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ZEREMONIELL UND RAUM

4. Symposium der Residenzen- Kommission


der Akademie der Wissenschaften in Göttingen

veranstaltet gemeinsam mit dem


Deutschen Historischen Institut Paris
und dem Historischen Institut der Universität Potsdam
Potsdam, 25. bis 27. September 1994

Herausgegeben von
Werner Paravicini

Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen


1997
Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter

VON KARL-HEINZ SPIESS

In allen hierarchisch strukturierten Gesellschaften spielt das Rangdenken eine überaus


wichtige Rolle 1. Diese Aussage trifft besonders für das Mittelalter zu, das nicht nur im
kirchlichen und weltlichen Bereich eine hierarchische Abstufung als Grundlage der Ge-
sellschaftsordnung betrachtete und theologisch rechtfertigtet, sondern sogar für den
himmlischen Engelsstaat eine feste Rangordnung postulierte.'. Wir dürfen somit für jede
soziale Gemeinschaft des Mittelalters eine spezifische Regelung der Rangverhältnisse vor-
aussetzen, ob es sich nun um einen Mönchskonvent, ein städtisches Gremium, einen Für-
stenhof oder den Königshof handelte.
Diese Rangordnungen sind allerdings für uns heute in vielen Bereichen nur grob zu
fassen, da sie im Mittelalter selten schriftlich fixiert wurden, sondern sich vielmehr in der
Beachtung bestimmter Konventionen und Verhaltensformen konkretisierten". Dank ent-
sprechender Rangkennzeichen, wie etwa Titel, Ämter, Kleidung, Sprache oder Umgangs-
formen, wußte der mittelalterliche Mensch recht genau seine eigene Rangstufe oder die

1 Vg!. allgemein Adalbert ERLER,Art. ,.Vorrang, Vortritte, in: Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte, Bd. 5, 37. Lieferung, Berlin 1994,Sp. 1058-1061.
2 Vg!. Luise MANZ,Der Ordo-Gedanke. Ein Beitrag zur Frage des mittelalterlichen Ständegedan-
kens (VSWG, Beiheft 33), Stuttgart 1937, S. 37ff.; Wilhelm SCHWER,Stand und Ständeordnung im
Weltbild des Mittelalters. Die geistes- und gesellschaftsgeschichtlichen Grundlagen der berufsständi-
schen Idee (Görres-Gesellschaft, Veröffentlichungen der Sektion für Wirtschafts- und Sozialwissen-
schaften 7), Paderborn 21952,S. 32ff.; D. E. LUSCOMBE, Conceptions of Hierarchy before the Thir-
teenth Century, in: Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, 1. Halbbd. (Miscellanea
Medievalia 12/1), hg. Albert ZIMMERMANN, Berlin/New York 1979, S. 1-19; Otto Gerhard OEXLE,
Tria genera hominum. Zur Geschichte eines Deutungsschemas der sozialen Wirklichkeit in Antike
und Mittelalter, in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef
Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag, hg. Lutz FENsKElWernerRössxen/Thomas ZOTZ,Sigmarin-
gen 1984, S. 483-500; Heinrich FICHTENAU, Lebensordnungen des 10.Jahrhunderts (Monographien
zur Geschichte des Mittelalters 30), Stuttgart 1984, zitiert nach der Taschenbuchausgabe München
1992;Georges DUBY,Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, Frankfurt a. M. 1986.
3 Hierzu Peter DINZELBACHER, Klassen und Hierarchien im Jenseits, in: ZIMMERMANN 1979 (wie
Anm. 2), S. 20-40.
4 Vgl, hierzu Gerd ALTHoFF,Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in
mittelalterlicher Offentlichkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 27-50, hier S. 30f. Zu
den wenigen schriftlich fixierten Rangordnungen des Mittelalters zählt die Bestimmung Benedikts
von Nursia, wonach sich der Rang der Mönche aus dem Eintrittsdatum in das Kloster ergibt. Hierzu
und zu den sich dennoch ergebenden Problemen vg!. FICHTENAU 1984 (wie Anm. 2), S. 35ff. und
Wolfgang TESKE,Laien, Laienmönche und Laienbrüder in der Abtei Cluny, Teil 1, in: Frühmittel-
alterliche Studien 10 (1976), S. 248-322, hier S. 298ff.
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seines Gegenübers einzuschätzen und richtete sein Verhalten danach aus ', Wie Hinkmar
von Reims in seiner 882 entstandenen Schrift »De ordine palatii« mitteilt, erwartete man
auch vom König, daß er die ihm direkt von den Untertanen vorgetragenen Anliegen »je
nach Rang der Person mit Ehrerbietung, mit Geduld oder gar mit Mitleid entgegennäh-
me.«6 Berichten die Quellen dagegen von Vorfällen, bei denen ein deutlich Rangniedrige-
rer sich gegenüber einem Ranghöheren falsch verhielt, dann handelt es sich meist um be-
wußte Verstöße gegen die Norm, die von den Verursachern zu Demonstrationszwecken
eingesetzt wurden 7. So wird von Bischof Megingaud von Eichstart berichtet, er sei am

5 Für den Bereich des Adels vgl. Joachim BUMKE,Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im
hohen Mittelalter, 2 Bde., München 1986 und Kar! Friedrich KRIEGER, Fürstliche Standesvorrechte
im Spätrnitrelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986), S. 91-116. Für den kirchli-
chen Bereich, in dem die Rangverhältnisse stärker durch die Kleidung dargestellt wurden, vgl. FICH-
TENAU1984 (wie Anm. 2), S. 96ff; Franz Bocx, Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelal-
ters, 3 Bde., 1856-1871, ND Graz 1970; Perrine MANE/Francoise PIPONNIER, Entre vie quotidienne
et liturgic: le vetement ecclesiastiquea la fin du Moyen Age, in: Symbole des Alltags, Alltag der Sym-
bole. Festschrift für Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, hg. Gertrud BLASCHIKu.a., Graz 1992,
S. 469-495 (mit Abb.). Im städtischen Bereich liefern die Kleiderordnungen anschauliches Material.
Vgl. Liselotte C. EISENBART,Kleiderordnungen derdeutschen Städte zwischen 1350 und 1700, Göt-
tingen 1962; Jutta ZANDER-SEIDEL,Das erbar gepent. Zur ständischen Kleidung in Nürnberg im
15. und 16. Jahrhundert, in: Waffen- und Kostümkunde 27 (1985), S. 119-140; Gerd SCHWERHOFF,
»••. die groisse oeverswenckliche costlicheyt zo messigen-, Bürgerliche Einheit und ständische Dif-
ferenzierung in Kölner Aufwandsordnungen (14.-17. Jh.), in: Rheinische Vierteljahrsblätter 54
(1990), S. 95-122; Gerhard jsxrrz, Kleidung und Prestige-Konkurrenz. Unterschiedliche Identirä-
ten in der städtischen Gesellschaft unter Normierungszwängen, in: Saeculum 44 (1993), S. 8-31. Vgl.
weiterhin Gabriele RAUDSZUS,Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik
des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters (Ordo. Studien zur Literatur und Gesellschaft
des Mittelalters und der frühen Neuzeit 1), HildesheirnlZürichlNew York 1985, bes. S. 183ff. Auf
dem Feld der Umgangsformen ist das Begcüßungsritual besonders aussagekräftig für die Rangver-
hältnisse. Vg!. Klaus SCHREINER,»Er küsse mich mit dem Kuß seines Mundes- (Osculetur me osculo
oris sui, Cant. 1,1). Metaphorik, kommunikative und herrschaftliche Funktionen einer symbolischen
Handlung, in: Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, hg. Hedda RAGOTZKYI
Horst WENZEL,Tübingen 1990, S. 89-132, hier S. 113 ff. und Horst FUHRMANN,,.Willkommen und
Abschied-e Über Begcüßungs- und Abschiedsrituale im Mittelalter, in: Mittelalter. Annäherungen an
eine fremde Zeit (Schriftenreihe der Universität Regensburg, Neue Folge 19), hg. Wilfried HART-
MANN,Regensburg 1993, S. 111-139.
6 HINKMARVONREIMS, De ordine palatii, hg. und übersetzt von Thomas Gaosss/Rudolf SCHIEF-
FER (MGH, Fontes juris Germanici antiqui in usum scholarum separatirn editi 3), Hannover 1980,
cap. 5, S. 68f. Notker von St. Gallen berichtet, daß am Hof Ludwigs des Frommen an Ostern Ge-
schenke durch den Kaiser verteilt wurden, deren Qualität sich nach dem Rang der Begünstigten
richtete. NOTKER, Taten Karls Il., cap. 21, in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, Teil 3,
bearbeitet von Reinhold RAu (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Frei-
herr vom Stein-Gedächtnisausgabe 7), Darmstadt 1960, S. 424f.
7 Wer umgekehrt einen Ranghöheren durch eine List dazu brachte, sich vor einem Rangniedrigeren
zu verneigen, mußte mit heftigen Reaktionen rechnen. Wie in den St. Gallener Klostergeschichten
erzählt wird, ließ Bischof Salomon Ill. von Konstanz (890-919) dem Grafen Erchinger und des-
sen Bruder bei einem Essen von zwei unfreien Hirten, die man aber als Freie ausgab, Wild ver-
ehren. Die beiden Adeligen standen vor den vermeintlichen Freien auf, zogen die Hüte, verneigten sich
und dankten ihnen. Als sie die Täuschung erkannten, gerieten sie in heftigen Zorn, doch mußten sie ihre
Rache aufgrund des königlichen Eingreifens auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. EKKEHARDIV.,
St. Galler Klostergeschichten, übersetzt von Hans E HAEFELE(Ausgewählte Quellen zur deutschen
Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10), Darrnstadt 1991, S. 42 ff.
RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER 41

Königshof nicht wie die anderen Bischöfe beim Vorübergehen Kaiser Heinrichs 11. aufge-
standen, sondern absichtlich sitzen geblieben, um der Hofgesellschaft seinen Rang als äl-
terer Verwandter des Kaisers vor Augen zu führen 8.
Für den Historiker stellt die Erforschung des Rangdenkens als Teilaspekt des hö-
fischen Zeremoniells ein reizvolles, bislang allerdings noch wenig bearbeitetes Feld
dar". Am vordringlichsten erscheint die Untersuchung der in der Umgebung des Kai-
sers bzw. römischen Königs geltenden Rangverhältnisse. Während das Hofzere-
moniell im spätantiken Rom 10, in Byzanz 11, an der päpstlichen Kurie 12und in Bur-

~. Stefan WEINFURTER,Die Geschichte der Eichstätter Bischöfe des Anonymus Haserensis. Edition,
Ubersetzung, Kommentar (Eichstätter Studien, Neue Folge 24), Regensburg 1987, S. 54, 82f.
9 Eine erste Zusammenschau für das 10. und frühe 11. Jahrhundert bietet FICHTENAU1984 (wie
Anm. 2), S. 11-47. Besondere Aufmerksamkeit haben bislang die Rangstreitigkeiten der deutschen
Erzbischöfe gefunden. Vg!. hierzu Helmut BEUMANN,Die Bedeutung Lotharingiens für die ottoni-
sche Missionspolitik im Osten, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 33 (1969), S. 14-46; Egon BOSHOF,
Köln, Mainz, Trier. Die Auseinandersetzung um die Spitzenstellung des deutschen Episkopats in ot-
tonisch-salischer Zeit, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 49 (1978), S. 19-48 und Tho-
mas ZOTZ, Pallia et alia archiepiscopatus insignia. Zum Beziehungsgefüge und zu Rangfragen der
Reichskirchen im Spiegel der päpstlichen Privilegierung des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Festschrift
für Berent Schwineköper zu seinem 70. Geburtstag, hg. Helmut MAuRER/Hans PATZE,Sigmaringen
1982, S. 155-175. Im Rahmen der Neubewertung von Gesten, Symbolen und Ritualen in der mittel-
alterlichen Gesellschaft - vg!. hierzu die Sektion »Spielregeln in mittelalterlicher Öffentlichkeit (Ge-
sten, Gebärden, Ritual, Zeremoniell)« auf dem Historikertag 1992 in Hannover und den Abdruck
der Beiträge in den Frühmittelalterlichen Studien 27 (1993) - gerieten auch die Rangstreitigkeiten ver-
stärkt ins Blickfeld. Seit der Erstfassung des vorliegenden Vortrages imJahr 1991 sind erschienen Hans-
Werner GOETZ, Der »rechte« Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im
Spiegel der Sitzordnung. in: Symbole des Alltags, Alltag der Symbole 1992 (wie Anm. 5), S. 11-47;
Johannes HELMRATH,Sitz und Geschichte. Köln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des
15. Jahrhunderts, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo
Engels zum 65. Geburtstag, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 719-760; Thomas WILLICH, Der Rangstreit
zwischen den Erzbischöfen von Magdeburg und Salzburg sowie den Erzherzogen von Österreich. Ein
Beitrag zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation (ca. 1460-1535),
in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 134 (1994), S. 7-166.
10 Andreas ALFÖLDI, Die Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells am römischen Kaiser-
hofe, erstmals in: Mitteilungen der Römischen Abteilung des Deutschen Archäologischen Institutes
49 (1934), S. 3-118, wiederabgedruckt in: DERs., Die monarchische Repräsentation im römischen
Kaiserreiche, Darmstadt 31980, S. 3-118.
11 Grundlegend Otto TREITINGER,Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im
höfischen Zeremoniell, Jena 1938. Zum aktuellen Forschungsstand vg!. Averil CAMERON,The Construc-
tion of Court Ritual: The Byzantine Book of Ceremonies, in: Rituals of Royalty. Power and Ceremonial
in Traditional Societies, hg. David CANNADINE/Simon PRICE, Cambridge 1987, S. 106-136.
12 Bernhard SCHIMMELPFENNIG,Die Zeremonienbücher der römischen Kirche im Mittelalter, Tü-
bingen 1973; DERs., Zum Zeremoniell auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Quellen und
Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 49 (1969), S. 273-292; Marc DYKMANs,Le
ceremonial papal de la fin du Moyen Age a la Renaissance, 4 Bde., Brüssel, Rom 1977-1985; Agostino
BAGLIANi PARAVICINI, Der Papst auf Reisen im Mittelalter, in: Feste und Feiern im Mittelalter,
hg. Detlef ALTENBURG/JörgJARNuT/Hans Hugo STEINHOFF, Sigmaringen 1991, S. 501-514, hier
S. 51tff.; Louis CARLEN, Zeremoniell und Symbolik der Päpste im 15. Jahrhundert (Vorträge der
Aeneas-Silvius Stiftung an der Universität Basel28), Freiburg i. Br. 1993; Gottfried KERscHER, Das
mallorquinische Zeremoniell am päpstlichen Hof. Comederunt cum papa rex maioricarum, in: Zere-
moniell als höfische Ästhetik 1995 (wie Anm. 14), S. 125-149.
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gund 13 intensive Beachtung durch die Forschung erfahren hat, ist für Deutschland
hauptsächlich über das Zeremoniell in der Frühen Neuzeit gearbeitet worden 14. Dies ist
insofern bedauerlich, als sich der Königshof auch im Mittelalter als der maßgebliche per-
sonale Verband darstellt, in dem sich der Herrscher gegenüber dem Reich und das Reich
sich gegenüber dem Herrscher prasentierte P.

