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tralen Bedeutung der Sprache für die ganze jüdische Kultur und
Erziehung. Die religiöse Tradition bedeutet zum guten Teile ein
Aufnehmen des m den alten Schriften niedergelegten Wortes.
Wortprägungen sind ein wichtiges Mittel zur Betätigung des jü¬
dischen Lebens 1 ). Auch in Gedankensystemen, namentlich der
Kabbala, spielt die Sprache vielfach diejenige Rolle, welche in
der traditionsfreien Wissenschaft dem Gedanken zukommt — den
sie eben in ursprünglicheren, noch nicht individualisierten For¬
men latent in sich trägt; sie ist selbst nicht nur Ausdruck, son¬
dern Erkenntnismethodik.
Zweifellos gab es hier noch einen Weg in größere Erkenntnis¬
tiefen, als die sich dem individuellen Gedanken hätten erschlie¬
ßen können. Andererseits bringt natürlich die Abhängigkeit vom
Worte die Gefahr der Buchstabengläubigkeit und Orthodoxie,
aber vielleicht auch in letzter Konsequenz die Neigung des mo¬
dernen Menschen, Schlagworte für Wirklichkeiten zu nehmen.
Vielleicht wäre eine künstlerische Erfassung des hebräischen
Wortes der Gegenwart, in der trotz des Wiederauflebens der
Sprache doch im Sprechen und Schreiben oft gegen den Geist der¬
selben gesündigt wird, sehr von Nutzen. Die großartigen schau¬
spielerischen Versuche der „Habimah" waren leider gerade im
Punkte des hebräischen Sprechens — in der Phonetik — unzu¬
reichend. Aber Erkenntnis, Kunst und mehr Achtung vor der gei¬
stigen Würde des Wortes können vielleicht zusammen; der rich¬
tige Weg sein.
GERHARD SCHOLEM
alber Die ©Ideologie htö §&%hbutiznt$mu&
im Zifytz Sbraljam Caröo?o£
l.
Die Kenntnisse, die man bisher über die sabbatianische Bewe¬
gung besitzt, sind außerordentlich dürftig. Wohl haben wir genug
historische Nachrichten über das Leben Sabbatai Zewis und die
Geschichte seines Abfalls, aber über das eigentlich Entscheidende:
die tiefgreifende religiöse Bewegung, die innerhalb des Judentums
nach seinem Übertritt vor sich ging, weiß man nur wenig. Die
haßerfüllten Polemiken der Ketzerriecher sind eine trübe Quelle.
Und hier hat sich an der jüdischen Geschichtschreibung bitter
jener auffallende Mangel an theologischem Interesse gerächt, durch
*) Die Verehrung auch des geschriebenen Wortes als solchen zeigt sich in kind¬
licher Weise z. B. darin, daß nach Erfindung der Buchdruckerkunst die Drucker¬
arbeit als „heiliger Dienst" bezeichnet wurde.
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wis sich die Gottheit auf eine tiefere und unerreichbare Schicht
des Seins zurückgezogen und in Sahbatai Zewi die als Gottmensch
inkarnierte Sephira Tiphereth seinen Platz eingenommen habe.
