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... die Freiheit vom Banne Schönbergs...

Neue Bewertungen des Komponisten und Pianisten


Eduard Steuermann
Author(s): MARTIN ZENCK
Source: Archiv für Musikwissenschaft, 68. Jahrg., H. 4. (2011), pp. 263-293
Published by: Franz Steiner Verlag
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/41446004
Accessed: 21-06-2018 16:15 UTC

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...die Freiheit vom Banne Schönbergs...

Neue Bewertungen des Komponisten und Pianisten Eduard Steuermann

von

MARTIN ZENCK

This article considers three main points: 1) the significance of Schumann's Kreisleriana in m
interpretation seminars during the "Kranichstein Summer Courses for New Music" in 1954 with
Steuermann, Rudolf Kolisch, and Theodor W. Adorno; 2) the circumstances surrounding their ex
the USA; and 3) Steuermann's compositions that attempt to break free of Schoenberg's influen
particular, the Improvisation and Allegro for violin and piano (1954/55). This study's point of dep
maintains that the conflict between the Darmstadt avant-garde and the middle generation of the Scho
School was due not to age and therefore generational difference but rather to the pressures surroun
the historical-moral legitimacy of the cultural and political situation in Darmstadt, and, more genera
West Germany. Although the American composers John Cage, David Tudor, Morton Feldman, and S
Wölpe (perhaps also Eduard Steuermann) individually helped determine new directions in Darm
after 1954/1957, a productive dialogue - whether it be institutional, aesthetic, or concerning the hist
knowledge - was never established between the heritage of Bauhaus principles taught at Black Mo
College and the Darmstadt and Cologne Schools' concept of an open work of art ("offenes Kunst

Vorwort

Die Edward and Clara Steuermann-Collection in der „Music Division" der Libra
Congress (Washington, D.C.) enthält in mehr als 43 Boxen, die jeweils noch in a
betische und thematische Folder unterteilt sind, den gesamten archivalischen Besta
an unveröffentlichten Briefwechseln (allgemeine und Familien-Korrespondenz), an
oretischen und literarischen Schriften, sowie vor allem insgesamt alle von Steuerm
hinterlassenen Kompositionen in Form von Werkskizzen, verschiedenen Werkfassun
bis hin zu abgeschlossenen Partituren in Reinschrift, sowie schließlich Transkriptio
von Werken anderer Komponisten. Von Steuermanns Kompositionen sind zu s
Lebzeiten und nach seinem Tod im Jahr 1964 nur wenige Werke im Druck1 erschie

1 Noch heute sind, wenn überhaupt, nur zwölf seiner Werke über APNM („Association for he Pro
tion of New Music", New York) zugänglich, allerdings nur durch eine kostenintensive Bestellun
„master copies", die dann für den jeweiligen Interessenten speziell hergestellt werden. Die andere
vor allem früheren Werke sind über verschiedene Verlage noch teilweise zu erhalten (New Valley
Archiv für Musikwissenschaft, Jahrgang 68, Heft 4 (2011)
© Franz Steiner Verlag, Stuttgart

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weswegen die autographen Partitur


besondere Bedeutung haben. Die vo
fentlichten Texte, Briefe und Partit
Gesichtspunkten und versucht dadu
chenen Überblick über den Gesamt
sind von anderen Autoren gemac
und von Volker Rülke4, der exemp
anhand der Skizzen- und Reinschri
hat. Die veröffentlichten Schriften
blizierten Partituren je nach Ort d
sind direkt im fortlaufenden Text
ligen Folders aus der Steuermann
der Tochter von Clara und Edwar
herzlich für die Möglichkeit der Ei
die Überlassung der Reproduktions
Köln, vertreten von Jürgen Chr. R
das mir in Washington an der Li
Archivakten ermöglichte. Ebenfa
der „Music Division" der Library of

Press, Autofax Editions (BMI), Margun


all diesen Werken so gut wie keine Aufn
erhältlich die Aufnahme der Variations
die des Klavierstrios Steuermanns aus dem Jahre 1954 auf dem Label Divox mit dem Ravinia-Trio in
der Koproduktion mit dem WDR aus dem Jahre 1993 wie weiter eine Aufnahme desselben Werkes im
Zusammenhang mit der von Steuermann hergestellten Transkription der Verklärten Nacht von Schön-
berg durch das Trio mit Herbert Henk (Klavier) auf dem Label tacet. Schließlich gibt es wenigstens
von Steuermanns Suite for piano eine Einspielung von Jan Michaels mit Werken von Schönberg, Berg,
Webern und Steuermann auf dem Label Eufoda. An älteren Aufnahmen sind zu nennen: Dialogues for
violin solo (Paul Zukofsky), Three Songs (Beverly Morgan and Christopher O'Riley), Suite for piano
(Rüssel Sherman) und Improvisation and Allegro (Paul Zukofsky and Aki Takahashi) auf Cp 2/10 von
1981 und schließlich die Vier Klavierstücke von 1934/58 mit dem Pianisten Karl Steiner auf Centaur
Records von 1995.
2 Vgl. Regina Busch (Hg.), Aus dem Briefwechsel Webern-Steuermann , in: Musik-Konzepte , Sonder-
band Anton Webern L München 1983, S. 23-51.
3 Rolf Tiedemann (Hg.), Die Komponisten Eduard Steuermann und Theodor W Adorno. Aus ihrem
Briefwechsel , in: ders., (Hg.), Adorno-Noten , Berlin 1984, S. 40-72 (Die Auswahl der entsprechenden
Briefe sowie die Auslassungen in den einzelnen Briefen ist mehr als problematisch. Bei den von mir
zitierten Briefen habe ich dann entweder die überhaupt nicht berücksichtigten Briefe oder die fehlenden
Abschnitte anhand der Steuermann-Collection ergänzt).
4 Volker Rülke, Der Komponist Eduard Steuermann. Vier Werkstudien (= Studien und Materialien
zur Musikwissenschaft , Bd. 20), Hildesheim 2000 (vgl. weiter die vorzüglichen Studien dieses Autors:
Zu Eduard Steuermann , in: Von Kranichstein zur Gegenwart. 50 Jahre Darmstädter Ferienkurse u. a. im
Auftrag des Internationalen Musikinstituts, Stuttgart 1996, S. 113-119 und Eduard Steuermann, in: Schüler
der Wiener Schule, hg. von der Internationalen Musikforschungsgesellschaft, Wien 1995, S. 119-121.
5 Edward Steuermann, The Not Quite Innocent Bystander: Writings of Edward Steuermann , hg. von
Clara Steuermann u. a., Lincoln und London 1989 (im Folgenden zitiert als „Steuermann, Writings' ').

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sondere Sue Vita (Chief) and Elizabeth Auman (Donor Relations Officer) der dort
Musik-Abteilung.

Einleitung

Adorno zufolge war der Komponist, Pianist, Klavierpädagoge und Musikschriftsteller


Eduard Steuermann das „Gewissen der Musik [und deren] moralisches Genie"6 (Steuer-
mann-Collection, BOX 3, Folder 2) schlechthin und man könnte präzisierend ergänzen:
beinahe dasjenige eines ganzen Jahrhunderts. Von den kulturellen Errungenschaften des
Alten Europa seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt, auch von seinen Abgründen
und Untergangsvisionen, die dann auf schreckliche Weise Wirklichkeit wurden, hat er
frühzeitig engste Berührung mit den fortgeschrittensten Bewegungen der damals ent-
stehenden Moderne in Wien und in Berlin, mit Ferruccio Busoni als Klavierlehrer und
mit Arnold Schönberg als Kompositionslehrer gehabt7. Aus dieser Erfahrung erwuchs
ihm die selbstverständliche Einheit von vergangener und gegenwärtiger Musik, so dass
er auf der einen Seite das Klavierwerk von Brahms8 maßgeblich herausgab, Beethovens
Diabelli-Variationen spielte (auch von ihnen Analysen9 anfertigte), auf der anderen
Seite die bedeutenden Werke seiner Lehrer Busoni und Schönberg immer wieder zur
Auffuhrung brachte. Für deren Repertoire setzte er sich noch bei den Kranichsteiner Fe-
rienkursen für Neue Musik ein und geriet dadurch in einen Gegensatz zum Institutsleiter
Wolfgang Steinecke und den jungen Serialisten um Stockhausen, Boulez und Nono, die
sich eher sich für Stockhausens Klavierstücke und die drei Klaviersonaten von Pierre
Boulez als Pflicht- und Wettbewerbsstücke aussprachen. So kam es, dass Steuermann
die avancierte Musik des alten Europa mit ins amerikanische Exil nahm, um dort sowohl
neue Einspielungen von Werken von Brahms ( Intermezzi op. 116), von Busoni (die
Sechs Elegien , die Toccata und zwei Sonatinen) und des gesamten Klavierwerks von
Schönberg in immer wieder neuen Anläufen und Korrekturen in den Studio-Sitzungen
der Columbia Recording Company aufzunehmen. Mit diesem Repertoire, das zu exer-
zieren ihm durch seine Eigenschaft als einer der drei „Lehrmeister" (neben Webern und
Berg) im „Verein für musikalische Privataufführungen" im Schönberg-Kreis vertraut
war, ging er also nach New York um dort einmal an dieses Erbe anzuknüpfen, zum an-

6 Unveröffentlichter Brief von Theodor W. Adorno vom 17.11.1964 an die Freunde (Steuermann-
Collection, BOX 3, Folder 2); vgl. dazu ausfuhrlich meinen Beitrag Der Briefwechsel zwischen Eduard
Steuermann und Theodor W Adorno , in: NZM 5/2011, S. 58-60.
7 Vgl. zur Biographie Edward Steuermanns den erhellenden Text von Clara Steuermann: Edward
Steuermann: Notes for a Biography , in: Steuermann, Writings , S. 5-24.
8 Johannes Brahms, Klavierwerke, hg. von Eduard Steuermann, Wien Universal Edition 1930 und
sein Aufsatz im Anbruch und Adornos Reaktion darauf; vgl. dazu auch das Dankesschreiben Steuermanns
vom 7.3.1932 an Adorno (Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2). Vgl. auch den bei Tiedemann ab-
gedruckten Beitrag Adornos mit dem Titel Brahms aktuell , in: Adorno-Noten , hg. von Rolf Tiedemann,
Berlin 1984, S. 34-39.
9 Steuermann, unpublished writings , Steuermann-Collection, BOX 1, Folder 'Diabelli-Variationen'.