Der Königshof und davon abgeleitet der Hoftag, der Reichstag und das unter kaiser-
licher Protektion tagende Konzil sind meines Erachtens als lebendiges Abbild der sozia-
len, politischen und verfassungsmäßigen Realität zu verstehen. Da es im Mittelalter keine

13 Johan HUIZINGA, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und
15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart 111975,S. 50 ff.; Werner PARAVICI-
NI, Soziale Schichtung und soziale Mobilität am Hof der Herzöge von Burgund, in: Francia 5 (1977),
S. 127-163. Viel Material für eine künftige Gesamtdarstellung findet sich bei DERs., Die Hofordnun-
gen HerzogPhilipps des Guten vonBurgund. Edition, Teill, in: Francia 10 (1982), S.131-166; Teil2,
in: Francia 11 (1983), S. 257-301; Teil3 in: Francia 13 (1985). S. 191-211; Teil4 in: Francia 15 (1987),
S. 183-231. Zur Weiterwirkung des burgundischen Hofzeremoniells auf das spanische Zeremoniell
vgl, Ludwig PFANDL, Philipp Il. Gemälde eines Lebens und einer Zeit, München 1938, S. 120ff.;
Christina HOFMANN, Das spanische Hofzeremoniell von 1500-1700 (Erlanger Historische Studien
8), Frankfurt a. M. 1985; Christina HOFMANN-RANDAL.~Die Herkunft und Tradierung des Burgun-
dischen Hofzeremoniells, in: Zeremoniell als höfische Asthetik 1995 (wie Anm. 14), S. 150-156.
14 Vgl. in Auswahl Rosemarie AULINGER,Das Bild des Reichstages im 16.Jahrhundert. Beiträge zu
einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen (Schriftenreihe der Historischen
Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 18), Göttingen 1980, S. 227ff.; Hu-
bert Ch. EHALT,Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft. Der Wiener Hof im 17. und 18.Jahr-
hundert (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 14), München 1980, S.114ff.; DERs., Zur Funktion
des Zeremoniells im Absolutismus, in: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert, Bd. 2,
hg. August BUCKu.a. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 9), Hamburg 1981, S. 411-419;
Hans-Joachim BERBIG,Zur rechtlichen Relevanz von Ritus und Zeremoniell im römisch-deutschen
Imperium, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 92 (1981), S. 204-249; Albrecht P. LUTTENBERGER,
Pracht und Ehre. Gesellschaftliche Repräsentation und Zeremoniell auf dem Reichstag, in: Alltag im
16.]ahrhundert. Studien zu Lebensformen in mitteleuropäischen Städten, hg. Alfred KOHLER/Hein-
rich LUTZ (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 14), München 1987, S. ~?1-326. In erster Li-
nie der Neuzeit gewidmet ist der monumentale Band Zeremoniell als höfische Asthetik im Spätmit-
telalter und Früher Neuzeit, hg. Jörg Jochen Bsnxs/Thomas RAHN (Frühe Neuzeit 25), Tübingen
1995. Eine wichtige Studie zu einer fürstlichen Residenz bietet Karin PLODECK, Hofstruktur und
Hofzeremoniell in Brandenburg-Ansbach vom 16. bis zum 18.Jahrhundert, Ansbach 1972.
15 Vergleiche den Überblick bei Georg WAlTZ, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, hg. Gerhard
SEELIGER,Berlin 21896, S. 310ff. Einzelaspekte behandeln Anna Maria DRABEK,Reisen und Reise-
zeremoniell der römisch-deutschen Herrscher im Spätmittelalter (Wiener Dissertationen aus dem
Gebiet der Geschichte 3), Wien 1964; Peter WILLMES,Der Herrscher- ..adventus« im Kloster des Früh-
mittelalters (Münstersehe Mittelalter-Schriften 22), München 1972; Winfried DOTZAUER,Die Ankunft
des Herrschers. Der fürstliche -Einzug« in die Stadt (bis zum Ende des Alten Reiches), in: Archiv für
Kulturgeschichte 55 (1973), S. 245-288; Ingrid Voss, Herrschertreffen im frühen und hohen Mittelalter.
Untersuchungen zu den Begegnungen der ostfränkischen und westfränkischen Herrscher im 9. und
10. Jahrhundert sowie der deutschen und französischen Könige vom 11. bis 13. Jahrhundert (Beihefte
zum Archiv für Kulturgeschichte 26), KölnlWien 1987; Werner KOLB, Herrscherbegegnungen im Mit-
telalter (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Bd. 359), Bern/Frankfurt a.M./New York/Paris
1988; Alois NIEDERSTÄTTER,Königseinritt und -gastung in der spätmittelalterlichen Reichsstadt, in:
Feste und Feiern im Mittelalter 1991 (wie Anm. 12), S. 491-500. Zum Krönungszeremoniell an euro-
päischen Höfen vg!. die zahlreichen Beiträge in Coronations. Medieval and Early Monarchie Ritual, hg.
jänos M. BAK,Berkeley/Los Angeles/Oxford 1990.
RANGOENKEN
UNO RANGSTREITIM MITTELALTER 43

geschriebene Verfassung gab, sollte das Rangsystem den Herrschaftsaufbau des Staates
symbolisieren. In der Goldenen Bulle von 1356 sind die bekannten Artikel über die Kö-
nigswahl weitaus kürzer gehalten als die Bestimmungen über die Sitzordnung oder die
Rangfolge bei Prozessionen. Bei einem Hoftag saß der König allein an einem Tisch,
während die Königin seitwärts an einem drei Fuß niedrigeren Tisch plaziert war. Die
Tische der dem König verfassungsmäßig am nächsten stehenden Kurfürsten waren
nochmals drei Fuß niedriger, aber näher bei dem König als die der anderen Fürsten 16.
Jedem Beobachter wurde auf diese Weise die Sonderstellung der Kurfürsten im Reichsor-
ganismus anschaulich vor Augen geführt!",
Meine These, daß die Rangordnung grundsätzlich die Verfassungswirklichkeit wider-
spiegelt, sei noch an einem weiteren Beispiel erläutert. Die Freiherren von Zimmern wa-
ren sehr stolz darauf, daß sie nicht in das Reichslehnssystem einbezogen und deshalb dem
König nicht als Vasallen zur Ehrerbietung verpflichtet waren. Als Johann von Zimmern
hörte, daß der vom Konstanzer Konzil heimreitende Kaiser Sigismund seinen Weg durch
die Johann gehörende Stadt Meßkirch nehmen würde, ließ er sich einen Tisch vor das
Stadttor von Meßkirch bringen und blieb daran mit einem Hut auf dem Kopf sitzen, als
der Kaiser an ihm vorbeiritt. Darab der kaiser nit ain clains verwundern het, doch wo/be-
dacht, das solehs ohne ursach nit beschehe, darumb hieß er in erfordern und begert ein be-
riebt zu haben, was er mit seinem stilsizen gemaint. Johann erklärte dem Kaiser, sein Still-
sitzen sei Ihrer Majestät nit zu verklainerung oder verachtung beschehen, das het er aber
damit anzaigen wellen, das er ain freier herr und weder Ir Majestät oder niemants mit
kainerlai phlicht oder glipt verbunden wer, davon auch weder lehen oder gar nichts het 18.
Eine drastischere Demonstration seiner Ausnahmeposition in der Reichsverfassung hätte
Johann von Zimmern gar nicht einfallen können 19.

16 Quellen zur Verfassungsgeschichtedes römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250-1500),


ausgewählt und übersetzt von Lorenz WEINRICH(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte
des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 33), Darmstadt 1983, Nr. 94 cap. 28, S. 388f.
Diese einfach zu bewerkstelligende Zeremonialordnung dürfte typisch für ein Königtum ohne feste
Residenz sein. Während sich der byzantinische Kaiser in seinem Palast einen für das Staatszeremo-
niell speziell präparierten Thronsaal einrichten ließ, um seine Gäste mit einem hydraulisch bewegli-
chen Thron und mechanischen Löwen zu beeindrucken, war man in Deutschland darauf angewiesen,
jeden beliebigen Raum ohne großen Aufwand zur Manifestation der höfischen Rangordnung ein-
setzen zu können. Die Schilderung des byzantinischen Thronsaals findet sich bei LIUTPRANO VON
CREMONA, Antapodosis VI, cap. 5, in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, bearbeitet
von Albert Bxusa/Reinhold RAu (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters.
Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 8), Darmstadt 41992,S. 488f.
17 Wie penibel man auf die Höhenunterschiede der Sitzgelegenheiten achtete, belegt ein Sessions-
streit auf dem Reichstag zu Freiburg im Breisgau am 13. 7. 1498.Die für diesen Tag anberaumte An-
hörung der polnischen Gesandtschaft kam nicht zustande, weil die Bank der Kurfürsten so überhöht
war, daß die Fürsten ihnen wie Untertanen hätten zu Füßen sitzen müssen. Erst als die Sitze der
Fürsten angeglichen worden waren, gingen die Geschäfte weiter. Deutsche Reichstagsakten unter
Maximilian I., Bd. 6: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496-1498, bearbeitet von Heinz
GOLLWITZER, Göttingen 1979,Nr. 44, S. 656f.
18 Die Chronik der Grafen von Zimmern, hg. von Hansmartin DECKER-HAUFF unter Mitarbeit von
Rudolf SEIGEL,Bd. 1, Sigmaringen 41978,S. 147.
19 Möglicherweise folgte er hierbei einem historischen Vorbild, denn Konrad von Krenkingen soll
ebenfalls sich nicht von seinem Sitz erhoben haben, als Friedrich I. Barbarossa an seiner Burg Kren-
44 KARL-HEINZSPIESS

Daß auch moderne Staaten mit einer geschriebenen Verfassung auf die symbolische
Rangdarstellung achten, erweist ein Blick auf die Praxis der Bundesrepublik Deutschland.
Wie das Bundespräsidialamt auf eine entsprechende Anfrage mitteilte, ist die Reihenfolge
der Verfassungsorgane zwar nicht gesetzlich geregelt, wird aber so gehandhabt, daß nach
dem Bundespräsident nicht der Bundeskanzler, sondern der Präsident des Bundestages
kommt, um die Bedeutung des Parlamentes in unserer Verfassung zu illustrieren 20.
Der Hof des deutschen Königs kannte kein schriftlich fixiertes und streng verbind-
liches Rangsystem, wie es beispielsweise das 842/843 entstandene taktikon des byzanti-
nischen Kaiserhofs mit seinen über 200 Rängen21 oder der Staatskalender eines neuzeit-
lichen Hofes darstellte+, Während diese jedem Mitglied der Hofgesellschaft eine exakt
bestimmte Position in der Hierarchie zuwiesen, gab es am deutschen Königshof nur ein-
zelne Rangstufen, die sich an den kirchlichen Weihegraden, den Ämtern oder dem Heer-
schild orientierten. Der Rangunterschied zwischen einem Erzbischof und einem Bischof
oder zwischen einem Fürsten und einem Grafen ergab sich somit von selbst. Es fehlte
aber - mit Ausnahme der in der Goldenen Bulle getroffenen Regelung für die Kurfür-
sten - eine genauere Einordnung der auf derselben Rangstufe stehenden Würdenträger,
so daß z.B. der Vorrang innerhalb der Gruppe der Erzbischöfe oder der Fürsten am Hof
nicht genau festgelegt war. Hier liegt die Wurzel für die zahlreichen Rangstreitigkeiten,
die im folgenden behandelt werden.
Die ältere Forschung hat das Ringen um eine Position in der Nähe des Königs oder
um den Vortritt bei einer Prozession häufig als bloße Eitelkeit oder peinliche Überbeto-
nung der Etikette abgetan 23. Diese Einschätzung wird jedoch dem höfischen Denken
keinesfalls gerecht, denn die Nähe zum Herrscher bedeutete hohes Sozialprestige und poli-