Für die jüdische Geschichte aber haben wirklich tiefe Bedeutung
eben nur jene Kreise der sabbatianischen Bewegung, die innerhalb
des Judentums geblieben sind, und deren wichtigster Vertreter,
Cardozo, hat die Lehre von der Inkarnation des Gottmenschen er¬
bittert abgelehnt. Abraham Michael Cardozo (ca. 1630—1706) ist
es, auf dessen (unedierten) Schriften die Anschauungen beruhen,
die hier vom Wesen der sabbatianischen Theologie entwickelt wer¬
den sollen. In Cardozo hat der Sabbatianismus seinen großen Theo¬
logen gefunden und die jüdische Literatur einen ihrer bedeutend¬
sten Autoren, so tief zerstörend immer der Antrieb gewesen sein
mag, der von ihm ausging. Es ist ein Hohn der Wissenschaft, daß
bis heute nie mehr als ein paar zusammenhängende Seiten aus den
umfangreichen, fast immer systematischen Schriften dieses wahr¬
haftesten und überzeugtesten Advocatus diaboli des Judentums ge¬
druckt sind. Einer Betrachtungsweise von so zweifelhafter Dignität
wie der eines Graetz freilich erschienen diese Schriften, die kein
Jude, wären sie gedruckt, ohne Erschütterung sollte lesen können,
als „zusammengeschmiert", als „Wiederholungen eines und dessel¬
ben Themas und daher von geringem Interesse" — welch entwaff¬
nende Verständnislosigkeit vor dem Phänomen eines „Apostolats",
das seine Ideen immer wieder von neuen Punkten aus zu entwickeln
strebt, spricht nicht aus solcher Logik! Einer auf ihren theologi¬
schen Gehalt abzielenden Betrachtung aber werden diese Schriften
und in ihnen der jüdische Sabbatianismus, dessen vollkommenster
Ausdruck sie sind, sich als das enthüllen, was sie sind: die offen¬
barste Krisenerklärung des Judentums, die auf dem Boden der
Kabbala denkbar ist. Die Theologie des Sabbatianismus erweist sich
als die Konstruktion eines virtuellen gnostischen Antinomismus in-
nerhalb der Welt des Judentums und seiner Lebensordnung, aus
einem dialektischen Zerfall der Grundbegriffe der lurjanischen
Kabbala im marranischen Geiste konzipiert. Sie erweist sich als die
Reaktion des Marranentums auf die Kabbala. Hier ist der wahre
Schauplatz dieses Trauerspiels. Wohl als erster hat Carl Gebhardt
auf die gefährliche Zweideutigkeit im Geiste des Marranentums mit
Nachdruck hingewiesen. Man weiß aus der Responsenliteratur, daß
Marranen vor rabbinischen Gerichtshöfen eine theologische „Recht¬
fertigung für ihr Vorgehen in den Büchern des Alten Testamentes
suchten und besonders in Aussprüchen des apokryphen Buches
Baruch gefunden zu haben glaubten 46. Sie wurden durch ihre ge¬
schichtliche Situation zu antinomistischen Perspektiven gedrängt,
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mit der Schöpfung, übt keine Vorsehung und hat keine erlösende
Macht. Ihr zwar kommt einfache Einheit zu, aber diese hat keinen
religiösen Gehalt. Die Christen verehren auch diese prima causa,
aber sie setzen sie als dreieinig, womit sie sogar hinter den Heiden
zurückbleiben. Diese prima causa aber, die ihrem Wesen nach,
weil außer Konnex mit der Schöpfung, auch namenlos ist, hat
aus sich als primum causatum den „Gott Israels" entlassen, wel¬
cher allein der Schöpfergott ist, der sich in den heiligen Schriften
und in der heiligen Geschichte offenbart hat. In einer unerlösten
Welt ist seine Erkenntnis nur durch Offenbarung und Tradition
möglich. Dieser Schöpfergott nun ist — eine urgnostische Idee —
androgyn, er bildet mit der Schechina, deren absolut göttliche
Natur einen Hauptpunkt in Gardozos Theorien bildet, zwar nicht
mehr eine einfache Einheit wie die der prima causa, wohl aber
eine dynamische. Im Bilde dieses Schöpfergottes ist der Mensch
geschaffen, er ist vom Menschen aus benennbar und von ihm allein
handelt alle Theologie. Er ist nicht etwa eine der Sephiroth oder
irgendeine Wesenheit aus den Welten, die die lurjanische Kabbala
beschreibt. Diese sind Kreaturen höheren Standes, die für Kos-
mogonie und Kosmologie eine Bedeutung haben, nicht aber für
die Erkenntnis des „Gottes Israels", der unendlich weit erhaben
über dieser lurjanischen Merkaba thront. Dieser Gott hat sich
offenbart, aber er inkarniert sich nicht. Es gibt keinen mensch¬
gewordenen Gott und keine gottgewordene Sephira, wie sie jene
sabbatianischen Gruppen, die das Judentum verlassen haben, lehr¬
ten. Die Erkenntnis jenes androgynen Schöpfergottes und seiner
dynamischen Einheit — das ist das große „Geheimnis des Glau¬
bens", raza de-mehemanutha, welches der Gegenstand der Heils¬
geschichte ist. Diese echt gnostische Theorie mit ihrer Umbiegung,
um nicht zu sagen Preisgabe des Monotheismus und ihrer imma¬
nenten Abrogation der gesamten lurjanischen Spekulation, mußte
den erbittertsten Widerstand jener weitesten Kreise im Judentum
wecken, deren Gottesbewußtsein diese gnostische Dialektik ins
Herz traf. Aber nicht das ist erstaunlich, daß sich alsbald erbit¬
terte Gegner solcher Irrlehren meldeten, sondern vielmehr die Un¬
sicherheit ihrer Polemik, die, wo nun einmal die Frage der Ein¬
heit Gottes im Zentrum der Kabbala wieder aufgerollt war, auch
noch die Terminologie und Mythologie des lurjanischen Erbes in
ihrer Dialektik zu verteidigen hatte. Darüber hinaus hat der ge¬
waltige Eindruck der mit großer Kraft und Überzeugung vorgetra¬
genen neuen Gotteslehre doch hingereicht, die gesamte kabbali¬
stische Literatur der drei nächsten Generationen in ihrer Haltung
zu bestimmen. Mehr als einem Kabbalisten ist die Welt der jüdi-
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Über die Theologie des Sabbatianismus im Lichte Abraham Cardozos
3.
