, Herzmuskel-
schädigung, Peri- oder Myokarditis)
Horizontale ST-Strecken-Senkung und
c präterminal negatives T
Abb. 8-4 Typische EKG-Veränderun- (Verdacht auf Koronarinsuffizienz)
gen bei Angina pectoris. a Präterminal Deszendierende ST-Strecken-Senkung und
negative T-Zacken. b Terminal negative d präterminal negatives T
T-Zacken. c Horizontale ST-Strecken- (Verdacht auf Koronarinsuffizienz bei
Senkung und präterminal negatives T. Hypertrophie)
d Deszendierende ST-Strecken-Senkung
e Deszendierende ST-Strecken-Senkung und
und präterminal negatives T. terminal negatives T
e Deszendierende ST-Strecken-Senkung (Verdacht auf Koronarinsuffizienz, Herzinfarkt)
und terminal negatives T.
● die ventrikuläre Wandspannung (durch Ni- eine lebensverlängernde Wirkung erzielt wer-
trate, Calciumkanalblocker), den kann.
● die Herzfrequenz (durch β-Rezeptoren- An weiteren koronaren Katheterinterventionen
Blocker, Calciumkanalblocker) und kommt vor allem eine Stent-Implantation zur
● die Kontraktilität (durch β-Rezeptoren- Anwendung (Stent = selbstentfaltendes, röh-
Blocker, Calciumkanalblocker) renförmiges Drahtgeflecht). Durch Einbringen
vermindert werden oder indem eines endoluminalen Stents im Bereich einer
● sonstige Maßnahmen (z. B. koronare Kathe- aufdilatierten Koronarstenose kann das Koro-
terinterventionen; → S. 497) narlumen offen gehalten werden, die Rezidivra-
durchgeführt werden. te (Restenosierungsrate) kann dadurch vermin-
Durch Gabe eines β-Rezeptoren-Blockers soll dert werden.
vor allem die Herzfrequenz (möglichst unter 60 Bei schweren Angina-pectoris-Beschwerden
Schläge/min), aber auch der arterielle Blutdruck kann die Indikation für eine aortocoronare By-
gesenkt werden. Durch Gabe eines Nitropräpa- pass-Operation (→ S. 313) gegeben sein. Durch
rates oder eines Calciumkanalblockers (z. B. Ni- eine Bypass-Operation kann die körperliche
fedipin) kann zusätzlich versucht werden, die Belastbarkeit verbessert werden, die pektangi-
Koronargefäße zu erweitern und den Blutdruck nösen Beschwerden werden meist geringer und
zu senken. Durch Gabe eines Calciumkanal- die medikamentöse Therapie kann vermindert
blockers können pektanginöse Beschwerden werden. Es kann also die Lebensqualität verbes-
evtl. gemildert werden. Bei Kombination eines sert werden. Eine Verlängerung der Lebenser-
Calciumkanalblockers mit einem β-Rezeptoren- wartung konnte bisher jedoch nicht belegt wer-
Blocker wird meist der Calciumkanalblocker den.
Nifedipin bevorzugt, da er die durch β-Rezep-
toren-Blocker verursachte Dämpfung des
Sinusknotens nicht verstärkt. 8.2.1 Akutes Koronarsyndrom
KHK-Patienten wird häufig ein niedrig dosier-
tes Acetylsalicylsäurederivat verabreicht, um
Unter dem neueren Begriff „akutes Koronarsyn-
eine Thrombozytenaggregation im Bereich
drom“ werden die instabile Angina pectoris (=
koronarstenotischer Gefäßveränderungen zu
unstable angina pectoris = UAP) sowie ein akuter
verhindern, denn hierdurch könnte ein aku-
Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung (= ST-
tes Koronarsyndrom ausgelöst werden (→ un-
elevation myocardial infarction = STEMI) sowie
ten).
ein akuter Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-He-
Falls eine medikamentöse Therapie der KHK
bung (= non-ST-elevation myocardial infarction
nicht zum Erfolg führt und eine über 70–75%ige
= NSTEMI) zusammengefasst.
Stenose vorliegt, kommen auch Verfahren der
koronaren Katheterintervention (z. B. Koronar-
angioplastie = Aufweitung von Koronargefä-
ßen) infrage. In den letzten Jahren hat sich die Ätiologie
perkutane transluminale Coronarangioplastie
(= PTCA = Ballondilatation) zur Therapie der Die instabile Angina pectoris sowie der NSTE-
KHK bewährt. Die Erfolgsquote beträgt 90– MI und der STEMI sind meist durch Aufbre-
95 %. Eine PTCA wird vor allem bei Patienten chen atheromatöser Plaques in den Koronarar-
mit einer schweren Angina pectoris, zum Teil terien mit Ausbildung von Thromben auf der
aber auch bei Patienten mit akutem Koronar- beschädigten Endotheloberfläche bedingt. Da-
syndrom durchgeführt. Durch eine PTCA kön- durch kommt es zu einer weiteren akuten Lu-
nen Angina-pectoris-Symptome verbessert meneinengung der Koronararterie. Ist der Blut-
werden. Es ist jedoch nicht belegt, dass dadurch strom jedoch noch stark genug, um einen
8.2 Leitsymptom: akuter Brustschmerz 493
solchen Fibrinthrombus wegzuspülen, tritt eine Hypertonie und Tachykardie beobachtet. Da-
instabile Angina pectoris auf. Kommt es durch durch kann initial evtl. Kammerflimmern aus-
die thrombotische Koronarverengung zur gelöst werden. Bei einem Hinterwandinfarkt
Nekrose der inneren (subendokardialen) Myo- können auch Sinus- oder AV-Knoten mitge-
kardbereiche, tritt ein nicht transmuraler Myo- schädigt werden, wodurch oft (ca. 50 %) eine
kardinfarkt (Nicht-ST-Strecken-Hebungs-Myo- deutliche Bradykardie und Hypotension sowie
kardinfarkt) auf. Ist die ganze Myokarddicke Reizleitungsstörungen ausgelöst werden kön-
betroffen, tritt ein transmuraler Myokardinfarkt nen. Eine Hypotension kann aber auch Folge
(ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt) auf. Zu- einer ausgeprägten Infarzierung des Herzmus-
sätzlich spielt bei einem akuten Koronarsyn- kels mit akutem Linksherzversagen sein. Bei ca.
drom auch eine Vasokonstriktion eine wichtige 90 % der Patienten mit einem akuten Myokard-
Rolle. infarkt treten ventrikuläre Extrasystolen auf.
In ca. 15 % verläuft ein Herzinfarkt (vor allem
bei älteren Patienten oder bei Patienten mit
Epidemiologie Diabetes mellitus) weitgehend symptomlos, das
heißt „stumm“. Es treten dann typischerweise
Pro Jahr erleiden in Deutschland fast 700 000 keine pektanginösen Beschwerden auf. Ein
Menschen (d. h. ca. einer von 100 Einwohnern) stattgehabter stummer Infarkt wird zumeist
ein akutes Koronarsyndrom. Etwa 5–10 % die- später zufällig an der für einen alten Infarkt ty-
ser Patienten versterben akut und ca. 30 % die- pischen Q-Welle im EKG erkannt (vgl. Abb.
ser Patienten versterben innerhalb eines Jahres 7-16). Die Mortalität im Rahmen eines stum-
trotz Therapie. men Myokardinfarkts ist genauso hoch wie bei
einem Infarkt mit klassischem „Vernichtungs-
schmerz“. Die Therapie entspricht daher der ei-
Klinik nes Infarkts mit klassischen Angina-pectoris-
Beschwerden.
Bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom
sind folgende Symptome bzw. diagnostische Pa-
rameter zu beurteilen: Differenzialdiagnose
● klinische Symptome
● EKG-Veränderungen Bei Verdacht auf einen Myokardinfarkt müssen
● Konzentrationsverlauf herzspezifischer Enzy- differenzialdiagnostisch z. B. Angina pectoris,
me (→ S. 457) Peri- oder Myokarditis, Lungenembolie, Pneu-
mothorax, Pleuritis, Interkostalneuralgie, verte-
Typische klinische Symptome eines akuten Ko- bragene Schmerzen, ein Aneurysma dissecans
ronarsyndroms sind schwere Schmerzen („Ver- der thorakalen Aorta sowie Erkrankungen des
nichtungsschmerzen“) ähnlicher Lokalisation Ösophagus und des Gastrointestinaltrakts aus-
und ähnlichen Charakters wie Angina-pectoris- geschlossen werden.
Schmerzen (→ S. 490), die aber wesentlich stär-
ker sind und länger (> 20–30 Minuten) anhal-
ten. Es stellen sich meist Todesangst, kalter Diagnostik
Schweiß, Blässe und Übelkeit ein. Die Schmer-
zen werden retrosternal (ca. 70 %), im linken Bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom
Arm (ca. 20–30 %) und/oder im Epigastrium muss unbedingt eine 12-Kanal-EKG-Ableitung
(ca. 20–30 %) angegeben. (→ S. 487) abgeleitet werden. Bei einem STEMI
Bei einem akuten Vorderwandinfarkt wird oft tritt typischerweise eine ST-Strecken-Hebung
(ca. 25 %) ein erhöhter Sympathikotonus mit auf, bei einem NSTEMI und einer instabilen
494 8 Notfallmedizin
II
III
aVR
aVL
aVF
V1
V2
V3
V4
Abb. 8-5 Typische EKG-Veränderun-
V5 gen in den einzelnen EKG-Ableitungen
im akuten Stadium eines Vorder- oder
Hinterwandinfarkts. Die verschiedenen
V6 Stadien eines Myokardinfarkts sind in
Abbildung 7-16 dargestellt.
Angina pectoris dagegen nicht. Im Rahmen ei- wandableitungen muss hierbei ≥ 0,2 mV oder in
nes akuten Infarkts treten oft auch (therapiebe- mindestens einer Extremitätenableitung min-
dürftige) Herzrhythmusstörungen auf. Die für destens ≥ 0,1 mV betragen. In Tabelle 8-1 ist
einen ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt aufgeführt, in welchen Ableitungen normaler-
typischen EKG-Veränderungen werden in Ab- weise entsprechende EKG-Veränderungen bei
bildung 8-5 gezeigt. Die ST-Strecken-Hebung einem frischen Vorder- oder Hinterwandinfarkt
in mindestens 2 zusammenhängenden Brust- auftreten.
8.2 Leitsymptom: akuter Brustschmerz 495
Tab. 8-1 Darstellung derjenigen EKG-Ableitungen, bei ● Erhöhung des Sauerstoffangebotes an das
denen im Rahmen eines Vorder- oder Hinterwandin- Herz
farktes typische Veränderungen nachweisbar sind ● antithrombotische Therapie
I ++/+ –
Reduktion des Sauerstoffverbrauches des
II (+/++) ++/+ Herzens
III – ++ ● Bettruhe bzw. Immobilisierung und Intensiv
aVR – – überwachung:
aVL +/++ (+/–) Initial soll der Patient immobilisiert und mit
leicht (ca. 30 Grad) angehobenem Oberkör-
aVF – ++
per gelagert werden.
V1 (+) – ● Analgetika (insbesondere Morphin):
typische Erhöhungen der Enzymaktivität auf- Der Infarktschmerz ist – im Gegensatz zum
treten, kommt es bei der instabilen Angina pec- Angina-pectoris-Schmerz – nicht „nitrosen-
toris typischerweise zu keinem Anstieg der En- sibel“. Bei stabilen Kreislaufverhältnissen
zymaktivität. Die Troponinkonzentration kann (RRsys > 100 mm Hg) kann jedoch durch
inzwischen auch innerhalb weniger Minuten Gabe von Nitroglycerin („Nitro“) eine venö-
mithilfe eines Bedside-Tests bestimmt werden. se (in höheren Dosen auch eine arterielle)
Vasodilatation mit Erniedrigung der Vorlast
(und evtl. der Nachlast) erzielt werden. Da-
Therapie (→ auch S. 459) durch nimmt der kardiale Sauerstoffver-
brauch ab. Außerdem kommt es zu einer
Ziele Dilatation der Koronararterien mit Verbes-
serung von Perfusion und Sauerstoffangebot.
Vorrangige Ziele bei der Therapie eines akuten Es bieten sich folgende Präparate an:
Koronarsyndroms sind: – Nitrolingual®-Pumpspray (0,4 mg/Hub):
● Reduktion des Sauerstoffverbrauches des 1–3 Hübe sublingual/ggf. Wiederholung
Herzens nach 5–10 Minuten
496 8 Notfallmedizin
– Nitrolingual®-Zerbeißkapseln (0,8 mg/ schen die Medikation der Wahl in der Phase
Kps.): nach dem Herzinfarkt dar. Sie sollten nach
1–2 Kapseln sublingual/ggf. Wiederho- einem Infarkt normalerweise lebenslang ver-
lung nach 10 Minuten abreicht werden. Hierdurch konnte die Lang-
– Aquo-Trinitrosan® Ampullen: zeitmortalität um ca. 20 % gesenkt werden.
10–20 µg/Einzeldosis intravenös titrieren Kontraindikationen sind Bradykardie (< 60
nach RR/HF bedarfsadaptiert 0,1–0,5– Schläge/min), AV-Block II. oder III. Grades,
1,0–2,0 µg/kg KG/min intravenös; ca. QRS-Komplex breiter als 0,11 Sekunden, sy-
0,5–5 mg/h über Spritzenpumpe stolischer Blutdruck unter 100 mm Hg sowie
Tritt im Rahmen des Myokardinfarkts eine manifeste Herzinsuffizienz. Die Herzfre-
Herzinsuffizienz auf, dann nimmt das Herz- quenz sollte unter einer β-Rezeptoren-
minutenvolumen unter Nitratgabe zu. Nitro- Blockade möglichst 60–70 Schläge/min und
glycerin sollte dann per Spritzenpumpe (ca. der Blutdruck sollte nicht unter 100 mm Hg
5–9 mg/h) verabreicht werden. Es ist jedoch betragen. Es ist eine entsprechende Dosisti-
auf dessen blutdrucksenkende Nebenwir- tration notwendig.
kung zu achten. Der systolische Blutdruck
sollte nicht unter 90 mm Hg abfallen. Nach Erhöhung des Sauerstoffangebotes
einem akuten Infarkt mit Linksherzinsuffizi- an das Herz
enz, Hypertonie oder persistierender Ischä- ● Sauerstoffgabe:
mie bzw. nach einem großen Vorderwandin- Eine Sauerstoffgabe ist sinnvoll, falls der paO2
farkt wird Nitroglycerin über 1–2 Tage erniedrigt ist. Zumeist werden routinemäßig
empfohlen, auch wenn nicht bewiesen ist, 2–6 Liter O2/min über Nasensonde oder
dass dadurch das Outcome verbessert wer- Sauerstoffmaske verabreicht. Bei Auftreten
den kann. einer Herzinsuffizienz mit Lungenödem
● β-Rezeptoren-Blocker: kann eine endotracheale Intubation mit Be-
Diese können bei tachykarden und hyper- atmung und erhöhter FiO2 notwendig wer-
tensiven Patienten sinnvoll sein und den O2- den.