kingen vorbeiritt. Auch hier lautete die Begründung, daß er auf eigenem freien Grund und Boden
sitze. Ob die Anekdote, die von der Zimmersehen Chronik im Kontext zu der erwähnten Episode
genannt wird, auf einer historischen Begebenheit beruht oder erfunden wurde, ist für unseren Zu-
sammenhang ohne Belang. Vg!. hierzu Arno BORST,Mönche am Bodensee 610-1525, Sigmaringen
1978, S. 174. Zum Besitz der Herren von Krenkingen vg!. Helmut MAURER,Das Land zwischen
Schwarzwald und Randen im frühen und hohen Mittelalter. Königtum, Adel und Klöster als poli-
tisch wirksame Kräfte (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 16),Freiburg i. Br. 1965,
S. 142ff.
20 Brief des Bundespräsidialamtes an den Verfasser vom 11.10.1991.Zum heutigen diplomatischen
Protokoll vg!.Jürgen HARTMANN, Staatszeremoniell, Köln/Berlin/BonnlMünchen 21990.Instruktiv
für die Rangordnung in sozialistischen Staaten ist die für die ehemalige DDR geschriebene Anleitung
von David DREIMANN, Das diplomatische Protokoll, Leipzig 1981, die selbst noch für die Sitzord-
nung im Theater und im Auto Vorschriften enthält.
21 Les listes de preseance byzantines des IX· et X' siecles, hg. von Nicolas OIKONOMIDES, Paris
1972.Deshalb konnten auswärtige Gesandte an ihrem Rangplatz recht gut die Stimmung am byzan-
tinischen Hof einschätzen. So berichtet Liutprand von Cremona, daß er einmal nur den 15. Platz an
der kaiserlichen Tafel erhielt und bei einer zweiten Gelegenheit sogar nach dem bulgarischen Ge-
sandten sitzen sollte, weshalb er erzürnt den Raum verließ. Liutprandi legatio ad imperatorem Con-
stantinopolitanum Nicephorum Phocam, in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit 1992
(wie Anm. 16),S. 534f., 540f.
22 Vgl. HARTMANN 1990 (wie Anm. 20), S. 138H., der S. 327ff. die heute noch gültige, 128 Rang-
stufen umfassende Rangordnung des englischen Hofes wiedergibt.
23 Vgl, z. B. Wilhe1mBEEMELMANS, Der Sessionsstreit zwischen Köln und Aachen, in: Jahrbuch des
Kölnischen Geschichtsvereins 18(1936),S. 65-109, der S. 109den Rangstreit als »kleinliches Gezänke«
RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER 45

tischen Einfluß zugleich. Rang und politische Potenz bedingten somit in der höfischen
Gesellschaft einander-". Wer im Herrschaftssystem Gewicht erlangt hatte, bemühte sich
deshalb nach Kräften, die errungene Position durch einen entsprechenden Rang in der
Hofgesellschaft nach außen hin zu dokumentieren und damit gleichzeitig auch zu sichern.
Zugleich konnte ein hervorragender Rang von seinem Träger politisch und verfassungs-
mäßig instrumentalisiert werden. So erklärt sich in Deutschland und England der An-
spruch des Mainzer Erzbischofs und des Erzbischofs von Canterbury auf die führende
Rolle bei der Königserhebung ", Weiterhin sei auf die Abstimmungsreihenfolge im Reichs-
tag und auf Konzilien verwiesen, die sich an der Sitzordnung orientierte ".
Wurde einem Würdenträger der gewohnheitsmäßig erworbene Rangplatz öffentlich
streitig gemacht, dann verletzte dieser Angriff das Ehrgefühl auf grobe Weise und gefähr-
dete gleichzeitig die politische Stellung. Die Rangkämpfe am Königshof gewähren des-
halb nicht nur einen Einblick in die höfischen Umgangsformen, sondern sie können zu-
gleich als Indikatoren für Machtverschiebungen im politischen System dienen. Um dies
zu illustrieren, soll im folgenden eine vergleichende Analyse von Rangstreitigkeiten durch-
geführt werden.
Ausgewertet wurden Quellenaussagen vom 10. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts,
die über Rangdenken und Rangstreit am Königshof, auf dem Reichstag und auf den Kon-
zilien zu Konstanz und Basel berichten. Die Ergebnisse der Quelleninterpretation wer-
den in fünf Abschnitten vorgestellt. Nach den Rangsymbolen werden Rangkriterien be-
handelt, anschließend die Konfrontationsmechanismen und das Schlichtungsverfahren
vorgestellt, während am Ende einige Bemerkungen zur Funktion und zu den Auswirkun-
gen der Rangstreitigkeiten folgen.
Die Rangsymbole dienen dazu, die errungene Position in einer sozialen Gemeinschaft
der Öffentlichkeit vor Augen zu führen. Geht man von den in den Quellen überlieferten
Streitobjekten aus, dann war im Mittelalter der bei offiziellen Anlässen zugewiesene Sitz-
platz das wichtigste Rangsymbol. Der Sitz in der Nähe des Herrschers führte den Zu-
schauern am besten die hohe Bedeutung einer Persönlichkeit vor Augen 27. Allgemein an-

charakterisiert. Zur Abwertung des »demokrariewidrigen Status- und Prestigedenkens« in der sozio-
logischen Forschung vg!. BERBIG 1981 (wie Anm. 14), S. 205 f. Zum Wandel in der Einschätzung
öffentlicher Rituale in England seit der Mitte unseres Jahrhunderts vg!. Janet L. NELSON, Zur An-
nahme des Herrscherrituals im Frühmittelalter, in: Das Mittelalter - unsere fremde Vergangenheit,
hg. Joachim Kuorr/Harald KLEINSCHMIDT/Peter DINZELBACHER,Stuttgart 1990, S. 117-147, hier
S.117ff.
24 Vg!. GOETZ 1992 (wie Anm. 9), S. 32f.
25 Zur Stellung des Mainzer Erzbischofs vg!. Ulrich STUTZ, Der Erzbischof von Mainz und die
deutsche Königswahl, Weimar 1910. Der seit dem Interregnum auftretende Rangstreit zwischen
Mainz und Köln resultierte aus der Frage, ob die in die Verantwortung des Mainzer Erzbischofs fal-
lende Wahloder die vom Kölner Erzbischof vorgenommene Krönung für die Königserhebung ent-
scheidend war. Hierzu Ernst SCHUBERT,Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich,
in: Zeitschrift für historische Forschung 4 (1977), S. 257-338, hier S. 274f. Für England vg!. Percy
Ernst SCHRAMM,Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung, Weimar 1937.
26 Vg!. AULINGER 1980 (wie Anm. 14), S. 227ff. und August ZELLfELDER,England und das Basler
Konzil (Historische Studien 113), Berlin 1913, S. 98f.
27 Hierzu ausführlich GOETZ 1992 (wie Anm. 9), S. 17 ff.
/

46 KARL-HEINZ SPIESS

erkannt war, daß dem Platz zur Rechten des Königs der erste Rang und dem zur Linken
der zweite Rang zukam ". Schwieriger wurde es schon mit der dritten Rangstelle. In der
Goldenen Bulle stand man vor dem Problem, den Trierer Erzbischof als dritten geistli-
chen Kurfürsten zu plazieren, nachdem die Plätze rechts und links neben dem König be-
reits an Mainz bzw. Köln vergeben waren 29. Als Lösung bot sich der Sitz »gegenüber und
in gerader Richtung vor dem Antlitz des Kaisers« an, während der König von Böhmen
und der Pfalzgraf bei Rhein rechts vom König plaziert waren, der Herzog von Sachsen
und der Markgraf von Brandenburg jedoch die rangniedrigeren Plätze links vom König
nach dem jeweiligen Erzbischof erhielten 30.
In größeren Versammlungen, wie etwa beim Reichstag oder beim Konzil, gab die auf
den Herrscher oder Sitzungspräsidenten ausgerichtete Staffelung der Sitzreihen den Aus-
schlag", Für unsere Fragestellung, wie sich eine soziale Gemeinschaft in der Sitzordnung
präsentierte, eignet sich die in der Vita Godehardi geschilderte Generalsynode von 1027
zu Frankfurt ganz besonders. Der Mainzer Erzbischof, zu dessen Sprengel Frankfurt
gehörte, nahm auf dem Bischofsthron bei dem Hauptaltar in der erhöhten Apsis der Sal-
vatorkirche Platz, d.h. er hatte den östlichsten und damit ehrenvollsten Sitz. Seine Suffra-
ganbischöfe saßen links und rechts von ihm, wobei die Bischöfe nach dem Weihedatum
geordnet wurden. Die Reihung begann auf der rechten Seite des Erzbischofs und setzte
sich dann zwischen rechts und links alternierend fort. Der Rangordnung entsprach auch
die Funktion, da der rechts neben dem Erzbischof sitzende Weiheälteste die Versamm-
lung leitete. Westlich des Chores, dem Erzbischof direkt gegenüber, saß Kaiser Kon-
rad 11.,rechts neben ihm der Erzbischof von Köln, links neben Konrad der weihejüngere
Erzbischof von Magdeburg, worauf wiederum nach absteigendem Weihealter deren Suf-
fragane folgten. Im Süden des Kirchenraums hatten Bischöfe aus anderen Provinzen Platz
genommen, während die Äbte in den rangmäßig am wenigsten angesehenen Norden pla-

28 Vg!. Ursula DEITMARING, Die Bedeutung von Rechts und Links in theologischen und litera-
rischen Texten bis um 1200, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und die deutsche Literatur 98
(1969), S. 265-292. Vg!. auch Reinhard ELzE, Rechts und Links. Bemerkungen zu einem banalen
Problem, in: Das Andere wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke
zum 65. Geburtstag gewidmet, hg. Martin KINTZINGER u.a., Köln/Weimar/Wien 1991, S. 75-82,
der darauf aufmerksam macht, daß die Unterscheidung zwischen Rechts und Links vom jewei-
ligen Standpunkt abhängt. Für den Betrachter ist ja der erste Rangplatz links neben dem König.
Einen interessanten Beleg für die Vertauschung der Sitzseiten bietet WILLICH 1994 (wie Anm. 9),
S.53.
29 Die Zuweisung des rechten Platzes hing vom Tagungsort ab. In der Mainzer Kirchenprovinz
und im Gültigkeitsbereich seines Erzkanzleramtes war der Mainzer Erzbischof bevorzugt, in der
Kölner Kirchenprovinz sowie in Italien und Gallien sein Kölner Amtskollege.
30 WEINRICH 1983 (wie Anm. 16), c. 3, S. 338 ff. Zu den Variationen in der Frühen Neuzeit, die sich
vor allem aus der Anwesenheit kurfürstlicher Gesandten ergaben, vgl. AULINGER1980 (wie Anm. 14),
S.232f.
31 Vg!. AULINGER1980 (wie Anm. 14), S. 227ff.; ZELLFELDERf913 (wie Anm. 26), S. 98f. und Her-
mann HEIMPEL, Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler Konzil. Skizze eines Themas. Aus dem
Nachlaß herausgegeben von Johannes HELMRATH, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für
Erich Meuthen, Bd. 1, hg. Johannes HELMRATH/Heribert MÜLLER, München 1994, S. 1-9, hier S. 2f.
mit der Erläuterung der drei Grundregeln "Oben ist besser als unten, rechts ist besser als links, vorn
ist besser als hintcn«,
RANGDENKEN
UNDRANGSTREITIM MITTELALTER 47

ziert wurden 32. In dieser sorgfältig inszenierten Versammlung spiegelt sich das Selbstver-
ständnis der mittelalterlichen Welt in einzigartiger Weise wider+',
Im Spätmittelalter erwies sich die in anderen Ländern unbekannte Sonderrolle der
Kurfürsten, die sich als Königswähler und als Glieder des Reiches einen quasiköniglichen
Rang beimaßen, häufig als Anlaß für Sessionsstreitigkeiten. Auf dem Konzil zu Basel
saßen die Kurfürsten denn auch anfänglich direkt hinter den königlichen Gesandten, bis
das die Kurfürsten bei weitem an Macht überragende Herzogtum Burgund diesen Platz
erfolgreich für sich beanspruchte ", Als auf dem Reichstag von 1455 die Gesandten des
Königs von Aragon und des Königs von Polen in Gegenwart des Kaisers vor den kur-
fürstlichen Räten sitzen wollten, protestierten diese dagegen mit dem Argument, der Kai-
ser und die Kurfürsten gehörten wie ein Haupt und ein Leib mit seinen Gliedern zusam-
men und seien deshalb bezüglich des Ranges wie eine Person anzusehen 35.
Die Rangplazierung der Sitze wurde ergänzt durch die Reihenfolge in der Prozessi-
on 36 oder den Vortritt an einer Tür37• Ranganzeigend wirkte auch der Vollzug bedeutsa-
mer Handlungen, wie die Krönung des Königs oder das Ausüben von Hofämtern ". Die
Kleidung diente vor allem im kirchlichen Bereich als Rangsymbol; zu nennen ist beson-
ders das erzbischöfliche Pallium, eine über dem Meßgewand zu tragende Wollbinde, das
den Träger im Rang über die anderen Bischöfe stellte?". Im weltlichen Bereich ist erst seit
der Mitte des 15. Jahrhunderts ein spezifischer Kurfürstenornat nachweisbar i'',