Die Heilsgeschichte, auf die oben hingewiesen wurde, erweist
fast noch mehr als seine Gotteslehre den Sabbatianismus als eine
Krisentheologie. Die Sabbatianer sind die einzige Gruppe im Ju¬
dentum, welche so etwas wie eine offizielle Philosophie der jü¬
dischen Geschichte besessen hat, bevor Emanzipation und Reform
eine schufen. Das ist natürlich kein Zufall. Im Sabbatianismus
ist jene Krisis, welche die Reform nach außen dokumentiert hat,
schon 150 Jahre früher im innersten Herzen des Judentums in
Permanenz gesetzt worden. Als hier die alten Begriffe zuerst zer¬
brachen, suchte man Rechenschaft von ihrem Gange durch die
Historie zu geben. An Mut hat es dabei Cardozo und seinen An¬
hängern nicht gefehlt. Solange die innere Verfassung der Welt in
leidlicher Ordnung war, nämlich bis zur Zerstörung des Tempels
— so lehrt Cardozo —, verehrte man noch den wahren „Gott Is¬
raels 64, der uns aus Ägypten erlöst und in der Bibel sich offen¬
bart hat. Die Zerstörung des Tempels war zugleich eine metaphy¬
sische Katastrophe. Mit ihr gerät die Erkenntnis Gottes in Ver¬
wirrung und es entsteht der große Irrtum, der die jüdische Ge¬
schichte im Galuth bestimmt, nämlich die Anbetung der prima
causa und ihre Identifikation mit dem Gotte Israels. Es entsteht
die Anbetung jenes Gottes der Heiden, des rationellen Abc's, als
des Gottes des Judentums. Diese Verdunkelung des Gottesbewußt¬
seins ist das notwendige Schicksal der unerlösten Welt. In der
talmudischen Zeit, besonders in den ersten Generationen nach der
Tempelzerstörung, hatte man noch die Trümmer des ursprüng¬
lichen „Mysteriums des Glaubens", und um es aufzubewahren für
die messianische Zeit, wo es, auf eine neue Weise freilich, wieder
geoffenbart werden wird, schrieben die Weisen des Talmud das
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Buch Sohar nieder, dessen wahrer Sinn in der Zeit des Galuth
dunkel bleibt. Alles in diesem Buche ist doppeldeutig geschrie¬
ben: es scheint die Lehre der Kabbala zu enthalten, dem aber,
der es mit „aufgedecktem Antlitz" liest, enthüllt es jene reine
Erkenntnis. Dieses Wegzeichen haben die letzten Generationen, die
noch den Tempel gesehen haben, für die Nacht des Galuth auf¬
gerichtet, während derer das Judentum 1500 Jahre lang eine ver¬
fehlte Religion war. Die Juden wußten nicht, zu wem sie beteten,
und indem die jüdischen Theologen des Mittelalters sich in fal¬
schen Spekulationen über die Schechina ergingen, verleugneten sie
das göttliche Wesen. Saadja Gaon, der die Schechina als erschaf¬
fen bezeichnet, und andere der großen Religionsphilosophen des
Galuthjudentums stellen den Tiefstand und die völlige Verwir¬
rung der Gotteserkenntnis dar. Ja, noch die Mystiker bis auf Lurja
selbst gaben der Schechina nicht den ihr zukommenden Ort, in¬
dem sie sie zu einem Modus unter anderen Modi, und sogar zum
letzten unter ihnen machten. Und doch hatten auch im Talmud
und in den Midraschim die Weisen letzte Wegzeichen durch die
Nacht errichtet: all jene Stellen haggadischen Inhalts, die für die
jüdische Theologie des Mittelalters höchst, anstößig waren, und
die man mit einem talmudischen Ausdruck aggadoth sehet dophi,
blasphemische Haggadoth nennt. Sie eben deuten auf das wahre
Mysterium hin. Auch hier wieder bricht eine tief gnostisch-anti-
nomistische Tendenz aufs unverkennbarste hervor. Die anstößigen
Aggadoth sind die Symbola des wahren Gottes, der seine Klarheit
einer verworrenen Welt entzieht. Nur einigen Erleuchteten ist das
Mysterium offenbart worden, und gegen Ende der Nacht werden
sich manche, die nach Gotteserkenntnis suchen, im Zwielicht der
Vorzeit des Messias an den in Sohar und Talmud vorsichtig und
ohne Ordnung verstreuten Wegzeichen zur wahren Theologie orien¬
tieren. Die Paradoxie ihrer Lehre wird alle, auch die meisten Kab-
balisten, gegen sie aufbringen. Mit dem Erscheinen des Messias
ben David aber wird mit einem Schlag die alte Weisheit offenbart.
