Professional Documents
Culture Documents
JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide
range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and
facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org.
Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at
http://about.jstor.org/terms
Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to
Archiv für Musikwissenschaft
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
...die Freiheit vom Banne Schönbergs...
von
MARTIN ZENCK
This article considers three main points: 1) the significance of Schumann's Kreisleriana in m
interpretation seminars during the "Kranichstein Summer Courses for New Music" in 1954 with
Steuermann, Rudolf Kolisch, and Theodor W. Adorno; 2) the circumstances surrounding their ex
the USA; and 3) Steuermann's compositions that attempt to break free of Schoenberg's influen
particular, the Improvisation and Allegro for violin and piano (1954/55). This study's point of dep
maintains that the conflict between the Darmstadt avant-garde and the middle generation of the Scho
School was due not to age and therefore generational difference but rather to the pressures surroun
the historical-moral legitimacy of the cultural and political situation in Darmstadt, and, more genera
West Germany. Although the American composers John Cage, David Tudor, Morton Feldman, and S
Wölpe (perhaps also Eduard Steuermann) individually helped determine new directions in Darm
after 1954/1957, a productive dialogue - whether it be institutional, aesthetic, or concerning the hist
knowledge - was never established between the heritage of Bauhaus principles taught at Black Mo
College and the Darmstadt and Cologne Schools' concept of an open work of art ("offenes Kunst
Vorwort
Die Edward and Clara Steuermann-Collection in der „Music Division" der Libra
Congress (Washington, D.C.) enthält in mehr als 43 Boxen, die jeweils noch in a
betische und thematische Folder unterteilt sind, den gesamten archivalischen Besta
an unveröffentlichten Briefwechseln (allgemeine und Familien-Korrespondenz), an
oretischen und literarischen Schriften, sowie vor allem insgesamt alle von Steuerm
hinterlassenen Kompositionen in Form von Werkskizzen, verschiedenen Werkfassun
bis hin zu abgeschlossenen Partituren in Reinschrift, sowie schließlich Transkriptio
von Werken anderer Komponisten. Von Steuermanns Kompositionen sind zu s
Lebzeiten und nach seinem Tod im Jahr 1964 nur wenige Werke im Druck1 erschie
1 Noch heute sind, wenn überhaupt, nur zwölf seiner Werke über APNM („Association for he Pro
tion of New Music", New York) zugänglich, allerdings nur durch eine kostenintensive Bestellun
„master copies", die dann für den jeweiligen Interessenten speziell hergestellt werden. Die andere
vor allem früheren Werke sind über verschiedene Verlage noch teilweise zu erhalten (New Valley
Archiv für Musikwissenschaft, Jahrgang 68, Heft 4 (2011)
© Franz Steiner Verlag, Stuttgart
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
264 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 265
sondere Sue Vita (Chief) and Elizabeth Auman (Donor Relations Officer) der dort
Musik-Abteilung.
Einleitung
6 Unveröffentlichter Brief von Theodor W. Adorno vom 17.11.1964 an die Freunde (Steuermann-
Collection, BOX 3, Folder 2); vgl. dazu ausfuhrlich meinen Beitrag Der Briefwechsel zwischen Eduard
Steuermann und Theodor W Adorno , in: NZM 5/2011, S. 58-60.
7 Vgl. zur Biographie Edward Steuermanns den erhellenden Text von Clara Steuermann: Edward
Steuermann: Notes for a Biography , in: Steuermann, Writings , S. 5-24.
8 Johannes Brahms, Klavierwerke, hg. von Eduard Steuermann, Wien Universal Edition 1930 und
sein Aufsatz im Anbruch und Adornos Reaktion darauf; vgl. dazu auch das Dankesschreiben Steuermanns
vom 7.3.1932 an Adorno (Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2). Vgl. auch den bei Tiedemann ab-
gedruckten Beitrag Adornos mit dem Titel Brahms aktuell , in: Adorno-Noten , hg. von Rolf Tiedemann,
Berlin 1984, S. 34-39.
9 Steuermann, unpublished writings , Steuermann-Collection, BOX 1, Folder 'Diabelli-Variationen'.
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
266 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs . . . 267
der fünfziger Jahre als auch im neuen Amerika (Ausreise 1936, 1948: amerikanische
Staatsbürger13) war er ein Vertreter einer alten, auch wenn noch nicht untergegangenen
so doch untergehenden Welt, deren Kultur auf Grund ihrer zerstörerischen Allianz mit de
Barbarei14 nicht mehr geschätzt und gepflegt werden wollte, obwohl Steuermanns eigene
Position längst eine andere war, die ihn eher mit den , jungen Wilden" in Darmstadt un
dem Black Mountain College hätte in Verbindung bringen können. Steuermann war also
im Gegensatz zu Stefan Wölpe, der die amerikanische Avantgarde ganz entschieden in
sich aufgenommen hatte und den neuen Kontinent als eine große Chance für das eigene
Komponieren15 empfand, ein Mann zwischen diesen Kontinenten der neuen und der alten
Welt. Und daraus erklärt sich womöglich seine bis heute weitgehende Unbekanntheit: al
Pianist einer großen, aber auch verlorenen Tradition zwar hoch geschätzt, aber als Kom
ponist insulär ohne die kanonbildenden Anbindungsmöglichkeiten von „Schulen". M
dieser Einleitung zeichnen sich daher jetzt schon die Konturen des vorliegenden Beitrag
genauer ab: nämlich nicht in den bisher beschriebenen historisch-stilistischen Mustern
und Kontexten zu verbleiben, sondern innerhalb dieser Ordnungen Abweichungen und
neu-setzende Ordnungen ohne den Anspruch auf Kanonbildung zu erheben. Denn im
einen waren sich Steuermann und Adorno einig, dass das kulturelle Erbe gerade dor
entsteht, wo es nicht gepflegt16 wird.
Es ist zwar einigermaßen bekannt, dass bei den seit 1946 bestehenden, von Wolfgang
Steinecke initiierten und geleiteten „Kranichsteiner Ferienkursen für Neue Musik" nicht
nur Kompositionskurse von namhaften und weniger namhaften Komponisten gegeben
wurden, weniger hat sich aber die Tatsache im allgemeinen musikalischen Bewusst-
13 Vgl. genaueres zur Biographie Steuermanns die dokumentarisch ausgeführten Darlegungen von
Clara Steuermann, Angabe unter Fußnote 7.
14 Vgl. Modernität und Barbarei, hg. von Max Miller und Hans-Georg Soeffner, Frankfurt a. M. 1996.
15 Vgl. dazu Thomas Schäfer, „Batties, hopes, difficulties - new Battles new hopes no difficulties
Stefan Woples „Battle Piece", in: Exilmusik. Komponisten während der NS-Zeit (= Musik im „Dritten
Reich " und im Exil , Bd. 3), hg. v. Friedrich Geiger und Thomas Schäfer, Hamburg 1999, S. 232-263 und
Martin Zenck, Über eine schmerzende Leerstelle in René Leibowitz ' und Theodor W Adornos Musikge-
schichtsschreibung der dreißiger und vierziger Jahre. Die nicht nur historische Bedeutung von Stefan
Wölpes Körper-Musik und das Problem ihrer zurückdatierbaren Aktualität , in: Stefan Wölpe II. Musik-
Konzepte. Neue Folge , hg. von Ulrich Tadday, München 2011, S . 61-92.