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deren um sich gerade von den Fol


musikalisch-strukturellen wie poe
Œuvre zu lösen. Und dabei wurde er
die zwischen dem alten Kontinent E
allem dann im Darmstadt der 1950e
grobschlächtig dem exilierten und e
er sich von diesem auch belastenden
wohl kaum wahrgenommen (Steue
Interpret10). Diese Umorientierung
College11 (1933-1957) in North Caro
Musik, wie
sie dort mit dem exili
Stefan Wölpe
und dann von amerik
(beide waren dort Studenten bei Jo
Feldman erfolgreich behauptet wur
spät für Steuermann - und wohl au
er doppelt fremd und ungleichzei

10 Vgl. dazu seine Beteiligung an allen d


Schönbergs seit dem Pierrot Lunaire (UA
41 aufgelisteten Aufnahmen, zu denen
Aufnahme vom 15.8.1954 unter der Sign
konzerts unter Hermann Scherchen gehör
und Aufführungsinterpret der Werke S
wieder zu den entsprechenden Klavierkur
11 Vgl. dazu Steuermann über sein Kon
Adorno: „Black Montain war eine schwer
nem Recital gut gespielt (besser als in Sa
Sonst habe ich zwei Vorträge gehalten, -
mein New Yorker Vortrag war und einen
wenig chaotisch geraten ist, aber interess
Bereits am 3.2.1943 hatte Steuermann im B
des Black Mountain College" spielen würd
Mountain College: Anne C. Shreffler, Wö
Musical Migration from Nazi Germany to
Wolff, Berkeley und Los Angeles 1999, S
schen dem exilierten „Bauhaus" (Weima
schreiben, ebenso eine über die mögliche
Schule". Der Unterschied lag vor allem in
bestehende „Black Mountain College" ein
war, beschränkten sich die „Darmstädter
12 Es gibt möglicherweise einen Erkläru
älteren Deutschen und jüngeren Amerika
in Deutschland in Darmstadt. Einmal weg
Darmstadt, während das College eine zwar
unbegrenzte universitäre Institution (von
in den Vereinigten Staaten als solche anerk
die exilierten Deutschen in Darmstadt stän
Vergangenheit erinnerten.

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der fünfziger Jahre als auch im neuen Amerika (Ausreise 1936, 1948: amerikanische
Staatsbürger13) war er ein Vertreter einer alten, auch wenn noch nicht untergegangenen
so doch untergehenden Welt, deren Kultur auf Grund ihrer zerstörerischen Allianz mit de
Barbarei14 nicht mehr geschätzt und gepflegt werden wollte, obwohl Steuermanns eigene
Position längst eine andere war, die ihn eher mit den , jungen Wilden" in Darmstadt un
dem Black Mountain College hätte in Verbindung bringen können. Steuermann war also
im Gegensatz zu Stefan Wölpe, der die amerikanische Avantgarde ganz entschieden in
sich aufgenommen hatte und den neuen Kontinent als eine große Chance für das eigene
Komponieren15 empfand, ein Mann zwischen diesen Kontinenten der neuen und der alten
Welt. Und daraus erklärt sich womöglich seine bis heute weitgehende Unbekanntheit: al
Pianist einer großen, aber auch verlorenen Tradition zwar hoch geschätzt, aber als Kom
ponist insulär ohne die kanonbildenden Anbindungsmöglichkeiten von „Schulen". M
dieser Einleitung zeichnen sich daher jetzt schon die Konturen des vorliegenden Beitrag
genauer ab: nämlich nicht in den bisher beschriebenen historisch-stilistischen Mustern
und Kontexten zu verbleiben, sondern innerhalb dieser Ordnungen Abweichungen und
neu-setzende Ordnungen ohne den Anspruch auf Kanonbildung zu erheben. Denn im
einen waren sich Steuermann und Adorno einig, dass das kulturelle Erbe gerade dor
entsteht, wo es nicht gepflegt16 wird.

I. Schumanns Kreisleriana in Kranichstein

Es ist zwar einigermaßen bekannt, dass bei den seit 1946 bestehenden, von Wolfgang
Steinecke initiierten und geleiteten „Kranichsteiner Ferienkursen für Neue Musik" nicht
nur Kompositionskurse von namhaften und weniger namhaften Komponisten gegeben
wurden, weniger hat sich aber die Tatsache im allgemeinen musikalischen Bewusst-

13 Vgl. genaueres zur Biographie Steuermanns die dokumentarisch ausgeführten Darlegungen von
Clara Steuermann, Angabe unter Fußnote 7.
14 Vgl. Modernität und Barbarei, hg. von Max Miller und Hans-Georg Soeffner, Frankfurt a. M. 1996.
15 Vgl. dazu Thomas Schäfer, „Batties, hopes, difficulties - new Battles new hopes no difficulties
Stefan Woples „Battle Piece", in: Exilmusik. Komponisten während der NS-Zeit (= Musik im „Dritten
Reich " und im Exil , Bd. 3), hg. v. Friedrich Geiger und Thomas Schäfer, Hamburg 1999, S. 232-263 und
Martin Zenck, Über eine schmerzende Leerstelle in René Leibowitz ' und Theodor W Adornos Musikge-
schichtsschreibung der dreißiger und vierziger Jahre. Die nicht nur historische Bedeutung von Stefan
Wölpes Körper-Musik und das Problem ihrer zurückdatierbaren Aktualität , in: Stefan Wölpe II. Musik-
Konzepte. Neue Folge , hg. von Ulrich Tadday, München 2011, S . 61-92.
16 Vgl. Brief Adornos vom 22.2.1954 an Steuermann (Tiedemann, S. 46); ansonsten fehlt der hier
wiedergegebene Teil des Briefes, wo es heißt: „...trotzdem ich bis zum Äußersten mit Ihnen dahin
übereinstimme, dass , Kultur davon abhängt, dass man sie nicht pflegt". Dieser Satz bezieht sich auf
folgenden Brief von Steuermann an Adorno: „Der Aufenthalt in Darmstadt haette das Gute, dass es so
nahe zu Frankfurt ist und dass man Sie und Gretel nach so langer Zeit wieder sehen koennnte. . Sonst, -
Sie koennen es sich denken, wie ich Sommerkurse liebe, da ich immer mehr fuehle, dass Kultur davon
abhaengt, dass man sie nicht pflegt, - aber das braucht man ja in Darmstadt nicht zu wissen". (Brief vom
17.2.1954 von Steuermann an Adorno; bei Tiedemann, S. 45-46 ist dieser Teil des Briefes nicht wieder-
gegeben, Steuermann-Collection BOX 3, Folder 2).

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sein festgesetzt, dass , Darmstadt' v


klassische und romantische Auffuh
musikalischen Interpretation ausges
gekehrt aus der Neuen Welt der Ve
in einem bislang nur teilweise ver
und Komponisten Eduard Steuerm
Vorgesehen ist als Hauptkurs der diesjähr
eine von Ihnen, Rudi und mir gemeinsam
habe mir vorgestellt, dass man sich dabei v
traditioneller Musik zu sagen wären. In
Vortrag über Schumanns Kreisleriana hal
könnte etwas Außerordentliches werden.
ich selbst könnte einiges aus meinen sehr w
Reproduktion vortragen. Fruchtbar könn
aber in unserem Sinn schlechte Aufführ
Bruno Walter) auf dem Grammophon spi
einzelne auf ein höheres Niveau zu heben
Sie außerdem mit Steinecke einen Einzel
aber natürlich sehr schön17. (Steuermann

Es war also geplant, dass Rudolf Ko


Character in Beethovens Musicls
Aspekte der musikalischen Reprodu
fassender, wenn auch fragmentar bl
Steuermann sollte über Schumanns
bereits 1944 Vorlesungen gehalten h
in Music and the „Kreisleriana" ih
Schriften Steuermanns21 finden
Uraufïuhrungsinterpret vor allem v
auftrat und dem Pianisten und v
Sommerkurs 1 954 ein ganzes Komp

17 Dieser Brief wurde zwar von Rolf Tie


Fußnote 2) auf Seite 46-47 wiedergegeb
beitsgemeinschaft über Darstellungsprob
Auslassungen innerhalb der Briefe ist denn
sie selbst dann, wenn sie vor allem auf k
und Adorno fokussiert, etwa die von Ste
Music for Instruments (1961) auslässt (v
18 Rudolf Kolisch, Tempo and Character
S. 90-131.
19 Vgl. Theodor W. Adorno, Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion: Aufzeichnungen, ein
Entwurf und zwei Schemata (= Nachgelassene Schriften. Abteilung I, Fragment gebliebene Schriften,
Bd. 2), hg. von Henri Lonitz, Frankfurt a . M. 2001.
20 Einem Brief vom 2.3. [1957?] von Steuermann an Steinecke zufolge, hatte Steuermann dies Werk
noch zuvor zusammen mit Mozarts Klavier-Rondo a-Moll, den Diabelli-Variationen und Schönbergs op.
19 in einem Konzert in Princeton zur Auffuhrung gebracht. (BOX 3, Folder 22).
21 Edward Steuermann, Writings , S. 150-158.

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vorangestellten Vortrag (Steuermann-Collection, BOX, 1,3) hielt, spielten in Darmstadt


gegenüber dem aktuellen Komponieren Fragen einer , richtigen musikalischen Interpre-
tation' traditioneller Musik eine entscheidende Rolle. Die produktive Erfahrung mit
Neuer Musik, mit dem Stand des Komponierens, vor allem der Schönberg-Schule und
der seriellen Musik, sollte sich auch auf die Reproduktion des klassisch-romantische
Aufïïihrungsrepertoires auswirken. Dass diese früh mit den beginnenden 50er Jahren
einsetzende Konzeption später in den 60er und 70er Jahren dann Schule machte, ist
etwa an den Beethoven-Interpretationen des LaSalle-Quartets und Mauricio Pollinis
und vor allem an den Wagner-Dirigaten des Komponisten Pierre Boulez abzulesen
dessen vollkommen veränderter musikalischer Interpretationsstil sich komplementä
zum Neu-Bayreuther Inszenierungsstil von Wieland Wagner22 verhielt. Das Besondere
nun an Steuermanns musikalischem Interpretationsstil (vgl. die Zusammenfassung auf
S. 273f.) ist der Sachverhalt, dass er die später mit Darmstadt einsetzende Einheit von
avancierter Kompositionsweise und einem vergleichbaren Reproduktionsstil nicht erst
bei den Kranichsteiner Ferienkursen praktizierte, sondern dass ihm diese Einheit bereits
seit den 1910er Jahren, als er in Berlin zwischen 1910 und 1914 Klavierschüler von
Ferruccio Busoni und Kompositionsschüler von Schönberg wurde, eine von der Sach
her selbstverständliche und zwingende war, so dass durchaus im Sinne Busonis23 zwi-
schen einer genuin produktiven Verfahrensweise und einer ,nur' reproduktiven der
Wiederholung in der Aufführung nicht sinnvoll zu unterschieden war. Es ist deswegen
nicht überraschend, dass Steuermann, dem Briefwechsel mit Adorno zufolge, den Vor-
schlag, Schumanns Kreislerina im Interpretationskurs zu behandeln, gerne aufnahm
und auch im historisch-zeitlich vergleichbaren Umfeld sich für die Aufnahme auch der
Klaviermusik des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts in die Kurse und in die Pflicht-
stücke des Darmstädter Klavierwettbewerbs bei den Feiernkursen einsetzte. Dies führte
denn auch immer wieder zu Spannungen mit Wolfgang Steinecke und den Jungen', die
auf den Programmen24 der Pflichtstücke lieber Stockhausens Klavierstücke und Boulez'
Klaviersonaten gesehen hätten als Werke von Busoni, Skrjabin, Bartok, Strawinsky,
Schönberg und Webern. Obwohl es nun von der Kreis leriana keine Schallaufnahme mit
Steuermann als Pianisten gibt - nur hymnische Berichte über spätere Konzerte von

22 Vg. dazu Martin Zenck, Wagner in perspective : Luigi Nono's ,Prometeo' - Pierre Boulez' und
Wieland Wagners , Tristan ' in Osaka/Bayreuth , in: Wagner-Spektrum , Sonderheft: Wagner und die Neu
Musik , hg. von Dieter Borchmeyer und Udo Bermbach, Würzburg 2011, S. 69-99.
23 Vgl. zum interaktiven und offenen Zusammenhang zwischen Komposition, Improvisation, Tran-
skription und musikalischer Interpretation bei F. Busoni: Martin Zenck, Reinterpreting Bach in the nine-
teenth and twentieth centuries , in: The Cambridge Companion to Bach , hg. von John Butt, Cambridge
1997, S. 238-274.
24 Vgl. den in den Briefen zwischen Steuermann und Wolfgang Steinecke immer wieder aufbrechende
Streit um die alte und neue Schwerpunktbildung des Klavierrepertoires (exemplarisch für viele Briefe
denjenigen vom 12.3.1961, in dem Steuermann etwa Stockhausens Klavierstücke als Wettbewerbsstück
problematisiert, wohingegen sein Brief vom 1.1.1959 durchaus die Möglichkeit einräumt, neben Schön
berg und neben Bartôks 3 Etüden eben auch „etwas von der juengsten Generation zu versuchen. Z.B. Ite
oder 2ter Satz aus der 2ten Sonate von Boulez oder etwas aus den Klavierstücken von Stochkhausen".
(Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2).

