Eine Anzeige und ihre Geschichte »Wenn mir einer auch nur 10 000 Euro bieten würde«, sagt
er, »stiegen mir Tränen der Rührung in die Augen.«
Bei der Suche nach einem Nachfolger hat sich Theis an die
Schleuderware Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz gewandt, doch
dort habe man nur »stumm abgewinkt«. Bei der Landarzt- börse, wo Ärzte aus ganz Deutschland ihre Praxis offerieren können, hieß es, er müsse damit rechnen, »zwischen zehn Warum ein Arzt aus Pirmasens Jahre und ewig« zu warten, bis sich ein Interessent melde. seine Praxis verschenken will Günter Theis hat Assistenzärzte in seiner Praxis ausgebil- det mit der Aussicht, dass einer vielleicht in seine Fußstapfen treten wird. Keiner will. Er verhandelte mit einem Kranken-
E s war Anfang des Jahres, als Dr. med. Günter Theis
klar wurde, dass auch er »nur ein biologisches System« ist und besser in den Ruhestand treten sollte. Im Sep- tember wird er 70, vor fünf Jahren hatte er einen schweren haus in der Nähe, seine Praxis sollte Partner der Klinik wer- den; als Außenstelle eines medizinischen Versorgungszen- trums wäre sie attraktiver. Theis hatte ein Gespräch mit der Verwaltung des Krankenhauses, dann brach der Kontakt ab. Unfall, und im Winter geriet sein Herz aus dem Takt, Theis Im deutschen Gesundheitssystem gehört Theis zu einer hatte Vorhofflimmern. »Zwölf Stunden im Stuhl sitzen und aussterbenden Art. Noch nie gab es mehr Ärzte als heute, arbeiten, das kriege ich noch hin«, sagt er. »Aber im Notfall aber in zwölf Jahren werden wohl gut 10 500 Hausärzte fehlen. an die Tür rennen, weil ich jemanden reanimieren muss – da Theis sagt: »Ich erkenne beim Nachwuchs eine Geringschät- wird’s eng.« In 66 953 Pirmasens, Volksgartenstraße 23, zung des Generalisten gegenüber dem Spezialisten.« macht Doktor Theis deshalb zum 31. Dezember Schluss. Für Jeder wolle am liebsten Chirurg werden, weil Chirurgen als seine Praxis sucht er nun einen Nachfolger. Halbgötter gälten, dabei sei der Hausarzt, das meint Theis, Im April hat Theis seine Praxis bundesweit inseriert, er hat der wahre Wunderheiler: Psychotherapeut, Orthopäde und eine Anzeige aufgegeben im »Ärzteblatt Thüringen«, im Jour- Internist in einer Person. Ein echter Hausarzt habe auch keinen nal der Ärztekammer von Berlin, von Hessen, Sachsen-An- Feierabend, wenn er nach Hause gehe, sagt Theis, »und das halt, Mecklenburg-Vorpommern, dem verträgt sich nicht mit der Work-Life- Saarland. Die Anzeigen haben ihn ei- Balance der jungen Leute von heute«. nen mittleren vierstelligen Betrag ge- Der Nachwuchs macht es sich für kostet. Der Text lautet: »Praxis zu ver- Theis zu bequem. Er ist sich sicher, die schenken! Tadelloser Umsatz! Kein jungen Ärzte wollten geregelte Ar- Nacht- oder Notdienst!«. Er nennt eine beitszeiten, ein festes Gehalt, wollten E-Mail-Adresse, an die ihm Interessen- sich keine Gedanken machen um das ten schreiben sollen: deindok@web.de. Medikamentenbudget, die Behand- Günter Theis, ein Mann mit Brille lungspauschale, das Kassenhonorar. und Dreitagebart, ist ein klassischer »In der Klinik sagt der Chef dem jun- Hausarzt, er therapiert Reizhusten, Er- gen Arzt, was er zu tun und zu lassen kältungen und Magen-Darm-Infekte. hat«, so gefalle es den Neuen. Die Leute kommen zu ihm »mit ihren Ein Hausarzt wie Theis müsse sich Wehwehchen und privaten Problem- trauen, Verantwortung zu überneh- chen«, sagt er. Seine Patienten, mit de- men. Er müsse mit Regressforderun- nen er sich gern im pfälzischen Dialekt gen rechnen und sich möglicherweise unterhält, seien »wie eine zweite Fa- vor dem Sozialrichter verantworten. milie« für ihn. Seine Praxis liegt in ei- »Den bürokratischen Kram will sich ner ehemaligen Polizeistation, Baujahr Theis kaum noch einer antun«, sagt Theis. 1913, Stuckdecken, drei Behandlungs- Schuld an alldem habe die Politik, zimmer, gut 250 Quadratmeter, vier denkt er. Mit Ausnahme von Hermann Arzthelferinnen, Sprechzeiten: Mo. bis Gröhe seien alle Gesundheitsminister, Fr. von 8 bis 11.30 und 15 bis 18 Uhr, Aus dem »Ärzteblatt Thüringen« die er erlebt habe, »eine Katastrophe« außer mittwochnachmittags. gewesen. Theis wünscht sich einen Me- Auf seinem Schreibtisch stehen Fotos der beiden Enkel. Er diziner als Minister, also einen richtigen Arzt, keinen »Keller- hatte Medizin in Homburg studiert, war Stabsarzt bei der professor« wie Karl Lauterbach oder einen halb ausgebildeten Bundeswehr gewesen und hatte neun Jahre lang in einer Klinik Augenarzt wie Philipp Rösler, sondern einen, der die Probleme gearbeitet, bevor er sich den Traum von der Selbstständigkeit der Hausärzte kenne. Er sagt, er sei mit seinem Lebenswerk erfüllte: Rund 150 000 Mark Ablöse zahlte Theis an seinen zufrieden, sei dankbar für die »ungeheure Breite an Erfah- Vorgänger, als er sich 1981 in Pirmasens niederließ. Schon da- rung«, die er gemacht habe, aber wenn er noch mal anfangen mals hatte er den Plan, mit dem Weiterverkauf der Praxis spä- könnte, würde er an die Universität gehen, als Forscher. ter einmal die Rente aufzubessern. Ein todsicheres Ding, dach- Bisher hat sich genau ein Mensch auf die Anzeige gemeldet, te Theis. Er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Praxis mal ein Investor aus Görlitz. Aber das ist auch schon wieder acht zur Schleuderware werden würde. Wochen her. »Eigentlich bin ich ja Optimist, aber ich denke Die Geräte und Möbel, die er anbietet, sind nicht viel wert, nicht, dass ich von dem je wieder was höre«, sagt Theis. in der Beziehung gebe es in der Praxis »einen Investitions- Die Homepage seiner Praxis hat er schon abgeschaltet. stau«, sagt Theis. Er hat aber, und das ist entscheidend, eine Den Schreibtisch soll sein Sohn bekommen. Das restliche In- Patientenkartei mit mehr als 1200 Namen. Einige Familien ventar, die Schränke, die Liegen und das Schulskelett, will er behandelt er in vierter Generation. Eigentlich seien 100 000 auf dem Flohmarkt verkaufen. Einige Patienten haben Theis Euro ein angemessener Preis für seine Praxis, findet Theis, gefragt, ob sie eines der Gemälde haben könnten, die an den aber die Hoffnung auf so eine Summe hat er längst begraben. Wänden hängen, bald, wenn er geht. Maik Großekathöfer