16 Vgl. Brief Adornos vom 22.2.1954 an Steuermann (Tiedemann, S. 46); ansonsten fehlt der hier
wiedergegebene Teil des Briefes, wo es heißt: „...trotzdem ich bis zum Äußersten mit Ihnen dahin
übereinstimme, dass , Kultur davon abhängt, dass man sie nicht pflegt". Dieser Satz bezieht sich auf
folgenden Brief von Steuermann an Adorno: „Der Aufenthalt in Darmstadt haette das Gute, dass es so
nahe zu Frankfurt ist und dass man Sie und Gretel nach so langer Zeit wieder sehen koennnte. . Sonst, -
Sie koennen es sich denken, wie ich Sommerkurse liebe, da ich immer mehr fuehle, dass Kultur davon
abhaengt, dass man sie nicht pflegt, - aber das braucht man ja in Darmstadt nicht zu wissen". (Brief vom
17.2.1954 von Steuermann an Adorno; bei Tiedemann, S. 45-46 ist dieser Teil des Briefes nicht wieder-
gegeben, Steuermann-Collection BOX 3, Folder 2).
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
268 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs . . . 269
22 Vg. dazu Martin Zenck, Wagner in perspective : Luigi Nono's ,Prometeo' - Pierre Boulez' und
Wieland Wagners , Tristan ' in Osaka/Bayreuth , in: Wagner-Spektrum , Sonderheft: Wagner und die Neu
Musik , hg. von Dieter Borchmeyer und Udo Bermbach, Würzburg 2011, S. 69-99.
23 Vgl. zum interaktiven und offenen Zusammenhang zwischen Komposition, Improvisation, Tran-
skription und musikalischer Interpretation bei F. Busoni: Martin Zenck, Reinterpreting Bach in the nine-
teenth and twentieth centuries , in: The Cambridge Companion to Bach , hg. von John Butt, Cambridge
1997, S. 238-274.
24 Vgl. den in den Briefen zwischen Steuermann und Wolfgang Steinecke immer wieder aufbrechende
Streit um die alte und neue Schwerpunktbildung des Klavierrepertoires (exemplarisch für viele Briefe
denjenigen vom 12.3.1961, in dem Steuermann etwa Stockhausens Klavierstücke als Wettbewerbsstück
problematisiert, wohingegen sein Brief vom 1.1.1959 durchaus die Möglichkeit einräumt, neben Schön
berg und neben Bartôks 3 Etüden eben auch „etwas von der juengsten Generation zu versuchen. Z.B. Ite
oder 2ter Satz aus der 2ten Sonate von Boulez oder etwas aus den Klavierstücken von Stochkhausen".
(Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2).
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
270 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 271
dene Form (die „loosenes"29) im Gegensatz zum logischen Imperativ der Fug
imperative as the logic of a fugue"30) eine entscheidende Rolle spielt, wofür
Begriff einer naturhaften Organizität ins Spiel bringt, die zwar komplexe Verfa
weisen Beethovens auf einfache zurückfuhrt, dabei aber das Organische keineswe
ungebrochen, sondern als „distorted"31 reklamiert. Diese Organizität führt zu kein
ausgeführten und ausgedehnten Formen des naturähnlichen Wachsens und Wuch
sondern in der Verkürzung der Form zu einem Prozess der Stauchung und Komp
rung, bei der verschiedene melodische Entwicklungen vergleichzeitigt werden. D
für Steuermann ein besonderes Problem der „Darstellung", also der musikalis
terpretation, das dem Spieler keine frei sich gebende Weise der Darstellung lässt, s
auf der einen Seite Abbrüche und ein plötzliches Innehalten erzwingt, auf der an
die Verwirklichung unmittelbar entstehender, mehrfacher melodischer Linien ein
(Also der spontane, auch unvorbereitete Wechsel von einfachen, akkordisch begle
Melodien und daraus gewissermaßen subkutan hervorgehend: mehrfache Me
deren Allusionskontrapunktik von vielen Pianisten zumeist überspielt wird,
einem latent polyphonen Verfahren, bei dem die zusätzlichen Stimmen gleichsam
hinzutreten, ohne damit setzende Stimmeintritte im Sinne des kontrapunktische
zu markieren.) Unmittelbare Rupturen wie plötzliche Verdichtungen sind a
Steuermann Desiderate, die im Rahmen kurzer Stücke und damit auch inmitt
organischer Prozesse besonders schwierig zu erfüllen sind. Das Besondere
Steuermanns Aufsatz ist der Sachverhalt, dass er nicht, wie es in einem Interpre
kurs im Zusammenhang mit Kompositionskursen zu erwarten wäre, vorsch
Aktualität des Schumannschen Komponierens für das zeitgenössische um 195
miert, sondern dass er eher verdeckte Traditionslinien zwischen Schumann
Schönberg und der kompositorischen Situation um 1954 aufsucht. Da ist ein
Verbindung mit Schönbergs Begriff der „musical prose"32, wie er ihn mit der N
Kreislerina namhaft macht und die auffallige Parallele zwischen der Szene am
in Bergs Wozzeck und dem „Naturlaut" des zweiten Stücks der Kreisleriana
anderen stellen nach Steuermanns Aufsatz über Schönbergs Klavierstücke op. 193
nige dieser Stücke durchaus einen zwar entfernten, aber auch sinnvollen Kontext
dem , kurzen' Klavierstück, vor allem des „Hasche-Mann" (Nr. 3) und „Fast z
(Nr. 10) der Kinderszenen von Schumann her. Schließlich zeigt die Korresp
zwischen Steuermann und Adorno, wie akut die Frage zwischen Form-Bindun
Freiheit, bzw. Lockerung („Looseness") nach dem für diesen Sachverhalt zentr
29 Edward Steuermann, Romanticism in Music and the „Kreisleriana", in: Steuermann, Writing
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Ebd., S.157.
33 Ebd.
34 Edward Steuermann, Solving the Puzzle: Notes on the Interpretation of Schoenberg's Six Little
Piano Pieces, Op. 19, in: Steuermann, Writings, S. 193.