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Seiten seines Studenten und des vor


trug während des Schumann- Vortr
Fis-Dur-Sonate und von Schuber
Kreisleriana vor), ist im Folgenden
produktiv zu machende Konzeption
and the „ Kreisleriana "26 einzuge
Werke von Brahms, Busoni und S
Interpretationsstil auszuführen, der
Klaviers orientiert war, sondern L
durch seine Transkriptionen auch gr
und Klavierkonzerte einschloss. D
vermitteln, wie Steuermann in Dar
welchen Aufführungsstil er durchz
pretation des zeitgenössischen Re
eingeräumten Spannungen, die mit
hingen und Probleme bei der Einstu
sens und Boulez' sichtbar machten
necke27 auf die jüngere Pianistenge
des neuesten Klavierrepertoires hin
ist zunächst aus zwei Gründen üb
der gemeinsamen „Arbeitsgemein
Kolisch und Adorno in Darmstadt s
stellt er die Kreislerina in der Ab
romantische, d. h. moderne Denk
Schlegels „progressiver Universalpo
„unabschließbaren Projekt der Mo
war Schumanns Kreisleriana also
sich weiter unten zeigen wird); zum
dieser Reihe von Fantasiestücken
die in der „Darstellung" entspreche
sicht Steuermanns, dass für Schum

25 Vgl. A Conversation with Rüssel Sherm


und 222.
26 Steuermann, Writings , S. 150-158.
27 Vgl. Brief vom 12. 3. [1957?] von Steuermann aus New York an Dr. Steinecke in Darmstadt
(Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 22). Immer wieder, auch im Falle von Weberns op. 27, nicht nur
bei den Klavierstücken Stockhausens, verweist Steuermann auf einen anderen möglichen Kursdozenten:
nämlich auf David Tudor (vgl. auch den Brief vom 22.4. [1957?] an Wolfgang Steinecke [Steuermann-
Collection, BOX 3, Folder 22]).
28 Noch im Nachruf auf Steuermanns Tod im Jahr 1964 hebt Adorno eine entsprechende Bedeutung
von Steuermanns Schumann-Spiel hervor, insbesondere fax Kreisleriana (vgl. Theodor W. Adorno, Nach
Steuermanns Tod , in: ders., Musikalische Schriften IV. Moments musicaux. Impromptus , Frankfurt a. M.
1982, S. 314.

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dene Form (die „loosenes"29) im Gegensatz zum logischen Imperativ der Fug
imperative as the logic of a fugue"30) eine entscheidende Rolle spielt, wofür
Begriff einer naturhaften Organizität ins Spiel bringt, die zwar komplexe Verfa
weisen Beethovens auf einfache zurückfuhrt, dabei aber das Organische keineswe
ungebrochen, sondern als „distorted"31 reklamiert. Diese Organizität führt zu kein
ausgeführten und ausgedehnten Formen des naturähnlichen Wachsens und Wuch
sondern in der Verkürzung der Form zu einem Prozess der Stauchung und Komp
rung, bei der verschiedene melodische Entwicklungen vergleichzeitigt werden. D
für Steuermann ein besonderes Problem der „Darstellung", also der musikalis
terpretation, das dem Spieler keine frei sich gebende Weise der Darstellung lässt, s
auf der einen Seite Abbrüche und ein plötzliches Innehalten erzwingt, auf der an
die Verwirklichung unmittelbar entstehender, mehrfacher melodischer Linien ein
(Also der spontane, auch unvorbereitete Wechsel von einfachen, akkordisch begle
Melodien und daraus gewissermaßen subkutan hervorgehend: mehrfache Me
deren Allusionskontrapunktik von vielen Pianisten zumeist überspielt wird,
einem latent polyphonen Verfahren, bei dem die zusätzlichen Stimmen gleichsam
hinzutreten, ohne damit setzende Stimmeintritte im Sinne des kontrapunktische
zu markieren.) Unmittelbare Rupturen wie plötzliche Verdichtungen sind a
Steuermann Desiderate, die im Rahmen kurzer Stücke und damit auch inmitt
organischer Prozesse besonders schwierig zu erfüllen sind. Das Besondere
Steuermanns Aufsatz ist der Sachverhalt, dass er nicht, wie es in einem Interpre
kurs im Zusammenhang mit Kompositionskursen zu erwarten wäre, vorsch
Aktualität des Schumannschen Komponierens für das zeitgenössische um 195
miert, sondern dass er eher verdeckte Traditionslinien zwischen Schumann
Schönberg und der kompositorischen Situation um 1954 aufsucht. Da ist ein
Verbindung mit Schönbergs Begriff der „musical prose"32, wie er ihn mit der N
Kreislerina namhaft macht und die auffallige Parallele zwischen der Szene am
in Bergs Wozzeck und dem „Naturlaut" des zweiten Stücks der Kreisleriana
anderen stellen nach Steuermanns Aufsatz über Schönbergs Klavierstücke op. 193
nige dieser Stücke durchaus einen zwar entfernten, aber auch sinnvollen Kontext
dem , kurzen' Klavierstück, vor allem des „Hasche-Mann" (Nr. 3) und „Fast z
(Nr. 10) der Kinderszenen von Schumann her. Schließlich zeigt die Korresp
zwischen Steuermann und Adorno, wie akut die Frage zwischen Form-Bindun
Freiheit, bzw. Lockerung („Looseness") nach dem für diesen Sachverhalt zentr

29 Edward Steuermann, Romanticism in Music and the „Kreisleriana", in: Steuermann, Writing
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Ebd., S.157.
33 Ebd.
34 Edward Steuermann, Solving the Puzzle: Notes on the Interpretation of Schoenberg's Six Little
Piano Pieces, Op. 19, in: Steuermann, Writings, S. 193.
35 Vgl. dazu Adornos Brief vom 14.10.1955 an Steuermann (Tiedemann, S. 52).

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272 Martin Zenck

47, der Phantasy for Violin with Pia


Steuermann und Kolisch/Marschner z
wurde, nun auch für die Komponi
unmittelbar aktuelle kompositorisch
Duo für Geige und Klavier (vgl. Kap.
allem zu den 4 Klavierstücken 38 v
Kranichstein daran wieder auf) un
Reihe von Charakterstücken, die si
schließen) aus dem Jahre 1954, die d
ter Jahr der Kreisleriana grundlegen
chen Jahr eingespielt hatte. Hier z
zwischen Boulez und der Zwischenge
Schoenberg is dead übst den Tod S
Erbe befreit fühlt, versuchen Leib
verpflichtende Erbe der Schönber
Steuermann41 auf Boulez' Artikel aus
hat. Dieser strittige Punkt der „lo
kussion eines Adorno gewidmeten

36 Vgl. zur Diskussion von Schönbergs


(Tiedemann, S. 50).
37 Vgl. Brief vom 20.7.1954 von Steineck
auch bezeichnenderweise das Duo für Geige
men von beiden Werken mit den Interprete
von zwei Konzerten während der Kranichs
im IMD (IMD, R 72: IMD, R 82 Band 38;
38 Eduard Steuermann, 4 Klavierstücke.
Reigen. Anton Webern zugeeignet, Wien 1
Collection, BOX 16, Folder 9.
39 Vgl. die revidierte Fassung von Edwar
Misterioso, Chorale and March), hg. von G
weist daraufhin, dass dies Werk deutlich v
1940er Jahre, denn Rüssel Sherman, ein Stu
uraufgeführt; vgl. dazu die vorzügliche Au
40 Es ist klar, dass es sich bei diesen Plän
beim HR vermittelt worden sind, um die Vi
Fassung 1958) handelt; in einem Brief Ste
diesen Sachverhalt hervor: „...wuerden Sie
interessieren? Ich habe sie danunlaengst »e
interessant). Sie sind, wie ich glaube um 193
bei einem IGNM Konzert aufgefuehrt.; (w
von Webern auch gespielt). Es sind 4 Stuec
Mit Ausnahme des ersten Stueckes sind es
nicht neu komponierte Suite für Klavier , d
Signatur 00/364/MP aufliegt.
41 Vgl. seinen Brief vom 24. 12. [1955, bei
er sogar eine offizielle Gegendarstellung
42 Pierre Boulez, Schoenberg is dead , in:

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 273

ter nach Steuermanns Tod unter dem Titel Improvisation and Allegro for violin
piano 43 1971 veröffentlicht wurde, bei dem Adorno befurchten musste, dass sich sei
verehrter Freund denn doch bereits zu sehr an den jüngeren Komponisten in Darmsta
orientiert habe, während er selbst hinter solchen Formdesideraten44 bereits längst zu
rückgeblieben war. Es sind also folgende Aspekte, die in der Übertragung von musika
lischer Interpretation auf das Komponieren, gerade für die kompositorische Situation
um 1954 bestimmend wurden: erstens die relative Kürze der Stücke bei gleichzeit
Gedrängtheit melodischer Ereignisse und Entwicklungen und zweitens trotz der Durc
bildung der Form durch die wenn auch offen gehandhabte Zwölftontechnik das Zulas
sen freierer, wenn nicht unvorhersehbarer Prozesse, auf die im Abschnitt III. noch zur
zu kommen sein wird. Wollte man nun in diesem Punkt abschließend versuchen, Steu
ermanns Klavierspiel im Zusammenhang seiner theoretischen wie auffuhrungspr
tischen Bemühungen zu charakterisieren, so ließe sich mit Blick auf Schumanns Kreis
leriana , auf Beethovens Diabelli- Variationen*5 , auf Schönbergs gesamtes Klavierwerk4
auf Brahms' Intermezzi op. 1 1747 und auf Busonis Elegien und die Toccata 48 Folgend
unter systematischen Gesichtspunkten festhalten: Sein Klavierspiel ist sachlich im Sin
der „tiefsten Leidenschaft"49, aber nicht neu-sachlich, es ist trocken, nüchtern und da
höchst expressiv, ohne subjektives Rubato, mit nur sehr sparsamer Pedalierung, äußer
distinkt und kernig in der jeweiligen Artikulation eines einzelnen Tons und einheitlic