Denn — auch hier stützt sich Cardozo auf einen sonderbaren alten
Midrasch — der Messias wird Gott nicht wie alle andern seit dem
König Chiskija durch Tradition oder Offenbarung erkennen, son¬
dern mit seiner Ratio, und eben dies absolut rationale Durch¬
dringen des „Mysteriums des Glaubens" ist das eigentliche und un¬
trügliche Erkennungszeichen des Messias.
Der Messias als radikaler Rationalist — diese höchst erstaun¬
liche Konzeption Cardozos enthüllt eine der innersten Intentionen
kabbalistischen Denkens, die einigen Forschern im Zeitalter Hegels
noch auf eine oft ergreifende Weise deutlich geworden ist, wäh-
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rend sie dem unsern fast entglitten zu sein scheint. Nicht in je-
dem Zeitalter erwidern die Dinge dem Anruf der Ratio, aber daß
ihr Verhalten, und sei es auch in den scheinbar mystischsten Be¬
zirken, wenn auch nicht jederzeit in der Ratio begründbar, so
doch jederzeit ihr gemäß verläuft, ist durch ihre absolute Ratio¬
nalität im utopischen Punkte der Geschichte, im messianischen
Zeitalter, verbürgt. Welch aktuelles Unvermögen immer die Kab-
balisten in der rationalen Entfaltung ihrer Gegenstände gehemmt
haben mag und welche Bedenken man immer gegen die Legitimi¬
tät eines Anspruchs erheben mag, der zugleich im Besitze einer
Theorie für seine eigene Unerfüllbarkeit ist — die nackte Tat¬
sache dieses Anspruchs allein, am dialektischsten Punkt der Ge¬
schichte der Kabbala erhoben, erleuchtet den Bezirk, auf den er
sich erstreckt. Der Erlöser ist der zutiefst) Erkennende. Da, wo
alles Geschehen sich aufs höchste potenziert, sind Offenbarung
und Tradition nur mehr Zeugen des Erkennenden — so bestimmt
Cardozo ihre Rolle beim Anbruch des neuen Aion. Wie der Zer¬
fall einer grenzenlosen Intuitionsmystik, wie es die lurjanische im
Gegensatz zur älteren Kabbala ist, zu einem fast maimonidischen
Begriff von der erlösenden Macht der Erkenntnis führt und wie
hier der prinzipielle Anspruch rationaler Erkenntnis gerade für
die paradoxesten Mysterien des Glaubens mit größtem Nachdruck
vom Boden der Gnosis her vertreten wird — das erleuchtet tief
den metaphysischen Schauplatz der sabbatianischen Bewegung. Un¬
reine Trübungen, aus tiefem Verfallensein der Seele an den Trieb
oder aus anderen Mächten der Geschichte entstammend, haben
die Leuchtkraft unserer Ratio verdunkelt. Vor dem Urphänomen
der Sprache, dem Namen des Schöpfers, erweist sie ihre Schwäche.
Wenn aber in den Geburtswehen des neuen Aion, in der Krisis
des Zusammenbruchs sie sich reinigt, antwortet der Name Gottes
ihrem Anruf.