35 Vgl. dazu Adornos Brief vom 14.10.1955 an Steuermann (Tiedemann, S. 52).
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
272 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 273
ter nach Steuermanns Tod unter dem Titel Improvisation and Allegro for violin
piano 43 1971 veröffentlicht wurde, bei dem Adorno befurchten musste, dass sich sei
verehrter Freund denn doch bereits zu sehr an den jüngeren Komponisten in Darmsta
orientiert habe, während er selbst hinter solchen Formdesideraten44 bereits längst zu
rückgeblieben war. Es sind also folgende Aspekte, die in der Übertragung von musika
lischer Interpretation auf das Komponieren, gerade für die kompositorische Situation
um 1954 bestimmend wurden: erstens die relative Kürze der Stücke bei gleichzeit
Gedrängtheit melodischer Ereignisse und Entwicklungen und zweitens trotz der Durc
bildung der Form durch die wenn auch offen gehandhabte Zwölftontechnik das Zulas
sen freierer, wenn nicht unvorhersehbarer Prozesse, auf die im Abschnitt III. noch zur
zu kommen sein wird. Wollte man nun in diesem Punkt abschließend versuchen, Steu
ermanns Klavierspiel im Zusammenhang seiner theoretischen wie auffuhrungspr
tischen Bemühungen zu charakterisieren, so ließe sich mit Blick auf Schumanns Kreis
leriana , auf Beethovens Diabelli- Variationen*5 , auf Schönbergs gesamtes Klavierwerk4
auf Brahms' Intermezzi op. 1 1747 und auf Busonis Elegien und die Toccata 48 Folgend
unter systematischen Gesichtspunkten festhalten: Sein Klavierspiel ist sachlich im Sin
der „tiefsten Leidenschaft"49, aber nicht neu-sachlich, es ist trocken, nüchtern und da
höchst expressiv, ohne subjektives Rubato, mit nur sehr sparsamer Pedalierung, äußer
distinkt und kernig in der jeweiligen Artikulation eines einzelnen Tons und einheitlic
43 Edward Steuermann, Improvisation and Allegro for Violin and Piano (For Theodore Ador
Northampton (MA) 1971.
44 Vgl. dazu auch meine Kompositionskritik im Vergleich der Kompositionen des Trakl-Gedich
Nachts durch Webern, Adorno und Holliger: Martin Zenck, Georg Trakts Gedicht „Nachts" und
Kompositionen dieses Gedichts von Anton Webern, Theodor W Adorno und Heinz Holliger - Vers
einer literatur- und musikwissenschaftlichen Doppelinterpretation ", in: Das Gedichtete behauptet
Recht , Festschrift für Walter Gebhard zum 65. Geburtstag, hg. von Klaus H. Kiefer u. a., Frankfu
M. 2001, S. 503-561.
45 Vgl. dazu Steuermanns unveröffentlichtes Manuskript zu den Diabelli-Variationen, Steuerman
Collection, Writings , BOX 1. Es handelt sich um drei Seiten mit Hinweisen zum Charakter und z
syntaktischen Periodenbildung und deren Störung. Auf einer vierten Seite hat Steuermann die Konzer
zwischen 1948 in New York bis 1962 (Salzburger Festspiele) aufgelistet, in denen er dies Werk Beet
vens vortrug.
46 Steuermann, Writings , und die Aufnahme des gesamten Klavierwerks von Arnold Schönberg auf
dem Label Columbia (1957), remastered unter dem Titel „Hommage à Steuermann" (His recordings
of Schönberg's Piano Music") auf dem Label „tacet" No. 1 86 sowie der anderen mit Klavier besetzten
Werke Schönbergs: op. 47 (1951, LOC)
47 Steuermann, Writings , und die Aufnahme der Intermezzi op. 1 16 auf dem Label Pomona, Calif, Vital
Music (1994) sowie seine Ausgabe der Klavierwerke von Brahms bei der UE in Wien (1930).
48 Vgl. Steuermanns Text zu den Six Elegies von F. Busoni, Steuermann-Collection, BOX 1 , Writings ;
vgl. auch Steuermanns Aufnahmen von Busonis Toccata , der Sonatinas Nr. 1 und 6 und der Six Elegies
auf dem Label Contemporary Music (1960).
49 Vgl. dazu diese Bestimmung Steuermanns in der Auseinandersetzung mit Adornos Konzeption der
Uninterpretierbarkeit älterer, auch Bachscher Werke: „...ob ich der , Umschlags-Fassung4 - ,Ende der
Interpretierbarkeit' zustimmen kann, weiss ich noch nicht. (Ist denn unsere , Sachlichkeit' so sachlich?
Sachlich ist nur die tiefste Leidenschaft, also ist ,Form' an und fuer sich nicht sachlich deshalb , subjektiv'
empfunden. . ." (Brief Steuermanns an Adorno vom 20.3. [1933], Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2).
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
274 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 275
Wie Adorno in einem weiteren Brief vom 21.5.1957 (BOX 3, Folder 3) ausführt, muss
er den Hintergrund für diesen nicht nur gegebenen Gegensatz von ,jung" und „alt"
gesehen haben, weil er sich gegenüber Steuermann ausgesprochen dafür rechtfertigen
zu müssen glaubt, dass er sich über den Propyläen- Verlag in Berlin von Theodor Heuß,
dem früheren Bundespräsidenten, dazu habe bewegen lassen, seinen 1951 auf den Tod
Arnold Schönberg geschriebenen Essay, der dann später auch in den „Prismen" erschien,
54 Umgekehrt zeigte Steuermann in einem undatierten Brief (wohl vom 22.12.1957, vgl. das Zitat
unter Fußnote 39) an Wolfgang Steinecke die Dringlichkeit einer näheren, von Verständnis getragenen
Begegnung gerade mit der jungen Generation. Es ist hier zu betonen, dass es sich nicht um den üblichen,
mit Vatermord endenden Generationenkonflikt handelt, sondern um einen zwischen doch verschiedenen
Kulturen und deren Inanspruchnahme. So wurde die in Darmstadt schwelende Differenz zwischen , jung"
und „alt" wesentlich dadurch verschärft, dass die Älteren aus dem Exil zur historischen Rechtfertigung
des Neuen in Darmstadt herhalten mussten, was die Jungen ihnen übel nahmen, nicht wissend, dass diese
Forderung der allgemeinen Stadt- und Landespolitik und sogar der Bundespolitik geschuldet war. Von
diesem Zusammenhang zeugt der Brief von Kolisch an Eduard und Clara Steuermann vom 25.10.1956,
wo es heißt: „Das Darmstädter Projekt ist jetzt auf eine ganz grossartige Basis gestellt (Trude), mit Mit-
wirkung des Bundes..." (BOX 4, Folder 28).
55 Die Auswahl von Briefen zwischen Adorno und Steuermann hat zwar in Auszügen diesen Brief
vom 11.7.1955 wiedergegeben (Tiedemann, S. 49-50), aber nicht diesen hier zitierten Abschnitt.