43 Edward Steuermann, Improvisation and Allegro for Violin and Piano (For Theodore Ador
Northampton (MA) 1971.
44 Vgl. dazu auch meine Kompositionskritik im Vergleich der Kompositionen des Trakl-Gedich
Nachts durch Webern, Adorno und Holliger: Martin Zenck, Georg Trakts Gedicht „Nachts" und
Kompositionen dieses Gedichts von Anton Webern, Theodor W Adorno und Heinz Holliger - Vers
einer literatur- und musikwissenschaftlichen Doppelinterpretation ", in: Das Gedichtete behauptet
Recht , Festschrift für Walter Gebhard zum 65. Geburtstag, hg. von Klaus H. Kiefer u. a., Frankfu
M. 2001, S. 503-561.
45 Vgl. dazu Steuermanns unveröffentlichtes Manuskript zu den Diabelli-Variationen, Steuerman
Collection, Writings , BOX 1. Es handelt sich um drei Seiten mit Hinweisen zum Charakter und z
syntaktischen Periodenbildung und deren Störung. Auf einer vierten Seite hat Steuermann die Konzer
zwischen 1948 in New York bis 1962 (Salzburger Festspiele) aufgelistet, in denen er dies Werk Beet
vens vortrug.
46 Steuermann, Writings , und die Aufnahme des gesamten Klavierwerks von Arnold Schönberg auf
dem Label Columbia (1957), remastered unter dem Titel „Hommage à Steuermann" (His recordings
of Schönberg's Piano Music") auf dem Label „tacet" No. 1 86 sowie der anderen mit Klavier besetzten
Werke Schönbergs: op. 47 (1951, LOC)
47 Steuermann, Writings , und die Aufnahme der Intermezzi op. 1 16 auf dem Label Pomona, Calif, Vital
Music (1994) sowie seine Ausgabe der Klavierwerke von Brahms bei der UE in Wien (1930).
48 Vgl. Steuermanns Text zu den Six Elegies von F. Busoni, Steuermann-Collection, BOX 1 , Writings ;
vgl. auch Steuermanns Aufnahmen von Busonis Toccata , der Sonatinas Nr. 1 und 6 und der Six Elegies
auf dem Label Contemporary Music (1960).
49 Vgl. dazu diese Bestimmung Steuermanns in der Auseinandersetzung mit Adornos Konzeption der
Uninterpretierbarkeit älterer, auch Bachscher Werke: „...ob ich der , Umschlags-Fassung4 - ,Ende der
Interpretierbarkeit' zustimmen kann, weiss ich noch nicht. (Ist denn unsere , Sachlichkeit' so sachlich?
Sachlich ist nur die tiefste Leidenschaft, also ist ,Form' an und fuer sich nicht sachlich deshalb , subjektiv'
empfunden. . ." (Brief Steuermanns an Adorno vom 20.3. [1933], Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2).

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274 Martin Zenck

phrasierend und atmend in der G


Farbigkeit in den unterschiedlich
des Klangs, auch unabhängig von de
Freund übermäßig angegebener Sp
ein Psychogramm des Komponisten
die Realisierung der Partitur beim
renziert in seinen Vortragsbezeichn
in der Darstellung lassen. Daraufh
mit dem generellen Hinweis zur Au
wo er zu Beginn der Partitur verm
sitions from an , tempo' to another
pianistischer Interpretationsstil ist
Spielweise ausgerichtet (auf Drück
verhalts, die eben die Sache zeigt, w
aufdrängt, sondern ihn der Freihei
gensinn zu erfüllen.

II. „. . .Meine Zeit in Amerika


der extreme Fall einer Feh
Die Exilsituation von Eduard Steu

Die unter I. dargestellten, spezifisch


in den frühen fünfziger Jahren bei
nur verständlich, wenn beiden Seite
sen und Nono und der der älteren
Itor Kahn, René Leibowitz, Rudolf
Toch, Ludwig Zenk, Nikos Skalkot
nung getragen wird. Dabei gibt e
Magistrat der Stadt Darmstadt und
und das Land Hessen (später über

50 Dies wird besonders in der Aufnahme


Edward Steuermann, Piano, deutlich (auf
51 Vgl. Steuermanns Hinweise in einem
Collection, BOX 1, unpublished writings).
lichten Studien zu „Ausdruck und Geste"
musikalischen Interpretationsstyls" entw
Steuermann).
52 Edward Steuermann, Quartett [No.
13 1-2 Oversize.
53 Den ausdrücklich politischen Rahmen zeigt ein Brief vom 30. März 1963 von Kolisch an Steuer-
mann, mit dem Kolisch auf ein durch Adorno vermitteltes Schreiben des Ministers an ihn hinweist. Es
bezeichnet die Bedingungen: „Unterricht mit dem Mittelpunkt in Frankfurt und ein „Forschungsauftrag"
am Kranichsteiner Institut, der aber zunächst nur für drei Jahre gesichert ist" (BOX 4, Folder 26).

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 275

innovativen Ferienkurse durchzusetzen hatten - gleichsam als Ausdruck einer nachträ


lichen historischen und moralischen Legitimation der deutschen Vergangenheit und a
Wiedergutmachung an den Exilierten -, wenn also die offiziöse Politik die wenn a
kurzfristige Rückkehr der exilierten Komponisten nach Darmstadt begrüßte, weil sie
verschüttete Erbe wieder ans Licht zu bringen hatten (für längere Zeit wurden sie eh
als Belastung gesehen), waren die Jungen Wilden" keineswegs gewillt, dieser Rec
fertigung geschichtlichen Unrechts zu entsprechen. Und sie verhielten sich dann auch
eher im Sinne eines unüberwindbaren Generationenkonflikts (schon rein äußerlich un
plakativ gab es dort turnusmäßig die Konzertreihe der „Musik der jungen Generation
wenn sie die Exilierten in Darmstadt zwar gewähren ließen, ihnen aber doch mit groß
Skepsis gegenüber standen, nicht zuletzt deswegen, weil diese noch für die Folgelaste
der Schönberg-Schule verantwortlich zeichneten und scheinbar wenig Offenheit
die Belange der jungen Generation54 zeigten. Davon zeugen mehrere Briefe zwisc
Steuermann und Adorno, die im Folgenden zitiert und entsprechend ausgelegt werden
So heißt es etwa in einem bisher nur teilweise veröffentlichten Brief vom 11.7.1955
von Adorno an Steuermann höchst bezeichnend, weil auch skeptisch, was die mögliche
spontane Verständigung zwischen den Generationen betrifft:
In Kranichstein habe ich einen Kurs über den jungen Schönberg gehalten unter dem Gesichtspunkt der
Entfaltung von Kategorien des musikalischen Sinns und Zusammenhangs; Rudi war dabei und es hat
ihm gut gefallen - ich denke, ich habe doch einige Menschen dabei erreicht. Wir hatten auch lange Dis-
kussionen mit den Führern der Punktuellen, mit Boulez und Stockhausen, die uns viel mehr zugestanden
haben als man hätte erwarten können, aber es war so ein bisschen das trügerische Einverständnis, das
am Gespräch gerade dort so leicht sich herstellt, wo es um Unvereinbares geht, wo man im Grunde den
anderen gar nicht erreicht und aus Mangel an affektiver Beteiligung dann unverbindlich geeinigte Kom-
muniqués herausgibt55. (Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 3).

Wie Adorno in einem weiteren Brief vom 21.5.1957 (BOX 3, Folder 3) ausführt, muss
er den Hintergrund für diesen nicht nur gegebenen Gegensatz von ,jung" und „alt"
gesehen haben, weil er sich gegenüber Steuermann ausgesprochen dafür rechtfertigen
zu müssen glaubt, dass er sich über den Propyläen- Verlag in Berlin von Theodor Heuß,
dem früheren Bundespräsidenten, dazu habe bewegen lassen, seinen 1951 auf den Tod
Arnold Schönberg geschriebenen Essay, der dann später auch in den „Prismen" erschien,

54 Umgekehrt zeigte Steuermann in einem undatierten Brief (wohl vom 22.12.1957, vgl. das Zitat
unter Fußnote 39) an Wolfgang Steinecke die Dringlichkeit einer näheren, von Verständnis getragenen
Begegnung gerade mit der jungen Generation. Es ist hier zu betonen, dass es sich nicht um den üblichen,
mit Vatermord endenden Generationenkonflikt handelt, sondern um einen zwischen doch verschiedenen
Kulturen und deren Inanspruchnahme. So wurde die in Darmstadt schwelende Differenz zwischen , jung"
und „alt" wesentlich dadurch verschärft, dass die Älteren aus dem Exil zur historischen Rechtfertigung
des Neuen in Darmstadt herhalten mussten, was die Jungen ihnen übel nahmen, nicht wissend, dass diese
Forderung der allgemeinen Stadt- und Landespolitik und sogar der Bundespolitik geschuldet war. Von
diesem Zusammenhang zeugt der Brief von Kolisch an Eduard und Clara Steuermann vom 25.10.1956,
wo es heißt: „Das Darmstädter Projekt ist jetzt auf eine ganz grossartige Basis gestellt (Trude), mit Mit-
wirkung des Bundes..." (BOX 4, Folder 28).
55 Die Auswahl von Briefen zwischen Adorno und Steuermann hat zwar in Auszügen diesen Brief
vom 11.7.1955 wiedergegeben (Tiedemann, S. 49-50), aber nicht diesen hier zitierten Abschnitt.

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276 Martin Zenck

für einen von Heuss herausgegeben S


freizugeben, weil ihm der Begriff d
einmal ohnehin problematisch war, z
nahmung insbesondere im Verhältni
Schönberg höchst prekär vorkam, de
nem Amt gejagt und ins Exil getrieb
seinem Freund Steuermann gegenübe
plaziertheit seines Beitrags begrü zu
Judentum besonders hervorgehobe
Bereits hier kann davon ausgegangen
historische und theoretische Autorit
legitimieren hatte - was er zuletzt g
Zwängen entsprechender Rechtfertig
weder den Schönberg-Beitrag zum D
freigegeben noch seinen Freund Steu
zubedenken" bei der Entscheidung,
offizielle Monumentalwerk56 gesch
Steuermann hat in einem späteren
Kommunikation zwischen „alt" und
cke die Notwendigkeit einer Annähe
jedoch zu einem so späten Zeitpunk
hat, steht eher zu bezweifeln an (ein
Steuermann adressierte Brief Sylvan
Streichtrios an die drei Interpreten
W. Adorno"58 deren Interpretation
soviel verdankt hat).

56 Vorausgegangen war dem Brief eine E


abgedruckten Texte der Psalmen aus Schö
ten Brief vom 21.5.1957 an Steuermann: „
Schönberg für die vom Bundespräsidente
men, und ich habe Ihnen ein Exemplar ges
eine Art offiziellen Monumentalwerks han
daher die Funktion meines Beitrags bis zu
warum ich Schönbergs Judentum besonde
Unglück, dass man die Texte der „Modern
zugleich dilettantischen Produkte schaden
Trude [Schönberg] nicht darüber zu reden
57 Undatierter Brief (Datierung um den
Herr4 [Steuermann] moechte aber wirklich
letzte Mal nicht zur vollen Befriedigung gef
mehr Kontakt mit (was fuer ein Amerika
erfahren, ob die Musik, die ich meine, ein
(Steuermann-Collection, BOX 3, Folder Da
58 Brief von Sylvano Bussotti an Eduar
Collection, BOX 3, Folder 16).

