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Kommentar
DAV-Werbekampagne 840
Anwaltsgeschichte
Rechtsprechung
12/2008
Dezember DeutscherAnwaltVerlag
MN Editorial
Am Jahresende ist gern Vielfalt aus ver- anwälte um alles gebracht, was einst- Schließlich: Trends soll man allen-
schiedenen Töpfen angesagt. So hält es mals Recht war und heute wieder falls folgen, wenn man nachgedacht
dieses Heft. Nämlich: Recht ist. Barbara Dölemeyer zeigt hat. Volker Römermann nennt den Om-
Der Jugend gehört die Welt. Sie dies (ab Seite 853) am Schicksal des budsmann mit Recht eine „trendige" In-
zu Verteidigers Carl Thormann, der im stitution und würdigt ihn in Gestalt des
erobern, ist schwer. Neben kraftvoller, sog. Kleinen Volksvereinsprozess für Gesetzesvorschlags zur Schlichtungs-
eigener Initiative und Mut sind Hilfe das Regime unliebsam verteidigt stelle der Rechtsanwaltschaft kritisch.
und Überblick von außen keine Fehler. hatte und - was damit nichts zu tun Statt vielfach beifälligen anwaltlichen
Solche Hilfe ist Anwaltsblatt Karriere, hat - dann wegen seiner politischen Gemurmels mit verklärtem Blick auf
die fulminante Schwester vom Ansichten durch eine alsbald natio- Versicherungen und Ärzte sollte man
An- nalsozialistisch umgedrehte Ehren- fragen: Warum muss bei funktionieren-
waltsblatt für Studenten, Referendare gerichtsbarkeit um Zulassung und der Berufsaufsicht und Ziviljustiz der
und alle die, die auf dem Weg zum An- Existenz gebracht wurde. Eine ebenso geborene Ombudsmann „Rechtsan-
walt und zur Anwältin sind. Die Stre- verbrecherische wie subtil-perverse walt" (= Sachwalter des Mandanten)
cke aus Bildern und Interviews, die das Anwendung des Normenbestands und durch einen Ober-Ombudsmann ge-
Anwaltsblatt aus Anwaltsblatt Karriere das Geschrei um die Überfüllung des toppt werden? Warum unterwirft man
jetzt zum Zwecke der Berufs würgten die Freiheit der Advo- das „sakrosankte" zivilrechtlich geord-
Anschauung katur ohne größeren Widerstand der nete Verhältnis des Mandanten zu sei-
übernimmt (ab Seite 826), zeigt allen, Berufsangehörigen schnell ab. Zur nem Anwalt einer Dritt- und Fremd-
die es wissen sollten, dass die Studen- Geschichte gehört, dass Carl Thor- beurteilung? Bisher war das verpönt,
tinnen und Studenten trotz mann 1999 (!) rehabilitiert wurde. soweit das Sachlichkeitsgebot eingehal-
der Was uns Recht ist, ist nach Inhalt, ten wurde. Sieht man nicht, dass das
unfruchtbaren Ausbildungsdiskussion Strukturen und Institutionen eine Rechtsverhältnis zwischen Bürger und
ernst, im Bewusstsein der schweren Frucht des 17. und 18. Jahrhunderts. Versicherer oder Arzt (originäres Leis-
Aufgabe, mit zumeist klaren Karl L. Welker wirft (ab Seite 860) einen tungsverhältnis) ein anderes ist als das
Vorstel- feinen und erhellenden Blick auf „Jus- Rechtsverhältnis zwischen Mandant
lungen und lebensfroh sich auf Beruf tus Möser und die anwaltliche Selbst- und Anwalt (abgeleitetes, auf Drittleis-
und Zukunft vorbereiten. Der Nach- verwaltung". tung bezogenes Beurteilungs- und Hil-
wuchs hat offenbar Lust auf Jus. Auf Grundfragen des Rechts be- feleistungsverhältnis)? Statt des
Da zieht sich auch die „Gratwanderung Om-
mögen die alten Einheitsjuristen und zwischen Sicherheit und Freiheit", die budsmannes frommt den Anwälten
Traditionswerker in Bund, Ländern, Be- Friedrich Graf von Westphalen und Anwältinnen in diesen Tagen bes-
rufsorganisationen und Universitäten unter- ser ein liebenswürdiger Nikolaus, der
noch eine Weile fortwerkeln. nimmt (ab Seite 801). Der Zahl der Bei- sie fröhlich mit Gutem bedenken möge.
Nach träge zum Thema nach ist es fast schon
dem, was man hier sieht, muss man ein Trampelpfad. Wie dem auch
um die Jugend nicht Bange sein. sei.
Kein (auf
Beitrag Traditionswerker
Seite 852),ist,wie wer man's
mit Das Thema gestattet keine einfachen
Fug undund klugem
macht worauf Sinnes beisich derder Ge- Lösungen und verträgt deshalb keine
Ge-
schichte der Anwälte ankommt. In je- plakativen Zusammenfassungen. Lesen
schichte, auch derFallAnwaltsgeschichte,
dem einzelnen und im und reflektieren. Vor der
zuwendet. Es gilt die Maxime:
Ganzen Entschei-
Wer der Nationalsozialismus Deutsch-
hat dung, um der bürgerlichen Freiheits-
nicht seine
land, auf sein Herkommen
Bürger und seineblickt, der
Rechts- rechte willen konkret Menschenleben
kann der Zukunft keinen Rahmen aufs Spiel setzen zu müssen, mögen
AnwBl 12 / 2008 I
geben. Norbert Gross zeigt in seinem alle Entscheider bewahrt bleiben.
Anwaltsblatt Jahrgang 58, 12 / 2008 Redaktion:
Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins Dr. Nicolas Lührig
herausgegeben von den Rechtsanwälten: (Leitung)
Felix Busse Udo Henke
Dr. Peter Hamacher Manfred Aranowski
Dr. Michael Kleine-Cosack Rechtsanwälte
Wolfgang Schwackenberg
Mitteilungen
Thema
Europa
825 Zweite Sitzung der vierten Satzungsversammlung
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin
864 Leichter als gedacht:
Beweise im Ausland erheben
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Peter Mayer, Vechta und
Rechtsanwältin Julia Lindemann, Brüssel
Studentenportraits Anwaltshaftung
826 Wer will Anwalt werden? 866 Verschärfte Haftung bei Abonnement einer
Sonderdruck aus Anwaltsblatt Karriere (Heft 2/2008, WS 08/09) juristischen Datenbank?
Dr. Daniel Schnabl, LL.M. (Miami), Frankfurt a.M.
II AnwBl 12 / 2008
Bücherschau
869 Anwaltsgeschichte und zwei Festschriften
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln
Haftpflichtfragen
872 Der Vertreter des Anwalts -
Kennen Sie § 53 BRAO?
Rechtsanwalt Holger Sassenbach, Allianz Versicherungs-AG, München
Rechtsprechung
Anwaltsrecht
874 BVerfG: Beratungshilfe für das Steuerrecht
880 BGH: Verbot der Gebührenunterschreitung/
Werbung mit Erfolgszahlen
883 LAG Niedersachsen: Kein Ausschluss des
Anwalts wegen Nichttragen einer Robe
Anwaltshaftung
885 BGH: Fristenprüfung durch Berufungsanwalt
Anwaltsvergütung
886 BGH: Mitwirkung bei der Erledigung auch
ohne Schriftsatz
887 BGH: Geschäftsgebühr im vergaberechtlichen
Nachprüfungsverfahren
887 AG Brühl: Erstberatung eines Architekten im
Gesellschaftsrecht für 250 Euro
Schlussplädoyer
XL Nachgefragt, Comic, Mitglieder Service
gorie nach der deutschsprachigen Ver- müssten ihre Informations- und Bera-
Normenklarheit, sion als „Wirtschaftsverbände". Rele- tungspflichten gegenüber den Mandan-
vant ist der Unterschied, weil an die ten verstärkt werden. Die Kommission
Normenwahrheit unterschiedlichen Kategorien unter- will die Rechtsanwälte darauf verpflich-
und die EU schiedliche Offenlegungspflichten
geknüpft sind. Mit den Ungereimthei-
ten, schriftliche Verträge mit den Man-
danten für das vorprozessuale Stadium
Lobbyarbeit in Brüssel beginnt häufig ten konfrontiert, erklärten die zuständi- abzuschließen. Die Anwälte müssten
damit, bei den Institutionen der Euro- gen Kommissionsbeamten das Mal- ihre Mandanten nicht nur über Rechte
päischen Union akribisch nach neuen heur zu einer Sprachauslegungsfrage. und Pflichten sowie über die Erfolgs-
Gesetzesvorhaben recherchieren. quote des Falles informieren. Sie sollen
Sodann gilt es, zügig den Beglaubigung oder Beurkundung? auch vorab die Verfahrenskosten be-
zu nennen, inklusive der Kosten, die der
frischen Ein weiterer Fall findet sich im Rahmen
Richtlinienentwurf zu bekommen, um der geplanten europäischen Rechtsform Mandant im Falle der Niederlage
ihn mit der eigenen Position abzuglei- für Privatgesellschaften mit beschränk- zu
chen und in die Offensive gehen ter Haftung. Die deutschen Notare und tragen hätte.
zu ihre kontinentaleuropäischen Kollegen Weitere „Vereinfachungsvorschläge"
können. Die EU-Institutionen schätzen verfolgen mit größtem Interesse, in wel- macht die Kommission zu der Einschal-
die Meinungen der Verbände. Denn sie cher Form sie am Gründungsverfahren tung eines Prozessanwalts in grenzüber-
bringen die praktische Erfahrung der der Europäischen Privatgesellschaft be- schreitenden Verfahren, wenn der Man-
jeweils betroffenen Branchen in den teiligt werden. Nach dem Ende dant bereits von einem Anwalt
Gesetzgebungsprozess ein, über die die Juni in
Institutionen selbst nicht verfügen. Die veröffentlichten Kommissionsvorschlag seinem Heimatland vertreten wird. Der
Einbeziehung führt zu einem praktika- sieht es nicht gut für sie aus: Die Prozessanwalt soll künftig nicht mehr
blen Gesetz. Dieses - idealisierte - bei die Kosten und Anwaltgebühren nach
Wechselspiel setzt allerdings voraus, deutschen Gesellschaftsrechtsformen dem Recht des Gerichtsstandes, sondern
dass die Faktenlage klar und eindeutig vorgesehene doppelte Prüfung bei Ge- nach dem Recht des Herkunftslandes
ist. In letzter Zeit muss man feststel- sellschaftseintragung durch Handels- seines Korrespondenzanwalts berech-
registergericht und Notare wird gestri- nen können. Dies unabhängig davon,
len, dass die Europäische Kommission
chen. Es reicht die einfache Kontrolle welche Kostenunterschiede zwischen
einen zunehmend legeren Umgang
entweder durch das Register oder die den Vergütungssystemen der Länder be-
mit dieser Grundvoraussetzung pflegt.
„Beglaubigung" durch den Notar. Die stehen. Die Frage nach der rechtlichen
Transparenzinitiative englische Fassung verlangt eine „certifi- Zulässigkeit einer solchen Neuregelung
cation" - was im Deutschen eher der wird gar nicht erst gestellt. Gerechtfertig
Als schon ausgefochten galt
„Beurkundung" entspricht und die No- sei diese Vorgehensweise nach Ansicht
die der Kommission damit, dass der Pro-
tare viel stärker ins Spiel bringt als
Schlacht um die Transparenzinitiative die zessanwalt durch die Übernahme eines
der Kommission. Diese wollte Beglaubigung. In diesem Fall unterlief solchen Verfahrens ein Mandat erhalte,
alle der Lapsus in der Generaldirektion für dass er ansonsten nicht erhalten hätte.
Lobbyisten bei den Institutionen in ei- Übersetzungen, da der Verordnungs- Immerhin wird auch vorgeschlagen,
nem einheitlichen Register auflisten vorschlag von Beginn an nur auf Eng- eine Anwaltspflicht für beide Parteien
und in einem Kodex auf Transparenz lisch entwickelt wurde. bei grenzüberschreitenden Streitigkei-
und Integrität verpflichten. Für deut- ten einzuführen. Dies wirke dem Pro-
sche Rechtsanwälte, die etwa bei den Kostentransparenz und Vereinfachung blem entgegen, dass ein ausländischer
Institutionen nur Rat einholen, konn- grenzüberschreitender Streitigkeiten Kläger schon aus sprachlichen Gründen
ten im Europäischen Manchmal geht diese europäische Non- gezwungen sei, einen Anwalt zu
Parlament chalance auch über reine Formulie- be-
schwere Konflikte des anwaltlichen Be- rungsfragen hinaus, wie eine kürzlich schäftigen und die inländische Gegen-
rufsgeheimnisses mit den Offenle- von der Europäischen Kommission partei nicht.
gungspflichten des Registers verhindert veröffentlichte Studie zeigt. Sie unter-
werden. Sie sind von der Eintragungs- sucht die nationalen Rechtssysteme der
pflicht ausgenommen, wenn ihre Tätig- Mitgliedstaaten auf die Zugangsmög-
keit mit der Wahrnehmung des Grund- lichkeiten der Bürger zum Recht
rechts auf ein faires in
Verfahren grenzüberschreitenden Fällen. Nicht
Dr. Karolin Hart-
einschließlich des Rechts auf Verteidi- überraschend kommt die Studie zu Karolin Hart
rüssel
gung in Verwaltungsverfahren verbun- dem Ergebnis, dass grenzüberschrei- mann, Brüssell___s
Die Autorin ist Rechts-
den ist. Noch zu erledigen bleibt die tende Streitigkeiten zum einen mit ho- anwältin und Referentin
Eintragung der deutschen Anwaltsorga- hen Kosten und zum anderen mit ho- im Brüsseler Büro des
nisationen in das Register. her Rechtsunsicherheit verbunden sind Deutschen Anwaltver-
Diese scheiterte bislang an unsau- eins.
und damit der ungehinderte Zugang
beren, um nicht zu sagen zum Recht gerade nicht gewährleistet Sie erreichen die Autorin
wider- ist. unter der E-Mail-Adresse
autor@anwaltsblatt.de
sprüchlichen Übersetzungen der Regis- Die Lösungsvorschläge der Kom-
terkategorien. Während die englische mission hingegen sind sehr wohl über-
Version „professional organisations" raschend bis unrealistisch. Es soll zwar
VI
für Deutschen AnwBl 12 / 2008 (DAV) und
Anwaltverein keine einheitliche Vergütung für Recht-
Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) anwälte geschaffen werden, wohl aber
recht zutreffend wirkt, verbietet sich
eine Eintragung in diese Registerkate-
MN Aktuelles Werbung für den
deutschen Rechtsstandort
DeutscherAnwaltverein
Deutscher Anwaltverein beim
Zwischenruf
Bündnis für das Deutsche Recht
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Dass auch die Initiative eines Einzel-
nen große Wellen schlagen kann zeigt
„Law made in Germany" englische Recht erwiesenermaßen
das Beispiel „Triebel".
nicht aufweist: Es ist wesentlich kost-
engünstiger, es ist effizienter, weil Angestoßen
Es ist in der Tat selten, dass sich
schneller und es ist als ein im We- durch den offenen Brief von
juristischen
alle Berufsvereinigungen -
sentlichen statutarisches Recht (im Rechts-
Deutscher Richterbund, Notarkam-
Gegensatz zum englischen case law) anwalt und Barrister Dr. Volker Triebel
mer, Notarverein, Bundesrechts-
mit einer ungleich höheren Rechts- an die Bundesjustizministerin Brigitte
anwaltskammer und Deutscher An-
sicherheit ausgestattet. Das sind für Zypries (abgedruckt im Mai-Heft
waltverein - in einem Punkt
die Wirtschaft ganz gewichtige Vor- des
zusammen mit dem Bundesjustiz-
teile, die bislang nicht hinreichend Anwaltsblatts, AnwBl 2008, 305) ist
ministerium in einer sehr wichtigen
wahrgenommen wurden, die jedoch die
Sache innerhalb kurzer Frist einig ge-
beim „Kampf ums Recht" (von Jhe- Frage nach dem internationalen Wett-
worden sind. Damit ist kein Geset-
ring), selbstbewusst präsentiert wer- bewerb der nationalen Rechtsordnun-
zesvorhaben angesprochen. Es geht
den können. Genau das geschieht bei- gen in das Bewusstsein aller großen ju-
vielmehr um die entschlossene und
spielhaft in der ristischen Organisationen gedrungen.
entschiedene Antwort auf eine
zweisprachigen Ein Ergebnis ist das „Bündnis für
He-
Broschüre „Law made in Germany" - das deutsche Recht". Das Bundesminis-
rausforderung, die aus
beleuchtet aus unterschiedlichen Per- terium der Justiz (BMJ), die
London
spektiven der juristischen Berufe (An- juristi-
Die aber
kommt, „Law geradeSociety"
deswegen nicht mit
walt, Notare und Richterschaft): das schen Berufsorganisationen Deutscher
hatte
unwidersprochen bleiben durfte. Se-
deutsche Recht als Markenzeichen. Anwaltverein, Bundesrechtsanwalts-
höchstem
gen kürzlichregierungsamtlichen
eine Broschüre heraus-
kammer, Deutscher Richterbund, Bun-
gegeben: „dispute resolution" heißt „Der Kampf ums Recht: desnotarkammer, Deutscher Notarver-
sie. Das klingt fast harmlos. Doch im
Inneren ist eine klar
Das deutsche Recht als ein und Deutscher Juristinnenbund
Markenzeichen" wollen mit diesem Bündnis auch
formulierte
im
Kampfansage an alle anderen Rechts-
Für die Anwaltschaft ist diese Initia- Ausland für die Effektivität und
ordnungen
Recht sei zu schlechthin
finden: die „juris-
Englisches
tive ein sehr wichtiges Signal. Denn die
diction of choice", weil die eng-
bei Vereinbarung englischen Rechts hohe Kostentransparenz des deutschen
lischen Gerichte - Anmaßung oder
ist es ganz und gar unvermeidlich, Rechts werben.
Realität? - für alle internationalen
dass dann auch die englischen An- Ein weiteres Ergebnis dieser Initia-
Sachentscheidungen so
wälte und die englischen Gerichte tive ist die Broschüre „Law - Made
überaus
oder Schiedsgerichte im Streit das in
kompetent sind, dass dort - vor-
letzte Wort haben. Auch wenn Germany". Die Berufsorganisationen
nehmlich wohl in London - natürlich
der Deutscher Anwaltverein, Deutscher No-
auch die „international forum
Anwalt oder der Mandant noch tarverein, Deutscher Richterbund, Bun-
of so desrechtsanwaltskammer und Bundes-
choice" liegt. Und selbstverständlich sehr meint, die englische Sprache notarkammer haben eine Broschüre
sind gerade die englischen Schieds- gut bis sehr gut zu beherrschen, in erstellt, die, insbesondere bei Unter-
gerichte wegen ihrer „world class ar- seinem „biographischen Gepäck" nehmern, für das deutsche Recht wer-
bitrators" jeder anderen Schiedsord- trägt er immer deutsches Denken, ben soll und in deutscher und
nung vorzuziehen. deutsche Begrifflichkeit - eben: die eng-
Am englischen Wesen soll die „deutsche Kultur" - mit an den Ver- lischer Sprache die Vorzüge
Welt genesen, ist man versucht zu handlungs- oder vor den Richter- des
übersetzen. Dieser unverhohlenen tisch. Seine Unterlegenheit ist damit deutschen Rechts darstellt.
Kampfansage bieten nunmehr die ju- vorprogrammiert. Denn es gilt ein al- Zu diesen Vorzügen gehört, dass
ristischen Berufsvereinigungen die ter Grundsatz: Wer die Sprache und das deutsche Recht effizienter
Stirn: „Law made in Germany" heißt die Begriffe besetzt und beherrscht, und
die Broschüre. Am 11. November beherrscht das Denken, sein eigenes kostengünstiger ist als andere Rechts-
wurde sie der Bundesjustizministe- wie das des Vertragspartners oder ordnungen. Dies liegt auch daran, dass
rin Zypries in Berlin übergeben. Von des anwaltlichen Gegners.
Prof. Dr. Friedrich
es sich beim deutschen Recht um kodi-
Seiten des DAV haben vor Graf von Westpha-
len, K_ln fiziertes Recht handelt. Das bringt für
allem Der Autor ist Rechtsanwalt. die handelnden Personen erhebliche
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, Er ist Vizepr_sident des
Rechtssicherheit mit sich: der deutsche
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hanns-Chris- Deutschen Anwaltverein
Gesetzgeber gibt den rechtlichen Rah-
tian Salger, Frankfurt, und der Ver-
men vor, die Vertragparteien kümmern
fasser an ihrer textlichen und inhalt-
sich um davon abweichende Einzelhei-
lichen Gestaltung mitgewirkt.
ten. Auch wird im deutschen Recht das
Denn - adressiert an die exportie-
Prinzip der Vertragsfreiheit besonders
rende Wirtschaft und an ausländi-
betont. Gerade die Tatsache, dass
sche Investoren - deutsches Recht
Kodi-
VIIIhat unendlich
AnwBl 12 viele
/ 2008Vorteile, die das
fikationen ein Grundgerüst darstellen,
von welchem im Einzelfall jedoch indi-
viduell abgewichen werden kann, sollte
für viele Unternehmen geradezu dafür
MN Aktuelles
bindend gilt. Daher ist Deutschland Auslandsorganisationen die Broschüre 4 Der Vorsitzende des Rechtausschusses des Bundes-
auch bei ausländischen
Unternehmern in Investoren
Umlauf und gebracht tags Andreas Schmidt (CDU, r.) und der rechtspoliti-
nicht nur ein kostengünstiger, sondern sche Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Dr. J_rgen
auch ein sicherer Rechtsstandort: Millio- wird. Gehb (M.) mit DAV-Vizepr_sident Prof. Dr. Friedrich
Graf von Westphalen.
nenschäden durch Hypothekenbetrug - Dass die Broschüre in dieser Form
im angelsächsischen Markt nicht un- so zügig erstellt wurde und zukünftig 5 Bei der _bergabe der Brosch_re dabei: Der rechtspoliti-
sche Sprecher der SPD-Fraktion Joachim St_nker, ...
gewöhnlich - sind in Deutschland kaum dazu beiträgt den
Rechtsstandort 6 ... die justizpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion
möglich. Besondere Beachtung verdient Mechthild Dyckmans, ...
auch die Rolle der deutschen Gerichte. Deutschland noch attraktiver zu ma-
7 ... der rechtspolitische Sprecher der Fraktion
Zum einen leiten die Richter das Verfah- chen und dieses Bewusstsein auch bei B_ndnis 90/Die Gr_nen Jerzy Montag und ...
ren professionell, zum andern ermög- den Unternehmen zu verbreiten ist ein
8 ... der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Die
lichen intelligente Beweisregeln einen Verdienst aller beteiligten Berufsorgani- Linke Wolfgang Ne s‹ kovi c· , der sich als einziger der
schnellen Ablauf des Verfahrens. sationen. Innerhalb von diesen ist es Sprecher kritisch zur Brosch_re _u_erte.
X AnwBl 12 / 2008
MN Aktuelles
Anwaltsblatt Karriere
_______________________________________
leien _______________________________________
einstellungsfreudiger als die
Bank- und Kapitalmarktrechtler. Er- Eintrag im Anwalts-
nüchterung dagegen im Strafrecht:
Keine der befragten Kanzleien hat 2008 verzeichnis 2009
eingestellt. Berufschancen gibt es nur
bei den wenigen Kanzleien, die Im Sommer 2009 erscheint eine Neu-
auflage des vom Deutschen Anwaltver-
sich
ausschließlich auf das Wirtschaftsstraf- ein herausgegebenen Anwaltsverzeich-
recht konzentriert haben. nisses. Es beruht auf den
beim
Auch bei Topkanzleien
regionalen den Gehältern vorne.
liegen die
In
Deutschen Anwaltverein gespeicherten
Landgerichtsstädten mit mehr als
Daten. Damit auch Ihr Eintrag korrekt
75.000 Einwohnern reicht die Band-
wiedergegeben werden kann, bittet der
breite von 40.000 bis 54.000 Euro und in
Deutsche Anwaltverein um Prüfung
ländlich geprägten Regionen von 33.000
und ggf. um Korrektur Ihrer Daten, da-
bis 49.000 Euro. Einzig die neuen Bun-
mit Sie sich in der Neuauflage des An-
desländer fallen aus dem Rahmen: Hier
waltsverzeichnisses so wieder finden,
gehen die Startgehälter bis 25.000 Euro
wie Sie es wünschen. Bis
herunter. Eine Folge der relativ hohen
zum
Einstiegsgehälter bei den regionalen
15.1.2009 können Sie uns Ihre Daten-
Topkanzleien: Die Kanzleien sind wäh-
änderungen oder auch die Bestätigung,
lerisch. Für fast 65 Prozent der
dass Ihre Daten korrekt erfasst sind,
befrag-
mitteilen.
ten Kanzleien sind zwei
Die DAV-Online-Plattform des
Prädikats-
Deutschen Anwaltvereins (https://por
examen wichtig oder sehr wichtig. Der
tal.dav.de/pls/online_plattform) ermög-
Grund: Rund 90 Prozent der befragten
licht es jeder Rechtsanwältin und je-
Kanzleien suchen zukünftige Partner.
dem Rechtsanwalt ihre bzw. seine
Auch das ist ein Spitzenwert.
beim Deutschen Anwaltverein gespei-
Außer Konkurrenz laufen - wie
cherten Daten (einschließlich der An-
nicht anders zu erwarten - die Groß-
gaben zu den Teilbereichen der Berufs-
kanzleien im Bank- und Kapitalmarkt-
tätigkeit) selbstständig online zu
recht. Hier profitieren die Kanzleien
prüfen und zu aktualisieren. Die DAV-
zum Teil von der Bankenkrise. Die Ein-
Online-Plattform richtet sich damit
stiegsgehälter reichen von 70.000 Euro
auch an Anwälte, die nicht Mitglied ei-
bis 105.000 Euro.
Anwaltsblatt Karriere ist das Magazin des Deut- nes örtlichen Anwaltvereins sind und
schen Anwaltvereins für Studierende und Referen-
dare. Heft 2/2008 (Wintersemester 2008/2009) ist
im Anwaltverzeichnis gelistet werden.
jetzt erschienen (Leseprobe „Studentenprotraits" in Eine gesonderte Abfrageaktion per Post
diesem Heft ab 826). Kostenloses Ansichtsexem- wird es nicht geben.
plar unter anwaltsblatt-karriere@anwaltverein.de. Informationen zur DAV-Online-Plattform unter
https://portal.dav.de/pls/online_plattform.
Anwaltsvergütung Mahnverfahren
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ein Konflikt? schaft reguliert" . Das aber bedeutet außerhalb jeden Zwei-
Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, K o¨ ln
fels, dass eben dieser freiheitliche Staat - gerade auf seiner
„Gratwanderung" gegenüber den Geboten der Sicherheit und
der Terrorabwehr - auf das freiwillige Engagement der Bür-
ger angewiesen ist, eben auf ihre „moralische Substanz", um
Der Deutsche Anwaltverein warnt: Die Bürgerrechte sind das zu erhalten, was die Essenz der Freiheit des Einzelnen im
in
Rechtsstaat ausmacht. Denn, so fährt Böckenförde fort, die
Gefahr. Deshalb stand in diesem Jahr auch der Deutsche An-
damit erforderlichen „inneren Regulierungskräfte" seiner
waltstag unter dem Motto „Die Anwaltschaft - auf der
Bürger kann und darf er „nicht mit den Mitteln des
Seite
Rechts-
der Freiheit". Doch welchen Preis sind wir bereit, für die 2
griff des Dilemmas sehr wohl zu dem im Thema angesproche- heitsgesetz wurde ebenfalls verworfen ; die Rasterfahndung
6
nen Bild der „Gratwanderung". Diese ist ja immer mit dem in- erfuhr das gleiche Schicksal , weil nach Ansicht des Karls-
härenten Risiko verbunden, entweder auf der einen oder auf ruher Gerichts die allgemeine Bedrohungslage, wie sie nach
der anderen Seite abzustürzen, also entweder die Bürgerfrei- dem 11.9. entstanden ist, als Legitimationsgrundlage ge-
heiten zu sehr zu betonen oder das dem Bürger nahezu heilige genüber dem Recht des Bürgers auf informationelle Selbst-
Sicherheitsbedürfnis zu unterlaufen. Doch dieses aus jeder bestimmung nicht ausreicht. Und schließlich war die Verfas-
„Gratwanderung" abzuleitende Dilemma ist der zentrale An- sungsbeschwerde gegen die automatisierte Erfassung der
ker der angebotenen Thesen und Überlegungen. Diese wer- 1
7
Zitiert nach Papier, Der Zweck des Staates ist die Wahrung der Freiheit, in:
1. Autokennzeichen am 11.3.2008 erfolgreich , um nur einige
den Die Aussage
daher auch Böckenfördes
keine Lösungen anbieten, sondern können Die Welt, 2.6.2008, S. 9.
Meilensteine
2 Papier aaO. zu nennen, die das Verfassungsgericht gegen-
bestenfalls Anregungen zum eigenen Weiterdenken sein. 3 Papier aaO.
Wenn es nach einem inzwischen fast geflügelten Wort von
4 BVerfG NJW 2007, 1169.
Ernst-Wolfgang Böckenförde zutreffend ist, dass der freiheit- 5 BVerfG NJW 2006, 751.
liche Rechtsstaat aus Voraussetzungen lebt, die er selbst we- 6 BVerfG NJW 2006, 1939.
der erzeugen noch garantieren kann, dann besagt dies in 7 BVerfG NJW 2008, 1505.
Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit, von Westphalen AnwBl 12 / 2008 801
MN Aufsätze
8
über der Sicherheitspolitik des Parlaments entschieden hat . durchzusetzen. Denn dann geht es nicht nur darum, dass es
Offenbar - das ist ja dann die Essenz der zu ziehenden in der Bundesrepublik keine Gegenden gibt oder jedenfalls
Schlussfolgerung - erweist sich das aufgezeigte Dilemma nicht geben sollte, in denen nachts kein Bürger mit schwar-
16
zwischen bürgerlicher Freiheit und staatlichem Streben nach zer oder gelber Hautfarbe allein spazieren gehen sollte . Das
Sicherheit nicht leicht lösbar. Das Verbot der heimlichen On- zu gewährleisten ist primär eine Frage an eine ausreichende
9
line-Durchsuchung , der „Infiltration eines informationstech- Präsenz der Polizei vor Ort. Wenn es aber - durchaus auf ei-
nischen Systems" bildet den vorläufigen Höhepunkt im ner höheren Ebene - darum geht, dass in der Öffentlichkeit
Dauerkonflikt zwischen Politik und Verfassungsgericht. keiner wegen seiner Hautfarbe diskriminiert werden soll
und das Gebot von „Nulltoleranz" insoweit Beachtung rekla-
miert, dann kann eben der Staat das hinter dieser Entwick-
2. Die Risikoperspektive
lung aufscheinende Wertedefizit eben nicht allein mit den
Ein zentrales Dilemma beherrscht alle Erwägungen, die sich Mitteln des allgemeinen Ordnungs- und Polizeirechts durch-
- gleichgültig, ob en gros oder en detail - den vielfältigen Ge- zusetzen versuchen, ohne sogleich die bürgerliche Freiheit
fahren des internationalen Terrors widmen und ihn zu be-
„Das Ordnungsrecht kann ein
schreiben sich anschicken. Denn stets geht es um die Beur-
teilung, ob die hier zugrunde liegende Risikoperspektive Wertedefizit nicht ausglei-
zutreffend ist. Es geht also um die möglichst zutreffende Be- chen, ohne die bürgerliche
schreibung des Gefährdungspotentials, welches der Terroris- Freiheit zu strangulieren."
mus mit sich bringt. Doch Hassemer hat uneinholbar Recht,
wenn er sagt: „Gegen die Warnung, schon morgen könne zu strangulieren. Erkennbar wird bei diesem kurzen Beispiel
das Schreckliche (durch terroristische Akte) passieren und bereits, wie sehr die eingangs angesprochene Aussage von
deshalb müssen wir uns heute schon darauf vorbereiten, ist Böckenförde ihren Tribut einfordert.
10
kein Kraut gewachsen" .
2.2 Kriminelle Bedrohungen
Leicht kann man anfügen, dass der „Preis der Angst" das
Instrument ist, mit dem Regierung im Kampf gegen die Ge- Auch wenn das hier zu behandelnde Thema primär auf die
fahren des Terrorismus „den Rechtsstaat in Bedrängnis Risikopotentiale zielt, welche die Gefährdungen durch den
11 Terror mit sich bringen, so muss man doch wegen
bringt", wie der Spiegel vor Jahresfrist titelte . Kein Geringe- des
rer als Herbert Prantl überschrieb daher sein durchaus le- größeren Zusammenhangs zunächst auch ein kurzes Wort
senswertes, wenngleich ein wenig einseitiges Buch schlicht zu den Gefährdungen finden, welche die organisierte Krimi-
12
mit „Der Terrorist als Gesetzgeber" . Und auf dem Rücken nalität im Schlepp hat. Jedermann weiß, dass gerade der all-
dieses Buches steht zu lesen: „Aus dem freiheitlichen Rechts- gemeine technologische Fortschritt, angefangen vom PC bis
staat wird ein Präventionsstaat, der seine Bürger nicht mehr zum Intranet, die Chance offener Grenzen und die kom-
unverdächtig, sondern als potentiell verdächtig betrachtet - munikative Vernetzung einen Nährboden darstellen, auf
13 dem die (internationale) organisierte Kriminalität wächst
alle Bürger" . Doch bevor man sich der Frage zuwendet,
ob und gedeiht. Das Bedrohungspotential durch Kriminelle ist
und in welchem Maß denn die schiere Angst des Bürgers, dadurch erheblich angewachsen. Denn die Möglichkeiten,
gar die Panik auf der Ebene von Exekutive und Legislative weltweit, nicht nur national im Verdeckten zu arbeiten,
für die gegen den Terrorismus gerichteten Gesetze und Re- wachsen schneller und führen zu immer schwerer durch-
gelwerke primär verantwortlich ist, wird man klugerweise ei- schaubaren Machtstrukturen. Die Strafverfolgungsbehörden,
nen Schritt zurück tun müssen. von denen der Bürger das Recht auf Freiheit und Sicherheit
einfordert, haben zu oft noch das Nachsehen.
2.1 Normenerosion Auf der Ebene der Anwaltschaft ist dieser Kontext in
der
Denn mit Recht und guten Gründen wird - sozusagen am
täglichen Arbeit leicht nachzuvollziehen, wenn es darum
Beginn der Gedanken, die sich dem Konfliktfeld Freiheit und
geht sicherzustellen, dass der eigene Mandant nicht zu dem
Sicherheit widmen - immer wieder die allgemeine Aufwei-
14 Kreis der nach der europäischen Geldwäsche-Richtlinie Ver-
chung der Normen ins Blickfeld gerückt . Sehr vieles von dächtigen zählt, was den Anwalt selbst, wenn er denn seine
dem, was früher als selbstverständlich angesehen wurde, gilt daraus resultierenden Meldepflichten verletzt, leicht zum Ge-
unter den Bedingungen des „Zeitgeistes" nicht mehr - ge- hilfen der Tat stempelt. Auf der Ebene der deutschen Wirt-
rade auch das, worauf man sich früher in einer noch schaft sind die Stichworte der Korruption sehr schnell auf-
intak- gezählt: Sie reichen fast flächendeckend von Siemens bis zu
ten Nachbarschaft blind verlassen konnte, wie etwa, das man VW, vom „System der schwarzen Kassen" bis zu Lustreisen,
die eigene Haustür nicht abzusperren brauchte. Schäuble die für die Gunst der Betriebsräte spendiert wurden.
hat in diesem Kontext mit Recht davon gesprochen, dass ein Noch ein weiteres Wort, das aus der Perspektive des
„Rückgang der sozialen Kontrolle in unserer vielfältigeren, 8 Vgl. auch Kilger AnwBl 2008, 407.
An-
9 BVerfG NJW 2008, 822; vgl. auch Kutscha NJW 2008, 1042 ff.
heterogeneren und individualisierten Gesellschaft" einen walts wichtig
10 Hassemer erscheint:
AnwBl 2008, 413, 418. In der Neufassung des § 160 a
15
StPO
11 Der Spiegel Nr. 28/2007.
„Verlust an Schutzmechanismen" nach sich gezogen hat . 12 Prantl, Der Terrorist als Gesetzgeber, Wie man mit Angst Politik macht, München
In einem gleichsam höheren Sinn handelt es sich hier um 2008.
zünden . Doch andererseits sagt man uns: „Why have we tergründe, Frankfurt 2006; sehr restriktiv allerdings Prantl, Der Terrorist als Ge-
setzgeber, aaO S. 135 ff.
heard so much frightening talk about 'dirty bombs' when 20 Vgl. Die Welt vom 29.8.2008, S. 2.
expert 21 Dietl/Hirschmann/Tophoven aaO S. 20 ff.
22 Dietl/Hirschmann/Tophoven aaO S. 28 f.
say it is panic rather than radioactivity that would kill
23 www.fas.org/bw/nws.htm#ANTHRAX, im Einzelnen auch http://www.jahrbuch-oe-
people". kologie.de/Geisler2003 S. 149 ff.
Die Anspielung auf die angeblichen Anschläge der Al 24 Hierzu Elsässer, Terrorziel Europa, Das gefährliche Doppelspiel der Geheim-
dienste, St. Pölten 2008, S. 216 ff.
Quaida mit Antrax nach dem 11.9., die in Amerika Panik 25 http://Articles.latimes.com/2005/jan /11/opinion/oe-scheer11.
23
26 Sitzung vom 5.9.2008 (Standing Committee).
hervorriefen , aber Gottseidank niemanden töteten, liegt
24 27 Hierzu Tomuschat AnwBl 2004, 397.
Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit, von Westphalen
hier nahe . Und dass Al Quaida eine fest gefügte,
weltweit
operierende Terrororganisation repräsentiert, die sowohl den AnwBl 12 / 2008
803
Krieg in Afghanistan als auch die zahlreichen „Schläfer" in
MN Aufsätze
dersetzung im Namen und zugunsten der Freiheit gewon- vor zitierten Urteilen des Karlsruher Gerichts nachlesen, wel-
28
che die Politik nachhaltig zugunsten der Bürgerfreiheit in
nen werden . Dieser Kampf hat indessen ein durchaus noch
ihre Schranken gewiesen hat. Denn die Grundaussage von
schärferes Profil als der von Huntington verkündete „Kampf
29 Wolfgang Schäuble: „Jede Freiheit setzt Sicherheit voraus:
der Kulturen" , weil es um die Bändigung purer terroristi- Erst kommt das Leben, dann die Freiheit, in der sich
scher Gewalt geht. Daher führt die hier eingeforderte geistige Leben
Auseinandersetzung auch weit über die Ufer hinaus, die im 33
entfalten kann" , ist ebenso richtig wie nichtssagend, führt
Allgemeinen für Europa mit dem Konflikt umschrieben 30
aber gleichwohl zu der weitergehenden und durchaus gülti-
wird, der zwischen Christentum und Islam ansteht und ge-
gen Feststellung: Wer in dauernden Furcht lebt, Opfer eines
genwärtig, wenn denn überhaupt, bestenfalls im Zeichen ei-
ner gleichmacherischen Toleranz geführt wird. Dass eine sol- „Es geht nicht nur um
che dialogbereite Haltung allein nicht reicht, liegt auf der
Hand.