Bedarf des Myokards vermindern. Ziel ist es, ● andere Maßnahmen:
das Produkt aus Herzfrequenz und systoli- Auch durch eine Senkung der Vor- und
schem Blutdruck auf einen Wert von ca. Nachlast mittels Nitropräparat und Morphin
6 000 zu senken. Wird bei einer Herzfre- (→ S. 495) und einer Sympathikolyse mittels
quenz > 60/min eine intravenöse Therapie Benzodiazepin, Morphin und β-Rezeptoren-
mit einem beta1-spezifischen β-Rezeptoren- Blocker (→ oben) kann die Koronarperfusi-
Blocker (z. B. Esmolol; → S. 327; oder 2,5– on verbessert und damit das Sauerstoffange-
5[–15] mg Metoprolol; Beloc®) möglichst bot ans Myokard gesteigert werden.
bald nach Beginn des Myokardinfarkts be-
gonnen, dann kann durch Verminderung Antithrombotische Therapie
des myokardialen Sauerstoffbedarfes u. U. ● Acetylsalicylsäure:
Im Rahmen eines akuten Myokardinfarkts tre- tonus oder eine Ischämie im Bereich von Sinus-
ten sehr häufig ventrikuläre Extrasystolen bzw. AV-Knoten hin. Eine Mangeldurchblutung
(VES) auf. Handelt es sich um gehäufte poly- von Sinus- bzw. AV-Knoten ist insbesondere
morphe ventrikuläre Extrasystolen, sog. R-auf- dann zu erwarten, wenn die rechte Koronarar-
T-Phänomen oder Salven von Extrasystolen, terie betroffen ist. Kommt es aufgrund der Bra-
dann muss damit gerechnet werden, dass es bei dykardie zu einer Hypotension, dann sollte in-
ca. 50 % dieser Patienten zum Kammerflim- itial Atropin intravenös verabreicht werden.
mern kommt. Gegebenenfalls muss ein temporärer transkuta-
ner bzw. transvenöser Schrittmacher platziert
Bei ungefähr 15 % aller Patienten mit einem aku- werden (vor allem bei AV-Block II. Grades Typ
! ten Myokardinfarkt kommt es zum Kammerflim- II und bei AV-Block III. Grades).
mern. Bei Kammerflimmern oder pulsloser Kammer-
tachykardie (→ S. 537) ist eine Defibrillation
Neuere Studien bei Postinfarktpatienten haben indiziert.
gezeigt, dass das Antiarrhythmikum Amiodaron Als Folge eines akuten Myokardinfarkts kann –
(Cordarex®) die Anzahl arrhythmiebedingter falls mehr als 20 % des linksventrikulären Myo-
Todesfälle signifikant senken kann. Es stellt in- kards infarziert sind – eine akute Linksherzin-
zwischen das Mittel der Wahl dar. suffizienz auftreten (in ca. 20 %). Eine schwere
Es sollten nur symptomatische oder hämody akute Herzinsuffizienz kann zum kardiogenen
namisch relevante Herzrhythmusstörungen Schock führen (bei ca. 8 % der Patienten). Auf-
therapiert werden, die öfter einem drohenden grund des stark erniedrigten Herzminutenvolu-
Kammerflimmern vorausgehen (sog. Warnar- mens werden dann z. B. Nieren und andere Or-
rhythmien wie gehäufte polymorphe VES, sog. gane unzureichend perfundiert. Der systolische
R-auf-T-Phänomen oder Salven von Extrasy- Blutdruck fällt oft deutlich ab. Falls sich ein kar-
stolen). diogener Schock entwickelt, sind vermutlich
Zur Therapie akuter VES kann Lidocain (→ S. mehr als 40 % des linken Ventrikels infarziert.
158) verabreicht werden. Initial wird ein Bolus Die Mortalität beträgt bei diesen Patienten über
von 1,5 mg/kg KG (maximal 2,5 mg/kg KG) 70 %.
langsam intravenös empfohlen. Anschließend Beim kardiogenen Schock muss versucht wer-
wird evtl. eine kontinuierliche Infusion mit 1–4 den, die linksventrikuläre Vor- und Nachlast zu
mg/min durchgeführt. Bei unzureichender senken. Hierzu werden vor allem eingesetzt:
Wirkung kann z. B. Ajmalin (Gilurytmal®; 10 ● Nitroglycerin:
mg/min; bis max. 50 mg) verabreicht werden. 0,4–0,8 mg sublingual, ggf. Wiederholung
Früher wurde Lidocain in der Frühphase eines nach 10 Minuten; Titration von 10- bis
Herzinfarkts routinemäßig zur Prophylaxe (!) 20-µg-Dosen intravenös oder bedarfsadap-
maligner Herzrhythmusstörungen verabreicht. tierte Infusion mit ca. 0,1–0,5–1,0–2,0 µg/
Dadurch konnte zwar die Inzidenz von Herz- kg KG/min (ca. 0,5–5 mg/h) intravenös
rhythmusstörungen vermindert werden, die ● Furosemid (Lasix ; 20–80 mg)
®
Mortalität kann jedoch (genauso wie auch mit ● Morphin (2–10 mg i. v. titriert)
positiv beeinflusst werden. Inzwischen wird Li- (erhobener Oberkörper, gesenkte Beine)
docain (genauso wie andere Klasse-I-Antiar-
rhythmika = Natriumkanalblocker; → S. 401) Zur Steigerung des Herzminutenvolumens
zunehmend seltener eingesetzt. kann die Gabe einer positiv inotropen Substanz
Kommt es im Rahmen eines akuten Herzin- notwendig werden. Eventuell kann auch die
farkts zu einer Sinusbradykardie, dann weist Kombination eines Vasodilatators mit einer
dies meist auf einen erhöhten Parasympathiko- inotropen Substanz sinnvoll sein. An positiv
8.3 Leitsymptom: (akute) Atemnot 499
geführt werden. Durch eine Thrombolyse (→ S. ● stärkere körperliche oder seelische Belastung
460), PTCA (→ S. 461) oder chirurgische ● Verminderung des Sympathikotonus (z. B.
Revaskularisation (→ S. 460) kann eine solche im Schlaf, v. a. morgens zwischen 4 und 6
akute Herzinsuffizienz oft gebessert werden. Uhr)
● Acetylsalicylsäure
● Infekte
● kalte Luft
8.3 Leitsymptom:
(akute) Atemnot
Klinik
8.3.1 Asthma bronchiale Typisch für ein Asthma bronchiale sind:
● chronische Entzündung der Bronchial-
Unter Asthma bronchiale wird eine anfallsweise schleimhaut
auftretende, aber reversible Atemwegsobstrukti- ● erhöhter Tonus der Bronchialmuskulatur
on verstanden. Es imponiert vor allem eine exspi- und bronchiale Hyperreagibilität
ratorische Atemwegsobstruktion mit verzögerter ● Einengung der Atemwege durch hochviskösen
Ausatmung und exspiratorischem Pfeifen. Schleim
Unter einem Status asthmaticus werden unmit-
telbar hintereinander auftretende Asthmaanfälle Während eines Asthmaanfalls kann die Luft
oder eine kontinuierliche (Tage anhaltende) akute aufgrund des typischerweise verzögerten Exspi-
schwerste Atemwegsobstruktion verstanden, die riums nicht vollständig abgeatmet werden (aku-
auf die Standardtherapie nicht ansprechen und tes Emphysem), und es entwickelt sich ein sog.
lebensbedrohlich sein können. Air-Trapping (eingeschlossene Luft; trap = Fal-
le). Es wird auch von einem Auto-PEEP oder
Intrinsic-PEEP gesprochen. (Beim beatmeten
Epidemiologie Patienten kann ein Auto-PEEP daran erkannt
werden, dass der exspiratorische Flow bei Be-
In Deutschland leiden ca. 5 % der Erwachsenen ginn der anschließenden Einatmung noch nicht
und bis ca. 10 % der Kinder an Asthma bronchi- auf Null abgefallen ist). Es sind exspiratorisches
ale. Pfeifen, Giemen, Brummen, Husten, Dyspnoe
und abgeschwächte, oft auch sehr leise Atemge-
räusche nachweisbar.
500 8 Notfallmedizin
Beim Status asthmaticus ist die Atemarbeit tige Aerosole), Bronchodilatatoren und evtl.
derart erhöht, dass Hypoxie, Hyperkapnie, Ta- sonstige Maßnahmen eingesetzt. Der therapeu-
chykardie, Hypertension und Somnolenz auf- tische Stufenplan bei einem Asthma-bron-
treten können. chiale-Anfall ist in Tabelle 8-2 dargestellt.
Zwischen den Anfällen ist die Lungenfunktion Im akuten Anfall können 50–100 mg Predniso-
von Asthma-bronchiale-Patienten weitgehend lonäquivalent intravenös verabreicht werden.
normal. Während eines schweren Asthmaanfalls Glucocorticoide verstärken außerdem die Wir-
ist die FEV1 meist unter 35 % der Norm ernied- kung der oft gleichzeitig verabreichten Beta2-
rigt (→ S. 341). Der Absolutwert der FEV1 ist Mimetika.
bei einer schweren Obstruktion < 1 Liter. Wäh-
rend bei einem leichten Asthmaanfall der paO2
und paCO2 meist im Normbereich liegen, kommt Bronchodilatatoren
es während eines schweren Asthmaanfalls zum
Abfall des paO2 und zum Anstieg des paCO2. Als Bronchodilatatoren kommen vor allem Be-
Die Patienten sitzen meist mit vorn überge- ta2-Rezeptor-Agonisten und evtl. Theophyllin
beugtem Oberkörper und stützen sich mit den zur Anwendung.
Armen auf der Stuhllehne bzw. den Oberschen- ● Beta -Sympathomimetika:
2
keln ab. In dieser Haltung kann die Atemhilfs- Die Inhalation eines selektiven Beta2-Sympa-
muskulatur gut eingesetzt werden. thomimetikums stellt inzwischen die Medi-
kation der Wahl bei einem akuten Asthma-
anfall dar. Auch zur Prävention eines
Prophylaxe und Therapie belastungsabhängigen Asthma bronchiale
sind Beta2-Sympathomimetika sinnvoll. An
Zur Prophylaxe und zur Therapie eines akuten Beta2-Sympathomimetika kommen z. B. Ter-
Asthmaanfalls werden entzündungshemmende butalin (Bricanyl®), Salbutamol (Sultanol®)
Medikamente (vorzugsweise glucocorticoidhal- und Fenoterol (Berotec®) per inhalationem
Sonstige Maßnahmen
Tab. 8-3 NYHA-Klassifizierung. Einstufung der kardi-
Bei einem therapierefraktären Status asthmati- alen Leistungsfähigkeit (Herzinsuffizienz) nach der New
cus kann eine endotracheale Intubation not- York Heart Association (= NYHA). Die Stadien I und II
wendig werden. Eventuell kann die Gabe eines werden als kompensierte (latente) Herzinsuffizienz und
volatilen Inhalationsanästhetikums sinnvoll die Stadien III und IV werden als dekompensierte (mani-
sein. Die verschiedenen volatilen Inhalations- feste) Herzinsuffizienz bezeichnet.
anästhetika scheinen hierfür vergleichbar gut Stadium Symptome
geeignet zu sein. Bei der maschinellen Beat- I Herzerkrankung ohne Einschränkung
mung ist ggf. eine mäßige Hypoventilation zu der körperlichen Leistungsfähigkeit
akzeptieren (vgl. permissive Hyperkapnie; → S. bei alltäglicher Belastung
447). Die Beatmung sollte mit niedrigem Atem-
II Herzerkrankung mit leichter Einschrän-
hubvolumen, niedriger Atemfrequenz und kung der körperlichen Leistungsfähigkeit
längerer Exspirationszeit (→ S. 352, 447) durch- bei alltäglicher Belastung
geführt werden. Der inspiratorische Beat-
III Herzerkrankung mit deutlich einge-
mungsdruck soll möglichst nicht über 35
schränkter körperlicher Belastbarkeit,
cm H2O betragen. In schweren Fällen kann ggf.
auch bei geringer Belastung
auch die vorsichtige, fraktionierte intravenöse
Gabe von Adrenalin (0,01–0,04 mg) versucht IV Herzerkrankung, bei der jede körperliche
Belastung eingeschränkt ist; Zeichen der
werden.
Herzinsuffizienz bereits in Ruhe
502 8 Notfallmedizin
Eine Linksherzinsuffizienz führt zu schneller res externae auf. Während sich beim Herzge-
körperlicher Ermüdbarkeit, zu Schlaflosigkeit sunden der venöse Rückfluss in der aktiven In-
sowie (aufgrund eines interstitiellen Lungen- spiration verbessert und die Venenfüllung
ödems mit verminderter Lungen-Compliance) abnimmt, führt bei einer Rechtsherzinsuffizienz
zu Dyspnoe. Die Dyspnoe tritt zunächst nur bei jede Steigerung des venösen Rückstroms zu ei-
Belastung auf. Die Frage, wie viele Treppen der ner weiteren Füllung der Jugularvenen. Bei
Patient z. B. noch steigen kann, bevor eine Dys- Rechtherzinsuffizienz treten also während der
pnoe auftritt, ist zur Beurteilung des Schwere- Inspiration die Halsvenen deutlicher hervor
grades der Herzinsuffizienz sehr wichtig. (sog. Kussmaul-Zeichen).
Häufig tritt auch eine nächtliche Dyspnoe auf, Typisch für eine Rechtsherzinsuffizienz sind
durch die die Patienten erwachen. Bei einer auch stauungsbedingte Überdehnung der Leber
schweren Linksherzinsuffizienz kommt es be- mit Druckempfindlichkeit im rechten Ober-
reits zu einer Dyspnoe, wenn sich die Patienten bauch sowie eindrückbare Ödeme an abhängi-
auf den Rücken legen, weil dadurch der venöse gen Körperteilen (beim stehenden Patienten an
Rückstrom verstärkt ist. Typisch ist auch ein den Knöcheln und prätibial, beim liegenden Pa-
trockener, nicht produktiver Husten im Liegen. tienten am Os sacrum und in den Flanken).
Beim Aufrichten bessern sich die Symptome.
Die sitzende Haltung ist oft die einzige Position,
in der die Patienten noch genügend Luft be- Therapie
kommen (Orthopnoe). Diese Patienten schla-
fen deshalb meistens halbsitzend. Die Patienten Wenn immer möglich, ist eine kausale Therapie
weisen eine erhöhte Atemfrequenz, feuchte der akuten Herzinsuffizienz durchzuführen
Rasselgeräusche und evtl. eine Zyanose auf. Die (Tab. 8-4). Dies ist jedoch nur in einem gerin-
Abgrenzung zu einem Asthma bronchiale kann gen Prozentsatz der Fälle möglich.
sehr schwierig sein. Tritt eine Luftnot bei einem Bei der zumeist vorliegenden akuten Dekom-
älteren Patienten erstmals auf, so spricht dies pensation einer chronischen Linksherzinsuffi-
eher gegen ein Asthma bronchiale und für ein zienz muss eine symptomatische Therapie vor-
Lungenödem. genommen werden (vgl. Tab. 8-5; → auch S.
Das zuletzt auftretende Zeichen einer Links- 445, 498).
herzinsuffizienz ist ein Lungenödem. Bei einer Die Therapie der Linksherzinsuffizienz hängt
Linksherzinsuffizienz kommt es zuerst zu einer davon ab, ob ein Vorwärtsversagen (mit ernied-
Flüssigkeitseinlagerung in das Lungeninterstiti- rigtem Herzminutenvolumen und evtl. mit Hy-
um (interstitielles Lungenödem) und im späte- potonie) oder ob ein Rückwärtsversagen (mit
ren Stadium zum Flüssigkeitsübertritt in die Lungenstauung und Dyspnoe) vorliegt. Häufig
Alveolen (alveoläres Lungenödem). Es lassen handelt es sich allerdings um eine Kombination
sich hierbei feuchte Rasselgeräusche auskultie- aus Vor- und Rückwärtsversagen.
ren, zuerst über den unteren Lungenbereichen, Liegt vor allem ein Rückwärtsversagen vor, so
später über der ganzen Lunge. Der Patient ist ist eine Vorlastsenkung durch Schleifendiureti-
tachypnoeisch, zyanotisch und aufgrund eines ka (Furosemid, Torasemid), venöse Vasodilata-
erhöhten Sympathikotonus liegt meist eine toren (z. B. Nitroglycerin; sublinguale Gabe)
kompensatorische Tachykardie vor. Besteht eine und Volumenrestriktion wichtig. Zur Vorlast-
Ruhetachykardie, dann sollte bei älteren Patien- senkung können 40–80 mg Furosemid (Lasix)
ten stets an eine Herzinsuffizienz gedacht wer- bzw. 10 mg Torasemid (Torem) intravenös
den. verabreicht werden. Bei unzureichender Wir-
Bei einer Rechtsherzinsuffizienz steigt der kung kann die Dosierung weiter erhöht werden.