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 277

Die Differenzen waren also dennoch grundsätzlich und dies nicht zuletzt aus zwe
den: Während die jungen Wilden doch so etwas wie eine historische und sti
tabula rasa vor Augen und im Ohrsinn hatten, also nach 1945 oder zumindest nac
grundsätzlich neu ohne jegliche Folgelasten beginnen wollten, trachteten die Exil
danach, das durch das Nazi-Deutschland bedrohte und verfolgte Erbe der Sch
Schule hochzuhalten und überhaupt wieder ins historische Gedächtnis zu ruf
fern traten einander nicht nur eine bestimmte „Darmstädter Schule" (ein Begrif
Steuermann auch kritisch verwendet) der musikalischen Interpretation, wie sie a
„Verein für musikalische Privataufführungen" - federführend mit Schönberg un
allem mit Eduard Steuermann - hervorging, einer neuen, an John Cage und Davi
orientierten Aufführungspraxis gegenüber (diesem Pianisten verdanken wir bis he
maßgeblichen Einspielungen der Werke von Boulez, Stockhausen, Cage, aber
Stefan Wölpe59), sondern kompositorische Konzepte, die einerseits das Erbe Schö
und vor allem Weberns fortsetzen wollten, andererseits die jungen Wilden,
gerade im Webern- Verständnis von der älteren Generation abzusetzen trachtete
kritische Schnittpunkt war also zunächst der organische und der punktuelle , Web
dem Goeyvaerts, Stockhausen, Boulez und weniger Nono nahe standen, von d
aber vor allem Peter Stadien und auch Steuermann gerade in der Auffassung
27 grundsätzlich unterschieden. Um diese auch prinzipielle und nicht nur g
Differenz besser verstehen zu können, ist es an dieser Stelle von Bedeutung
bedrohte und verfolgte Zwischengeneration61 einzugehen, die im amerikanischen
kaum eine Chance sah, ein entsprechendes Erbe fortzusetzen (vgl. Kolischs62
rigkeit in der Programmierung von Schönbergs Quartetten in Wisconsin an der
Faculty; noch 1962 spricht er davon, dass die „Feinseligkeiten gegen Schönb
eines der auffälligsten Bestandteile des musikalischen Bildungsinventars hie
ist"63), welche dann aber spätestens in den frühen fünfziger Jahren hoffte, we
in Deutschland wieder an die gewaltsam unterbrochene Entwicklung anschl
können. (Kolisch hatte auch hier wiederum seine Zweifel: Zwar stand er dem
Luigi Nono sehr nahe, indem er betont, dass hinter dem Dickicht der Konstrukt
Varianti wirklich bedeutende Musik hervorträte64, konnte aber nicht daran den

59 Vgl. dazu Martin Zenck (Angabe unter Fußnote 15).


60 Vgl. den Streit um Weberns op. 27: Martin Zenck, Theodor W Adorno - Stefan Wölpe
Goeyvaerts. Positionen der Webern-Rezeption zwischen 1941 und 1950, in: Reihe und System. Sig
des 20. Jahrhunderts , hg. von Sabine Meine, Hannover 2004, S. 84-107.
61 Vgl. meinen neuen Beitrag über Wölpe und Kahn in den Musik-Konzepten (vgl. Angabe
Fußnote 15).
62 So schreibt Kolisch an Edward und Clara Steuermann am 1 1.6.1948: „The Octet [Schuber
colossal finale to the very sucessfull Schubert. Much on the strength of this outcome the facult
sity of Wisconsin, Madison, Music Faculty] didn't dar to openly oppose my plan of a Schönbe
next year although they are all of course against it". Das war durchaus kein Einzelfall: noch
später mit dem Brief vom 9.8.1949 weist Kolisch auf die Ablehnung einer Auffuhrung von S
Streichtrio hin.
63 Brief vom 6. April 1962 von Kolisch an Steuermann (Steuermann-Collection BOX 4, Fo
64 Vgl. den Brief von Kolisch an Steuermann vom 1 .6. 1957, wo es mit Bezug auf das einzustu

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278 Martin Zenck

immer noch wirksame Nazi-Deut


Punkt der Darstellung von größte
Steuermann und Adorno zum Spr
soziokulturellen Kontext zu bringen
spektive aus auf die Schwierigkeit
den Vereinigten Staaten und dann i
demann66 nur ausschnitthaft wiede
Brief vom 22.2. 1 954 von Adorno a
entnommen wurde:

Mein lieber Eduard, /ich war sehr glücklich über Ihren Brief und habe sogleich an Steinecke geschrieben.
Es ist zu dumm, dass wir uns im vorigen Jahr versäumt haben; umso schöner die Aussicht, dass Sie und
Klara wiederkommen. Ich hoffe, auch wieder in Kranichstein mitzutun, und wir könnten zusammen viel-
leicht etwas Schönes erreichen - trotzdem ich bis zum Äußersten mit Ihnen dahin übereinstimme, dass
, Kultur davon abhängt, dass man sie nicht pflegt4 . So ungefähr habe ich übrigens auch auf den sogenannten
Darmstädter Gesprächen im letzten Sommer gesagt ./Meine Zeit in Amerika war äußerst unerfreulich,
der extreme Fall einer Fehlbesetzung - ich habe mich selten in meinem Leben so unglücklich gefühlt
wie in jenen 10 Monaten [Jahren?67] und bin sehr glücklich, wieder zurück zu sein. Hier ist unterdessen,
wie Sie vielleicht wissen, ein regulärer Lehrstuhl geschaffen worden. Das einzig Gute, was jene Zeit
für mich bedeutet hat, war eine wesentliche Erweiterung meiner psychiatrischen Kenntnisse, die mir bei
der Soziologie sehr zugute kommen, und privat: dass wir uns mit Trude Schoenberg versöhnt haben und
in einer sehr angenehmen und freundlichen Beziehung mit ihr stehen [Steuermann-Collection, BOX 3,
Folder 2; Hervorhebung vom Verf., es folgt dann der kurze Absatz über Steuermanns Klaviertrio, den
Tiedemann auf S. 46 seiner Ausgabe zitiert].

Im Unterschied also zu Steuermann, der allen Schwierigkeiten zum Trotz versuchte, sich
in den USA lebensweltlich und künstlerisch zurecht zu finden, bezeichnet Adorno die
entsprechende Zeit mit den beiden genannten Ausnahmen als „Fehlbesetzung". Kamen
die psychoanalytischen Studien vor allem dem zweibändigen Werk der Authoritarian
Personality zugute, gab es nach der offenen Kontroverse68 mit Schönberg um dessen

Werk von Nonos Varianti heißt: „Halte mich nicht für einen Verräter an unserer Sache, wenn ich Dir sage,
dass aus dem blanken Wust von Konstruktion schon etwas wie Musik mir durchzuscheinen beginnt".
65 Noch am 28.5.1962 schreibt Kolisch an Steuermann im Hinblick auf sein Retirement: „...haben
wir [die Bratscherin Lorna und Rudolf Kolisch] doch beide gar keine Lust, in Deutschland zu leben. Wir
finden nicht nur die eigentlichen Nazis sondern auch die meisten anderen Deutschen unerträglich und
wenn ich sie sprechen höre, wird mir übel". (Steuermann-Collection, BOX 4, Folder 28).
66 Tiedemann hat bei diesem Brief (S. 46) nur den Bezug zu Steuermanns Klaviertrio berücksichtigt,
nicht aber auch die von mir hier wiedergegebenen Passagen.
67 Es ist unklar, welche 10 Monate Adorno gemeint haben könnte. Er ist 1938 nach den USA (New
York, Los Angeles, New York) exiliert und 1949 nach Deutschland (Frankfurt) zurückgekehrt. Es könnten
also auch diese 10 Jahre gewesen sein oder eben einer der kürzeren Aufenthalte in einer der genannten
Städte in den USA.
68 Vgl. dazu ausfuhrlich Adornos Brief vom 4. 12. 1948 aus Los Angeles an Steuermann in New York
(Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 3). Im Gespräch zwischen Thomas Mann und Adorno ist es dann
gelungen, wenigstens die Wogen ein wenig zu glätten, nachdem Schönberg in einem offenen Brief an den
Saturday Review of Literature den empörenden Missstand stigmatisiert hatte, weder im „Roman eines
Romans" noch im Roman des Doktor Faustus selbst in seiner Bedeutung als Urheber der Zwölftontechnik
angemessen gewürdigt worden zu sein.

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 279

adäquate Würdigung in Thomas Manns Doktor Faustus dann nach Schönbergs T


1951 eine Versöhnung wenigstens mit Getrude Schönberg, so kann die amerikani
Exilzeit Adornos im vollkommenen Gegensatz zum „Driven into Paradise"69 nur
Katastrophe bezeichnet werden.
Ein entscheidendes Dokument für die Frage der unterschiedlichen Bewertung
amerikanischen Exils liegt mit einem undatierten Brief von Steuermann an Adorno v
(der Brief muss zum Sommer 1962 hin geschrieben worden sein, BOX 3, Folder 2
ist die Antwort auf Adornos Brief vom 26.6.1962 (BOX 3, Folder 3). Einmal ist d
von Amerika als „dem uns eigentlich nie angelobten Land"70 die Rede, das fast biblisc
auf das „gelobte Land" Palestinas/Israels anpielt, in das Stefan Wölpe im Gegensat
vielen anderen Exilierten geflohen war. In diesem „nie angelobten Land" Amerika fan
sich aber Adorno auf Grund seines „fortwaehrendem , research' trainierten Geist[es]"
viel leichter zurecht als sein Freund Steuermann, dem es ein „raetselhaftes Land ohne
Raetsel" blieb. Und dies, weil Adorno diese auch fremde Welt eher mit den Augen sah
und mehr dabei wahrnahm als Steuermann, der nach eigenen Worten „anschein
nur hoeren kann". Weiter heißt es dann aufschlussreich für unsere Fragestellung
unterschiedlich mit Sinn besetzten Kontinente der alten und neuen Welt: „So war es i
New York, so in Kalifornien, - - bis zur Wendung, wo ich der Amerikaner geblie
bin, Sie nach dem , alten Kontinent' zurueckkehrten". Der zitierte Brief macht darüb
hinaus und schließlich deutlich, dass sich anlässlich von Steuermanns 70. Geburts
nicht nur die Verhältnisse zwischen „alt" und , jung" verkehrt hatten, sondern, was
folgenreicher war, dass sich die Perspektiven zwischen dem alten Europa und der Neu
Welt der USA grundsätzlich verschoben hatten, so dass Steuermann schließlich ni
mehr wusste, ob er in einer globalisierten Gleichzeitigkeit und Ununterschieden
der Kontinente lebte oder in Kontinenten, in denen er jeweils nicht (mehr) beheimate
war. Damit unterscheiden sich die angedeuteten Positionen von Steuermann, Ado
und auch von Rudolf Kolisch grundsätzlich hinsichtlich ihrer Situation im Exil
in Europa. Während Steuermann zumindest äußerlich in den USA verblieb, ohne d
wirklich zuhause zu sein, auch weil die Schwierigkeiten der Annäherung an die ju
„Darmstädter Schule" (so seine auch kritische Bezeichnung) mehr als offensichtl
waren, so dass es ihm alles andere als verlockend erschien, sich von den Vereinig
Staaten abzuwenden, ist es dem Geiger Rudolf Kolisch vor allem in seiner Funktion al
Uraufführungsinterpret der Werke Nonos und anderer Komponisten der jüngeren Ge
ration gelungen, eine tiefe Nähe zu ihnen, vor allem zu dem Italiener Nono herzustell
wobei seine Skepsis gegenüber den auch [,Nazi-] Deutschen' überwog. Adorno hat

69 Vgl. Zitat aus einer Rede, die Schönberg über die jüdische Situation gehalten hat (Arnold Sch
berg, Two Speeches on the Jewish Situation (first speech ), in: Style and Idea. Selected Writings of Ar
Schönberg , hg. von Leonard Stein, London 1975, S. 502; vgl. dazu Reinhold Brinkmann, Reading a
ter , in: Driven into Paradise: the musical emigration from Nazi Germany to the United States , hg. v
Reinhold Brinkmann und Christoph Wolff, Berkeley 1999, S. 4.
70 Alle folgende Zitate stammen aus dem undatierten Brief [Sommer 1962], der im Zusammenhang ü
das gegenseitige Verwundern über den so früh erfolgten 70. Geburtstag Steuermanns stand (Steuerma
Collection, BOX 3, Folder 2).