Abwehrrechte: Der Staat
Denn die im Hintergrund ruhende geistig-politische soll die Sicherheit der
Frage nach den wirklichen Ursachen des Terrorismus darf Bürger gewährleisten."
nicht den entscheidenden Umstand außer Betracht lassen, 34
dass die Terroristen nämlich nicht in einem „politischen und Verbrechens zu werden, ist in der Tat nicht mehr frei . Und
sozialen Vakuum" aufgewachsen und sich nicht ohne Grund im Hintergrund steht seine Aussage, welche die terroristi-
und Anlass dem selbstmörderischen Hass gegen die west- sche Bedrohung keineswegs verharmlost: „Es kann uns je-
35
liche Gesellschaft verschrieben haben. Es ist also auch die derzeit treffen" .
geistig-geistliche Schwäche des Westens, seine moralische Ausgehend von diesen beiden Grundaussagen, die treff-
und ethische Indifferenz, auch der Hang zu Gier und lich die im Thema angesprochene „Gratwanderung" zwi-
31
Größenwahn , wie er jetzt in der weltweiten Finanzkrise of- schen Freiheit und Sicherheit umschreiben, sind jetzt einige
fenkundig wird, der den „Hintergrund" einer nur vereinzelt der Dilemmata aufzuzeigen, welche diesen „Konflikt" zwi-
schen gebotener Abwehr des Terrors und Rechtsstaat charak-
„Der Kampf um Ideen kann terisieren. Denn die darzustellenden präventiven Gesetze
im Namen der Freiheit nur und Handlungsweisen des Staates schränken erkennbar im
Namen der Sicherheit gegenüber den Gefahren und Bedro-
mit der Waffe des Geistes
hungen des Terrors die Freiheit des Bürgers ein, sind aber
gewonnen werden." gleichwohl kaum oder jedenfalls nicht ohne weiteres für je-
dermann wahrnehmbar in der Lage, die Sicherheit des
geführten Auseinandersetzung prägt. Es geht also um die
Bürgers in einem gleichsam höheren Maß zu verwirklichen.
nachhaltige und kompetente Auseinandersetzung mit den
Denn - das ist eine frivole Feststellung - es ist ja noch nichts
geistig-politischen Wurzeln des Terrors und der islamisti-
Schlimmes passiert. Der Terror hat uns bislang verschont.
schen Fundamentalisten, der im Blick auf die Erhaltung der
Diese Aussage aber kann in jeder Stunde - darüber sind sich
bürgerlichen Freiheit in einem säkularen Staat, wie
die Experten einig - widerlegt werden. Vorsorge in der Prä-
hin-
vention ist daher das Gebot der Stunde. Doch im Hinter-
zuzusetzen ist, mehr als angezeigt und geboten ist. grund steht dem unvermittelt die wohl entscheidende Frage
Die zweite Grundaussage bezieht sich auf die Ebene des zur Beantwortung an, „ob unser Rechtsstaat ausreicht, um
deutschen Staatsrechts. Die in unserer Verfassung veranker- den neuen Bedrohungen zu begegnen", wie der
ten freiheitlichen Grundrechte sind in erster Linie liberale Bundes-
Abwehrrechte gegenüber dem Machtanspruch des Staates. 36
So sind sie entstanden; in der Funktion haben sie ihre Wirk- innenminister nicht müde wird zu betonen . Das scheint
kraft zugunsten der individuellen Bürgerfreiheit entfaltet. mir das Generalthema zu sein, das jetzt ein wenig deutlicher
Doch auf der anderen Seite steht die Forderung, der Staat zu deklinieren ist.
müsse - auch und gerade in den Zeiten terroristischer Be-
3.2 Strafrecht
drohungen - die Sicherheit des Bürgers gewährleisten, eine
Forderung, die den Kern staatlicher Pflichten gegenüber sei- 3.2.1 Materielles Strafrecht
nen Bürgern unmittelbar berührt. Aber diese Pflicht hat in Mit Recht ist bemerkt worden, dass das Strafrecht - und da-
ihrer jeweiligen aktuellen Ausprägung nur eine Dimension: mit sind die Aktivitäten des Gesetzgebers angesprochen -
Sie ist nämlich nicht eindeutig, sondern wie der Präsident „Hochkonjunktur" haben, um dem vielfältigen Phänomen
37
des Bundesverfassungsgerichts Papier mit Recht sagt, sie ist des Terrorismus zu begegnen . Gesetze, die ausdrücklich ge-
32
„grundsätzlich unbestimmt" . gen den Terrorismus gerichtet sind, wurden im Schock des
Das ist wohl der wesentliche Grund dafür, dass die gegen 11.9. verschiedentlich, aber auch schon früher im Zusam-
28 Mit Recht Dietl/Hirschmann/Tophoven aaO S. 30.
den Terrorismus gerichteten Gesetze immer so sehr 29 Huntington, Der Kampf der Kulturen, 5. Aufl. München 1997.
von 30 Hierzu nach wie vor wegweisend Pera/Ratzinger, Ohne Wurzeln, Der Relativismus
und die Krise der europäischen Kultur, Augsburg 2005.
dem Faktor „Angst" geprägt sind. Die Stichworte dieser auf 31 Hierzu Der Stern Nr. 40/2008 S. 30 ff.
teils massive Prävention angelegten Strafrechtsbestimmun- 32 Papier aaO
gen koppeln sich dann mit weitreichenden Kompetenzen ei- 33 Schäuble, in: Die Freiheit ist stärker, Veröffentlichungen der Hanns-Martin
Schleyer-Stiftung, Nr. 72, Köln o. J. S. 72.
nes strafprozessualen Drohpotentials. Dass die damit einge- 34 Vgl. Kutscha NJW 2007 - Sonderdruck S. 14, 17.
forderte staatliche Schutzpflicht gleichwohl - oder besser: 35 Schäuble, Der Spiegel Nr. 28/2007 S. 31.
gerade wegen dieser Unbestimmtheit ihres Inhalts - an den 36 Schäuble, Der Spiegel Nr. 28/2007 S. 31, 32.
37 Weißer JZ 2008, 388 ff.
Prinzipen der geltenden Verfassung, insbesondere an den
Grundrechten und vor allem auch an dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit
804 AnwBl 12 zu messen hat, ist oft genug gesagt wor-
/ 2008 Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit, von Westphalen
den. Jedermann kann die gezogenen Folgerungen in den zu-
MN Aufsätze
38
menhang mit dem RAF-Terror erlassen . Hervorzuheben ist, sequent hat daher auch das Karlsruher Verfassungsgericht in
dass die §§ 129 a, 129 b StGB als Spezialdelikt die „Bildung ei- seinem Urteil vom 3.3.2004 46
diesen Faden übernommen, ist
ner terroristischen Vereinigung" mit dem Ziel unter Strafe aber einen ganz wesentlichen Schritt weiter gegangen. An-
stellen, dass der Zusammenschluss von Personen bestraft stelle des Gebots der Freiheit hat es hier die Menschenwürde
wird, die die Begehung bestimmter künftiger Straftaten pla- ins Spiel gebracht, und zwar verstanden als ein
39 (wohl-
nen . Zweck dieses Gesetzes ist es, den Strafverfolgungs- 47
behörden bereits im „Vorstadium" einer Straftat die Möglich- gemerkt) absolut geltendes Gebot . Danach ist es unzulässig,
keit eines ermittlungsrechtlichen Zugriffs und damit auch den privaten Wohnraum zu überwachen, soweit sich dieses
einer Zerschlagung dieser „Vereinigung" zu ermöglichen. Verhalten als „individuelle Entfaltung im Kernbereich pri-
Von Wichtigkeit ist es zu sehen, dass also bereits der vater Lebensgestaltung" äußert. Und dann kommt die Aus-
„Verdacht", eine terroristische Vereinigung habe sich gebil- sage, die schlechthin perplex das hier aufscheinende
det, den Ermittlungsbehörden das Recht eröffnet, die Über- Di-
wachung der Telekommunikation nach § 100 a Abs. 1 lit. 1 lemma umschreibt: „Dieser absolute Schutz darf nicht durch
c 41
Abwägung mit den Strafverfolgungsinteressen nach Maß-
lit. 1 b40 StPO und die Durchsuchung von nicht von den Be- gabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert wer-
StPO , die akustische Gebäuden/Wohnräumen
schuldigten bewohnten Überwachung gemäß nach
§ 100§c 103Abs. 2 48
Abs. 1 Satz 2 StPO durchzuführen, wenn auf Grund von Tat- den" .
sachen anzunehmen ist, dass sich der Beschuldigte derort Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung im Streit
zwischen der dem Sicherheitsbedürfnis des Bürgers immer
aufhält. Wird der Beschuldigte als vermeintlicher Täter ge-
mehr und mehr verpflichteten Politik und dem die Schutz-
fasst, dann bedarf es keines weiteres Grundes, um eine Un-
pflicht des Staates einschränkenden, aber die Freiheit des
tersuchungshaft gegen ihn zu begründen. Das Gespräch mit
einem Verteidiger ist daher nur mit einer Trennscheibe zu- „Höhepunkt im Streit
lässig (§ 148 Abs. 2 Satz 3 StPO), und auch der Schriftverkehr
zwischen beiden wird überwacht. Gerade deswegen bemer- zwischen Sicherheits-
kenswert: Die Überwachung des Telefonverkehrs des bedürfnis und Bürgerfreiheit:
An- Ein neues Grundrecht."
walts von El Masri scheiterte allerdings beim Bundesverfas-
sungsgericht, weil dieses jedenfalls dann einen Eingriff in Bürgers sichernden Entscheidungen des Bundesverfassungs-
49
die Grundrechte des Art. 10 und 12 GG sah, wenn die Wahr- gerichts wird durch das Urteil vom 27.2.2008 markiert
scheinlichkeit, der Anwalt betätige sich als Übermittler von .
42
Denn hier schuf das Gericht nichts weniger als ein neues
Nachrichten zwischen den Tätern „äußerst gering" ist .
Grundrecht, und zwar das „Grundrecht auf Gewährleistung
3.2.2 Prozessuale Maßnahmen der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer
50
Es ist - per Saldo - weithin gesichert, dass das Strafrecht Systeme" . Dieses entstammt nicht dem Würdegebot, son-
trotz dieser sehr ausgedehnten Präventionswirkung nicht ge- dern es ist Teil und Ausfluss des allgemeinen Persönlich-
eignet ist, in hinreichend wirksamer Weise den terroristi- keitsrechts. Danach ist die „heimliche Infiltration eines infor-
schen Gefahren und Gefährdungen zu wehren, es sei denn, mationstechnischen Systems" nur dann mit den Geboten
man akzeptiert, die in dieser Entwicklung erkennbar wer- der Verfassung vereinbar, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte
dende Weiterung des Strafrechts zum präventiven Polizei- einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechts-
51
recht. Doch gerade an dieser Stelle erweist sich die an den gut" vorliegen . Darunter versteht das Gericht „Leib, Leben
Grundsätzen der Verfassung zu messende - unbestimmte - und Freiheit der Person" sowie solche „Güter der Allgemein-
Schutzpflicht des Staates als hoch bedeutsam. Auf der einen heit", „deren Bedrohung die Grundlage oder den Bestand
Seite führt die sich ständig vollziehende Innovation in der des Staates oder die Grundlagen
53 der Existenz der Menschen
Nachrichten- und Telekommunikationstechnik dazu, dass 52
die Ermittlungsbehörden immer neue Herausforderungen berührt" . Damit sind die von dem nordrhein-westfälischen
Verfassungsschutz bezweckten Regeln der Online-Durch-
zu bestehen haben, um ihren präventiven Auftrag wirksam
suchung nichtig. Und ob das jetzt im Parlament behandelte
erfüllen zu können. Dazu aber bedarf es immer wieder einer
43 Gesetz zur Abwehr des internationalen Terrorismus durch
neuen gesetzlichen Grundlage . Dass dabei der nationale 38 Vgl. Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9.1.2002 - BGBl I 2002, 361ff.; Terroris-
dasmusbekämpfungsgesetz
Bundeskriminalamt den Test der Verfassungsgemäß-
vom 10.1.2007 - BGBl I 2007, 2 ff.
Maßstab nicht ausreicht, sondern eine internationale, heitZumbestehen
39 wird,
Tatbestand dieser istim Einzelnen
Normen auch Weißer
nochJZ nicht erwiesen,
2008, 388, 389 ff. zumal der
grenzüberschreitende Kooperation zwingend notwendig ist, 40 Hierzu Bär MMR 2008, 215, 216f. - betreffend die Neufassung.
ist ein Gemeinplatz. 41 Hierzu einerseits BVerfG NJW 2004, 999 - verfassungswidrig; BVerfG NJW 2007
- Sonderdruck - S. 48 - verfassungsgemäß betreffend die Neufassung von § 100 c
Auf der anderen Seite ist zu betonen, dass gerade hier ein StPO.
Dilemma aufscheint. Dies hat der Europäische Gerichtshof 42 BVerfG NJW 2007 - Sonderdruck - S. 47.
43 Hierzu Bär MMR 2008, 215 ff. zu den ab dem 1.1.2008 geltenden Neuerungen.
für Menschenrechte in Straßburg in seinem Urteil vom
44 EGMR NJW 2007 - Sonderdruck S. 53.
29.6.2006 mit stupender Deutlichkeit betont: „Die bloße Exis- 45 Hierzu im Einzelnen Mayer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention,
tenz von Gesetzen, die eine geheime Überwachung des Fern- 2. Aufl. Baden-Baden 2006, Art. 8 Rdnr. 3 ff.
46 BVerfG NJW 2004, 999.
meldeverkehrs gestatten, stellt für die möglicherweise Betrof-
47 Dagegen Baldus JZ 2008, 218, 221, 224.
fenen eine Bedrohung dar, dass sie überwacht werden", um 48 BVerfG NJW 2007 - Sonderdruck S. 48, 51.
44
49 BVerfG NJW 2008, 822.
darin einen Eingriff nach Art. 8 zu sehen , der die
50 Hierzu Kutscha NJW 2008, 1042 ff.
Achtung
51 BVerfG aaO - 2. Leitsatz.
des Privat- und Familienlebens, aber auch die Achtung der 52 Ebenda.
45
53 BT-Drucks. 16/10121.
Wohnung und der Korrespondenz im Visier hat . Das ist fol-
gerichtig in den Kategorien gedacht, dass Grundrechte libe-
rale Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind und eine die
Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit, von Westphalen AnwBl 12 / 2008 805
Freiheit des Einzelnen sichernde Funktion entfalten. Kon-
MN Aufsätze
Begriff des „internationalen Terrorismus" sich nur schwer
als Voraussetzung einer rechtsstaatlich abgesicherten Gefah-
54
renabwehrbefugnis rechtfertigen lässt .
Es ist also offen und soll hier nicht weiter untersucht wer- ter dienen soll, ändert an diesem Befund offenbar nichts: Es
den, ob und inwieweit sich auch in der Zukunft noch An- gilt vielmehr für den Staat die aus Art. 1 GG, dem Würdege-
haltspunkte dafür ergeben, dass der auf Sicherheit und bot, resultierende Schutzpflicht, die im „Tötungsverbot" gip-
66
Schutz seiner Bürger bedachte Staat an den Hürden der Ver-
felt . Ob diese Argumentation auch gegenüber einer Beru-
fassung scheitert. Doch dieser Konflikt ist Teil des hier
auf- „Der wunde Punkt in der
zuzeigenden, nicht zu beseitigenden Dilemmas zwischen
Freiheit und Sicherheit, wie es durch die Bedrohungslage
Debatte: Was gilt beim
nach dem 11.9. entstanden ist. übergesetzlichen Notstand?"
3.3 Gemengelage zwischen Bedrohung der inneren und fung auf einer übergesetzlichen Notstand in Anspruch ge-
äußeren Sicherheit nommen werden kann oder ob dann - post factum - Gegen-
teiliges gilt, ist eine der wunden Fragen in der Debatte um
Da die terroristische Bedrohung ein internationales Phäno-
die Grenzen der Abwehr terroristischer Angriffe. Ich meine,
men ist, das auch - Stichwort: „failing state" und „Schurken-
dass vieles dafür spricht.
staat" - die Bedrohung durch fremde Staaten zu Wasser, zu
Lande und aus der Luft einschließt, verwischen sich 3.4 Rechtliche Normallage - Ausnahmezustand
die 55
Vergegenwärtigt man sich allerdings die Konsequenzen die-
Grenzen zwischen der Sicherheit im Inneren, die von der Po-
ses Karlsruher Urteils, dann wird deutlich, dass jedenfalls an
lizei zu gewährleisten ist, und der Sicherheit gegenüber dem
diesem Punkt der Terrorbekämpfung die im gestellten
äußeren Feind, den abzuwehren Auftrag der Bundeswehr
56 Thema angesprochene „Gratwanderung" zwischen Freiheit
ist . Die noch immer nicht abgeschlossene Diskussion, ob und Sicherheit ihr faktisches Ende gefunden hat. Die zuvor
denn auch die Bundeswehr zur Aufrechterhaltung der inne- schon immer wieder angesprochenen Dilemmata zwischen
ren Sicherheit - sozusagen als Hilfstruppen der Polizei - ein- diesen beiden gleichermaßen vom Staat zu schützenden
57
zusetzen ist , belegt das angesprochene Phänomen, ist aber Rechtsgütern werden nur noch faktisch vollzogen: Entweder
auf der Ebene des noch geltenden Verfassungsrechts nicht entscheidet sich in einem solchen Fall der Bundesminister
58 der Verteidigung dazu, unter Berufung auf das allgemeine
zuverlässig zu bewältigen , solange nicht eine soeben im Ko- Institut des übergesetzlichen Notstandes den final Abschuss
alitionsausschuss beschlossene Änderung des Grundgesetzes
59
doch anzuordnen oder der Staat lässt der terroristischen Be-
verabschiedet wird . Danach soll die Bundeswehr künftig drohung seinen Lauf und nimmt - ähnlich dem Beispiel des
zur Bekämpfung „besonders schwerer Unglücksfälle" auch 11.9. - sowohl die Tötung der Passagiere als auch den
60
im Inland eingesetzt werden . Man wird also künftig auch Tod
den militärischen Einsatz - und dies mit Waffengewalt - im zahlreicher Unschuldiger in Kauf.
Inneren in Extremfällen nicht mehr ausschließen dürfen. Diese Alternative deckt sich dann mit der Erkenntnis, die
Doch es bleibt weiterhin zweifelhaft, ob der übergesetzli- der Kölner Verfassungsrechtlicher Otto Depenheuer zutref-
che Notstand eingefordert werden kann und darf, wenn näm- fend ins Bild gebracht hat: „Der Staat kann verfassungsrecht-
lich - wie im Luftverkehrssicherheitsgesetz ursprünglich ein- liche Errungenschaften", so führt er aus, „nicht mehr erfolg-
mal vorgesehen - der finale Abschuss eines Flugzeugs auf versprechend gegen terroristische Angriffe aus der Luft
67
Befehl des Verteidigungsministers erlaubt und gerechtfertigt verteidigen" . Dies ist eine Aussage, die sich in ihrem denke-
sein kann, wenn dieses von einem Terroristen - ähnlich wie rischen Ansatz mit der Frage des Bundesinnenministers
am 11.9. geschehen - gegen ein ziviles Ziel in der deckt, ob denn „unser Rechtsstaat ausreicht, um den neuen
68
Bundes-
Bedrohungen zu begegnen" . Die immer wieder beschwo-
republik gesteuert wird und damit auf die Tötung Unschuldi- rene Asymmetrie, die der Krieg gegen den Terror national
61
ger zielt. Bekanntlich hat ja das Bundesverfassungsgericht wie international im Gefolge hat - gleichgültig, ob man diese
diese gesetzliche Ermächtigung als mit dem Gebot der Men- Denkfigur auch auf den Irak- und Afghanistan-Krieg oder
schenwürde und dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 1 GG auf die Ereignisse im Gefolge des 11.9. bezieht - sie
unvereinbar eingestuft, weil - so wörtlich - „die erweist
Schutz- hier ihre volle Sprengkraft. Denn die Rechtsordnung kapitu-
pflicht des Staates dem Staat und seinen Organen gebietet, liert, weil sie den durch einen terroristischen Luftangriff her-
sich schützend und fördernd vor das Leben jedes einzelnen 54 Kritisch Stellungnahme des Ausschusses des DAV für Gefahrenabwehr, Strafrecht
und Informationsrecht Nr. 49/08.
zu stellen; das heißt, es vor rechtswidrigen An- und
55 Hierzu Derida, Schurken, Frankfurt 2003, S. 111ff.
Eingrif- 56 Umfassend hierzu Wiefelspütz, Die Abwehr terroristischer Anschläge und das
62 Grundgesetz, Frankfurt 2007.
fen von Seiten Dritter zu bewahren" . 57 Wiefelspütz aaO S. 31ff.
Doch ist es und bleibt verboten - und dieser Gedanke ist 58 Vgl. Schäuble aaO; Wiefelspütz aaO S. 87 ff. - Formulierungsvorschlag für eine
Neufassung von Art. 35 GG.
für das Karlsruher Gericht letztlich 64 zielführend - , dass der
59 Hierzu Handelsblatt Nr. 194/2008 S. 4.
Staat gerade auch im Rahmen seiner ihm obliegenden 60 Ebenda.
Schutzpflicht den „Menschen zum bloßen Objekt des Staa- 61 BVerfG NJW 2006, 751.
63
62 BVerfG NJW 2006, 751, 757.
tes" macht . Daher: Würde der Bundesminister der Verteidi- 63 Ebenda.
gung bei einem terroristischen Angriff, in dem ein Flugzeug 64 BT-Drucks. 15/2361 S. 20.
„zur Angriffswaffe umfunktioniert" worden ist, den Befehl 65 BVerfG NJW 2006, 751, 758.
66 BVerfG NJW 2007, 751, 760.
erteilen, dieses Flugzeug final abzuschießen, dann würde
67 Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, Paderborn 2007, S. 27.
das Leben Unschuldiger vernichtet. Das aber - so das Ge- 68 Schäuble, Der Spiegel Nr. 28/2007 S. 31, 32.
richt - macht in unzulässiger Weise die unschuldigen Passa-
65
giere „zu Opfern nicht nur der Täter" . Dass indessen
806
diese AnwBl 12 / 2008 Gratwanderung zwischen Sicherheit und Freiheit, von Westphalen
Blick auf einen finalen Abschuss des näre der NPD . Folgerichtig wird man in Bezug auf
einen
angreifenden
Terroristen, wie immer die Definition dieses Begriffs im All-
Flugzeugs - fast ein wenig verschämt - die Rechtsfigur des
69
gemeinen ausfallen mag, die Frage stellen müssen, ob nicht
„Bürgeropfers" als „solidarische Einstandspflicht" des Ein- auch er in die Kategorie des „Feindes" fällt, weil auch
zelnen anspricht, wird die damit verknüpfte Antwort nach
seine
der Zulässigkeit eines solchen „Bürgeropfers" außerhalb der
politische und terroristischen Ziele darauf gerichtet sind,
Notstandsverfassung - schlicht verweigert. 76
Auf dieser Ebene scheinen die bislang im Konflikt zwi- den freiheitlichen Rechtsstaat ins Mark zu treffen .
schen Freiheit und Sicherheit eingesponnenen Dilemmata in Von daher spricht durchaus einiges für den Gedanken,
der Aporie zu enden: Das Recht verweigert der Politik jede dass der Terrorist nicht nur ein besonders fanatisch
zureichende Antwort. Man kann es auch krasser formulie- vor-
ren: Das Recht ist angesichts der terroristischen Bedrohung gehender Rechtsbrecher ist, weil sich die Frage aufdrängt, ob
und des auch von der Bundesregierung geführten „Krieges seine Aktivitäten nicht primär unter der Perspektive
gegen den Terror" nur in der Lage, die Antworten den des
77
han- „Feindes" zu bewerten sein sollten . Die gegen sein
delnden Politikern anzubieten, die auf der Normallage beru- Wirken
hen, der Ausnahmezustand hingegen findet kein Echo. Doch gerichteten Abwehrfunktionen des - wehrbereiten - Rechts-
staats zielen jetzt in erster Linie auf den weiten Bereich
„Das Recht kann Antworten des
nur für die Normallage bie- Gefahrenabwehrrechts. Damit wäre Polizeirecht eingefor-
dert, weil es um die nachhaltige Wahrung von Sicherheit
ten, der Ausnahmezustand und Ordnung gegenüber einem „Feind" geht, der selbst in
findet kein Echo." den Kategorien der Vernichtung anderer Menschen denkt
und handelt. Für das dann jeweils geforderte Eingreifen der
der Ernstfall der terroristischen Bedrohung ist der Normal-
Polizei und auch - möglicherweise - der dem Militär zu Ge-
fall, weil der Staat - außerhalb des präventiven Strafrechts -
bote stehenden Mittel gilt zum einen der Grundsatz der Ver-
in erster Linie mit den Mitteln des Gefahrenabwehrrechts ge- hältnismäßigkeit, zum anderen das der präventiven Risiko-
halten ist, die Sicherheit und damit auch die Freiheit des prognose. Dabei entsteht aber - nahezu unvermeidbar - ein
70
Bürgers zu schützen . doppeltes Dilemma, dem man nicht mit der simplen Anmer-
kung ausweichen kann, es komme stets - ganz pragmatisch
3.5 Der Terrorist als rechtsbrechender Bürger oder als Feind? gedacht - auf eine angemessene, den jeweiligen Bedro-
3.5.1 Der völkerrechtliche Ausgangspunkt hungsszenarien entsprechende Antwort an. Diese Sicht
Gegen die damit immer weiter auswuchernde Tendenz eines greift ersichtlich zu kurz und sie unterschätzt die Wirkkraft
des offenen demokratischen Diskurses.
mehr oder weniger umfassenden Schutzschildes des Staates
kann man natürlich die Gebote der Freiheitssicherung in
3.5.2 Ein doppeltes Dilemma
Stellung bringen und davon sprechen, dass „unser Sicher-
Das erste Dilemma ist dies: Gegenüber terroristischen Aktivi-
heitsdenken nicht militärisch akzentuiert werden" darf, weil
71 täten ist in Bezug auf die zutreffende Risikoprognose und
wir „uns nicht im Krieg befinden" . Doch man kann an der damit einzuleitenden prospektiven oder aktuellen Gefah-
der
renabwehr nicht das „Ob" der bevorstehenden Bedrohung
Erkenntnis nicht vorbeigehen, dass gerade auch in Bezug
eine offene Frage, sondern diese bezieht sich nur auf das viel
auf den „Krieg gegen den Terror" die Nato im Gefolge
schwieriger zu beantwortende Wann, Wo und Wie des jewei-
des 78
zu erinnern, dass wir zu Beginn der 70er Jahre eine eindeu- 74 Hierzu im Einzelnen BVerwG NJW 1984, 813 - DKP.
75 BVerwG NJW 1989, 2584 813 - NPD.
tige Rechtsprechung hatten, wonach Mitglieder der DKP und
76 Vgl. Depenheuer aaO S. 58 ff.
sonstiger kommunistischer Tarn- oder Nachfolgeorganisatio- 77 Hierzu auch Roellecke JZ 2006, 265 ff.
nen nicht das Recht hatten, Beamte zu werden, weil sie 78 Mit Recht Roellecke JZ 2006, 265, 269.
ein sehr lesens- und nachdenkenswertes Buch „Das Ende der sätzliche Sicherheit zielenden Kompetenzen des Staates
Privatsphäre" geschrieben 81 und den Bürger als dem Stück für Stück zu opfern? Oder setzen wir gleichwohl auf
Brother, dem Überwachungsstaat, Big schon fast zur Gänze un- die nur in engen Grenzen eingeschränkte und auch ein-
82
terworfen dargestellt . zuschränkende bürgerliche Freiheit, nehmen aber den Staat
Freilich, so wird uns immer wieder gesagt, der unbe- nicht in Haftung, wenn er seine Schutzpflicht nicht hinrei-
scholtene Bürger brauche sich um die so geschaffenen zu- chend befolgt, so dass Bürger Opfer terroristischer Aktivitä-
ten und Kampfhandlungen werden?
„Das erste Dilemma: Der Diese Fragestellung kann man nicht so obenhin mit der
Terrorist kann auch der ,nette Floskel beantworten, die der englische „Economist" neulich
auf den Punkt zu bringen versucht hat, indem er den poten-
Nachbar' von nebenan sein."
tiellen Opfern fast ein wenig zynisch - die bürgerlichen Frei-
sätzlichen Eingriffskompetenzen des Staates keine Sorgen heiten damit verteidigend und eine Zunahme an Sicherheits-
zu machen, weil sie ja präventiv seiner höheren Sicherheit streben des Staates verneinend - ein „so be it" hinterher rief.
gegenüber terroristischen Angriffen dienten. Doch der Terro- Das reicht wohl nicht, wenn man sich nicht der Mühe zuvor
rist kann auch der „nette Nachbar" von nebenan sein, der unterzogen hat, die Frage zu beantworten, ob es denn dann
„Schläfer", der Zuträger von Informationen im Stadium der
Ausforschung von potentiellen Zielen. Denn in der Asym- „Das zweite Dilemma: Ist der
metrie des „Krieges gegen den Terror" arbeitet der Terrorist Terrorist ein gewöhnlicher
bis zur Entdeckung seiner Tat strikt im Verborgenen, bewegt Rechtsbrecher - oder mehr?"
und verhält sich also nach außen wie der normale Bürger.
Das führt unmittelbar in das zweite Dilemma: Wenn die- nicht auch notwendig ist, diesem Opfer des Bürgers auch ei-
ser Bürger aber in Wirklichkeit - von seiner Gesinnung und 85
nen politischen Sinn zu vermitteln , will man den Trauern-
seiner Tatbereitschaft her betrachtet - ein zum Handeln und
den am Grab mehr als Trost zusagen, als dass ein gewalttäti-
Töten grundsätzlich bereiter und auch entschlossener Terro-
ger Terrorist zugeschlagen und ein blindes Schicksal „Zufall"
rist ist, gilt dann - das ist die Frage - für ihn noch das Recht,
gespielt hat - so nach dem Motto: Es hätte auch jeden ande-
das der normale Bürger reklamieren kann oder gilt nicht für
ihn - als den „Feind" - nur ein Recht, welches eben nicht da- ren treffen können, der Tote war nur zufällig zur falschen
rauf zielt, auch ihm, dem erklärten Feind von Staat und Zeit am falschen Ort.
Ge-
4. Lösungsvorschlag: Vertiefter Diskurs
sellschaft, alle die Rechte zu gewähren, welche die Noblesse
des freiheitlichen Rechtsstaats auch dem schlimmsten Ver- Erstens: Von einer grundsätzlichen Bewältigung dieses Ziel-
83 und Interessenkonflikts sind wir im öffentlichen Diskurs im-
brecher noch großmütig einräumt ? Oder ist - das ist die
mer noch ein gutes Stück entfernt. Vielleicht lässt sich eine
nächste Frage - der potentielle Terrorist nur ein Bürger, der
abschließende Antwort auch nicht finden, weil ja die Bedro-
„hors de la loi" steht, wie dies seit langen Jahren der
hungen durch den Terror sich ständig im nationalen wie
ame-
auch im globalen Maßstab ändern, wie uns immer wieder
rikanischen Vorgehensweise im Land selbst, nicht nur ge- 86
genüber den Gefangenen in Guantanamo entspricht? Dieser gesagt wird . Verlässliche Informationen sind wegen des be-
Ansatz führt dann im Ergebnis zu der von Roellecke ins rechtigten Geheimhaltungsinteresses der staatlichen Ermitt-
Spiel gebrachten Aussage: „Feinde bestraft man nicht, Feinde lungsbehörden nicht immer frei Haus zu liefern. Oft verbin-
84
det sich auch Unwissenheit mit Angst und gerät leicht zur
ehrt und vernichtet man" .
Auch wenn man dieser Aussage mit keinem Wort bei- Panik. Das schadet notwendigerweise der Substanz des
pflichten würde, man muss sich doch klar sein: Der öffentlichen Diskurses. Das ist bedauerlich, weil so die Sache
im der Freiheit ein oft sehr schweres Spiel hat, weil sie ja
Thema angeschnittene Konflikt zwischen Freiheit und Si- erst
cherheit, kann erst dann sowohl verfassungstheoretisch als einmal Unwissenheit und Angst vor der Bedrohung der eige-
auch politisch zutreffend in der einen oder anderen Richtung nen Sicherheit aus dem Weg räumen muss. Das Risiko der
beantwortet werden, wenn man bedenkt, dass genau in der Freiheit wiegt dann oft weniger als das Risiko die ersehnte
jeweiligen Antwort auf diese entscheidende Frage - der Ter- Sicherheit durch den Staat zu verlieren.
rorist als Bürger oder als Feind - eine abschließende oder Zweitens: Sicher ist indessen dies: Die deutsche Rechts-
weiter führende Entscheidung für Gesetzgeber und Justiz ordnung hat bislang
87 den Begriff des „Feindes" nicht aner-
vorgezeichnet ist. Das mit der „Gratwanderung" zwischen Si- kannt, Der Terrorist genießt daher weitgehend im Kern wei-
cherheit und Freiheit bezeichnete Konfliktpotential muss terhin die Rechte als Bürger, jedenfalls die
zwingend und ehrlich diese wohl letztgültige Frage so oder eines
anders beantworten. Sie zielt nämlich weit über das eingangs Rechtssubjekts . Damit wird die Gratwanderung zwischen
dargestellte Dilemma von widerstreitenden Freiheitsrechten Sicherheit und Freiheit - gestärkt und geprägt durch die
und Sicherheitsbedürfnissen hinaus. Würde- und Freiheitsgarantie des Grundgesetzes - zuguns-
Sie lässt sich für den öffentlichen Diskurs auf den Nen- ten der Freiheit bewältigt. Doch diese Feststellung allein darf
ner bringen: Ist der Terrorist für den am öffentlichen Dis- nicht das Weiterdenken erübrigen.
kurs teilnehmenden Bürger nur ein potentieller gewöhn-
licher Rechtsbrecher, dem freilich allemal eine 81 Schaar, Das Ende der Privatsphäre, 2. Aufl., München 2007.
und Panik sind stets ein schlechter Ratgeber. Nur so kann fondgesetz (FMStFG) eine nähere Betrachtung, das im Ok-
auch erreicht werden, dass sich dieser Diskurs im verfas- tober diesen Jahres in einem rekordverdächtigen, unter Ein-
sungsrechtlich zulässigen und erwünschten System der schluss der Bundesratsbeteiligung weniger als eine Woche
„checks and balances" zwischen Judikative und Legislative dauernden Gesetzgebungsverfahren vom Deutschen Bundes-
A. Die Kernregelungen des Finanzmarktstabilisie-
vollzieht und Schritt für Schritt in die öffentliche Meinung tag erlassen worden ist.
rungsfondgesetzes
weiter entwickelt. Gerade, wenn in der Tat dem Rechtsstaat
Bedrohungen durch den Terrorismus als offene Herausforde- Der durch das Gesetz errichtete, als Sondervermögen des
rungen begegnen, welche der „Normallage" eben nicht mehr Bundes ausgestaltete Fonds dient der Stabilisierung des Fi-
entsprechen, dann verbieten sich kurzsichtige und kurzfris- nanzmarktes durch Überwindung von Liquiditätsengpässen
tige, vor allem aber auch einseitige Lösungen. Denn diese und durch Schaffung der Rahmenbedingungen für eine Stär-
würden dann wohl die Gewichte von Freiheit und Sicherheit kung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen des Finanz-
auf Dauer zuungunsten der Bürgerfreiheit verschieben. Das 2
sektors. Hierzu kann der Fonds auf Antrag derartiger Unter-
wäre dann ein zu hoher Preis. Dieser ist jedoch angesichts
nehmen Garantien gewähren, sich - etwa durch Erwerb von
der terroristischen Bedrohungslage wohl nicht ohne Entgelt
Einlagen - an deren Rekapitalisierung beteiligen oder be-
zu haben - ein Entgelt, welches auch das Opfer von Men-
stimmte vor dem 13.10.2008 erworbene Risikopositionen sei-
schenleben einschließen kann. 3
nerseits erwerben oder auf sonstige Weise absichern. Vor-
aussetzung hierfür ist, dass die durch das Gesetz und die im
Zusammenhang damit erlassene Verordnung4 vorgegebenen
„Bedingungen" erfüllt werden. Insbesondere müssen die
durch Stabilisierungsmaßnahmen begünstigten Unterneh-
men des Finanzsektors nach § 10 Abs. 1 FMStFG die Gewähr
Prof.
Prof Dr.
Dr Friedrich Graf von Westphalen, stphalen ,öln
Köln
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vizepräsident des
Deutschen Anwaltvereins.
1 Das Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds (Finanzmarkt-
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
stabilisierungsfondgesetz - FMStFG) wurde als Art. 1 des Gesetzes zur Umset-
autor@anwaltsblatt.de. zung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanz-
marktstabilisierungsgesetz - FMStG) vom 17.10.2008, BGBl. I S. 1982, erlassen.
2 So die ausdrückliche Zweckbestimmung in § 2 FMStFG.
3 Siehe hierzu §§ 7 bis 9 FMStFG sowie §§ 2 bis 4 der Verordnung zur Durchfüh-
rung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes (Finanzmarktstabilisierungsfonds-
Verordnung - FMStFV) vom 20.10.2008, eBAnZ123 2008 V1.
4 § 10 FMStFG und § 5 FMStFV.
Verwaltungsrechtsschutz bei der Bewältigung der Bankenkrise, Ewer AnwBl 12 / 2008 809
MN Aufsätze
für eine solide und umsichtige Geschäftspolitik bieten. Auch ist bei Streitigkeiten über die grundlegende Bewilligung von
bei Erfüllung dieser Voraussetzungen steht Antrag stellen- Stabilisierungsmaßnahmen i. S. v. § 4 Abs. 1 FMStFG - mit-
den Unternehmen jedoch kein zwingender Anspruch auf hin also das „Ob" derartiger Maßnahmen - der Verwaltungs-
Gewährung entsprechender Maßnahmen zu. Vielmehr ist rechtsweg eröffnet.
über hierauf gerichtete Anträge gemäß § 4 Abs. 1 Satz
1 b) Zuständigkeit
FMStFG durch die zuständigen Bundesstellen nach pflicht- Die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesver-
gemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der in der Be- waltungsgerichts folgt aus § 16 Satz 1 FMStFG. Dabei
stimmung im einzelnen genannten Gesichtspunkte zu ent- wird
scheiden. Zudem heißt es in Satz 3 der Vorschrift: „Ein das Bundesverwaltungsgericht wie auch in den anderen in
9
Rechtsanspruch auf Leistungen des Fonds besteht nicht."
§ 50 VwGO normierten Fällen als Tatsachengericht tätig,
Dass diese apodiktisch gefasste Feststellung auch nach der so
eigenen Bewertung des Gesetzgebers nur eingeschränkte dass ihm die Überprüfung des jeweiligen Streitfalles nicht
Geltung hat, kommt darin zum Ausdruck, dass das Gesetz in nur in rechtlicher sondern auch in tatsächlicher Hinsicht ob-
den §§ 16 und 17 einige Regelungen für den verwaltungs- liegt.
Anwaltstipp: Aus anwaltlicher Sicht ist zu beachten, dass in derartigen gericht-
gerichtlichen Rechtsschutz auch des Antragstellers enthält, lichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neben den allgemeinen Re-
die entbehrlich wären, wenn die Möglichkeit des Bestehens gelungen nicht die Bestimmungen des 13. sondern diejenigen des 9. Abschnittes
der Verwaltungsgerichtsordnung Geltung beanspruchen. Demgemäß kommen
jedweder klagbarer Ansprüche samt und sonders insbesondere auch förmliche Beweisanträge nach § 86 Abs. 2 VwGO in Betracht.
aus-
geschlossen wäre.
B. Der Rechtsschutz des erfolglosen Antragstellers
c) Richtiger Beklagter
Aus diesem Grunde macht es Sinn, der Frage nachzugehen, Da die Entscheidung über Stabilisierungsmaßnahmen i. S. v.
ob und ggf. in welcher Weise ein erfolgloser Antragsteller § 4 Abs. 1 FMStFG nach § 1 Abs. 1 FMStFV der
das Begehren auf Gewährung entsprechender Stabilisie- Finanz-
rungsmaßnahmen im Rahmen eines Verwaltungsstreitver- marktstabilisierungsanstalt übertragen ist, sind auf Erlass
fahrens prozessual verfolgen kann. derartiger Maßnahmen abzielende Klagen gegen diese zu
richten. Die Beteiligungsfähigkeit der Anstalt im gericht-
I. Hauptsache-Rechtsschutz lichen Verfahren ergibt sich aus § 3 a Abs. 1 Satz 2 FMStFG,
Hierbei sind zunächst die prozessualen Handlungsmöglich- wonach die Anstalt verklagt werden kann. Bei Grundsatzfra-
keiten im Rahmen des Hauptsache-Rechtsschutzes zu gen, Angelegenheiten von besonderer Bedeutung sowie Ent-
erörtern. scheidungen über wesentliche Auflagen i. S. v. § 4
Abs. 1
1. Zulässigkeit Satz 2 FMStFG hat die Anstalt die Sache nach § 1 Abs. 2
a) Rechtsweg Satz 2 FMStFV dem Lenkungsausschuss „mit einem be-
gründeten Vorschlag zur weiteren Behandlung" vorzulegen.
Da § 16 FMStFG zu entnehmen ist, dass aufgrund des Geset-
Folgt dieser diesem Vorschlag und wird die Entscheidung
zes sowohl öffentlich-rechtliche als auch zivilrechtliche Strei- dann von der Anstalt getroffen, so ist die Klage gegen
tigkeiten in Betracht kommen, stellt sich zunächst die Frage diese
des Rechtsweges. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass zu richten. Hingegen ist richtige Beklagte die durch das Bun-
das Verfahren der Durchführung von Stabilisierungsmaß- desministerium der Finanzen vertretene Bundesrepublik
5
nahmen regelmäßig zweistufig ausgestaltet ist. Auf der ers- Deutschland, sofern der Lenkungsausschuss von der durch
ten Stufe entscheidet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 FMStFG das § 1 Abs. 2 Satz 3 FMStFV eröffneten Möglichkeit Gebrauch
Bundesministerium der Finanzen bzw. an deren Stelle gem. macht, selbst die Entscheidung zu treffen. Dass in diesem
§ 1 Abs. 1 FMStFV die Finanzmarktstabilisierungsanstalt Falle die Klage nicht unmittelbar gegen den Lenkungsaus-
oder ggf. der in Satz 2 der Bestimmung normierte Lenkungs- schuss gerichtet werden kann, folgt daraus, dass dieser man-
ausschuss über vom Fonds gemäß den § 6 bis 8 gels Vorliegens einer entsprechenden bundesgesetzlichen
vorzuneh- Sonderregelung im Hinblick auf § 61 VwGO nicht selbst be-
mende Stabilisierungsmaßnahmen. Auf der zweiten Stufe teiligungsfähig ist.
erfolgt zur Umsetzung einer derartigen Entscheidung in al-
ler Regel der Abschluss eines zivilrechtlichen
Rechts- 5 Zur Zweistufigkeit von Rechtsverhältnissen in Beziehungen zwischen Staat und
geschäfts, etwa in Gestalt einer vertraglichen Übernahme ei- privaten Rechtssubjekten vgl. am Beispiel des Subventionsrechts Maurer, All-
gemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, § 17, Rdnr. 12 mit zahlreichen Nachwei-
ner Garantie, des Erwerbs einer Beteiligung an sen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
dem 6 Zu den Theorien vgl. grundlegend Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974,
§ 22 sowie Bachof, Über öffentliches Recht, in: Festgabe aus Anlass des 25-jähri-
Unternehmen oder der rechtsgeschäftlichen Übernahme ei- gen Bestehens des BVerwG, 1978, S. 1 ff.; Finkelnburg, Zur Entwicklung der Ab-
nes Risikos. Der Umstand, dass § 4 Abs. 1 FMStFG der grenzung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verhältnis zu anderen Gerichtsbarkei-
ten durch das Merkmal der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit, in: Festschrift für
zu- Menger, 1985, S. 279 ff.