(zentrale) Venendruck an, es fallen auch beim Zur Vorlastsenkung bietet sich auch Nitroglyce-
sitzenden Patienten prominente Venae jugula- rin als Dauerinfusion an, falls eine initiale sub-
8.3 Leitsymptom: (akute) Atemnot 503
Tab. 8-4 Kausale Therapie bei akuter Herzinsuffizienz ● zunehmende Tachykardie bzw. Übergang in
Ursache Therapie Bradykardie, schwere Arrhythmien oder Hy-
perkapnie (paCO2 > 50 mm Hg)
Akuter Myokardinfarkt Rekanalisation der
Koronararterien
Liegt vor allem ein Vorwärtsversagen mit er-
Hypertensive Krise Blutdrucksenkung niedrigtem Herzminutenvolumen und ernied-
Tachykarde Frequenzverlangsamung rigtem arteriellem Blutdruck vor, dann sind
Rhythmusstörungen Sympathikomimetika zur Steigerung des Herz-
Bradykarde Schrittmachertherapie minutenvolumens und des Blutdrucks (erste
Rhythmusstörungen oder z. B. Atropingabe Wahl Dobutamin [1–20 µg/kg KG/min]; zweite
Akute Herzklappen- akuter operativer Wahl ggf. zusätzlich Noradrenalin) indiziert.
insuffizienz Herzklappenersatz Phosphodiesterasehemmer eignen sich zur
Steigerung des Herzminutenvolumens und zur
Perikardtamponade Perikardpunktion
gleichzeitigen Senkung der Nachlast (z. B. Am-
rinon oder Enoximon).
Digitalispräparate haben bei der Therapie der
Tab. 8-5 Erstmaßnahmen im Rahmen der Notfallmedi- akuten Herzinsuffizienz zur Steigerung der Ino-
zin bei einem akuten Lungenödem (nähere Erläute-
tropie keine Bedeutung. Sie sollten ggf. aus-
rungen → Text)
schließlich als Antiarrhythmikum eingesetzt
● Sauerstoffgabe werden. Tritt z. B. im Rahmen der akuten Herz-
● halbsitzende oder sitzende Lagerung insuffizienz ein Vorhofflimmern mit schneller
Überleitung auf, so kann durch eine schnelle
● „Nitro“-Spray (Glyceroltrinitrat), ggf. als
Dauerinfusion Aufdigitalisierung die Herzfrequenz erniedrigt
und die hämodynamische Situation deutlich
● Furosemid
verbessert werden. Hierfür bietet sich z. B. die
● bei Kreislaufinsuffizienz Infusion von Gabe von Digoxin (3–4 × 0,25 mg i. v. über 24
Catecholaminen (z.B. Dobutamin) Stunden) an. Gegebenenfalls kann zusätzlich
● vorsichtige, bedarfsadaptierte Sedierung, die Gabe von Verapamil oder Diltiazem sinn-
z. B. mit Morphin voll sein, um die Herzfrequenz zu senken.
● Bei einem schweren Lungenödem kann eine Liegt insbesondere ein Vorwärtsversagen mit
endotracheale Intubation mit Beatmung und erniedrigtem Herzminutenvolumen und ho-
Anwendung eines PEEP notwendig werden. hem (!) peripherem Widerstand vor, dann sind
arterielle Vasodilatatoren zur Nachlastsen-
kung (Calciumkanalblocker, z. B. 5 mg Nitren-
linguale Gabe von ca. 0,8 mg erfolglos blieb dipin sublingual oder 5–10 mg Nifedipin sub-
(→ S. 491). Bei einem linksventrikulären Rück- lingual; im Extremfall Nitroprussidnatrium)
wärtsversagen mit Lungenstauung ist die Gabe indiziert.
von Sauerstoff und Morphin wichtig. Unter
Umständen kann auch eine maschinelle Beat-
mung (mit PEEP) notwendig werden. Indika- 8.3.3 Pneumothorax
tionen zur Intubation und Beatmung sind:
● S O < 90 % Unter Pneumothorax wird die Ansammlung von
a 2
● spontane Hyperventilation (> 30 Atemzüge/
Luft oder Gas im Pleuraspalt verstanden. Je nach
min) Ausmaß des Pneumothorax kommt es zu einem
● drohende körperliche Erschöpfung mehr oder weniger ausgeprägten Lungenkollaps.
● zunehmende Verwirrung Ein ausgeprägter Pneumothorax kann lebensbe-
● arterielle Hypotonie (< 70 mm Hg) drohlich sein.
504 8 Notfallmedizin
Einteilung
Nach der Pathophysiologie und dem Entste-
hungsmechanismus kann ein offener, ein ge-
schlossener oder ein sog. Spannungspneumo-
thorax entstehen. Der Pneumothorax kann aber
auch nach der Ätiologie in einen traumatischen
Pneumothorax (unfallsbedingt, iatrogen) oder
Spontanpneumothorax (idiopathisch) unterteilt
werden. Je nachdem, ob sich ein Pneumothorax
lediglich im Bereich der Lungenspitze, ob sich
ein Randsaum oder ob sich ein totaler Zusam-
menfall der Lunge nachweisen lässt, wird von
einem Spitzen-, Mantel- oder einem Totalpneu-
mothorax gesprochen.
sich das Leck in der Thoraxwand bzw. der Lun- nen Pneumothorax übergeführt werden, um
ge wieder spontan. Es tritt keine weitere Luft in Mediastinalflattern und Pendelluft zu verhin-
den Pleuraspalt ein, der Pneumothorax nimmt dern. Falls jedoch zusätzlich eine Verletzung
nicht weiter zu. Ein solcher Pneumothorax der Lunge vorliegen sollte, dann könnte sich
kann traumatisch oder spontan auftreten. Häu- nun ein Spannungspneumothorax (→ oben)
figer ist ein solcher Pneumothorax auch iatro- mit zunehmender Kreislaufproblematik und
gen bedingt (z. B. durch Punktionsverletzungen zunehmendem Sättigungsabfall entwickeln. Es
bei der Anlage eines Kavakatheters). müsste dann sofort die Abdichtung der Wunde
Ein Spannungspneumothorax (Ventilpneumo- wieder entfernt werden. Besser als eine Abdich-
thorax) entsteht, wenn während jeder Inspirati- tung der klaffenden Thoraxwunde ist daher die
on etwas Luft in den Pleuraspalt eintritt, sofortige Intubation und maschinelle Beatmung
die Luft in der Exspiration aber nicht wieder ent- des Patienten. Hierbei ist die Thoraxwunde of-
weichen kann, wenn also ein Ventilmechanismus fen zu lassen, damit – wenn sich die Lunge un-
vorliegt. Ein Spannungspneumothorax kann so- ter Beatmung nun wieder entfaltet – die im
wohl spontan, iatrogen (z. B. punktionsbedingt), Pleuraspalt befindliche Luft nach außen entwei-
als Barotrauma bei einer maschinellen Beatmung chen kann. Auch falls eine zusätzliche Lungen-
oder auch nach einer Verletzung auftreten. Auf- verletzung vorliegen sollte, kann nun die bei der
grund des Ventilmechanismus nehmen das ein- Überdruckbeatmung aus der Lunge entwei-
geschlossene Luftvolumen und der intrapleurale chende Luft durch die Thoraxverletzung nach
Druck von Atemhub zu Atemhub zu. außen entweichen und es besteht keine Gefahr
eines Spannungspneumothorax (→ oben). Hat
sich allerdings die Thoraxwunde wieder spon-
Klinik tan verschlossen, dann ist zusätzlich die Anlage
einer Thoraxdrainage (→ S. 436) notwendig,
Typisch für einen Totalpneumothorax sind in- damit sich kein Spannungspneumothorax ent-
suffiziente Atmung, erhöhte Atemarbeit, wickeln kann.
Schmerzen, hypersonorer Klopfschall und auf- Bei Verdacht auf einen Spannungspneumotho-
gehobenes oder zumindest abgeschwächtes rax ist eine notfallmäßige Entlastungspunktion
Atemgeräusch auf der betroffenen Seite, fehlen- notwendig. Hierzu wird im zweiten Interkostal-
der Stimmfremitus und oft auch Atemnot. raum (= ICR) in der Medioklavikularlinie mit
Beim Spannungspneumothorax kommt es zum einer intravenösen Verweilkanüle auf den Ober-
Totalkollaps der Lunge, zum Verdrängen des Me- rand der entsprechenden Rippe punktiert. Nach
diastinums zur Gegenseite mit Kompression auch Knochenkontakt wird das Ende der Kanüle
der gesunden Lunge, zu Hypoxämie, zum Tiefer- kaudalwärts gesenkt und die Kanüle dann am
treten des gleichseitigen Zwerchfelles, zur Kom- Oberrand der Rippe leicht nach kranial vorge-
pression der Vena cava mit Einflussstauung, zur schoben. Eine Punktion am Unterrand einer
Verlagerung des Herzens, zu Rhythmusstörun- Rippe ist zu vermeiden, da hier die Arteria und
gen, zu Blutdruckabfall und Tachykardie. Häufig die Vena sowie der Nervus intercostalis verlau-
tritt auch ein Hautemphysem auf. Es entwickelt fen. Nach erfolgreicher Punktion wird der
sich schnell eine lebensbedrohliche Situation. Stahlmandrin der Kanüle entfernt. Beim spon-
tan atmenden Patienten ist, falls nach der Entlas-
tungspunktion nicht umgehend eine Tho-
Therapie raxdrainage (→ S. 506) angelegt wird, auf die
Kanüle ein Fingerling oder ein abgeschnittener
Ein offener Pneumothorax könnte beim spon- Finger eines Latexhandschuhs aufzubringen
tan atmenden Patienten durch entsprechendes und festzubinden. Der Fingerling muss an der
Abdichten des Thoraxlecks in einen geschlosse- Spitze etwas eingeschnitten werden, damit Luft
506 8 Notfallmedizin
Abb. 8-7 Entlastungspunktion bei
Spannungspneumothorax. Beim spon-
tan atmenden Patienten kann z. B.
mittels eines eingeschnittenen Finger-
lings, der auf der Verweilkanüle fest-
zubinden ist, ein Ventilmechanismus
erzeugt werden, der den Eintritt von
Luft verhindert, den Austritt von Luft
aber ermöglicht.
wieder entweichen kann. Dass während der In- Empfehlenswert ist es, zur Anlage einer Tho-
spiration Luft eindringt, wird dadurch verhin- raxdrainage eine Minithorakotomie durchzu-
dert, dass sich der nach unten fallende Finger- führen, das heißt eine ca. 3–4 cm lange Inzision
ling vor die Kanülenöffnung legt (Abb. 8-7). Bei am Oberrand der entsprechenden Rippe vorzu-
beatmeten Patienten braucht nicht sofort ein nehmen, den Kanal mit der Schere zu spreizen
solcher Ventilmechanismus angeschlossen wer- und zu erweitern und mit dem Finger vollends
den, da durch die Überdruckbeatmung ein Kol- den Kanal bis in den Pleuraspalt zu eröffnen.
laps der Lunge verhindert wird. Die Kanüle Die Thoraxdrainage kann nun unter digitaler
kann (bis zum Anlegen einer Thoraxdrainage; Führung ohne Metallmandrin bis in die Pleura-
→ unten) vorübergehend offen bleiben. höhle eingeführt werden. Anschließend muss
Nach der notfallmäßigen Entlastungspunktion die Minithorakotomie mit mehreren Hautnäh-
eines Spannungspneumothorax ist eine Tho- ten wieder verschlossen werden. (Wird dagegen
raxdrainage anzulegen. In weniger dramati- die Thoraxdrainage mit dem Metallmandrin
schen Fällen wird auf eine initiale Entlastungs- durch den Interkostalraum vorgestochen, dann
punktion verzichtet und primär eine kommt es oft zu einem plötzlichen Widerstands-
Thoraxdrainage angelegt. Eine Thoraxdrainage verlust, wenn die Thoraxwand durchstochen ist
wird meist beim liegenden oder besser beim und es droht dann ein unkontrolliert weites
halbsitzenden Patienten im vierten oder fünften Vorstechen, evtl. mit Verletzung der Lunge, sel-
ICR in der mittleren oder hinteren Axillarlinie ten auch von Zwerchfell, Milz oder Leber).
angelegt (= sog. Bülau-Drainage). Soll Luft ab- An eine Thoraxdrainage ist idealerweise eine
gelassen werden, dann sollte (beim liegenden Saugvorrichtung mit Wasserschloss (vgl. Abb.
Patienten) die Bülau-Drainage nach ventral 7-15c) oder ein Einwegsystem wie das Pleur-
vorgeschoben werden. Muss dagegen vor allem evac®-System (Abb. 7-15d) anzuschließen. Ein
Flüssigkeit, z. B. ein Hämatothorax oder ein Er- Thoraxdrainagesystem besteht aus einem Auf-
guss abgelassen werden, dann sollte die Draina- fanggefäß, einer Saugregulierung und einer Va-
ge nach dorsal vorgeschoben werden. (Wird die kuumpumpe. Die Eintauchtiefe des Steigrohrs
Thoraxdrainage ausnahmsweise im zweiten entspricht dem negativen Druck (Sog) in
oder dritten ICR in der Medioklavikularlinie cm H2O. Normalerweise wird ein Sog von –5
gelegt, dann wird von Monaldi-Drainage ge- bis –20 cm H2O (5–20 cm Eintauchtiefe des
sprochen.) Steigrohrs) eingestellt.
8.4 Leitsymptom: plötzliche Bewusstseinstrübung 507
tan atmenden Patienten offen bleiben. (vgl. Schädel-Hirn-Trauma; → S. 269, 466)
Ist ein spontan atmender Patient asymptoma- ● Subarachnoidalblutung, hypertensive Hirn-
tisch und sind weniger als ca. 20 % der Lunge blutung, zerebrale Minderperfusion
kollabiert, dann kann normalerweise eine spon- ● Infektionen
werden. Sind dagegen größere Teile der Lunge ● Wärme oder Kälte
Wichtig sind vor allem: gen werden begünstigt durch die Einnahme der
● Hochlagerung des Oberkörpers (→ S. 269) gerinnungshemmenden Substanz Marcumar®.