War schon diese Seite der Lehre vom Messias paradox, so ist
es ihre andere Seite, die allein bisher von Polemikern und Ge¬
schichtschreibern betrachtet worden ist, in freilich noch viel hö¬
herem Maße. Hier trug die große Schwierigkeit, die ihre Wider¬
legung oder selbst nur die Polemik gegen sie hatte, das ihrige
dazu bei, die Empörung des beleidigten Gefühls zu erhöhen. Denn
in der Lehre vom notwendigen Abfall des Messias, als welche sich
jene andere Seite der Messianologie darstellt, sah sich das reli¬
giöse Gefühl des Galuthjudentums zum ersten Male einer offen,
nicht mehr latenten, antinomistischen Thesis gegenüber, ohne daß
es — in der schweren Krise einer Hypertrophie des Mystizismus
— jene starke Position noch besaß, von der aus es ihre Voraus-
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tensität das sefardische Judentum, aus dessen Schoß sie kam, mit
dem Verlust seiner produktiven historischen Kraft auf lange hin¬
aus hat entgelten müssen.
Jenes Missionsbewußtsein hatte sich in der lurjanischen Lehre
vom Einsammeln der verstreuten Seelenfunken ausgedrückt, die
zugleich zu einer neuen, im Grunde freilich uralten Bestimmung
der Aufgabe des Messias führte. Die Funken des Urlichts sind,
der lurjanisch-gnostischen Kosmogonie zufolge, unter die Macht
der dämonischen „Schalen" und der Materie geraten. Jeder Mensch
vermag diejenigen zu befreien, welche in die stumme Welt der
Objekte eingeschlossen sind, die im Umkreis seines Lebens und
Handelns sich ihm darbieten. Messias aber vermag mehr zu tun
als Natur zu erlösen: er befreit die unter die Völker gefallenen
Funken. Und hier setzt die sabbatianische Logik ein, indem sie
nachdrücklich und drastisch ein Motiv benutzt, das dann in einer
neuen und unendlich viel tiefer weil ohne Paradox fundamen-
tierten Form in der chassidischen Lehre vom Sinn des Gerechten
wiederauferstanden ist: Messias, gesandt, um die Funken aus den
Völkern einzusammeln und so die Urgestalt der Menschheit im
Übergang zum neuen Aion wiederherzustellen, kann seine Sen¬
dung nur vollbringen, indem er unter die Völker geht, ihre Taten
tut und ihr Leben lebt und „unter den Bösen begraben wird".
Damit verleugnet er keineswegs seine Aufgabe und die des Juden¬
tums, sondern erst damit erfüllt er sie. Cardozo und die sabbatia¬
nische Theorie sahen in Sabbatai Zewi vor allem den leidenden
Messias ben Ephrajim, der — so deuteten sie Jesaja 53 — in der
Krisis der Sünde die Sünde überwindet, die ihn „durchbohrt".
Ja, nicht nur seine hohe Berufung zwingt ihn zum Abfall und zu
„befremdlichen Taten", sondern auch Israels Sünden: auch sie
sind es, die ihn in einer unheimlichen Kausalität in den Urbezirk
der Sünde unter die Völker hinaustreibt. Wir anderen aber, die
nicht Messias sind, haben ihm darin nicht zu folgen. Jenes hö¬
here Gesetz der Erlösung, nach dem Messias antritt und handelt,
gilt nicht für uns. Sein Handeln ist kein Beispiel, im Gegenteil
— und hier taucht der Sabbatianismus tief in seine marranischen
Ursprünge ein — sein Handeln ist das Ärgernis Israels. Mit bei¬
spielloser Dialektik hat Cardozo diese das jüdische Bewußtsein
tief aufwühlende Lehre vorgetragen und in die Messianologie des
älteren Judentums, vor allem aber in die des Sohar, hineinzuinter¬
pretieren unternommen. Aus dunklen kabbalistischen Begriffen,
die im großen Strom der mystischen Sprache mitgeschwommen wa¬
ren, ohne ihr Inneres zu öffnen, entfaltet sich plötzlich eine jü¬
dische Terminologie des Antinomismus. Kein christlicher Missio-
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Es waren die Lehren von Gott und dem Messias, an denen als
den vorgeschobensten und sichtbarsten Posten eines Aufstandes im
Herzen des Judentums der gebannte Blick der Polemiker haftete.
Hier waren ja die kostbaren und heiligen Bezirke, die als die
Schauplätze der großen Auseinandersetzung mit dem Christentum
im jüdischen Bewußtsein gehütet und rein bewahrt werden mu߬
ten. So hat sich denn, als hier die Grenzzeichen zu verblassen
drohten und falsche Signale in der Position des Judentums Ver¬
wirrung schufen, alle Kraft auf deren Reinigung und Wiederher¬
stellung gerichtet. Was aber in solchen scheinbar entlegenen und
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