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD für ein Gesetz zur Umset-
ständigen staatlichen Stelle eine einseitige 7Entscheidungs- 7
zung eines Maßnahmepaketes zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanz-
ausdrücklichen
befugnis einräumt, Willen
sprichtdes Gesetzgebers
sowohl Maßnahmen zur
nach der Subordinations-, marktstabilisierungsgesetz - FMStG) vom 14.10.2008, BT-DrS 16/10600, S. 15.
Stabilisierung des Finanzmarktes maßgeblich
als auch nach der modifizierten Sonderrechtstheorie dafür, auch im 8 Zur Interessentheorie siehe Soldan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage, § 40,
8 Rdnr. 290 mit umfangreichen Nachweisen.
öffentlichen
die Vorschrift Interesse erfolgen.
als eine solche Da in §Rechts
des öffentlichen 16 Satz
zu qua-1 FMStFG
9 Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 50, Rdnr. 1; zu den mit dieser Rolle einher-
zugleich eine
6 aufdrängende Sonderzuweisung zu sehen ist, gehenden Problemen Paetow, DVBl. 1994, 94, 99.
lifizieren. Hierfür streitet auch der Umstand, dass nach dem
810 AnwBl 12 / 2008 Verwaltungsrechtsschutz bei der Bewältigung der Bankenkrise, Ewer
MN Aufsätze
Verwaltungsrechtsschutz bei der Bewältigung der Bankenkrise, Ewer AnwBl 12 / 2008 811
MN Aufsätze
gründetheit einer Bescheidungsklage auch daraus ergeben, fehlt es indessen gleichwohl an einer endgültigen Vorweg-
17
nahme der Hauptsache, sofern - wie ein Vergleich mit dem
dass einer der anderen klassischen Ermessensfehler vorliegt
oder die Ermessensbetätigung auf Grundlage eines nur un- Inhalt und der Wirkung der Hauptsacheentscheidung zeigt -
18 25
zureichend ermittelten Sachverhalts stattgefunden hat. rechtlich nur eine vorläufige Regelung getroffen worden ist.
Gleichwohl wird auch in einem Falle der nur vorläufigen
Demgegenüber erfordert die Begründetheit einer auf un-
mittelbare Verpflichtung zur Bewilligung der beantragten Vorwegnahme der Hauptsache eine Regelungsanordnung in
Stabilisierungsmaßnahme gerichteten Klage darüber hinaus- aller Regel allenfalls erreichbar sein, wenn sowohl der An-
gehend, dass das Ermessen der zuständigen Stelle dahin- ordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund vom An-
gehend auf Null reduziert ist, dass sich allein eine antrags- tragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft
gemacht werden können. 26 In ersterer Hinsicht ist festzuhal-
gemäße Entscheidung als rechtmäßig erweist. In diesem
ten, dass dann, wenn die Gewährung einer staatlichen
Kontext ist festzuhalten, dass im Rahmen pflichtgemäßer Er-
messensbetätigung der Beachtung19 des Gleichheitssatzes be- Fördermaßnahme - wie im Falle des § 4 Abs. 1
sondere Bedeutung zukommt. Im Zusammenhang damit Satz 1
ist anerkannt, dass aus Art. 3 GG in Verbindung mit einer FMStFG - im Ermessen der zuständigen Behörde steht, eine
einstweilige Anordnung nicht schon im Hinblick auf den
entsprechend gefestigten Verwaltungsübung ggf. ein An-
spruch auf Gleichstellung bei der Gewährung von Zuwen- Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung, sondern
20
nur dann in Betracht kommt, wenn zusätzlich eine überwie-
dungen folgen kann. Bei Vorliegen hierauf gerichteter An-
gende Wahrscheinlichkeit für eine für einen Antragsteller
haltspunkte können dem Kläger Erleichterungen21 der Beweis-
duzierung des Ermessens
positive Entscheidung - undauf damit
Null -eine
spricht.
entsprechende Re-
Hinsichtlich
und Feststellungslast zugute kommen. Gleichwohl dürfte 27
eine entsprechende Ermessensreduzierung im Ergebnis nur
des Anordnungsgrundes ist erforderlich, dass der Antragstel-
in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dabei ist allerdings
ler geltend machen kann, dass er unzumutbar schweren, an-
festzuhalten, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 FMStFG nicht als
ders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er
„Kop-
sich auf den rechtskräftigen Abschluss des Hauptsachever-
pelungsvorschrift" zu qualifizieren ist, bei welcher
fahrens verweisen lassen müsste. Hieran dürfte es in Verfah-
der
ren nach dem FMStFG häufig schon deshalb fehlen, weil an-
Behörde auf Tatbestandsseite ein gerichtlich22 nur einge-
gesichts der erst- und letztinstanzlichen Zuständigkeit des
schränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum und auf
Bundesverwaltungsgerichts und der inzwischen zunehmend
Rechtsfolgeseite ein gerichtlich gleichfalls nur eingeschränkt
kürzeren Verfahrensdauern bei diesem eine rechtskräftige
überprüfbarer Ermessensspielraum zusteht. Denn die am
Hauptsacheentscheidung in einer Zeitspanne von deutlich
Ende der Bestimmung genannten Aspekte - Bedeutung des
unter einem Jahr erreichbar sein dürfte. Etwas anderes kann
von der betreffenden Stabilisierungsmaßnahme erfassten
ausnahmsweise dann gelten, wenn selbst ein Zuwarten um
Unternehmens für die Finanzmarktstabilität, Dringlichkeit
antragstellerischen Unternehmens
eine derartige Zeitspanne zu einerführen würde.
Existenzgefährdung des sich
Da
und Grundsatz des möglichst effektiven und wirtschaftlichen 28
kende
EinsatzesGesichtspunkte
der Mittel des dar. Fonds
Ob - diese
stellenrichtig
keine ausgelegt und
Tatbestands- 29
Ansprüche auf fehlerfreie Ermessensentscheidung unmittel-
merkmale sondern vielmehr die Ermessensausübung len-
23 bar aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten lassen, kann
angewandt worden sind, dürfte im Wesentlichen gerichtlich ihnen der Ausschluss aus § 4 Abs. 1 Satz 3 FMStFG nicht
entgegengehalten werden; die Vorschrift ist daher verfas-
voll überprüfbar sein, da es sich zumindest bei den beiden
sungskonform dahingehend auszulegen, dass ein Rechts-
letztgenannten Aspekten um unbestimmte Rechtsbegriffe
anspruch auf Leistungen des Fonds nicht besteht, sofern
handelt. Selbst wenn man der Behörde hinsichtlich des erst-
nicht der Fall einer einen solchen begründenden Ermessens-
genannten Gesichtspunktes - also der Bedeutung des antrag-
reduzierung auf Null vorliegt.
stellerischen Unternehmens für die Finanzmarktstabilität -
eine gewisse Einschätzungsprärogative und eine damit kor-
respondierende Beschränkung der gerichtlichen Kontroll-
dichte entsprechend § 114 VwGO zuerkennen wollte, dürfte
17 Hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage, § 40, Rdnrn. 58 bis 66.
sich diese auf den eigentlichen Bewertungsakt beschränken;
18 Kuntze, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage, § 114,
hingegen ist auch hier hinsichtlich der zugrunde liegenden Rdnr. 13; Kopp/ Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 114, Rdnr. 12.
Tatsachenfeststellungen von einer uneingeschränkten 19 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, § 7, Rdnr. 23.
20 OVG Münster, Urt. v. 10.12.1998 - 4 A 599/97 , veröffentl. ausschl. in juris, unter
Prüfungskompetenz des Bundesverwaltungsgerichts auszu- Hinweis auf die Urt. v. 02.12.1985 - 4 A 2214/84 , NVwZ 1986, 1045 (1047) und
gehen. 22.09.1982 - 4 A 989/81 , NVwZ 1984, 522 (525).
21 Ewer/Rapp, Zur Beweis- und Feststellungslast bei Ansprüchen auf Gewährung von
Ermessensleistungen; NVwZ 1991, S. 549 ff.
II. Vorläufiger Rechtsschutz 22 Vgl. das Beispiel bei Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, Rdnr. 48,
24
Da statthafter Rechtsbehelf die Verpflichtungsklage a.E.
23 BVerwG, Urteil vom 5.7.1985 - 8 C 22/83 -, BVerwGE 71, 1, 5.
ist, 24 Zur Einschlägigkeit von § 123 VwGO bei einem einstweiligen Rechtsschutzbegeh-
ren auf Gewährung einer Subvention vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom
kommt vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VwGO in Gestalt 12.3.2002 - 1 M 6/02 -, JMBl LSA 2002, 189 f.
einer einstweiligen Regelungsanordnung in Betracht. Ob 25 Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitver-
fahren, 5. Auflage, Rdnr. 178 mit Rechtsprechungsnachweisen.
dieser regelmäßig das generelle Verbot der (endgültigen)
26 In diesem Sinne etwa OVG Berlin, Beschluss vom 24.6.1997 - 4 S 406.96 -,
Vorwegnahme der Hauptsache entgegensteht, erscheint NVwZ 1997, 712, 714
zweifelhaft. Zwar mag im Einzelfall nicht auszuschließen 27 Vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 10.10.1996 - 10 S 2528/96 -, VGHBW-
Ls 1996, Beilage 12, B 2.
sein, dass ein Unternehmen, dem aufgrund einstweiliger 28 Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitver-
Anordnung vorläufig eine Stabilisierungsmaßnahme ge- fahren, 5. Auflage, Rdnr. 198; hierzu auch OVG Münster, Beschluss vom
4.10.1985 - 9 B 1232/85 -, AgrarR 1986, 27.
währt wird, im Falle eines negativen Ausgangs des Haupt-
29 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., München 2006, § 8, Rn. 15.
sacheverfahrens aus wirtschaftlichen Gründen zu einer
Rückgewähr nicht mehr imstande sein wird. Auch wenn in
einem solchen
812 AnwBl Fall
12 / durch
2008 den Vollzug einer einstweiligen Verwaltungsrechtsschutz bei der Bewältigung der Bankenkrise, Ewer
Anordnung faktisch vollendete Tatsachen geschaffen werden,
MN Aufsätze
und Selbstverpflichtungen vorgesehen sind. Im Ergebnis gen das betreffende Unternehmen verschafft bzw. dessen
dürfte die Behörde daher die Möglichkeit haben, die Fähigkeit zur Teilnahme am Wettbewerb derart
auf öffentlichrechtlich durchzusetzen, indem deren vorherige
9
einge-
Grundlage von § 10
Gewährleistung zur Abs. 2 FMStFG der
Voraussetzung in §Gewährung
5 FMStFVder schränkt wird, dass es ihm nicht mehr möglich ist, sich als
33
vorgege-
beantragten Stabilisierungsmaßnahme gemacht wird verantwortlicher Unternehmer wirtschaftlich zu betätigen.
benen Maßgaben
oder entweder
aber der Entscheidung über deren Zulassung ent- Ein auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Wett-
sprechende Nebenbestimmungen i. S. v. § 36 VwVfG bei- bewerbsfreiheit gestützter Abwehranspruch gegenüber einer
gefügt werden, objektiv rechtswidrigen Stabilisierungsmaßnahme kommt
oder daher nur dann in Betracht, wenn diese im konkreten Einzel-
9 zivilrechtlich sicherzustellen durch entsprechende ver- fall zu einer Existenzgefährdung des klägerischen Unterneh-
tragliche Vereinbarungen oder Selbstverpflichtungen, die mens führt.
letztlich auch vertragliche Regelungen darstellen, da sie Des weiteren könnte ein Abwehranspruch dann beste-
ja annahmebedürftig sind. hen, wenn der aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG fol-
Im ersteren Fall gelten für den Rechtsschutz gegen entspre- gende Anspruch des Klägers auf Gleichbehandlung im Wett-
chende Nebenbestimmungen die allgemeinen Grundsätze. 34
bewerb dadurch verletzt würde, dass diesem
Dies bedeutet, dass gegenüber echten Auflagen die Anfech- eine
30
tungsklage statthaft ist, während modifizierenden Auflagen beantragte Stabilisierungsmaßnahme vorenthalten, einem
und Bedingungen verwaltungsverfahrensrechtlichen dritten Unternehmen aber bei gleicher Ausgangslage rechts-
Sinne nur durch eine Verpflichtungsklage auf Gewährung
im widrig gewährt wird. Diesen Anspruch könnte aber kein Un-
der begehrten Stabilisierungsmaßnahme ohne die betref- ternehmen geltend machen, dass nicht selbst die Gewährung
fende belastende Nebenbestimmung begegnet werden einer entsprechenden Stabilisierungsmaßnahme beantragt
31
kann. hat.
Außerhalb dieser Voraussetzungen käme ein Abwehr-
Anwaltstipp: Da die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in § 15 Satz 2 anspruch nach der vom Bundesverwaltungsgericht in ständi-
allgemein - und nicht nur bezogen auf Drittklagen - ausgeschlossen worden ist, ger Rechtsprechung vertretenen Schutznormtheorie nur un-
entfaltet auch eine isolierte Klage gegen eine echte Auflage - entgegen dem Re-
gelfall - keinen Suspensiveffekt, so dass ein solcher allenfalls im Verfahren nach
ter der Voraussetzung in Betracht, dass der Verwaltungsakt
§ 80 Abs. 5 VwGO erwirkt werden kann. gerade wegen eines Verstoßes gegen solche Vorschriften
rechtswidrig ist, die nach dem in ihnen enthaltenen und
durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm
nicht nur im Allgemeininteresse bestehen, sondern auch
D. Der Rechtsschutz des die Drittgewährung von
den Interessen des Klägers - hier also dritter Unternehmen
Stabilisierungsmaßnahmen anfechtenden
Mitbewerbers
Verwaltungsrechtsschutz bei der Bewältigung der Bankenkrise, Ewer AnwBl 12 / 2008 813
MN Aufsätze
35
des Finanzsektors - zu dienen bestimmt sind. Soweit er- Wird Drittrechtsschutz durch Erhebung einer Verpflich-
sichtlich dürften die meisten Vorschriften des FMStFG und tungsklage auf nachträgliche Beifügung einer drittschützen-
der FMStFV allein den Interessen der Allgemeinheit dienen. den Nebenbestimmung begehrt, so kommt vorläufiger
Einzelne Vorschriften haben aber erkennbar auch eine die Rechtsschutz allein nach § 123 VwGO in Betracht.
Mitbewerber schützende Zielrichtung. Als Beispiel ist etwa
§ 5 Abs. 5 FMStFV zu nennen, wonach dann, wenn durch Anwaltstipp: Sofern die vom Kläger geltend gemachte Rechtsverletzung nicht auf
die Stabilisierungsmaßnahmen Wettbewerbsverzerrungen dem Erlass der betreffenden Stabilisierungsmaßnahme bzw. der Unterlassung der
Beifügung einer gesetzlich vorgeschriebenen drittschützenden Nebenbestimmung
zu besorgen sind, der Fonds dem begünstigten Unterneh-
beruht, sondern ihre Ursache darin hat, dass eine derartige Nebenbestimmung -
men Bedingungen für die Geschäftstätigkeit auferlegen soll, etwa eine solche nach § 5 Abs. 5 FMStFV - vom Adressaten nicht befolgt und
um derartige Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Sollte behördlicherweise nicht durchgesetzt wird, kann Abhilfe weder durch eine Drittan-
fechtungsklage noch durch eine auf nachträgliche Beifügung einer entsprechen-
eine Stabilisierungsmaßnahmen unter Verstoß gegen diese den Nebenbestimmung gerichteten Verpflichtungsklage erwirkt werden. Vielmehr
Verordnungsbestimmung erlassen werden, so begründet muss stattdessen im Namen des drittbetroffenen Unternehmens im Falle einer
missachteten Auflage bei der Behörde - in der Regel also der Finanzmarktstabili-
dies indessen nicht zwingend einen Anspruch auf Auf-
sierungsanstalt - ein Antrag auf zwangweise Durchsetzung dieser Nebenbestim-
hebung der entsprechenden Zulassungsentscheidung; viel- mung und im Falle einer nicht erfüllten Bedingung ein Antrag auf Rückabwicklung
mehr kann sich der Anspruch des betroffenen Mitbewerbers der Stabilisierungsmaßnahme gestellt und ggf. im Wege der Verpflichtungsklage
weiterverfolgt werden. In derartigen Fällen kommt vorläufiger Rechtsschutz -
u.U. auf einen solchen auf nachträgliche Anordnung einer mangels Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage - nicht nach § 80 Abs. 5 i. V. m.
Nebenbestimmung beschränken, durch welche der Vor- § 80 a VwGO, sondern allenfalls nach § 123 VwGO in Betracht.
36
schrift hinreichend Geltung verschafft wird.
Prof.
Pr Dr. Wolfgang Ewer,
gang EwerKiel iel
Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungs-
recht. Er ist Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins.
35 Vgl. BVerwG, Urteile vom 26.10.1995 - 3 C 27/94 -, Buchholz 451.74 § 18 KHG
Nr. 6, vom 16.06.1994 - 3 C 12.93 -, NJW 1995, 1628 und vom 16.3.1989 - 4 C Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
36.85 - BVerwGE 81, 329, 334.
autor@anwaltsblatt.de.
36 Dies ist in anderen Rechtsgebieten ausdrücklich anerkannt, vgl. etwa am Beispiel
des Immissionsschutzrechts VG Braunschweig, Beschluss vom 18.5.2005 - 2 B
70/05 -, zit.n.juris, und VG Meiningen, Beschluss vom 8.5.1995 - 5 K 235/94.Me
-, zit.n.juris.
37 Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 12. Auflage, § 80,. Rdnr. 61; Puttler, in: Sodan/Zie-
kow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage, § 80. Rdnr. 131; Finkelnburg/Dom-
bert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auf-
lage, Rdnr. 899.
814 AnwBl 12 / 2008 Verwaltungsrechtsschutz bei der Bewältigung der Bankenkrise, Ewer
MN Aufsätze
und Sparkassenverbänden zu nennen -, zum Teil aber auch Das soll sich nach dem Willen der Verfasser des Gesetz-
ad hoc, so etwa der Ombudsmann für die Regelung der Un- entwurfes zukünftig ändern: In § 56 BRAO soll danach ein
glücksfolgen von Eschede auf Initiative der Deutschen Bahn. neuer Absatz 2 bestimmen, dass der betroffene Rechtsanwalt
In der Praxis werden häufig Juristen, etwa renommierte
Professoren, zu Ombudsmännern bestellt. Notwendig ist das
nicht. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG ist nämlich „die 1 Näher Römermann, in: Grunewald/Römermann (Hrsg.), RDG, 2008, § 2
Rdn. 118 ff.
Tätigkeit 2 Begründung des RegE, BT-Drucks. 16/3655, S. 50.
von Einigungs- und Schlichtungsstellen, Schiedsrichterinnen 3 Weyland, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 73 Rdn. 40.
auf Verlangen des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer im lichen Bestimmtheitsgebot für untergesetzliche Normen
Vermittlungsverfahren erscheinen muss. Das Erscheinen genügt - und das Verfahren der Bestellung von Schlichtern
soll angeordnet werden, wenn der Vorstand oder ein von die- und Beiratsmitgliedern regelt. Jährlich soll gemäß § 191 f
sem beauftragtes Vorstandsmitglied zu der Auffassung ge- Abs. 4 BRAO ein Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle
langt, dass hierdurch eine Einigung gefördert werden könne. veröffentlicht werden.
Abstrakt lässt sich die Eignung eines persönlichen Gesprächs
eigentlich nie oder jedenfalls nur selten in Abrede stellen, so II. Schlichter
dass sich diese Anordnung des persönlichen Erscheinens na- Der Präsident der BRAK bestellt nach § 191 f Abs. 2 BRAO ei-
hezu immer rechtfertigen lässt. Es wird in Zukunft also, nen oder mehrere Schlichter. Diese Schlichter können auf
sollte der Entwurf umgesetzt werden, der örtlichen Kammer- zwei Arten tätig werden: Allein oder als Kollegialorgan. Nach
praxis überlassen bleiben, ob häufig oder eher selten von der dieser Unterscheidung richten sich die Voraussetzungen, die
Anordnung Gebrauch gemacht wird. an die Personen der Schlichter gestellt werden.
Die Vermittlung in § 73 Abs. 2 Nr. 3 BRAO soll nach dem Für die Tätigkeit eines einzelnen Schlichters gilt als per-
Gesetzentwurf durch den Zusatz ergänzt werden, dies um- sonelle Voraussetzung, dass der Schlichter weder Rechts-
fasse die Befugnis, Schlichtungsvorschläge zu unterbreiten. anwalt noch Mitarbeiter der BRAK, einer Rechtsanwaltskam-
Ferner soll ein neuer § 73 Abs. 5 BRAO eingefügt werden, mer oder eines Anwaltsverbandes sein noch in den letzten
wonach Schlichtungsverfahren auf Antrag des Mandanten drei Jahren vor Amtsantritt gewesen sein darf. Die
auch ohne Zustimmung des Rechtsanwalts eingeleitet wer- Be-
den können. Schlichtungsvorschläge werden aber nach dem- gründung des Regierungsentwurfs rechtfertigt dies mit der
selben Normvorschlag nur verbindlich, wenn beide Parteien Erwägung, es solle ausgeschlossen werden, dass der Einzel-
ihn angenommen haben. schlichter Vertreter „einer Seite" sei oder als solcher
Die Kammern setzen schon jetzt ihre Schlichtungsbefug- er-
6
nisse in ganz unterschiedlicher Art um; manche offensiv, an- scheine. Dies solle die „größtmögliche Akzeptanz bei allen
dere vorsichtiger. „Paradebeispiel" einer schlichtungsfreund- Beteiligten" bewirken. Unter einer „Seite" verstehen die Ver-
lichen Kammer ist Köln unter ihrem Präsidenten Dr. Hubert fasser offenbar entweder die „anwaltliche" oder die „nicht-
van Bühren, einem ausgewiesenen Versicherungsrechtler. anwaltliche" Seite. Nun liegt es indessen in der Natur dieser
Seit dem 1.7.2007 bietet dort eine eigene Schlichtungsabtei- Unterscheidung, dass der Schlichter stets einer der beiden so
lung unter der Bezeichnung „Der Ombudsmann" ein kosten- definierten „Seiten" angehört. Die „größtmögliche Akzep-
loses Schlichtungsverfahren an. Bereits dreieinhalb Monate tanz" durch „alle" Beteiligten wird also dahingehend zu inter-
nach Inkrafttreten der Regelung zog die Rechtsanwaltskam- pretieren sein, dass die nichtanwaltlichen Beteiligten wissen,
4
dass der Schlichter ebenfalls Nichtanwalt ist und bei einer
mer Köln eine positive Bilanz. Es seien 31 Anträge einge-
gangen, davon 24 wegen gebührenrechtlicher Streitigkeiten solchen „Seitenbetrachtung" auf ihrer Seite steht, während
und 6 wegen (angeblicher) Schlechtleistung. In 26 Fällen wa- die anwaltlichen Beteiligten akzeptieren (müssen), dass der
Schlichter kein Anwalt ist und daher - immer noch in der Lo-
ren Antragsteller die Mandanten, in 5 Fällen die
gik der „Seiten" - im Lager der Gegenseite zu finden ist.
Rechts- 5
verfahren Bei einem Kollegialorgan dürfen höchstens die Hälfte sei-
anwälte. angestiegen.
Bis Februar 2008 ist die Zahl auf 60 Schlichtungs-
ner Mitglieder Rechtsanwälte sein; (ggfs. ehemalige)
Mit-
B. Die Neuregelung arbeiter von Anwaltskammern oder Anwaltsverbänden wer-
den an dieser Stelle nicht erwähnt. Allerdings wird durch die
Der Gesetzentwurf schlägt vor, einen neuen § 191 f mit der nachfolgende Bestimmung noch in demselben Absatz aus-
Überschrift „Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft" in geschlossen, dass das gesamte Schlichtungskollegium „an-
die BRAO einzufügen. Die Teilnahme am Schlichtungsver- waltsaffin" ausgestattet wird. Zu den nichtanwaltlichen Mit-
fahren, dessen Durchführung sowohl der Rechtsanwalt als gliedern eines Kollegialorgans heißt es dort nämlich, dass als
auch der Mandant beantragen können, ist für beide Seiten solches nur in Betracht komme, wer zum alleinigen Schlich-
freiwillig. ter bestellt werden könnte. Damit gelten die oben genannten
Ausschlussgründe einschließlich aktueller oder ehemaliger
I. Schlichtungsstelle bei der BRAK
Mitarbeiter bei Anwaltskammern oder -verbänden. Anwalt-
„Bei der Bundesrechtsanwaltskammer wird eine unabhän- liche Mitglieder des Kollegialorgans dürfen nicht aktuell dem
gige Stelle zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Mit- Vorstand einer Anwaltskammer oder eines Anwaltsverbandes
gliedern von Rechtsanwaltskammern und deren Auftrag- angehören oder im Haupt- oder Nebenberuf bei der BRAK,
gebern eingerichtet", soll es zukünftig in Absatz 1 Satz 1 des einer Anwaltskammer oder einem Anwaltsverband tätig sein.
§ 191 f BRAO heißen. Die Stelle führt den Namen Was daraus folgt? Die Übersicht auf der folgenden Seite
„Schlich- 817 zeigt, welche Personen mit Anwaltszulassung, mit ehe-
tungsstelle der Rechtsanwaltschaft". Die Organisation soll in maliger Anwaltszulassung oder als Mitarbeiter der Bundes-
einer Satzung geregelt werden, die durch die Hauptver- rechtsanwaltskammer, einer Rechtsanwaltskammer oder ei-
sammlung der BRAK erlassen wird. Die Hauptversammlung nes Anwaltverbandes Schlichter sein können.
ist nach dem unveränderten § 187 BRAO das regelmäßige
Beschlussorgan der BRAK. In der Hauptversammlung sind
alle Rechtsanwaltskammern vertreten.
Trotz dieser organisatorischen Anbindung an die BRAK
4 Meldung der beck-aktuell-Redaktion vom 3.8.2007, becklink 238338.
soll der Schlichtungsstelle eine weitgehende Unabhängigkeit 5 Stachow, FTD vom 26.2.2008.
zukommen. Das Gesetz sorgt dafür, indem es Grundsätze 6 Begr. RegE, BR-Drucks. 700/08, S. 72.
IV. Grundsätze
Etwas unklar ist die Einsatzmöglichkeit ehemaliger
Rechtsanwälte insoweit, als sie - da ehemalig - wohl kaum Die Satzung muss mehrere Grundsätze beachten, die im Fol-
unter die „anwaltlichen" Mitglieder fallen können, anderer- genden dargestellt werden. Falls das Bundesministerium der
seits aber auch keine „nichtanwaltlichen" Mitglieder sein Justiz zu der Ansicht gelangt, dass die Satzung dem nicht ge-
dürfen, sofern sie ihre Anwaltszulassung in den letzten drei recht werde, muss es im Rahmen seiner Rechtsaufsicht nach
8
Jahren aufgegeben oder verloren haben. Das scheint diese § 176 Abs. 2 BRAO einschreiten.
ehemaligen Rechtsanwälte ganz von der Zugehörigkeit zu ei-
nem Kollegialorgan auszuschließen. Dies wäre aber kein 1. Unabhängigkeit
sinnvolles Ergebnis, denn warum sollten von ehemaligen „Durch die Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle muss un-
Rechtsanwälten größere „Gefahren" ausgehen als von den parteiisches Handeln sichergestellt sein", heißt es in § 191 f
aktuellen? Man wird daher erwägen müssen, die Ex-Anwälte Abs. 5 Nr. 1 BRAO-E. Die Ansiedlung der Schlichtungsstelle
für die Zwecke der Schlichtungsstelle als „anwaltlich" zu bei der BRAK gehorcht vor allem fiskalischen Interessen.
klassifizieren. Hauptzweck der Schlichtungsstelle ist aus staatlicher Sicht
Ebenfalls nicht zweifelsfrei ist die Position der ehemali- die Verlagerung von Verfahren zur Konfliktbeilegung von
gen Mitarbeiter von BRAK, örtlichen Rechtsanwaltskammern den Gerichten zur Schlichtungsstelle, anders ausgedrückt:
oder Anwaltsverbänden. Sie können keine Einzelschlichter Das Abwälzen von Kosten der Länder auf die Anwaltschaft.
sein und demgemäß auch keine nichtanwaltlichen Mitglie- Die Schlichtungsstelle ist deswegen „bei" der BRAK zu fin-
der eines Kollegialorgans. Unter eines der Verbote anwalt- den, weil die BRAK sie finanziert, im Ergebnis also sämtliche
licher Mitgliedschaft im Kollegialorgan fallen diese Personen Anwälte über Umlagen. Durch die Ansiedlung „bei der
hingegen nicht. Das führt zu einer gewissen Unklarheit, wel- BRAK" und die Organisationshoheit der BRAK-Hauptver-
che Wertung dahinter stehen könnte. Wenn nämlich der sammlung ist durchaus eine anwaltliche Präsenz erkennbar.
ehemalige Mitarbeiter seine typischerweise zunächst vorhan- Die Unabhängigkeit im „Handeln" wird demgegenüber
dene Anwaltszulassung aufgibt, damit also „anwaltsferner" durch die genaue Festlegung der personellen Zusammenset-
wird als bis dahin, wird er von der Kollegialmitgliedschaft zung in den Schlichtungs- und Beiratsgremien sichergestellt.
ausgeschlossen, obwohl nach der Logik der Norm das Gegen- Die Unparteilichkeit soll in der Satzung insbesondere durch
teil näher läge. Um eine präventive Abwehr von Ämterpatro- Regeln über Interessenkollisionsfälle sowie dadurch gesi-
nage durch Kammervorstände zu betreiben - das könnte chert werden, dass die Schlichtungsstelle sachlich und per-
9
durchaus ein sinnvolles Anliegen sein -, taugt die Regelung sonell unabhängig von der BRAK ausgestattet wird.
ebenfalls nicht, wenn eine anwaltliche Mitgliedschaft im Kol-
legialorgan möglich ist.
III. Beirat
Nach § 191 f Abs. 3 BRAO soll ein Beirat errichtet werden. Er
hat Pflichtmitglieder und fakultative Mitglieder:
9 Vertreter der BRAK (Pflicht)
9 Vertreter von (d. h. nicht aller) Rechtsanwaltskammern
(Pflicht)
9 Vertreter von Verbänden der Rechtsanwaltschaft (Pflicht)
9 Vertreter von Verbänden der Verbraucher (Pflicht) 7 Begr. RegE, BR-Drucks. 700/08, S. 73.
9 Andere Personen (fakultativ), z. B. aus der Versicherungs- 8 Begr. RegE, BR-Drucks. 700/08, S. 73.
wirtschaft und dem öffentlichen Leben. 9 Begr. RegE, BR-Drucks. 700/08, S. 74.
die Intention der Gesetzesverfasser vermutlich zusammen- Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
fassen. autor@anwaltsblatt.de.
6. Anwendungsbereich
Als sechster Grundsatz ist verankert: „Die Schlichtung muss
jedenfalls für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu ei-
nem Wert von 15.000 Euro statthaft sein". Auch das betont
wieder die Öffnung der Schlichtung für kleinere Verfahren
818 AnwBl 12 / 2008 Der Ombudsmann kommt!, Römermann
MN Aufsätze
14
Prozessausgang. Die Zusammenführung von juristischem ligung durch die Haftpflichtversicherer vorgesehen. Die
und medizinischem Fachwissen, die sich in gerichtlichen außerverfahrensmäßigen Kosten, insbes. die Anwaltskosten,
15 27
Verfahren vielfach problematisch gestaltet, ist im Rahmen sind von den Parteien zu tragen.
außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren, bei denen Ex- Der Verfahrensablauf gestaltet sich cum grano salis wie
perten oder interdisziplinär besetzte Gremien angerufen wer- folgt: Das Verfahren wird durch einen schriftlichen Antrag
den, leichter möglich. eingeleitet. Die formellen Anforderungen sind gering, auch
Das Potential außergerichtlicher Streitbeilegung wurde ein laienhafter, wenig substantiierter Antrag des Patienten
in den vergangenen Jahren zunehmend erkannt, in der Pra- reicht aus. 28 Beteiligte des Verfahrens sind Patient und Arzt.
xis spielen Justizalternativen bei der Durchsetzung von An- In allen Statuten ist die Vertretung der Parteien durch einen
sprüchen des Patienten gegen den Arzt eine bedeutsame Anwalt zugelassen; nach Angaben der Kommissionen wer-
Rolle. Am wichtigsten sind die Verfahren bei den Gutachter- den etwa 50 % der Patienten, aber lediglich 2-3 % der
kommissionen und Schlichtungsstellen, die es sich zur Auf- anwaltlich
Ärzte vertreten. Eine Beteiligung von Krankenhausträ-
29 30
gabe gemacht haben, Arzthaftungsstreitigkeiten durch objek-
16 gern ist bei manchen Gütestellen möglich, eine Einbezie-
tive Begutachtung ärztlichen Handelns beizulegen. 31
hung der Haftpflichtversicherer bei den meisten vorgese-
hen. Teilweise ist der Versicherer antragsberechtigt und
B. Die Verfahren der Gutachterkommissionen und damit unmittelbar Beteiligter, teilweise kann er sich jeden-
Schlichtungsstellen falls zur Sache äußern. Die Sachprüfung seitens der mit
fachkundigen Ärzten32 und Juristen besetzten Stellen erfolgt
I. Status quo von Amts wegen. Dabei besteht die Möglichkeit, externe
In Deutschland gibt es derzeit neun Gutachterkommissionen Gutachten einzuholen. Den Abschluss des Verfahrens bildet
17 33
und Schlichtungsstellen. Diese Gütestellen definieren in Bescheid oder einunternommen.
ein Schlichtungsversuch Gutachten. In geeigneten Fällen wird
den Statuten als Ziel ihrer Arbeit die erleichterte Durchset-
zung begründeter Ansprüche einerseits, die Zurückweisung
unbegründeter Ansprüche andererseits. Gegenstand der Ver-
fahren ist die Feststellung eines Behandlungsfehlers und da-
raus resultierenden Gesundheitsschadens des Patienten. In
14 Zur Rolle des medizinischen Sachverständigen im Arzthaftungsprozess s. Katzen-
der Praxis prüfen die Stellen auf Antrag auch das meier, Arzthaftung, 2002, S. 395 ff.; zur Haftung vgl. ders., in: Festschr. f. Horn,
Vorliegen 2006, S. 67 ff.
15 Zum Verfahren bei der Erhebung des Sachverständigenbeweises Katzenmeier,
einer Aufklärungspflichtverletzung. Arzthaftung, 2002, S. 410 ff.
Die Gütestellen sind Einrichtungen der Ärztekammern, 16 Daneben prüft der MDK Behandlungsfehlervorwürfe, außerdem existieren Patien-
tenberatungsstellen. Bislang kaum diskutiert wurden der Einsatz von Mediation
organisatorisch jedoch von diesen getrennt. Die Mitglieder bei Arzt-Patient-Streitigkeiten und die Möglichkeiten einer Eingliederung media-
der Gremien sind ehrenamtlich tätig. Alle Stellen sind so- tiver Elemente in etablierte Verfahren, dazu Katzenmeier, NJW 2008, 1066 ff.
17 Eine aktuelle Darstellung und Auseinandersetzung mit der Arbeit dieser Stellen
wohl mit Ärzten als auch mit Juristen besetzt. Das Amt
18 bietet Meurer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, 2008; Mo-
des nographien aus früherer Zeit: Matthies, Schiedsinstanzen im Bereich der Arzthaf-
tung. Soll und Haben, 1984; AG Rechtsanwälte im Medizinrecht e.V., Gutachterkom-
diese Position mit einem Arzt besetzt.
Vorsitzenden hat bei den meisten Gütestellen ein Jurist
Die Anzahl der mit missionen und Schlichtungsstellen, 1990; Weizel, Gutachterkommissionen und
Befähigung zum Richteramt inne, bei Gre-
anderen Stellen ist Schlichtungsstellen für Arzthaftpflichtfragen, 1999.
19 18 Vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Statut Baden-Württemberg; § 4 Abs. 2 Nr. 1 Statut Nordrhein;
§ 2 Statut Rheinland-Pfalz; § 4 Abs. 2 Statut Saarland; § 6 Abs. 1 Statut West-
mienmitglieder variiert von zwei bis zu fünf Mitgliedern. Zu- falen-Lippe; § 4 Abs. 1 Statut Hessen: Arzt oder Jurist.
19 § 2 Abs. 1 Statut Bayern; § 4 Abs. 1 Nr. 1 Statut Norddt. SchlSt.; § 2 Abs. 1 Statut
sätzlich können nach den Statuten weitere Ärzte beigezogen
Sachsen.
werden. An dem Schlichtungsausschuss zur Begutachtung 20 § 2 S. 3 Statut Rheinland-Pfalz.
ärztlicher Behandlungen bei der Landesärztekammer Rhein-
beteiligt. 21 Macke, in: Festschr. f. Steffen, 1995, S. 289, 301; erwogen auch von der DGMR, in:
Laufs/Dierks/ Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, Die Entwicklung der Arzthaftung, 1997,
land-Pfalz sind seit dem Jahr 2002 zwei Patientenvertreter S. 352; Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, 1999, S. 240, 246 f.
20
22 Zutr. Laum/Smentkowski, Statut der Gutachterkommission Nordrhein, 2. Auflage
Ein Blick auf die Verfahren erweist einige bei allen 2006, S. 16 f.; Scheppokrat/Neu, VersR 2002, 397, 403; vgl. allg. Katzenmeier, ZZP
115 (2002), 51, 86 ff., dort auch krit. zu § 15 a EGZPO.
23 Abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1
Stel-
GG.
len gleichermaßen geltende Verfahrensprinzipien: Ausnahms- 24 Taupitz, ZRP 1997, 161, 164; Stegers, ZMGR 2006, 49, 52.
los gilt der Grundsatz der Freiwilligkeit. Ein Güteverfahren 21
25 Die ärztlichen Gütestellen sind keine Schiedsgerichte i. S. d. §§ 1025 ff. ZPO.
26 Vgl. etwa § 11 Abs. 2 Statut Nordrhein. Näher zu Kostenfragen Meurer, Außerge-
findet nur statt, wenn Arzt und Patient der Durchführung richtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, 2008, S. 40 ff.
zustimmen. Dies trägt wesentlich22 zur hohen Erfolgsquote 27 Vgl. etwa § 10 Abs. 3 S. 1 Statut Nordrhein; § 6 Abs. 2 Statut Norddt. SchlSt.
gung
der schwerlich vereinbar,
Stellen bei. in Anbetracht
Verschiedentlich des Justizgewähr-
erhobene Forderungen Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 574 meinen, der Kostenerstat-
23
tungsausschluss verstoße gegen wesentliche Rechtsgrundsätze und gegen
leistungsanspruchs auch verfassungsrechtlich
nach Einführung einer obligatorischen Schlichtung bedenklich,sind §§ 305 c, 307 BGB.
zumal
mit demdieGrundgedanken
Stellen nur begrenzte Erkenntnismöglichkeiten
einvernehmlicher Konfliktbeseiti- 28 Vgl. Laum, in: Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 2007, Kap. 6
haben, so z. B. nicht über die Beweiskraft von Urkunden Rn. 25; Laum/ Smentkowski, Statut der Gutachterkommission Nordrhein, 2. Auflage
24
2006, S. 48 f. zu § 2 Statut Nordrhein.
oder den Wahrheitsgehalt einer Aussage befinden können. 29 Laum, in: Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 2007, Kap. 6 Rn. 28;
Zweites Prinzip ist die Unverbindlichkeit der Verfahren. Der genaue Zahlen der Gutachterkommission Nordrhein bei Meurer, Außergerichtliche
Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, 2008, S. 63 f.
Rechtsweg zu den Gerichten wird durch das Verfahren vor 30 § 4 Abs. 3 Statut Bayern; § 7 Statut Hessen; § 2 Abs. 2 c Statut Norddt. SchlSt.;
einer Gütestelle nicht ausgeschlossen, die Entscheidung der § 3 Abs. 1 Statut Sachsen.