32 MGH SSXI, c. 31, S. 190.


33 Vg!. die Interpretation der Sitzordnung von 1027 bei FICHTENAU 1984 (wie Anm. 2), S. 33ff. Zur
Synode selbst vg!. Heinz WOLTER,Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis
1056,Paderborn/München/Wien/Zürich 1988,S. 332H.
34 Hierzu Hermann HEIMPEL,Eine unbekannte Schrift über die Kurfürsten auf dem Basler Konzil,
in: Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem
65. Geburtstag, hg. Lutz FENsKE/WernerRössxas/Thomas ZOTZ,Sigmaringen 1984,S. 469-482.
35 Johann Daniel von OLENSCHLAGER, Neue Erläuterung der Goldenen Bulle Kaysers Carls
des IV.,Frankfurt/Leipzig 1766,S. 120H.
36 Vg!. z.B. THIETMARVONMERSEBURG, Chronik, hg. Werner TRILLMICH(Ausgewählte Quellen
zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 9), Darmstadt
1992 , 11, 30, S. 67: »Wie gewöhnlich an allen Festtagen ließ er sich in prunkvoller Prozession von
Bischöfen und anderen Priestern ihrem Range nach [... ] in die Kirche geleiten.« Zur Prozessionsord-
nung der Kurfürsten siehe WEINRICH1983 (wie Anm. 16), c. 21, 22, S. 372ff. Die ohnehin schwierige
Sitzordnung auf dem Konzil zu Basel wurde durch die Prozessionsordnung der Konzilsteilnehmer
zusätzlich kompliziert. Vg!. ZELLFELDER 1913(wie Anm. 26), S. 112 ff.
37 Vg!. Margarete DUEBALL, Der Suprematstreit zwischen den Erzdiözesen Canterbury und York
1070-1126. Ein Beitrag zur Geschichte der englischen Kirche im Zeitalter des Gregorianismus
(Historische Studien 184),Berlin 1929,S. 103.
38 WEINRICH1983(wie Anm.16), c. 27 S. 384ff. Zu den von den Kurfürsten ausgeübten Hofämtern
sind noch weitere fürstliche Ehrenämter bezeugt, wie z. B. das Recht, die königliche Krone zu tra-
gen, die kaiserliche Adlerfahne zu halten oder das königliche Pferd am Zügel zu führen. Vg!. hierzu
KRIEGER1986(wie Anm. 5), S. 100.
39 Zusätzlich zu der in Anm. 5 und 9 aufgeführten Literatur vg!. Helmut BEUMANN, Zu den Ponti-
fikalinsignien und zum Amtsverständnis der Bischöfe von Halberstadt im hohen Mittelalter, in:
Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt 18 (1994), S. 9-49.
40 Ursula BEGRICH,Die fürstliche -Majestät- Herzog Rudolfs IV, von Österreich. Ein Beitrag zur
Geschichte der fürstlichen Herrschaftszeichen im späten Mittelalter, Wien 1965,S. 43H.
48 KARL-HEINZSPIESS

Weniger auf die Öffentlichkeit ausgerichtet, dafür aber dauerhaft dokumentiert waren
die in der Reihenfolge des Ranges aufgestellten Zeugenlisten in Urkunden oder die Teil-
nehmerlisten größerer Versammlungen 41. Die Rangfrage wurde darüber hinaus praktisch
in jedem Schriftstück akut, da sich der jeweilige Rang bei der Anrede oder der Aufzäh-
lung von Personen äußerte42• Dies führte bei aktuellen Auseinandersetzungen zu erhebli-
chen Schwierigkeiten. Auf dem Wormser Reichstag von 1497 z.B. war der schon länger
schwelende Sessionsstreit zwischen den fürstlichen Häusern Baden und Hessen in eine
Phase geraten, in der man die Entscheidung des abwesenden Kaisers suchte. Das Schrei-
ben an Maximilian konnte zunächst aber gar nicht abgefertigt werden, weil keine Partei
dulden wollte, daß die andere bei der Darlegung des Sachverhalts zuerst genannt wurde.
Schließlich einigten sich die Kontrahenten auf die Lösung, beide Parteien im Schriftsatz
mit N zu bezeichnen und dem Brief zwei Zettel mit den Namen der Streithähne beizu-
legen ",
War ein Rangstreit ausgebrochen, dann versuchten beide Parteien, ihren Anspruch zu
begründen. Die dabei ausgetauschten Argumente geben Aufschluß über die Rangkriteri-
en, die als zweiter Punkt behandelt werden sollen. Im kirchlichen Bereich nennen die
Quellen eine ganze Reihe von Ordnungsprinzipien. So reihte ein Rangmodell die Bischö-
fe nach dem Weihealter, ein anderes nach dem Alter des Bistums ein44• Hätte man nun ei-
nes dieser Kriterien für verbindlich erklärt, dann wäre eine auf objektiven Maßstäben ba-
sierende eindeutige Rangfolge entstanden.". Sie wurden aber als gleichberechtigt angese-
hen und im Einzelfall sogar durch päpstliche Rangprivilegien außer Kraft gesetzt, die

41 Grundlegend Julius FICKER,Vom Reichsfürstenstande. Forschungen zur Geschichte der Reichs-


verfassung zunächst im 12. und 13.Jahrhunderte, Bd. 1, Innsbruck 1861, S. 156ff., der S. 164 fest-
stellt, ,.daß es Regeln gab, nach welchen sich mindestens für die angeseheneren Zeugen genau
die Stellung bestimmen ließ, welche sie ihrem Range gemäß einzunehmen hatten«, Vg!. weiterhin
Heinrich FICHTENAU, Die Reihung der Zeugen und Konsentienten, in: DERs.,Beiträge zur Mediävi-
stik, Bd. 3, München 1986, S. 167-185; Franz MARTIN,Der Rang der Salzburger Suffraganbischöfe.
Eine Zeugenreihenstudie, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichte 52 (1938),
S. 157-169; Wilhe1mWEGENER,Zeugenreihen deutscher Königs- und Kaiserurkunden als Quellen
für die Stellung der Herzöge und Könige von Böhmen im deutschen Königreich des hohen Mittel-
alters, in: Zeitschrift für Ostforschung 6 (1957), S. 223-245. Bei den Teilnehmerlisten größerer Ver-
sammlungen sind in erster Linie Synodalprotokolle zu nennen. Vg!. z. B. die Akten der Ingelheimer
Synode von 948 und die Interpretation der darin erkennbaren Rangordnung in MGH Con cilia VI, 1,
Nr. 13, S. 135ff. . .-.
42 Zum Briefverkehr vg!. Wolfgang MICHAEL,Die Formen des unmittelbaren Verkehrs zwischen
den Deutschen Kaisern und souveränen Fürsten vornehmlich im 10., 11.und 12.Jahrhundert, Ham-
burg/Leipzig 1888, S. 73 H. sowie Briefsteller und Formelbücher des 11. bis 14.Jahrhunderts, be-
arbeitet von Ludwig ROCKINGER, ND New York 1961,S. 360ff.
43 RTA, Mittlere Reihe, VI, Nr. 98, S. 186 (Ausbruch des Streits auf dem Reichstag zu Lindau 1496),
Nr. 26, 27, S. 392ff. (Versuch der Beilegung auf dem Reichstag zu Worms); Frankfurts Reichscorre-
spondenz nebst andern verwandten Aktenstücken von 1376-1519, hg. Johannes ]ANSSEN,Bd. 2, 2,
Freiburg i. Br. 1872,Nr. 769, S. 606£.
44 Vg!. FICKER1861 (wie Anm. 41), S. 170ff. und FICHTENAU 1984 (wie Anm. 2), S. 18H.
45 MARTIN1938(wie Anm. 41), S. 160f. hat auf die eigenartige Rangordnung der Salzburger Suffra-
ganbistümer aufmerksam gemacht. Während bei den älteren die Bischöfe nach ihrem Weihealter ge-
reiht wurden, war bei den jüngeren Suffraganen Gurk, Chiemsee, Seckau und Lavant das Bistums-
alter maßgebend.
RANGDENKEN
UNDRANGSTREITIM MITTELALTER 49

sowohl ad personam als auch ad sedem vergeben wurden.". Als weitere Reihungsmaß-
stäbe sind zu nennen die Ortszuständigkeit eines Bischofs"? und seine Personlichkeit U,
die sich allerdings einer objektiven Beurteilung entzog.
Diese miteinander konkurrierenden Ordnungsprinzipien sorgten für reichlichen Kon-
fliktstoff unter den geistlichen Würdenträgern. Am bekanntesten sind die Auseinander-
setzungen der drei rheinischen Erzbischöfe um den ersten Platz am Königshof. Schon bei
der Krönung Ottos 1. 936 in Aachen stießen drei Rangkriterien aufeinander: Der Trierer
Erzbischof machte das Alter seines Bistums geltend, der Kölner wollte den König krönen,
weil Aachen in seiner Kirchenprovinz lag und er damit der zuständige Metropolit war,
doch obsiegte schließlich der Mainzer dank seiner allseits anerkannten persönlichen Wür-
de49• 1054 prallten die Ansprüche von Mainz und Köln bei der Königskrönung Heinrichs
IV. in Aachen wieder aufeinander. Mainz hatte sich unter Willigis 975 den Vorrang im
deutschen Episkopat von Papst Benedikt VII. verbriefen lassen 50und beanspruchte des-
halb das Krönungsrecht, das den sichtbaren Ausdruck der Spitzenstellung am Hof dar-
stellte. Diesmal behielt jedoch Erzbischof Hermann von Köln die Oberhand, weil Kaiser
Heinrich Ill. das Rangkriterium der vornehmen Abkunft Hermanns - er war ein Neffe
Kaiser Ottos Ill. - und der Ortszuständigkeit für diesen sprechen ließ.51

46 Vikariatsernennungen erfolgten ad personam, der Primat wurde ad sedem verliehen. Vgl. hierzu
BOSHOF1978(wie Anm. 9), S. 20f.
47 Die Ortszuständigkeit wurde beispielsweise in der Goldenen Bulle als Rangkriterium zwischen
Mainz und Köln eingesetzt. Siehe Anm. 29.
48 So berichtet Richer, dem Erzbischof Rotbert von Trier sei auf einer Synode die Leitung der Ver-
handlung aufgrund seines auf Gelehrsamkeit und Beredsamkeit beruhenden Ansehens übertragen wor-
den ([... ] eo quod divinarum et humanarum uerum scientia et eloquentiae efficatia insignissimus hahe-
retur.), während es an anderer Stelleheißt, der Erzbischof Seguin von Senssei zur Leitung einer Synode
bestimmt worden, weil er sich durch seinen tugendhaften Lebenswandel und sein ehrwürdiges Alter
dazu am besten empfohlen habe ([... ] eo quod aetatis reverentia, et vitae merito plurimum commenda-
retur). RICHERIhistoriarum libri IV, MGH SS3, S. 561-657, hier II, c. 70, S. 603 und IV, c. 52, S. 644.
49 Die Sachsengeschichte des WIDUKINDVONKORVEI,in: Quellen zur Geschichte der sächsischen
Kaiserzeit, bearbeitet von Albert Bausn/Reinhold RAu (Ausgewählte Quellen zur deutschen Ge-
schichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 8), Darmstadt 41992,S. 16-183, hier
II, 1, S. 84ff. Zur Einschätzung von Widukinds Bericht vg!. Johannes FRIED,Der Weg in die Ge-
schichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024(Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994,
S. 481 H.
50 Zu dieser vieldiskutierten Urkunde, die im Kontext mit Privilegien für die anderen Metropoliten
zu sehen ist und von Helmut Beumann als Primatsverleihung angesehen wurde, mittlerweile aber als
Vikariatsbestätigung gilt, vg!. BEUMANN1969 (wie Anm. 9), S. 405; Eugen EWIG,Kaiserliche und
apostolische Tradition im mittelalterlichen Trier, in: DERs.,Spätantikes und frankisches Gallien. Ge-
sammelte Schriften, Bd. 2, hg. Helmut ATSMA(Beihefte der Francia 312), München 1979, S. 51-90,
hier S. 84f.; BOSHOF1978 (wie Anm. 9), S. 33f.
51 LAMPERTVONHERSFELD,Annalen, neu übersetzt von Adolf SCHMIDT,erläutert von Wolf-
gang Dietrich FRITZ(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom
Stein-Gedächtnisausgabe 13),Darmstadt 1973,c. 64, S. 54: Imperatoris filius Heinricus consecratus est
in regem Aquisgrani ab Herimanno Coloniensi archiepiscopo, vix et aegre super hoc impetrato con-
sensu Liupoldi archiepiscopi, ad quem propter primatum Mogontinae sedis consecratio regis et caetera
negociorum regni dispositio potissimum pertinebat. Sed imperator pocius Herimanno archiepiscopo
hoc privilegium vendicabat propter claritatem generis eius, et quia intra diocesim ipsius consecratio
haec celebranda contigisset.
50 KARL-HEINZ SPIESS

Während also bei Rangstreitigkeiten geistlicher Fürsten potentiell objektivierbare