● kontrollierte Hyperventilation (→ S. 272) Kardiovaskuläre Ursache einer Bewusstseins-
● medikamentöse Senkung eines erhöhten in- trübung kann auch eine hypotone Kreislaufre-
trakraniellen Drucks (→ S. 268), z. B. mittels gulationsstörung mit zerebraler Minderdurch-
tiefer Analgosedierung, Gabe eines Osmodi- blutung, z. B. beim plötzlichen Aufstehen (sog.
uretikums orthostatische Synkope) sein. Initial treten hier-
● Kreislaufstabilisierung bei meist Hypotonus, Schweißausbruch und
● Sicherstellung eines zerebralen Perfusions- Bradykardie auf. Der Patient sinkt meist lang-
drucks von > 70 mm Hg sam zu Boden. In liegender Position kommt es
normalerweise bald wieder zur Spontanerho-
Bei einem Schädel-Hirn-Trauma sind meist lung. Selten ist eine intravasale Volumengabe
eine endotracheale Intubation und kontrollierte notwendig. Häufig werden z. B. Effortil-
Beatmung notwendig. Um einen erhöhten in- Tropfen verabreicht.
trakraniellen Druck akut zu senken, kann – be- Eine weitere Ursache für eine kardiovaskulär
vor eine evtl. notwendige operative Entlastung bedingte zerebrale Minderdurchblutung mit
durchgeführt werden kann – z. B. die Gabe ei- Bewusstseinstrübung können schwerwiegende
nes Osmodiuretikums (Mannit 20 %; 0,3–1,5 g/ Herzrhythmusstörungen mit drastischem Ab-
kg KG über 15 Minuten) verabreicht werden. fall des Herzzeitvolumens und zerebraler Min-
Nach Einlieferung ins Krankenhaus ist eine derperfusion sein (z. B. bei plötzlicher extremer
notfallmäßige cCT-Untersuchung durchzufüh- Bradykardie aufgrund eines neu auftretenden
ren. AV-Blockes). Es wird von einem Adams-Stokes-
Zur Beurteilung der neurologischen Situation Anfall gesprochen. Bei Auftreten eines Adams-
ist eine wiederholte Beurteilung der Pupillomo- Stokes-Anfalls kann initial die Gabe von Atro-
torik (→ S. 407) wichtig. Bei einer einseitig wei- pin, Orciprenalin oder Adrenalin notwendig
ten Pupille ist von einer starken Erhöhung des werden, um die extreme Bradykardie zu behe-
ICP auszugehen und es sind sofortige ICP-sen- ben.
kende Maßnahmen notwendig (→ oben). Auch eine hypertensive Krise kann zu einer Be-
wusstseinstrübung führen (→ S. 519). Weitere
Ursachen einer kardiovaskulär bedingten Be-
Subarachnoidalblutung, wusstseinstrübung können das plötzliche Auf-
hypertensive Hirnblutung, treten von Kammerflimmern oder -flattern
zerebrale Minderdurchblutung sein. Diese machen eine umgehende kardiopul-
monale Wiederbelebung notwendig (→ S.
Bei nicht traumatischen Hirnschädigungen 526).
liegt häufig eine intrakranielle Blutung oder
eine zerebrale Ischämie (apoplektischer Insult)
vor. Die Folge sind kontralaterale Lähmungser- Infektionen
scheinungen. Bei jungen Erwachsenen ist eine
intrazerebrale Blutung meist Folge einer Blu- Infektiöse Erkrankungen können bereits auf-
tung aus einem zerebralen Aneurysma mit Blu- grund eines evtl. auftretenden hohen Fiebers
tung in den Subarachnoidalraum (Subarach- und eines dadurch bedingten intravasalen Vo-
noidalblutung; → S. 468). Bei älteren Patienten lumenmangels zu einer Bewusstseinstrübung
sind spontane Hirnblutungen dagegen meist führen. Wichtige Ursachen einer infektiös be-
Folge einer hypertensiven Blutdruckentgleisung dingten Bewusstlosigkeit sind eine Meningitis
(→ S. 519) bei vorbestehenden arterioskleroti- und eine Enzephalitis. Die Meningitis äußert
schen Hirngefäßen. Hypertensive Hirnblutun- sich in Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit sowie
8.4 Leitsymptom: plötzliche Bewusstseinstrübung 509
überstrecktem Hals und Rücken (Opisthoto- Tod führen. Therapeutisch kommt eine Küh-
nus). Bei einer Enzephalitis imponieren Übel- lung des Patienten infrage. Gegebenenfalls ist
keit, Erbrechen, neurologische Ausfälle oder der Patient in kaltes Wasser zu setzen. Eventuell
evtl. ein Koma. Führt eine hochfieberhafte In- ist eine Sedierung mit Benzodiazepinen not-
fektionskrankheit zu einem intravasalen Volu- wendig.
menmangel mit Bewusstseinstrübung, so be- Eine Unterkühlung tritt insbesondere bei
steht die Initialtherapie vor allem in einem Schiffbrüchigen sowie bei Unfallopfern auf, die
entsprechenden Volumenersatz. Bei deutlich längere Zeit bei kalter Umgebungstemperatur
bewusstseinsgetrübten Patienten kann eine en- am Unfallort liegen. Besonders gefährdet für
dotracheale Intubation zur Sicherung der Atem- eine Unterkühlung sind Säuglinge, Kleinkinder
wege notwendig werden. Eine evtl. notwendige und Greise. Auch im Rahmen von Vergiftungen
Antibiotikatherapie kann normalerweise erst oder auch bei einer Schilddrüsenunterfunktion
nach Transport des Patienten in die Klinik be- tritt häufiger eine Unterkühlung auf. Bei unter-
gonnen werden. kühlten Patienten liegt meist eine Bradykardie
vor, ein niedriger Blutdruck, evtl. Lähmungser-
scheinungen und ein Nierenversagen. Eine Er-
Medikamente oder Toxine niedrigung der zentralen Körpertemperatur bis
auf 33 °C wird meist komplikationslos über-
Eine Bewusstseinstrübung aufgrund einer Ver- standen. Fällt die Körpertemperatur unter ca.
giftung kann durch verschiedenste Medikamen- 33 °C rektal ab, muss mit Bewusstseinstrübun-
te oder Toxine bedingt sein. Intoxikationen mit gen gerechnet werden. Ab einer Körpertempe-
Bewusstseinstrübungen werden ausführlich im ratur von unter 30 °C rektal ist mit Herzrhyth-
Kapitel über das Leitsymptom „Vergiftungen“ musstörungen, Kammerflimmern und Be-
beschrieben. wusstlosigkeit zu rechnen. Eine rektale Tempe-
ratur unter 28 °C endet meist tödlich. Bei
deutlich unterkühlten Patienten kann eine en-
Wärme oder Kälte dotracheale Intubation und Beatmung bis zur
Wiedererwärmung notwendig sein.
Von einem Sonnenstich wird gesprochen, wenn
es durch intensive Sonneneinwirkung auf den
ungeschützten Kopf zu Schwindel, Übelkeit und Hypoxie
Erbrechen, Kopfschmerzen, Rötung des Kopfes
und evtl. auch zu Bewusstlosigkeit und zerebra- Eine vorübergehende ausgeprägte Hypoxie
len Krämpfen kommt. Die Körpertemperatur (hypoxisches Beatmungsgemisch, ausgeprägte
kann normal sein. Im Extremfall kann der Pati- Hypoventilation) kann zu Bewusstlosigkeit füh-
ent an einem Hirnödem versterben. Bei Vorlie- ren.
gen eines Sonnenstichs soll insbesondere der
Kopf des Patienten gekühlt werden.
Von einem Hitzschlag wird gesprochen, wenn Hypoglykämisches oder
es zu einer Überwärmung des gesamten Kör- hyperglykämisches Koma
pers kommt. Mögliche Ursachen sind Störun-
gen der zentralen Temperaturregulation oder Ein hypoglykämisches Koma kann bei Patien-
die Behinderung der Schweißproduktion. ten, die insulinpflichtig sind bzw. orale Antidia-
Durch Anstieg der zentralen Körpertemperatur betika einnehmen, relativ schnell auftreten. Die
auf ca. 42 °C können Bewusstseinstrübungen, häufigste Ursache ist darin zu sehen, dass nach
zerebrale Krämpfe, Herzinsuffizienz oder der üblichen Medikation (z. B. Insulininjektion
Hirnödem auftreten. Ein Hitzschlag kann zum oder Einnahme eines oralen Antidiabetikums)
510 8 Notfallmedizin
keine entsprechende Mahlzeit eingenommen Koma auftreten. Dies ist dadurch bedingt, dass
wird. Anzeichen einer beginnenden Hypoglyk- es aufgrund eines ausgeprägten Insulinmangels
ämie sind häufig Kaltschweißigkeit, Heißhun- nicht nur zu einer Hyperglykämie (→ oben),
ger, Übelkeit. Relativ bald tritt eine Bewusstlo- sondern auch zu einer vermehrten Lipolyse und
sigkeit auf. Durch eine massive Hypoglykämie dadurch zum vermehrten Anfall von Ketonkör-
können beim Bewusstlosen zerebrale Schädi- pern kommt. Die Ketonkörper verursachen
gungen auftreten. Im Rahmen der Notfallme eine metabolische Acidose (Ketoacidose). Ein
dizin muss bei jeder ungeklärten Bewusstlosig- ketoacidotisches Koma tritt deutlich schneller
keit eine Blutzuckerbestimmung durchgeführt auf als ein hyperosmolares Koma. Die Patienten
werden. Bereits wenige Minuten nach intra versuchen, die metabolische Acidose respirato-
venöser Gabe von Glucoselösungen (40–100 ml risch durch eine entsprechende Hyperventilati-
ca. 40%ige Glucose) werden die Patienten wie- on (Kussmaulatmung) zu kompensieren. Die
der wach. Falls der Patient noch nicht bewusst- Letalität eines ketoacidotischen Komas beträgt
los ist, sollten ca. 20–30 Gramm Zucker oral ca. 10 %.
verabreicht werden. Da nach der erfolgreichen
Initialtherapie evtl. eine erneute schwere Hypo- Im Rahmen der Notfallmedizin muss bei jeder un-
glykämie auftreten kann, sind die Patienten vor- ! geklärten Bewusstlosigkeit eine Blutzuckerbe-
übergehend stationär aufzunehmen. stimmung durchgeführt werden.
Insulin führt vor allem zu einer Aufnahme von
Glucose in die Zellen. Außerdem hemmt es die Die Initialtherapie des diabetischen Komas be-
Lipolyse. Ein Mangel an Insulin führt zur unge- steht in der großzügigen intravasalen Volumen-
nügenden Aufnahme von Glucose in die Zellen substitution. Die Gabe von Insulin und von Na-
mit Hyperglykämie und zu einer vermehrten triumbicarbonat (= Natriumhydrogencarbonat)
Lipolyse mit starkem Anfall von Ketonsäuren. zum evtl. Ausgleich einer metabolischen Acido-
Die Blutzuckerkonzentration steigt über die sog. se (falls der pH-Wert < 7,1–7,2 beträgt) sollte
Nierenschwelle (ca. 200 mg/dl) an. Es kommt zu normalerweise erst nach Transport des Patien-
einer Glucosurie mit gleichzeitiger osmotischer ten in die Klinik durchgeführt werden. Nach
Diurese. Es kann ein nicht ketoacidotisches, der Volumenzufuhr sind ca. 0,2 IE/kg KG
hyperosmolares, hyperglykämisches Koma Altinsulin zu verabreichen. Anschließend
auftreten. Ursache ist ein Insulinmangel (z. B. ist eine Insulinzufuhr (aktuelle Blutzuckerkon-
mangelnde Insulinzufuhr bei insulinpflichtigem zentration : 100 = IE/h) notwendig, bis die Blut-
Diabetes mellitus, insulin dependant diabetes zuckerkonzentration auf ca. 250 mg % abgefal-
mellitus = IDDM; Typ-1-Diabetes) z. B. auf- len ist. Die Blutzuckerkonzentration sollte
grund schlechter Therapiedisziplin oder einer maximal 50 mg %/h abfallen. Da mit Glucose
akuten Insulinresistenz (z. B. bei akuter Infekti- auch Kalium in die Zellen aufgenommen
on, Grippe). Die Symptomatik setzt relativ lang- wird, sollten zusätzlich ca. 40 mmol Kalium-
sam ein. Es kommt zu starker Hyperglykämie chlorid pro Stunde per infusionem verabreicht
(> 600 mg/dl), Dehydratation, zu hoher Plas- werden. Fällt die Blutzuckerkonzentration un-
maosmolarität (> 350 mOsmol/l) und Wesens- ter 250 mg %, sollte Glucose 5 % verabreicht
veränderungen. Die Atmung des Patienten ist werden.
unauffällig. Es liegt keine Ketoacidose (→ un-
ten) vor, da noch genügend Insulin vorhanden
ist, um eine stärkere Lipolyse mit vermehrter Zerebraler Krampfanfall
Bildung von Ketonkörpern zu vermeiden. Die
Letalität beträgt bis zu 80 %. Bei einem generalisierten zerebralen Krampf-
Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes kann durch anfall tritt zuerst eine tonische Phase von ca. 30
einen Insulinmangel auch ein ketoacidotisches Sekunden Dauer auf. Der Patient stürzt. Die
8.5 Leitsymptom: Vergiftung 511
Infekte sog. Fieberkrämpfe auftreten. Bis der ● durch Haut- oder Schleimhautkontakt oder
Notarzt eintrifft, ist der Fieberkrampf zu- ● durch Injektion, Biss oder Stich
Tab. 8-6 Zwei exemplarische Adressen von Informationszentren für Vergiftungsfälle in Deutschland
14050 Berlin 81675 München
Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen Giftnotruf München
und Embryonaltoxikologie Toxikologische Abteilung
Haus 10B II. Medizinische Klinik der Technischen Universität
Spandauer Damm 130 Ismaninger Straße 22
Tel.: 030/19240 Tel.: 089/19240
Telefax: 030/30686-721 Telefax: 089/4140-2467
E-Mail: berlintox@giftnotruf.de E-Mail: tox@lrz.tum.de
Von primärer Giftelimination wird gesprochen, Erbrechen kann durch Reizung der Rachen-
wenn das Gift entfernt wird, bevor es in die Blut- hinterwand (z. B. mit dem Finger) ausgelöst
bahn aufgenommen wird. werden. Erbrechen darf nicht ausgelöst werden,
falls es sich um bewusstseinsgetrübte Patienten
Möglichkeiten zur Entfernung oral aufgenom- oder um die orale Aufnahme von Waschmit-
mener Giftstoffe sind eine Magenspülung sowie teln, Säuren, Laugen oder organischen Lösungs-
das Auslösen von Erbrechen. Als weitere Mög- mitteln handelt. Ein induziertes Erbrechen kann
lichkeit der primären Giftelimination ist die medikamentös provoziert werden durch:
orale Gabe von Aktivkohle (20–40 g) sinnvoll. ● Ipecacuanha-Sirup. Dieser Sirup bietet sich
Zahlreiche Gifte können durch Aktivkohle ge- nur bei Kindern an. Dosierung: Schulkinder
bunden werden. Bei fettlöslichen Giften ist es 2 Esslöffel, Kleinkinder 2 Teelöffel
sinnvoll, entsprechend Paraffin in einer Dosie- ● Trinken von einem Glas warmem Wasser,
rung von 3–5 ml/kg KG zu verabreichen. Eine dem 2 Esslöffel Kochsalz zugefügt wurden
weitere Maßnahme der primären Gifteliminati- ● Apomorphin (0,1 mg/kg KG s. c.) bei Erwach-
on ist die Gabe eines stark wirksamen Abführ- senen und größeren Kindern
mittels.
Bei wachen Erwachsenen kann z. B. nach der Als sekundäre Giftelimination wird die (be-
oralen Aufnahme von Säuren oder Laugen
schleunigte) Elimination aus der Blutbahn be-
durch eine orale Flüssigkeitsaufnahme von ca. zeichnet.
5–10 ml/kg KG die Giftwirkung abgeschwächt
werden. Nach der möglichst großzügigen ora- Als Maßnahme der sekundären Giftelimination
len Flüssigkeitszufuhr sollte dann die sofortige kommen infrage:
Entleerung des Magens angestrebt werden. ● forcierte Diurese:
geführt. (Gegebenenfalls kann die physiologi- Bei bestimmten (sauren) Giften wie z. B. De-
sche Kochsalzlösung dadurch hergestellt werden, rivaten der Barbitursäure kann durch Gabe
dass 9 g Kochsalz pro Liter Leitungswasser ver- von Natriumbicarbonat eine Alkalisierung
wendet werden.) Es ist darauf zu achten, dass des Harns und damit eine beschleunigte re-
keine kalte Spülflüssigkeit verwendet wird. nale Elimination erzielt werden.