31 Zur Zuständigkeit des Haftpflichtversicherers bei der Schadensregulierung vgl.
außergerichtlichen Stellen hat rechtlich für die Gerichte Katzenmeier/ Brennecke, in: Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht,
25
keine Bindungswirkung. Schließlich gilt der Grundsatz der 2007, Kap. 5, Rn. 65 ff.
32 Vgl. z. B. § 6 Abs. 1 Statut Nordrhein.
Gebührenfreiheit. Das Verfahren ist für die Beteiligten prinzi-
33 § 7 Abs. 2 Statut Baden-Württemberg; § 6 Abs. 5 Statut Hessen; § 5 Abs. 3 Statut
piell kostenfrei, 26 finanziert wird es durch die Kammerbei- Norddt. SchlSt.; § 10 Abs. 5 Statut Nordrhein; §§ 1 Abs. 2, 8 Statut Rheinland-
träge der Ärzte. In einigen Statuten ist eine Kostenbetei- Pfalz; § 2 Abs. 2 Statut Saarland; §§ 2, 8 Abs. 3 Statut Westfalen-Lippe.
Behandlungsfehlers,
70
doch schon bei Dokumentations-, Be- tätssicherung im Gesundheitswesen. Die Erfassung und
Auswertung der großen Anzahl durchgeführter Verfahren
funderhebungs- oder Befundsicherungspflichtverletzungen
bietet eine Möglichkeit zur Feststellung von Behandlungsfeh-
werden nicht immer die judiziellen beweisrechtlichen Kon- 80
sequenzen gezogen. 71 So kann die als Qualitätsmerkmal ge- lerschwerpunkten. Zeigen sich Fehlerhäufungen, leisten ei-
priesene hohe Quote der Bestätigungen der Voten in an- nige Stellen gezielte Aufklärungsarbeit und veranstalten Fort-
81
schließenden Gerichtsverfahren für den Anspruchsteller bildungen, um Fehler in Zukunft zu vermeiden.
zum Problem werden. Faktische Bindungswirkung der Voten
und damit Verschlechterung der Aussichten eines anschlie- III. Resümee
ßenden Gerichtsverfahrens wird von kritischen Stimmen als Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen legen
72
Risiko der Anrufung einer Gütestelle genannt. Einer Präju- Streitigkeiten zwischen Ärzten und Patienten in vielen Fällen
dizialität lässt sich freilich allein durch die Gerichte, nicht endgültig bei. Die Erfolgsquote ist bemerkenswert. Die Güte-
durch die Gütestellen begegnen. stellen leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Befriedung
von Konflikten auf einem schwierigen Gebiet. Auch wenn
7. Qualitätssicherung
sich die Verfahren noch in mancher Hinsicht optimieren las-
Verdienstvoll ist, dass die Gütestellen ihre Daten auch inhalt- sen, so bieten sie heute doch in vielen Fällen eine
lich auswerten. Die Zahlen der neun Stellen werden in einer sinnvolle
73
bundesweiten Statistik zusammengeführt, ihre regelmä- 82
Alternative zur streitigen Auseinandersetzung vor Gericht.
ßige Veröffentlichung sorgt für Transparenz. Für das Jahr
Ob die Anrufung einer Gütestelle im Einzelfall ratsam ist,
2006 wurde erstmals eine bundeseinheitliche Statistik mit ei-
hängt von den jeweiligen Umständen und Besonderheiten
ner einheitlichen Auswertung der Ergebnisse erarbeitet. Dies
ab. Es gibt Streitigkeiten, in denen dies nicht zielführend ist.
67 Vgl. Meurer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, 2008, S. 131 ff.
So kann Klageerhebung bei Gericht der bessere Weg sein,
68 S. Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 416 ff. etwa wenn ein Geschädigter Ansprüche nicht aus dem ei-
69 Vgl. Meurer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, 2008, S. 134 ff. gentlichen Behandlungsgeschehen, vielmehr aus Versäum-
70 St. Rspr., vgl. nur BGHZ 159, 48; dazu Anm. Katzenmeier, JZ 2004, 1030; einge- nissen im Behandlungsumfeld herleitet und diffizile Beweis-
hend ders., in: Festschr. f. Laufs, 2006, S. 909 ff.
71 Dazu Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 470 ff. fragen aufgeworfen sind.
72 Stegers, Das arzthaftungsrechtliche Mandat in der anwaltlichen Praxis, 2. Aufl. Geboten ist eine differenzierte Betrachtung. Anwälte, die
1989, S. 44 ff.; Giesen, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 1995, Rn. 40; s. auch Ulsenhei-
mer, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 113, Rn. 8.
den Einrichtungen immer noch mit genereller Ablehnung
73 Abrufbar unter www.bundesaerztekammer.de; für die zurückliegenden Jahre vgl. begegnen, weil sie keine Notiz von den vielfältigen
Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer 2007, 180 ff.; 2006, 338 f.; 2005, 369 f.;
Be-
2004, 319 f.
74 Vorgestellt in: Bundesärztekammer / Ständige Konferenz der Gutachterkommissio- mühungen und erzielten Fortschritten in den letzten Jahren
nen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern (Hrsg.), Gutachterkommissio- nehmen, beraten ihre Mandanten schlecht, indem sie ihnen
nen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern - Ein Wegweiser, abrufbar un-
ter www.bundesaerztekammer.de; s. auch Merten, DÄBl. 2007, A-1140; dies., DÄBl eine Möglichkeit vergleichsweise rascher und kostengüns-
2008, A-1316.
tiger Anspruchsbefriedigung vorenthalten.
75 Auswertung bei Meurer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen,
2008, S. 51 ff.
76 Hansis/Hart, Gesundheitsberichterstattung des Bundes 04/01 - Medizinische Be-
handlungsfehler, 2001, S. 6 f.; Katzenmeier, VersR 2007, 237. Professor
Pr essorDr. Christian Katzenmeier,
Christian Köln
atzenmeier öln
77 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, R 2.1. Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinrecht der
78 Vgl. die Auswertung von Meurer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaf- Universität Köln.
tungssachen, 2008, S. 53 ff.
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
79 Laum/Smentkowski, Statut der Gutachterkommission Nordrhein, 2. Auflage 2006,
S. 19 ff.; Laum, ZKM 2003, 163, 167; Hansis/Hansis, Der ärztliche Behandlungsfeh- autor@anwaltsblatt.de.
ler, 2. Auflage 2001, S. 104.
80 Vgl. dazu Meurer, Außergerichtliche Streitbeilegung in Arzthaftungssachen, 2008,
S. 141 ff.; SVRKAiG, Gutachten 2003 I, in: BT-Drucks. 15/530, S. 156.
81 Vgl. etwa die Auflistung von Fortbildungsveranstaltungen, warnenden Hinweisen
und Veröffentlichungen der Ärztekammer Nordrhein bei Laum/Smentkowski, Statut
der Gutachterkommission Nordrhein, 2. Auflage 2006, S. 22 ff.
82 So auch bereits Laufs, Arztrecht, 5. Aufl. 1993, Rn. 545.
Ethische Richt-
linien für
Anwälte?
ilger
Hartmut Kilger, Tübingen
Tübingenn____/_禌
Rechtsanwalt,
Präsident des Deutschen Anwaltvereins
Haben Sie den Spitzenaufsatz im No- gen Skandalen - wie bei den wir Erfahrenen für anständig halten
vember-Heft des Anwaltsblatts gelesen? Wirt- und was nicht.
Prof. Dr. Martin Henssler hat in seiner schaftsprüfern - oder um gesetzliche Hat diese ganze Diskussion über-
Schlussthese 10 neue ethische Richt- Regelungen zu verhindern, die die Be- haupt mit Ethik zu tun? Ich
linien für die Anwaltschaft gefordert rufsfreiheit einschränken. meine:
(AnwBl 2008, 721, 728). Henssler mag recht haben: Nicht al- nein. Denn Ethik fängt nach meinem
Der Leser erschrickt: neue Standes- les, was in den alten Standesrichtlinien Verständnis erst dort an, wo (auch un-
richtlinien? Die alten wurden 1987 vom stand, war schlecht. Das Problem aber verbindliche) Regeln aufhören. Aber
Bundesverfassungsgericht für nichtig ist: wie schafft man ein Regelwerk, das über Ethik brauchen wir nicht mehr zu
erklärt. Wer die Zeiten davor und da- davor sicher ist, nicht verbindlich streiten. Denn es geht nur um Begriffs-
nach erlebt hat, reagiert unwillkürlich zu fragen. Außerdem halten die einen das
abwehrend. Ich auch. werden? Ich habe die Befürchtung, Fehlen verbindlicher ethischer Grun-
Die Standesrichtlinien hatten es dass es die Deutschen - wie jedes sätze für ein Defizit, die anderen für ei-
zum Beispiel - unerbittlich - verboten, Re- nen Ausdruck von Pluralität. Das sollte
ein Versäumnisurteil gegen einen geg- gelwerk - über kurz oder lang perfekt uns aber nicht daran hindern, gemein-
nerischen Kollegen zu nehmen - und administrieren und exekutieren wer- sam an der Aufgabe zu arbeiten,
so den Anwalt aus falsch verstandener den. Nicht anders sind ja die ob
Kollegialität gezwungen, die Interessen alten überhaupt und wenn ja wie „soft law"
seines Mandanten zu missachten. Standesrichtlinien entstanden! auf Deutsch benannt und praktiziert
Beim zwanzigjährigen Jubiläum des werden könnte.
Instituts für Anwaltsrecht in Köln
„Das Regelwerk sollte sicher Mein Erschrecken über Hensslers
wurde in einigen Reden daran erinnert. davor sein, nicht verbindlich Vorschlag ist geschwunden.
Henssler hat - vor allem in einem zu werden." Die
an- Schlussthese 10 ist gut gemeint;
schließenden Vortrag im Rahmen des Auch ich würde mich freuen, wenn sie
Europatags des Kölner Anwaltsvereins je- soll dem Wohl der Anwaltschaft
- an seiner These festgehalten. Im Po- der Anwalt korrekt auftreten würde. die-
diumsgespräch wurde dann von Drit- Aber
gung, was ist korrekt? Eszu gibt
Individualisten behindern nen. Machen wir uns gemeinsam auf,
ten mehrfach geäußert, der Gedanke durchaus
und auszugrenzen - jedenfalls in die Quadratur des Kreises in den Griff
sei vielleicht richtig, das Wort „Richt- Anwälte,
Deutschland.die Gleichmacherei
bei ihren würde zu bekommen.
linien" sei aber falsch. Henssler hat das Mandanten
der Anwaltschaft schaden. Das wäre
zugestanden und einen Aspekt betont, große Beliebtheit
eine und VertrauenExklusivität.
falsch verstandene genie-
den er schon früher vorgetragen hatte: ßen
Die -Ideeund desnie für einen Anwalt Stan-
unverbindlichen
ein ethisches Regelwerk mache nur gehal-
dards wird in anderen Ländern mit
Sinn, wenn es ausdrücklich als ten
demwürden. Regelwerke
Stichwort „soft law"haben die Nei-
gehandelt. Ob
nicht das in Deutschland möglich ist?
verbindlich statuiert werde. Damit sind Das ist Frage: wie können wir Stan-
wir - meine ich - am Kern des Pro- dards formulieren, die nicht zu Rechts-
blems angelangt: quellen in der Hand anwaltlicher Dis-
Es ist natürlich schwierig, mit der ziplinierungspolizei werden? Denn
größer gewordenen Freiheit seit 1987 eines ist ja richtig: es wäre schon
umzugehen. Richtig ist auch: Andere gut,
Berufe kennen mittlerweile „codes of wir könnten wenigstens in der Ausbil-
conduct". Warum aber sind diese ein- dung unserem Nachwuchs sagen, was
geführt worden? In der Regel doch we-
824 AnwBl 12 / 2008
MN Thema
(siehe Meldung auf Seite X im Mantel dieses Heftes). Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
Hatte die Forderung nach neuen Fachanwaltschaften autor@anwaltsblatt.de.
Nur die wenigsten Jura-Studierenden wollen Anwalt oder Anwältin werden. Doch von den
jährlich knapp 10.000 Absolventen des Zweiten Staatsexamens werden jedes Jahr am Ende
rund 7.500 Anwältinnen und Anwälte. Anwaltsblatt Karriere stellt 22 Studierende aus ganz
Deutschland vor, von denen gerade fünf als ersten Berufswunsch Anwältin oder Anwalt
angeben. Der Fotograf Franz Brück hat die Studierenden nicht nur portraitiert, sondern
auch interviewt. Ein Report aus den Fakultäten in Köln, Bochum, Osnabrück, Kiel,
Frankfurt (Oder), Leipzig, Regensburg, München, Tübingen, Trier und Gießen.
studentenportraits
Artur Langner (12. Sem.), 29, Köln Stefanie Nagel (6. Sem.), 22, Köln
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
Ich lerne die Ordnung unserer Gesellschaft; die Beziehung Am besten erkläre ich das gar nicht, oder versuche es gar
zwischen den Menschen einerseits, den Menschen und dem nicht erst zu erklären, weil es nicht möglich ist, irgendwie in
Staat andererseits. einem - oder wenigen mehreren Sätzen - das anderen Leuten
zu erklären.
Ihre bisher größte Leistung im Studium?
Das Studium hat einen sehr hohen Frustfaktor. Trotzdem Haben Sie Angst vor dem 1. Examen?
motiviert dabei zu sein, trotzdem Spaß an der Materie zu Ja - und Respekt, weil man nicht weiß, was auf einen zukommt.
haben - das ist für mich die größte Leistung.
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
Was war Ihre beste Vorlesung? Jura war meine erste Wahl. Das hatte ich schon in der Schule
Meine beste Vorlesung war bei Prof. Katzenmeier im Schuld- beschlossen.
recht und im Zivilprozessrecht, weil er als ehemaliger
Repetitor didaktische Fähigkeiten mitbringt. Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
Was ist mit Ihnen?
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert? Ich möchte gerne Anwältin werden, im Zivilrecht, am liebsten
Mein ursprünglicher Studienwunsch war Psychologie. im Gesellschaftsrecht und/oder Steuerrecht.
Aber ich bin froh, dass es nicht dazu gekommen ist.
Ihre Devise?
Und Ihr Motto? Et kütt wie et kütt.
Immer dran bleiben!
studentenportraits
Kader Bozkurt (9. Sem.), 23, Bochum Christoph Ludwig (10. Sem.), 27, Bochum
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
Ich lerne das, was Du nicht wissen brauchst, denn dafür werde Die Regeln des Zusammenlebens, die Gesellschaftsordnung.
ich da sein, um Dir klar zu machen, was Deine Rechte sind.
Ihre bisher größte Leistung im Studium?
Schon mal überlegt, abzubrechen? 10 Punkte in BGB AT, 2. Semester.
Komplett abzubrechen nicht, aber das Studium anders zu
gestalten, sodass es mir vielleicht mehr Spaß macht. Haben Sie Angst vor dem 1. Examen?
Das Examen steht vor der Tür und Dank der hohen Durchfall-
Hätten Sie gerne etwas anderes studiert? quote fühlt man sich schon mal unwohl.
Mein Traum war eigentlich, Journalistin zu werden. Ich
mache auch gern Politik. Und ich habe mir gedacht, dass ich Schon mal überlegt, abzubrechen?
das mit Juristerei irgendwie kombinieren kann. Ja, klar. In der Examensphase hat wohl jeder mal solche
Gedanken.
Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
Was ist mit Ihnen? Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
Ich will in die Rechtsanwaltschaft, am liebsten möchte ich in Ja, ich habe ganz zu Anfang überlegt, ob ich jetzt Jura oder
einer Rechtsabteilung einer Zeitung arbeiten. BWL studiere. Aber Mathe war nicht meine Sache.
studentenportraits
Hendrik Spielvogel (7. Sem.), 22, Osnabrück Julia Karla Kunzemann (7. Sem.), 23, Osnabrück
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
Ich versuche, das Gesetz zu verstehen. Später werde ich es Ja, was soll ich sagen? Ich studiere Gesetze, um anderen zu er-
meinen Klienten erklären und in ihrem Sinne anwenden. klären, wie sie sie brechen können, ohne dass sie ins Kittchen
müssen. Schöner klingt natürlich: Ich studiere die Rechtsaus-
Haben Sie Angst vor dem 1. Examen? legung der deutschen Gesetze.
Ordentlichen Respekt.
Ihre bisher größte Leistung im Studium?
Schon mal überlegt, abzubrechen? BGB AT. Ich habe mich da richtig auf den Hintern gesetzt -
Ja, im 3. Semester, da ich Probleme mit den Hausarbeiten hatte. ausnahmsweise mal.
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert? Schon mal überlegt, abzubrechen?
Nein. Ja, nach dem 3. Semester.
Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch. Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
Was ist mit Ihnen? Nein. Immer nur Jura.
Ich möchte auch Anwalt werden. Möglichst in einer kleinen,
übersichtlichen Kanzlei, wo man mit allem einmal zu tun hat. Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
Zivilrecht oder Strafrecht sagen mir zu. Ich will Strafverteidigerin werden.
studentenportraits
Emma Harms (5. Sem.), 21, Kiel Tom Albrecht (7. Sem.), 23, Kiel
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
Ich lerne das Rechtssystem in all seinen Facetten und Ich lerne Gesetze und ihre rechtliche Wertung zu verstehen.
seiner Systematik.
Was war Ihre beste Vorlesung?
Haben Sie Angst vor dem 1. Examen? Meine beste Vorlesung war die einzige Vorlesung, die ich
Eigentlich nicht. Man wächst ja mit seinen Aufgaben. regelmäßig besucht habe: Staatsrecht/Grundrechte bei
Prof. Zimmermann.
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
Jura war meine erste Wahl. Ich habe es mir aber, ehrlich Haben Sie Angst vor dem 1. Examen?
gesagt, nicht ganz so schwierig vorgestellt. Ja. Wenn das mit den perfekten Noten nichts wird, muss ich
mich später erstmal durchschlagen.
Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
Was ist mit Ihnen? Schon mal überlegt, abzubrechen?
Ich wollte immer zur Polizei, deshalb hatte ich auch mal Ja, öfters. Ich erhalte nur wenig Unterstützung und habe zwei
überlegt, Psychologie zu studieren. Inzwischen finde ich Nebenjobs. Das ist manchmal schon eine starke Belastung.
Strafrecht aber nicht mehr so interessant. Also mein erstes
Ziel ist erst einmal das Examen - und das möglichst gut. Ihre Devise?
Lernen ist gut, aber man sollte auch nicht vergessen zu leben.
Ihre Devise?
Durchbeißen und Spaß dabei haben.
studentenportraits
Sabina Gielzak (5. Sem.), 20, Frankfurt (Oder) Thomas Bode (fortgeschrittenes Sem. Jura), 31,
Frankfurt (Oder)
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
Ich lerne, was man machen darf in einem Staat und wie man was Sie lernen?
das macht, was man machen will, ohne die Gesetze zu brechen. Das ist sehr schwierig. (lacht) Soll ich die Wahrheit sagen?
Ich lerne gerade, mein Leben in den Griff zu kriegen.
Was war Ihre beste Vorlesung?
Zivilrecht (Grundkurs II) bei Prof. Breidenbach, auch wenn Haben Sie Angst vor dem 1. Examen?
ich sie nicht regelmäßig besucht habe. Nicht mehr, das habe ich schon.
„Wo ein Ziel ist, da ist auch ein Weg." Ich bin ja schon etwas.
studentenportraits
Søren Meier (3. Sem.), 22, Leipzig Tatjana Salzmann (3. Sem.), 21, Leipzig
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
Ich lerne, was Menschen im späteren Leben benötigen, Ich lerne die Rechtswissenschaft - das ist eine Wissenschaft
um zu existieren. über Gesetze und das Zusammenleben der Menschen in einem
Staat und wie wir Menschen mit Gesetzen umgehen sollen.
Ihre bisher größte Leistung?
Mein Abitur. Haben Sie Angst vor dem 1. Examen?
Nicht wirklich. Ich bin eher drauf gespannt.
Haben Sie Angst vor dem 1. Examen?
Auf jeden Fall. Und wie. Hätten Sie gerne etwas anderes studiert?
Nein. Jura liegt in der Familie.
Schon mal überlegt, abzubrechen?
Wer nicht? Man denkt darüber natürlich nach, aber es ist Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
jetzt nicht so, dass ich es vorhatte. Was ist mit Ihnen?
Da muss man mal gucken: Richter wäre natürlich optimal, Ihre Devise ?
aber Anwalt reicht. Ich lebe nicht nach einem Motto.
studentenportraits
Lena Dietrich (3. Sem.), 21, Regensburg Christoph Kurzböck (4. Sem.), 27, Regensburg
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
Ich lerne, was Recht ist. Im Gegensatz zu dem Vorurteil geht es nicht darum, Gesetze
auswendig zu lernen, sondern Normen, die für eine Vielzahl
Was war Ihre beste Vorlesung? von Fällen geeignet sind, im konkreten Fall anzuwenden, d.h.
Das war Staatsorganisationsrecht, als unser Professor uns ich schau, ob das Problem, das der Einzelne hat, mit der Norm
erzählt hat, wie sich die Abgeordneten im Bundestag gegen- übereinstimmt und welche Rechte ich für ihn ableiten kann.
seitig beschimpfen.
Hatten Sie Angst vor dem 1. Examen?
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert? Keine Angst, aber viel Respekt.
Ja, ich habe geschwankt zwischen Politikwissenschaften und
Jura. Jura wollte ich schon immer machen. Und dann hab ich Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
gesagt, abbrechen kann ich immer noch. Was ist mit Ihnen?
studentenportraits
Jan Alexander Linxweiler (3. Sem.), 21, München Katharina Glocker (3. Sem.), 20, München
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
In einem Satz? Ich lerne, das Alltägliche aus dem rechts- Ich lerne, wie man die Gerechtigkeit in Deutschland am
wissenschaftlichen Blickwinkel zu sehen. besten durchsetzen kann.
Haben Sie Angst vor dem 1. Examen? Ihre bisher größte Leistung im Studium?
Noch nicht. Erst einmal Bammel vor der Zwischenprüfung. 12 Punkte im öffentlichen Recht und im Zivilrecht in
Aber ich schaff das schon. Jura ist mein Traum. einer Probeklausur.
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert? Haben Sie Angst vor dem 1. Examen?
Nein, seit meinem 9. Lebensjahr wollte ich Anwalt werden. Jetzt noch nicht. Ich hab jetzt erstmal meine Zwischenprüfung.
Ich habe damals eine Anwaltsserie im Fernsehen gesehen.
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
Wollen Sie immer noch Anwalt werden? Ich habe so geschwankt: Meine erste Wahl war eigentlich
Im Moment tendiere ich zum Staatsanwalt. Archäologie oder VWL.
Also „Brot für die Welt, Torte für mich" und das andere wäre Ich will Richterin für Jugendstrafrecht werden.
„Lebe Dein Leben so, dass Deine Freunde sich langweilen,
wenn Du tot bist". Ihre Devise?
studentenportraits
Marie-Theres Schilling (5. Sem.), 21, Tübingen Hendrik Dankelmann (3. Sem.), 22, Tübingen
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie lernen? was Sie lernen?
In einem Satz? Ich lerne den Umgang mit den deutschen Ich lerne, wie die Gesellschaft sich geordnet hat im Laufe
Gesetzen. der Jahre und wie die Menschen gelernt haben, sich zu
organisieren.
Schon mal überlegt, abzubrechen?
Ja, habe ich auch schon drüber nachgedacht. Aber mein Stu- Schon mal überlegt, abzubrechen?
dium macht mir eigentlich Spaß. Und das mache ich weiter. Man überlegt es sich immer mal wieder. Aber es ist auch sehr
motivierend, wenn man was wirklich etwas verstanden hat.
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
Jura war schon meine erste Wahl. Aber ich habe natürlich auch Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
über andere Sachen nachgedacht, über Lehramt oder Medizin. Eigentlich war es immer die erste Wahl. Ich habe eine Zeitlang
überlegt, etwas Technisches zu studieren. Am Ende habe ich
Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch. gedacht: Ich wollte ich schon immer Jura machen und bevor
Was ist mit Ihnen? ich es nicht versucht habe
Ich bin familiär vorbelastet. Es ist gut möglich, dass ich An-
wältin werde. Aber ich könnte mir auch gut vorstellen, Staats- Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
anwältin zu werden. Was ist mit Ihnen?
studentenportraits
Samantha Meßmer (8. Sem.), 24, Trier Danny Major (7. Sem.), 25, Trier
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie gerade lernen? was Sie lernen?
Zur Zeit beschäftige ich mich mit einer Seminararbeit, in Wenn mich jemand zu juristischen Sachen fragt, sage ich
der es um Sanktionen des UN-Sicherheitsrats geht im Kampf immer: Das kommt drauf an.
gegen Terrorismus.
Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
Ihre bisher größte Leistung im Studium? Das ist bei mir ein bisschen kurios. Ich studiere noch an
Alles insgesamt ordentlich zu schaffen, was ich machen der FH Wirtschafts- und Umweltrecht auf Diplom. Jura ist
musste. Das ist so für mich die größte Leistung - und auch mein Zweitstudium.
etwas begriffen zu haben.
Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch. Was ist mit Ihnen?
Was ist mit Ihnen?
Ich weiß noch nicht, ob ich Anwalt werde. Vielleicht gehe ich
Ich möchte gerne in irgendeiner Form beratend tätig sein. Das auch in die Unternehmensberatung. Zum Glück steht mir ja
könnte als Anwältin sein, aber auch in einem Betrieb sein, in noch alles offen.
einem Ministerium, in einer Organisation.
Ihre Devise ? Ihr Motto?
Ihr Motto? Also mein Motto ist: Immer cool bleiben. Also keinen Stress
Das ist nicht von mir, aber ich fand das sehr schön: machen und einfach locker sein. Juristen neigen sehr schnell
Augen auf und durch. dazu, sich selbst verrückt zumachen - oder gegenseitig.
studentenportraits
Nadine Bottke (9. Sem.), 25, Gießen Dimitrij Kalaschnikow (9. Sem.), 25, Gießen
Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz, Wie erklären Sie einem Nicht-Juristen in einem Satz,
was Sie gerade lernen? was Sie lernen?
Ich probiere, alles zu lernen, was mit öffentlichem Recht, Ich lerne, wie man die Gesetze richtig anwendet und dadurch
Strafrecht und Zivilrecht zu tun hat - und das ist ziemlich viel. Konflikte zwischen Parteien, zwischen Bürger und Staat sowie
zwischen Staaten lösen kann.
Ihre bisher größte Leistung im Studium?
Das war die Teilnahme an zwei Moot Courts mit Klageschrift Hätten Sie auch gerne etwas anderes studiert?
und Plädieren auf französisch. Nein. Ich bin nach dem Ausschlussverfahren vorgegangen.
Was will ich auf gar keinen Fall studieren Und da blieb
Haben Sie Angst vor dem 1. Examen? eigentlich nur noch Jura über. Also ich bin eigentlich aus
Wer keine Angst davor hat, der nimmt es nicht ernst genug. Verlegenheit zum Jurastudium gekommen. Mit der Entschei-
dung bin ich sehr zufrieden.
Schon mal überlegt, abzubrechen?
Nein. Wenn es ganz schlimm kommt, frage ich mich zwar, Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch.
warum kann ich nicht Kindergärtnerin sein, wie ich es als Was ist mit Ihnen?
Kind wollte. Aber das geht schnell wieder vorbei. Ich will zu den Allerbesten gehören. Wir haben eine Zweiklas-
sengesellschaft. Mit Prädikatsexamen stehen alle Türen offen.
Die Besten werden Anwalt. Alle anderen auch. Ich will nicht betteln gehen. Was ich am Ende mache, will ich
Was ist mit Ihnen? nach meinem Referendariat entscheiden. Ich will zweigleisig
Ich würde gern Richterin werden, wenn es klappt. fahren: Großkanzlei und Staatsdienst.
Und ich glaube, das sind die Besten.
schrift „Werben
Sämtliche Anzeigen & Verkaufen"
der Kampagne findet man im zeich- 3 Die örtlichen Anwaltvereine greifen die
Kampagne immer wieder auf. Das Foto
Internet unter
nete www.anwaltverein.de,
gleich zweimal hier Anzeigen
unter der
zeigt ein Kurierfahrzeug des Saarlän-
Rubrik Leistungen/Werbung/Werbekampagne/ dischen Anwaltvereins mit Werbeslogans
der
Galerie. der DAV-Werbekampagne.
2
Kampagne aus. Darüber hinaus wird
die Kampagne weiter evaluiert werden.
AnwBl 12 / 2008 841
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin
MN Aus der Arbeit des DAV
Stellungnahmen zu
Deutsche Anwaltakademie
Gesetzesvorhaben
DAV-Gesetzgebungsausschüsse Anwaltakademie
________________________________________________________________________________________________________________
_ -Gesetzgebungsausschüsse
______________________ destagsdrucksache 16/9023) genom- Fortbildung ohne Pflicht -
Der Deutsche Anwaltverein begleitet men. Die Ausschüsse kritisieren das
aktuelle Gesetzesvorhaben auf natio- Vorhaben unter finanzpolitischen 30 Jahre Anwaltakademie
naler, europäischer und internationa- Aspekten und äußern auch rechts-
ler Ebene. 33 staatliche Bedenken, weil der Die Deutsche Anwaltakademie
Gesetzgebungsaus- justi- feierte
schüsse des Deutschen Anwaltver- zielle Kernbereich berührt wird. Der ihren 30. Geburtstag Ende September
eins erarbeiten und Deutsche Anwaltverein hat daher in Berlin nicht mit einem Festakt,
formulieren erhebliche Bedenken gegen die vor- son-
Stellungnahmen zu relevanten geschlagene weitgehende Aufgaben- dern mit einer Feier, bei der das
Ge- übertragung von nachlassrechtlichen Ge-
setzesentwürfen. Das Anwaltsblatt Verfahren auf Notare. spräch im Vordergrund stand.
weist regelmäßig auf wichtige Stel- Unter
lungnahmen der Ausschüsse Ausschuss Arbeitsrecht anderem wurde über eine sanktionierte
hin. 9 Mindestarbeitsbedingungen Fortbildungspflicht diskutiert.
Alle Stellungnahmen finden Sie im Die
und
Internet www.anwaltverein.de/Inte Gäste kamen aber freiwillig.
ressenvertretung/Stellungnahmen. Arbeitnehmer-Entsendegesetz
(60/2008) „Die Deutsche Anwaltakademie hat Ta-
gungen und Seminare für Rechts-
Ausschuss Strafrecht Der Deutsche Anwaltverein nimmt
anwälte organisiert, gegenwärtig orga-
9 Höchstgrenzen des durch den Arbeitsrechtsausschuss
nisiert sie Tagungen und Seminare für
Tagessatzes Stellung zu den Regierungsentwür-
Rechtsanwälte und in die
(67/2008) fen zur Änderung des Gesetzes über
Zukunft
die Festsetzung von Mindestarbeits-
Der Deutsche Anwaltverein schauend: Die Deutsche Anwaltaka-
bedingungen sowie zur Änderung
demie wird Tagungen und Seminare
hat des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.
überwiegend für Rechtsanwälte organi-
durch den Strafrechtsausschuss zum Der DAV stellt zwar ein grundsätz-
sieren." So fasste Rechtsanwalt Philipp
Referentenentwurf eines Gesetzes liches Recht des Staates,
zur Änderung des Strafgesetzbuches Wendt, Geschäftsführer der Deutschen
Arbeits-
(Anhebung der Höchstgrenze des Ta- bedingungen und Arbeitsentgelte im Anwaltakademie, die Geschichte der
gessatzes bei Geldstrafen) Stellung Sinne eines Mindeststandards zu re- Akademie zusammen. Gegründet im
genommen. Der Entwurf sieht eine geln, nicht in Abrede, hält aber eine Oktober 1978 in Lüneburg feierte die
Anhebung von 5.000 Euro auf 20.000 grundsätzliche Überarbeitung der Tochter des Deutschen Anwaltvereins
Euro vor (§ 40 Abs. 2 Satz 3 beiden vorliegenden Gesetzesent- ihren 30. Geburtstag über den Dächern
StGB). würfe für geboten. Zudem plädiert er Berlins am Frankfurter Tor im Bezirk
Nach Auffassung des DAV trägt die dafür die staatliche Regulierung der Friedrichshain.
Anhebung der Entwicklung des Brut- Arbeitsbedingungen in einem ein- Eingeladen hatte die Akademie den
toeinkommens angemessen Rech- heitlichen Gesetz zu regeln. engen Kreis der DAV-Familie, den DAV
nung und ist nicht zu beanstanden. mit Präsident Hartmut Kilger, Vizeprä-
Allerdings muss - wie es in der Stel- Ausschuss Strafrecht sidentin Verena Mittendorf und der ge-
lungnahme heißt - das Festhalten an 9 Berufsgeheimnis (58/2008) samten Berliner Geschäftsstelle, außer-
einer Tagessatzobergrenze überdacht dem Dozentinnen und Dozenten aus
Der DAV hat durch den Informati-
werden. Eine Obergrenze der Tages- Berlin und die Geschäfts- und Koope-
onsrechts- und Berufsrechtsaus-
satzhöhe führt im Fall einkommens- rationspartner. Die Mitarbeiter der Aka-
schuss zum Entwurf eines Gesetzes
starker Täter dazu, auf andere unbe- demie zeigten, dass Sie nicht nur Semi-
zur Änderung des
schränkte Auflagen, insbesondere im nare veranstalten, sondern auch Partys
Bundesdaten-
Hinblick auf Bewährungsauflagen, organisieren können.
schutzgesetzes
auszuweichen. Ziel sollte es
(BR-Drucksache Erfolgsgeschichte
aber
548/08) Stellung bezogen. Problema-
bleiben auch kurze Freiheitsstrafen „Dass dieses Unternehmen eine Er-
tisch sieht der DAV den Auftrag
zugunsten der Geldstrafen zurück- folgsgeschichte wird, haben wir schon
zur
zudrängen. Dies könne - so schlägt bei der Gründung gesehen", sagte Pro-
die Stellungnahme vor - durch einen Überwachung und Einhaltung des
Bundesdatenschutzgesetzes durch fessor Hans-Jürgen Raabe, Präsident
Wegfall der Obergrenze der des DAV von 1978 bis 1983 in einer
Tages- die Datenschutzkontrollinstanzen
der Länder. Richtigerweise ist die spontanen Ansprache. Mit inzwischen
satzhöhe erreicht werden.
Aufsicht den Rechtsanwaltskammern über 600 Seminaren und etwa 70 Fach-
zu übertragen - die ohnehin bereits anwaltskursen ist die Akademie einer
Ausschuss Erbrecht und Zivilverfah-
die Einhaltung der Schweigepflicht der führenden Anbieter von anwalt-
rensrecht
überwachen -, da es bei der Kontrolle licher Fort- und Weiterbildung. Auch
9 Nachlassverfahren bei
durch die Datenschutzkontrollinstan- DAV-Präsident Hartmut Kilger blickte
Notaren noch einmal zurück auf 30 Jahre an-
zen zu einem Konflikt mit
(63/2008) der waltliche Fortbildung. Der DAV selbst
Der Deutsche Anwaltverein hat durch Schweigepflicht der Anwaltschaft habe schon immer in gewissem Um-
den Erbrechtsausschuss und den Zi- (geschütztes Anwaltsgeheimnis § 203 fang Seminare veranstaltet. Mit Aka-
842 AnwBl 12 / 2008
StGB) kommen kann. Im Vorder- demiegründung 1978 und der Ausglie-
vilrechtsausschuss Stellung zum Ent-
wurf eines Gesetzes zur Übertragung grund stehen die Interessen derung in eine GmbH im Jahr 1994 sei
von Aufgaben im Bereich der freiwil- der es jeweils zu einer wirklichen Weiter-
ligen Gerichtsbarkeit auf Notare (Bun- Mandantschaft. entwicklung im Bereich der anwalt-
MN Aus der Arbeit des DAV
eb
MN Aus der Arbeit des DAV
AG
MedizinrMedizinre
cht
Erfolgsrezept:
Wissenstransfer im
Medizinrecht
Arbeitsgemeinschaft wird zehn
Jahre - Festschrift mit 990 Seiten
1 2
Die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht
feierte Mitte Oktober anlässlich
ihrer
Herbsttagung ihr zehnjähriges
Jubi-
läum. Es war ein besonderes Jubiläum:
Ohne die Arbeitsgemeinschaft Medi-
5
zinrecht würde es das Rechtsgebiet des
Medizinrechts und auch die
Fach-
anwaltschaft Medizinrecht heute 3
so
nicht geben. Aus 39 Mitgliedern sind
mehr als 1.500 geworden - und die Ar-
beitsgemeinschaft will weiter wachsen. 6
Neues Rechtsgebiet
Der Präsident des Deutschen Anwalt- 8
praxen diskutiert worden sei. Außer- Justiziar Dr. Karsten Scholz von
der Anwaltverband
dem habe die Arbeitsgemeinschaft für Ärztekammer Hannover und von
_________________________________________
_ Bayernn_______耀ì楣瑩汩
den Fachanwalt für Medizinrecht ge- Rechtsanwalt Dr. Rehborn
_________________________
敤
kämpft: Nach zwei vergeblichen Anläu- (Dortmund) warfen Martin
einen spannenden
fen 2001 und 2002 sei der Fachanwalt Blick auf das Gesellschaftsrecht der 4. Münchener
dann im November 2004 von der Sat- Ärzte. Dort haben sich vielfältige ärzt-
zungsversammlung beschlossen wor- liche Kooperationsformen entwickelt,
Erbrechtstag
den. Ratzel kündigte an, den Wissen- die inzwischen komplexe berufs-,
so- Mitte Juni folgten Interessierte aus
transfer weiter in den Mittelpunkt zu
Kanzleien und Justiz der Einladung
stellen: „Wir finden neue Themen, weil zial- und gesellschaftsrechtliche Fragen
aufwerfen. Die Diskussion zeigte, dass nach München - ein voller Erfolg
das Rechtsgebiet Dynamik hat."
das Berufsrecht der Ärzte zum Die Münchener Erbrechtstagung
Festschrift mit 990 Seiten Teil hat zwischenzeitlich ihren festen
strenger als bei den Anwälten, Platz im Tagungskalender. Im Un-
Die Arbeitsgemeinschaft hat den An-
zum terschied zu anderen Erbrechtsver-
spruch, im Bereich des Medizinrechts
Teil aber auch großzügiger geworden anstaltungen richtet sich der
eine der führenden Vereinigungen zu
ist. Münchener Erbrechtstag nicht nur
sein. Dass dieser Anspruch eingelöst
an Rechtsanwälte und Notare, son-
wird, belegt die Festschrift der Arbeits-
Strafverteidigung dern insbesondere auch an die im
gemeinschaft zum zehnjährigen Jubi- mann (Augsburg)von Ärzten und von Rechts-
Spannend Rüdiger
war derWeidhaas
gemeinsame Vor- Erbrecht tätigen Richter und
läum: Auf 990 Seiten schreiben anwalt (Ludwigs-
trag Rechtspfleger und fördert so den
vor hafen)von Rechtsanwalt
zur Dr. David Herr-
Strafverteidigung in
offenen Dialog.
allem Rechtsanwälte, aber auch Profes- Arztsachen. Sie boten anhand konkre-
So war dann auch ein Höhe-
soren und Richter zum Medizinrecht. ter Falls Einblicke in taktische Varian-
punkt die exzellente Fachdiskus-
Die Festschrift wurde bei der Herbst- ten bei der Verteidigung von Ärzten.
sion zwischen dem Richter am
tagung Mitte Oktober vorgestellt. Es ging um Abrechnungsbetrug und
den Vorwurf der Fälschung von Arbeits- BGH, Roland Wendt, und Prof. Dr.
Gesellschaftsrecht der Ärzte unfähigkeitsbescheinigungen. Beide Karlheinz Muscheler von der Uni-
waren innerhalb von 24 Stunden für versität Bochum: Die Debatte um
Die Tagung selbst bot die ganze
einen ausgefallenen Referenten einge- die Zukunft des Behindertentesta-
Band- mentes griff auf das Publikum
sprungen. Über die Arzthaftung sprach
breite des Medizinrechts. Über den über, das in lebendigen Beiträgen
Rechtsanwältin Dr. Regine Cramer (Es-
neuen Trend der integrierten Versor- aus der Sicht der anwaltlichen Bera-
sen). Ein eher spezielles Thema behan-
gung sprach der ehemalige Vorsitzende tung und der Gerichtspraxis den Be-
delte Carla (Berlin) vom
Richter am Bundessozialgericht Dr. zug zur täglichen Arbeit herstellte.
Grienberg Aktuelle Pro-
Klaus Engelmann. Die Vorträge von IKK-Bundesverband: Die Referenten zählten zu den pro-
bleme der Hilfsmittelversorgung.
filiertesten des Fachs - Namen, die
Tagung auf der Fähre Kiel-Oslo jedem Erbrechtler geläufig sind. Be-
1 Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Hartmut
Kilger, würdigte die Leistungen des scheidenden Vor- währt hat sich wieder die zeitweise
sitzenden der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht, Zu ihrem Jubiläum hatte sich die Ar-
Rechtsanwalt und Justizrat Dr. Bernd Luxenburger.