Kriterien, wie Weihealter oder Zuständigkeit, zum Einsatz kamen, fehlten diese im weltli-
chen Bereich. Das Argument, man müsse den Vorrang haben, weil man ihn bei früheren
Anlässen auch schon gehabt habe, wog zwar schwer in einer von der Gewohnheit be-
stimmten Zeit, doch war man dann vom guten Gedächtnis der Zeitgenossen abhängig. Als
die Burgunder auf dem Basler Konzil behaupteten, sie und nicht die Kurfürsten hätten auf
dem Konstanzer Konzil hinter den königlichen Gesandten gesessen, wurden die 33 anwe-
senden Prälaten befragt, die bereits 18 Jahre zuvor in Konstanz dabei gewesen waren. Die
Mehrheit von ihnen erinnerte sich genau, daß Burgund im Recht war - übrigens ein Beleg
dafür, wie tief sich eine Sitzordnung bei den Zeitgenossen einprägte52•
Konnte oder wollte man nicht auf einen Präzedenzfall zurückgreifen, dann suchte
man sein Heil in zum Teil weit hergeholten Argumenten. England begründete auf dem
Basler Konzil seinen Anspruch auf Vorrang vor Kastilien unter anderem damit, daß die
englischen Könige früher getauft worden seien als die kastilischen, daß Kaiser Konstantin
der Große aus dem englischen Königshaus stamme und in York geboren sei, daß der eng-
lische König am Haupt gesalbt werde, der kastilische aber ein Stockwerk tiefer an den
Schultern USW.53
Daß auch Städte Rangkriterien entwickelten, belegt der auf dem Reichstag zu Regens-
burg 1454 ausgebrochene Sitzstreit zwischen Aachen und Köln 54. Aachen beanspruchte
den Vorrang vor Köln aufgrund eines von Friedrich Barbarossa 1166 ausgestellten Privi-
legs, wonach es als prima sedes und regni caput zu gelten habe, während Köln sein Alter,
seine Qualität als Bischofssitz, seine Bevölkerungszahl und schließlich die Gebeine der
Heiligen Drei Könige sowie der Elftausend Jungfrauen ins Feld führte55• Aachen berief
sich unbeirrt auf sein Barbarossadiplom und griff zusätzlich zu einem verfassungsge-
schichtlichen Argument. Es sei nämlich unmittelbar dem Reich zugehörig, während Köln
lange Zeit einen erzbischöflichen Stadtherrn gehabt habe und erst später direkt zum Reich
gekommen sei. Da mit Hilfe dieser Rangkriterien keine Entscheidung herbeizuführen
war, kam es im 16.Jahrhundert zwischen den beiden Städten sogar zu einem Prozeß vor
dem Reichshofrat, der allerdings ohne Urteil eingestellt wurde56•

52 Vg!. HEIMPEL 1984 (wie Anm. 34), S. 469f., 475 mit dem Hinweis, daß der durch die Zeugen be-
wiesene Präzedenzfall die Hauptgrundlage für den schließlich durchgesetzten burgundischen Vor-
rang vor den Kurfürsten darstellte.
53 Vg!. den Abdruck der englischen Denkschrift bei ZELLFELDER1913 (wie Anm. 26), S. 284ff.
und HEIMPEL1994 (wie Anm. 31), S. 5 mit der Aufzählung der »bizarrsten« Gegenargumente der
Kastilier. Zum Rückgriff auf die Geschichte als Argument in einem Rangstreit vg!. HEIMPEL 1984
(wie Anm. 34), S. 480f.; HELMRATH 1993 (wie Anm. 9), S. 726ff.; DERs., Das Basler Konzil
1431-1449. Forschungsstand und Probleme (Kölner Historische Abhandlungen 32), Köln/Wien
1987, S. 325 f.
54 Die ältere Untersuchung von BEEMELMANs1936 (wie Anm. 23) wird ergänzt durch HELMRATH
1993 (wie Anm. 9), der sich besonders mit der Kölner Partei beschäftigt und die Auseinandersetzun-
gen im 15. Jahrhundert im Blick hat, während die erstgenannte Studie von dem 1571 begonnenen
Prozeß vor dem Reichshofrat ausgeht. Zwischen den Städten Konstanz und Ulm wurde 1521 eben-
falls ein Sessionsstreit ausgefochten. RTA, Jüngere Reihe, II, Nr. 106, S. 752f.
55 Zu diesen und weiteren Argumenten Kölns ausführlich HELMRATH1993 (wie Anm. 9), S. 726ff.
56 Vg!. BEEMELMANS1936 (wie Anm. 23), S. 104ff.
RANGDENKEN
UNDRANGSTREITIM MITTELALTER 51

Die Analyse der Rangkriterien hat gezeigt, daß im Mittelalter persönlicher und insti-
tutioneller Rang der Kirchenfürsten zueinander in einem eigenartigen Spannungsverhält-
nis standen. Mochte auch die persönliche Würde, wie bei den Krönungen von 936 und
1054, gelegentlich den Ausschlag geben, so ging doch die Tendenz dahin, den einmal er-
reichten Rangplatz zu institutionalisieren, d.h. über die Person hinaus für das Bistum zu
festigen. Unterstützt wurde dieses Bestreben durch die Existenz transpersonaler Rang-
kriterien, wie das Bistumsalter oder ad sedem verliehene Primatsprivilegien. Zur Durch-
setzung dieser Privilegien gegenüber den Rangkonkurrenten bedurfte es aber wiederum
dynamischer Persönlichkeiten mit entsprechendem machtpolitischen Einfluß, bis schließ-
lich ein Punkt erreicht war, bei dem ein Rivale selbst unter günstigen Bedingungen an der
gesicherten Rangkonstellation nichts mehr ändern konnte'",
Im weltlichen Bereich war es für den König im Frühmittelalter noch relativ leicht, durch
die Vergabe herausragender Ämter als Belohnung für persönlichen Einsatz die Rangordnung
der Großen willkürlich zu verändern, bis die Anerkennung der dynastischen Erbfolge im
Hochadel seit dem 10. Jahrhundert den Spielraum des Königs stark einengte'". Die Erblich-
keit der Fürstentümer und Grafschaften führte zu einer weitgehenden Festschreibung der
Rangordnung im Reich, die vom König nur bei dem Ledigwerden einer Herrschaft oder
durch gezielte Gunsterweise, wie Vergabe eines Titelherzogtums oder Standeserhebungen,
im Einzelfall verändert werden konnte'". Mit der rangmäßigen Heraushebung der Kurfür-
sten in der Goldenen Bulle setzte sich allerdings noch einmal eine Gruppe von den restlichen
Fürsten ab. Während die Kurfürsten auf internationalen Schauplätzen ausländische Rang-
konkurrenten abwehren mußten, legten innerhalb des Fürstenstandes die erblich geworde-
nen Titel und Ämter die Hierarchie zwar prinzipiell fest60, doch versuchten immer wieder
einzelne Fürsten auf ihrer Ebene bessere Rangplätze zu erreichen.f Als Kriterien werden da-
bei zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Alter eines Fürsten oder eines Fürstentums, einschlä-
gige Präzedenzfälle oder gar die Innehaltung der größeren Machtposition genannt62•

57 Dies macht BOSHOF1978(wie Anm. 9), S. 47 am Beispiel Triers deutlich.


58 Hierzu ausführlich Gerd ALTHOFF,Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellen-
wert der Gruppenbindungen im früheren Mittelalter, Darmstadt 1990, S. 167ff.
59 Vg!. Günther ENGELBERT, Die Erhebungen in den Reichsfürstenstand bis zum Ausgang des Mit-
telalters, Phi!. Diss. (masch.), Marburg 1948; Karl HEINEMEYER, König und Reichsfürsten in der
späten Salier- und frühen Stauferzeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122(1986), S. 1-40.
60 Vgl. HEINEMEYER 1986 (wie Anm. 59), S. 37f.; KRIEGER1986 (wie Anm. 5), S. 94H.
61 Vg!. Peter MORAw,Fürstentum, Königtum und »Reichsreform« im deutschen Spätmittelalter, in:
Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986),S. 117-136, hier S. 119mit dem Hinweis, daß in der
Verfassungswirklichkeit »Fürst und Fürst sich voneinander außerordentlich unterscheiden konn-
ten". Vg!. auch DERs.,1292 und die Folgen. Dynastie und Territorium im hessischen und deutschen
Spätmittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129 (1993), S. 41-62. In diesem Kontext sei
erwähnt, daß in Greifswald ein Projekt zur Erforschung der sozialen Schichtung innerhalb des
Reichsfürstenstandes begonnen worden ist.
62 Das Argument des höheren Alters und der größeren Macht begegnet in den Sessionsstreitig-
keiten der Wittelsbacher untereinander auf dem Reichstag von 1521. RTA, Jüngere Reihe, Bd. II,
Nr. 104, S. 748. Weitere Belege bei Johannes VOIGT,Zwölf Briefe über Sitten und soziales Fürsten-
leben auf den deutschen Reichstagen. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des 16.Jahrhunderts, in: Histori-
sches Taschenbuch, hg. von Friedrich von RAUMER, 3. Folge, 2. Jahrgang, Leipzig 1850, S. 314H.; vg!.
AULINGER1980 (wie Anm. 14), S. 241H. und LUTTENBERGER 1987 (wie Anm. 14),S. 311f.
52 KARL-HEINZSPIESS

Die Habsburger und die bayerischen Wittelsbacher, die im 14. Jahrhundert von den
vordersten Rangplätzen ausgeschlossen worden waren, aber im 15. Jahrhundert einen
großen Machtzuwachs erreicht hatten, litten beispielsweise sehr darunter, daß sie nicht
zum Kreis der rangmäßig stark abgehobenen Kurfürsten zählten, und versuchten deshalb,
sich durch Fälschungen oder gezielte Rangkämpfe den Kurfürsten anzunähern und sich
von ihren Fürstengenossen abzugrenzen'", Auch das im Spätmittelalter neu in das euro-
päische Mächtekonzert aufgestiegene Burgund stritt aggressivauf Konzilien und Reichs-
tagen für einen seiner quasi-königlichen Stellung angemessenen Rangplatz+'. Umgekehrt
äußerte sich die Isolation Englands auf dem Baseler Konzil in zahlreichen Sessionsstrei-
tigkeiten, die vor allem von Kastilien ausgingen+'. Es waren also in erster Linie Verände-
rungen im Machtsystem, die den Konfrontationsmechanismus in Gang setzten, der im
nächsten Abschnitt behandelt werden soll.
Aus der Analyse der Rangstreitigkeiten geht hervor, daß die Konfrontationen einem
bestimmten Muster folgten. Da Rangplatz und Ranganspruch unter den Konkurrenten
auf der gleichen Rangstufe bestens bekannt waren, gab es kaum jemals »zufallige« Rang-
kämpfe, sondern diese wurden meist sorgfältig geplant und vorbereitet=. Der von dem
Abt zu Fulda verfochtene Anspruch, nach dem Mainzer Erzbischof den höchsten Rang-
platz bei Konzilien und Mainzer Hoftagen einzunehmen'", stieß im 11. und 12. Jahrhun-
dert bei den Reichsbischöfen auf erbitterten Widerstand, weil das Ansehen des Klosters

63 Vgl, AULINGER 1980(wie Anm. 14), S. 235ff.; WILLICH1994(wie Anm. 9), S. 27ff., der S. 32f. er-
läutert, daß das gefälschte Privilegium maius, mit dem Herzog Rudolf IV.sich bereits in der Mitte des
14. Jahrhunderts rangmäßig an die Kurfürsten anschließen wollte, seit der Erlangung des Königs-
throns durch die Habsburger diesen als ein wichtiges Instrument für diesen Zweck diente. Zum Pri-
vilegium maius vg!. BEGRICH1965 (wie Anm. 40) und zuletzt Peter MORAW,Das lOPrivilegium
rnaius« und die Reichsverfassung, in: Fälschungen im Mittelalter, Bd. 3 (Schriften der MGH 33),
HannoverI988,S.201-224.
64 Vgl, HEIMPEL1984 (wie Anm. 34); HELMRATH 1987(wie Anm. 53), S. 322ff. und oben S. 14.
65 Vgl, ZELLFELDER 1913(wie Anm. 26), S. 97ff. und HEIMPEL(wie Anm. 31), S. sf.
66 Zusätzlich zu den folgenden Beispielen sei auf einen durch Johann von Viktring überlieferten
Rangstreit von 1292 zwischen Mainz und Köln verwiesen. Der Mainzer Erzbischof, der einen her-
ausgehobenen Rangplatz beanspruchte, ließ vorsorglich seinen Stuhl bewachen, doch konnten die
Helfer des Mainzers nicht einen Angriff des Kölner Gefolges vereiteln: Moguntino presuli suum ses-
sorium quoad pompam seculi excelsius eleuatur et, ne destruatur, a suis satellitibus obseruatur: Et ecce
potencialius Coloniensi episcopi metatores adveniunt, locum hunc esse sui domini asserunt, custodes
Moguntini presulis amoventes subsellia deieiunt et pervertunt. grandisque altercaeio inter utrosque
pontifices et eorum populum est exorta, ita ut con cordia in discordiam uerteretur; et preualente Colo-
niense Moguntinus quod disposuit non perfecit. JOHANNVONVIKTRING, Liber certarum historiarum,
Bd. 1, hg. Fedor Schneider (MGH SS in usum scholarum), Hannover/Leipzig 1909, S. 309. Zu einem
1310 erfolgten Rangstreit zwischen Mainz und Köln, den der König und daher sicher auch die Kon-
trahenten vorhergesehen hatten, siehe Anm. 81.
67 LAMPERTvoNHERSFELD (wie Anm. 51), S. 76: Consuetudo erat in regno per multos retro maiores
observata, ut semper in conoentu episcoporum abbas Fuldensis archiepiscopo Mogontino proximus
assideret. Ähnlich ARNOLDIchronica Slavorum, MGH SS 21, S. 152: Fuldensis ecclesia hanc habet
praerogativam ab antiquis imperatoribus traditam, ut quotiescumque Moguntiae generalis curia cele-
bratur, domnus archiepiscopus huius sedis a dextris sit imperatoris, abbas Fuldensis sinistram eius
teneat. Der Ausspruch gründete sich auf eine sehr weitgehende Interpretation des 969 an Fulda ver-
liehenen Papstprivilegs, bei Abtsversammlungen in Gallien oder Germanien vor den übrigen auf dem
RANGDENKEN
UND RANGSTREITIM MITTELALTER 53