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280 Martin Zenck

schließlich zumindest nach außen hin


gen' angepasst, selbst wenn er im in
immer auch auf der Tradition der Sp
Position bestand für Kolisch kein Zw
mit uns. Es ist wahr, dass er sich zu
Boulez und von Nono ab. Dieser [au
gehen)"71.

III. „...die Freiheit vom Banne

Der oben reklamierte Gegensatz zwis


der Schönberg-Schule fortsetzen w
Weiterführung absetzen und im Seri
setzen wollte, dieser schlichte Gegen
erhalten werden. So zeigen wichtige
neuen Kompositionen von Eduard S
einer geradlinigen Fortsetzung von
Schönbergs deutlich gesehen wurd
dieser allzu rigide aufgefassten Kom
nicht selten bis zur Forderung der B
wäre es allzu kurz gegriffen, wollte
der schönbergschen Zwölftontechnik
kann, wie zu zeigen sein wird, ein Be
der älteren Zwischengeneration vo
Seriellen konstatiert werden. Diese V
die offene und nicht zwanghafte Beh
Konsequenzen eben nicht nur aus Sch
seien. Dass dabei dann die gesuchten
auch sekundär gegenüber dem zunäch
unpublizierte Briefe von Steuerma
zwischen Steuermann und Adorno un
in welcher Deutlichkeit und Schärf
Tod 1951 gesehen wurde und dann
in den Briefen zu kompositorischen
einer allzu rigide aufgefassten Dod
unveröffentlichten Brief vom 24.1
der Steuermann die Klavierstücke op

71 Brief vom 7.6.1962 von Kolisch an Ste


72 Vgl. zur Leibowitz-Kritik von Boulez u
Meine, Ein Zwölftöner in Paris. Studien zu
Augsburg 2000, S.2 10-220.

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 281

„Lieber Herr Leibowitz,/zu meiner größten Freude empfing ich vor einigen Tagen Ihre Klav
op. 8 und weiß meiner Dankbarkeit nicht anders Ausdruck zu geben, als indem ich versuche
Eindruck in einiger Ausführlichkeit festzuhalten./Es ist kein Zweifel daran, dass Ihre Stücke das
Komponierniveau repräsentieren, das heute überhaupt gefunden werden kann - von einer R
Unbestechlichkeit und Konzessionslosigkeit, und zugleich einer so vollkommenen Verfugung
Mittel in all ihren Dimensionen, dass man Ihre Stücke allem, was heute zu komponieren sich
fängt, als ein verpflichtendes Paradigma vorhalten möchte. Besonders hervorheben will ich
Momente. Einmal, zwischen der Schönbergschen Dichte und der Webernschen Lockerheit ist
allerglücklichste vermittelt. Die Starrheit, das Abgleiten ins Mechanische, das manchmal Sch
Zwölftonmusik droht, ist durch die unablässige Variationskunst, besonders auch durch das V
aller Oberflächensymmetrien ganz überwunden und umgekehrt ist doch soviel Musik ,da', d
be so reich und verschlungen, dass die Webernsche Gefahr einer Verarmung durch Selektio
scheint. Daß Sie an Schönbergs op. 23 anknüpfen, spricht mich besonders an, denn im Schönb
Oeuvre stellen diese Stücke, die mir fast das liebste sind, was er überhaupt schrieb, ein optim
Verbindung von konstruktiver Strenge und freiem Fluß dar (mit Ausnahme des letzten). Sie habe
Beweis gestellt, dass eine solche Musiksprache nicht nur in einer Technik relativ freier Grund
sondern im strengsten Zwölftonverfahren möglich ist, und damit einen unschätzbaren Beitrag g
jenem Umfunktionieren des neuen Stils, wie ich es theoretisch zu formulieren versucht hatte. -
ist wahrhaft bewundernswert, wie Sie (und das ist vielleicht der Beitrag einer aufs äußerste subl
Erfahrung der französischen Musik) es vermocht haben, trotz der athematischen Verfahrens
Aussparens aller auch nur entfernt der Tradition entlehnten Oberflächenelemente der forma
derung, die Formen ganz und gar zwingend, geschlossen und artikuliert zu halten, durch die
Mittel. Es geht also auch ohne die Beschwörung von Formtypen aus dem Fundus, ohne dass
in einem Dickicht sich verirrte - selbst der hartgesottenste Franzose würde Ihnen die clarté a
müssen. Und auch das ist, gemessen am Stande der gesamten musikalischen Produktivkräfte,
heuerer Fortschritt./Wenn ich leise Fragen anmelden soll, dann beziehen sie sich auf etwas r
Liegendes und kaum in technischen Kategorien recht Ausdrückbares. Ich meine die Freiheit v
Schönbergs [Hervorhebung v. Verf.], nicht im Sinne eines von dem seinen abweichenden Sti
anderen , Tonsprache 4 (denn ich stimme ganz mit Ihnen darin überein, dass es heute verbindlich
nur diese eine Tonsprache gibt), sondern im Sinne der Ursprünglichkeit der konkreten mus
Gedanken, vor allem der einzelnen Charaktere und Satzideen. Es will mir scheinen, als hätte
produktive Rezeption der Schönbergschen Verfahrungsweise den Gehalt selbst weiter affiziert, a
Aussprechen Ihres Spezifischen ganz heilsam ist. Dabei drängt sich natürlich in erster Linie I
Stück auf, das bis in alle möglichen Einzelheiten des Satzes und der Disposition wie ein verf
Nachbild des dritten Stückes aus op. 23 wirkt. Doch spielt da wahrscheinlich eine Absicht m
wie eine Variation über ein Modell zu geben, so wie van Gogh gelegentlich ältere Bilder ,noch
malte. (Übrigens gibt es einen musikalischen Präcedenzfall: der sehr begabte Schönbergschüler
in einem Quartett bewusst ähnlich mit einem Beethovenschen Satz, dem Arioso aus dem B-Dur
verfahren). Aber ich meine eigentlich intimere Details, die wie unter einer Faszination stehen
die Takte 22 und 23 des dritten Stücks im Verhältnis zu Takt 16ff des ersten Schönbergschen Stü
Anfang des vierten in seiner Ähnlichkeit mit dem des zweiten Schönbergischen, und auch den se
zähnlichen Komplex Ihres zweiten Stückes (von Takt 24 an) in seiner Beziehung zu dem Seite
einzeln publizierten Stückes von Schönberg, ich glaube op. 33a. All das ist keine Reminiszenz
und bezieht sich auch gar nicht auf , Themen4, sondern vielmehr auf eine Art Wiederholung bes
geistig-musikalischer Ideen - nicht also auf »Eigentum4, sondern auf ein Moment des zwangh
finierten Bahnen sich Bewegens, gegen das ich im Grunde nur das einzuwenden habe, dass es
unaufgelösten Widerspruch steht zu dem Radikalismus Ihres ganzen Beginnens, der seinem eigen
nach ein höheres Maß an innerer Freiheit postuliert./Ich weiß sehr wohl, dass Sie entgegnen kön
»Charaktere4 ließen sich nicht von Material und Verfahrungsweise trennen und zöge man ein
Konsequenzen, so seien damit in gewissem Maße die Charaktere mitgesetzt. Ich bin gewiss der let
eine solche mechanische Trennung machen würde, und habe gerade gegen Schönberg eingewa
er in seiner Spätzeit gewisse Charaktere wie das ominöse ,Amabile4 einer Tonsprache einver
deren eigenes Wesen solche Charaktere ausschließt. Aber geht man ins andere Extrem, so kom

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282 Martin Zenck

schließlich dazu, den Sinn der Musik selbe


beschränken. Alles hängt von dem Spielrau
Treue doch wirkliche Freiheit und Origina
Ich bin überzeugt, dass gerade Sie das vermö
es der, eben Ihr ganzes Bewußtsein auf die
richten, wie sie etwa in Ihren Liedern zut
Nachlassen der Stimmigkeit, keine billigen
froh, sehr bald von Ihnen zu hören - mein
Problem sich wirklich objektiv fruchtbar
Alles Herzliche/stets Ihr Eduard Steuerm

In einem direkten Zusammenhang


Steuermann, neue Wege aus der Sc
wohl wichtigstes Werk aus den früh
das später den Titel Improvisation an
sollte. Es spielt sowohl im Briefwe
demjenigen zwischen Kolisch und
ist zunächst die von Wolfgang Steine
47, ebenfalls eines Werks in der Be
Rudolf Kolisch und den Pianisten Eduard Steuermann. Dies Werk ist zunächst durch
diese beiden Interpreten am 15.8.1954 aufgeführt und auch auf Band74 aufgenommen
worden. Steuermanns ,Duo' hingegen wurde erst später, am 17.7.1957 aufgeführt, zumal
der Geiger Rudolf Kolisch zu seinem eigenen großen Bedauern75 nicht partizipieren
konnte, weil er sich zur Uraufführung des Violinkonzerts von Luigi Nonos Varianti
verpflichtet hatte. An seiner statt spielte der Freiburger Geiger Wolfgang Marschner.
Beide Werke, Schönbergs op. 47 wie Steuermanns ,Duo' spielen bereits in einem Brief
vom 4.7.1954 von Steuermann an Adorno eine zentrale Rolle, worauf Adorno direkt
geantwortet hat. Im Folgenden sei hier dieser ganze Brief im nur schwer entzifferbaren
Autograph und in meiner Übertragung wiedergegeben:

73 Sabine Meine hat zwar zwei andere Briefe in diesem Zusammenhang zitiert, nicht aber den hier
wiedergegebenen. Sie hat in ihrer fundierten Arbeit dann aber genau die Stellen zwischen Leibowitz'
op. 8 und den entsprechenden Partien vor allem in Schönbergs op. 23 miteinander verglichen, die auch
Steuermann in dieser Weise genau anführt, (vgl. S. Meine, S. 270-281, sowie die beiden von ihr zitierten
Briefe auf S. 240).
74 IMD: R 82, Band 38; R03: 1, Band.
75 Vgl. den Brief von Kolisch an Steuermann vom 6. Juli 1957 aus Venedig, wo Kolisch mit Nono
dessen Varianti für die Uraufführung in Donaueschingen probte. Dort heißt es mit Bezug auf die geplante
UA des ,Duo' : Für Kranichstein nehmt den Segen eines alten Kranichsteiners . Es schmerzt mich doch sehr,
dass ich Dein Stück und Berg [Kammerkonzert] nicht mit Dir aufführen kann. (Steuermann-Collection,
BOX 4, Folder 23, , Kolisch4).