Aufteilung der Tagung in parallel
beitsgemeinschaft für ihre
Mit dem zehnjährigen Jubiläum der Arbeitsgemein- laufende Vorträge, deren Attraktivi-
schaft gab er das Amt ab. Herbst-
tät es den Teilnehmern schwer
2 Dr. Bernd Luxenburger (r.) wird vom neuen Vorsitzen-
tagung einen außergewöhnlichen Ver-
machte, sich zu entscheiden.
den der Arbeitsgemeinschaft, Rechtsanwalt Dr. Ru- anstaltungsort gewählt: Getagt wurde
dolf Ratzel, verabschiedet. Aktive Arbeit an rechtspoliti-
im Konferenzcenter der Fähre Kiel-
schen Fragen und Problemen der
3 Referenten im Gespräch: Rechtsanwalt Dr. Martin Oslo. Der erste Tagungsteil fand
Rehborn (l.) mit Dr. Klaus Engelmann, ehemaliger täglichen
des Deutschen Praxis Nachlassgerichts-
war im Rahmen
Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht. auf
der Hinfahrt und der zweite dann nach tages gefragt, der parallel
4 Referierte über Berufsausübungsgemeinschaften
bei Ärzten: Justiziar Dr. Klaus Scholz, Ärztekammer einem knapp vierstündigen Aufenthalt zum
4. Münchener Erbrechtstag statt-
Niedersachsen.
in Oslo auf der Rückfahrt statt. fand. Die erarbeiteten Lösungsvor-
5 Sprach über Probleme der Hilfsmittelversorgung: Vorteil schläge wurden abschließend
Carla Grienberg. gebündelt und Thesen
dieser Tagungsform: Die Referenten
6 Spontan als Referenten zum strafrechtlichen Teil und Teilnehmer waren vom Anfang abschiedet, wieals etwa die Forderung
ver-
eingesprungen: Rechtsanwalt Rüdiger Weidhaas
und ... und bis zum Ende zusammen. Folge nach der Einführung einer grund-
waren Diskussionen und Gespräche im sätzlichen Kammerzuständigkeit
7 ... Rechtsanwalt Dr. David Herrmann.
Anschluss an die Referate und in den für Erbsachen oder der Erneuerung
8 Die ehemaligen und aktiven Mitglieder des Ge- des § 102 SGB XII. Der Bayerische
schäftsführenden Ausschusses der AG aus zehn Pausen, die deutlich intensiver als am
Jahren (v.l.n.r.): Rita Schulz-Hillenbrand, Dr. Rudolf Land waren. Anwaltverband und der Deutsche
Ratzel, Dr. Gerd Krieger, Christoph M. Stegers, Ange-
lika Rüstow (DAV-Geschäftsführung), Rainer Beeretz, Informationen zur Arbeitsgemeinschaft im Internet
Nachlassgerichtstag e. V. als Ver-
Dr. Bernd Luxenburger (der in den Händen die Fest- Rechtsanwalt Dr. Nicolas L u¨ hrig,
unter www.arge-medizinrecht.de. Berlin
Die Festschrift anstalter freuten sich über das un-
schrift der Arbeitsgemeinschaft zum zehnjährigen
kann beim Deutschen Anwaltverlag in Bonn unter eingeschränkte Lob der Referenten
Jubiläum hält), Dr. Paul Harneit, Peter Schabram und
Dr. Katharina Freytag (DAV-Geschäftsführung). Als Telefon 02 28/919 11-14 bestellt werden.
aktives Mitglied des Geschäftsführenden Ausschus- Die nächste Tagung der AG Medizinrecht findet im und Teilnehmer.
ses der AG fehlt auf dem Foto Prof. Dr. Franz-Josef kommenden Jahr am 24. und 25. April in München
Dahm. statt. Rechtsanwalt Dr. Michael Bonefeld,
M u¨ nchen
9 Die Fähre Kiel-Oslo bei der Einfahrt in den Oslofjord.
sammlung van
Bühren nur in der Arbeitsgemeinschaft sei. Hinzu kämen 80 Juristen mit Gast-
Das 13. DAV Symposium zum aus seinem Amt ausscheide. Präsident
Ver- status, dabei handele es überwiegend
der Rechtsanwaltskammer Köln bleibe um Syndikusanwälte von Versiche-
sicherungsrecht - dieses Jahr er. Deren Interessen werde van Bühren
wieder rungsgesellschaften. Der Geschäfts-
weiter engagiert vertreten. „Sie sind führende Ausschuss wolle in Zukunft
einmal nicht in Köln - widmete sich jetzt bloß kein Doppelrepräsentant vor allem die Pressearbeit intensivie-
dem neuen mehr", sagte Kilger zu van ren. Weiterhin werde zusammen mit
Versicherungsvertrags- Bühren. der Deutschen Anwaltakademie der
gesetz (VVG). Fast noch wichtiger Und seiner Nachfolgerin, Rechtsanwäl- Fachanwaltskurs Versicherungsrecht
am tin Monika Maria Risch, gab Kilger mit angeboten. Derzeit reiche die Nach-
Ende war jedoch eine auf den Weg: „Wer van Bühren nach- frage für einen Kurs im Jahr. Die
Personalie: folgt, hat eine große Aufgabe." neue
Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van
Website der
Büh- Tagung und Mitgliederversammlung Arbeitsgemeinschaft
ren trat als Vorsitzender der Fachlich stand die Herbsttagung im (www.davvers.de) wurde in der Mitglie-
Arbeits- Zeichen des neuen Versicherungsver- derversammlung vorgestellt. Außer-
gemeinschaft Versicherungsrecht ab. tragsgesetzes. Der Hauptgeschäfts- dem berichtete der Geschäftsführende
„Ich muss nicht länger der Unterhal- Ausschuss, die Presse- und Öffentlich-
führer des Gesamtverbands der Deut-
tungschef des Versicherungsrecht schen Versicherungswirtschaft, Dr. keitsarbeit auszubauen. Im Kreis der
sein", sagte Rechtsanwalt Dr. Hubert Mitglieder würdigte Rechtsanwalt Ge-
Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth,
W. van Bühren zum Abschied. sprach über die Einbeziehung neuer org Greißinger die Verdienste
Seit Allgemeiner Versicherungsbedingun- van
1982 hat er sich im Deutschen Anwalt- Bührens für die Arbeitsgemeinschaft.
gen in bestehende Versicherungsver-
verein für das Versicherungsrecht en- träge. Über die Haftung des Versiche- In der Mitgliederversammlung wurde
gagiert. Die Arbeitsgemeinschaft Ver- rungsvermittlers referierte Rechts- neben van Bühren auch Rechtsanwalt
sicherungsrecht hat van Bühren 1996 anwalt Oliver Meixner. Das allgemeine Dr. Hartmut
schaft alsLübbert verabschiedet, angehört
Schatzmeister der
mitgegründet und er war ihr erster und Widerrufsrecht im neuen VVG behan- dem
hatte. Geschäftsführenden Ausschuss
bislang einziger Vorsitzender. delte Prof. Dr. Christian Armbrüster seit der Gründung der Arbeitsgemein-
Der Präsident des Deutschen An- Rechtsanwalt Dr. Nicolas L u¨ hrig, Berlin
von der Freien Universität Berlin. Aus-
waltvereins würdigte die Verdienste von
blicke auf das Versicherungsrecht in
van Bühren: „Er hat viel für den DAV ge- Österreich und der Schweiz rundeten Die neue Website der Arbeitsgemeinschaft
tan", sagte Rechtsanwalt Hartmut Kil- die Tagung ab.
Versicherungsrecht ist im Internet unter
www.davvers.de zu finden.
ger. Für seine Arbeitsgemeinschaft habe In der Mitgliederversammlung der
van Bühren immer gekämpft. Kilger er- Arbeitsgemeinschaft berichtete der
innerte an die Erfolgsgeschichte der Ar- scheidende Vorsitzende, dass die Mit-
beitsgemeinschaften: Die Arbeits- gliederzahl nun auf 1.200 gewachsen
gemeinschaften
846 seien
AnwBl 12 /der „große Schatz
2008
AG Anwältinnen
Anwältinnen
Köln: Anwältinnen
klüngeln
8. Anwältinnenkonferenz
ehemaligen Palast des römischen 3 Moderierten zusammen den Workshop „Was tun bei
Stadthalters waren sich alle Beteiligten Angriffen und Killerphrasen?": Trainerin Ursula Maile
(l.) und Hanna Hilber.
einig: dies war ein würdiger Beginn der
4 Sprach über das Thema Frauen und Macht:
diesjährigen Herbsttagung der AG An- Prof. Dr. Barbara von Meibohm.
wältinnen.
nächsten
Morgen durch die Vorsitzende der AG
Anwältinnen, Mechtild Düsing, berich-
boten wird, fördern die berufliche Mitglieder mit Kindern sowie der Wahl
tete die Vorsitzende des Kölner
Entwicklung der Mitglieder der AG An- des geschäftsführenden Ausschusses.
An-
wältinnen. Als dessen Mitglieder wurden Ulrike
waltsvereins Pia Tybussek von ihren Er-
Eine Stecknadel konnte man am Badewitz, Heike Brüning-Tyrell, Mech-
fahrungen mit Netzwerken - oder wie
Sonnabend morgen im Saal fallen hö- tild Düsing, Sabine Feller, Silvia
man auf kölsch sagt: Klüngeln. Dann
ren, als Prof. Dr. Barbara v. Meibom C.
beantwortete Prof. Dr. Evelyn Korn die
zum Thema Frauen und Macht refe- Groppler, Eva Kuhn und Dr. Barbara
Frage, ob der Klüngel männlich
rierte. Nicht die Übernahme der Mach- Mayer gewählt.
sei
tausübung nach männlichen Mustern, Die Konferenz endete mit Stadtfüh-
und wenn ja warum.
sondern die verantwortungsvolle Mach- rung und Dombesteigung bei sonni-
Im weiteren Tagungsverlauf trai-
gem Wetter, das zur guten Konferenz-
nierten die Teilnehmerinnen in Work- tausübung aufgrund der
stimmung passte. Und so hieß es dann
shops den Umgang mit „Killerphra- eigenen
am Sonnabend für alle in Köln: „Auf
sen", informierten sich bei Vorträgen Persönlichkeit verbunden mit Wert-
Wiedersehen in Braunschweig, aber
zum RVG unter anderem über das Er- schätzung seinem nächsten gegenüber
auf jeden Fall in München!"
folgshonorar oder die Neuerungen der sei der Weg, den sie als Quintessenz
Rechtsprechung bei der Anrechnung ihrer Forschung empfahl. Rechtsanwa¨ltin Heike Br u¨ ning-Tyrell, K o¨ ln
der Geschäftsgebühr. Prof. Dr. Barbara Damit
Die 9. Anwältinnenkonferenz wird anlässlich des
Grunewald berichtete das Neueste zu sprach sie vielen Teilnehmerinnen aus 60. Deutschen Anwaltstags in Braunschweig 2009
den Formen anwaltlicher Zusammen- der Seele. stattfinden. Die Herbsttagung der AG Anwältinnen
arbeit, so wurde rege diskutiert, im nächsten Jahr findet vom 8.10. bis 10.10.2008 in
Es folgte die Mitgliederversamm- München statt.
was lung der AG Anwältinnen inklusive
auf einem Briefbogen stehen darf und Diskussion über den neu gefassten Be-
zu welchen Haftungsproblemen dies schluss zur Beitragsreduzierung für
führen kann. Aber auch die Aktivitäten AnwBl 12 / 2008 849
der AG Anwältinnen, wie das Mento-
ring-Projekt sowie die kollegiale Bera-
tung, welche in Köln erfolgreich ange-
Das neue WEG
MN Aus der Arbeit des DAV
in der Bewährung
Erste Tagung der Arbeits-
gemeinschaft im Ausland
AG Mietrecht und Immobilien Mag. Markus Bulgarini (Wien), der den
Deutsche Anwaltakademie Immobilien
Die Herbsttagung 2008 der Teilnehmern auch Kenntnisse
__________________________________________________________________
_ Anwaltakademie
Arbeits- der
gemeinschaft Mietrecht und österreichischen Rechtsordnung nahe
Dozent zum BGH-Richter
Immobi- brachte und einen Überblick über die
ernannt
lien fand am 25. und 26. Altbaubestandsproblematik in Wien
Stefan Leupertz, Akademie-Dozent September gab. Rechtsanwältin Beate Heilmann
im Baurecht, ist im November 2008 in Salzburg statt. Bei diesem (Berlin) folgte mitaktuell,
triebskostenrecht dem Thema
inkl. Con-
2008 zum Richter am Bundes- Ter- „Be-
tracting".
gerichtshof ernannt worden. Zuvor min gab es gleich zwei Neuerungen: Nach einer kurzen Mittagspause ka-
war Leupertz Richter am OLG zum ersten und voraussichtlich men zwei Vorträge aus Reihen des
Düsseldorf. Er trägt unter anderem ein- Geschäftsführenden Ausschusses der
im Fachanwaltskurs Bau- und Ar- zigem Mal tagte die Arbeitsgemeinschaft; Rechtsanwalt Mi-
chitektenrecht zum Thema „Ab- Arbeitsgemein- chael Drasdo (Neuss) zur „Raumüber-
nahme und Gewährleistung" vor. schaft am Donnerstag und Freitag lassung im Heimrecht und betreuten
an- Wohnen" und Rechtsanwalt Jan-Hen-
Reform der Erbschaftsteuer - statt wie bisher am drik Schmidt (Hamburg) zu den „Ers-
Einigung im Streit Freitag und ten Erfahrungen mit dem
Nach jahrelangem Ringen haben Samstag. Außerdem war die neuen
sich die Spitzen der Koalitionspar- Arbeits- WEG". Dieser sehr engagierten Über-
teien auf die vom Bundesverfas- gemeinschaft zum ersten Mal im blick, welcher durch eine umfangreiche
sungsgericht bis Jahresende ver- Aus- Tagungsunterlage untermauert wurde,
langte Neuregelung der Erbschafts- land, nämlich in Österreich. ermöglichte einen intensiven Erfah-
steuer geeinigt. Bei Zustimmung Trotz oder gerade wegen dieser Beson- rungsaustausch.
des Bundestags und Bundesrats derheiten war die Veranstaltung der Ar- Es folgte das traditionelle Recht-
wird die Reform zum 1. Januar 2009 beitsgemeinschaft gut besucht. Rund sprechungsfenster, mit welchem - ins-
in Kraft treten. Dazu bietet die 175 Rechtsanwältinnen und Rechts- besondere jungen Anwältinnen und
Deutsche Anwaltakademie Fortbil- anwälte trafen sich zum informativen Anwälten die Möglichkeit gegeben wer-
dung an. Nähere Einzelheiten fin- Austausch und Erkenntnisgewinn auf den soll, Vortragserfahrungen
den Sie unter www.anwaltaka der Tagung. zu
demie.de. Nach einer kurzen sammeln und jeweils in ca. 10 bis 15
Begrüßung Minuten ein Urteil aus einem
Fachanwaltslehrgang Agrarrecht durch den Vorsitzenden der Arbeits- be-
ab 2009 gemeinschaft Rechtsanwalt Thomas stimmtem Rechtsgebiet darzustellen. -
Die Satzungsversammlung hat im Hannemann (Karlsruhe) referierte zu- In Salzburg übernahm Rechtsanwältin
November die Einführung des nächst Richter am Bundesverfassungs- Wiebke Först (Neuss) das
Fachanwalts für Agrarrecht be- gericht Prof. Dr. Reinhard Gaier (Karls- Gebiet
schlossen. Die Deutsche Anwalt- ruhe) zu den „Verfassungsrechtlichen Wohnraummietrecht, Rechtsanwalt
akademie wird bereits im Februar Bezügen des Miet- und Wohnungs- Kai-Peter
(München) Breiholdt das (Berlin) das Mark-
Gewerberaummiet-
in Kooperation mit der Deutschen eigentums". lerrecht,
recht. Rechtsanwalt
Gesellschaft für Agrarrecht einen Nach einer kurzen Pause erläuterte Burkhard
Rechtsanwältin Dr. Ira Rechtsanwa¨ltin
Rüscher (München)Dr. Katharina das
Freytag,WEG
Berlin sowie
ersten Lehrgang in Hannover an-
bieten. Hörndler Rechtsanwältin Henrike Butenberg
(München) die „Geschäftsraummiete: Die nächste Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft
Nicht vergessen! Ausbau, Umbau, Rückbau - Mietrecht und Immobilien findet im Rahmen des 60.
Deutschen Anwaltstages am 21. Mai 2009 in
Fachanwälte, die sich in diesem Rege- Braunschweig statt. Dabei handelt es sich um die
Jahr noch zehn Stunden fortbilden lungsbedarf und Gestaltungsmöglich- Frühjahrstagung und die Mitgliederversammlung.
keiten". Informationen dazu gibt Frank Ritter, Deutsche An-
müssen, können bei der walt Akademie, Littenstraße 11, 10179 Berlin, Tel.:
Deut- Letzter Referent vor dem gemein- 0 30/72 61 53-181, Fax: 0 30/72 61 53-188.
schen Anwaltakademie im Dezem- samen Abendessen im Stiftskeller „St.
ber noch Seminare z.buchen.
B. Ange- Peter" im Zentrum von Salzburg war
boten werden im WEG" am
Rechtsprechung Rechtsanwalt Leif Holger Wedekind
„Aktuelle
12. und Dezember 2008 (Lüneburg), welcher die „Aktuellen
13.
München, „Aktuelle Rechtspre- Rechtsentwicklungen im ZVG" thema-
chungsübersicht im Arbeitsrecht" tisierte. Nach dem Abendessen fand
am 13. Dezember 2008 in noch das übliche Kickerturnier statt.
Köln, Sieger dieses Jahres waren nach einem
„Vergaberecht" am 13. Dezember harten Kampf gegen Rechtsanwältin
2008 in Bonn und „Der Look-Steinborn (Krefeld) und Rechts-
Finanz- anwalt Seum (Schwerin) das Team der
gerichtsprozess" am 12. Dezember Rechtsanwälte Feckler (Köln)
2008 in Frankfurt. und
Schweigerer (Bonn).
Informationen zur Deutschen Anwaltakademie
unter www.anwaltakademie.de
Rechtsprechungsfenster
850 AnwBl 12 / 2008 Der Freitagvormittag begann, passend
zum Tagungsort Salzburg, mit einem
„Grundriss des Gewerberaummiet-
rechts in Österreich" von Rechtsanwalt
MN Aus der Arbeit des DAV
sor löst sich historisch so sehr aus der gefügten Ordnung he-
Zu welchem Zweck raus wie der Anwalt. Als Parteivertreter, Strafverteidiger, als
Wirtschaftsrechtler und nicht zuletzt als politischer Partei-
studieren wir die Geschichte gänger steht der Rechtsanwalt weniger auf Seiten der Bewah-
rung als vielmehr auf Seiten der Veränderung. Nicht selten
der Anwaltschaft? ist er ein Revolutionär des Geistes, manchmal auch der Tat.
Die erste zusammenfassende „Geschichte der deutschen In Zeiten der Neugestaltung und des Umbruchs, aber auch
Rechtsanwaltschaft" von Adolf Weißler, Rechtsanwalt und in ruhigem Fahrwasser, ist der Anwalt immer auch ein Ent-
Notar zu Halle an der Saale, beginnt mit einem rührenden decker und Neuerer, der die Mängel der vorhandenen
Appell an seine Berufsgenossen: „Zum ersten Mal, seit es ei- Rechtslage am konkreten Fall erkannt, im einzelnen
nen deutschen Sachwalterstand gibt, wird hier seine das
Ge- Grundsätzliche gesehen und so die Veränderung angestoßen
schichte erzählt. Ich hoffe, den Ansprüchen der zukünftigen hat. Diese Revolutionäre des Geistes und der Tat
Geschichtsschreiber genügt zu haben. Aber vor allem hoffe waren
ich, Euch zu gefallen. Denn für Euch, liebe Brüder, habe ich Rechtsanwälte. und eben nicht in das Korsett des absoluten
geschrieben, an Euch bei jeder Zeile gedacht, von Gesetzesgehorsams gezwängte Richter, Notare oder Staats-
Euch anwälte. Das Spannungsverhältnis zwischen der Statik des
möchte ich gelesen und verstanden werden ... und wenn Gesetzes und der Dynamik des zielorientierten Prozesses hat
noch ein Funken von Liebe zum Beruf in Euch ist, so werdet zu allen Zeiten Persönlichkeiten hervorgebracht, die ihre
Ihr es lesen und lieben oder hassen". Spuren in der Rechts-, in der Justiz-, aber auch in der politi-
Das war vor über 100 Jahren, schön gesagt, aber erwarten schen Geschichte hinterlassen haben. Beispiele für diese
wir heute nicht anderes von einer Geschichte der Anwalt- Wirkungsgeschichte sind: Die Frankfurter Nationalversamm-
schaft? Soll Geschichtsschreibung wirklich gefallen? lung und ihre Rechtsanwälte; der moderne Strafverteidiger
Die Fragestellung ist nicht neu. So ähnlich hat sie nach 1918; die Entwicklung eines eigenständigen Handels-
schon und Wirtschaftsrechts fast ausschließlich aus anwaltlicher
Friedrich Schiller als akademische Antrittsrede am 26.5.1789 Praxis, der Rechtsanwalt in politischen Umbruchzeiten
in Jena formuliert: „Was heißt und zu welchem Ende stu- (1918, 1933, 1945); Rechtsanwälte in SBZ und DDR; und
diert man Universalgeschichte?" Es ist die Grundfrage eines heute: Der Rechtsanwalt in Europa und in der Welt, der Han-
jeden Historikers: Warum befassen wir uns überhaupt mit del und Wandel auf dem Fuße folgt. Bei all dem gilt:
Geschichte? Und noch dazu mit einem mikroskopischen An-
Ausschnitt, der Anwaltsgeschichte, also sowohl der Ge- waltsgeschichte ist Menschen- und daher keine Helden-
schichte der Institution als auch der ihrer Protagonisten. Die geschichte, sondern manchmal sogar die Geschichte von
reiche deutsche Sprache gibt uns darauf eine durchaus ambi- Mißerfolgen und Versagen. Auch diese haben ihren Platz.
valente Antwort. Geschichte kann sein Geschehenes oder Er- Wirkungsgeschichte ist weit mehr als bloßer Beschrieb.
zähltes, Faktum oder Fiktion oder beides zugleich. Sie ist Wertung und damit abhängig vom Standpunkt des
In diesem Gegensatzpaar von Faktum und Fiktion sehen Beobachters. Jede Zeit sieht die Geschichte durch die Brille
wir schon die zwei Grundthesen aufleuchten, die jede Befas- ihrer Gegenwart. Das gilt gewiß auch für die
sung mit Geschichte seit jeher begleitet hat. Anwalts-
Thukydides
führt in seinen peloponnesischen Krieg beschwörend damit „...das unerschöpfliche
ein, daß er nur das berichten will, was wirklich geschehen Neuerungspotential aus dem
ist. Auf der anderen Seite stehen jene scharfzüngigen Beob- Beruf des Rechtsanwalts ..."
achter wie Voltaire, der das bissige, vielleicht sogar zynische
Wort geprägt hat, Geschichtsschreibung sei nur jene Lüge, geschichte. Die Erkenntnis aus 150 Jahren so verstandener
auf die sich die Mehrheit der Historiker geeinigt habe. Da- Anwaltsgeschichte als Motor und Spiegel der
zwischen liegen die vielen Varianten orientierter Sach- Gesamt-
beschreibung, die auf die ambivalente deutsche Wortbedeu- geschichte, als Ausschnitt aus einer europäischen Ideen-
geschichte, zeigt uns den Anwalt viel mehr als andere juristi-
„Nicht selten ist der Anwalt sche Berufe als Anreger, als Neuerer und auch als Kämpfer.
Revolutionär des Geistes, Nicht die verfaßte Anwaltschaft, sondern der individuelle
manchmal auch der Tat." Beitrag einzelner läßt aus vielen Mosaiksteinen das Gesamt-
bild dieser Wirkungsgeschichte entstehen, deren Lehre das
tung zurückverweist, Geschichte und Geschichtsschreibung. unerschöpfliche Neuerungspotential aus dem Beruf des
All das gilt auch für eine Geschichte der Anwaltschaft, die Rechtsanwalts ist. Zu diesem Zweck studieren wir Anwalts-
Prof. Dr. Dr. Norbert Gross, Karlsruhe
naturgemäß weder allgemeine Geschichtsschreibung noch geschichte. Der Autor ist Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof.
bloße Rechtsgeschichte sein kann. Nicht reine Institutionen-
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
geschichte, sondern ein spezieller Ausschnitt der allgemei- autor@anwaltsblatt.de.
nen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, ja sogar der deut-
schen und europäischen Ideengeschichte, ist sie die
Wirkungsgeschichte von Anwälten in einem historischen
Zeitfenster, das in eineinhalb Jahrhunderten den Rechts-
anwalt unserer Epoche als „Schuldner vergangener Jahrhun-
derte" (F. Schiller) hervorgebracht hat.
Vor dem Hintergrund dieser Wirkungsgeschichte ist der
Anwalt ein singulärer Forschungsgegenstand. Kein anderer
852 AnwBl 12 / 2008 Zu welchem Zweck studieren wir die Geschichte der Anwaltschaft?, Gross
juristischer Beruf, nicht Richter, Notar, Staatsanwalt oder
Verwaltungsbeamter, allenfalls noch der Universitätsprofes-
MN Anwaltsgeschichte
Anwaltschaft im Nationalsozialismus: auf der Seite der Freiheit?, Dölemeyer AnwBl 12 / 2008 853
MN Anwaltsgeschichte
25
Am stärksten betroffen war jedoch der Verteidiger Carl Paris unterhalten". Friedrich Wilhelm Foerster, politischer
Thormann, der sogleich ins Schussfeld der Machthaber ge- Ethiker und Erziehungswissenschaftler, bekannt als Publizist
riet. Noch am Tag vor der Urteilsverkündung (20. Dezember und Pazifist, Herausgeber der „Zeit", lebte damals in der
1933) wurde er in Frankfurt verhaftet. Unter Bezug auf die Schweiz und in Frankreich. Weitere Beschuldigungen sollten
Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar Thormanns politische Unzuverlässigkeit erweisen; er wurde
1933 wurde am 2. Januar 1934 Schutzhaft über bezichtigt, „durch diese landesverräterische und staatsfeindli-
18
ihn che Betätigung aber der Verpflichtung seine Berufstätigkeit
verhängt. Da er wegen der Weihnachtsamnestie 1932 straf- gewissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in Au-
rechtlich nicht belangt werden konnte, wurde beim preußi- sübung des Berufs sowie außerhalb desselben, sich der Ach-
schen Innenministerium beantragt, ihn in ein Konzentrati- tung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert, zuwider ge-
onslager einzuweisen. Als besonders wirksam erwies sich handelt zu haben".
aber eine ganz andere Maßnahme, um politisch „unzuverläs- Diese Betätigung bzw. dieses Verhalten wurde als ehren-
sige", d. h. dem Regime missliebige Anwälte zu entfernen: gerichtlich zu ahndendes Vergehen gegen die §§ 28, 62 RAO
26
die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit, die auch der „Selbstrei- qualifiziert. Als Hauptzeugen dienten dem Gericht Mitglie-
nigung" des Standes dienen konnte. der seines Büropersonals. Hier ging es also nur formal um
die anwaltliche Berufsausübung. Die reale Ausübung seines
II. Das Ehrengerichtsverfahren bei der Frankfurter Berufs durch Thormann - die Art und Weise seiner Führung
Anwaltskammer der Verteidigung im Fall Dessauer - war jedoch tatsächlich
der auslösende Faktor für das Ehrengerichtsverfahren.
Die Gleichschaltung der Anwaltskammern und damit der Am 10. März 1934 erließ das „Ehrengericht der Anwalts-
anwaltlichen Ehrengerichtsbarkeit setzte relativ bald nach kammer im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt", präsi-
der Machtübernahme der Nationalsozialisten ein. Schon diert durch den neuen Kammervorsitzenden Leuchs-Mack,
Ende März 1933 waren auch die anwaltlichen Standesorgani- ein Vertretungsverbot. In diesem wurde der wahre Grund
sationen von diesen Maßnahmen betroffen. Die Rechts- immerhin erwähnt: Im Rahmen der Verteidigung des Ange-
anwaltskammer Frankfurt am Main wurde - wie die anderen klagten Dessauer im Kleinen Volksvereinsprozess sei - so
Berufsverbände (etwa auch die Industrie- und Handelskam- heißt es hier - Thormann „... in den Verdacht gekommen,
19
mern) - dem Führerprinzip unterworfen. Bereits am 31. unerlaubte politische Beziehungen zu ausländischen Kreisen
März/1. April 1933 - also vor dem Erlass des Gesetzes betref- zu unterhalten." Die Entscheidung wurde mit Thormanns
20
fend die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft - erzwang eine politischer Einstellung begründet: diese sei derart gewesen,
Verfügung des kommissarischen Justizministers Hanns „dass er aufs schwerste gegen seine Pflichten als deutscher
Kerrl den Gesamtrücktritt des Kammervorstandes: „Mit der Anwalt verstoßen hat und durch sein Verhalten sich keines-
vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte der Anwaltskam- wegs der Achtung würdig gezeigt hat, die sein Beruf erfor-
mern ersuche ich einen Kommissar zu beauftragen, der dert." 27 Das Mittel des Vertretungsverbots bei Einleitung ei-
nach Anhörung der nationalsozialistischen oder sonstigen nes ehrengerichtlichen Verfahrens war erst kurz zuvor, am
21
18. März 1933, durch Änderung der Rechtsanwaltsordnung
nationalen Anwaltsorganisationen zu bestellen ist."
eingeführt worden: „Ist gegen einen Rechtsanwalt im ehren-
Es folgte ein immer stärkeres Eingreifen des Regimes
gerichtlichen Verfahren die öffentliche Klage erhoben, so
und Durchsetzung seiner Ideologie in der täglichen Praxis
kann gegen ihn durch Beschluss des Ehrengerichts ein Ver-
der Berufsausübung. Die Neuwahl des Kammervorstandes
tretungsverbot verhängt werden, wenn zu erwarten ist, dass
nach dem erzwungenen Rücktritt der Vorstandsmitglieder
gegen ihn auf Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft er-
am 22. April 1933 stand unter dem Vorzeichen, „dass der auf 28
Anwaltschaft im Nationalsozialismus: auf der Seite der Freiheit?, Dölemeyer AnwBl 12 / 2008 855
MN Anwaltsgeschichte
Dieses am 18. März 1933 neu in die Rechtsanwaltsord- diktiert und rein geschrieben, aber nicht abgesendet worden
nung eingeführte Vertretungsverbot sollte dann vor allem ist?"
durch das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Aus den Gründen: „Eine standesrechtliche Verfehlung
vom 7. April 1933 zu großer Bedeutung gelangen, durch wel- des Angeklagten konnte in der Einstellung, die er im Jahre
29
ches Anwälten, die „nicht arischer Abstammung" waren, 1931 gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung ein-
die Zulassung entzogen werden konnte, wenn nicht be- nahm, an sich nicht gefunden werden." ... „Frühere Gegner-
30
stimmte Ausnahmegründe vorlagen. Die Justizverwaltung schaft gegenüber dem Nationalsozialismus ist an sich noch
wurde ermächtigt, zunächst Vertretungsverbote für be- keine Standesverfehlung." - Und weiter wird ausgeführt,
stimmte Anwälte zu verhängen, bis über die Zurücknahme dass lediglich die innere Gesinnung nicht Gegenstand ehren-
31
der Zulassung entschieden war. In Preußen geschah dies gerichtlicher Würdigung sein könne, dass aber die Betäti-
durch Verordnung des Justizministeriums vom 25. April gung der Gesinnung, etwa die Verbindung Thormanns mit
1933, welche die OLG-Präsidenten aufforderte, eine Liste der- (dem im Ausland lebenden) Professor Friedrich Wilhelm
jenigen Anwälte aufzustellen, für die die Rücknahme der Zu- Foerster, der des „literarischen Landesverrats" bezichtigt
32
Demgemäß wurden die Ver- wurde, als „Verfehlung gegen die Standespflichten" gesehen
lassung zu überprüfen wäre.
Zulassung eingeleitet und und qualifiziert sei; dies führte dazu, dass ihm die Fähigkeit,
fahren auf Rücknahme
gleichzeitig Vertretungsverbote erlassen. 33 „Organ der Rechtspflege" zu sein, abgesprochen wurde.
der
Die Berufung war verworfen, die Strafe der „Ausschlie-
II.2. Ausschließung aus der Anwaltschaft ßung aus der Anwaltschaft" war damit besiegelt, die wirt-
Gegen das Vertretungsverbot legte Thormann Beschwerde schaftliche Lebensgrundlage vernichtet. Carl Thormann starb
ein. Das Ehrengericht der Anwaltskammer Frankfurt kam am 28. Januar 1935 durch Herzversagen infolge der Auf-
am 14.7.1934 zu seinem Urteil: Gegen Thormann wurde die regungen um die ungerechte Verurteilung.
Höchststrafe, die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft
34
verhängt. Die Begründung stützte sich vor allem auf den
IV. Die „Rehabilitierung"
Vorwurf landesverräterischer Betätigung, insbesondere
wurde die Verbindung mit ausländischen „Pazifisten" an- In den 1990er Jahren bemühte sich der Sohn Carl Thor-
geführt. Aus den Briefen des Anwalts schloss man auf seine manns (damals über 80) um eine „Rehabilitierung", d. h.
„unüberbietbare Gehässigkeit gegenüber der nationalsozialis- Aufhebung des Ehrengerichtsurteils. Er hatte nämlich erfah-
tischen Bewegung." Ein Hauptvorwurf gegen ihn lautete: „Er ren, dass die Universität Frankfurt 1995 die Aberkennung
hat seinen Angestellten gegenüber die Franzosen als Gentle- von Doktorgraden aus der NS-Zeit annulliert hatte (darunter
38
men bezeichnet, offenbar mit dem niedrigen Gedanken, den von Werner Thormann) und befand sich in dem naiven
dass die Deutschen dies nicht seien." Die Urteilsbegründung Glauben, das „Bemühen um allgemeine Annullierung von
gipfelte in den Worten, „...dass er undeutsch gedacht hat, Unrechtsmaßnahmen" auch bei anderen Institutionen anzu-
noch undeutsch denkt und aller Voraussicht nach immer un- treffen. Sollte es nicht gerecht sein, analog Unrechtsentschei-
deutsch denken wird." dungen der Ehrengerichtsbarkeit zu annullieren? - so dachte
der Sohn (Nichtjurist) und begab sich unter die Juristen.
Große Kompetenz-Schwierigkeiten waren zu überwinden.
III. Urteil des Ehrengerichtshofs der Reichs-Rechts- Wer war zuständig? Die heutige Frankfurter Anwaltskam-
anwaltskammer mer? Der Hessische Anwaltsgerichtshof? Das Hessische Jus-
tizministerium? Die Entscheidung wurde zwar im Brief-
Damit war die Angelegenheit aber noch nicht beendet, denn
Thormann legte gegen das Ausschließungsurteil des Ehren-
gerichts Berufung ein, die zur Verhandlung vor dem Ehren-
gerichtshof der Reichs-Rechtsanwaltskammer kam. Der
Frankfurter Anwaltskammer- und Ehrengerichts-Vorsitzende
29 Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und sonstige Angelegenheiten
Maximilian Leuchs-Mack hatte inzwischen weiter Karriere der Rechtsanwälte vom 7.4.1933 (RGBl I, S. 188). Zum Begriff der nicht arischen
Abstammung: 1. DVO zum Berufsbeamtengesetz, vom 11.4.1933. Siehe auch
gemacht, im August 1934 war er in den am 2. Juli 1934 kon- Glöckler, Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft insbesondere seit 1933, Diss. jur.
stituierten Ehrengerichtshof bei der Reichs-Rechtsanwalts- Tübingen 1937, S. 20 ff.
35 30 „Altanwälte" (Zulassung vor dem 1.8.1914) und „Frontkämpferanwälte" (Kriegs-
kammer berufen worden. Thormann versuchte zwar ver- dienst als Frontkämpfer, „Heldentod" eines Vaters oder Sohnes).
zweifelt, noch vor der Verhandlung einen 31 Gesetz 7.4.1933 (Anm. 29), § 4: analoge Anwendung der Vorschriften über das
36
kurz
Anwaltskollegen als Vertreter seiner Sache zu gewinnen. Vertretungsverbot der VO vom 18.3.1933 (Anm. 28), § 91 b, Abs. 2-4.
32 JMBl. 1933, S. 127.
Dies gelang ihm aber nicht, es fand sich kein Verteidiger des 33 Vgl. dazu Dölemeyer, Frankfurter Anwaltschaft (Anm. 1), S. 68-75.
Verteidigers. Das Urteil des Ehrengerichts der Anwaltskam- 34 Urteil 14.7.1934, Handakte Thormann (Anm. 18), S. 175.
mer Frankfurt wurde durch den Ehrengerichtshof 35 HHStAW Abt. 458, Nr. 973: Schreiben des Vorstands der Anwaltskammer Frank-
furt am Main an OLG-Präsident vom 26.9.1934: Leuchs-Mack teilt mit, dass er
der vom Präsidenten der Reichs-Rechtsanwaltskammer in den Ehrengerichtshof der
37
Reichs-Rechtsanwalts-Kammer am 19. Dezember 1934 bestä- RRAK berufen wurde; kann deshalb den Vorsitz des Ehrengerichts der Anwalts-
kammer Frankfurt am Main nicht mehr ausüben, statt seiner RA und Notar Dr. Rei-
tigt: Dessen Leitsatz lautete: „Wie ist heute das Verhalten ei- chard. Die anwaltlichen Mitglieder des Ehrengerichtshofs wurden jeweils auf ein
Jahr vom Präsidium der Reichs-Rechtsanwalts-Kammer bestimmt (§ 90 RAO von
nes Anwalts zu beurteilen, der im Jahre 1931 einen politi- 1879 i. d. F. vom 1.5.1934); vgl. Entscheidungen des Ehrengerichtshofs für deut-
schen Briefwechsel mit einem im Ausland sche Rechtsanwälte in Leipzig und des Ehrengerichtshofs bei der Reichs-Rechts-
anwalts-Kammer Band 28, 1934 (= NF 1), Berlin 1935, S. 4.
lebenden 36 Schreiben an RA Carl Falk, 14.12.1934, 16.12.1934 zwecks Vertretung, Handakte
bekannten deutschen ,Pazifisten' unterhielt, dessen landes- Thormann (Anm. 18), S. 198 ff.
verräterische literarische Tätigkeit dem Anwalte im wesentli- 37 Entscheidungen (Anm. 35), S. 231 ff.
38 Die Universität Frankfurt hat bereits 1995 die Rehabilitierung vorgenommen, in-
chen bekannt war? Inwiefern ist es dabei standesrechtlich dem die Aberkennung der Doktorgrade annulliert wurde; vgl. Frankfurter Rund-
von Bedeutung, dass der Anwalt sich in diesen Briefen als schau 18.7.1995.
wechsel mehrfach als „Unrechtsurteil" bezeichnet, man sah schwer gebeugt hatte und dessen Integrität vor und nachher
sich jedoch zunächst außerstande, eine analoge Anwendung niemand anzuzweifeln gewagt hatte."
der Bestimmungen des Gesetzes zur Wiedergutmachung na-
39
tionalsozialistischen Unrechts von 1946 zu befürworten:
„Ein Bedürfnis zur Aufrollung von alten Fällen wird grund- V. Analyse
sätzlich verneint". Doch die Hartnäckigkeit des Sohnes
V.1. Vom freien Anwalt zum „Rechtswahrer"
siegte: Das „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer
Die Rechtsanwaltsordnung wurde ab 1933 kontinuierlich
Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege" vom 25. August
1998
40
- analog auf die Ehrengerichtsurteile gegen Anwalt modifiziert: Als Spitze der Kammerorganisation wurde am
22. März 43
die Reichs-Rechtsanwaltskammer (RRAK)
Carl Thormann angewandt - führte zur förmlichen
1933
geschaffen, in ihren Funktionen bereits 1934 aufgewertet
Auf-
hebung. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft bei dem und diente seitdem als Instrument zur Gleichschaltung der
Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 25. Januar 1999 Anwaltschaft. Ab Juli 1934 wurde ihr die Ehrengerichtsbar-
hatte folgenden Wortlaut: keit in zweiter Instanz übertragen und damit aus der Zustän-
44
„In dem ehrengerichtlichen Verfahren gegen den Rechts- digkeit des Reichsgerichts gelöst. Damit war einerseits -
anwalt Carl Thormann in Frankfurt am Main wird auf An- nach außen - ein alter Wunsch der Anwaltschaft erfüllt, an-
trag des Herrn Franz-Joseph Thormann, Sohn des verstorbe- dererseits konnten parteinahe Persönlichkeiten eindringen
nen Rechtsanwalts Carl Thormann festgestellt, dass die und dadurch wurde Linientreue im Rahmen einer pervertier-
Urteile des Ehrengerichts der Anwaltskammer im Bezirk des ten „Selbstverwaltung" gewährleistet. Das Präsidium der
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14.7.1934 (EV Reichs-Rechtsanwaltskammer bestimmte nämlich die an-
1/34) und des Ehrengerichtshofs für deutsche Rechtsanwälte waltlichen Mitglieder des Ehrengerichtshofs. Weitere Ände-
in Leipzig vom 19.12.1934 (G 154/34) analog dem Gesetz zur rungen der Rechtsanwaltsordnung, die nicht nur von der
Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Frankfurter Kammer als „das große Gesetzgebungswerk" der
Strafrechtspflege
sind." (NS-AufhG) vom 25.8.1998 aufgehoben Regierung Hitler begrüßt wurden, lieferten die Mittel zur
41
verstärkten Disziplinierung der Anwälte: Neu eingeführt
Der Sohn, inzwischen verstorben, hat also die Rehabilitie- wurde das Vertretungsverbot der §§ 91 a-e, das bereits bei
rung des Vaters doch noch erlebt. Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens verhängt
Ein Zitat aus der Autobiographie des 1933 „gewählten"
42
Kammer-
Leuchs-Mack und soll inEhrengerichts-Vorsitzenden
diesem Zusammenhang nichtMaximilian
fehlen: 39 Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechts-
pflege, 29.5.1946.