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
276 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 277
Die Differenzen waren also dennoch grundsätzlich und dies nicht zuletzt aus zwe
den: Während die jungen Wilden doch so etwas wie eine historische und sti
tabula rasa vor Augen und im Ohrsinn hatten, also nach 1945 oder zumindest nac
grundsätzlich neu ohne jegliche Folgelasten beginnen wollten, trachteten die Exil
danach, das durch das Nazi-Deutschland bedrohte und verfolgte Erbe der Sch
Schule hochzuhalten und überhaupt wieder ins historische Gedächtnis zu ruf
fern traten einander nicht nur eine bestimmte „Darmstädter Schule" (ein Begrif
Steuermann auch kritisch verwendet) der musikalischen Interpretation, wie sie a
„Verein für musikalische Privataufführungen" - federführend mit Schönberg un
allem mit Eduard Steuermann - hervorging, einer neuen, an John Cage und Davi
orientierten Aufführungspraxis gegenüber (diesem Pianisten verdanken wir bis he
maßgeblichen Einspielungen der Werke von Boulez, Stockhausen, Cage, aber
Stefan Wölpe59), sondern kompositorische Konzepte, die einerseits das Erbe Schö
und vor allem Weberns fortsetzen wollten, andererseits die jungen Wilden,
gerade im Webern- Verständnis von der älteren Generation abzusetzen trachtete
kritische Schnittpunkt war also zunächst der organische und der punktuelle , Web
dem Goeyvaerts, Stockhausen, Boulez und weniger Nono nahe standen, von d
aber vor allem Peter Stadien und auch Steuermann gerade in der Auffassung
27 grundsätzlich unterschieden. Um diese auch prinzipielle und nicht nur g
Differenz besser verstehen zu können, ist es an dieser Stelle von Bedeutung
bedrohte und verfolgte Zwischengeneration61 einzugehen, die im amerikanischen
kaum eine Chance sah, ein entsprechendes Erbe fortzusetzen (vgl. Kolischs62
rigkeit in der Programmierung von Schönbergs Quartetten in Wisconsin an der
Faculty; noch 1962 spricht er davon, dass die „Feinseligkeiten gegen Schönb
eines der auffälligsten Bestandteile des musikalischen Bildungsinventars hie
ist"63), welche dann aber spätestens in den frühen fünfziger Jahren hoffte, we
in Deutschland wieder an die gewaltsam unterbrochene Entwicklung anschl
können. (Kolisch hatte auch hier wiederum seine Zweifel: Zwar stand er dem
Luigi Nono sehr nahe, indem er betont, dass hinter dem Dickicht der Konstrukt
Varianti wirklich bedeutende Musik hervorträte64, konnte aber nicht daran den
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
278 Martin Zenck
Mein lieber Eduard, /ich war sehr glücklich über Ihren Brief und habe sogleich an Steinecke geschrieben.
Es ist zu dumm, dass wir uns im vorigen Jahr versäumt haben; umso schöner die Aussicht, dass Sie und
Klara wiederkommen. Ich hoffe, auch wieder in Kranichstein mitzutun, und wir könnten zusammen viel-
leicht etwas Schönes erreichen - trotzdem ich bis zum Äußersten mit Ihnen dahin übereinstimme, dass
, Kultur davon abhängt, dass man sie nicht pflegt4 . So ungefähr habe ich übrigens auch auf den sogenannten
Darmstädter Gesprächen im letzten Sommer gesagt ./Meine Zeit in Amerika war äußerst unerfreulich,
der extreme Fall einer Fehlbesetzung - ich habe mich selten in meinem Leben so unglücklich gefühlt
wie in jenen 10 Monaten [Jahren?67] und bin sehr glücklich, wieder zurück zu sein. Hier ist unterdessen,
wie Sie vielleicht wissen, ein regulärer Lehrstuhl geschaffen worden. Das einzig Gute, was jene Zeit
für mich bedeutet hat, war eine wesentliche Erweiterung meiner psychiatrischen Kenntnisse, die mir bei
der Soziologie sehr zugute kommen, und privat: dass wir uns mit Trude Schoenberg versöhnt haben und
in einer sehr angenehmen und freundlichen Beziehung mit ihr stehen [Steuermann-Collection, BOX 3,
Folder 2; Hervorhebung vom Verf., es folgt dann der kurze Absatz über Steuermanns Klaviertrio, den
Tiedemann auf S. 46 seiner Ausgabe zitiert].
Im Unterschied also zu Steuermann, der allen Schwierigkeiten zum Trotz versuchte, sich
in den USA lebensweltlich und künstlerisch zurecht zu finden, bezeichnet Adorno die
entsprechende Zeit mit den beiden genannten Ausnahmen als „Fehlbesetzung". Kamen
die psychoanalytischen Studien vor allem dem zweibändigen Werk der Authoritarian
Personality zugute, gab es nach der offenen Kontroverse68 mit Schönberg um dessen
Werk von Nonos Varianti heißt: „Halte mich nicht für einen Verräter an unserer Sache, wenn ich Dir sage,
dass aus dem blanken Wust von Konstruktion schon etwas wie Musik mir durchzuscheinen beginnt".
65 Noch am 28.5.1962 schreibt Kolisch an Steuermann im Hinblick auf sein Retirement: „...haben
wir [die Bratscherin Lorna und Rudolf Kolisch] doch beide gar keine Lust, in Deutschland zu leben. Wir
finden nicht nur die eigentlichen Nazis sondern auch die meisten anderen Deutschen unerträglich und
wenn ich sie sprechen höre, wird mir übel". (Steuermann-Collection, BOX 4, Folder 28).
66 Tiedemann hat bei diesem Brief (S. 46) nur den Bezug zu Steuermanns Klaviertrio berücksichtigt,
nicht aber auch die von mir hier wiedergegebenen Passagen.
67 Es ist unklar, welche 10 Monate Adorno gemeint haben könnte. Er ist 1938 nach den USA (New
York, Los Angeles, New York) exiliert und 1949 nach Deutschland (Frankfurt) zurückgekehrt. Es könnten
also auch diese 10 Jahre gewesen sein oder eben einer der kürzeren Aufenthalte in einer der genannten
Städte in den USA.
68 Vgl. dazu ausfuhrlich Adornos Brief vom 4. 12. 1948 aus Los Angeles an Steuermann in New York
(Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 3). Im Gespräch zwischen Thomas Mann und Adorno ist es dann
gelungen, wenigstens die Wogen ein wenig zu glätten, nachdem Schönberg in einem offenen Brief an den
Saturday Review of Literature den empörenden Missstand stigmatisiert hatte, weder im „Roman eines
Romans" noch im Roman des Doktor Faustus selbst in seiner Bedeutung als Urheber der Zwölftontechnik
angemessen gewürdigt worden zu sein.
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 279
69 Vgl. Zitat aus einer Rede, die Schönberg über die jüdische Situation gehalten hat (Arnold Sch
berg, Two Speeches on the Jewish Situation (first speech ), in: Style and Idea. Selected Writings of Ar
Schönberg , hg. von Leonard Stein, London 1975, S. 502; vgl. dazu Reinhold Brinkmann, Reading a
ter , in: Driven into Paradise: the musical emigration from Nazi Germany to the United States , hg. v
Reinhold Brinkmann und Christoph Wolff, Berkeley 1999, S. 4.