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. . .die Freiheit vom Banne Schönbergs. . . 283

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284 Martin Zenck

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Beispiel 1: Brief aus Siusi vom 4.7. [1955]


licher Genehmigung von Rachel Steuerma
der Edward and Clara Steuermann-Collection.

Siusi, 4. 7. Lieber Teddy, /von der ersten geruhsamen' Haltestelle unserer, wie immer komplizierten
Sommerreise, erlaube ich mir Ihnen das beiliegende, Ihnen zugedachte Stück zu senden. Ich muß auch
um freundliche Aufnahme bitten, ich glaube das Stück braucht es. Ich hatte es lange [zuvor] begonnen
und möchte mich vorläufig mit der »Reinschrift4, (verzeihen Sie die Schrift, es ist teilweise auf dem
Schiff geschrieben) begnügen, (meine Sachen werden eigentlich nie fertig-). Ich kann mir denken, dass
Sie »Einführungen4 wie »Analysen4 ebenso hassen wie ich, - in diesem Falle dürfte es aber das Kennen-
lernen erleichtern, wenn man weiß, wie das , System4 gemeint ist. Das erste , Statement4 der Geige ist mit
6 Tönen bestritten, die Antwort des Klaviers mit den 6 komplementären. Die darauf folgende Umkeh-
rung ergibt dieselben Töne - bis auf einen , Vorhalt4 - das Klavier ergänzt entsprechend. Daraus ergibt

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 285

sich fur jedes Instrument eine 7 Ton Skala (es ist also eine Art von 14-Ton Komposition - 14
Schicksalszahl-); es ist wahrlich keine Reihen Komposition - das wäre ja unmöglich. Das Alleg
ursprünglich als gewöhnliche 12 Ton Komp. gedacht; es stellte sich aber heraus, dass dieses
schal (nach den [schlagzeugartigen] Ausbrüchen) gewirkt hätte. Der Unterschied besteht dar
hier (es ist ein Rondo), die Instrumente ihre »Sprachen4 wechseln. In der Coda schließlich noc
in einem Takt. - Es ist wohl ein Experiment, eines, das die heutigen Musiksituation wohl brau
erheblichen Problemen verbunden (Klaviersatz - Antworten in »verschiedenen Sprachen4). I
dass Sie es interessant finden (Die Violinstimme ist spielbar, - es ist ausprobiert, braucht ab
Geiger mit Klangvollem Pizzicat der linken Hand.). Nun genug, ich schäme mich so viel über
schreiben, das für sich sprechen sollte, und lieber möchte ich viele Fragen stellen. Habe ich doch
persönlich gar keine Nachrichten seit einem Jahr und bei aller Ewigkeit leben wir doch im Fl
ich in Magengeschwüren). Ich hätte es gerne gewusst, was es heuer in Kranichstein gab. Von R
ich auf 3 Briefe keine Antwort. Ich weiß wirklich nicht warum. Erich Itor Kahn dessen , Actus
jetzt in Baden-Baden aufgeführt wurde hat von ihm auch kaum etwas zu berichten gehabt. Si
dort nicht gewesen zu sein. - Was machen Sie im Sommer? Arbeiten Sie immer so schwer an
versität. Komponieren Sie? Sie sollten doch - das brauch ich Ihnen nicht zu sagen. - Mein Ar
war eine Tretmühle bis zum letzten Tag. Sie wissen ja, wie man [?sich Freiräume?] schaffen m
wenn man einen sogenannten Namen hat. Dabei versuche ich doch noch für mich selber zu ar
Ferien sind etwas zersplittert und ich habe [?] etwas gearbeitet. (Hier ist auch kein Klavier vo
Wir waren kurz in London, dann in Florenz, wo wir auf das Auto, das wir mit Freunden , teilen
mussten. Jetzt sind wir hier am Schiern, wunderbare Gegend und einem halben Tag schönes Wet
löten geht es nach Salzburg, - ich unterrichte dort wieder am Mozarteum 4 Wochen, - dann bald
Julliard-School. - Bitte, Teddy, schreiben Sie mir diesmal ein paar Zeilen, wie es Ihnen und G
Wir sind bis zum löten: Pensione Mirabella, Siusi, Prov.Bolzano, - dann vom 20ten am Mo
Salzburg. Kommen Sie nicht auch hier [her] einmal zur Abwechslung. Ich hoffe, dass es I
Gretl sehr gut geht - viele herzliche Grüße, auch von Klara/Ihr alter Eduard"76 (Steuermann-C
BOX 3, Folder 2).

Dem oben zitierten Brief Steuermanns zufolge hatte dieser bereits mit Blick
bowitz' op. 8 kritische Konsequenzen aus der Zwölftontechnik, den Vollzug d
freiung vom Banne Schönbergs" gefordert - ohne die maßgebliche Vorrang
Schönbergs77 innerhalb der Schönberg-Schule in irgend einer Weise in Zweifel z
hen - und entsprechende Konsequenzen dann vor allem im frühen Duo für G
Klavier {Improvisation and Allegro for violin and piano) gezogen. Sowohl der
Autograph wiedergegebene Brief von Steuermann an Adorno (vgl. Beispiel 1
Übertragung) als auch ein in der gedruckten Partitur reproduzierter Brief Steue
an Erwin Ratz78 machen auf die besondere Behandlung der Zwölftontechnik inn
der beiden zu einem einzigen Satz verbundenen Sätze aufmerksam. Wie sich anha
Skizzen zu diesem Werk zeigt, war die neue Reihendisposition mit 2x7 Tönen nic
ein nach außen gerichteter programmatischer Schritt, wie er sich in den beiden

76 Von diesem Brief hat R. Tiedemann nur die ersten Zeilen wiedergegeben (Tiedemann, S.
77 Steuermann hat sich eindeutig dagegen ausgesprochen von den drei Meistern der Wiener
überhaupt zu reden. Webern und Berg stehen für ihn in einer ganz anderen Konstellation als es de
der Schönberg-Schule nahe legen würde (vgl. Steuermanns Brief vom 30.5. [1954]: „...was
, anbringen4 moechte, ist, zu einer passenden Gelegenheit, meine Ueberzeugung, dass Berg un
bedeutend ueberschaetzt werden auf Kosten Schoenbergs, dass, meiner Ansicht nach, keine
kann von den 3 grossen modernen Komponisten44 (Steuermann-Collection, BOX 3, Folder 2).
78 Vgl. den dort abgedruckten Brief von Edward Steuermann an Erwin Ratz vom 23. 1 .1962, in
Steuermann, Improvisation and Allegro for Violin and Piano , Northampton (MA) 1977.

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286 Martin Zenck

ten Briefen an Adorno und Ratz nied


kompositorischen Vorgangs. Demzuf
Satz des abschließenden Allegro-T
anzugleichen. Die genauere Analys
allem in Verbindung mit der in der L
dieses Werks mit Paul Zukofsky (Vio
komplexere Sachverhalte hin, als es
lässt (er hatte ihn Adorno gegenüber
ausgegeben). So ist bereits die relativ
Abschnitte sehr vereinfacht, wenn n
ruhende Materialbasis eben nur das R
von der eigentlichen Komposition m
ist, dass die Komposition mit einem
aufweist, bereits ein deutliches Ind
Steuermann auch ausdrücklich hinwe
bestimmten Materialbereich der ,M
der 1940er Jahre gerichtet, die von
programmiert wurden wie das Ille d
de valeurs et d'intensités von 1949
und ist keine Zwölftonkomposition
Seite nimmt die Zahl 7 oder 14 nicht
Dodekaphonie, sondern mit der Za
des Serialismus hingewiesen: auf di
aus dem Jahre 1951. Aber während d
aller jeweils mit einem zahlhaften
Dynamik und Anschlagsart) jeweil
jedem der vorkommenden Töne sp
für die kompositorische Ordnung
riell, weil das entsprechende Ordnun
übertragen wird. Damit steht dies
kompositorischen Betrachtung berei
der Serialität und beide Zuweisungsm
schritts oder Konservativismus/Rückschritts zu verstehen.
Zunächst ist der genauere Aufbau der Komposition, die auch parataktische Fügung
der Einzelabschnitte zu betrachten, um dann über die Konstruktion des Materials über
die Grundgestalten eine nähere Einsicht in diese Komposition zu gewinnen. - Die
Gliederung der zwei Sätze wird formal von Steuermann bereits angegeben und Adorno
differenziert diese bereits in seinem Antwortschreiben, indem er den liturgischen Be-

79 Auf dem Schallplattenlabel CP 2/10A und 10 B (New York 1989) unter folgendem Titel: Edward
Steuermann. Dialogues for violin solo . Three Songs. Suite for Piano. Improvisation and Allegro.
80 Vgl. dazu Martin Zenck, Karel Goeyvaerts und Guillaume de Machaut. Zum mittelalterlichen
Konstruktivismus in der seriellen Musik der fünfziger Jahre, in: Mf 43/4, 1990, S. 336-551.

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. . .die Freiheit vom Banne Schönbergs. . . 287

griff der „Intonation" (vgl. auch den Vorsänger in der Liturgie) einfuhrt, der einer
bereits in der russischen Theorie von Assaf'jew, dann vor allem in der Ethnom
logy etwas bezeichnet, was im strikten Sinn nicht individuell thematisch ist, sonde
nur ein Modell, auch etwas nur Angedeutetes darstellt, andererseits dann später in
Analysen Adornos im Getreuen Korrepetitor des vergleichbaren op. 47 von Schönbe
eine entscheidende Rolle spielt. Zunächst verfolgt das Formmodell des ,Duo' ein
Steuermann insgesamt bevorzugte Formkonzeption der „Mehrsätzigkeit in der
sätzigkeit", wie sie sich im späten 19. Jahrhundert vor allem bei Liszt herausge
hatte. Diese Form ermöglicht bei grundlegender Einheitlichkeit zugleich die Aufste
wechselnder Charaktere, die auch nur gereiht werden können, aber dennoch in
gemeinsamen Rahmen gespannt werden. Deutlich ist dies daran zu erkennen, da
Beginn des ersten Satzes (T. Iff. Violine) wiederum gleichsam als Coda des zw
Satzes (T. 179ff.) in Erinnerung gerufen wird (vgl. Beispiel 3 und 4). Insgesamt gibt
zwar eine Zweiteiligkeit (1. Satz: „Quasi Adagio, rubato", T. 1-86, 2. Satz „Allegr
87-187), aber in diese sind jeweils verschiedene, auch kontrastierende Satzchara
eingehängt, die zwar in einer relativ traditionellen Formsemantik beheimatet sind,
zugleich auch in der Reihung die gleichsam expressionistische Unverbundenhe
Isolierten bevorzugen. Auch wenn also die reihenmäßige Fixierung des Tonmat
eine auch horizontal und dialinear durchgreifende Organisation sichert, ist die form
Anordnung dann doch auf einer anderen Ebene, auf einem anderen Formniveau rela
frei von dieser Festlegung der Tonordnungen, welche zugunsten von motivischen Gru
gestalten ausgelegt werden. Das ist denn auch noch das entscheidende Erbe Schönber
nicht primär wie der späte Webern mit den Reihen zu komponieren, sondern mit d
sie eingehängten motivischen Grundgestalten.