längst nicht mehr mit dem gestiegenen Einfluß des Reichsepiskopats Schritt halten konn-
te68• Als König Heinrich IV. 1062 das Weihnachtsfest zu Goslar feierte, kam es zum Streit,
weil der Bischof Hezilo von Hildesheim als der zuständige Ortsbischof den vom Fuldaer
Abt beanspruchten Sitz neben dem Mainzer Erzbischof haben wollte. Die Auseinander-
setzung begann mit Scheltworten und Faustschlägen, hätte aber blutig geendet, wäre
nicht der Herzog von Bayern zugunsten des Abtes eingeschritten. Der Bischof sann auf
Rache und als sich der Königshof an Pfingsten des nächsten Jahres wieder in Goslar ver-
sammelte, ließ er die Stühle erneut zu seinen Gunsten aufstellen. Wie erwartet brach ein
Tumult aus, auf den der Bischof gut vorbereitet war, denn er hatte eine Schar kampfberei-
ter Krieger hinter dem Altar versteckt, die auf sein Zeichen hin aufsprangen und auf die
Fuldaer Leute erst mit Knüppeln, dann mit Schwertern losgingen und so den Sieg davon-
trugen69•
Wer einen Rangstreit plante, tat also gut daran, mit einem großen Gefolge auf dem
Hoftag zu erscheinen, auf dem der Zusammenstoß erfolgen sollte. Der Kölner Erzbischof
Philipp von Heinsberg, der auf dem berühmten Mainzer Hoftag von 1184 den immer
noch schwelenden Sitzstreit mit Fulda zu seinen Gunsten entscheiden wollte, hatte sich
sogar mit einer Begleitung von angeblich 4000 Mann gerüstet. Als der Abt von Fulda auf
seinem althergebrachten Rangplatz bestand, war Barbarossa zuerst geneigt, ihm nachzu-
geben. Erzbischof Philipp von Köln wollte daraufhin erzürnt den Mainzer Hoftag verlas-
sen, worauf die wichtigsten Kölner Vasallen sich anschickten, ihm zu folgen. Dem Kaiser
gelang es nur mit Mühe, den Oberhirten zu beruhigen, und er bewog den Abt, sich auf ei-
nen niedrigeren Platz zu setzen, was dieser nicht »ohne Scham- taeo.
Wie wir gesehen haben, provozierte jeder Rangstreit eine heftige Reaktion des Ange-
griffenen, da dieser seine Ehre und Würde in aller Öffentlichkeit verletzt sah. Schlug der
Herausgeforderte nicht sofort mit schärfsten Mitteln zurück, drohte er sein Gesicht und
seinen Rang zu verlieren. In der Regel kam es deshalb auf der Stelle zu einem ungestümen
Gefühlsausbruch des Angegriffenen, dem dann häufig Tätlichkeiten zwischen den An-

ersten Platz zu sitzen. Vgl. Konrad LÜBEcK,Der Primat der Fuldaer Äbte im Mittelalter, in: Zeit-
schrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 33 (1944), S. 277-301; Edmund E. STENGEL,
Primat und Archicancellariat der Abtei Fulda. Ein Kapitel bonifatianischer Tradition, in: DERs.,Ab-
handlungen und Untersuchungen zur Hessischen Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen
Kommission für Hessen und Waldeck 26), Marburg 1960, S. 312-334; FICtiTENAU 1984 (wie Anm. 2),
S.30ff.
68 Zur Neubewertung der Bischofsstellung, die sich auch in einer Umprägung des vorher mön-
chisch orientierten Bischofsideals niederschlug, vgl, Odilo ENGELS,Der Reichsbischof in ottonischer
und frühsalischer Zeit, in: Beiträge zu Geschichte und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra,
hg. Irene CRUSIUS(Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 93), Göttingen
1989, S. 135-175 und DERs.,Das Reich der Salier-Entwicklungslinien, in: Die Salier und das Reich,
Bd. 3, hg. SeefanWEINFURTER, Sigmaringen 1991, S. 479-541, hier S. 514ff.
69 Die Quellen werden ausführlich analysiert von STENGEL 1960 (wie Anm. 67), S. 322ff.; Konrad
LÜBEcK,Der kirchliche Rangstreit zu Goslar, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschich-
te 19 (1942), S. 96-133; GOETZ1992 (wie Anm. 9), S. 25ff. Vgl. auch die Musterinterpretation von
Lamperts Bericht bei GOETZ,Proseminar Geschichte: Mittelalter, Stuttgart 1993, S. 236 ff.
70 Vg!. ARNOLDIchronica Slavorum (wie Anm. 67), S. 90. Bemerkenswerterweise argumentierte
Erzbischof Philipp gegen die Bevorzugung des Fuldaer Abtes mit seinen herausragenden Leistungen
für den Kaiser: Ecce in servitio oestro consenui, et certamen, quod pro vobis certavi, testantur cani
54 KARL-HEINZ SPIESS

hängern der beiden Parteien folgten 71. Gelegentlich blieb auch der Rangträger selbst nicht
unbehelligt. Als auf dem Konzil zu Westminster von 1176 zwischen den ständig rivalisie-
renden Erzbischöfen von Canterbury und York ein Streit darüber ausbrach, wer rechts
neben dem päpstlichen Legaten sitzen sollte, warf das geistliche und weltliche Gefolge des
Erzbischofs von Canterbury dessen Amtsbruder aus York zu Boden, zerriß seinen Bi-
schofsornat, schlug ihn mit Fäusten und trampelte solange auf ihm herum, bis er halbtot
gerettet werden konnte72•
Es gab außer Gewalt und schärfsten Protesten übrigens noch eine probate Waffe, sich
gegen eine Rangverletzung zu wehren. Sie bestand im Lächerlichmachen des Gegners.
Graf Michael von Wertheim zahlte einem prächtig ausstaffierten, böhmischen Adeligen,
der dem einfach gekleideten Grafen am Königshof Maximilians I. nicht den gebührenden
Vortritt ließ, diese Anmaßung heim, indem er ihm auf höchst derbe Weise das Gewand
beschmutzte ". Damit erreichte er, daß der Adelige im Angesicht des Königs dem Gespött
des ganzen Hofes preisgegeben wurde, und hatte so seine Genugtuung erlangt. Nicht
ganz so grob, aber genauso wirkungsvoll parierte Kurfürst Johann von Sachsen auf dem
Augsburger Reichtstag von 1530 den Vorstoß eines Herzogs von Bayern, der sich erlaub-
te, auf einer Bank neben dem Kurfürsten Platz zu nehmen. J ohann stand zunächst nur auf
und protestierte, ließ aber für die nächste Sitzung die Bank des Bayern ansägen und den
Teppich wieder darüberlegen, so daß der Herzog unter dem Gelächter der Reichstags-
besucher mit der Bank zu Boden stürzte/",

capitis me, in periculo vite mee. Et quod maius est, proch dolor! anime mee tribulationes et angustias
multas transivi, nee aliquando pro honore imperii mihi vel rebus meis peperci. Zum Rangstreit Von
1184 vgl. STENGEL1960 (wie Anm. 67), S. 377f.; GOETZ 1992 (wie Anm. 9), S. 29ff.
71 Einige Beispiele mögen dies belegen. Auf der Synode zu Pöhlde 1001 gab es Streit um den Sitz-
platz des päpstlichen Legaten: Sed postquam ad eoncilium uentum est, vu dici poterit, quanta seditio-
ne et tumultu agitaretur. N am nee locus sessionis vicario apostolici idoneus coneeditur, horribilis strepi-
tus ingeminatur, ius fasque eontempnitur, canonica disciplina annullatur. Vita Bernwardi, in: Lebens-
beschreibungen einiger Bischöfe des 10.-12. Jahrhundert, übersetzt von Hatto Kallfelz (Ausgewählte
Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 22)
Darmstadt 1973, c. 28, S. 324. Bei einem Rangstreit zwischen dem Abt von Fulda und dem Erzbi-
schof von Magdeburg anläßlich der Kaiserkrönung Lothars Ill. am 4. 6. 1133: Ipse eodem die cons-
ecrationis orta est dissensio inter ministros ipsius ahhatis et archiepiscopi Magdehurgensis de primatu
sedendi; cum que pro hac re vicissim prope usque ad effusionem sanguinis alterearentut [... ) Abdruck
bei Stengel1960 (wie Anm. 67), S. 324f. Vg!. weiterhin Anm. 66 und die von ZELLFELDER1913 (wie
Anm. 26), S. 157f. geschilderten Handgreiflichkeiten auf dem Konzil zu Basel.
72 Councils and Synods. With other Documents Relating to the English Church, Bd. 1: A.D.
871-1204, ed. D. WHITELocKlM. BRETT/C.N.L. BRooKE, Oxford 1981, S. 998 f.: [... ) orta est dira lis
et eontencio inter predictos archiepiscopos quis illorum sederet a dextris ipsius cardinalis. Volehat enim
Ricardus Cantuariensis archiepiscopus a dextris ipsius sedere, et dice hat hoc de iure pertinere dignitati
ecclesie Cantuar[iensis). Sed Rogerus Eboracensis archiepiscopus contradicebat, asserens sedem illam
suam esse debere de antiquo iure ecclesie sue. Et dum ita contenderent irruerunt in Rogerum Ehora-
censium archiepiscopum monachi et seruientes, qui cum Cantuariensi archiepiscopo uenerunt, et ar-
repto illo pronum in terram proieeetunt et pedibus suis conculcaverunt, et crebris ictibus ceciderunt
eum, et cappam qua indutus fuerat fregerunt. Sed tandem semimortuus vu e manihus eorum ereptus
est. Der Vorfall wird kurz erwähntvon DUEBALL1929 (wie Anm. 37), S. 102f.
73 Die Chronik der Grafen von Zimmern (wie Anm. 18), Bd. 2, Sigmaringen 31981, S. 94f.
74 Vgl. VOIGT 1850 (wie Anm. 62), S. 319f. undAuLINGER 1980 (wie Anm.14), S. 233.Voigt, aufden
sich Aulinger stützt, nennt als Urheber allerdings Kurfürst Joachim von Brandenburg, gibt aber seine
RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER 55

Da die Großen immer wieder am Königshof oder auf dem Reichstag zusammentrafen,
verlangte jeder Rangstreit nach einer Schlichtung, die nun zur Sprache kommen soll.
Kam es zu einem solchen Zusammenstoß, blickten alle Parteien gespannt auf den Kö-
nig, dem die Entscheidung einer solchen Streitsache ganz allein zufiel.". Einerseits wurde
auf diese Weise die monarchische Spitze der höfischen Rangordnung gut illustriert, ande-
rerseits geriet der Herrscher bei einem Rangstreit der Fürsten in eine recht prekäre Situa-
tion. Da es bei der Frage des Vorranges strenggenommen keinen Komprorniß, sondern
nur einen Sieger und einen Verlierer geben konnte, war der König kaum in der Lage, es
beiden Parteien recht zu machen. Ein Nachgeben in conspectu principum, im Angesicht
der Fürsten, kam aber für einen Großen einer tiefen Demütigung gleich, die ihn mit Zorn
gegenüber dem König erfüllen mußte76• Das Bemühen, solche Verärgerungen zu vermei-
den, ließ merkwürdige Kompromißvorschläge aufkommen, wie z.B. ein täglicher Wech-
sel des begehrten Sitzplatzes zwischen den beiden Kontrahenten 77 oder die sogenannte
mixtura, das Mischen der Vertreter beider Parteien in einem ausgewogenen Verhaltnis ",
Nicht selten verschob man das öffentliche Auftreten." oder ließ es ganz ausfallen'", um

Quelle nicht an. Valentin von Tetleben berichtet als Beobachter des Reichstages von 1530 davon, daß
anfänglich Herzog Wilhe1m von Bayern und Herzog Georg von Sachsen bei den Kurfürsten auf der
Bank gesessen hätten. Eines Tages sei aber die Kurfürstenbank auf jeder Seite um vier Handbreiten
verkürzt worden, um beiden Fürsten deutlich zu machen, daß sie fortan bei den anderen weltlichen
Fürsten sitzen sollten. Vgl. Valentin von Tetleben, Protokoll des Augsburger Reichstages 1530, hg.
Herbert GRUNDMANN(Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie
der Wissenschaften 4), Göttingen 1958, S. 89.
75 Dem Reichsmarschall von Pappenheim oblag zwar die Zuweisung der Sitze auf dem Reichstag, doch
besaß er keine Entscheidungskompetenz. Vg!. Ernst SCHUBERT,König und Reich. Studien zur spätmit-
telalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Ge-
schichte 63), Göttingen 1979, S. 345f. Maximilian I. war sehr darauf bedacht, sich gegenüber dem Reichs-
regiment bei Sessionsfragen als oberste Autorität darzustellen. Vg!. WILLICH 1994 (wie Anm. 9), S. 58 f.
76 Vg!. hierzu Hagen KELLER, Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont.
Deutschland im Imperium der Salier und Staufer 1024 bis 1250 (Propyläen Geschichte Deutsch-
lands 2), Berlin 1986, S. 73ff. mit einem eigenen Kapitel »Königsherrschaft in und über dem Rang-
streit der Großen«, besonders S. 86.
77 Vg!. WILLICH 1994 (wie Anm. 9), S. 39ff.; RTA, Mittlere Reihe, Bd. VI, Nr. 98, S. 186 betreffend
die Erzbischöfe von Magdeburg und Salzburg sowie Baden und Hessen.
78 Vg!. HELMRATH1993 (wie Anm. 9), S. 756. Die mixtura wurde auch auf dem Reichstag von 1521
für die regierenden Fürsten der Häuser Pfalz, Sachsen und Brandenburg, die nicht Kurfürsten waren,
vorgeschlagen. RTA, Jüngere Reihe, 11, Nr. 6, S. 149f.
79 Anläßlich der Krönung König Rudolfs von Habsburg berichtet die Sächsische Weltchronik: [... ]
unde des se/bin morgens as man nicht zu hofe. Daz quam von zweiunge des bischofes von Menze un-
de des von Colne, wenne ir ig/icher wo/de sizzen zu der rechten hand des koniges unde mit ime essen.
Das Essen fand am nächsten Tag statt, wobei der Kölner den rechten Platz inne hatte, der Mainzer
sich aber sofort mit einer Non-Präjudiz-Urkunde versichern ließ, daß ihm hieraus keine Nachteile
erwachsen sollten. Die Sächsische Weltchronik, in: Deutsche Chroniken und andere Geschichts-
bücher des Mittelalters, Bd. 2, Hannover 1877, ND 1980, S. 286; MGH Const. Ill, Nr. 12, S. 15 vom
24. 10. 1273. Vg!. hierzu Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., Teill: Entstehung und
Bedeutung der Goldenen Bulle (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Rei-
ches 2,1), Weimar 1908, S. 26.
80 So verweigerten der König und die Fürsten mit Ausnahme des Mainzer Erzbischofs wegen an-
stehender Rangprobleme auf dem Reichstag zu Freiburg 1498 die Teilnahme an einer Prozession.
RTA, Mittlere Reihe, Bd. VI, Nr. 5, S. 607.
S6 KARL-HEINZ SPIESS