514 8 Notfallmedizin
Das wichtigste Inhalationsgift ist das Kohlen- Bei Verbrennungsprozessen unter ausreichen-
monoxid (CO). Es entsteht vor allem bei Ver- der Sauerstoffzufuhr entsteht Kohlendioxid.
brennungsprozessen, die unter Sauerstoffman- Außerdem sind höhere Konzentrationen an
gel ablaufen. Kohlenmonoxid bindet sehr fest Kohlendioxid in Gärungskesseln sowie in Bo-
an Hämoglobin, es entsteht COHb. COHb ist dennähe von Brunnen nachweisbar. Die Sym-
längerfristig nicht mehr für den Sauerstofftrans- ptome unterschiedlicher Kohlendioxidkonzen-
port verfügbar. Da COHb ein ähnliches Licht- trationen sind in Tabelle 8-8 aufgeführt.
absorptionsverhalten aufweist wie oxygeniertes
Hämoglobin, sehen Patienten mit einer Koh-
lenmonoxidvergiftung rosig aus, obwohl sie Vergiftung mit Alkohol
evtl. eine schwere Hypoxie aufweisen. Die Sym-
ptome unterschiedlicher Kohlenmonoxidkon- Eine Vergiftung mit Alkohol sollte nicht ver-
zentrationen sind in Tabelle 8-7 aufgeführt. Bei harmlost werden. Häufig ist eine Alkoholvergif-
einer Kohlenmonoxidvergiftung muss den Pati- tung zusätzlich mit der Einnahme von Tabletten
enten eine möglichst hohe Konzentration an oder mit Verletzungen kombiniert. Bei stärker
Sauerstoff zugeführt werden. Gegebenenfalls bewusstseinsgetrübten alkoholisierten Patien-
kann die endotracheale Intubation und Beat- ten muss stets auch an die Möglichkeit einer
mung mit 100 % Sauerstoff notwendig werden. zusätzlichen Schädel-Hirn-Verletzung gedacht
In Einzelfällen kann auch eine Therapie in der werden. Die Symptome einer Alkoholvergiftung
Druckkammer (= hyperbare Oxygenierung = sind weitgehend abhängig vom Alkoholgehalt
HBO) sinnvoll sein. Die Halbwertszeit von im Blut (vgl. Tab. 8-9).
8.5 Leitsymptom: Vergiftung 515
Tab. 8-8 Symptome einer Kohlendioxid-(CO2)Vergif- Patienten zumeist noch gerettet werden. Gege-
tung in Abhängigkeit von der CO2-Konzentration im benenfalls kann der Benzodiazepinantagonist
Blut Flumazenil (Anexate®) verabreicht werden. Es
CO2-Konzen- Klinische Symptome ist jedoch zu beachten, dass die Flumazenilwir-
tration kung wesentlich kürzer ist als die Wirkdauer
der meisten Benzodiazepine. Häufiger werden
ca. 8 % Kopfschmerzen, Sehstörungen,
Atemnot, Brustschmerz auch Antidepressiva in hohen Dosen einge-
nommen.
ca. 10 % Müdigkeit, Schwäche, Halluzinatio-
nen, Krämpfe
> 10 % Bewusstlosigkeit, Hyperthermie, Verätzungen
Atemlähmung, Herzversagen
> 18 % tödlicher Verlauf, Symptome Durch Ätzgifte (konzentrierte Säuren und Laugen)
werden Zellproteine zerstört und somit Nekrosen
wie bei einem Schlaganfall
ausgelöst.
Schnüffelstoffe Ätiologie
Schnüffelstoffe sind aromatische Stoffe wie Flüs-
sigkleber. Es entwickeln sich psychotische In über 90 % handelt es sich um eine sog. essen-
Krankheitsbilder. Schnüffelstoffe werden meist zielle (primäre) Hypertonie, deren Ursache un-
von Jugendlichen der sozialen Unterschicht als bekannt ist. Bei einer sog. sekundären Hyper-
billige Einstiegsdroge verwendet. Es können tonie lässt sich dagegen eine erkennbare
schwerste bleibende Schäden auftreten. Sehr Ursache, z. B. eine Nierenerkrankung, nachwei-
leicht kann es zu einer Überdosierung mit aus- sen. Risikofaktoren für eine Hypertonie sind
geprägten Herz-Kreislauf-Störungen, Koma Rauchen, Diabetes mellitus, Übergewicht, Dys-
und Tod kommen. Therapeutisch kommen eine lipoproteinämie, körperliche Inaktivität, Alter,
Aufforderung zur Hyperventilation, ggf. eine männliches Geschlecht und positive Familien-
endotracheale Intubation und maschinelle Be- anamnese.
atmung infrage.
518 8 Notfallmedizin
werden. Eine sofortige übermäßige Blutdruck- Nitroglycerin ist vor allem dann besonders ge-
senkung auf normotensive oder gar hypotensi- ! eignet, falls zusätzlich ein akutes Koronarsyn-
ve Blutdruckwerte ist zu vermeiden. drom oder ein Lungenödem vorliegt.
Zur Blutdrucksenkung bieten sich die folgen-
den Medikamente an: ● Nifedipin:
Bei Patienten mit einem akuten Koronarsyn- Bei einer hypertensiven Entgleisung treten
! drom oder einer Herzinsuffizienz sind diese keine (!) Organkomplikationen oder Funk
Medikamente in schnell resorbierbarer Form tionsstörungen auf.
kontraindiziert! Bei einem hypertensiven Notfall treten lebens-
bedrohliche Organkomplikationen oder Funk-
● Clonidin: tionsstörungen (z. B. Hirnblutung, Angina
langsam intravenös 0,075 mg pectoris, Myokardinfarkt, Lungenödem, Herz-
insuffizienz oder oft Hochdruckenzephalopa-
Gegebenenfalls ist bei diesen Medikamenten thie mit Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörun-
auch eine Wiederholungsdosis möglich. gen) auf.
Bei unzureichender Wirkung oder schnellem
Wiederanstieg des Blutdrucks kommt eine in-
travenöse Dauerinfusion mit Nitroglycerin bzw. 8.6.2 Beinahe Ertrinken
alternativ mit Clonidin, Dihydralazin, Urapidil
oder in therapieresistenten Fällen auch mit Ni-
Bei ca. 90 % der beinahe Ertrunkenen kommt es
troprussidnatrium (→ S. 273) infrage. Es ist
zur Aspiration größerer Wassermengen. Lediglich
eine Intensivüberwachung der Patienten not-
in einem geringen Prozentsatz wird kein Wasser
wendig.
aspiriert (trockenes Ertrinken). Von beinahe
Ertrinken oder von Ertrinken ist der beinahe Tod
Da eindeutige Belege für die Überlegenheit eines
! bestimmten Medikamentes fehlen, kann sich die oder der Tod im Wasser (z. B. durch Herzinfarkt,
Hypoglykämie, Verletzung, Unterkühlung) abzu-
Medikamentenauswahl (Tab. 8-16) in erster Linie
grenzen.
an den bekannten Indikationseinschränkungen,
den Begleitumständen und der persönlichen Er-
fahrung orientieren. Die Infusionsgeschwindigkeit
richtet sich nach der Wirkung.
Pathophysiologie
Sofern keine Kontraindikation vorliegt (z. B. in- Handelt es sich um Aspiration von Süßwasser,
travasaler Volumenmangel), empfiehlt sich stets ! so ist zu beachten, dass Süßwasser im Vergleich
zusätzlich die Gabe von 20–40 mg Furosemid zum Plasma hypoton ist.
intravenös. Insbesondere bei Niereninsuffizienz
und Überwässerung sollte eine möglichst inten- Daher diffundiert das Süßwasser relativ schnell
sive Diurese, ggf. durch höhere Dosen von Fu- aus den Alveolen ins Blut und es droht eine in-
rosemid, angestrebt werden. Kann ein Phäo- travasale Hypervolämie. Durch Diffusion des
chromozytom nicht sicher ausgeschlossen hypotonen Süßwassers in die Erythrozyten
werden, empfiehlt sich Urapidil (25 mg i. v.). Ist können diese platzen, wodurch eine schwere
ein Phäochromozytom nachgewiesen, sollte die Hämolyse (evtl. mit Nierenversagen) auftreten
Therapie mit Phenoxybenzamin (Dibenzyran®) kann. Durch eine Schädigung des Surfactants
fortgesetzt werden. kommt es zur Ausbildung von Atelektasen und
einer Zunahme des Rechts-links-Shunts mit
Hypoxämie.
Komplikationen
Bei Aspiration von Salzwasser ist zu beach-
Bei Patienten mit Hypertonie ist das Risiko von ! ten, dass das salzhaltige Meerwasser im Vergleich
koronarer Herzkrankheit (= KHK), Herzin- zum Plasma hyperton ist.
farkt, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz oder
zerebralem Insult signifikant erhöht.
524 8 Notfallmedizin
Es kann daher nicht resorbiert werden und ver- fahrenzone heraus und in Sicherheit gebracht
bleibt in den Alveolen. Aufgrund der Hyperto- wurden, werden sie an eine Verletztensammel-
nie des aspirierten Meerwassers diffundiert stelle gebracht. Diese wird normalerweise am
Flüssigkeit aus dem Plasma und dem Interstiti- Rande des Unfallgeländes eingerichtet. In
um entlang des Konzentrationsgradienten zum dieser Verletztensammelstelle leitet, koordi-
aspirierten Meerwasser in die Alveolen. Da- niert und überwacht der Leitende Notarzt
durch droht eine intravasale Hypovolämie. Die (= LNA) eine sog. Triage, das heißt die Sichtung
flüssigkeitsgefüllten Alveolen können nicht der Verletzten und die Festlegung einer ent-
ventiliert werden. Da die Alveolen jedoch wei- sprechenden Behandlungs- und Transportprio-
terhin durchblutet (perfundiert) werden, ent- rität. Es werden folgende Triagegrade unter-
steht eine Ventilations-Perfusions-Störung mit schieden:
erhöhtem Rechts-links-Shunt und Hypoxämie. ● Triagegrad I:
Das trockene Ertrinken (ca. 10 % der Fälle) ist Patienten, bei denen lebensrettende Sofort-
durch einen reflektorischen Laryngospasmus maßnahmen notwendig sind (z. B. Vorliegen
begründet. Flüssigkeit dringt dabei nicht in die eines schweren Volumenmangelschocks,
Lunge ein. Vorliegen eines Pneumo- oder Hämatotho-
rax). Es besteht Behandlungs- und Trans-
portpriorität.
Therapie ● Triagegrad II:
Klinik
8.7.1 Allgemeine Bemerkungen Jeder Helfer kann durch Sehen, Hören und Tasten
! eine Störung der Vitalfunktionen Atmung und
Grundvoraussetzung für ein normales Funktionie- Herz/Kreislauf feststellen.
! ren des Organismus ist die ausreichende Versor- Die Therapie eines Atem- und Herz-Kreislauf-Still-
gung der Organe mit Sauerstoff. Die für die Sau- standes muss sofort (innerhalb von Sekunden) be-
erstoffversorgung absolut notwendigen Elemen- gonnen werden!
tar- oder auch Vitalfunktionen sind Atmung und
Herz-Kreislauf-System. Für die anfänglichen Sofortmaßnahmen sind
keinerlei (!) Hilfsmittel nötig. (Die im Folgen-
Kommt es zu einer plötzlichen Bedrohung die- den beschriebenen Richtlinien entsprechen den
ser Vitalfunktionen, dann handelt es sich um neuen Empfehlungen des European Resuscita-
einen Notfallpatienten. Bei allen Notfallpatien- tion Council von 2005 (ERC-Richtlinien.)
ten müssen durch lebensrettende Sofortmaß-
nahmen die Vitalfunktionen wiederhergestellt
und stabilisiert werden. Die Vitalfunktionen 8.7.2 Kardiopulmonale
Atmung und Herz/Kreislauf sind eng miteinan- Reanimation
der verknüpft. Kommt es z. B. zu einem Atem-
stillstand, so bleibt aufgrund des eintretenden Zu den Basismaßnahmen der kardiopulmona-
Sauerstoffmangels (= Hypoxie) das Herz spätes len Reanimation (= basic life support = BLS)
tens nach 5–10 Minuten ebenfalls stehen. Tritt gehören lediglich die Maßnahmen, die ohne ir-
dagegen zuerst ein Kreislaufstillstand auf, so gendwelche Hilfsmittel durchgeführt werden
wird auch das Gehirn nicht mehr durchblutet. können. Zuerst muss (ohne Hilfsmittel) eine
Der Patient wird bereits nach ca. 10 Sekunden Diagnose gestellt und dann ggf. (ohne Hilfsmit-
bewusstlos, und innerhalb einer Minute fallen tel) therapiert werden.
alle wesentlichen zerebralen Funktionen ein-
schließlich der Spontanatmung aus.
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 527
Bewusstlosigkeit?
Atemwege freimachen
klären, was mit dem Patienten los ist; (Kopf überstrecken, Kinn anheben)
ggf. Hilfe organisieren
stabile Rettungsdienst
Seitenlage informieren
Rettungsdienst 30 Thorax-
informieren kompressionen
wiederholte 2 Beatmungen
Prüfung auf 30 Thorax-
normale Atmung kompressionen
Abb. 8-11 Stabile Seitenlage
530 8 Notfallmedizin
Abb. 8-11 (Fortsetzung)
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 531
Herzdruckmassage
erzeugt werden (vgl. Abb. 8-12). Druck- und Eine Hand liegt an der Stirn-Haar-Grenze,
Entlastungsphase sollten von gleicher Dauer mit den Fingerspitzen der anderen Hand
sein. Die Handballen müssen auch während der wird das Kinn des Patienten angehoben. Der
Entlastungsphase auf dem Druckpunkt verblei- Kopf wird überstreckt (vgl. Abb. 8-13). Mit
ben. dem Daumen und Zeigefinger der an der
532 8 Notfallmedizin
Stirn-Haar-Grenze liegenden Hand wird die überprüft werden, ob im Mund des Patien-
Nase zusammengedrückt (um zu verhin- ten Gegenstände erkennbar sind (z. B. Zahn-
dern, dass die in den Mund geblasene Luft prothese), die entfernt werden können. Ge-
durch die Nase entweicht). Gelingt eine gebenenfalls ist auch die Kopfposition zu
Mund-zu-Mund-Beatmung nicht oder lie- verbessern. Falls die Beatmung nicht effektiv
gen z. B. schwere Verletzungen im Mund- ist, sollten dennoch nicht mehr als 2 Beat-
bereich vor, dann ist eine Mund-zu- mungsversuche unternommen werden.
Nase-Beatmung durchzuführen. Mit der am ● Kontrolle der Ausatmung:
Kinn liegenden Hand wird hierbei der Un- Ist die Insufflation beendet, so hebt der Hel-
terkiefer angehoben, um den Mund zu ver- fer seinen Mund von dem Mund des Patien-
schließen. ten ab, dreht seinen Kopf, um den Thorax
● Insufflation: des Patienten zu beobachten, und nähert
Der Helfer soll den Patienten 2-mal effektiv sein Ohr dem Mund des Patienten (vgl. Abb.
beatmen (Abb. 8-13). Nach normaler Einat- 8-14). Die passive Ausatmung des Patienten
mung sollte die Ausatemluft kontinuierlich kann nun am Senken des Thorax gesehen
und gleichmäßig in den Patienten geblasen und am Ausströmen der Luft aus dem Mund
werden. Beim Erwachsenen sollen bei der gehört und gefühlt werden.