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288 Martin Zenck

Beispiel 2: Eduard Steuermann, Skizzenblat


dem Titel Improvisation and Allegro for v
nie als die Komposition prädeterminierend
im Verlauf des Komponierens fixiert, verä
Genehmigung von Rachel Steuermann, Ne
Edward and Clara Steuermann-Collection.

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. . .die Freiheit vom Banne Schönbergs. . . 289

Beispiel 3: Partiturausschnitt des Beginns von Steuermanns Duo für Geige und Klavier in der Reinsc
des Komponisten als „Transparency". Mit freundlicher Genehmigung von Rachel Steuermann, Ne
und der Library of Congress, Washington D.C. der Edward and Clara Steuermann-Collection.

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290 Martin Zenck

Beispiel 4: Partiturausschnitt des Duos f


um die wörtliche Reprise des Beginns, so
Genehmigung von Rachel Steuermann, N
Edward and Clara Steuermann-Collection.

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 291

Das abgebildete Skizzenblatt (Beispiel 2) zeigt nun zum einen, dass die Grundreih
(„Rows" und „Violin/Piano-Rows") im fortlaufenden Prozess der Komposition an meh
reren Stellen niedergeschrieben wurden - also ein integraler und nicht vorgeordneter
Bestandteil der Komposition sind -, zum anderen Steuermanns Versuch, die Grundrei
über die Zahl 12 hinaus auf 2x7 Töne auszudehnen. Dies gelingt ihm dadurch, das
nun nicht, wie vermutet werden könnte zumindest im Violinpart auf die Vierteltönigk
ausgreift, sondern dass er in der jeweiligen Reihenhälfte den Ton d respektive e dopp
besetzt. Da Steuermann im zitierten Brief dies auch submotivisch mit dem „Vorh
begründet, wäre der Ton e also zweifach gezählt: einmal als Vorhalt in der Geige in T
1, wo er als 6. und letzter Ton der ersten Reihenhälfte erscheint, das andere mal als
Ton der zweiten Reihehälfte in der Umkehrung (T. 2).
Das weist wiederum auf die musikalisch-gestalthafte Begründung in der Anordnun
des Tonmaterials hin. Darin verfährt Steuermann, wie bereits angedeutet, in doppelt
Weise: Er respektiert zwar Schönbergs Denken in Grundgestalten, erweitert es aber d
durch, dass er sich von der Zahl „12" nicht tyrannisieren lässt und sich nicht nur da
vom , Banne Schönbergs' befreit, sondern in der offeneren und parataktischen Fügu
der Formkonzeption, die dennoch wiederum an Schönbergs Phantasy for Violin
Piano denken lässt (was Adorno im Brief81 bestritten hatte im Gegensatz zu me
Position, die differenzierter ausfallt; vgl. Fußnote 69). Nicht zufallig scheint deswege
der endgültige Titel Steuermanns Improvisation and Allegro for Violin and Piano auc
in Anspielung auf Schönbergs Phantasy for Violin and Piano op. 47 gewählt, n
weniger dürfte es ein Zufall dabei gewesen sein, dass zumindest der Planung82 n
beide Werke mit dem Geiger Rudolf Kolisch83 und dem Pianisten Eduard Steuermann
in Darmstadt ur/aufgefuhrt werden sollten.

81 Brief vom 11.7.1955 von Adorno an Steuermann (Tiedemann, S.50). Es wäre ein eigenes Streit
spräch darüber zu fuhren, wie ein präziser Vergleich zwischen diesen beiden Werken aussehen kön
Das wohl Auffälligste ist Steuermanns Verzicht auf idiomatische Intonationen', wie etwa des Wal
des Scherzando und des Ländlers, die in Schönbergs op. 47 im Sinne eines wienerischen Dialekts e
entscheidende Rolle spielen und wohl auch Ausdruck der Sehnsucht nach seiner alten unerreic
gewordenen Heimat sind. Vergleichbare idiomatische Wendungen finden sich in Steuermanns
überhaupt nicht, weswegen es auch im Ausdruck unnachgiebiger und sachlich-objektiver als Schön
Fantasie ist. Das ist umso überraschender als Steuermann in seinem ersten, Rudolf Kolisch gewidm
Streichquartett von 1946 noch ausgesprochen den Wiener Tonfall des Walzers angeschlagen ha
Adorno hat denn auch später im Getreuen Korrepetitor eine eigene Studie zur Auffuhrungspraxis
op. 47 verfasst (vgl. Th. W. Adorno, Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Pr
Frankfurt a. M. 1963, S. 162-186.
82 Kolisch konnte zur Uraufführung des Duos dann doch nicht in Europa sein. Aber dies ,Duo' spiel
dann auch im Briefwechsel zwischen Steuermann und Kolisch eine wesentliche Rolle, weil er
Werk unbedingt auch spielen wollte (vgl. die Briefe vom 15.10.1955 von Steuermann an Kolisch,
8.3.1956 von Steuermann an Kolisch, vgl. auch den Brief von Kolisch an Steuermann vom 16.8.195
dem Kolisch die Absicht äußert, das ,Duo' für Darmstadt zu üben und es nicht im „Kranichsteiner
aufzufuhren, sondern müssten die notwendige Zeit zum Üben finden", Steuermann-Collection, BO
Folder 23, »Kolisch4).
83 Es scheint mir wichtig hervorzuheben, dass der Geiger Rudolf Kolisch mehr noch als Steuerm
versuchte, den Kontakt mit den jungen Wilden von Darmstadt zu suchen und wohl auch zu finden. Be

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292 Martin Zenck

Die beiden zitierten Briefe von Steuermann vom 4.7.1955 und Adornos Antwort-
schreiben vom 11.7. geben hier abschließend Anlass, über die Situierung dieses ,Duos'
bei den „Kranichsteiner Ferienkursen für Neue Musik" nachzudenken. Da diese Briefe,
wenn überhaupt, bei Rolf Tiedemann nur in Ausschnitten wiedergegeben wurden, ergibt
sich ein vollkommen falsches Bild von der Situation: der gegenseitigen Zugewandtheit
der Freunde bei gleichzeitigem ,Am Falschen Platze sein' inmitten der Darmstädter
Bewegung, in der, fernab vom hier diskutierten ,Duo' ganz andere Sachverhalte zur
Diskussion standen, eine ganz andere Welt ihre Aktualität für sich in Anspruch nahm.
Steuermanns ,Duo' stand zwar im Eröffnungskonzert vom 17.7.1957 im Zusammen-
hang mit anderen Werken der Kammermusik von B.A. Zimmermann, Giselher Klebe
und Alban Bergs Kammerkonzert , bei dem Steuermann den Klavierpart und Wolfgang
Marschner (eigentlich war Kolisch vorgesehen) den Violinpart unter der Leitung von
Hermann Scherchen spielte, aber bereits das 2. Kammerkonzert nur einen Abend später
am 18.7. zeigt mit Werken von Claude Balif, Pierre Boulez, Edgar Varèse, Humphrey
Searle und Schönberg (beim op. 19 wiederum Steuermann an Klavier) zumindest im
ersten Teil eine ganz andere, zukunftsweisende Orientierung84. Trotz aller verwirrenden
Neuheit in der Materialbehandlung und Verschlungenheit der musikalischen Gedanken
in Steuermanns ,Duo' standen sich doch in Darmstadt die Behauptung auf ein Daseins-
recht einer vergangenen, ins Exil vertriebenen Kultur und einer unmittelbar innovativen
Kultur mit einem unerhörten Daseins- und Zukunftsanspruch unversöhnlich einander
gegenüber. In dieser Entgegensetzung war den beiden Seiten ihre gegenwärtige Funktion
in der politischen Kultur/Unkultur nicht oder nur beschränkt einsichtig: ein Teil nur von
historischen und moralisch-heteronomen Rechtfertigungsstrategien und damit fernab
der Möglichkeit zu sein, selbst ein Gesetz, ein Entwurf von Kultur zu werden.

Der vorliegende Beitrag hat versucht, die kulturpolitischen Hintergründe für den Konflikt
zwischen der älteren und exilierten, in den Vereinigten Staaten wirkenden Schönberg-
Schule und der europäischen/amerikanischen Avantgarde der jungen Komponisten in
Darmstadt zur Geltung zu bringen. Es ging darum, diese beiden kontroversen Positionen
aus amerikanischer und aus europäischer Sicht vor dem Hintergrund der jeweiligen,
auch politisch belasteten Vergangenheit (Nazi-Diktatur und ihre Auswirkungen auf das
Nachkriegsdeutschland) und der Gegenwart der fünfziger und sechziger Jahre („Kalter
Krieg" und McCarthy-Ära) deutlich zu machen. Dabei wurde nur ein relativ kleiner Ar-

dere Bedeutung hierbei erlangt sein enger Kontakt mit Luigi Nono spätestens seit 1958 seit den Proben
der Varianti in Venedig (vgl. dazu den wichtigen Brief von Kolisch an Steuermann vom 6.7.1957, mit
dem Kolisch von der Probe mit Nono berichtet: „weil die ungeheure Kompliziertheit des Stückes eine
fortwährende Beratung mit dem Komponisten erfordert". Am Schluss der Apell Kolischs: „Habt Geduld
mit den Jungen!" (Steuermann-Collection, BOX 4, Folder 23, »Kolisch').
84 Vgl. das Programm der beiden ersten Konzerte vom 17. und 18.7.1957 im Programmbuch der Kra-
nichsteiner Ferienkurse für Neue Musik: „1. Kammerkonzert. Tage für Neue Musik [dann das genannte
Programm]" und „2. Kammerkonzert. Tage für Neue Musik [dann das oben im Text benannte Programm]".

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... die Freiheit vom Banne Schönbergs ... 293

chivbestand aus der Steuermann-Collection herangezogen, der in einem umfassen


Kontext noch weiter aufgearbeitet werden müsste (etwa in der Berücksichtigung d
Folder füllenden Briefwechsels zwischen Rudolf Kolisch und Edward Steuerm
denen auch immer wieder auf das fatale Erbe der Nazi-Zeit nach 1950 gerade in D
stadt angespielt wird). Ebenso versteht es sich, dass bei der in diesem Zusamm
integrierten Besprechung von Kompositionen Steuermanns mit dem ,Duo' fü
und Klavier aus dem Jahre 1954/55 erst ein Anfang gemacht worden ist. In Zuku
und das wäre und ist ein weiteres Forschungsdesiderat - wären dann sowohl die W
(Lieder, Klavierkompositionen, Chöre und Streichquartette) vor 1950 genauer
trachten und kontextuell auszulegen als auch das eigentliche Haupt-Œuvre Steuer
nach 1950 in den Mittelpunkt zu stellen: das Piano-Trio (1954), die Variati
Orchestra (1958), das String Quartet , Diary' (1961-1962), die Music for Instr
(1963/64), das Piece for Chamber Orchestra („zum Gedenken an meine Mam
die Kafka-Kantate Auf der Galerie aus dem Todesjahr Steuermanns 1964. Sch
steht eine besondere Studie zum musikalischen Interpretationsstil des Pianisten E
Steuermann anhand seiner Einspielungen, Schriften und unpublizierten Noti
Verhältnis von „Expression and Gesticulation" noch aus.

Anschrift: Tizianweg 16, 55127 Mainz

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