einer Rangentscheidung aus dem Weg zu gehen. Mit diplomatischem Geschick löste Kö-
nig Heinrich VII. den altbekannten Streit zwischen den Erzbischöfen von Mainz und
Köln um den Platz zur Rechten des Herrschers anläßlich der 1310 gefeierten Hochzeit
seines Sohnes Johann. Er besänftigte die bereits zu den Waffen greifenden Anhänger bei-
der Erzbischöfe, indem er das öffentliche Essen absagte und mit den Streithähnen privat
in der Herberge speiste.", War tatsächlich einmal eine Partei bereit nachzugeben, so ver-
langte sie in der Regel sogleich ein Non-Präjudiz-Edikt, um dauerhafte Nachteile zu ver-
meiden=.
Der heute so beliebte runde Tisch hatte in der hierarchischen Welt des Mittelalters nur
geringe Einsatzchancen zum Umgehen von Rangkämpfen. Gelegentlich hört man von ei-
ner kreisrunden Anordnung der Sitze83 oder Zelte84, ansonsten blieb dieses egalitäre Mo-
dell dem Hof des mythischen Königs Anus vorbehalten, der seine Ritter an einer riesigen
table ronde versammelre '".
Schließlich sei noch auf die Funktion der Rangordnungen eingegangen. Zum einen er-
füllten die rangmäßig abgestuften Verhaltensformen mit ihrem differenzierten Zeichen-
system die wichtige Aufgabe, als »Spielregeln« das Funktionieren der mittelalterlichen
Ordnungen zu garantieren 86, zum anderen weisen sie aber auch darüber hinaus, indem sie
auf der Ebene des Königshofes die Reichsverfassung widerspiegeln. In der Sitzordnung
auf Hof- und Reichs.tagenprägte sich den Beteiligten und den Betrachtern die politische

81 Rex itaque Romanorum, antequam sciens causam fore certaminis archiepiscoporum illorum,
utrumque acceptum per manum iocunde ad suum duxit bospitium, ubi privatum fit convivium, et sta-
tim cessavit subortum tempestatis litigium. Die Königssaaler Geschichtsquellen. Mit den Zusätzen
und der Fortsetzung des Domherrn Franz von Prag, hg. Johann LOSERTH (Fontes rerum Austria-
carum, Scriptores 8), Wien 1875, ND Graz 1970, S. 272 f. Vg!. zu diesem Vorfall, der gut belegt, daß es
den Parteien weniger um den Rang an sich, sondern eher um die öffentliche Demonstration des Ran-
ges ging, unten S. 23.
82 Siehe Anm. 79 und HELMRATH1993 (wie Anm. 9), S. 757 Anm. 129.
83 So auf dem Konzil zu Reims 1049. Vg!. Charles Joseph HEFELE, Histoire des conciles d'apres les
documents originaux, traduits par Henri LEcLERcQ, Bd. 4,2, Paris 1911, S. 1017ff. mit Skizze auf
S.1018.
84 Barbarossa hatte die Fürstenzelte auf dem Mainzer Hoftag 1184 in Kreisform aufstellen lassen.
Vg!. Peter MORAw, Die Hoffeste Kaiser Friedrich Barbarossas von 1184 und 1188, in: Das Fest. Eine
Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, hg. Uwe SCHULTZ,München 1988, S. 70-83,
hierS.75.
85 Vg!. BUMKE1986 (wie Anm. 5), S. 251 mit einem Zitat aus dem Tristan Heinrichs von Freiberg:
»Die Tafel hat nirgends Haupt noch Ende, weder Ecke noch Spitze. Die Helden, die durch ritterliche
Taten und Kühnheit so würdig geworden sind und die es ritterlich verdient haben, daß sie dort sitzen,
die sitzen alle in ausgezeichneter Weise undalle gleich an hohem Rang«. Vg!. auch A.J. DENOMY,The
Round Table and the Council of Rheims, 1049, in: Medieval Studies 14 (1952), S. 143-149, der nicht
ausschließen will, daß Papst Leo IX. die Anregung für sein Sitzplatzarrangement in Reims von der
Artussage empfing.
86 Vg!. hierzu besonders ALTHOFF 1993 (wie Anm. 4), S. 46 und Hasso HOFMANN, Der spätmittel-
alterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, in: Höfische Repräsentation. Das
Zeremoniell und die Zeichen, hg. Hedda RAGoTZKY/Horst WENZEL,Tübingen 1990, S. 17-42, hier
S. 21 mit dem Hinweis auf »die Bildung politischer Einheit durch Verbindlichkeit erzeugendes Ver-
halten ihrer Mitglieder«, Zur Widerspiegelung des sozialen Rangsystems in der Literatur vg!. den
Beitrag von Horst WENZEL,Repräsentation und schöner Schein am Hof und in der höfischen Litera-
tur, in: ebd., S. 171-208.
RANGOENKEN
UNORANGSTREIT
IM MITTELALTER 57

Ikonographie des Reiches ein. Über den Augenblick hinaus wirkten ausführliche Berichte
mit präzisen Angaben zu Standort und Reihung der Teilnehmer sowie Drucke mit Wie-
dergabe der Personen und ihrer Plätze87•
Die überlieferte Konfiguration eines Herrschers, der umgeben von einer Schar sorg-
fältig abgestufter Fürsten eine Versammlung leitet, darf ebenso wie die mit großem zere-
moniellen Aufwand durchgeführte Belehnung eines Fürsten'" in ihrer stabilisierenden
Wirkung für die Reichsverfassung keinesfalls unterschätzt werden. Angesichts einer der-
art mental verwurzelten Rangordnung kommt den Rangstreitigkeiten eine bedeutende
Funktion zu, da sie als Seismographen für Verwerfungen im politisch-sozialen Reichsge-
füge dienen können. Die gewachsene Bedeutung der Reichsbischöfe, der Aufstieg Bur-
gunds oder die im 15. Jahrhundert stark ansteigende politische Potenz der Habsburger
führten zu heftigen Rangkämpfen, weil die Betroffenen die rechte -Ordnung« gestört sa-
hen, d. h. ein Mißverhältnis zwischen ihrer Machtstellung und deren Abbildung in der
Reichsverfassung erkannten. Gerade wegen ihrer gewohnheitsmäßigen Verfestigung wa-
ren jedoch Änderungen in der Rang- und Sitzordnung nicht von heute auf morgen, son-
dern nur nach langwierigen Auseinandersetzungen zu erreichen. Das Haus Österreich
benötigte trotz der für echt gehaltenen Präzedenzklausel des Privilegium maius89 rund
fünfzig Jahre, um den ersten Rang nach den Kurfürsten durchzusetzen und landete dabei
auf der Bank der geistlichen Fürsten 90. Auffällig ist, wie sehr sich die präzise Rangord-
nung der Goldenen Bulle von 1356 gleichsam als erratischer Block in dem sich weiter ent-
wickelnden politisch-sozialen System des 15. und 16. Jahrhunderts erwies. In das Rang-
gefüge der Kurfürsten konnte sich niemand mehr hineinzwängen; man mußte diese
Gruppe entweder überflügeln, d.h. sich wie Burgund zwischen sie und den König drän-
gen, oder sich wie Österreich möglichst dicht an sie anschließen.
Da die Rangordnung am Königshof in ihrer hierarchischen Strukturierung auf den
Throninhaber zulief, liegt deren herrschaftslegitimierende Funktion auf der Hand. Be-
zeichnenderweise kam es im deutschen Reich nicht zu einer »Entrückung« oder Über-
höhung des Regenten, wie sie aus Byzanz überliefert ist 91. Die Teilhabe der Großen an

87 Vg!. statt vieler möglicher Belege nur den Bericht über die Belehnungen genannter Fürsten auf
dem Wormser Reichstag imJuli 1495,in: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 2, bear-
beitet von Heinz ANGERMEIER (RTA, Mittlere Reihe V,2), Göttingen 1981,Nr. 1855,S. 1689ff. Der
Bericht ist in zwei zeitgenössischen Drucken überliefert, so daß die Breitenwirkung weitaus größer
war als bei den älteren Uberlieferungen, die meist von Gesandten für ihre Herren angefertigt wur-
den. Zu den Holzschnitten, auf denen Graphiker des 16.Jahrhunderts Sessionen darstellten, vg!.
AULINGER 1980(wie Anm. 14),S.232f., zur Reichstagsliteratur insgesamt und deren Adressaten vg!.
Friedrich Hermann SCHUBERT, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit
(Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 7),
Göttingen 1966.
88 Vgl, Anm. 86 sowie Karl-Friedrich KRIEGER,Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spät-
mittelalter (ca. 1200-1437) (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.E 23),
Aalen 1979,S.429ff.
89 [... ] et nichilominus in consessu et incessu ad latus dextrum imperii post electores principes obti-
neat primum locum. MGH Diplomata El. 4, Nr. 1040,S.348.
90 Vg!.WILLICH(wie Anm. 9), S.22ff.
91 Vg!.TREITINGER (wie Anm. 11),S.49ff.
58 KARL-HEINZ SPIESS

der Herrschaft ließ offenbar keine allzu große Distanzierung zu92, womit der Abbild-
charakter der Rangordnung für die Verfassungswirklichkeit erneut bekräftigt wird. Die
dem König verbleibende zeremonielle Distanz reichte aber aus, um gerade durch deren
Aufhebung einzelne Fürsten an sich binden zu können. So ließen sich kleine Gesten, die
als gezielter Gunsterweis oder allgemeines Signal königlicher Huld 93gelten konnten, poli-
tisch instrumentalisieren. Zu denken ist etwa an die Geste des Saliers Konrad des Älteren
der seinen schärfsten Konkurrenten um den Königsthron, seinen Vetter Konrad denJün~
geren, sofort, nachdem dieser seine Stimme bei der Königswahl von 1024 für ihn abgege-
ben hatte, an die Hand nahm und ihn neben sich Platz nehmen ließ94. Wenn in der Vita des
Bischofs Ulrich von Augsburg berichtet wird, Kaiser Otto 11. sei einmal, kurz nachdem
ihm die Ankunft des Bischofs gemeldet worden war, halb angezogen aus dem Schlaf-
gemach geeilt, um den unerwarteten Gast zu empfangen, dann darf man davon ausgehen,
daß Ulrich diese Geschichte zu seinen Lebzeiten immer wieder erzählt hatte, weil sie in-
direkt seine Königsnähe und seinen persönlichen Rang am Hofe illustrierte'", Weitaus be-
deutender, da langfristig wirkend, sind die Standeserhebungen als Gunsterweis seit dem
12.Jahrhundert zu veranschlagen, die bislang noch zu wenig als massive Eingriffe des Königs
in ein bereits weitgehend stabilisiertes Rangsystem der Fürsten gedeutet worden sind.
Das Rangdenken ließ sich noch in einem weiteren Sinn für den König politisch instru-
mentalisieren. So kann man in Bischofsviten nicht selten deutlich herauslesen, daß das
ehrgeizige Bemühen des Prälaten, am Hofe den ersten Platz einzunehmen bzw. den Rang
der eigenen Kirche zu erhöhen, die wichtigste Triebfeder für aufopferungsvolle Reichs-
dienste darstellte 96.Besonders auffällig ist dieses Motiv in der Vita des Bischofs Adalbert