Beatmung 6–7 ml/kg KG Atemhubvolumen,
das heißt 500–600 ml, über jeweils 1 Sekun- Für die Atemspende sind inzwischen hygie-
de verabreicht werden. Falls bereits beim ers nisch unbedenkliche Einmaltücher mit Ventil-
ten Atemhub Probleme auftreten, sollte funktion erhältlich. Deren Anwendung erfor-
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 533
unterbrochen und – falls indiziert – eine ● der Patient Lebenszeichen von sich gibt
um Hilfe rufen
Atemwege freimachen
(Kopf überstrecken, Kinn anheben)
1 Schock
(150–360 J biphasisch
oder
360 J monophasisch)
partielle komplette
Atemwegsverlegung Atemwegsverlegung
(effektiver Hustenstoß) (ineffektiver Hustenstoß)
* Sobald der Fremdkörper entfernt werden konnte, sind keine weiteren Schläge zwischen die Schulterblätter
bzw. Heimlich-Manöver notwendig.
Solange der Patient bei Bewusstsein ist, noch Falls ein Patient mit Verdacht auf akute, kom-
atmet und kräftig hustet, soll er lediglich plette Verlegung der Atemwege noch bei Be-
zum kräftigen Husten aufgefordert werden wusstsein ist, sollte er gefragt werden, ob er kei-
(Abb. 8-17). Falls der Fremdkörper jedoch nicht ne Luft bekommt und zu ersticken droht.
abgehustet werden kann, soll medizinische Hil- Eventuell nickt der Patient; sprechen ist bei ei-
fe gerufen werden. ner kompletten Atemwegsverlegung nicht mehr
Tritt bei einer teilweisen Verlegung nur noch möglich. Der Patient droht schnell bewusstlos
ein schwacher, ineffektiver Atemstoß mit gerin- zu werden und zu ersticken. Es sind folgende
ger Luftströmung, mit nur noch hochfrequen- Maßnahmen durchzuführen:
tem inspiratorischem Stridor und stärkeren in- ● Schläge zwischen die Schulterblätter:
spiratorischen Problemen auf und wird der Der neben oder seitlich vom Patienten ste-
Patient evtl. auch zyanotisch, dann ist der Pati- hende Helfer sollte die eine Hand unter den
ent wie bei einer kompletten Atemwegsverle- (meist nach vorne gebeugten oder nach vor-
gung zu behandeln (→ unten). ne zu beugenden) Oberkörper als Widerla-
ger halten und mit der anderen Hand sollten
Komplette Verlegung der Atemwege: Bei einer bis zu 5 scharfe Schläge mit der flachen Hand
kompletten Verlegung der Atemwege kann der zwischen die Schulterblätter ausgeübt wer-
Patient weder atmen noch husten oder sprechen den.
und verliert rasch das Bewusstsein (Abb. 8-17). ● Heimlich-Manöver:
Meist gelingt es dem Patienten in diesen Fällen Falls 5 Schläge zwischen die Schulterblät-
nicht, den Fremdkörper abzuhusten. Bei einer ter (→ oben) erfolglos blieben, sollte bis zu
drohenden Erstickung greift sich der Patient oft 5-mal das Heimlich-Manöver durchgeführt
mit der Hand an den Hals. werden. Bei einem stehenden oder sitzenden
536 8 Notfallmedizin
Erwachsenen stellt sich hierbei der Helfer Es sollte nicht versucht werden, einen nicht (!)
hinter den Patienten und „umarmt“ ihn von erkennbaren Fremdkörper blind mit dem Zei-
hinten. Eine zur Faust geballte Hand soll- gefinger aus dem Rachen „herauszufischen“.
te zwischen Nabel und das Brustbeinende Dadurch könnte der Fremdkörper noch tiefer
(Processus xiphoideus) zu liegen kommen, in die Luftwege vorgeschoben werden. Jedes
mit der anderen Hand wird diese Faust um- Mal wenn während der kardiopulmonalen Re-
fasst. Faust und umgreifende Hand werden animation der Mund des Patienten geöffnet
kraftvoll und schnell nach dorsal und kranial wird, sollte kurz kontrolliert werden, ob ein
gezogen. Aufgrund dieser Oberbauchkom- Fremdkörper erkennbar ist. Falls ein Fremd-
pression und des dadurch nach kranial ver- körper erkennbar ist, sollte er entfernt werden.
drängten Zwerchfells wird ein Hustenstoß si-
muliert und Luft aus der Lunge gepresst. Mit
diesem Heimlich-Manöver wird versucht, Erweiterte Reanimations-
einen aspirierten Fremdkörper nach oben maßnahmen beim Erwachsenen
aus den Luftwegen herauszuschleudern.
Solange der Patient bei Bewusstsein bleibt, Die erweiterten kardiopulmonalen Reanimati-
sollten die Schläge auf den Rücken und die onsmaßnahmen (= advanced life support =
Heimlich-Manöver jeweils 5-mal wiederholt ALS) gelten für professionelle Helfer. Die me-
werden, bis der Fremdkörper aus den Luft- chanische kardiopulmonale Reanimation wird
wegen geschleudert wurde oder bis der Pati- bei den ALS-Maßnahmen genauso wie bei den
ent bewusstlos ist. Basismaßnahmen (BLS; → S. 526) durchge-
führt. Es wird hierbei jedoch zumeist die 2-Hel-
Falls ein Patient mit Verdacht auf akute Verle- fer-Methode praktiziert, das heißt ein profes-
gung der Atemwege das Bewusstsein verliert, sioneller Helfer übernimmt die Beatmung,
dann sollte er auf den Boden gelegt werden und während ein anderer professioneller Helfer
es ist sofort der Rettungsdienst zu informieren die Herzdruckmassage übernimmt (vgl. Abb.
und die kardiopulmonale Reanimation (mit 8-18).
30 Herzdruckmassagen gefolgt von jeweils Zur erweiterten kardiopulmonalen Reanimati-
2 Atemhüben) zu beginnen. on gehören die elektrische Defibrillation,
Abb. 8-18 Kardiopulmonale Reanima-
tion: 2-Helfer-Methode
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 537
Abb. 8-19 Defibrillation
538 8 Notfallmedizin
rasternal) und an der Herzspitze (unterhalb der Pulskontrolle (die maximal 10 Sekunden dau-
linken Brustwarze) aufgesetzt. Zur Defibrillation ern darf) durchgeführt werden.
werden bei Erwachsenen bei der (nur noch sel- Falls ein Kammerflimmern bzw. die pulslose
ten durchgeführten) monophasischen Defibril- Kammertachykardie auch noch bei der Rhyth-
lation für den ersten Elektroschock 360 J und musdiagnostik nach dem dritten Defibrillati-
auch für den zweiten und für weitere monopha- onsschock weiter besteht, dann sollten 300 mg
sische Elektroschocks jeweils 360 J empfohlen. Amiodaron (→ S. 541) als Bolus verabreicht
Bei der (modernen) biphasischen Defibrillation werden. Falls Kammerflimmern oder die puls-
werden für den ersten Schock 150–200 J und für lose Kammertachykardie wiederkehrt oder wei-
den zweiten und für weitere biphasische Schocks terhin bestehen bleibt, kann eine zweite Dosis
jeweils 150–360 J empfohlen (allerdings besitzen von Amiodaron à 150 mg und anschließend
viele biphasischen Geräte überhaupt keine ent- eine Infusion à 900 mg pro 24 Stunden verab-
sprechende Wahlmöglichkeit). Nach den neuen reicht werden (→ S. 541).
Empfehlungen soll immer nur ein Elektroschock
durchgeführt und danach sofort wieder mit der Da normalerweise ein Defibrillator nicht sofort
mechanischen kardiopulmonalen Reanimation ! verfügbar ist, wird zuerst so lange mechanisch re-
fortgefahren werden. Erst nach einem Reanima- animiert, bis ein Defibrillator besorgt wurde. Wird
tionszyklus von 2 Minuten (= 5 × 30 : 2) soll eine auf der Intensivstation am angeschlossenen EKG-
Rhythmusdiagnostik (über die Defibrillations- Monitor das plötzliche Auftreten von Kammer-
elektroden) durchgeführt und ggf. erneut ein flimmern beobachtet, so kann – bei unmittelbar
Elektroschock abgegeben werden. verfügbarem Defibrillator – die Reanimation pri-
mär mit einer elektrischen Defibrillation begon-
Eine Therapieschleife (Reanimationszyklus) um- nen werden.
! fasst bei Kammerflimmern oder pulsloser Kam-
mertachykardie also Rhythmusdiagnostik, ei- Asystolie und elektromechanische
ne Defibrillation und eine 2-minütige mechani- Entkoppelung
sche Reanimation (= 5 CPR-Sequenzen à 30 : 2) Bei einer Asystolie zeigt die Rhythmusdiagnostik
(Abb. 8-20). mittels Ableitung über den Defibrillator keine
elektrische Aktivität. Die Grundlinie ist leicht wel-
Falls bei der zweiten Rhythmusdiagnostik noch lenförmig. Bei einer vollkommen geraden Null-
ein Kammerflimmern oder eine pulslose Kam- Linie handelt es sich um einen Ableitungsfehler!
mertachykardie ableitbar ist, muss sofort ein Die Elektroden müssen überprüft werden.
zweites Mal defibrilliert werden. Falls bei der
Rhythmusdiagnostik nach der zweiten Defibril- Die Therapie der Wahl bei einer Asystolie ist die
lation das Kammerflimmern bzw. die pulslose ! Gabe von Adrenalin (1 mg beim Erwachsenen).
Kammertachykardie weiterhin besteht, sollte Adrenalin sollte nach jedem zweiten Reanimati-
sofort 1 mg Adrenalin intravenös (→ S. 541) onszyklus (10 × 30 : 2), das heißt alle 3–5 Minuten
verabreicht und unmittelbar danach die dritte nachinjiziert werden, falls sich bei der Rhythmus-
Defibrillation durchgeführt werden. Solange diagnostik immer noch eine Asystolie zeigt. (Falls
das Kammerflimmern bzw. die pulslose Kam- sich bei der Rhythmusdiagnostik nun ein Kam-
mertachykardie fortbesteht, sollte nun die Gabe merflimmern zeigt, ist zu defibrillieren.)
von 1 mg Adrenalin alle 3–5 Minuten (= nach
jeweils 2 Reanimationszyklen bzw. nach 10 CPR- Da eine Asystolie durch einen stark erhöhten
Sequenzen) wiederholt werden. Vagotonus (mit-)verursacht sein kann, wird die
Nur falls bei einer Rhythmusdiagnostik ein ge- zusätzliche Gabe von 3 mg Atropin empfohlen
ordneter Rhythmus nachweisbar ist, sollte eine (Abb. 8-20), auch wenn die Wirksamkeit nicht
sicher belegt ist.
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 539
Atemwege freimachen
(Kopf überstrecken, Kinn anheben)
Kreislauf beurteilen:
• nach indirekten Kreislaufzeichen suchen:
Bewegungen? Normale Atmung? Husten?
• falls darin routiniert, nach direkten
Kreislaufzeichen suchen: Karotispuls?
Reanimationsteam rufen
Rhythmusanalyse
Präkordialer Faustschlag
Sobald als möglich sollte der Patient endotra- Die beschriebenen mechanischen Wiederbele-
cheal intubiert werden. Alternativ kann ggf. bungsversuche sollen so bald als möglich durch
auch eine Larynxmaske oder ein Kombitubus eine gezielte intravenöse medikamentöse The-
platziert werden. Ein Kombitubus ist ein spezi- rapie ergänzt werden. Nach jeder Medikamen-
eller Doppellumentubus, der blind eingeführt tengabe sollten mindestens 20 ml NaCl 0,9 %
wird und mit seiner Spitze meist im Ösophagus, nachinjiziert werden, damit das Medikament
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 541
Adrenalin (Suprarenin®)
Erwachsene erhalten sofort 1,0 mg Adrenalin
intravenös, falls sich bei der Rhythmusdiagno-
stik eine Asystolie oder elektromechanische
Entkoppelung ergibt. Gegebenenfalls Wieder-
holung alle 2 Reanimationszyklen (= 10 × 30 : 2),
das heißt alle 3–5 Minuten. Bei Verabreichung
über eine periphere Vene sollten jeweils mindes
Abb. 8-22 Kombitubus. Dessen Spitze (distal endendes
tens 20 ml Flüssigkeit (z. B. NaCl 0,9 %) nachin-
Lumen) kommt normalerweise im Ösophagus zu liegen,
daher Beatmung über das proximal endende Lumen. jiziert werden, damit das Adrenalin schnell bis
Falls das distal endende Lumen in der Trachea liegen nach zentral gelangt.
sollte, dann Beatmung über das distal endende Lumen.
Atropin
Im Falle einer Asystolie oder einer elektrome-
möglichst schnell im zentralen Kreislauf an- chanischen Entkoppelung (mit einer Frequenz
kommt und wirken kann. Die Medikamente der < 60/min) wird nach erfolgloser Gabe von Sup-
ersten Wahl sind: rarenin® die zusätzliche Gabe von 3 mg Atropin
● Adrenalin empfohlen.
● Amiodaron
injiziert werden (1 Amp. Cordarex® à 3 ml = chen werden. Eine Überkorrektur mit Alkalose
150 mg Amiodaron). sollte auf jeden Fall vermieden werden. Es sind
Falls Amiodaron nicht verfügbar sein sollte, entsprechende laborchemische Kontrollen des
kann Lidocain (initial 1–1,5 mg/kg KG) als Al- Säure-Basen-Haushalts durchzuführen.
ternative verabreicht werden. Falls ein zweiter
Bolus notwendig ist, werden 50-mg-Boli emp- Eine Bicarbonatgabe (50 mmol einer 8,4%igen
fohlen. Die Dosierung von Lidocain während ! Lösung) ist indiziert, falls eine gesicherte Hyper-
der ersten Stunde darf 3 mg/kg KG nicht über- kaliämie (oder eine Intoxikation mit einem trizy-
schreiten. Die empfohlenen Zeitpunkte für eine klischen Antidepressivum) vorliegt.
Applikation von Lidocain sind identisch zu de-
nen bei einer Amiodarongabe. Lidocain soll je- Die wichtigsten Maßnahmen, um eine metabo-
doch nicht zusätzlich zu Amiodaron verabreicht lische Acidose im Rahmen einer Reanimation
werden. Es gibt bisher allerdings keine Studien, zu therapieren, sind eine adäquate alveoläre
die belegen, dass durch Gabe irgendeines Anti- Ventilation und Wiederherstellung einer aus-
arrhythmikums das Outcome reanimations- reichenden Gewebeperfusion.
pflichtiger Patienten verbessert würde.