70 Alle folgende Zitate stammen aus dem undatierten Brief [Sommer 1962], der im Zusammenhang ü
das gegenseitige Verwundern über den so früh erfolgten 70. Geburtstag Steuermanns stand (Steuerma
Collection, BOX 3, Folder 2).
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
280 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 281
„Lieber Herr Leibowitz,/zu meiner größten Freude empfing ich vor einigen Tagen Ihre Klav
op. 8 und weiß meiner Dankbarkeit nicht anders Ausdruck zu geben, als indem ich versuche
Eindruck in einiger Ausführlichkeit festzuhalten./Es ist kein Zweifel daran, dass Ihre Stücke das
Komponierniveau repräsentieren, das heute überhaupt gefunden werden kann - von einer R
Unbestechlichkeit und Konzessionslosigkeit, und zugleich einer so vollkommenen Verfugung
Mittel in all ihren Dimensionen, dass man Ihre Stücke allem, was heute zu komponieren sich
fängt, als ein verpflichtendes Paradigma vorhalten möchte. Besonders hervorheben will ich
Momente. Einmal, zwischen der Schönbergschen Dichte und der Webernschen Lockerheit ist
allerglücklichste vermittelt. Die Starrheit, das Abgleiten ins Mechanische, das manchmal Sch
Zwölftonmusik droht, ist durch die unablässige Variationskunst, besonders auch durch das V
aller Oberflächensymmetrien ganz überwunden und umgekehrt ist doch soviel Musik ,da', d
be so reich und verschlungen, dass die Webernsche Gefahr einer Verarmung durch Selektio
scheint. Daß Sie an Schönbergs op. 23 anknüpfen, spricht mich besonders an, denn im Schönb
Oeuvre stellen diese Stücke, die mir fast das liebste sind, was er überhaupt schrieb, ein optim
Verbindung von konstruktiver Strenge und freiem Fluß dar (mit Ausnahme des letzten). Sie habe
Beweis gestellt, dass eine solche Musiksprache nicht nur in einer Technik relativ freier Grund
sondern im strengsten Zwölftonverfahren möglich ist, und damit einen unschätzbaren Beitrag g
jenem Umfunktionieren des neuen Stils, wie ich es theoretisch zu formulieren versucht hatte. -
ist wahrhaft bewundernswert, wie Sie (und das ist vielleicht der Beitrag einer aufs äußerste subl
Erfahrung der französischen Musik) es vermocht haben, trotz der athematischen Verfahrens
Aussparens aller auch nur entfernt der Tradition entlehnten Oberflächenelemente der forma
derung, die Formen ganz und gar zwingend, geschlossen und artikuliert zu halten, durch die
Mittel. Es geht also auch ohne die Beschwörung von Formtypen aus dem Fundus, ohne dass
in einem Dickicht sich verirrte - selbst der hartgesottenste Franzose würde Ihnen die clarté a
müssen. Und auch das ist, gemessen am Stande der gesamten musikalischen Produktivkräfte,
heuerer Fortschritt./Wenn ich leise Fragen anmelden soll, dann beziehen sie sich auf etwas r
Liegendes und kaum in technischen Kategorien recht Ausdrückbares. Ich meine die Freiheit v
Schönbergs [Hervorhebung v. Verf.], nicht im Sinne eines von dem seinen abweichenden Sti
anderen , Tonsprache 4 (denn ich stimme ganz mit Ihnen darin überein, dass es heute verbindlich
nur diese eine Tonsprache gibt), sondern im Sinne der Ursprünglichkeit der konkreten mus
Gedanken, vor allem der einzelnen Charaktere und Satzideen. Es will mir scheinen, als hätte
produktive Rezeption der Schönbergschen Verfahrungsweise den Gehalt selbst weiter affiziert, a
Aussprechen Ihres Spezifischen ganz heilsam ist. Dabei drängt sich natürlich in erster Linie I
Stück auf, das bis in alle möglichen Einzelheiten des Satzes und der Disposition wie ein verf
Nachbild des dritten Stückes aus op. 23 wirkt. Doch spielt da wahrscheinlich eine Absicht m
wie eine Variation über ein Modell zu geben, so wie van Gogh gelegentlich ältere Bilder ,noch
malte. (Übrigens gibt es einen musikalischen Präcedenzfall: der sehr begabte Schönbergschüler
in einem Quartett bewusst ähnlich mit einem Beethovenschen Satz, dem Arioso aus dem B-Dur
verfahren). Aber ich meine eigentlich intimere Details, die wie unter einer Faszination stehen
die Takte 22 und 23 des dritten Stücks im Verhältnis zu Takt 16ff des ersten Schönbergschen Stü
Anfang des vierten in seiner Ähnlichkeit mit dem des zweiten Schönbergischen, und auch den se
zähnlichen Komplex Ihres zweiten Stückes (von Takt 24 an) in seiner Beziehung zu dem Seite
einzeln publizierten Stückes von Schönberg, ich glaube op. 33a. All das ist keine Reminiszenz
und bezieht sich auch gar nicht auf , Themen4, sondern vielmehr auf eine Art Wiederholung bes
geistig-musikalischer Ideen - nicht also auf »Eigentum4, sondern auf ein Moment des zwangh
finierten Bahnen sich Bewegens, gegen das ich im Grunde nur das einzuwenden habe, dass es
unaufgelösten Widerspruch steht zu dem Radikalismus Ihres ganzen Beginnens, der seinem eigen
nach ein höheres Maß an innerer Freiheit postuliert./Ich weiß sehr wohl, dass Sie entgegnen kön
»Charaktere4 ließen sich nicht von Material und Verfahrungsweise trennen und zöge man ein
Konsequenzen, so seien damit in gewissem Maße die Charaktere mitgesetzt. Ich bin gewiss der let
eine solche mechanische Trennung machen würde, und habe gerade gegen Schönberg eingewa
er in seiner Spätzeit gewisse Charaktere wie das ominöse ,Amabile4 einer Tonsprache einver
deren eigenes Wesen solche Charaktere ausschließt. Aber geht man ins andere Extrem, so kom
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
282 Martin Zenck
73 Sabine Meine hat zwar zwei andere Briefe in diesem Zusammenhang zitiert, nicht aber den hier
wiedergegebenen. Sie hat in ihrer fundierten Arbeit dann aber genau die Stellen zwischen Leibowitz'
op. 8 und den entsprechenden Partien vor allem in Schönbergs op. 23 miteinander verglichen, die auch
Steuermann in dieser Weise genau anführt, (vgl. S. Meine, S. 270-281, sowie die beiden von ihr zitierten
Briefe auf S. 240).
74 IMD: R 82, Band 38; R03: 1, Band.
75 Vgl. den Brief von Kolisch an Steuermann vom 6. Juli 1957 aus Venedig, wo Kolisch mit Nono
dessen Varianti für die Uraufführung in Donaueschingen probte. Dort heißt es mit Bezug auf die geplante
UA des ,Duo' : Für Kranichstein nehmt den Segen eines alten Kranichsteiners . Es schmerzt mich doch sehr,
dass ich Dein Stück und Berg [Kammerkonzert] nicht mit Dir aufführen kann. (Steuermann-Collection,
BOX 4, Folder 23, , Kolisch4).