Leuchs-Mack beantragte 1946 die Wiederzulassung 40 BGBl. 1998 I, S. 2501 ff.
Rechtsanwalt. Die als zuständigen Stellen äußerten sich ableh- 41 Mitt. der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main 1/1999: Aufhebung des Un-
rechtsurteils gegen RA Carl Thormann; Dölemeyer, Selbst ins Schußfeld der
nend. Es folgte ein ehrengerichtliches Verfahren gegen den Machthaber geraten. Späte Rehabilitierung des Verteidigers Carl Thormann, in:
„aktiven und überzeugten Nationalsozialisten", das dieser FAZ 5.5.1999, S. 63.
seinerseits als ungerecht empfand: „Es war der Höhepunkt 42 1878-1971. Seit 1.3.1932 Mitglied der NSDAP. Autobiographie: Institut für Stadt-
geschichte Frankfurt am Main, S5/518; für die Informationen danke ich Herrn Dr.
einer Groteske sondersgleichen, dass ich, einst höchster Eh- Andreas Hansert, Frankfurt am Main.
43 Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Finan-
renrichter, mich nun selbst vor dieser Institution zu verant- zen, der Wirtschaft und der Rechtspflege, RGBl. 1933 I, S. 109 ff., hier S. 119 ff.
worten hatte. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft warf mir 44 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Ehrengerichtsbarkeit der Rechts-
anwaltschaft, 28.3.1934, RGBl. 1934 I, S. 252; Ehrengerichtshof bei der RRAK
Rechtsbeugung vor, mir, demgegenüber man das Recht so konstituiert am 2.7.1934; Entscheidungen (Anm. 35) 28, 1934, S. 3 (Vorwort).
werden konnte und dem so Belangten die wirtschaftliche politischen) Zuverlässigkeit, Vorschaltung des Probe- und
Existenz nahm. Hauptanwendungsfall der Vertretungsver- Anwärterdienstes, der allein vom Reichsjustizministerium
bote war freilich - in der Folge des Gesetzes vom 7. gesteuert war, etc. war der Anspruch auf Zulassung endgül-
April tig beseitigt und die Rückkehr zu Prinzipien des Obrigkeits-
1933 über die Zulassung zur Anwaltschaft - die Ausschal- staates, wie sie vor 1878 geherrscht hatten, vollendet. 51 Die
tung „nicht arischer" bzw. „kommunistischer" Rechts- Einordnung in das System brachte der Rechtsanwaltseid
anwälte. Diese Bestimmung wurde in der Folge auch häufig zum Ausdruck: „Ich schwöre, dem Führer des Deutschen
in Fällen „politischer Unzuverlässigkeit" oder anderer Ver- Reiches und Volkes Adolf Hitler Treue zu halten und die
haltensweisen, die im Widerspruch zur nationalsozialisti- Pflichten eines Deutschen Rechtsanwalts gewissenhaft zu
schen Ideologie standen,wurde
Zuverlässigkeit angewandt. Die verbis
expressis Prüfung zu
der politi-
einem erfüllen, so wahr mir Gott helfe". 52
wichtigen Zulassungskriterium. Die Änderungen des Anwaltsrechts, die seit 1933 in kur-
Denn bereits durch Verordnung vom 24. April 1933 ord- zer Folge erlassen wurden, schnürten die Bewegungsfreiheit
nete der Reichskommissar für die preußische Justizverwal- sukzessive ein und markierten den Weg „vom Rechtsanwalt
tung, Hanns Kerrl, eine „Nachprüfung" für Nachwuchsjuris- zum Rechtswahrer". Großteils waren es gesetzliche Maßnah-
ten an, die nach der Staatsprüfung zur Rechtsanwaltschaft men, die einen freien Beruf in ein „Organ der Rechtspflege"
zugelassen (oder zu Gerichtsassessoren ernannt) werden umfunktionierten. Der Anwalt wird nicht mehr als Ausüben-
wollten, wobei zunehmend außerfachliche Gesichtspunkte der eines „freien Gewerbes" angesehen, sondern er hat Teil
relevant wurden. „Unter den Anwärtern auf das Amt eines am sog. „Dienst am Recht". 53
Das brachte eine noch stärkere
Richters, Staatsanwalts, Rechtsanwalts oder Notars Zugriffsmöglichkeit des Staats sowohl auf die Personen als
soll auch auf die Institutionen. Der angestrebten Gesamterfas-
künftig im Rahme der Reichsgesetze eine Auslese nicht nur sung der Persönlichkeit und ihrer politischen Einstellung an-
unter dem Gesichtspunkt intellektueller Befähigung und lässlich der Zulassung und Ausschließung entspricht die
technischer Schulung, sondern auch auf Grund einer Beur- Tendenz der Durchsetzung der Institutionen mit ideologisch
teilung der Persönlichkeit als bewußtes Gliedes des Volks-
45
„zuverlässigen" Elementen.
ganzen getroffen werden." Diese Gesamterfassung der Persönlichkeit wurde beson-
Diese „Nachprüfung" 46
durch einen allein vom Justiz- ders von den Vertretern der Anwaltschaft, die sich in der
minister bestimmten Ausschuss, gegen dessen Entscheid es Reichsfachgruppe Rechtsanwälte im Bund Nationalsozialisti-
keine Beschwerde gab und bei der „Volksverbundenheit,
47
so- scher Deutscher Juristen (später Rechtswahrerbund) beson-
ziales Einfühlungsvermögen, Verständnis für die gesamte ders für die Einführung der Generalklausel des § 4
völkische Entwicklung ..." zu bewerten waren, wurde in der der
Folge durch die Einführung des Probe- und des Anwärter- Reichs-Rechtsanwaltsordnung von 1936 einsetzten, propa-
dienstes ausgebaut, der neben der Gesinnungsprüfung vor giert. Danach war bei der Zulassung die Persönlichkeit des
allem den Zweck hatte, die Zulassungszahl sozusagen zu Antragstellers zu beurteilen, wenn es darum ging, eine Prog-
„strecken". Die Begründung, es gäbe bereits mehr Anwälte nose „für zuverlässige Berufsausübung und gewissenhafte
„als einer geordneten Rechtspflege dienlich ist", ist ein im- Erfüllung der anwaltlichen Standespflichten" zu erstellen.
mer wiederkehrendes Motiv. Nicht nur in den offiziellen Organen wie „Deutsche Justiz"
Das Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung etc. wurde diese Bestimmung begrüßt, auch juristische Dis-
vom 20. Dezember 1934 formulierte die Voraussetzungen sertationen der Zeit folgten stromlinienförmig dieser Auffas-
der Versagung der Zulassung neu: „... wenn die Persönlich- sung und lobten die Möglichkeit, „... Anwärter von der An-
keit des Antragstellers nach seinem bisherigen Verhalten waltschaft fern zu halten, die ein asoziales, volks-
keine Gewähr für zuverlässige Berufsausübung und gewis- und
tet ...". Die
senhafte Generalklausel
Erfüllung schlug eineStandespflichten
der anwaltlichen weitere Bresche bie-
in
48
staatsfeindliches Verhalten an den Tag gelegt und es sich
hierdurch unmöglich gemacht haben, die Ehrenstellung ei-
die freie Advokatur, ihre Auslegung ermöglichte die Aus-
nes deutschen Rechtsanwalts und Organs der Rechtspflege
schaltung politisch missliebiger Anwärter. Personalfragebo- 54
gen - insbesondere für die Bewerber auf Übernahme in den im Dritten Reich zu bekleiden."
Probedienst - wurden eingeführt, die auch Fragen zur frühe- Festzuhalten ist, dass es vor allem Anfang und Ende
ren Zugehörigkeit zu politischen Parteien und Verbänden der
49
(Reichsbanner, Liga für Menschenrechte, Republikanischer Berufsausübung - Zulassung zur und Ausschluss von der
Richterbund) sowie zu Freimaurerlogen enthielten. Die „po- Anwaltschaft - waren, an denen diese Steuerung ansetzte.
litische Beurteilung" als Werturteil über weltanschauliche Dabei wurde für die Zulassung zum Beruf der direkte Zu-
Einstellung und charakterliche Haltung eines Betroffenen er-
45 Ausführungsverordnungen des preußischen Justizministeriums vom 24.4.1933,
hielt dadurch für die Rechtspflege - ebenso wie in vielen wei- JMBl. 1933, S. 130 und 10.5.1933, JMBl. 1933, S. 142; vgl. Krach, Preußen (Anm.
teren Bereichen des gesellschaftlichen und staatlichen Le- 21), S. 212. Dazu allgemein: Rebentisch, Die „politische Beurteilung" als Herr-
schaftsinstrument der NSDAP, in: Die Reihen fast geschlossen. Beiträge zur Ge-
bens - einen 50 sehr hohen Stellenwert. Die Herrschaft des schichte des Alltags unterm Nationalsozialismus, Wuppertal 1981, S. 107 ff., bes.
gegenwärtig.
Fragebogens, nicht nur bei Personalentscheidungen, war all- S. 113 ff.
46 Ausführungsverordnung 10.5.1933 (Anm. 45), S. 142.
V.2. Politische Zuverlässigkeit als Zulassungs- und 47 Ausführungsverordnung 24.4.1933 (Anm. 45), S. 130.
48 RGBl. 1934 I/2, S. 1258.
Ausschluss-Kriterium
49 Fragebogen über den Nachweis der deutschblütigen Abstammung, der politischen
Die neue Reichs-Rechtsanwaltsordnung von 1936 verstärkte Haltung, des Kriegsdienstes und des Dienstes bei der Wehrmacht, Exemplare
u. a. in: HHStAW Abt. 460, Nr. 591, Nr. 594. Für die Rechtsanwaltskammer
die Stellung der Reichs-Rechtsanwaltskammer und formu- München vgl. Heinrich, 100 Jahre Rechtsanwaltskammer München, München
1979, S. 113 ff.
lierte alle Disziplinierungsmittel aus: durch Numerus clau-
50 Rebentisch, Politische Beurteilung (Anm. 45), S. 109 f.
sus, Zulassung nach dem Prinzip der persönlichen (partei- 51 Zweites Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung, 13.12.1935, RGBl. 1935
I, S. 1470 ff.; Einzelheiten bei Ostler, Rechtsanwälte (Anm. 28), S. 259 ff.
52 § 19 Reichs-Rechtsanwaltsordnung 21.2.1936, RGBl. 1936 I, S. 107 ff.
858 AnwBl 12 / 2008 53Anwaltschaft
Präambel desimGesetzes
Nationalsozialismus:
vom 13.12.1935auf der
(Anm. 51).Seite der Freiheit?, Dölemeyer
54 Glöckler, Zulassung (Anm. 29), S. 28, vgl. auch S. 53.
MN Anwaltsgeschichte
griff seit 1933 in erster Linie durch die vom Reichsjustiz- Ausschließung ihrer Kollegen die selben, strikteren Prüf-
ministerium kontrollierten Prüfungen, seit 1936 durch maßstäbe politisch-ideologischer Gleichschaltung anwende-
Probe- und Anwärterdienste ausgeübt, während die Macht- ten, die die Justizbehörden seit 1933 für den Eintritt in
haber für die Kontrolle über die Beendigung der Anwalts- den
tätigkeit zunächst auf die willige Mithilfe der „Standesvertre- Berufsstand anlegten.
tung" durch ehrengerichtliches Berufsverbot setzte.
Andere Aspekte der Zulassung, etwa die VI. Schluss
erwähnte
Zusammenfassend sei der Ablauf im Fall Thormann folgen-
„Überfüllung des Standes", die bis Ende 1935 noch der Kon-
dermaßen charakterisiert:
trolle der Standesgerichtsbarkeit unterlagen, da ein Anwalts-
1. Ausgehend von einem „normalen" Anklagepunkt wer-
Aspirant gegen die Nichtzulassung beim Ehrengericht
den vor allem die politische Meinung und Haltung des Ange-
Beschwerde einlegen konnte, wurden durch die Reichs-
klagten in Betracht gezogen. 2. Die politische Missliebigkeit
Rechtsanwaltsordnung von 1936 ebenfalls allein dem Reichs-
des Verteidigten wird auf den Verteidiger bzw. dessen Vertei-
justizministerium unterstellt. Hier ging es um die eigenen fi-
digungsstrategie übertragen. 3. Bei Unmöglichkeit einer
nanziellen Interessen des Standes, wie dies in strafrechtlichen Belangung des Anwalts kommt das Mittel
einem der Ehrengerichtsbarkeit zur Anwendung.
55
Schreiben des Deutschen Anwaltvereins an den Reichsjustiz- Da sich die Standesorganisation bereits im Prozess des
minister zum Ausdruck kommt, das verlangt, der „unerträg- „Gleichgeschaltetwerdens" befindet, resultiert daraus eine
liche Zulauf zur Anwaltschaft" solle gehemmt werden. Der zwar angeordnete, doch schnell akzeptierte „Selbstreinigung"
Deutsche Anwaltverein und die Vereinigung der Vorstände des Standes: Der Anwalt wird für etwas bestraft, das für den
der Anwaltskammern beklagten die Notlage der Anwalt- Mandanten nicht zum Schuldspruch geführt hat. Der An-
schaft und beantragten Maßnahmen gegen „Proletarisie- walt, dem man an der Führung der Verteidigung
rung" (Wartezeit für jüngere Rechtsanwälte vor der Zulas- selbst
beamte).
sung; Einschränkung bzw. Beseitigung
Letzteres Problem wurde auch inder Zuweisung
der Folge immer von nichts ankreiden kann, wird stellvertretend für eine private
Armensachen an junge Anwälte und an frühere Ruhestands- Verbindung zu einem als „Landesverräter" Bezeichneten
56
bestraft, die mit der Berufsausübung nichts zu tun hat. Hier
wieder diskutiert und gab Anlass zu zahlreichen ehrenge- zeigt sich wieder die perfide Taktik der Verantwortlichen, ge-
richtlichen Zulassungsverfahren. Durch die Diskussionen setzliche und Verwaltungsmaßnahmen, die Freiheit und
über die zu hohen Anwaltszahlen war für solche Maßnah- Menschenwürde bestimmter Gruppen einschränken und
men bereits der Boden bereitet bzw. ein Klima geschaffen, in schließlich vernichten, ganz allmählich, pseudolegal und
dem die Frage, wer bei „Überfüllung" des Standes ausschei- zum Teil unter verschleiernden Bezeichnungen einzuführen.
den müsse, von den neuen Machthabern leicht in ihrem Den Faktoren, die die Selbstorganisation eines freien Berufs
Sinne beeinflusst und entschieden werden konnte. Ein star- unterhöhlen, wie Gleichschaltung, Führerprinzip und Ge-
ker Widerstand aus der Anwaltschaft gegen Ausschaltung be- meinschaftsideologie werden dabei seitens der Standesgenos-
stimmter Gruppen (Juden, Frauen) war demnach nicht zu sen kaum Widerstände entgegengesetzt, sie werden vielmehr
erwarten. Mit dem durch die neue Reichs-Rechtsanwaltsord- bereitwillig und frühzeitig akzeptiert und umgesetzt.
nung von 1936 geschaffenen numerus clausus wurde wirt-
schaftliche Sicherung durch totale Kontrolle erkauft, so dass
die Zulassung im reinen, nicht nachprüfbaren Ermessen des
Staates stand. Das war das Ende der freien Advokatur. Damit
wurde allerdings
gerichte" bereits seitnur
1933eine
in diePraxis gesetzlich
Wege geleitet hatte.sanktioniert, die
die „neue nationalsozialistische Rechtsprechung der Ehren-
57
Justus Möser (1720-1794) zeichnet sich in der deutschen * Der Text folgt der Vorstellung des vom Verfasser herausgegebenen Aufsatzban-
des Vom Ursprung der anwaltlichen Selbstverwaltung. Justus Möser und die Advoka-
Geistesgeschichte dadurch aus, dass er Theorie und Praxis, tur vor der historischen Osnabrücker Landschaft im November 2007 in Fürste-
Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung, politische Klug- nau. Der Dank für die Einladung zu dieser Veranstaltung geht an Herrn
Erblanddrost Dr. Ludwig von Bar.
heit und strategische Beratung miteinander verband. Seine 1 Einen umfassenden Überblick zu Mösers literarischem und rechtsberatendem
Umsetzung juristischen Wissens bei der Gesetzgebung, in Schaffen liefert Welker, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik. Justus Möser als Jurist
und Staatsmann, 1996. Eine Textauswahl bietet Welker (Hrsg.), Justus Möser, Po-
der Verwaltung wie im forensischen Alltag ist in Umfang litische und juristische Schriften, 2001. Mösers Sämtliche Werke, hrsg. von der Aka-
1
demie der Wissenschaften in Göttingen, erschienen zwischen 1943 und 1990 in
und Wirkung einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte. 16 Bänden, sein Briefwechsel gaben Sheldon u. a. 1992 heraus. Eine Möser-Bi-
Die bisherige Forschung hat sich auf Mösers Bedeutung bliographie publizierte Woesler 1997. Sie wird ergänzt und fortgesetzt von Martin
2 Siemsen. Als Periodikum für Forschungsbeiträge erscheint seit 1989 das Möser-
als Staatsdenker konzentriert. Entsprechend standen seine Forum. Eine erste Einführung in das Leben und Werk findet sich u. d. T. „Justus
Möser. Advokat, Berater der Landstände, Regierungsmitarbeiter in Rückert, Vort-
amtliche Einbindung und die damit unmittelbar verbundene mann u. a., Niedersächsische Juristen, 2003, 64-73. Rechtstheoretische Leistun-
3 gen Mösers erarbeitete Schröder, Justus Möser als Jurist, 1986. Ein Forschung-
Publizistik im Vordergrund. Das Interesse an Mösers Beiträ- süberblick veröffentlicht demnächst Maaser in der Historischen Zeitschrift.
2 Schröder, Justus Möser, in: Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhun-
dert, 2. Aufl. 1987, 294-309; Link, Justus Möser als Staatsdenker, in: Möser-Forum
2 (1994), 21-45; Welker, Justus Möser, in: Voigt, Weiß (Hrsg.), Handbuch Staats-
denker (im Erscheinen).
3 Diesem schwierigen Ansatz folgt die unveröffentliche Dissertation von Dahmen,
Der Publizist und der Staat im 18. Jahrhundert. Justus Mösers Reflexion der Verord-
nungs- und Mandatspolitik des Fürstentums Osnabrück, 1997; kritisch dazu Welker
in: Osnabrücker Mitteilungen 104 (1999), 321-323. Exemplarisch: Rudersdorf,
,,Das Glück der Bettler". Justus Möser und die Welt der Armen, 1995. Zur Komple-
mentarität zwischen Mösers politischem Ehrgeiz und seinen publizistischen Be-
mühungen Welker, Das Scheitern Mösers an den Osnabrücker Landständen, in:
Möser-Forum 3 (2001), 305-317.
4 Zuletzt dazu: Woesler, Justus Mösers „Patriotische Phantasien", in: Simmler (Hrsg.),
Textsorten deutscher Prosa vom 12./13. bis 18. Jahrhundert und ihre Merkmale,
2002, 643-662. Ottilie J.J. Domack, Vorarbeit für eine historisch-kritische Ausgabe
der Patriotischen Phantasien von Justus Möser. Editionsmodell demonstriert an zehn
Phantasien, 2004. Aus rechtshistorischer Sicht: Welker, Rechtsgeschichte als
Rechtspolitik (Fn. 1), 435-505.
5 Dazu die Würdigungen von Maurer in: Reinhardt (Hrsg.), Hauptwerke der Ge-
schichtsschreibung, 1997, 443-446 und Welker in Hoops, Reallexikon der Germa-
nischen Altertumskunde, 2. Aufl., 20. Bd., 2002, 140 f. Noch immer unentbehrlich:
Schmidt, Studien über Justus Möser als Historiker. Zur Genese und Struktur der his-
torischen Methode Justus Mösers, 1975. Aus rechtshistorischer Sicht: Rückert, Jus-
tus Möser als Historiker, in: Möser-Forum 2 (1994), 47-67. Überwiegend kritisch
gegenüber einer nachhaltigen Wirkung von Mösers Geschichtsschreibung: Vogt-
herr, Justus Möser und die moderne Geschichtswissenschaft. Von der Antiquiertheit
eines Modernen, in: Möser-Forum 4 (im Erscheinen).
6 Bahnbrechend hierfür der Aufsatz von Renger, Justus Mösers amtlicher Wirkungs-
kreis. Zu seiner Bedeutung für Mösers Schaffen, in: Osnabrücker Mitteilungen 77
(1970), 1-30. Demnächst zum selben Thema: Welker, Möser als Gesetzgeber, in:
Möser-Forum 4. Umrisshaft zum Ausmaß von Mösers regierungsamtlicher Bera-
tung Welker, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik (Fn.1), vor allem 577-580,
668-682 und 809-955.
7 Welker, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik (Fn. 1), 740-754. Demnächst mit einer
neuen Akzentuierung: Harding, Im Dienste des Adels. Der Syndikus Justus Möser
und die Osnabrücker Ritterschaft, in: Möser-Forum 4.
860 AnwBl 12 / 2008 Justus Möser und die anwaltliche Selbstverwaltung, Welker
MN Anwaltsgeschichte
Mit einer überlebensgroßen Statur erinnert Osnabrück an Justus Möser. Das Denkmal
auf dem Platz der Großen Domsfreiheit wurde 1836 enthüllt.
II.
War Möser in Osnabrück insofern ein geschätzter und ge- Riegel vorzuschieben. Sie forderten, dass die beim Gericht
fragter Rechtsgelehrter, dem die Landstände die Vertretung eingereichten Schriftsätze vom Verfasser unterzeichnet wer-
ihrer Interessen im Siebenjährigen Krieg freizügig überlie- den mussten. 15 Die Möglichkeit einer Umgehung dieser Be-
ßen, den die Regierung hernach insgeheim als Konsulenten stimmung lag jedoch auf der Hand. Für einen Advokaten
beanspruchte und der als Gesprächspartner bei der Erörte- konnten andere im Hintergrund mitarbeiten und ihre Arbei-
rung juristischer Zweifelsfragen Ansehen genoss, kam es für ten von diesem gegenzeichnen lassen. Jedenfalls ergab sich
ihn nicht mehr darauf an, förmlich als Advokat aufzutreten.
Wie schon sein Vater hatte sich Möser in Osnabrück bereits
10 Sheldon, Die Briefe der Johanna Friederika von Bar an Justus Möser. Zur ,Bürgerlich-
früh einen Namen als Jurist gemacht. Unter den Advokaten keit' einer adligen Frau. Eine Fallstudie, in: Möser-Forum 1 (1989), 139-155; Welker,
nahm er eine herausragende Stellung ein. So ließ ihn 1747, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik (Fn. 1), 956-970; v. d. Heuvel, Amt und Kredit:
Justus Möser als Kreditgeber des Osnabrücker Adels, in: Schlumbohm (Hrsg.),
den 27jährigen Advocatus patriae, der Kurfürst Clemens Au- Soziale Praxis des Kredits. 16.-20. Jahrhundert, 2007, 81-97.
gust fragen, ob die Zahl der Advokaten in Osnabrück be- 11 Welker, Johann Wilhelm Riedesel Freiherr zu Eisenbach als Geheimer Rat in Osna-
brück (1772 bis 1780), in: Osnabrücker Mitteilungen 95 (1990), 107-128, 125 f. Zu
schränkt werden solle. 14 Möser hatte also schon damals über Riedesel ferner: Ders., Johann Wilhelm Riedesel zu Eisenbach. Zur Persönlichkeit
seine Berufskollegen zu befinden. eines Reichskammergerichtsassessors, in: Baumann u. a. (Hrsg.), Reichspersonal.
Funktionsträger für Kaiser und Reich, 2003, 199-207.
In seinem Gutachten gab er allerdings nicht der hohen 12 Bereits als Student spielte Möser mit dem Gedanken, eine Arbeit über die weibli-
Zahl der Advokaten die Schuld an dem besonders auf dem che Lehnfolge in Osnabrück zu schreiben, Möser, Briefwechsel (Fn. 1), Nr. 5 und
Nr. 6, 8 ff (Brief Mösers an Unbekannt vom 23.6.1743 und von Johann Zacharias
Land auftretenden übermäßigen Prozessieren, sondern Möser [Vater] vom 18.6.1743). Auch wenn daraus keine Dissertation entstand, be-
schäftigte ihn die Problematik ein Leben lang. Dazu: Oestmann, „Wahre deutsche
machte dafür die Neigung der Grundherren, sich auf aben- Denkungsart" - Justus Möser und die erbrechtliche Benachteiligung von Frauen, in:
teuerliche Gerichtsverfahren einzulassen, verantwortlich. Für ZRG Germ 121 (2004) S. 283-312; v. Friedeburg, Vaterland, Verdienst und Adel -
Probleme der Diskussion im Reich rund um Justus Mösers Vorschlag „Warum bildet
Möser förderte die Konkurrenz der Advokaten untereinander sich der Deutsche Adel nicht nach dem Englischen", in: Möser-Forum 4 (im Erschei-
grundsätzlich die Qualität der Rechtsberatung. Ein Verbot nen).
13 Das wohl eindrucksvollste Beispiel bei Moes, Pariser Luft in Osnabrück. Französische
derselben wäre zudem schwer durchsetzbar gewesen, da die Sprache und Literatur in Justus Mösers Briefen an Johann Friedrich von dem Bussche-
sogenannten Winkeladvokaten auch dort berieten, wo sie Hünnefeld, in: Möser-Forum 1 (1989), 119-138.
14 Welker, Die Adokatur als „Pflanzschule des Staates", in: Ders. (Hrsg.), Vom Ur-
beim Gericht nicht zugelassen waren. Sie blieben unkontrol- sprung der anwaltlichen Selbstverwaltung. Justus Möser und die Advokatur, 2007,
lierbar, weil lediglich die Prokuratoren mit den 59-77, 67 ff; Ders., Rechtsgeschichte als Rechtspolitik (Fn. 1), S. 730 f.
15 So musste z. B. nicht allein ein Prokurator, sondern auch ein Advokat am Ober-
Richtern appellationsgericht Celle in Zivilsachen seine Schriftsätze mit Vor- und Zunamen
persönlich in Kontakt traten. Der die Sache betreibende Ad- unterschreiben, wobei die Identifizierung der Verfasser einer Qualitätskontrolle
dienen sollte, Chur=Braunschweig=Lüneburgische Landes=Verordnungen und Ge-
vokat hingegen blieb meist unsichtbar. setze. Caput secundum. Göttingen 1740, 363 f (Patent der Calenbergischen Jus-
Der verdeckten oder anonymen Rechtsberatung versuch- titz=Cantzley vom 10.2.1713).
aus der Anforderung, seinen Namen unter einen Schriftsatz französischen Advokatur orientiert habe. War diese indes -
zu setzen, keine zwingende Reduktion der Zahl der vorhan- wie er ausführte - historisch gewachsen, schlug er die Neu-
denen Advokaten. einrichtung von Advokatenkollegien nach dem Vorbild und
Radikal ging man in Preußen gegen die Überzahl der Ad- der Form eines Ordens vor.
vokaten vor. 16 Neben der Festsetzung eines Numerus clausus Tatsächlich hat es im Spätmittelalter nicht allein (privile-
für die zugelassenen Advokaten schritt man zu ihrer Stigma- gierte) Zusammenschlüsse von Advokaten in England und
tisierung, deren Folgen sich noch heute zeigen. Die Advoka- Frankreich gegeben, sondern auch in Deutschland. Hier
ten mussten eine schmucklose schwarze Robe tragen, um nannten sie sich seit dem 14. Jahrhundert bisweilen „colle-
ihre dienende Rolle äußerlich kenntlich zu machen. In der gium advocatorum" und dienten durchaus der Steigerung
Folge beseitigte Friedrich II. die Advokatur als freien Beruf des Ansehens des neu entstehenden Berufsstandes. 19 Ob
vollends und führte fest besoldete Assistenzräte ein, um die diese Kollegien, die sich an den höchsten Gerichten bildeten,
Beratung und Vertretung von Parteien vor Gericht zu über- mit Ritterorden verglichen werden sollten, mag fraglich er-
nehmen. scheinen. Der Vergleich von Rittern und Anwälten findet
Demgegenüber zielte der Ansatz von Möser auf
eine
„Es ist unstreitig besser, dass
nabrück vorgeprägten
grundsätzliche Tradition.
Freigabe der AdvokaturEr
imging
Zugedavon
eineraus,
in Os-
dass Ju- ein Staat gar keine Advocaten
17
duldet, als dass er ihnen mit
risten, die keinen Erfolg in der Rechtsberatung hatten, eine Verachtung begegne."
Stelle in der Stadt oder der territorialen Verwaltung finden
würden. Dort könnten sie sich nicht allein nützlich machen, sich allerdings bereits in C. 2, 7, 14. Worauf es Möser aber in
sondern sich auch für weitere Aufgaben qualifizieren. seiner historischen Analogie vordringlich ankam, war die Ent-
Durch eine Begrenzung des Kreises von Advokaten sah stehung eines Ordens aus eigener Kraft. Er setzte einen bru-
Möser hingegen die Gefahr erwachsen, unter diesen derschaftlichen „esprit de corps" voraus, nicht allein den kon-
ein stitutiven Akt einer kirchlichen, resp. weltlichen Autorität.
zünftisches Verhalten zu wecken. Die zeitgenössischen Kor- Scheinbar unverdächtig profanierte Möser damit eine tra-
porationen gaben ein Beispiel abgesicherter Trägheit. An- ditionelle Art christlichen Zusammenlebens. Was harmlos
stelle einer Verteidigung privilegierter Exklusivität wollte klang, stand jedoch für seine Zeit deutlich erkennbar in ei-
Möser vielmehr dem Tüchtigen den Erfolg gönnen. Damit nem schroffen Gegensatz zum Vorgehen in „despotischen
sollte sich gleichzeitig das Ansehen der Advokaten, die sich Staaten". In diesen wurden, wie gesehen, Advokaten demüti-
durch ihre Leistung bewährt hatten, individuell, aber auch genden Vorschriften unterworfen. An eine Selbstorganisa-
insgesamt verbessern. tion der Rechtsberater, wie sie Möser vorschlug, war dort
III. nicht zu denken. Schaut man genauer hin, erkennt man je-
doch, dass auch Möser vorsichtig schreiben musste.
Setzte Möser dabei noch ganz auf die Wirkung von Wett- Die Landesherren sollten dafür sorgen, heißt es bei ihm,
bewerb und Selbstdisziplin, erweiterte er seine Vorstellungen dass sich die Advokaten zusammenschließen. Da bleibt We-
zur öffentlichen Akzeptanz rechtsberatender Juristen 23 Jahre sentliches unklar. Um zu erklären, wer auf wen zu geht, be-
später. In einem Beitrag zu dem von ihm redigierten Osnabrü- darf der Satz zum vollen Verständnis einer Interpolation:
ckischen Intelligenzblatt unterbreitete er 1770 einen Vor- Entweder geht der Landesherr auf die Advokaten zu oder die
schlag, der auf den ersten Blick seinem Gutachten von Advokaten auf den Landesherrn. Wahrscheinlich ist die Deu-
1747 tung, der Landesherr solle die Möglichkeiten dazu einräu-
zu widersprechen scheint. Möser forderte nämlich nun einen men, dass sich die Advokaten zusammenschließen können.
18
Zusammenschluss von Advokaten, ein sog. Advokatenkolle- So geschah es bei mittelalterlichen Orden und Advokatenkol-
gium. Gemeint war damit allerdings kein zünftischer Zusa- legien. Denn ohne die grundsätzliche Zustimmung des Lan-
menschluss, sondern eine Art Lenkungsgremium. Es sollte desherrn konnte es im Alten Reich keine rechtsförmigen Zu-
die Interessen der Advokaten wahrnehmen und nach außen sammenschlüsse geben. Also nochmals: Wenn man genau
vertreten. Vor allem aber sollte es dazu beitragen, das Ansehen hinschaut, erkennt man, dass Möser vorsichtig schreiben
der beratenden Juristen zu heben. Das Besondere an dem von
Möser vorgeschlagenen Advokatenkollegium war jedoch, dass
der Gedanke der Selbstdisziplinierung nicht aufgegeben 16 Grahl, Die Abschaffung der Advokatur unter Friedrich dem Großen. Prozeßbetrieb und
wurde. Advokaten sollten nicht von außen, vor allem nicht lan- Parteibeistand im preußischen Zivilgerichtsverfahren bis zum Ende des 18. Jahrhun-
derts unter besonderer Berücksichtigung der Materialien zum Corpus Juris Fridericia-
desherrschaftlich diszipliniert werden können, sondern sich num von 1781, 1994; Wiedemann, Preußische Justizreformen und die Entwicklung
selbst eine Ordnung schaffen. Wenn auch grundsätzlich sämt- zum Anwaltsnotariat in Altpreußen (1700-1849), 2003.
17 Welker, Die Adokatur als „Pflanzschule des Staates" (Fn. 14), 67, 74 f; Krusch, Möser
liche Advokaten des Landes dem Kollegium angehören soll- und die Osnabrücker Gesellschaft, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und
ten, stand es diesem doch frei, seine Mitglieder selbst zu wäh- Landeskunde von Osnabrück 34 (1909), 244-373, 259 ff.
18 Welker, Mösers „Vorschlag zu einem besondern Advocatencollegio", in: Ders.
len und bei unehrenhaftem Verhalten aus den eigenen (Hrsg.), Vom Ursprung der anwaltlichen Selbstverwaltung, 2007, 35-58; auf Seite
Reihen auszuschließen. Es sollte ein „esprit de corps" geben 55 bis 58 ein Faksimile von Mösers Patriotischer Phantasie „Vorschlag zu einem
besondern Advocatencollegio".
und ein gleichförmiges Verhalten empfohlen werden. Ferner 19 Trusen, Advocatur - Zu den Anfängen der gelehrten Anwaltschaft in Deutschland und
sollten dem Landesherrn gemeinschaftliche Vorschläge zur ihren rechtlichen Grundlagen, in: Ders., Gelehrtes Recht im Mittelalter und in der
frühen Neuzeit, 1997, 761-774, 767 ff. Trusen stellt beispielhaft das erstmals 1340
Rechtsfortbildung unterbreitet werden. Alte und arbeitsunfä- gewährte Privileg des am Würzburger Offizialiat gebildeten Advokatenkollegiums
vor. Es regelte die Aufnahmebedingungen (Nachweis eines Rechtsstudiums oder
hige Advokaten wie Witwen und deren unmündige Kinder
Prüfung, das Ablegen eines speziellen Eides und die Notwendigkeit einer richterli-
mussten versorgt werden. Schließlich sollte eine Kasse für Ar- chen Zulassung), die Bestimmung eines besonderen Gerichtsstands für die Advo-
katen und die Möglichkeit für das Kollegium, sich eigene - allerdings ausschließ-
mensachen eingerichtet werden. lich zustimmungsbedürftige - Gesetze zu geben. Ob und in wie weit von dieser
der Möser weist darauf
Aufgaben an derhin,herkömmlichen
dass er sich beiVerfassung
der Auflistung
der Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, bleibt offen.
862 AnwBl 12 / 2008 Justus Möser und die anwaltliche Selbstverwaltung, Welker
MN Anwaltsgeschichte
musste. Schließlich richtete er seinen Vorschlag nicht vor- lebenden Advokaten in „besondere[n] Collegien" zu organi-
rangig an die Advokaten, um sie aufzufordern, sich mit ihren sieren. 24 Die diesen Collegien zugedachten Aufgaben ent-
Kollegen zusammenzuschließen, sondern wandte sich an ei- sprachen zwar formal denen heutiger anwaltlicher Selbstver-
nen nicht näher bestimmten Landesherrn, um an diesen zu waltung, doch wurde der Zusammenschluss in Trier vom
appellieren, die von ihm vorgeschlagenen Kollegien zuzulas- Kurfürsten vor allem betrieben, um die Zahl der Advokaten
sen, d. h. sie zu privilegieren. zu begrenzen. Den verbleibenden sollte desto sicherer „Be-
Damit richtete Möser seinen Vorschlag nicht unmittelbar schäftigung und Arbeit" garantiert werden.
an den Osnabrücker Landesherrn Georg III. von England als Es ist nicht herauszufinden, ob Möser von dem kurfürst-
Vormund des minderjährigen Fürstbischofs Friedrich von lichen Vorhaben wusste oder dieses von Mösers Intelligenz-
York. Und tatsächlich findet sich im Landesabschnittsarchiv artikel beeinflusst war. Entscheidend ist, dass es sich bei
des Hochstifts Osnabrück kein Hinweis auf den Versuch, in dem Plan, in Trier und Koblenz besondere Kollegien für Ad-
Osnabrück Advokatenkollegien einzurichten. 20
Ob Möser an vokaten einzurichten, um eine einseitig obrigkeitliche Maß-
die Möglichkeit einer Umsetzung seines Vorschlags über- nahme handelte.
haupt glaubte, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen.
Die Forderung Mösers, Advokatenkollegien zuzulassen,
IV.
die er an beliebige Landesherren richtete, schloss indes die
Vorstellung eines Zusammenschlusses zum Zweck der Die Wirkung von Mösers Aufforderung, eine Selbstverwal-
Selbstverwaltung mit ein. Der Begriff der Selbstverwaltung tung der Advokaten zuzulassen, zeigte sich erst im Vormärz
war Möser und seiner Zeit noch unbekannt. Erst 1778 taucht uneingeschränkt. In dieser Zeit kam es zur Gründung von
21
er erstmals bei Johann August Schlettwein auf. Er lag lokalen Anwaltsvereinen und Zusammenschlüssen politisch
also engagierter Juristen. Diese Initiativen, deren Geschichte bis
in der Luft, als Möser seine hier behandelte heute noch nicht hinreichend aufgehellt ist, forderten nicht
Patriotische allein das Recht zur Selbstorganisation, sondern auch die An-
Phantasie verfasste, und es besteht kein Zweifel darüber, erkennung der Advokatur als freiem Berufsstand.
dass Möser bei den vorgeschlagenen Kollegien weniger an Das französische Recht, dem Möser die entscheidenden
eine obrigkeitlich einzurichtende Körperschaft als an eine Anregungen für seinen Vorschlag verdankte, kannte im 19.
unabhängige Vereinigung dachte. Jahrhundert keine Selbstverwaltung von Advokaten. Das un-
taucht
Die bei Möser in gegen
grundsätzlich unterschiedlichen Varianten
obrigkeitliche auf. undDass
Maßnahmen ter Napoleon in den Rheinbundstaaten eingeführte Recht,
eine wohlmeinende Policey gerichtete Selbstverwaltungsidee das auch nach 1815 fortgalt, setzte auf eine enge Einbindung
22
der Rechtsvertreter in die Justiz. Für den Advokaten bedeu-
er den Gedanken der Selbstverwaltung avant la lettre kannte tete diese Abhängigkeit vor allem die Unterwerfung unter
und seinem Vorschlag zur Einrichtung von Advokatenkolle- die Disziplinargewalt der Gerichte. Diese zog nicht allein un-
gien zugrunde legte, verdeutlicht ein Blick auf die heutige verhältnismäßig hohe Strafen nach sich, sondern schädigte
anwaltliche Selbstverwaltung. Sie besteht in einem System auch das Ansehen des gesamten Berufsstandes. Die Litho-
von Rechtsanwaltskammern, im anwaltlichen Versorgungs- graphien von Honoré Daumier legen davon ein
werk und in Anwaltsgerichtshöfen, in denen Anwälte über beredtes
Kollegen befinden, die ihren Berufspflichten nicht nachkom- Zeugnis ab.
men. Die Rechtsanwaltskammern sind durchweg staatlich Aus dieser Perspektive ist es einsichtig, weshalb Mösers
25
organisiert, bieten aber Nischen, in denen kollegiale Bedürf- Vorschlag im Vormärz späten, doch nachhaltigen Anklang
nisse im Vordergrund stehen. Zu diesen zählt die Interes- fand. In dem von ihm konzipierten Advokatenkollegium
senvertretung gegenüber dem Gesetzgeber wie die fachliche herrschte Selbstdisziplin. Diese bürgte für das soziale Pres-
23
Fortbildung. Die obrigkeitliche Überwachung des Berufs- tige des Advokatenstandes. Genau dies dürfte die Attraktion
standes diente seit dem 19. Jahrhundert der Garantie anwalt- von Mösers Initiative gewesen sein. War sie 1770 lediglich
licher Unabhängigkeit. Die Reichsjustizgesetze schufen Phantasie und Wunsch, wurde sie im Vormärz Leitbild und
dafür die gesetzliche Grundlage. Vision. Ihre Wirkung jedoch zeigt sich noch heute in An-
Möser vertraute der Fähigkeit der Advokaten, ihre Be- waltsgerichtshöfen, die nicht allein für die Ordnung des Be-
lange in die eigenen Hände zu nehmen. Selbst eine Initiative rufsstandes stehen, sondern auch dazu beitragen, das Anse-
zur Einrichtung von Advokatenkollegien überantwortete er hen der freiberuflichen Rechtsberatung zu sichern.
ihnen. Das ist bemerkenswert, da zum selben Zeitpunkt, als
Möser seinen Vorschlag zur Errichtung von Advokatenkolle-
gien im Osnabrücker Intelligenzblatt einrückte, 1770, im
Kurfürstentum Trier - wohl nach französischem Vorbild -
der Hofrat darüber beriet, die in den beiden Hauptstädten
Dr. Dr. Karl
KarlH.L.