Natriumbicarbonat Reanimationsmaßnahmen
Während eines Kreislaufstillstandes entwickelt bei Säuglingen und Kindern
sich eine metabolische Acidose. Dennoch wird
die routinemäßige Gabe von Natriumbicarbonat bis zur Adoleszenz
zum Ausgleich einer solchen, hypoxisch beding-
ten metabolischen Acidose während der Reani- Die für Laienhelfer konzipierten Basismaßnah-
mationssituation (oder auch nach Wiedereinset- men der Reanimation gelten nicht nur für Er-
zen eines Spontankreislaufs) nicht empfohlen. wachsene, sondern auch für Kinder > 1 Jahr. Bei
In den meisten Studien wurde gezeigt, dass der Reanimation eines Kindes kann also ein Lai-
durch Bicarbonat weder die Erfolgsrate bei der enhelfer den für die Erwachsenenreanimation
Defibrillation noch die Überlebensrate verbes- geltenden BLS-Maßnahmen folgen (→ S. 526).
sert werden kann. Es ist jedoch möglich, dass Einzige Ausnahmen sind: Initial sollten bei Kin-
durch Bicarbonatgabe die Koronardurchblutung dern 5 Beatmungen durchgeführt werden und
verschlechtert, die Sauerstoffkurve nach links ein Einzelhelfer sollte erst nach einer ca. 1-minü-
verschoben und dadurch die Sauerstoffabgabe tigen Reanimation Hilfe holen bzw. organisieren.
ans Gewebe erschwert wird, dass eine Hyperos- Bei den für professionelle Helfer konzipierten
molarität und eine Hypernatriämie entstehen, Maßnahmen wird dagegen zwischen Erwachse-
mehr CO2 produziert wird (mit Diffusion von nen, Kindern (> 1 Jahr bis zum Beginn der Pu-
CO2 nach intrazellulär und dadurch Verstärkung bertät), Säuglingen und frisch Geborenen un-
der intrazellulären Acidose) und dass schließ- terschieden.
lich die Wirkung gleichzeitig verabreichter Ca- Bei der kardiopulmonalen Reanimation von
techolamine abgeschwächt wird, da Natriumbi- Säuglingen und Kindern gelten auch für profes-
carbonat negativ inotrop wirkt. sionelle Helfer im Prinzip vergleichbare Richtli-
Eine Bicarbonatgabe kann erwogen werden, nien für die kardiopulmonale Reanimation, wie
falls während oder nach einer Reanimation der sie für Erwachsene vorstehend beschrieben
pH-Wert unter 7,1 liegt bzw. der BE negativer wurden. Es sind jedoch folgende Besonderhei-
ist als –10. Es wird dann ggf. eine Dosierung ten zu beachten:
von 50 ml 8,4%ige Natriumbicarbonatlösung ● Reanimation:
empfohlen, die u. U. wiederholt werden kann. Bei Kindern sollten professionelle Helfer die
Eine Acidose sollte jedoch nie ganz ausgegli- Reanimation mit 5 Atemhüben beginnen.
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 543
als Medikament der zweiten Wahl auch Li- ist im Prinzip wie bei Erwachsenen in folgen-
docain) beim Säugling und Kind in einer der Reihenfolge vorzugehen: Ergibt sich bei
Dosierung von 5 mg/kg KG (bzw. 1 mg/ der Rhythmusdiagnostik ein defibrillierbarer
kg KG) intravenös oder intraossär empfoh- Rhythmus (Kammerflimmern oder pulslose
len. Gegebenenfalls kann diese Dosis wie- Kammertachykardie), dann sind sofort die
derholt werden. erste Defibrillation und danach unverzüglich
● Natriumbicarbonat: für 2 Minuten eine kardiopulmonale Reani-
Die routinemäßige Gabe von Natriumbicar- mation (CPR) durchzuführen. Im Anschluss
bonat während der Reanimation oder nach ist wiederum eine Rhythmusdiagnostik und
Wiedereinsetzen eines spontanen Kreislaufs ggf. sofort danach die zweite Defibrillation
wird nicht empfohlen. Lediglich, wenn das gefolgt von einer 2-minütigen CPR durchzu-
Kind intubiert und ausreichend ventiliert ist führen. Ergibt die erneute Rhythmusdiagno-
sowie eine effektive Herzdruckmassage stik wiederum einen defibrillationswürdigen
durchgeführt wird, kann bei einem längeren Rhythmus, dann ist Adrenalin zu injizieren
Kreislaufstillstand die langsame intravenöse und danach die dritte Defibrillation gefolgt
oder intraossäre Gabe von Natriumbicarbo- von einer 2-minütigen CPR durchzuführen.
nat erwogen werden (ca. 1 mmol/kg KG Na- Danach ist die Adrenalingabe ggf. alle 3–5
triumbicarbonat). Falls möglich, sollte die Minuten zu wiederholen. Ergibt sich bei der
Dosierung anhand einer Blutgasanalyse ori- nächsten Rhythmusdiagnostik wiederum ein
entiert werden. defibrillationswürdiger Rhythmus, dann ist
● Defibrillation: Amiodaron zu verabreichen und sofort da-
Die Empfehlungen für den Einsatz eines au- nach die vierte Defibrillation durchzuführen
tomatischen externen Defibrillators (AED; (vgl. Abb. 8-24).
→ S. 533) gelten für Erwachsene sowie für ● Volumengabe:
Kinder (> 1 Jahr). Eine Defibrillation (wegen Bei unzureichender Perfusion sollte Säug-
Kammerflimmern oder pulsloser Kammer- lingen und Kindern ein Bolus an isotoner
tachykardie) ist bei Kindern extrem selten kristalloider Lösung von 20 ml/kg KG verab-
notwendig. Für viele AED-Geräte gibt es in- reicht werden. Glucosehaltige Lösungen
zwischen spezielle Kinderelektroden oder sollten hierbei vermieden werden, um eine
ein Programm, über das die Energieabgabe schädliche Hyperglykämie zu vermeiden
auf 50–75 J begrenzt werden kann. Falls kein (Ausnahme nur, falls eine Hypoglykämie
solches Gerät und kein manueller Defibrilla- vorliegt). Nach jeder Reanimation sollte eng-
tor verfügbar ist, kann bei Kindern auch ein maschig die Blutzuckerkonzentration kon-
herkömmliches AED-Gerät verwendet wer- trolliert werden.
den. Bei Säuglingen und Kindern < 10 kg KG ● Asystolie, Bradykardie und elektromechani-
keine Reaktion?
EKG-Rhythmus
beurteilen
Die Empfehlungen für Säuglinge und Kinder kompressionen sollte ein Säugling in Rückenla-
unterscheiden sich von den Empfehlungen für ge (mit dem Kopf nach unten) im Schoß gehal-
Erwachsene (→ S. 535) vor allem darin, dass ten werden. Bei den Rückenschlägen sollte mit
bei Säuglingen keine (!) abdominalen Kompres- dem Handballen zwischen die Schulterblätter
sionen (Heimlich-Manöver) durchgeführt wer- geschlagen werden. Ein Säugling sollte hierzu in
den sollen (wegen erhöhter Verletzungsgefahr Bauchlage (mit dem Kopf nach unten) im Schoß
von Abdominalorganen). Anstatt der abdomi- gehalten werden. Das kleine Kind kann ggf. für
nalen Kompressionen sollten bei Säuglingen die Rückenschläge wie ein Säugling gelagert
Thoraxkompressionen durchgeführt werden. werden, das größere Kind sollte – wie eine Er-
Diese sollten den Thoraxkompressionen wäh- wachsener – hierzu in eine vornübergebeugte
rend der Herzdruckmassage ähneln. Sie sollten Haltung gebracht werden.
aber kräftiger und mit langsamerer Frequenz Gegebenenfalls sind 5 Rückenschläge und 5 ab-
durchgeführt werden. Während der Thorax- dominale Kompressionen bei Kindern bzw. 5
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 547
mäßige schwere
Atemwegsverlegung Atemwegsverlegung
(effektiver Hustenstoß) (ineffektiver Hustenstoß)
ggf.
* Sobald der Fremdkörper entfernt werden konnte, sind keine weiteren Schläge zwischen die Schulterblätter
bzw. Heimlich-Manöver (bzw. Thoraxkompressionen beim Säugling) notwendig.
Abb. 8-25 Empfehlungen zur Beseitigung einer Atemwegsverlegung durch Fremdkörper bei Säuglingen und
Kindern
Beurteilung des Neugeborenen Ein Absaugen ist nur notwendig, wenn Frucht-
wasser oder Blut die Atemwege verlegt. Ein
Bei einem Neugeborenen sind vor allem folgen- schlaffes, avitales Neugeborenes, das aus meko-
de Parameter zu beurteilen: niumgefärbtem Fruchtwasser geboren wird,
● Atmung? sollte intubiert und tracheal abgesaugt werden.
Es ist zu klären, ob eine Atmung vorhanden Während der initialen Beatmungshübe sollte
ist, ob sie seitengleich ist oder ob sich ein pa- ein inspiratorisches Plateau über jeweils 2–3 Se-
thologisches Atemmuster zeigt. kunden aufrechterhalten werden. Dies erleich-
● Herzfrequenz? tert die Lungenentfaltung und die Ausbildung
Zur Beurteilung der Herzfrequenz sollte mit einer funktionellen Residualkapazität. Als initi-
dem Stethoskop im Bereich der Herzspitze aler Beatmungsdruck reichen meist 20–25
abgehört werden. Unter Umständen kann cm H2O aus. Bei manchen Neugeborenen sind
auch an der Nabelschnur ein Puls getastet jedoch initiale Spitzendrücke von 30–40 cm H2O
werden (meist allerdings nur bei einer Herz- (oder höher) notwendig. Danach sollte mit ca.
frequenz > 100 Schläge/min). 30 Atemhüben pro Minute weiterbeatmet wer-
● Hautkolorit? den, wobei ein Atemhub ca. 1 Sekunde dauern
Unmittelbar nach der Geburt ist das Neuge- sollte. Eine adäquate Beatmung führt zumeist
borene zyanotisch. Es sollte jedoch innerhalb zu einem schnellen Anstieg der Herzfrequenz
von ca. 30 Sekunden rosig werden. Es ist zu auf > 100 Schläge/min. Der Thorax sollte sich
klären, ob das Kind zentral (z. B. Lippen, bei der Beatmung adäquat heben und senken.
Zunge) rosig, zyanotisch oder blass ist. Vor Beginn einer Herzdruckmassage müssen
● Muskeltonus? die Lungen stets ausreichend entfaltet werden.
Ein schlaffes (hypotones) Neugeborenes be-
nötigt zumeist eine respiratorische Unter-
stützung. Kreislaufunterstützung
● Reaktion auf taktile Reize?
Ein Abtrocknen des Neugeborenen reicht Falls trotz adäquater Entfaltung und Belüftung
normalerweise als Stimulus für eine effektive der Lungen die Herzfrequenz < 60 Schläge/min
Spontanatmung aus. Bleibt die Spontanatmung beträgt, ist mit der Herzdruckmassage zu be-
trotz dieser taktilen Stimulation unzureichend, ginnen. Hierbei wird idealerweise – wie bei der
sind weitere unterstützende Maßnahmen not- Säuglingsreanimation beschrieben – der Tho-
wendig. rax des Neugeborenen mit beiden Händen um-
griffen und mit den beiden, nebeneinander lie-
Falls das Neugeborene unmittelbar nach der genden Daumen das untere Drittel des Sternums
Geburt keine ausreichende Spontanatmung um ca. ⅓ des anterior-dorsalen Thoraxdurch-
entwickelt oder die Herzfrequenz < 100 Schlä- messers komprimiert. Es sollte ein Kompressi-
ge/min beträgt, dann sollte mit Reanimations- ons/Ventilations-Verhältnis von 3 : 1 angestrebt
maßnahmen, das heißt mit der Beatmung be- werden, wobei ca. 120 Maßnahmen pro Minute
gonnen werden (vgl. Abb. 8-26). (ca. 90 Kompressionen und 30 Beatmungen)
durchgeführt werden sollten. Nach ca. 30 Se-
kunden CPR sowie regelmäßig danach sollte
Atemwege, Atmung, Beatmung die Herzfrequenz kontrolliert werden und falls
sie > 60 Schläge/min beträgt, kann die Herz-
Das Neugeborene sollte in Rückenlage mit dem druckmassage beendet werden.
Kopf in Neutralposition gelagert werden. Zur
korrekten Kopflagerung kann ein ca. 2 cm di
ckes Betttuch unter die Schulter gelegt werden.
8.7 Lebensrettende Sofortmaßnahmen 549
Geburt
Routinemaßnahmen:
• reifes Neugeborenes?
ja • Neugeborenes warm halten
• Fruchtwasser klar?
• abtrocknen
• Spontanatmung oder Schreien?
• ggf. Mund und Nase absaugen
• guter Muskeltonus
• Hautfarbe beurteilen (2)
nein
Atmung, Herzfrequenz,
Hautfarbe und Muskeltonus
beurteilen
Apnoe oder Herzfrequenz < 100/min
beatmen (1/2)
10–30 µg/kg KG (= 0,1–0,3 ml/kg KG der 1 : 10 Verletzungen durch eine kardiopulmonale Re-
verdünnten Lösung) intravenös verabreicht animation treten vor allem bei fehlerhafter
werden. Falls ausnahmsweise Adrenalin endo- Technik oder bei alten Patienten mit brüchigen
tracheal verabreicht wird (obwohl dies nicht Knochen auf.
offiziell empfohlen wird), dann sollten bis zu
100 µg/kg KG (= 0,1 ml/kg KG der unverdünn-
ten Lösung) gegeben werden. Behandlung nach CPR
Natriumbicarbonat Nach einer Reanimation ist der Patient oft durch
Falls unter eine suffizienten CPR kein Spon- einen hypoxischen Hirnschaden (aufgrund ei-
tankreislauf auftritt, kann zur Korrektur der ner Störung der zerebralen Autoregulation und
myokardialen Acidose ggf. Natriumbicarbonat einer Abnahme des zerebralen Blutflusses) so-
(1–2 mmol/kg KG i. v.) verabreicht werden. wie durch Herzrhythmusstörungen, einen
erneuten Herzstillstand, Störungen des Blutzu
Flüssigkeit ckerhaushalts und der Elektrolytkonzentra
Besteht der Verdacht auf eine Hypovolämie tionen, eine Hypotonie, Hypoxie und/oder Hy-
bzw. einen Blutverlust (Blässe, schlechte Durch- perkapnie bedroht. Der Patient muss deshalb
blutung, schwache Pulse), dann sollte eine iso- auf die Intensivstation verlegt werden.
tone kristalloide Lösung (ca. 10–20 ml/kg KG)
verabreicht werden. Eine isotone kristalloide
Lösung ist einer Proteinlösung vorzuziehen. Therapieziele
Falls verfügbar, kann bei einem Blutverlust auch
bestrahltes, leukozytendepletiertes Rhesusfak- ● Stabilisierung des Kreislaufs:
tor-negatives Blut der Blutgruppe 0 gegeben Wie hoch der anzustrebende Blutdruck sein
werden. soll, ist nicht genau bekannt. Vermutlich ist
ein Wert anzustreben, der für den Patienten
normal ist. Es muss ein ausreichender zere-
Erfolgskontrolle während CPR braler und koronarer Perfusionsdruck ange-
strebt werden. Außerdem muss eine ausrei-
● Der Thorax hebt und senkt sich während der chende Diurese erzielt werden.
Atemspende. Bei der passiven Ausatmung ist ● kontrollierte Beatmung:
mit dem angenäherten Ohr die Luft zu hören Für paO2, paCO2 und SaO2 sind Normalwerte
und zu fühlen, die aus der Nase entweicht. anzustreben.
● Die Hautfarbe wird wieder rosiger. ● Sedierung
● Der Karotispuls ist tastbar. sowie Prophylaxe bzw. Therapie von zerebra-
● Der Patient bewegt sich. len Krämpfen, z. B. mit einem Benzodiaze-
● Vorher weite Pupillen werden wieder enger. pin, Propofol, Phenytoin oder Barbituraten
● Eine spontane Herzaktion setzt wieder ein. (z. B. Phenobarbital)
● Eine Spontanatmung setzt wieder ein. ● Verhinderung eines Fieberanstiegs:
die noch bewusstlos sind, sollte für die druck. Ein Abfall des arteriellen Blutdrucks
nächsten 12–24 Stunden eine mäßige Küh- bedeutet nun einen Abfall der Hirndurch-
lung auf 32–34 °C erreicht werden. Dadurch blutung. Es ist daher ein Blutdruck anzustre-
kann das neurologische Outcome verbessert ben, der für den Patienten normal ist.
werden. Durch Gabe von 30 ml/kg KG eis-
kalter 0,9%iger NaCl-Lösung kann die Kör-
perkerntemperatur ggf. um 1,5 °C gesenkt Beendigung
werden.
● Blutzuckerkonzentration zwischen 80 und Etwa 75 % der Reanimationen sind erfolglos.