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
. . .die Freiheit vom Banne Schönbergs. . . 283
- jtz"; ^7''
'*<*»& yf7' y 7-
l/AU xy.Ä/^
-..,/ ,«.,' 'XTj
fr' *<S"
-/, tXy^-*
' ' ■r^r**<S"
As "£'//«-,
r^r* <:■/As •' '
,/>/.. u Vy x y . "---V-/
,/>/.. :,/■■ u *+*? feMm
"^-v...- .A ^-A :é4-j. ^^A
/!■ // 7 • -"'•> x. i/> - 'Vü*iV> „ ,7
^ - ^2>-x / vî rt "Vk
^ /<& /c^v ^ ' i' _' vî ' . /• R' - x
y*
^/'^' y* ^414^414
J <, /<*«■<■J <,
4S /Ct* . $? 4S /Ct* - 777' ~ ^
-7 V , 4***4S ^-. -7 / ^ /sc*- . >x^-
^^>.h
^^>.h ' .-k,"^.
' e:'s?c^ e '- ^^r%Up'-
{ .- lA-cife
lA-cife ,X{ ■-
■- e
/^A', ,X a .■-
a, y -,y u J>
y Ji*
/ <r±A
/ - /Ji*
J> <r±A
/a, < ^ ^< /a,
/a, .- . .- A
fc-ccl, ' ( / ; ^y-^AA^ 'p, . . x
"~£ ri ■*"»*» ?<rA -vi/X- ■
^■14» ^AA "A^A. ,A^a ~^A
'■^aa^A^ ■-"/A «Az. '^Aaa^
«y^A'/> / ■> ^AAA- -A""^A ..
/ ■> A^'^aa:7^A°*?^' -A""^A .
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
284 Martin Zenck
„ " ...
t£i
y
t
«y
/<«.2f sS
i X'e„?■*<*"
- , ,
v .+0- e^u. -j*. .
Är yyjr
Setoff /SÄL, „ss' , J? / s- y
y^y- / /SÄL, ef*ujcv(/ „ss' .. r , cfetAjï^y J?
/- / , r 'Vi-^
Siusi, 4. 7. Lieber Teddy, /von der ersten geruhsamen' Haltestelle unserer, wie immer komplizierten
Sommerreise, erlaube ich mir Ihnen das beiliegende, Ihnen zugedachte Stück zu senden. Ich muß auch
um freundliche Aufnahme bitten, ich glaube das Stück braucht es. Ich hatte es lange [zuvor] begonnen
und möchte mich vorläufig mit der »Reinschrift4, (verzeihen Sie die Schrift, es ist teilweise auf dem
Schiff geschrieben) begnügen, (meine Sachen werden eigentlich nie fertig-). Ich kann mir denken, dass
Sie »Einführungen4 wie »Analysen4 ebenso hassen wie ich, - in diesem Falle dürfte es aber das Kennen-
lernen erleichtern, wenn man weiß, wie das , System4 gemeint ist. Das erste , Statement4 der Geige ist mit
6 Tönen bestritten, die Antwort des Klaviers mit den 6 komplementären. Die darauf folgende Umkeh-
rung ergibt dieselben Töne - bis auf einen , Vorhalt4 - das Klavier ergänzt entsprechend. Daraus ergibt
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 285
sich fur jedes Instrument eine 7 Ton Skala (es ist also eine Art von 14-Ton Komposition - 14
Schicksalszahl-); es ist wahrlich keine Reihen Komposition - das wäre ja unmöglich. Das Alleg
ursprünglich als gewöhnliche 12 Ton Komp. gedacht; es stellte sich aber heraus, dass dieses
schal (nach den [schlagzeugartigen] Ausbrüchen) gewirkt hätte. Der Unterschied besteht dar
hier (es ist ein Rondo), die Instrumente ihre »Sprachen4 wechseln. In der Coda schließlich noc
in einem Takt. - Es ist wohl ein Experiment, eines, das die heutigen Musiksituation wohl brau
erheblichen Problemen verbunden (Klaviersatz - Antworten in »verschiedenen Sprachen4). I
dass Sie es interessant finden (Die Violinstimme ist spielbar, - es ist ausprobiert, braucht ab
Geiger mit Klangvollem Pizzicat der linken Hand.). Nun genug, ich schäme mich so viel über
schreiben, das für sich sprechen sollte, und lieber möchte ich viele Fragen stellen. Habe ich doch
persönlich gar keine Nachrichten seit einem Jahr und bei aller Ewigkeit leben wir doch im Fl
ich in Magengeschwüren). Ich hätte es gerne gewusst, was es heuer in Kranichstein gab. Von R
ich auf 3 Briefe keine Antwort. Ich weiß wirklich nicht warum. Erich Itor Kahn dessen , Actus
jetzt in Baden-Baden aufgeführt wurde hat von ihm auch kaum etwas zu berichten gehabt. Si
dort nicht gewesen zu sein. - Was machen Sie im Sommer? Arbeiten Sie immer so schwer an
versität. Komponieren Sie? Sie sollten doch - das brauch ich Ihnen nicht zu sagen. - Mein Ar
war eine Tretmühle bis zum letzten Tag. Sie wissen ja, wie man [?sich Freiräume?] schaffen m
wenn man einen sogenannten Namen hat. Dabei versuche ich doch noch für mich selber zu ar
Ferien sind etwas zersplittert und ich habe [?] etwas gearbeitet. (Hier ist auch kein Klavier vo
Wir waren kurz in London, dann in Florenz, wo wir auf das Auto, das wir mit Freunden , teilen
mussten. Jetzt sind wir hier am Schiern, wunderbare Gegend und einem halben Tag schönes Wet
löten geht es nach Salzburg, - ich unterrichte dort wieder am Mozarteum 4 Wochen, - dann bald
Julliard-School. - Bitte, Teddy, schreiben Sie mir diesmal ein paar Zeilen, wie es Ihnen und G
Wir sind bis zum löten: Pensione Mirabella, Siusi, Prov.Bolzano, - dann vom 20ten am Mo
Salzburg. Kommen Sie nicht auch hier [her] einmal zur Abwechslung. Ich hoffe, dass es I
Gretl sehr gut geht - viele herzliche Grüße, auch von Klara/Ihr alter Eduard"76 (Steuermann-C
BOX 3, Folder 2).