92 THIETMARVONMERSEBURG,Chronik (wie Anm. 36) IV, 47, S. 162ff. berichtet über die kritisch
aufgenommene Neuerung Ottos 111.,der in Anknüpfung an das römische Kaiserzeremoniell ganz al-
lein an einem halbkreisförmigen erhöhten Tisch speiste (Imperator antiquam Rotnanorum consuetu-
dinem iam ex parte magna deletam suis cupiens renouare temporibus, multa faciebat, quae diversi di-
verse sentiebant. Solus ad mensam quasi semicirculus factam loco caeteris eminenciori sedebat). Zum
abgesonderten Speisen Konstantins an einem goldenen Tisch und den Tischsitten am byzantinischen
Hof vg!. TREITINGER 1938 (wie Anm. 11), S. 103f. Zur Kritik an Ono Ill. vg!. ALTHOFF 1990 (wie
Anm. 58), S. 204 und jetzt auch DERs., Otto 111.,Darmstadt 1996, S. 197 f. ..
93 Vg!. hierzu den grundlegenden Beitrag von Gerd ALTHOFF, Huld. Uberlegungen zu einem
Zentralbegriff der mittelalterlichen Herrschaftsordnung, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991),
S. 259-282, hier S. 271 ff.
94 WIPO, Taten Kaiser Konrads Il., in: Quellen des 9. und It. Jahrhunderts zur Geschichte der
hamburgischen Kirche und des Reiches, hg. Werner TRILLMICH (Ausgewählte Quellen zur deut-
schen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11), Darmstadt 61990,
S. 522-613, hier S. 544f.
95 Das Leben des Heiligen Ulrich, Bischof von Augsburg, verfaßt von GERHARD, in: Lebensbe-
schreibungen einiger Bischöfe des 10.-12. Jahrhunderts, übersetzt von Hatto KALLFELZ(Ausgewähl-
te Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 22),
Darmstadt 1973, c. 21, S. 126£.
96 Vg!. etwa THIETMARVONMERSEBURG(wie Anm. 36), S. 328f. über die Rolle des späteren Erz-
bischofs Anno von Köln am Hof Heinrichs HI.: A qua in palacium assumptus brevi apud eum
(= Heinrich Ill.) pro omnibus clericis, qui in foribus palacii excubabant, primum gratiae et familiari-
tatis gradum obtinuit. Weiterhin Georg WAlTZ, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, bearb. von
Gerhard SEELlGER,Berlin 21896, S. 380ff. Der Schlüsselbegriff für denjenigen, der dem König am
nächsten steht, lautet in den Quellen secundus a rege. Vg!. WEINFURTER1987 (wie Anm. 8), c. 35,
RANGDENKEN
UND RANGSTREITIM MITTELALTER 59

von Bremen. Immer wieder kämpfte er darum, »die unbestrittene Gunst bei Hofe zu ge-
winnen und vor allen anderen die Leitung der Geschäfte in die Hand zu bekommen«, um
selbst an erster Stelle zu stehen und so »seiner Kirche einen Vorrang an Reichtum und An-
sehen« zu verschaffen 97.
Für die Kontrahenten selbst boten die Rangstreitigkeiten eine Möglichkeit zur Aus-
tragung ihrer Machtrivalitäten, die von einigen Ausnahmen abgesehen unterhalb der
Schwelle von Gewaltanwendung blieb. Der königliche Hof und die Reichstage dienten als
einzigartige Bühnen, auf denen die Großen ihre Rangkämpfe im Licht der Öffentlichkeit
austragen konnten. Dieser Propagandaeffekt wurde ganz bewußt gesucht, weshalb gerne
herausragende Anlässe, wie die Schwertleite der Kaisersöhne auf dem Mainzer Hoftag
von 1184 oder Krönungsmähler, für einen Rangangriff gewählt wurden. Die Königsaaler
Chronik weist nach ihrer Schilderung eines 1310 bei der Hochzeit des Königssohnes Jo-
hann ausgetragenen Sitzstreits zwischen Mainz und Köln darauf hin, daß die beiden Par-
teien immer nur bei festlichen Essen um den Vorrang kämpfen, aber niemals bei privaten
Gastmählern 98. Der ständige Rangwettstreit, der als Maxime einer Adelswelt gelten darf,
in der jeder »adeliger« als der andere sein wollte, zielte demnach allein auf die öffentliche
Präsentation. Schon der Byzantiner Philotheos hielt diese Einstellung in dem 899 entstan-
denen Zeremonienbuch fest: Illustris omnia vita munusque omne gloriae plenum in nulla
re se magis spectabile spectantibus exhibet magisque ferit oculos, quam si publica voce pra-
ecedere et praesidere alteri inferiori apud splendidam tabulam epulasque multum expetitas
sapientissimorum nostrorum imperatorum [ubetur'", Die öffentliche Ankündigung des
Rangplatzes, die wohl durch einen Hofdiener erfolgte und die man als eine akustische Er-
gänzung der visuell wirkenden Sitzordnung bezeichnen könnte, scheint übrigens auch am
deutschen Königshof üblich gewesen zu sein 100.

S. 63: Eo tempore cum secundus a rege esset rexque eum solo regni solio precederet (über Bischof Geb-
hard von Eichstätt am Hof Heinrichs Ill.). Vgl. auch Karl BRUNNER,Oppositionclle Gruppen
im Karolingerreich (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 25),
Wien/Köln/Graz 1979,S. 27 H., der den Kampf um diesen Platz an der Seite des Königs als ..Leitmo-
tiv der politischen Auseinandersetzungen zwischen den Adelsgruppen des neunten und zehnten
Jahrhunderts« bezeichnet (S. 35).
97 [... ] ecclesiam suam divitiis et honore ceteris anteferre. [... ] ut vel solus placeret in curia vel maior
domus fieret pro omnibus. ADAMVONBREMEN, Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche, in: Quel-
len des 9. und 11.Jahrhunderts (wie Anm. 94), Ill, 27, S. 362f.; 36, S. 372f. Weitere charakteristische
Aussagen sind: [... ] nee pepercit sibi ac suis aut ipsi episcopatui, cesarem placando et aulicos [... ]. Ar-
cbiepiscopus eo tempore primaturn curiae tenebat ... Et iam consulatum adeptus est, iam remotus ae-
mulis solus possedit arcem capitolii. [... ] Ebd., Ill,S, S. 332f.; III, 45, S. 382f.; Ill, 47, S. 386£.
98 Ex antiquo lis fuit his, modus quoque talis: cum hi duo Maguntinensis et Coloniensis archiepiscopi
sunt in locis alicuius privati conoioii, se invicem honore praeveniunt et ubi quis sedeat aut quomodo
vadat, minime contendunt, in loco enim et in convivio privata non solempni quilibet istorum a/ium
praeficit sibi; quando vero Romanus rex curiam aut solempnitatem aliquam celebrat, unus tunc avide
alium praeire festinat. Siehe Anm. 81.
99 Migne, Patrologia Graeca, Sp. ~.293f. Der griechische Text wird der Einfachheit halber in der bei
Migne beigegebenen lateinischen Ubertragung zitiert. Vgl. auch die französische Ubersetzung bei
Oikonomides (wie Anm. 21), S. 82.
100 Vgl. den auf die Kurfürsten bezogenen Hinweis des Chronicon Colmariense zum Hoftag Kö-
nig Albrechts in Nürnberg am 18. 11. 1298:[... ] et ibi dignitas cuiuslibet domini coram rege solenniter
recitatur. MGH, SSXVII, S. 267. Erzbischof Arnold von Mainz wurde am Hof Friedrich Barbarossas
60 KARL-HEINZSPIESS

Bei der Beschäftigung mit dem Rangdenken vom Frühmittelalter bis zum Beginn der
Neuzeit fallen demnach eine Reihe von Konstanten auf, zu denen das öffentliche Heraus-
stellen des Ranges, die Rangsymbole und im wesentlichen auch die Rangkriterien zählen,
die stereotyp echte oder gefälschte Privilegien, das persönliche oder institutionelle Alter,
die mythische oder tatsächliche Vornehmheit der Dynastie usw. ins Feld führen. Auffällig
scheint gegenüber der älteren Zeit eine Zunahme der Sessionsstreitigkeiten im 15. Jahr-
hundert zu sein, die sich nicht nur mit der besseren Quellenlage erklären läßt. Auf euro-
päischer Ebene boten die Konzilien von Konstanz und Basel erstmals die begierig ergrif-
fene Gelegenheit zur »universalen« Selbstdarstellung der sich formierenden Nationen 101.
Im Reich zwangen dagegen die Verdichtung der Reichsverfassung und die Herausbildung
einer Geschäfts- und Stimmordnung des Reichstages zu einer präziseren Definition des
Rangplatzes nicht nur in der Spitzengruppe um den König, sondern auch auf den hinteren
Rängen des Fürstenstandes, wie die Auseinandersetzung zwischen Baden und Hessen be-
legt 102. Bezeichnenderweise weiteten sich die Sessionsstreitigkeiten über den rangbewuß-
ten Adel auf die im Reichstag vertretenen Städte aus. Daß dieser Prozeß um 1530 noch
im Gang war, zeigt nicht zuletzt das Scheitern der 1530 geplanten »Goldenen Bulle« Kai-
ser Karls v., in der eine verbindliche Rangordnung für die Fürsten hätte formuliert wer-
den sollen, um die für die Reichstagsgeschäfte so hinderlichen Sessionskämpfe dauerhaft
beizulegen 103.
Abschließend soll noch ein Blick auf die nachteiligen Auswirkungen der Rangstreitig-
keiten geworfen werden. Bei feierlichen Anlässen am Hof konnte eine Auseinanderset-
zung um den Vorrang die Festesfreude stören, was angesichts der Bedeutung, die das Krö-
nungsmahl oder sonstige höfische Feste für die Selbstdarstellung des Königtums besaßen,
als negative Folge nicht unterschätzt werden darf. Gelegentlich überliefern die Quellen
deshalb die inständig vorgetragene Bitte des Königs an die Parteien, allein um der Festes-
freude willen mit dem Streit aufzuhören IQ.{.

sub preconis voce angekündigt. Vita Arnoldi archiepiscopi Moguntini, in: Monumenta Moguntina,
hg. von Philipp JAFFE,Berlin 1866,S. 638. Vg!. hierzu demnächst Karl-Heinz SPIESS,Der Hof Barba-
rossas und die politische Landschaft am Mittelrhein. Methodische Uberlegungen zur Untersuchung
der Hofpräsenz im Hochmittelalter, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späten Mit-
telalter (12.-15. Jahrhundert), hg. Peter MORAW(Vorträge und Forschungen), Sigmaringen 1997.
101 Vgl, HELMRATH, Basler Konzil (wie Anm. 53), S. 324ff.
102 Daneben sind 1498 auch Sessionsstreitigkeiten zwischen Hessen und dem gerade zum Herzog-
tum erhobenen Württemberg überliefert. RTA, MR, VI, Nr.44, S. 656£.(13. 7.1498).
103 Vg!. AULlNGER(wie Anm. 14), S. 247; LUTTENBERGER (wie Anm. 14), S. 312 und besonders
WILLICH(wie Anm. 9), S. 101£.
104 Auf das Verlangen des Fuldaer Abts hin, der Kölner Erzbischof solle ihm seinen Platz überlas-
sen, bat Friedrich Barbarossa 1184 den Kölner, er möge ihm das Hoffest nicht verderben: Secundum
petitionem ipsius rogamus, ut hodie iocunditatem nostram non turbetis et locum, quem sui iuris affir-
mat esse, ei non ~egetis. Arn~ldi .chronica.Slavoru~ (wie Anm. 67~Ill, 9, S. 8~. In der Urkunde König
Rudolfs und seiner Gemahlin, m der beide versichern, dem Mamzer Erzbischof werde durch sein
Nachgeben im Rangstreit mit dem Kölner Amtskollegen anläßlich des Krönungsmahls in Aachen am
24. 10. 1273 kein Nachteil erwachsen, wird deutlich, daß das Einlenken um der Festesfreude willen
erfolgt war: Tandem Maguntinus predictus, ne tante festivitatis iocunditas in aliquo turbaretur; quin
pocius in omnibus ad nostrum desiderium ageretur, ad magnam nostrarum ceterorumque principum
precum instanciam questioni huiusmodi non inhesit. MGH, Const.III, Nr. 12, S. 15 vom 24.10.1273.
RANGDENKEN UND RANGSTREIT IM MITTELALTER 61

Weiterhin wirkten sich Rangkämpfe hinderlich auf die Tätigkeit größerer Versamm-
lungen aus. Das Konzil von Basel verlor so viel Zeit mit Rangstreitigkeiten, daß Kaiser
Sigismund 1434 den Prälaten vorwarf, sie hätten jetzt dreijahre getagt et so/um super sedi-
bus et superbia sua disputassent nee adhue eoneordassent de sedibus et quomodo mundum
reformare possent, dum non superbiam sedium reformare valerent 105. Auch die Arbeit des
Reichstages wurde bis weit in die Neuzeit hinein immer wieder durch die hoffart der ses-
sion beeinträchtigt 106.
Die Frage des Ranges und des Zeremoniells nahm in der höfischen Welt des Absolu-
tismus gewaltig an Bedeutung zu, wobei die herrschaftsstabilisierende Distanzierung des
Regenten stärker als im Mittelalter in den Vordergrund rückte+", Erst im Zuge der Auf-
klärung entwickelten sich in der Umgebung des Herrschers rationalere Umgangsformen,
die geeignet waren, die Effektivität der Herrschaftsausübung zu steigern. So wies Kaiser
J oseph 11. 1783 seine Staatsbeamten an, die Geschäfte »ohne Rücksicht auf Rang oder Ze-
rernonie« zu behandeln 108. Ganz verdrängen läßt sich jedoch das Rangdenken selbst in
unserer prinzipiell egalitär ausgerichteten Gesellschaft nicht, wie jeder aufmerksame Be-
obachter nicht nur im Bereich des diplomatischen Protokolls leicht feststellen kann.

105 Concilium Basjlense. Studien und Quellen zur Geschichte des Concils von Basel, Bd. 5: Tage-
bücher und Acten, Base11904, S. 104.
106 Vg!. z.B. RTA, MR, VI, Nr. 11, S. 611 (25. 6. 1498): Da aber über die strittige Session zwischen
Sachsen und Bayern keine Einigung erzielt wurde, konnte an diesem Tag nichts zustande gebracht
werden. Maximilian beschwert sich darauf über die hoffart der session, die er seit einer Woche täglich
beizulegen versuche. Vg!. weiterhin AULlNGER(wie Anm. 14), S. 228ff.
107 Vg!. EHALT 1980, Ausdrucksformen (wie Anm. 14), S. 126ff.; DERS. 1981, Funktion (wie
Anm. 14), S. 413 H.
108 Vg!. BERBIG 1981 (wie Anm. 14), S. 248.

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