H.L Welker, lker Fran
rankfurt
furt am Main
Main
20 Niedersächsisches Staatsarchiv zu Osnabrück, Rep. 100. Der Autor ist Rechtshistoriker und Vorsitzender der Justus-
Möser-Gesellschaft in Osnabrück.
21 Stolleis, Selbstverwaltung, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,
Bd. 4, 1990, 1621-1625, 1621.
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
22 Behr, Selbstverwaltung bei Möser und Stüve und die hannoversche Städteordnung
autor@anwaltsblatt.de.
von 1851/58, in: Helmut Naunin (Hrsg.), Städteordnungen des 19. Jahrhunderts.
Beiträge zur Kommunalgeschichte Mittel- und Westeuropas, Wien 1984, 159-189;
Welker, Mösers „Vorschlag zu einem besondern Advocatencollegio" (Fn. 18), 49 ff.
23 Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971, 2. Aufl., 1982, 59 ff; der Schlüssel-
text zu dieser Entwicklung: Gneist, Freie Advokatur. Die erste Forderung aller Justiz-
reform in Preußen, 1867 (Reprint 1979).
24 Welker, Mösers „Vorschlag zu einem besondern Advocatencollegio" (Fn. 18), 53 f;
Holly, Geschichte der Ehengerichtsbarkeit der deutschen Rechtsanwälte, 1989, 207 ff.
25 Gottlieb Wilhelm Freudentheil war, so scheint es, sein bedeutendster Multiplikator,
Welker, Mösers „Vorschlag zu einem besondern Advocatencollegio" (Fn. 18), 52 f;
Ders., Die Advokatur als „Pflanzschule des Staates" (Fn. 14), 75.
Justus Möser und die anwaltliche Selbstverwaltung, Welker AnwBl 12 / 2008 863
MN Mitteilungen
Viele Gründe sprechen gegen die gerichtliche Durchsetzung A zu stellen. Bei der Suche nach dem zuständigen Gericht
grenzüberschreitender Ansprüche. Einer ist die Beweiserhe- benötigt man lediglich den Mitgliedstaat und die Postleitzahl
6
bung im Ausland, wenn Beweise in einem anderen Mitglied- bzw. Kommune. Mittels des Gerichtsatlas findet man dann
staat erhoben werden müssen als demjenigen, in dem das das zuständige Gericht mit der Anschrift.
gerichtliche Verfahren eingeleitet wird bzw. eingeleitet wer- Das deutsche Gericht muss auf dem Formblatt formell le-
den kann. So kann sich zum Beispiel die Notwendigkeit er- diglich Name und Anschrift der Gerichte, der Parteien und
geben, Zeugen in anderen Mitgliedstaaten zu vernehmen, deren Vertreter sowie deren Wunsch der Beiwohnung an der
oder das Gericht muss einen Lokaltermin in einem anderen Verhandlung am ausländischen Gericht mitteilen. Inhaltlich
Mitgliedstaat anberaumen. Oft stellt sich dann die Frage, wie sollten Art und Gegenstand des Falles inklusive einer kurzen
dies praktisch durchführbar ist. Sachverhaltsdarstellung sowie die durchzuführende Beweis-
1
Mit der so genannten Beweisaufnahmeverordnung , kurz aufnahme kurz erläutert werden. Ersucht ein deutsches Ge-
EuBVO, soll eine solche Beweisaufnahme erleichtert werden. richt ein ausländisches Gericht zur Beweisaufnahme, so rich-
Seit dem 1.1.2004, dem in Kraft treten der Verordnung, tet sich die Beweisaufnahme grundsätzlich nach dem Recht
gibt des Mitgliedstaates, in dem die Beweisaufnahme stattfindet
2
(Art. 10 Abs. 2 EuBVO). Das deutsche Gericht kann auf dem
es nun endlich eine verbindliche Regelung, die in allen Mit-
Formblatt aber auch angeben, dass die Beweisaufnahme in
gliedstaaten, mit Ausnahme Dänemarks, gilt. Die EuBVO
einer anderen Form durchgeführt werden soll. Es kann den
hat eine Vereinfachung und Beschleunigung von Beweisauf-
Wunsch äußern, dass die Beweisaufnahme in einer besonde-
nahmen im europäischen Ausland zum Ziel. So ist das er-
ren Form durchgeführt wird, die das Recht des ersuchenden
suchte Gericht, also das Gericht, in dem eine Beweisauf-
3 (deutschen) Mitgliedstaates vorsieht (Art. 10 Abs. 3 EuBVO)
nahme an Stelle
durchgeführt werden dessoll,mit verpflichtet,
der Sache das Ersuchen un-
befassten
verzüglich, spätestens 90 Tage nach Eingang des Ersuchens, oder dass die Beweisaufnahme im Wege der Video- oder Te-
Gerichts
4 lefonkonferenz (Art. 10 Abs. 4 S. 1 EuBVO) durchgeführt
zu erledigen . Vermieden werden soll, dass Rechtsanwälte, wird. Im ersten Fall sind vom Gericht Erläuterungen zur
Richter, Unternehmen und Bürger monatelang auf eine Ant- Vorgehensweise, wie zum Beispiel der Art und Weise der
wort, geschweige denn auf eine Erledigung des Ersuchens Zeugenvernehmung, Parteianhörung oder Sachverständigen-
bzw. die Durchführung einer Beweisaufnahme im EU-Aus- befragung, zu machen. Das ausländische Gericht muss dem
land warten. entsprechenden Antrag nachkommen, sofern die gewählte
Form nicht mit dem eigenen Recht unvereinbar ist oder die
II. Ausgangspunkt beantragte Beweisaufnahme wegen erheblicher tatsächlicher
Schwierigkeiten unmöglich ist.
Wenn sich Beweismittel nicht im Staat des Gerichts befin-
1 Verordnung (EG) 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit
den gibt es immer zwei Möglichkeiten: die Beweisaufnahme zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme
findet in dem Staat statt, in dem sich das Beweismittel befin- in Zivil- und Handelssachen, Abl. L 174/1.
2 Zum ersten Bericht über die praktische Anwendung der Verordnung siehe den Be-
det oder das Beweismittel wird in den Staat geschafft, in dem richt er Kommission, KOM (2007) 769 vom 5.12.2007, welcher derzeit im Europäi-
sich das Gericht befindet. Nur der erste Fall wird durch schen Parlament unter Betreuung von Prof. Dr. Mayer beraten wird.
3 Demgegenüber ist das angerufene Gericht ist das ersuchte Gericht. Im Folgenden
die soll das ersuchende Gericht immer das deutsche Gericht sein, das ersuchte bzw.
EuBVO geregelt, da sich im deutschen Recht lediglich eine angerufene Gericht immer das ausländische.
Artikel 10 II EuBVO.
recht allgemeine Regelung zur Beweisaufnahme im Ausland 4
5 Alle Formblätter zum Beweisaufnahmeverfahren über die EuBVO sind in allen
(§ 363 ZPO) und zur Parteimitwirkung bei einer Beweisauf- Amtssprachen zu finden im sog. Gerichtsatlas unter http://ec.europa.eu/jus-
nahme im Ausland (§ 364 ZPO) findet, diese Bestimmungen tice_home/judicialatlascivil/html/te_filling_be_de.htm .
6 Es handelt sich dabei um die offizielle Suchmaschine des Gerichtsatlas der Euro-
jedoch keine Ausführung über eine internationalen Beweis- päischen Kommission, zu finden unter http://ec.europa.eu/justice_home/judicial
aufnahme beinhalten. Daher kommt insoweit die EuBVO atlascivil/html/te_searchmunicipality_de.jsp#statePage0 .
Das Ersuchen ist in einer der Amtssprachen des ersuch- III. Praktische Tipps
ten Mitgliedstaates oder in einer dort zugelassenen Sprache
abzufassen. Dazu sollte folglich das entsprechende Formblatt Leider ist die Möglichkeit einer Beweisaufnahme über die
benutzt werden. Beim Ausfüllen kann man sich am identi- EuBVO in Europa nicht ausreichend bekannt. Insbesondere
schen deutschen 7 Formblatt orientieren. Welche Sprachen die Möglichkeit einer Beweisaufnahme mit modernen Kom-
munikationsmitteln wird selten genutzt. Niedersachen hat
zugelassen sind lässt sich ebenfalls über den Gerichtsatlas
8
beispielsweise bis Juli 2008 erst ein Ersuchen zur unmittel-
herausfinden . Dort werden auch die zuständigen Emp- baren Beweisaufnahme mittels Videokonferenz erhalten, ob-
fangsmöglichkeiten der Gerichte mitgeteilt. Ist das Formblatt wohl am Landgericht Hannover ein mobiles Videoübertra-
nicht in der richtigen Amtsprache abgefasst, so teilt das aus- gungssystem nebst Personal zur Verfügung steht, welches
ländische Gericht dem deutschen Gericht dies in einem An- jederzeit abgerufen werden kann.
9 Dennoch: in Deutschland ist der Text im Schönfelder,
hang an die zu übermittelnde Empfangsbestätigung mit. Es aber auch in gängigen ZPO-Kommentaren enthalten. Des
geschieht dann bis zur Einreichung einer korrekten Fassung Weiteren wird die Anwendung der gerichtlichen Praxis mit
nichts, das heißt, die 90-Tagesfrist beginnt nicht zu laufen. Hilfe der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen des Bundes
Für Rechtsanwälte gilt: wenn eine Teilnahme an der im und der Länder (ZRHO), die auch eine Art Schnellübersicht
Ausland stattfindenden Beweisaufnahme gewünscht ist, zu den einzelnen Mitgliedstaaten als Arbeitshilfe enthält, er-
sollte dies gemeinsam mit dem Wunsch nach einer aktiven leichtert. Um die Anwendung der EuBVO zu erleichtern hat
Beteilung dem deutschen Gericht direkt beim Stellen des Be- die Kommission einen „Praktischen Leitfaden" zur Anwen-
11
weisantrages mitgeteilt werden. Dies sollte dann vom deut- dung herausgegeben . Grundsätzliche Hinweise lassen sich
schen Gericht auf dem Ersuchen direkt vermerkt werden, auch immer über den bereits erwähnten Gerichtsatlas der
wenngleich es auch zu jedem anderen Zeitpunkt erfolgen Kommission sowie über das europäische12
justizielle Netzwerk
kann. Ein solcher Antrag kann vom ausländischen Gericht für Zivil- und Handelssachen finden. Das justizielle Netz-
werk bietet über jeden Mitgliedstaat detaillierte Angaben
nur dann abgelehnt werden, wenn diese Form der Beweis-
nicht nur zum Thema Beweisaufnahme und Beweismittel,
nahme mit dem dortigen Recht unvereinbar oder wegen er-
sondern unter anderem auch zu den Themen gerichtliche
heblicher tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich ist. Zuständigkeit, anwendbares Recht, Zustellung von Schrift-
stücken, prozessuale Fristen, alternative Verfahren zur Streit-
2. Unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende
beilegung, Prozesskostenhilfe sowie Informationen in Hin-
Gericht
blick auf vereinfachte und familienrechtliche Verfahren. All
Die EuBVO sieht des Weiteren auch eine „unmittelbare Be- diese Themen behandeln dabei ausschließlich grenzüber-
weisaufnahme" durch das deutsche Gericht in einem ande- schreitende bzw. europäische Aspekte. Was die Beweiserhe-
ren Mitgliedstaat vor, sofern sie auf freiwilliger Grundlage bung betrifft, so wird im speziellen eingegangen auf die je-
und ohne Zwangsmaßnahmen erfolgt (Art. 17 EuBVO). Eine weiligen Beweislastregeln, die verschiedenen Arten
solche Beweisaufnahme verläuft so, dass das deutsche Ge- der
richt ein entsprechendes Ersuchen an die gemäß Artikel 3 Beweisaufnahme, die Beweismittel und die Formen der Be-
Absatz weiswürdigung. Von Bedeutung kann dies sein, wenn ein
Behörde 310 EuBVO bestimmte Zentralstelle oder zuständige
des ausländischen Mitgliedstaats unter Verwen- deutsches Gericht oder ein deutscher Rechtsanwalt vor ei-
dung des Formblatts I richtet. Die genannte Zentralstelle nem ausländischen Gericht nach dessen Recht eine Beweis-
aufnahme für einen deutschen Rechtsstreit durchführt.
oder zuständige Behörde teilt dem deutschen Gericht unter
weiteDie Beweisaufnahmen
Zukunft wird sicher dazu führen,
etablieren und dass die sich europa-
gerichtliche
Verwendung des Formblatts J innerhalb von 30 Tagen nach
Durchsetzung von grenzüberschreitenden Ansprüchen
Eingang des Ersuchens mit, ob dem Ersuchen stattgegeben schneller, einfacher und kostengünstiger wird. Hier findet
werden kann und, soweit erforderlich, unter welchen Bedin- sich besonders für Rechtsanwälte ein -vor allem in Zeiten
gungen nach Maßgabe des Rechts ihres Mitgliedstaats die des sich öffnenden Binnenmarkts- noch unterschätztes wei-
betreffende Handlung vorzunehmen ist. Ist die unmittelbare tes Tätigkeitsfeld mit vielen Perspektiven.
Beweisaufnahme zulässig, so wird sie von einem nach Maß-
gabe des deutschen Rechts bestimmten Gerichtsangehörigen
oder einer anderen Person, wie etwa einem Sachverständi- Hans-Peter Mayer echta
of. Dr. Hans-Peter Mayer, Vechtahta_䀀㳦
gen, im Ausland durchgeführt. Der Autor ist Rechtsanwalt und Mitglied des Europäischen
Die unmittelbare Beweisaufnahme ist auch mittels Vi- Parlaments.
deo-, Audio-, und Telefonkonferenzen möglich.
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
Rechtsanwälte können selbstverständlich ebenfalls an ei- autor@anwaltsblatt.de.
ner solchen unmittelbaren Beweisaufnahme im Ausland,
aber auch an einer Videokonferenz, teilnehmen. Besondere
Anträge sind dafür in der Regel nicht erforderlich.
7 Alle Formblätter sind gleich aufgebaut.
Julia Lindemann, Brüssel nn
8 http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/te_otherinfo_de_de.htm.
Die Autorin ist Rechtsanwältin und persönliche Referentin
des Europa-Abgeordneten Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Pe-
9 Diese muss binnen 7 Tagen nach Eingang des Ersuchens übermittelt werden.
ter Mayer.
10 Auch die Zentralstellen und zuständigen Behörden sind über die Suchmaschine
des Gerichtsatlas auf http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/
Sie erreichen die Autorin unter der E-Mail-Adresse
te_centralbody_de_de.htm zu finden.
autor@anwaltsblatt.de.
11 Praktischer Leidfaden für die Anwendung der Verordnung über die Beweisauf-
nahme zur EuBVO, zu finden unter http://ec.europa.eu/civiljustice/evidence/evi-
dence_ec_guide_de.pdf.
12 Zu finden unter http://ec.europa.eu/civiljustice/index_de.htm.
Leichter als gedacht: Beweise im Ausland erheben, Mayer/Lindemann AnwBl 12 / 2008 865
MN Mitteilungen
Die Verbreitung juristischer Online-Datenbanken unter für eine mögliche Erhöhung des Sorgfaltsmaßstabs bei be-
Rechtsanwälten nimmt stetig zu, nicht zuletzt, weil die On- sonderen Fähigkeiten angeführten Gerichtsentscheidungen
Frage der deliktischen
betreffen Haftung. auch durchweg lediglich die
dementsprechend
line-Datenbanken die Rechtsrecherche erleichtern und ver-
15
bessern können. Die Anforderungen der bisherigen Recht-
sprechung zum 1
Anwaltshaftungsrecht bezüglich Eine Übertragung dieser Rechtsprechung zum Delikts-
der recht auf die für die anwaltliche Haftung wesentlich praxis-
16
Rechtsprüfungspflicht des Rechtsanwalts können durchaus relevantere vertragliche Haftung überzeugt nicht. Denn im
2
als streng bezeichnet werden. Die damit verbundene grund- Bereich der vertraglichen Haftung aus § 280 Abs. 1
sätzliche Frage, ob für den Rechtsanwalt im Hinblick auf die BGB
3 richtet sich die Frage, ob eine Pflichtverletzung vorliegt in
Vorteile juristischer Online-Datenbanken eine generelle haf- 17
bank zu abonnieren, entscheidende Frage: Begründet das 4 Vgl. Schnabl, NJW 2007, 3025 m.w.N.
5 Schnabl, NJW 2007, 3025, 3028; Fahrendorf, in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die
Abonnement einer Online-Datenbank die haftungsrechtliche Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl. (2005), Rn. 508; Fischer, AnwBl 1993, 597,
Pflicht, diese auch zu nutzen? Mit anderen Worten: Birgt die 599; Dahns, NJW-Spezial 2005, 189; vgl. auch Vollkommer/Heinemann, Anwalts-
haftungsrecht, 2. Aufl. (2003), Rn. 210; a. A. Kohlhaas, NJW Heft 29/2007,
Anschaffung
kennen undeinerbei Online-Datenbank das haftungsrechtliche
der Rechtsprüfung berücksichtigen zu S. XXIV.
Risiko,
müssen? alle damit verfügbaren mandatsbezogenen Inhalte 6 Vgl. Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. (2003), Rn. 392; so zu
den besonderen Kenntnissen von Fachanwälten Fahrendorf, in: Rinsche/Fahren-
dorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl. (2005), Rn. 505, eine Erhö-
hung des Sorgfaltsmaßstabs bei überdurchschnittlichen individuellen Fähigkeiten
entspreche dem auch sonst gängigen Rechtsverständnis.
II. Untersuchung 7 Zwar handelt es sich streng genommen nicht um eine Fähigkeit des Rechtsanwalts
selbst. Jedenfalls mittelbar gibt der Zugriff auf eine Online-Datenbank dem
Rechtsanwalt aber die Fähigkeit zur umfassenderen und aktuelleren Recherche.
Während die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des
8 Vgl. Schnabl, NJW 2007, 3025, 3026.
Rechtsanwalts keinesfalls entlastend wirken, er sich ins- 9 Auch die bisherige Rechtsprechung zum Anwaltshaftungsrecht scheint der tat-
besondere nicht darauf berufen kann, ihm fehle die nötige sächlichen Verfügbarkeit eines bestimmten Informationsmediums eine gewisse
Bedeutung beizumessen, vgl. BGH, NJW 1958, 825 („...in den zur Verfügung ste-
Fachkunde, sollen besondere Fähigkeiten des Rechtsanwalts henden Fachzeitschriften..."); BGH, NJW 1979, 877 („Die NJW bezieht der Pro-
6
zessbevollmächtigte...").
zu höheren Sorgfaltspflichten führen können. Als eine be-
10 So jedenfalls im Fall einer Honorarvereinbarung; aber auch im Fall einer Abrech-
sondere Fähigkeit in diesem Sinne könnte man auch den Zu- nung nach RVG ist die überobligatorische Leistung jedenfalls nicht bei der Frage,
7 ob das Mandat überhaupt zu den gesetzlichen Gebührensätzen übernommen wird,
gang zu einer juristischen Online-Datenbank ansehen. Das berücksichtigt.
Abonnement einer Online-Datenbank räumt dem Rechts- 11 Vgl. Staudinger/Löwisch, BGB (2001), § 276 Rn. 28.
12 Vgl. Fahrendorf, NJW 2006, 1911, 1913; Jungk, AnwBl 2007, 227.
anwalt den ungehinderten Zugriff auf alle dort verfügbaren 13 Vgl. BGH, NJW 1987, 1479; 1480; BGH, VersR 1968, 1059; kritisch mit guten
Inhalte ein, die hinsichtlich Aktualität und Breite über das Gründen Staudinger/Löwisch, BGB (2001), § 276 Rn. 26.
hinausgehen können, was der Rechtsanwalt bei 14 Vgl. dazu Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. (2008), § 276 Rn. 15 m.w.N.
15 Vgl. BGH, NJW 1987, 1479; 1480; BGH, VersR 1968, 1059; Koblenz, NJW-RR
der 2004, 1025; OLG Nürnberg, NJW-RR 2006, 1170.
herkömmlichen Recherche entsprechend der bisherigen An- 16 Vgl. Staudinger/Löwisch, BGB (2001), § 276 Rn. 28.
waltshaftungsrechtsprechung mandatsbezogen berücksichti- 17 Fischer, in: Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl.
8 (2006), Rn. 948; Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. (2003),
Rn. 145. Fehlt es für einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB schon an einer Pflicht-
gen muss. Gerichtsentscheidungen sind bei den Online-Da- verletzung, kommt es auf eine mögliche Erhöhung der Sorgfaltspflichten im Rah-
tenbanken meist deutlich früher verfügbar als in men des Vertretenmüssens nicht mehr an.
den
gängigen Fachzeitschriften. Darüber hinaus können online
866 AnwBl 12 / 2008 Verschärfte Haftung bei Abonnement einer juristischen Datenbank?, Schnabl
auch Entscheidungen abgerufen werden, die anderweitig un-
MN Mitteilungen
viduelle Fähigkeiten sollten daher nur dann zu einer schärfe- der Nutzung einer Online-Datenbank praktisch kaum denk-
18
ren Haftung führen, wenn sie zumindest konkludent zum bar. Der Anwalt tritt gegenüber dem Mandanten nicht „wer-
Gegenstand der vertraglichen Vereinbarungen zwischen bend" mit der Verfügbarkeit einer Online-Datenbank auf
19
Versucht und wird auch nicht im Hinblick auf dieses Arbeitsmittel
Rechtsanwalt und Mandant gemacht worden sind.
der Rechtsanwalt dagegen lediglich mit Hilfe einer Online- mandatiert. Die Annahme einer konkludent vereinbarten
Datenbank im eigenen Interesse seine Arbeit effektiver zu Nutzungspflicht scheidet daher im Ergebnis - zumindest in
ge- praktisch denkbaren Fällen - wohl stets aus. Eine Nutzungs-
über
stalten,dem
kannMandanten
dies alleinbegründen.
nicht weitergehende
Ohne eine Pflichten gegen-
entsprechende pflicht auf Grund des Abonnements einer Online-Datenbank
20
kommt somit rein tatsächlich nur dann in Betracht, wenn
27
Vereinbarung haftet der Rechtsanwalt daher nur für das, was dies ausdrücklich vereinbart wurde.
21
von einem gewissenhaften und sorgfältigen Durchschnitts- Für die hier vertretene Ansicht, wonach der Rechtsanwalt
anwalt erwartet werden kann. Dies schließt eine generelle nicht automatisch mit dem Abonnement einer juristischen
Pflicht zur Nutzung von Online-Datenbanken gerade nicht Online-Datenbank für die mandatsbezogene Kenntnis und
ein, solange diese noch nicht zum Standard juristischer Re- Berücksichtigung der dort eingestellten Inhalte haftet, lässt
22
cherche gehören. sich auch eine Entscheidung des BGH zur anwaltlichen
Zu beantworten bleibt damit lediglich die Frage, unter Sorgfaltspflicht bei der Notierung von Berufungsfristen ins
welchen Voraussetzungen eine konkludent vereinbarte Feld führen. In der angesprochenen Entscheidung gelangt
23
Pflicht zur Nutzung von Online-Datenbanken angenommen der BGH zu dem Ergebnis, dass über das gebotene Maß
werden kann. Die Anforderungen an eine konkludent ver- an
einbarte Nutzungspflicht dürfen im Hinblick auf die für den Sorgfalt hinausgehende Sicherungsmaßnahmen
28
zur Einhal-
24
Rechtsanwalt daraus folgenden weitreichenden Recherche- tung von Fristen nicht zu einer Verschärfung der anwalt-
pflichten nicht zu niedrig angesetzt werden. Man wird inso- lichen Sorgfaltspflichten führen. Dies begründet der BGH
weit zweierlei verlangen dürfen. Zunächst muss die tatsäch- damit, dass der Anwalt nicht schlechter gestellt werden
Form hätte.
liche für den Mandanten
Verfügbarkeit erkennbar nach außen
der Online-Datenbank treten.
in irgendeiner dürfe, als wenn er keine zusätzlichen Maßnahmen getroffen
29
25
Dies kann zum Beispiel durch eine Vereinbarung zwischen Auch das Abonnement einer juristischen Online-Daten-
30
Anwalt und Mandant bezüglich der Übernahme von Kosten bank stellt derzeit noch eine Maßnahme dar, zu welcher der
für den Einzeldokumentenabruf bei einer Online-Datenbank Rechtsanwalt nicht allgemein verpflichtet ist. Unter Berück-
geschehen. Die für den Mandanten erkennbare Verfügbar- sichtigung der angeführten Entscheidung des BGH darf er
keit einer Online-Datenbank allein kann jedoch für eine kon- insoweit haftungsrechtlich auch nicht schlechter gestellt wer-
den, als wenn er keine Datenbank abonniert hätte.
kludent vereinbarte Nutzungspflicht nicht ausreichen. Hin-
zutreten muss vielmehr der für den Mandanten erkennbare III. Fazit
Wille des Rechtsanwalts, die Datenbank stets bei der Rechts-
prüfung nutzen und für die Kenntnis der bei der Online-Da- Das Abonnement einer juristischen Online-Datenbank be-
tenbank verfügbaren Inhalte einstehen zu wollen. Auch bei gründet für sich genommen nicht die vertragliche Pflicht des
Fachanwälten wird für die vertragliche Einbeziehung der be- Anwalts gegenüber dem Mandanten, die Online-Datenbank
Fachanwaltsbezeichnung verwendet, sodass für den die
Man- auch zu nutzen. Eine vertragliche Haftung aus § 280 Abs. 1
sonderen Spezialisierung verlangt, dass der Fachanwalt
26 BGB für die Kenntnis und Berücksichtigung der bei der je-
danten ersichtlich ist, dass der Anwalt seine besondere Qua- weiligen Online-Datenbank verfügbaren mandatsbezogenen
lifikation „werbend" einsetzen und zum Gegenstand des Ver- Inhalte im Rahmen der Rechtsprüfung besteht nur dann,
trags machen will. Eine vergleichbare Konstellation ist bei wenn die Pflicht zur Nutzung der Online-Datenbank zum
Gegenstand des Anwaltsvertrags gemacht worden ist.
18 So zum Beispiel bei den Spezialkenntnissen eines Fachanwalts, der als solcher
mandatiert wird, vgl. Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl.
(2003), Rn. 408; Fahrendorf, in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des
Rechtsanwalts, 7. Aufl. (2005), Rn. 504.
19 Vgl. Staudinger/Löwisch, BGB (2001), § 276 Rn. 28.
20 Auch aus den gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten der Vertragsparteien (§ 241
Abs. 2 BGB) kann nicht ohne weiteres eine haftungsrechtlich sanktionierte Pflicht
zur Nutzung einer abonnierten Datenbank hergeleitet werden.
21 Vgl. BGH, VersR 1967, 704, 705; Fischer, in: Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Hand-
buch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. (2006), Rn. 949; Fahrendorf, NJW 2006, 1911,
1912; vgl. Jungk, AnwBl 2007, 227.
22 Schnabl, NJW 2007, 3025, 3030. Dies ist erst mit hinreichender Verbreitung, ver-
gleichbar den gängigen juristischen Fachzeitschriften, anzunehmen.
23 Denn eine ausdrückliche diesbezügliche Vereinbarung wird eher die Ausnahme
sein.
24 Der Rechtsanwalt müsste die Online-Datenbank gegebenenfalls stetig auf aktuelle
Entscheidungen zu allen rechtlichen Fragen des jeweiligen Mandats durchsehen. an Schnabl,
Dr Daniel chnablLL.M. (Miami),),_䁾
M. (Miami
Angesichts der täglich neu hinzukommenden Menge an Inhalten stellt dies eine
Frankfurt a.M..____最˽攸˩_
nicht zu unterschätzende Aufgabe dar. Automatisierte Suchaufträge bieten inso-
Der Autor ist Associate im Frankfurter Büro der Sozietät
weit nicht genügend Sicherheit.
25 Bereits daran wird es regelmäßig fehlen.
Freshfields Bruckhaus Deringer LLP und dort im Bereich
Dispute Resolution tätig.
26 Vgl. Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. (2003), Rn. 408
m. w. N. Ähnliches soll für die Nennung von Tätigkeits- und Interessenschwer-
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
punkten gegenüber dem Mandanten gelten. Allgemein zur Frage einer Haftungs-
verschärfung bei Fachanwälten vgl. Jungk, AnwBl 2007, 227. autor@anwaltsblatt.de.
27 Etwas anderes gilt freilich, wenn sich eine allgemeine haftungsrechtliche Pflicht
des Anwalts zur Nutzung von Online-Datenbanken herausgebildet hat, vgl.
Schnabl, NJW 2007, 3025, 3029 f.
28 BGH, NJW 1995, 1682.
29 BGH, NJW 1995, 1682 m.w.N.
30 Schnabl, NJW 2007, 3025, 3028 m.w.N.
Verschärfte Haftung bei Abonnement einer juristischen Datenbank?, Schnabl AnwBl 12 / 2008 867
MN Mitteilungen
Soldan-Institut für Anwaltmanagement gebnis richten, aber auch darauf, jeden einzelnen Schritt ei-
ner laufenden Sache nachvollziehen zu können.
Dies
herauszufinden verlangt intensive Kommunikation zwischen
Qualität aus Sicht Anwalt und Mandant.
Bei Mandatsbeginn muss zusätzlich die Notwendigkeit,
des Mandanten Mandanten über ihre Mitwirkungspflichten oder notwendig-
Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch-Gladbach und keiten aufzuklären, bestehen. Auch dies ist eine wichtige
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, K o¨ ln
Aufklärungsaufgabe, die je nach Laienstatus des Mandanten
aufwändig sein kann. Kanzleien, die ein optimales Qualitäts-
management organisieren wollen, sind gut beraten, wenn sie
Die große Mehrheit der Mandanten kann die fachliche Quali- - insbesondere bei wiederkehrenden Abläufen - schriftliche
tät anwaltlicher Leistungen nicht bewerten. Mandanteninformationen entwickeln, in denen sie über typi-
Deswegen sche Abläufe und Erwartungen an die Mitwirkung von Man-
müssen Kanzleien versuchen, die Qualitätswahrnehmung danten informieren. Solche Informationen sind zugleich ein
der Mandanten positiv zu beeinflussen. Beitrag zur Intensivierung der Vertrauensbildung gegenüber
dem Mandanten und ein Mittel der Mandantenbindung.
Die Anwalt-Mandant-Beziehung ist dadurch bestimmt, dass
der Anwalt als Experte auf einen juristischen Laien trifft, der Transparenz in der Mandatsführung
ihm seine „Sache" anvertraut. Diese Experten-Laien-Asym- Die genannten Maßnahmen dienen der Herstellung von
metrie führt dazu, dass der Anwalt in fachlicher Hinsicht Transparenz der Mandatsführung und -abwicklung für den
stellvertretend für seinen Mandanten handeln muss. Da ein Mandanten. Dies allerdings ist nur ein erster Schritt einer
Mandant die fachliche Qualität dieses Handelns nicht beur- Steuerung der Qualitätswahrnehmung von Mandanten. Er
teilen kann, richtet sich seine Qualitätswahrnehmung auf bedarf der Ergänzung durch genaue Verabredungen darüber,
Merkmale der Leistung seines Anwalts oder auch einer Kanz- auf welchen Kommunikationskanälen und mit welcher In-
lei, die zumeist mit juristischer Fachlichkeit wenig zu tun ha- tensität Mandanten durch ihren Anwalt informiert werden
ben (Anwaltsblatt 11/2008, 784). sollen. Zu regeln ist in diesem Zusammenhang eine Reihe
Will eine Kanzlei die Qualitätswahrnehmung der Man- von Einzelaspekten. Mandanten müssen darüber aufgeklärt
danten aktiv positiv beeinflussen, muss sie über Kenntnisse werden, wie sie ihren Anwalt am besten erreichen können.
darüber verfügen, worauf sie gerichtet ist. Solche Kenntnisse Dies wiederum verlangt innerhalb der Kanzlei klare Regelun-
können im Mandantengespräch gewonnen werden. Mandan- gen hinsichtlich des Rückrufverhaltens von Anwälten oder
ten, die juristische Laien sind, werden ihr Augenmerk auf auch ihrer Praxis der Terminvereinbarung. Da Anwälte nicht
die Abläufe der Mandatsabwicklung richten, also etwa das In- immer erreichbar sein können, müssen Verfahrensregeln er-
formationsverhalten des Anwalts oder auch seine Erreichbar- arbeitet werden, auf die sich Mandanten verlassen können.
keit. Je nach Komplexität einer Sache, eines gerichtlichen Werden solche Regeln verlässlich eingehalten, können Man-
oder außergerichtlichen Konfliktlösungsverfahrens oder je danten durchaus die Bereitschaft entwickeln, gewisse Warte-
nach Grad der Betroffenheit eines Mandanten werden sich zeiten bis zu einem Kontakt mit ihrem Anwalt in Kauf zu
aus dessen Sicht unterschiedliche Anforderungen an die nehmen. Werden verabredete Kommunikationsregeln hin-
Mandatsabwicklung ergeben. gegen ständig verletzt, dürfte dies zu erheblicher Unzufrie-
denheit auf Seiten der Mandanten führen.
Der Anwalt muss wissen: Welche Qualität will der Mandant? Die Klärung der von den Mandanten gewünschten Kom-
Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, die Qualitäts- munikationskanäle ist in diesem Zusammenhang wichtig.
erwartungen eines Mandanten bereits in der Phase der Über- Soll eher mündlich oder schriftlich, per Brief oder per E-Mail
nahme eines Mandats genau zu erfassen, um später individu- kommuniziert werden, soll über jeden Einzelschritt oder nur
elle Betreuung sicher stellen zu können. Da auch im Hinblick über besonders wichtige Ereignisse informiert werden, wel-
auf die Abläufe von Mandaten bei den Mandanten überwie- che Kommunikation kann standardisiert erfolgen und wel-
gend keine Detailkenntnisse vorausgesetzt werden können, che nicht? So ist z. B. die kommentarlose Weiterleitung geg-
muss zu Beginn der Mandatsführung Aufklärungsarbeit ge- nerischer Anwaltspost dann ein Problem, wenn Mandanten
genüber den Mandanten geleistet werden. Sie sind nicht nur Schwierigkeiten haben, die fachlichen Inhalte oder auch die
über Risiken und Chancen aufzuklären, sondern auch Strategien der Gegenseite ausreichend differenziert nach-
darüber, mit welchen typischen Abläufen zu rechnen ist. Die zuvollziehen.
zeitliche Dimension einer Mandatsabwicklung muss erläutert Die Herstellung von Transparenz sowie die Verabredung
werden, es bedarf der Aufklärung über die übliche Dauer von, und Einhaltung von Kommunikationsregeln sind zwingende
ihnen in der Regel fremden, Gerichtsverfahren, der Aufklä- Notwendigkeiten aktiven Qualitätsmanagements, deren
rung hinsichtlich möglicher Strategien der Gegenseite oder Nichtbeachtung die Anwalt-Mandant-Beziehung erheblich
auch der Rolle anderer Akteure (z. B. von Sachverständigen). stören und das Weiterempfehlungsverhalten der Mandanten
Es geht also um die Herstellung von Transparenz. Sorgt negativ beeinflussen kann.
ein Anwalt hierfür im (ersten) Mandantengespräch, erhält er
Soldan Institut: stitut of
: Prof.
Dr Dr. Christoph hristop
mmeh h,
zugleich die Möglichkeit abzuschätzen, in welcher Art und Hommerich,
Rechtsanwalt Dr Matthias ian
Intensität ein Mandant informiert bzw. in die Sache selbst Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian
Hommerich und Kilian sind Vorstände des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement e. V.
eingebunden werden möchte. Je nach Typus des Mandanten Sie erreichen die Autoren unter der E-Mail-Adresse autor@anwaltsblatt.de.
besonderen Talente des Advokaten für unverzichtbar bei der Prozess gegen SA-Schlägerkommandos als Nebenklägerver-
Wahrnehmung staatlicher Aufgaben hielt. treter den „Schriftsteller Adolf Hitler" als Zeugen laden ließ.
3. In ihrer Studie „Der Kampf Dem 28jährigen Litten gelang es, Hitler im Kriminalgericht
jüdischer Anwälte gegen den Anti- Moabit unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit aus der
semitismus", einer Frankfurter Fassung zu bringen und zu entlarven. Knut Bergbauer, Sabine
Dissertation, untersucht Inbal Fröhlich und Stefanie Schüler-Springorum zeichnen unter dem
Steinitz die Titel „Denkmalsfigur - Biographische Annäherung an Hans
strafrechtliche Lit-
Rechtsschutzarbeit
tralvereins deutscher des „Cen-
Staatsbür- ten 1903-1938" das kurze Lebens Littens nach. Der
ger jüdischen Glaubens" in den junge
Jahren 1893 bis 1933. Sie geht Rechtsanwalt verteidigte straffällige Jugendliche und kom-
primär der Frage nach, ob der munistische Arbeiter und führte einen engagierten Kampf
Der Kampf jüdischer Anwälte gegen Kampf jüdischer Anwälte gegen gegen die zunehmend rechtslastige Justiz der Weimarer Re-
den Antisemitismus
von Inbal Steinitz; Berlin: Metropol-Ver-
den Antisemitismus im Kaiser- publik. Die Lebensgeschichte Littens ist bereits vielfach auf-
lag, 2008; 215 S., kart.; reich und in der Weimarer Re- gearbeitet worden, während der Teilung Deutschlands in
978-3-938690-66-6; 19,90 E.
publik als erfolgreich anzuse- durchaus unterschiedlicher Akzentuierung. Die Verfasser be-
hen ist. Die Verfasserin tritt der verbreiteten These, dass die tonen, dass keines der überlieferten Bilder des jugendbeweg-
Vielzahl verlorener Prozesse Zeichen des Scheiterns der ten Aktivisten, des engagierten Juristen, des aufrechten KZ-
Rechtsanwälte des Centralvereins sei, entgegen. Sie arbeitet Häftlings Hans Litten unzutreffend sei. Ziel der erneuten
heraus, dass das Wirken der Anwälte vor allem darauf zielte, Untersuchung von Leben und Wirken Littens ist es,
durch Prozesse, Aktionen und Kampagnen dem Kampf ge- mit
gen den Antisemitismus Publizität zu verschaffen. Aufgrund größerem zeitlichem Abstand weitgehend unbekannte Seiten
der Zielsetzung, die Selbstverteidigung im Lichte der Öffent- im Leben Hans Littens zu beleuchten, dessen Schilderung
lichkeit zu bestreiten, müsse sich die Frage nach dem Erfolg bislang sehr stark von Wertungen ihm nahestehender Per-
des Wirkens des Centralvereins anhand anderer Kriterien be- sonen geprägt war. Der Titel „Denkmalsfigur" soll
urteilen als dies in der Vergangenheit geschehen sei. Der diese
Centralverein griff, dies belegt Steinitz anschaulich, auf neue Annäherung in mehrfacher Hinsicht ausdrücken.
Strukturen und Strategien zurück, derer sich seit den 1890er 5. Im Zuge der Reformdiskus-
Jahren zahlreiche Interessengruppen bedienten. Die Verfas- sion über das RDG hat die
serin sieht in der stetig zunehmenden Zahl von Ge-
Rechts- nese seines Vorgängers, erneut
schutzstellen, von denen der Rechtsschutz des Centralvereins starkes Interesse gefunden. Die
ein Mosaikstein war, nicht nur einen Beleg für eine Ver- RBerG-Entstehungsgeschichte
gesellschaftung des Rechts im Allgemeinen, sondern auch wurde in der Vergangenheit
polisierung zu-
der Rechtsberatung
Rechtsberatung
einen Impetus zur Steigerung des Selbstbewusstseins der je- von Simone Rücker; Tübingen: Mohr meist oberflächlich
zu Gunsten der und in dem
Anwaltschaft
Siebeck, XX, 2007; 517 S., brosch.;
weiligen Interessengruppe. So sollte das selbstbewusste Auf- 978-3-16-149339-3; 69,00 E.