Dem oben zitierten Brief Steuermanns zufolge hatte dieser bereits mit Blick
bowitz' op. 8 kritische Konsequenzen aus der Zwölftontechnik, den Vollzug d
freiung vom Banne Schönbergs" gefordert - ohne die maßgebliche Vorrang
Schönbergs77 innerhalb der Schönberg-Schule in irgend einer Weise in Zweifel z
hen - und entsprechende Konsequenzen dann vor allem im frühen Duo für G
Klavier {Improvisation and Allegro for violin and piano) gezogen. Sowohl der
Autograph wiedergegebene Brief von Steuermann an Adorno (vgl. Beispiel 1
Übertragung) als auch ein in der gedruckten Partitur reproduzierter Brief Steue
an Erwin Ratz78 machen auf die besondere Behandlung der Zwölftontechnik inn
der beiden zu einem einzigen Satz verbundenen Sätze aufmerksam. Wie sich anha
Skizzen zu diesem Werk zeigt, war die neue Reihendisposition mit 2x7 Tönen nic
ein nach außen gerichteter programmatischer Schritt, wie er sich in den beiden
76 Von diesem Brief hat R. Tiedemann nur die ersten Zeilen wiedergegeben (Tiedemann, S.
77 Steuermann hat sich eindeutig dagegen ausgesprochen von den drei Meistern der Wiener
überhaupt zu reden. Webern und Berg stehen für ihn in einer ganz anderen Konstellation als es de
der Schönberg-Schule nahe legen würde (vgl. Steuermanns Brief vom 30.5. [1954]: „...was
, anbringen4 moechte, ist, zu einer passenden Gelegenheit, meine Ueberzeugung, dass Berg un
bedeutend ueberschaetzt werden auf Kosten Schoenbergs, dass, meiner Ansicht nach, keine
kann von den 3 grossen modernen Komponisten44 (Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2).
78 Vgl. den dort abgedruckten Brief von Edward Steuermann an Erwin Ratz vom 23. 1 .1962, in
Steuermann, Improvisation and Allegro for Violin and Piano , Northampton (MA) 1977.
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
286 Martin Zenck
79 Auf dem Schallplattenlabel CP 2/10A und 10 B (New York 1989) unter folgendem Titel: Edward
Steuermann. Dialogues for violin solo . Three Songs. Suite for Piano. Improvisation and Allegro.
80 Vgl. dazu Martin Zenck, Karel Goeyvaerts und Guillaume de Machaut. Zum mittelalterlichen
Konstruktivismus in der seriellen Musik der fünfziger Jahre, in: Mf 43/4, 1990, S. 336-551.
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
. . .die Freiheit vom Banne Schönbergs. . . 287
griff der „Intonation" (vgl. auch den Vorsänger in der Liturgie) einfuhrt, der einer
bereits in der russischen Theorie von Assaf'jew, dann vor allem in der Ethnom
logy etwas bezeichnet, was im strikten Sinn nicht individuell thematisch ist, sonde
nur ein Modell, auch etwas nur Angedeutetes darstellt, andererseits dann später in
Analysen Adornos im Getreuen Korrepetitor des vergleichbaren op. 47 von Schönbe
eine entscheidende Rolle spielt. Zunächst verfolgt das Formmodell des ,Duo' ein
Steuermann insgesamt bevorzugte Formkonzeption der „Mehrsätzigkeit in der
sätzigkeit", wie sie sich im späten 19. Jahrhundert vor allem bei Liszt herausge
hatte. Diese Form ermöglicht bei grundlegender Einheitlichkeit zugleich die Aufste
wechselnder Charaktere, die auch nur gereiht werden können, aber dennoch in
gemeinsamen Rahmen gespannt werden. Deutlich ist dies daran zu erkennen, da
Beginn des ersten Satzes (T. Iff. Violine) wiederum gleichsam als Coda des zw
Satzes (T. 179ff.) in Erinnerung gerufen wird (vgl. Beispiel 3 und 4). Insgesamt gibt
zwar eine Zweiteiligkeit (1. Satz: „Quasi Adagio, rubato", T. 1-86, 2. Satz „Allegr
87-187), aber in diese sind jeweils verschiedene, auch kontrastierende Satzchara
eingehängt, die zwar in einer relativ traditionellen Formsemantik beheimatet sind,
zugleich auch in der Reihung die gleichsam expressionistische Unverbundenhe
Isolierten bevorzugen. Auch wenn also die reihenmäßige Fixierung des Tonmat
eine auch horizontal und dialinear durchgreifende Organisation sichert, ist die form
Anordnung dann doch auf einer anderen Ebene, auf einem anderen Formniveau rela
frei von dieser Festlegung der Tonordnungen, welche zugunsten von motivischen Gru
gestalten ausgelegt werden. Das ist denn auch noch das entscheidende Erbe Schönber
nicht primär wie der späte Webern mit den Reihen zu komponieren, sondern mit d
sie eingehängten motivischen Grundgestalten.
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
288 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
. . .die Freiheit vom Banne Schönbergs. . . 289
Beispiel 3: Partiturausschnitt des Beginns von Steuermanns Duo für Geige und Klavier in der Reinsc
des Komponisten als „Transparency". Mit freundlicher Genehmigung von Rachel Steuermann, Ne
und der Library of Congress, Washington D.C. der Edward and Clara Steuermann-Collection.
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
290 Martin Zenck
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 291
Das abgebildete Skizzenblatt (Beispiel 2) zeigt nun zum einen, dass die Grundreih
(„Rows" und „Violin/Piano-Rows") im fortlaufenden Prozess der Komposition an meh
reren Stellen niedergeschrieben wurden - also ein integraler und nicht vorgeordneter
Bestandteil der Komposition sind -, zum anderen Steuermanns Versuch, die Grundrei
über die Zahl 12 hinaus auf 2x7 Töne auszudehnen. Dies gelingt ihm dadurch, das
nun nicht, wie vermutet werden könnte zumindest im Violinpart auf die Vierteltönigk
ausgreift, sondern dass er in der jeweiligen Reihenhälfte den Ton d respektive e dopp
besetzt. Da Steuermann im zitierten Brief dies auch submotivisch mit dem „Vorh
begründet, wäre der Ton e also zweifach gezählt: einmal als Vorhalt in der Geige in T
1, wo er als 6. und letzter Ton der ersten Reihenhälfte erscheint, das andere mal als
Ton der zweiten Reihehälfte in der Umkehrung (T. 2).
Das weist wiederum auf die musikalisch-gestalthafte Begründung in der Anordnun
des Tonmaterials hin. Darin verfährt Steuermann, wie bereits angedeutet, in doppelt
Weise: Er respektiert zwar Schönbergs Denken in Grundgestalten, erweitert es aber d
durch, dass er sich von der Zahl „12" nicht tyrannisieren lässt und sich nicht nur da
vom , Banne Schönbergs' befreit, sondern in der offeneren und parataktischen Fügu
der Formkonzeption, die dennoch wiederum an Schönbergs Phantasy for Violin
Piano denken lässt (was Adorno im Brief81 bestritten hatte im Gegensatz zu me
Position, die differenzierter ausfallt; vgl. Fußnote 69). Nicht zufallig scheint deswege
der endgültige Titel Steuermanns Improvisation and Allegro for Violin and Piano auc
in Anspielung auf Schönbergs Phantasy for Violin and Piano op. 47 gewählt, n
weniger dürfte es ein Zufall dabei gewesen sein, dass zumindest der Planung82 n
beide Werke mit dem Geiger Rudolf Kolisch83 und dem Pianisten Eduard Steuermann
in Darmstadt ur/aufgefuhrt werden sollten.