110 mg/dl: Solange ein Kammerflimmern nachweisbar ist,
Da eine Hyperglykämie bzw. starke Schwan- sollte eine (korrekterweise) begonnene Reani-
kungen der Blutzuckerkonzentration das mation fortgeführt werden. Besteht für > 20 Mi-
neurologische Outcome verschlechtern, ist nuten eine Asystolie, obwohl alle erweiterten
ggf. eine sog. intensivierte Insulintherapie Reanimationsmaßnahmen versucht wurden,
durchzuführen, um eine Blutzuckerkonzen- und liegen keine beseitigbaren Ursachen für
tration von 80–110 mg/dl anzustreben. den Herzkreislaufstillstand vor, dann kann die
● Kontrolle der Laborwerte und Anstreben Reanimation eingestellt werden. Wann eine Re-
von Normalwerten für: animation beendet werden kann, hängt auch
– pH-Wert davon ab, wie viel Zeit zwischen Eintritt des
– Hämatokrit Herzstillstandes und Beginn der Reanimation
– Serumalbumin bzw. Durchführung der Defibrillation vergan-
– Serumelektrolyte: gen ist und was für Begleiterkrankungen der
Insbesondere eine meist drohende Hypo- Patient hat.
kaliämie ist zu vermeiden, da hierdurch Falls ein Neugeborenes länger als 10 Minuten
Herzrhythmusstörungen begünstigt wer- reanimiert wird, ohne dass sich Lebenszeichen
den. Es sollte eine Kaliumkonzentration einstellen, dann muss entweder mit einer hohen
von 4–4,5 mmol/l angestrebt werden. Mortalität oder mit schweren entwicklungsneu-
● Optimierung der neurologischen Erholung: rologischen Behinderungen gerechnet werden.
Da die zerebralen Autoregulationsmechanis- Daher kann es statthaft sein, eine Neugebore-
men (→ S. 267) nach einer Reanimation nenreanimation abzubrechen, wenn nach
stark gestört sind, wird die Hirndurchblu- 10-minütiger adäquater Reanimation keine Le-
tung direkt abhängig vom arteriellen Blut- benszeichen erkennbar sind.
553
9 Anhang
9.1 Normalwerte 9.1.2 Elektrolyte
mm Hg 9.1.3 Gerinnung
● neue Nomenklatur:
9.2 Medikamentenverzeichnis
Wirkstoff Handelsname Wirkstoff Handelname
Adrenalin Suprarenin® Lidocain Xylocain®
Ajmalin Gilurytmal® Linezolid ZYVOXID®
Alfentanil Rapifen® Mepivacain Meaverin®, Scandicain®
Amiodaron Cordarex® Meropenem Meronem®
Atracurium Tracrium® Methohexital Brevimytal®
Bupivacain Bupivacain, Carbostesin® Metoprolol Beloc®
Buprenorphin TEMGESIG® Metronidazol Clont®
Cefotaxim Claforan® Mezlocillin Baypen®
Ceftazidim Fortum® Midazolam Dormicum®
Ceftriaxon Rocephin® Moxifloxacin Avalox®
Cefuroxim Zinacef® Naloxon Naloxon DeltaSelect
Cimetidin Tagamet Neostigmin Neostigmin
Ciprofloxacin Ciprobay® Nifedipin Adalat®
cis-Atracurium Nimbex® Nitrendipin Bayotensin® akut
Clarithromycin Klacid® Nitroglycerin Trinitrosan®
Clemastin Tavegil Nitroprussidnatrium nipruss®
Clindamycin Sobelin® Noradrenalin Arterenol®
Clonidin Catapresan®, Clonidin®, Pancuronium Pancuronium®
Paracefan® Pethidin Dolantin®
Desfluran Suprane® Phenobarbital Luminal®
Diazepam Valium® Physostigmin Anticholium®
Diclofenac Voltaren® Piperacillin Pipril®
Dikaliumclorazepat Tranxilium® Piritramid Dipidolor®
Dimetinden Fenistil® Prilocain Xylonest®
Dobutamin Dobutamin Solvay® Infus Promethazin Atosil®
Dopamin Dopamin-ratiopharm® Propofol Disoprivan®
Dopexamin Dopacard® Pyridostigmin Mestinon®
Drotrecogin alfa (aktiviert) Xigris® Ranitidin Sostril®
Enoximon Perfan® Remifentanil Ultiva®
Esketamin Ketanest® S Rocuronium Esmeron®
Esmolol Brevibloc® Sevofluran Sevorane®
Etomidat Hypnomidate® Succinyldicholin Pantolax®, Lysthenon®
Famotidin PEPDUL® Sucralfat Ulcogant®
Fentanyl Fentanyl Janssen Sufentanil Sufenta®,
Flunitrazepam Rohypnol® Sufenta® mite
Fosfomycin Infectofos® Theophyllin Bronchoparat®
Furosemid Lasix® Thiopental Trapanal®
Gentamicin Refobacin® Torasemid Torem®, Unat®
Imipenem ZIENAM® Urapidil Ebrantil®
Isofluran Forene® Vancomycin Vancomycin CP Lilly®
Ketamin Ketamin DeltaSelect Vecuronium Norcuron®
556 9 Anhang
9.3 Medizinproduktegesetz Auszug
Das seit dem 01.01.1995 geltende Medizinpro- Gesetz über Medizinprodukte
duktegesetz (MPG) schreibt genau vor, welche (Medizinproduktegesetz – MPG)
Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein
Medizinprodukt (Gerät) eingesetzt werden darf Vom 02.08.1994
(z. B. gültiger Eichstempel). Das MPG schreibt (BGBl [Bundesgesetzblatt] I 1994 S. 1963; 1998
auch ein Anwendungsverbot bei Mängeln vor. S. 2005). (Letzte Änderung vom 07.08.2002)
Außerdem schreibt es vor, dass eine sachgerech- Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bun-
te Handhabung sichergestellt werden muss. Ty- desrates folgende Gesetze beschlossen: ...
pische Mängel bei Medizinprodukten sind:
● defekte Netzstecker und Netzkabel
● fehlende Zusatzgeräte
● defekte Wandanschlüsse Zweck des Gesetzes ist es, den Verkehr mit Me-
dizinprodukten zu regeln und dadurch für die
Voraussetzungen für eine sachgerechte Hand- Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizin-
habung sind: produkte sowie die Gesundheit und den erfor-
● Kenntnis der theoretischen Grundlagen derlichen Schutz der Patienten, Anwender und
● Kenntnis der Bedienungselemente und der Dritter zu sorgen.
dazu gehörenden Funktionen
● Kenntnis des ordnungsgemäßen Zustandes
F K
FEV1 1-Sekunden-Kapazität (forciertes KHK koronare Herzkrankheit
exspiratorisches Volumen in 1
Sekunde) L
FFP fresh frozen plasma, gefrorenes LDH → SLDH
Frischplasma LMA laryngeal mask airway,
FiO2 fraction of inspired Larynxmaske
oxygen, inspiratorische Lt. Lebenstag
Sauerstoffkonzentration
M
G MAP mean arterial pressure, mittlerer
GOT → ASAT bzw. SGOT arterieller Druck
GPT → ALAT bzw. SGPT min Minute(n)
Mo. Monat(e)
560 9 Anhang
N SGPT Serum-Glutamat-Pyruvat-
N. Nervus Transaminase, inzwischen als
NIV non-invasive ventilation, nicht ALAT bezeichnet; → dort
invasive Beatmung SHT Schädel-Hirn-Trauma
NLA Neuroleptanästhesie SIMV synchronized intermittent
N2O Lachgas (= Distickstoffmonoxid) mandatory ventilation,
synchronisierte intermittierende
O maschinelle Beatmung
O2 Sauerstoff SIRS systemic inflammatory response
syndrome
P s. l. sublingual
paCO2 arterieller SLDH Serum-Lactatdehydrogenase
Kohlendioxidpartialdruck SV spontaneous ventilation,
paO2 arterieller Sauerstoffpartialdruck Spontanatmung
PC pressure controlled,
druckkontrolliert T
pCO2 Kohlendioxidpartialdruck TE Tonsillektomie
PCV pressure controlled ventilation, TEE transoesophageale
druckkontrollierte Beatmung Echokardiographie
PCWP pulmonary capillary wedge TEP Totalendoprothese
pressure, pulmonalkapillärer TIVA totale intravenöse Anästhesie
Verschlussdruck TOF train of four, 4-fach-Reizung
PDA Periduralanästhesie TPR total peripheral resistance, totaler
PDK Periduralkatheter peripherer Widerstand
PEEP positive endexspiratory pressure, TTE transthorakale Echokardiographie
positiver endexspiratorischer TUR transurethrale Resektion
Druck
p. o. per os V
pO2 Sauerstoffpartialdruck V. Vena
PSV pressure support ventilation, V. A. C. vacuum assisted closure;
druckunterstützte Spontanatmung Vakuumversiegelung
PTT partial thromboplastin time, VC volume controlled,
Thromboplastinzeit volumenkontrolliert
VCV volume controlled ventilation,
S volumenkontrollierte Beatmung
s Sekunde(n)
SAB Subarachnoidalblutung W
s. c. subkutan Wo. Woche
SEK Serumeiweißkonserve
SGOT Serum-Glutamat-Oxalacetat- Z
Transaminase, inzwischen als ZVD zentraler Venendruck
ASAT bezeichnet; → dort ZVK zentraler Venenkatheter
561
Sachverzeichnis
K Kinair®-Bett 433
Kaiserschnitt 232 Kinderanästhesie → Anästhesie bei Kindern
– bei Eklampsie 261 Kinderkreissystem 238
– notfallmäßiger 257 Klacid® → Clarithromycin
– Periduralanästhesie 255 Klappenchirurgie 315
– Spinalanästhesie 255 Klappenöffnungsfläche 207
– Vollnarkose 255 f. Kloni 415
Kalibration 196 Klysma 474
Kalium 377, 380, 419 Knipsreflex 411, 413
– Freisetzung 74 Knochenzement 220, 223, 294
– Konzentration 75 Koagulationsnekrose 515
Kaliumkanalblocker 158 Kohlendioxidabsorber 13 f., 20
Kälteagglutininen 139 Kohlendioxidmessung
Kältegefühl 336 – endexspiratorische 405
Kälteverdünnungsmethode → – exspiratorische 98
Thermodilutionsmethode – transkutane 406
Kammerflimmern 402, 498, 537 f. Kohlendioxidpartialdruck 343
Kammertachykardie, pulslose 537 f. Kohlendioxidvergiftung 514 f.
Kanüle Kohlenhydrate 377 f.
– immobile → Nadel, immobile Kohlenmonoxidhämoglobin (COHb) 406
– intraossäre 486 Kohlenmonoxidvergiftung 480, 514
– periphervenöse 486 Kohlensäure 390
Kapnometrie 405 Kolliquationsnekrose 515
Kardioanästhesie → Anästhesie, in der Kolloide 134 f.
Herzchirurgie Kolonisation 153
Kardiochirurgie, minimalinvasive Kolonresektion 290 f.
Operationstechniken 314 f. Koma, hyperglykämisches und ketoacidotisches 510
Kardioplegie 299 komatös 317, 321
Karvea® → Irbesartan Kombitubus 541
Katarakt 286 Kommandoatmung 124
Kataraktoperation 286 Kompresse 442 f.
Katheter Kompressionssonde 476
– Blase 434 Kompressionssyndrom, aortakavales 251
– suprapubischer 435 f. Konakion® 376
Katheterabscherung 181 Konduktion 235
Katheterintervention, Herzinfarkt 497 Konfabulation 409
Katheterlage, intravenöse 181 Koniotomie 229
Katheterspinalanästhesie 176 Konjunktiva 290, 319
Kationenaustauscher 462 Kontamination 424
Katzenbuckel 170, 177 Kontrakturentstehung 430
Kaureflex 415 Kontrakturprophylaxe, Intensivpatient 430
Kavakatheter → Venenkatheter, zentraler Kontrollvariable, Beatmungsgerät 355
Kavakompressionssyndrom 250 f. Konvektion 235
Kehlkopf → Larynx Konzentrationsgefälle 36
Kehlkopfeingang 82 f., 94 Kopf, Überstreckung 528
Kehlkopfmaske → Larynxmaske Kopfendoprothese 293
Kehlkopfuntersuchung 282 Kopfschmerz, postspinaler 173
Kennfarben, Anschlüsse, Narkosegerät 24 Kornealreflex 410
Ketamin 55 f., 217, 366 Koronarangioplastie, perkutane transluminale 461,
– Gabe bei Kindern 245 492
Ketanest S® → Esketamin Koronararterie 296
Ketanest® → Ketamin Koronardurchblutung 297 f.
Ketoacidose 510 Koronare Herzkrankheit (KHK) 489 f.
Ketonkörper 374 Koronarintervention, perkutane/primäre (PCI) 460 f.
Kevatril → Granisetron Koronarperfusat 299
Kieferklemme 212, 280 f. Koronarreserve 296
576 Sachverzeichnis
Vorhofflimmern 402 X
Vorlast 207, 297, 304 XANEF® → Enalapril
Vorlastsenkung 502 Xigris → Drotrecogin alfa
Vorwärtsversagen 503 Xomolix® → Droperidol
Xylit 377 f.
Xylocain → Lidocain
W Xylonest → Prilocain
Wachheit, intraoperative 130, 231 f.
Wachheitsgrad 321
Wake ups 517 Y
Wandbewegungsstörung 207 Y-Stück 15
Warfarin 162
Warm Touch 231
Wärmelampe 235 Z
Wärmeverlust 231, 481 Zahnbeschädigungen 100
– halbgeschlossenes Narkosesystem 12 Zähne, lockere 238
– halboffenes Narkosesystem 12 Zahnstatus 225
– bei Kindern 235 Zantic® → Ranitidin
– Kreissystem 14 ZAS → Zentrales anticholinerges Syndrom
Wasserdampf 364 Zeitsteuerung, Beatmungsgerät 356
Wasserdampfdruck 343 Zentrales anticholinerges Syndrom (ZAS) 63, 337
Wasserhaushalt 235 Zeus-Narkosegerät 13, 23
– bei Kindern 236 Zielkonzentration 126, 128
Wasserschloss 295, 439, 506 Zienam® → Imipenem
Wasserstoffionen 391 Zinacef® → Cefuroxim
Wasserstoffionenkonzentration 390 Zink 381
Weaning → Langzeitbeatmung, Entwöhnung Zirkulation, extrakorporale (EKZ) 298, 308 ff., 311
Weckamine 517 Zithromax® → Azithromycin
Wedge-Druck 197, 200, 202, 297 Zittern, postoperatives 336
Wehenschmerz 253 ZNS, Störung 258
Wehentropf 251 ZNS-Erkrankungen 466 ff.
Weichteilverletzungen, Wundbehandlung 445 Zofran® → Ondansetron
Wendl-Tubus 323 f. Zolpidem 6
Whitacre-Kanüle 173 Zuckerdiurese 275
White-Tubus 86 Zuckungsamplitude 77, 79
Widerstandsverlustmethode 178 Zuckungsreaktion 77
Wiederbelebungszeit 526 Zugang
Winkelstück 15 – intravenöser 485
Wirbelsäulenverletzung 317 – bei Kindern 241
Woodbridge-Tubus 85 f. – periphervenöser 34
Wundauflage 442 Zungengröße 224
Wundbehandlung 444 ZVD → Druck, zentralvenöser
– feuchte 443 ZVK → Venenkatheter, zentraler
– Materialien 442 Zweiflaschensystem, Thoraxdrainage 438, 440
– trockene 442 Zweikammerbeutel 380
Wunden Zwerchfellatmung 234
– chronische 445 Zyanose 404
– infizierte 444 Zyvoxid® → Linezolid
Wundheilung 441
Wundverband 442 f.
Wundversorgung 441 ff.
Würgereflex 411