81 Brief vom 11.7.1955 von Adorno an Steuermann (Tiedemann, S.50). Es wäre ein eigenes Streit
spräch darüber zu fuhren, wie ein präziser Vergleich zwischen diesen beiden Werken aussehen kön
Das wohl Auffälligste ist Steuermanns Verzicht auf idiomatische Intonationen', wie etwa des Wal
des Scherzando und des Ländlers, die in Schönbergs op. 47 im Sinne eines wienerischen Dialekts e
entscheidende Rolle spielen und wohl auch Ausdruck der Sehnsucht nach seiner alten unerreic
gewordenen Heimat sind. Vergleichbare idiomatische Wendungen finden sich in Steuermanns
überhaupt nicht, weswegen es auch im Ausdruck unnachgiebiger und sachlich-objektiver als Schön
Fantasie ist. Das ist umso überraschender als Steuermann in seinem ersten, Rudolf Kolisch gewidm
Streichquartett von 1946 noch ausgesprochen den Wiener Tonfall des Walzers angeschlagen ha
Adorno hat denn auch später im Getreuen Korrepetitor eine eigene Studie zur Auffuhrungspraxis
op. 47 verfasst (vgl. Th. W. Adorno, Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Pr
Frankfurt a. M. 1963, S. 162-186.
82 Kolisch konnte zur Uraufführung des Duos dann doch nicht in Europa sein. Aber dies ,Duo' spiel
dann auch im Briefwechsel zwischen Steuermann und Kolisch eine wesentliche Rolle, weil er
Werk unbedingt auch spielen wollte (vgl. die Briefe vom 15.10.1955 von Steuermann an Kolisch,
8.3.1956 von Steuermann an Kolisch, vgl. auch den Brief von Kolisch an Steuermann vom 16.8.195
dem Kolisch die Absicht äußert, das ,Duo' für Darmstadt zu üben und es nicht im „Kranichsteiner
aufzufuhren, sondern müssten die notwendige Zeit zum Üben finden", Steuermann-Collection, BO
Folder 23, »Kolisch4).
83 Es scheint mir wichtig hervorzuheben, dass der Geiger Rudolf Kolisch mehr noch als Steuerm
versuchte, den Kontakt mit den jungen Wilden von Darmstadt zu suchen und wohl auch zu finden. Be
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
292 Martin Zenck
Die beiden zitierten Briefe von Steuermann vom 4.7.1955 und Adornos Antwort-
schreiben vom 11.7. geben hier abschließend Anlass, über die Situierung dieses ,Duos'
bei den „Kranichsteiner Ferienkursen für Neue Musik" nachzudenken. Da diese Briefe,
wenn überhaupt, bei Rolf Tiedemann nur in Ausschnitten wiedergegeben wurden, ergibt
sich ein vollkommen falsches Bild von der Situation: der gegenseitigen Zugewandtheit
der Freunde bei gleichzeitigem ,Am Falschen Platze sein' inmitten der Darmstädter
Bewegung, in der, fernab vom hier diskutierten ,Duo' ganz andere Sachverhalte zur
Diskussion standen, eine ganz andere Welt ihre Aktualität für sich in Anspruch nahm.
Steuermanns ,Duo' stand zwar im Eröffnungskonzert vom 17.7.1957 im Zusammen-
hang mit anderen Werken der Kammermusik von B.A. Zimmermann, Giselher Klebe
und Alban Bergs Kammerkonzert , bei dem Steuermann den Klavierpart und Wolfgang
Marschner (eigentlich war Kolisch vorgesehen) den Violinpart unter der Leitung von
Hermann Scherchen spielte, aber bereits das 2. Kammerkonzert nur einen Abend später
am 18.7. zeigt mit Werken von Claude Balif, Pierre Boulez, Edgar Varèse, Humphrey
Searle und Schönberg (beim op. 19 wiederum Steuermann an Klavier) zumindest im
ersten Teil eine ganz andere, zukunftsweisende Orientierung84. Trotz aller verwirrenden
Neuheit in der Materialbehandlung und Verschlungenheit der musikalischen Gedanken
in Steuermanns ,Duo' standen sich doch in Darmstadt die Behauptung auf ein Daseins-
recht einer vergangenen, ins Exil vertriebenen Kultur und einer unmittelbar innovativen
Kultur mit einem unerhörten Daseins- und Zukunftsanspruch unversöhnlich einander
gegenüber. In dieser Entgegensetzung war den beiden Seiten ihre gegenwärtige Funktion
in der politischen Kultur/Unkultur nicht oder nur beschränkt einsichtig: ein Teil nur von
historischen und moralisch-heteronomen Rechtfertigungsstrategien und damit fernab
der Möglichkeit zu sein, selbst ein Gesetz, ein Entwurf von Kultur zu werden.
Der vorliegende Beitrag hat versucht, die kulturpolitischen Hintergründe für den Konflikt
zwischen der älteren und exilierten, in den Vereinigten Staaten wirkenden Schönberg-
Schule und der europäischen/amerikanischen Avantgarde der jungen Komponisten in
Darmstadt zur Geltung zu bringen. Es ging darum, diese beiden kontroversen Positionen
aus amerikanischer und aus europäischer Sicht vor dem Hintergrund der jeweiligen,
auch politisch belasteten Vergangenheit (Nazi-Diktatur und ihre Auswirkungen auf das
Nachkriegsdeutschland) und der Gegenwart der fünfziger und sechziger Jahre („Kalter
Krieg" und McCarthy-Ära) deutlich zu machen. Dabei wurde nur ein relativ kleiner Ar-
dere Bedeutung hierbei erlangt sein enger Kontakt mit Luigi Nono spätestens seit 1958 seit den Proben
der Varianti in Venedig (vgl. dazu den wichtigen Brief von Kolisch an Steuermann vom 6.7.1957, mit
dem Kolisch von der Probe mit Nono berichtet: „weil die ungeheure Kompliziertheit des Stückes eine
fortwährende Beratung mit dem Komponisten erfordert". Am Schluss der Apell Kolischs: „Habt Geduld
mit den Jungen!" (Steuermann-Collection, BOX 4, Folder 23, »Kolisch').
84 Vgl. das Programm der beiden ersten Konzerte vom 17. und 18.7.1957 im Programmbuch der Kra-
nichsteiner Ferienkurse für Neue Musik: „1. Kammerkonzert. Tage für Neue Musik [dann das genannte
Programm]" und „2. Kammerkonzert. Tage für Neue Musik [dann das oben im Text benannte Programm]".
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms
... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 293
This content downloaded from 200.16.16.13 on Thu, 21 Jun 2018 16:15:33 UTC
All use subject to http://about.jstor.org/terms