Bemühen,
zu finden, plakative Argumente
diskutiert. Simone
treten der Rechtsanwälte des Centralvereins den deutschen für oder gegen
Rücker hat mit ihrer die umfassen-
Juden Selbstachtung und Selbstbewusstsein geben und ih- den Studie „Rechtsberatung:
Perpetuie- Rechtsberatungswesen von
nen signalisieren, dass Angriffe gegen sie nicht unwiderspro- Das
1919-1945 und die Entstehungrung der weitgehenden Mono-
des Rechtsberatungsmissbrauchs-
chen blieben und ihnen in ihrem Namen entgegengetreten gesetzes von 1935" erstmals einen bislang vermissten Gesamt-
wurde. Interessant sind hierbei die von Steinitz aufgezeigten überblick über die Geschichte des Rechtsberatungswesens in
Parallelen in der Strategie der Rechtsanwälte der Roten Hilfe der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus vor-
Deutschlands und des Centralvereins. Kernergebnis der Un- gelegt. Ihr Anliegen ist es, sich dem Thema nicht, wie
tersuchung ist, dass Ziel der Rechtsschutzarbeit der Rechts- dies
anwälte des Centralvereins nicht die - häufig nicht zu errei- zahlreiche ältere Arbeiten zur Anwaltsgeschichten getan ha-
chende - Verurteilung von Antisemiten war. Selbst die ben, aus dem Blickwinkel der Anwaltschaft zu nähern, son-
Verurteilung von Juden konnte einen Erfolg bedeuten, so- dern das Rechtsbesorgungswesen als ein von einer Vielzahl
lange es den Anwälten gelang, den Antisemitismus vor der von Akteuren geprägtes Ganzes zu analysieren. Rücker zeich-
Öffentlichkeit bloß zu stellen. net zunächst das Rechtsberatungswesen in der Weimarer Re-
4. Wer in Berlin seine Schritte publik nach. Sie arbeitet heraus, dass der Rechtsberatungs-
zum Sitz von DAV und markt durch einen hohen Wettbewerbsgrad und geringe
BRAK gesetzliche, rein gewerberechtliche Beschränkungen, die auf
lenkt, nimmt vom Alexander- einem liberalen Wirtschaftsverständnis des Gesetzgebers des
platz kommend den Weg durch frühen Kaiserreichs beruhten, geprägt war. Kapitel 2 widmet
die Hans-Litten-Straße und ge- sich dem in Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten der
langt zum Hans-Litten-Haus. Anwaltschaft verschärfenden Kampf um den Rechtsbera-
Am benachbarten Gebäude des tungsmarkt in der Weimarer Republik. Rücker schildert, dass
LG Berlin weist eine Gedenk- die Bemühungen der Anwaltschaft, die Politik für ihre Inte-
tafel auf hin.
drückten HansBerühmt
Litten als
gewor- ressen zu gewinnen, zunächst nur geringen Erfolg hatten.
Anwalt
Denkmalsfigur - Biografische Annähe- den ist Litten insbesondere als Das folgende Kapitel beleuchtet die Diskussion und Rege-
rung an Hans Litten 1903-1938
von Knut Bergbauer/ Sabine Fröhlich/ der „Mann,
und Verteidiger der in
der Hitler lung der nichtanwaltlichen Rechtsberatung nach der natio-
Unter-Schüler-Springorum; Göttin-
Stefanie die nalsozialistischen Machtergreifung bis zum Jahr 1935, die
gen: Wallstein, 2008; 359 S., kart.;
978-3-8353-0268-6; 24,90 E. Enge trieb", der im Jahr 1931 in geprägt waren von der Uneinigkeit des Justiz- und des Wirt-
einem aufsehenerregenden schaftsministeriums über die Konzessionierung des Rechts-
870 AnwBl 12 / 2008 Bücherschau, Kilian
MN Mitteilungen
konsulentengewerbes. Ein eigenes Kapitel analysiert sodann Gradmesser für Themen sind, die ihre Zielgruppe bewegen,
die Folgen der Gleichschaltung der Standesorganisationen so ist auffällig, dass sich viele der Beiträge mit der
von Rechtsanwälten und Rechtskonsulenten. Ein kürzeres Vergü-
Kapitel erörtert das Wirken der jüdischen Rechtskonsulenten tung, dem Einkommen und Vermögensangelegenheiten des
in den Jahren 1933 bis 1935. Ausführlich wird sodann auf Anwalts befassen: Ingrid Hartung schreibt zur Vergütungs-
rund 100 Seiten die Rechtsberatung durch Verbände und Or- vereinbarung, Schons zum Erfolgshonorar, Rick zu Aufklä-
ganisationen in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus rungspflichten in Vergütungsfragen, Grunewald zum Verbot
aufgearbeitet, wobei besondere Schwerpunkte auf der NS- von Vermittlungsgebühren, Koch zum Kammerbeitrag, Seer
Rechtsbetreuung und der Rechtsberatung durch NS-Ver- zur einkommenssteuerrechtlichen Behandlung des Rechts-
bände und Gliederungen der NSDAP liegt. Kapitel 7 ist der anwalts als Gewerbetreibendem und Klaus Joachim Hartung
Entstehung des „Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes" vom zum anwaltlichen Anderkonto. Weitere Beiträge beschäfti-
13.12.1935 gewidmet. Als wesentlichen Grund für dieses Ge- gen sich mit dem Beschwerdemanagement der RAK (De-
ckers), Interessenkonflikten des Anwaltsnotars (Henssler/Ki-
setz sieht Rücker die wirtschaftliche Notlage des Anwaltsstan-
lian), dem Rechtsdienstleistungsbegriff (Prütting), dem Recht
des, die durch die umfangreiche Rechtsberatungstätigkeit
der Kanzlei (V. Römermann), der Anwaltstätigkeit im euro-
der großen NS-Massenorganisationen, deren Anstrengun-
päischen Ausland (R. Römermann) und der Vertretung
gen, Konflikte unter systematischem Ausschluss von Rechts-
durch Hochschullehrer (von Lewinski).
anwälten selbst zu lösen, und durch den Rückgang der Zahl
2.
tagsAusdes Anlass
Jubilarsdesist 70. „Fest-
die Geburts-
gerichtlicher Verfahren, der durch die nationalsozialistische
schrift für Ulrich ent-
Idee der Rechtsbefriedung noch verstärkt worden war, be-
Scharf" Ulrich Scharf war
standen.
dingt war. Das RBMG sollte, so Rücker, vor allem die als
An- langjähriger Präsident der RAK
wälte befrieden und diese insbesondere auch mit Blick auf Celle kraft Amtes immer wieder
die bereits geplante Inkraftsetzung der RRAO 1936 ruhig im Ehrenamt mit anwaltsrecht-
stellen. In der Gleichschaltung der gewerblichen Rechtsbera- lichen Fragestellungen befasst,
ter und der Absicherung der NS-Judenpolitik im Bereich der er stand als Pressesprecher der
Rechtspflege sieht Rücker insofern nur weitere Motive. Das BRAK viele Jahre in
abschließende Kapitel 8 schildert sodann das Rechtsbera- Festschrift für Ulrich Scharf engem
hrsg. von Stephan Göcken u. a.; Köln:
tungswesen im NS-Deutschland der Jahre 1936 bis 1945. Carl Heymanns, 2008; 360 S., geb.; Kontakt mit den Medien
978-3-452-26940; 149,00 E. und
II. Festschriften schaft für die Kunst in hat dieals Anwaltschaft
Kopf hinter demgetragen.
„Karika-
Das turpreis der Deutschen Anwalt-
Ingo von Münch hat vor einiger Zeit in einem vergnüglichen
Konzept der Festschrift spiegelt schaft"
dieseseine besondere Leiden-
Vielschichtigkeit der
Beitrag zum Phänomen der Festschrift augenzwinkernd an-
Interessen und des Wirkens des Jubilars wider: Es finden
gemerkt, dass vom Empfänger einer Festschrift erwartet
sich in ihr Beiträge nicht nur von Juristen, sondern auch von
werde, dass er seine Festschrift lese und die Gabe Journalisten und Künstlern. Die Wertschätzung, die Scharf
derselben genießt, wird nicht zuletzt durch die Tatsache belegt, dass
daher die wohl einzige vom Grundgesetz (Art. 12 GG) nicht mit Zypries und Heister-Neumann die Bundesjustizministerin
verbotene Zwangsarbeit sei. Entsprechender Zwangsarbeit und die frühere niedersächsische Justizministerin Beiträge
sehen sich aktuell zwei Jubilare aus der Anwaltschaft aus- beigesteuert haben. Vier Themenbereiche sind durch die
gesetzt, deren Wirken in der anwaltlichen Selbstverwaltung Festschrift abgedeckt: Sechs Beiträge befassen sich einleitend
und im Anwaltsrecht mit einer Festschrift gewürdigt worden mit „Recht und Kunst", fünf sodann mit „Recht und Öffent-
ist. Festschriftenbeiträge greifen gerne aktuelle Fragestellun- lichkeit". Hier haben - neben der Wissenschaftlerin Stender-
gen auf, so dass beide Neuerscheinungen eine Fundgrube Vorwachs - mit Creutz, Guttmann, Stachow, Huff und Jahn ei-
für den anwaltsrechtlich Interessierten sind. nige der profiliertesten Journalisten zur Feder gegriffen, die
1. Unter dem Titel sich in Deutschland mit Anwaltsthemen befassen. Dem An-
„Anwaltschaft waltsfunktionär Scharf ist der Abschnitt zum anwaltlichen
und Berufsrecht" ist Wolfgang Har- Ehrenamt gewidmet, das neben dem Ehrenamt als solchem
tung, einem der aktivsten Autoren auch Fragen des Kammerrechts behandelt. Zwölf Beiträge
im Berufsrecht, aus Anlass seines skizzieren den Kampf ums Recht. Hier geht es um Reform-
75. Geburtstages eine Festschrift gesetze wie das RVG und das RDG, aber auch um berufs-
zugedacht
schaft auf demworden.
Gebiet des Hartung
Anwalts- hat rechtliche Stichworte, etwa „Unabhängigkeit", „Widerstrei-
seine
rechts erstschriftstellerische
spät entdeckt, umso be- tende Interessen", „Berufshaftpflichtversicherung" oder
Leiden- eindruckender ist sein über einen „Freiberuflichkeit".
Anwaltschaft und Berufsrecht:
Festschrift für Wolfgang Hartung verhältnismäßig kurzen Zeitraum
Dr Matthias
tthia Kilian, Kölnln_k
n, ln
hrsg. von Volker Römermann; entstandenes Œuvre: Zwei Kom- Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorstand des
München: C. H. Beck, 2008; 216
S., kart.; 978-3-406-57679-9; mentare tragen seinen Namen als Soldan-Instituts für Anwaltmanagement e. V. (Essen).
95,00 E.
Herausgeber, ebenso ein Hand- Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
buch und zwei Lehrbücher. In wei- autor@anwaltsblatt.de.
teren namhaften Werken ist der Jubilar als Autor aktiv. Zahl-
reiche Aufsätze und Anmerkungen runden sein Schaffen ab.
Mehr als ein Dutzend Weggefährten aus gemeinsamen Pro-
jekten und Juristen aus seiner Verwandtschaft haben für die
Festschrift zur Feder gegriffen. Wenn Festschriften auch
4
Übernahme der Vertretung geeignet ist . Liegt kein
Der Vertreter des Anwalts - Vor-
schlag vor, so handelt die RAK nach pflichtgemäßem Ermes-
Kennen Sie § 53 BRAO? sen bei der Entscheidung, wen sie bestellt; diese Entschei-
Rechte, Pflichten, Haftung und Versicherung bei dung ist im Rahmen des § 37 Abs. 4 BRAO nachprüfbar.
Jeder Vertreter, der auf Antrag durch die RAK bestellt
der Wahrnehmung von allgemeinen Vertretungen
wird,
Rechtsanwalt Holger Sassenbach, Vaterstetten 5
ist „amtlich bestellt" .
d) Von Amts wegen erfolgt die Bestellung, wenn
der
Seit 2007 ist das Verfahren für die Bestellung eines Rechtsanwalt es unterlässt, einen Antrag zu stellen, vgl. § 53
Vertre-
Abs. 5 BRAO. Hierher gehören auch die Fälle des § 161 BRAO,
ters wesentlich vereinfacht, weil nicht mehr in jedem Fall die
in denen die RAK bei Vorliegen eines Bedürfnisses wegen ei-
Rechtsanwaltskammer eingeschaltet werden muss. Der Be- nes Berufs- oder Vertretungsverbots einen Vertreter bestellt.
darf für Vertretungen in Zeiten der Verhinderung, einer län-
geren Abwesenheit oder des Berufs- oder Vertretungsverbots 2. Geeignete Vertreter
besteht nach wie vor. Der vorliegende Beitrag schildert, unter Zum Vertreter kann gem. § 53 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 S. 1
welchen Voraussetzungen Vertretungsbestellungen erfolgen BRAO zunächst einmal jeder Rechtsanwalt bestellt werden.
(I.), welche Rechte und Pflichten sich daraus ergeben In den Fällen der Bestellung durch die RAK können aber
(II.), auch andere Personen mit Befähigung zum Richteramt so-
wer für welche Fehler haftet (III.) und wie der wie Referendare nach 12 Monaten im Vorbereitungsdienst
Versiche- bestellt werden. Gem. § 53 Abs. 4 S. 3 BRAO dürfen aber sol-
rungsschutz aussieht (IV.). che Personen nicht bestellt werden, bei denen die
I. Vertreterbestellung
Ver-
1. Gesetzliche Grundlagen sagungsgründe des § 7 BRAO vorliegen, denen also die
Zu-
a) Die Bestellung eines Vertreters ist notwendig, wenn der
lassung zur Rechtsanwaltschaft versagt werden könnte. In
Rechtsanwalt länger als eine Woche daran gehindert ist, sei- der Praxis wird oft ein anderes Mitglied aus der Sozietät
nen Beruf auszuüben (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO) und/oder des
sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will Vertretenen bestellt; dies mag sinnvoll sein im Hinblick auf
(§ 53 Abs. 1 Nr. 2 BRAO). Sie ist aber auch dann erforderlich, Aktenzugriff und -aufbewahrung und die bürointerne Orga-
wenn gegen einen Rechtsanwalt ein vorläufiges Berufs- oder nisation. Aus haftungsrechtlichen Gründen ist diese Praxis
Vertretungsverbot verhängt wurde (§ 161 BRAO). jedoch mit Vorsicht zu genießen (s.u. III 3).
b) Die BRAO kennt dabei drei unterschiedliche Arten
der Bestellung: die Bestellung durch den Vertretenen selbst, 3. Pflicht zur Übernahme ?
die amtliche Bestellung und die Bestellung von Amts wegen. Eine Pflicht zur Übernahme besteht nur dann, wenn für den
c) Der Vertretene selbst darf und muss einen Vertreter
Rechtsanwalt, der von Amts wegen durch die RAK bestellt
bestellen, wenn die oben genannten Voraussetzungen des
wird, kein wichtiger Grund zur Ablehnung vorliegt (§ 53
§ 53 Abs. 1 BRAO vorliegen. Hintergrund ist die
Abs. 5 S. 3 BRAO). Über die Berechtigung der Ablehnung
Erreichbar- entscheidet die RAK (§ 53 Abs. 5 S. 4 BRAO). Bei einer
keit des Rechtsanwalts, der als Organ der Rechtspflege dem Be-
rechtsuchenden Publikum seine Dienstleistung anbietet: ist stellung durch den Vertretenen oder auf dessen Antrag oder
diese Erreichbarkeit nicht mehr gewährleistet und bei der Bestellung von Nicht-Rechtsanwälten besteht keine
der Pflicht zur Übernahme der Vertretung.
Rechtsanwalt damit an der Berufsausübung gehindert, muss
er für seine Vertretung sorgen. Dabei ist es gleichgültig, ob 4. Kundgabe nach außen hin
1
die Hinderung tatsächlicher oder rechtlicher Art ist , ob nun
II. Rechte und Pflichten
Hat der Vertreter einmal die Vertretung übernommen, so be-
einmalig oder für alle Fälle eines Kalenderjahres (§ 53 Abs. 2 darf es für die Wirksamkeit nicht der Mitteilung nach außen
1. 6Rechte
S. 2 BRAO). Die Bestellung durch den Vertretenen selbst
hin . Gleichwohl
Der Vertreter erscheint
erwirbt gem. es§ sinnvoll,
53 Abs. das
7 BRAOHandelndie „in Ver-
anwalt-
setzt allerdings voraus, dass ein anderer Rechtsanwalt, der tretung" zu dokumentieren, gerade auch im Hinblick auf die
derselben Rechtsanwaltskammer (im folgenden RAK) an- lichen Befugnisse des Vertretenen und wird dabei in eigener
Haftung (s.u. III). und zugleich im Interesse, für Rechnung
Verantwortung
gehört, die Vertretung übernimmt (§ 53 Abs. 2 S. 1 BRAO).
Dann - und nur dann - ist eine Anzeige an die RAK erforder- und auf Kosten des Vertretenen tätig (§ 53 Abs. 9 BRAO).
lich (§ 53 Abs. 6 BRAO). Die Wirksamkeit der Bestellung hängt Dies gilt für alle Vertreter, ob sie nun vom Vertretenen oder
2 von der RAK auf Antrag oder von Amts wegen bestellt
dabei nicht von der Anzeige ab ; diese wirkt also nicht konstitu- wer-
tiv, denn die Bestellung ist formlos möglich (§ 167 BGB). den, ob sie nun Rechtsanwalt sind oder nicht. Die Vertre-
d) In allen anderen Fällen (Rechtsanwalt aus einem an-
deren Kammerbezirk oder Nicht-Rechtsanwalt als Vertreter)
1 Feuerich in Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. § 53 Rdnr. 4.
hat der Rechtsanwalt, der vertreten werden möchte, einen
2 BGH, Urt. v. 9.12.1974 - III ZR 134/72, NJW 1975, 542.
Antrag auf Bestellung eines Vertreters durch die RAK zu 3 AGH Celle, Beschl. 29.9.97 - AGH 18/97.
stellen. Die RAK hat dabei zu berücksichtigen, dass dem Ver- 4 Feuerich in Feuerich/Weyland, aaO, Rdnr. 27.
tretenen kein unbekannter oder unerwünschter Vertreter be- 5 Hinweise der BRAK für die Tätigkeit des amtlich bestellten Vertreters finden sich
3 in den BRAK-Mitteilungen 1994, 22 und 1995, 238.
stellt wird . Dementsprechend hat die RAK auch etwaigen 6 BGH, Beschl. v. 28.7.2005 - III ZB 56/05, BRAK-Mitteilungen 2005, 279.
7
tungsmacht kann nicht nach außen hin beschränkt werden , stehen, das im Zweifel allen der Sozietät angehörenden An-
11
weil die Vertretung auch dem Interesse der wälten erteilt wurde . Dieses Ergebnis wird bestätigt durch
Rechtspflege 12
die akzessorische Haftung der Sozietätsmitglieder , wonach
dient. Für die Prozesshandlungen gilt § 85 ZPO, so dass der
ein Sozius kraft Gesetzes (§§ 128, 130 HGB) für die
Vertreter in allen Angelegenheiten des Vertretenen als Pro-
Fehler
zessbevollmächtigter auftreten kann; der Vertretene bleibt
seiner anderen Sozien haftet.
daneben bevollmächtigt, denn seine Rechte als Vertragspar-
tei und Prozessbevollmächtigter des Mandanten werden da-
durch nicht außer Kraft gesetzt. Nur dann, wenn für ihn von IV. Versicherungsschutz
Amts wegen ein Vertreter bestellt wurde, ist der Vertretene 1. Versicherungsschutz des Vertreters
grundsätzlich verpflichtet, ein Tätigwerden neben dem Ver-
Der Vertreter benötigt bislang keinen eigenen Versiche-
tretenen zu unterlassen. Der von Amts wegen bestellte Ver-
rungsschutz für die Vertretertätigkeit: für seine beruflichen
treter - und nur dieser - hat die besonderen Befugnisse nach
Fehler haftet bislang der Vertretene (s. o. III 2). Daher be-
§ 53 Abs. 10 BRAO.
steht auch über den Versicherungsvertrag des Vertretenen
2. Pflichten als Versicherungsnehmer Versicherungsschutz: mitver-
sichert ist die gesetzliche Haftpflicht von Vertretern eines
Weil der Vertreter die anwaltlichen Befugnisse des Vertrete-
Versicherungsnehmers, solange dieser an der Ausübung sei-
nen erwirbt, ist er dafür verantwortlich, sich um die Belange 13
der Kanzlei und die Mandatsbearbeitung selbst nes Berufs gehindert ist . Für den Vertreter ist daher wesent-
zu lich, dass er den Versicherungsvertrag des Vertretenen nach
kümmern. Keinesfalls ist ihm zu empfehlen, diese Aufgaben Möglichkeit fortführt. Dies gilt auch insbesondere deswegen,
bis hin zur kompletten Aktenbearbeitung dem Vertretenen weil er für seine Tätigkeit als Vertreter keinen eigenen
zu überlassen. Dann ist die Einsetzung des Vertreters unnö- Ver-
tig und widerspricht dem Zweck der Vertreterbestellung. Der sicherungsschutz hat: die Risikobeschreibung zählt die mit-
Vertreter ist einer besonderen Belastung ausgesetzt, da er versicherten Tätigkeiten im Allgemeinen abschließend auf.
14
möglicherweise einen Doppelberuf als Rechtsanwalt ausübt. Die Tätigkeit als Vertreter eines anderen ist im eigenen Ver-
Dem kann er aber nur entgehen, indem er bei einer Überbe- sicherungsvertrag des Vertreters nicht genannt und daher
lastung das Amt ablehnt oder aufgibt. sind Ansprüche von Mandanten gegen den Vertreter in der
III. Haftung Eigenschaft als solcher nicht versichert ;
Rückgriffs-
1. Haftung des Vertreters ansprüche des Vertretenen gegen den Vertreter sind hin-
a) Den Vertreter trifft gegenüber den Mandanten grundsätz- gegen versichert.
lich keine eigene Haftung, da er lediglich Erfüllungsgehilfe
8 2. Versicherungsschutz des Vertretenen
im Sinne des § 278 BGB des Vertretenen ist . Eine Eigenhaf-
tung trifft den Vertreter jedoch ausnahmsweise und unter Der Vertretene hat, wie dargelegt, eigenen Versicherungs-
engen Voraussetzungen dann, wenn dieser als Sachwalter in schutz, auch für Fehler seines Vertreters. Dies ist folgerich-
einem besonderen Maß das persönliche Vertrauen des Man- tig, weil der Vertretene ja dem Mandanten gegenüber dafür
9 haftet (s. o. III 2). Daraus folgt aber auch, dass der
danten in Anspruch genommen hat . Das wird bei normaler Vertreter
Mandatsbearbeitung regelmäßig nicht der Fall sein. das Bestehen des Versicherungsschutzes maßgeblich mit be-
b) Im Innenverhältnis, also dem Vertretenen gegenüber, einflusst: liegt der Handlung des Vertreters und damit der
haftet der Vertreter nach den Vorschriften des BGB. Haftung des Vertretenen ein Tatbestand zugrunde, der einen
nach § 51 Abs. 3 BRAO gesetzlich zulässigen Ausschluss ver-
2. Haftung des Vertretenen
wirklicht, so habeneines
1. Die Bestellung weder Vertreter
Vertreters noch Vertretener
bestimmt hierfür
sich wesentlich
Im Falle der Vertretung bleibt der Vertretene Vertragspartner Versicherungsschutz.
nach § 53 BRAO. Sie ist von Vertrauen geprägt.
und damit Haftungsschuldner. Er haftet daher dem Mandan- 2. Der Vertreter übt die Befugnisse des Vertretenen aus, un-
10
ten gegenüber, selbst für Fehler des Vertreters . Dies er- V. abhängig
Fazit von seinen eigenen Befugnissen.
scheint auch sachgerecht, denn der Vertreter tritt nicht in die 3. Die Haftung trifft grundsätzlich den Vertretenen und
bestehenden Anwaltsverträge ein. nicht den Vertreter. Die Bestellung eines Sozius als Ver-
treter kann zu abweichenden Haftungsergebnissen
3. Haftung beider führen.
a) Gehören Vertreter und Vertretener einer Sozietät an, so 4. Der Versicherungsschutz richtet sich nach dem Vertrag
können sie beide gleichwohl gemeinsam haften. des Vertretenen.
b) Dies lässt sich bereits aus der gesamtschuldnerischen
Haftung der Sozien herleiten. Danach haften im Zweifel alle Holger Sassenbach, Vaterstetten
aterstetten
Sozien für Fehler, die bei der Bearbeitung eines Mandats ent- Der Autor ist Rechtsanwalt. Er betreut bei der Allianz
Versicherungs-AG die Berufshaftpflichtversicherung der
7 BGH, Rechtsentscheid v. 11.3.1981 - VIII ZB 18/81, NJW 1981, 1740.
8 BGH, Urt. v. 17.5.1995 - VIII ZR 94/94, AnwBl 1995, 551.
Rechtsanwälte. Der Beitrag gibt seine persönliche
Auffassung wieder.
9 OLG Frankfurt, Urt. v. 10.4.1986 - 22 U 29/85, NJW 1986, 3091.
10 Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, Rdnr. 279. Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
11 Jungk in Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, Kapitel VII Rdnr. 4. autor@anwaltsblatt.de.
12 S. hierzu zuletzt BGH, Urt. v. 26.6.08 - IX ZR 145/05 sowie Sassenbach, Berufs-
recht contra Gesellschaftsrecht, AnwBl 2006, 304.
13 Vgl. die Risikobeschreibung für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung
von Rechtsanwälten, abgedruckt bei Feuerich/Weyland, BRAO, § 51 Rdnr. 10.
14 OLG Celle, Urt. v. 23.8.2007 - 8 U 2/07.
Der Vertreter des Anwalts - Kennen Sie § 53 BRAO?, Sassenbach AnwBl 12 / 2008 873
MN Rechtsprechung
Anwaltsrecht „§ 2
(1) ...
(2) Beratungshilfe nach diesem Gesetz wird gewährt in Angelegenheiten
1. des Zivilrechts einschließlich der Angelegenheiten, für deren Entscheidung die
Beratungshilfe auch für Gerichte für Arbeitssachen zuständig sind,
Angelegenheiten der Sozialhilfe, über die im Streitfall die Ver- der Gesamtzahl der Kindergeldempfänger (vgl. Igl/Welti, So-
waltungsgerichte entschieden, Beratungshilfe gewährt werde, zialrecht, 8. Auflage 2007, § 63 Rn. 7).
während dies etwa in den Renten- oder Versorgungsangelegen- 3. Ob eine Angelegenheit zu einem der in § 2 Abs. 2 BerHG
heiten nicht möglich sei. Es werde daher auch die flächen- aufgezählten Rechtsgebiete gehört, wird nach mittlerweile ein-
deckende Einbeziehung des Sozialrechts vorgeschlagen (vgl. helliger Auffassung in rein formaler Sichtweise danach be-
BTDrucks 12/7009, S. 5). In der Einzelbegründung zu den als stimmt, welcher Rechtsweg in dieser Angelegenheit eröffnet ist
neue Nummer 4 in den § 2 Abs. 2 Satz 1 BerHG einzufügen- (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und
den Angelegenheiten des Sozialrechts weist der Regierungsent- Beratungshilfe, 4. Auflage 2005, Rn. 961; Schoreit, in: ders./
wurf darauf hin, dass nach der bisherigen Auslegung des Bera- Groß, Beratungshilfe - Prozesskostenhilfe, 9. Auflage 2008, § 2
tungshilfegesetzes die Zuordnung einer Angelegenheit zu BerHG Rn. 5 ff., 20 und 38 f., jeweils m. w. N.). Infolgedessen
einem der in § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BerHG genannten, wird in Angelegenheiten des steuerrechtlichen Kindergeldes ge-
beziehungsweise nicht genannten, Rechtsgebiete nach der sach- nerell keine Beratungshilfe gewährt, da hier im Streitfall der
lichen Zuständigkeit der Gerichte, also nach dem Gerichtsweg Rechtsweg zu den Finanzgerichten eröffnet ist. Wird Kinder-
für die fragliche Angelegenheit vorzunehmen sei. Die Sozial- geld hingegen nach den Bestimmungen des Bundeskindergeld-
rechtsangelegenheiten, für die der Sozialrechtsweg gegeben sei, gesetzes geleistet, sind für Streitigkeiten hierüber die Sozialge-
seien daher bisher kraft bundesgesetzlicher Regelung von der richte zuständig mit der Folge, dass Beratungshilfe nach § 2
Gewährung der Beratungshilfe ausgenommen. Um den recht- Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BerHG grundsätzlich zur Verfügung steht
suchenden Bürgern in ungünstigen wirtschaftlichen Verhält- (s.u. B I 2 b).
nissen auch in sozialrechtlichen Fragen eine Beratung durch II. 1. Die Beschwerdeführerin begehrte wegen eines Be-
den Anwalt des Vertrauens zu ermöglichen, solle in § 2 Abs. 2 scheides der Familienkasse Berlin Süd über die Erstattung zu-
BerHG das Sozialrecht als eines der Gebiete, für das Beratungs- viel gezahlten Kindergeldes Beratungshilfe. Ihren hierauf ge-
hilfe gewährt werde, ausdrücklich aufgeführt werden (vgl. richteten Antrag wies die Rechtspflegerin beim Amtsgericht
BTDrucks 12/7009, S. 6). zurück. Kindergeldangelegenheiten seien der Finanzgerichts-
2. Das heute geltende Kindergeldrecht beruht auf dem Jah- barkeit zuzuordnen und begründeten deshalb nach § 2 BerHG
ressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I S. 1250; keinen Anspruch auf Beratungshilfe. Der Erinnerung der Be-
JStG 1996). Danach soll das Existenzminimum eines Kindes schwerdeführerin half die Rechtspflegerin nicht ab. Zwar er-
einschließlich des Bedarfs für Betreuung und Erziehung oder folgten Kindergeldzahlungen aus sozialen Gründen. Die Fami-
Ausbildung von der Einkommensteuer freigestellt werden. Dies lienkasse unterstehe jedoch dem Finanzamt. Kindergeldsachen
wird durch die im Einkommensteuergesetz (EStG) vorgesehe- seien dementsprechend der Finanzgerichtsbarkeit zuzuordnen.
nen Freibeträge oder durch das nach dem X. Abschnitt des Ein- Für solche Angelegenheiten werde nach dem Wortlaut des § 2
kommensteuergesetzes zu gewährende Kindergeld bewirkt BerHG keine Beratungshilfe gewährt.
(§ 31 Satz 1 EStG). Soweit das Kindergeld für die Freistellung Mit dem angegriffenen Beschluss wies das Amtsgericht
des Existenzminimums nicht erforderlich ist, dient es der durch den Richter die Erinnerung der Beschwerdeführerin
Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG). In der Regel erfolgt zurück. Der Rechtsbehelf sei zwar nach § 6 Abs. 2 BerHG zu-
der Familienleistungsausgleich durch die Gewährung von Kin- lässig, aber aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen
dergeld. Beschlusses sowie des Nichtabhilfebeschlusses unbegründet.
Die Durchführung des Familienleistungsausgleichs obliegt Denn nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 BerHG werde Bera-
den bei der Bundesagentur für Arbeit eingerichteten Familien- tungshilfe ausschließlich in den im Gesetz genannten Angele-
kassen (§ 67, § 70 Abs. 1 EStG), die hier als Finanzbehörden tä- genheiten gewährt. Der Wortlaut des § 2 Abs. 2 BerHG sei in-
tig werden (§ 5 Abs. 1 Nummer 11 Satz 2 des Gesetzes über die sofern eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Im
Finanzverwaltung). Das Verfahren richtet sich nach der Abga- vorliegenden Fall handele es sich um eine nicht im Katalog des
benordnung (AO). Dementsprechend führt der Rechtsweg in § 2 Abs. 2 BerHG enthaltene Angelegenheit der Finanzgerichts-
den Angelegenheiten des steuerrechtlichen Kindergeldes ge- barkeit, weil es um Kindergeld gehe und die zuständige Famili-
mäß § 33 Abs. 1 Nummer 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) enkasse dem Finanzamt zuzuordnen sei.
zu den Finanzgerichten (vgl. BFHE 187, 562; 191, 67; 194, 368; 2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwer-
Koch, in: Gräber u. a., FGO, 6. Auflage 2006, § 33 Rn. 30 „Kin- deführerin die Verletzung ihres Rechts auf Gleichbehandlung
dergeldangelegenheiten"). gemäß Art. 3 Abs. 1 GG.
Eltern, für die der durch das Einkommensteuerrecht be- Sie macht geltend, es gebe keinen sachlichen Grund, der die
wirkte Familienleistungsausgleich nicht greift, weil sie nicht Unterscheidung zwischen dem nach dem Bundeskindergeldge-
unbeschränkt steuerpflichtig sind und daher das Einkommen- setz und dem nach dem Einkommensteuergesetz zu leistenden
steuergesetz auf sie keine Anwendung findet, können Kinder- Kindergeld hinsichtlich der Gewährung von Beratungshilfe zu
geld nach dem Bundeskindergeldgesetz in der Fassung vom rechtfertigen vermöge. Auch das Kindergeld nach dem Einkom-
23. Januar 1997 (BGBl I S. 47; BKGG) erhalten. Dabei handelt mensteuergesetz sei Teil des sozialrechtlichen Familienlasten-
es sich vor allem um Personen, die im Inland weder einen ausgleichs. Die Behandlung des Kindergeldrechts als Teil des
Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 Sozialrechts könne nicht unter Hinweis auf die Zuständigkeit
Abs. 1 BKGG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG), nicht der Finanzgerichtsbarkeit verneint werden, weil aus dem eröff-
aufgrund eines Dienstverhältnisses zu einer inländischen juris- neten Rechtsweg für die rechtliche Einordnung der Angelegen-
tischen Person des öffentlichen Rechts Arbeitslohn aus einer
inländischen Kasse beziehen und im Aufenthaltsstaat in einem Anzeige
bestimmten Umfang zu einer Steuer vom Einkommen heran-
gezogen werden (§ 1 Abs. 1 BKGG in Verbindung mit § 1
Abs. 2 EStG) und die nicht bestimmte inländische Einkünfte
im Sinne des § 49 EStG haben (§ 1 Abs. 1 BKGG in Verbindung
mit § 1 Abs. 3 EStG). Hinzu kommen unter gewissen Voraus-
setzungen alleinstehende Kinder (§ 1 Abs. 2 BKGG) sowie be-
stimmte freizügigkeitsberechtigte Ausländer (§ 1 Abs. 3
BKGG). Die Zahl der Empfänger dieses sozialrechtlichen Kin-
dergelds liegt nach Literaturangaben insgesamt bei unter 1 %
heit nichts abzuleiten sei. So seien früher die Verwaltungs- in grundsätzlich gleicher Weise eröffne (vgl. BVerfGE 81, 347
gerichte für das Recht der Sozialhilfe zuständig gewesen. Das 5356> sowie Bezug nehmend auf beide Prinzipien BVerfGE
Amtsgericht hätte die Bewilligung von Beratungshilfe deshalb 35, 348 5355>; 78, 104 5117 f.>).
nicht gestützt auf § 2 Abs. 2 Satz 1 BerHG ablehnen dürfen, Danach darf Unbemittelten die Rechtsverfolgung und -ver-
sondern hätte § 2 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 BerHG dahin aus- teidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig
legen und anwenden müssen, dass in Angelegenheiten des erschwert werden (vgl. BVerfGE 9, 124 5130 f.>; 22, 83 586>;
Kindergeldes nach dem Einkommensteuergesetz als Angele- 63, 380 5394 f.>). Der Unbemittelte muss grundsätzlich
genheiten des Sozialrechts Beratungshilfe gewährt werde. ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können
III. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bayerische wie ein Begüterter (vgl. BVerfGE 9, 124 5130 f.>; 63, 380
Staatsministerium der Justiz und die Bundesrechtsanwaltskam- 5395>). Er muss einem solchen Bemittelten gleichgestellt wer-
mer Stellung genommen. den, der seine Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch
1. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz weist darauf sein Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BVerfGE 51, 295 5302>;
hin, dass der bayerische Landesgesetzgeber die Begründung für 81, 347 5357>).
die mit § 2 Abs. 2 BerHG einhergehende Beschränkung der be- Das Bundesverfassungsgericht hat diesen verfassungsrecht-
ratungshilfefähigen Angelegenheiten auf bestimmte Sach- lichen Maßstab der Rechtsschutzgleichheit bisher allein bei der
gebiete, die ursprüngliche Ausklammerung auch des Arbeits- Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes angewendet und
und des Sozialrechts sowie die Ausklammerung des Steuer- hieran insbesondere die fachgerichtliche Prüfung der Erfolgs-
rechts nicht für überzeugend gehalten habe, weil dabei nicht aussicht einer beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsver-
berücksichtigt worden sei, dass nach § 1 Abs. 1 Nummer 2 teidigung als Voraussetzung für die Bewilligung von Prozess-
BerHG Beratungshilfe ohnehin nur dann bewilligt werden kostenhilfe gemessen (vgl. nur BVerfGE 81, 347 5356 ff.>
dürfe, wenn dem Ratsuchenden keine anderen zumutbaren sowie aus der Kammerrechtsprechung BVerfG, 2. Kammer des
Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Außerdem sei es Ersten Senats, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 BvR
im Hinblick auf die von Verfassungs wegen gebotene Gleichbe- 1807/07 -, NJW 2008, S. 1060 51061 ff.>). Die Frage, ob aus
handlung nicht vertretbar, Beratungshilfe selbst dann zu ver- den Verfassungsprinzipien, die den Grundsatz der Rechts-
sagen, wenn feststehe, dass andere Beratungsmöglichkeiten schutzgleichheit tragen, eine Pflicht zur Angleichung der Stel-
nicht bestünden, nicht zumutbar oder nicht ausreichend seien. lung Unbemittelter an die Bemittelter auch für den außerge-
In Bayern werde deshalb nach Art. 51 des Gesetzes zur Ausfüh- richtlichen Rechtsschutz hergeleitet werden kann, hat das
rung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrens- Bundesverfassungsgericht hingegen bisher ausdrücklich offen-
gesetzen des Bundes vom 23. Juni 1981 (Bayerisches GVBl gelassen (vgl. BVerfGE 88, 5 516> sowie BVerfG, 3. Kammer
S. 187 5195>) bereits seit 1981 Beratungshilfe auch für das Ar- des Ersten Senats, Beschluss vom 12. Juni 2007 - 1 BvR
beits- und Sozialrecht sowie für das Steuerrecht gewährt. 1014/07 -, NJW-RR 2007, S. 1369).
2. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungs- b) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Ver-
beschwerde für begründet. Die angegriffene Entscheidung ver- bindung mit dem Sozialstaats- und dem Rechtsstaatsprinzip
letze die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 (Art. 20 Abs. 1, 3 GG) verlangt, dass der Gesetzgeber auch im
Abs. 1 GG. Spätestens mit der Aufnahme des Sozialrechts in außergerichtlichen Bereich die erforderlichen Vorkehrungen
den Kreis der beratungshilfefähigen Angelegenheiten habe die trifft, damit der Rechtsuchende mit der Wahrnehmung und
Ausnahme für das Steuerrecht ihre innere Rechtfertigung ver- Durchsetzung seiner Rechte nicht von vornherein an mangeln-
loren. den Einkünften oder ungenügendem Vermögen scheitert. Die
Selbst wenn man die Ausklammerung steuerrechtlicher An- Erwägung, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gelegenheiten aus dem Anwendungsbereich der Beratungshilfe gerichts zum Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit im prozes-
für gerechtfertigt halte, sei der Ausschluss von Beratungshilfe- sualen Bereich trägt, dass der gleiche Rechtszugang jedermann
leistungen jedenfalls dort nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, unabhängig von seinen Einkunfts- und Vermögensverhältnis-
wo er sich auf das steuerrechtliche Kindergeld als Familienför- sen möglich sein muss, gilt entsprechend für den außergericht-
derung beziehe. Insofern sei eine verfassungskonforme Aus- lichen Bereich. Weder der allgemeine Gleichheitssatz gemäß
legung des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BerHG möglich. Art. 3 Abs. 1 GG noch das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20
B. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der aus § 2 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3
Abs. 2 BerHG folgende Ausschluss steuerrechtlicher Angele- GG sind in ihrer Geltung auf gerichtliche Verfahren be-
genheiten aus dem Anwendungsbereich der Beratungshilfe ist schränkt. Diese im gerichtlichen Verfahren auf Rechtsschutz-
mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar. Die in gleichheit gerichteten Verfassungsgrundsätze gewährleisten
der angegriffenen Entscheidung darauf gestützte Versagung dem Bürger im außergerichtlichen Bereich Rechtswahrneh-
von Beratungshilfe verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem mungsgleichheit.
Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Angesichts der rechtlichen Durchdringung nahezu aller Le-
I. 1. Das Beratungshilfegesetz sichert den Anspruch des bensbereiche und der häufig hohen Komplexität und wechsel-
Bürgers auf grundsätzlich gleiche Chancen von Bemittelten seitigen Verknüpfung der einschlägigen Regelungen ist der
und Unbemittelten bei der Wahrnehmung und Verfolgung sei- Bürger vielfach auf fachkundigen Rechtsrat angewiesen, um
ner Rechte auch im außergerichtlichen Bereich. seine Rechte erkennen, bewerten und darüber entscheiden zu
a) Das Bundesverfassungsgericht hat schon sehr früh aus können, ob und mit welchen Erfolgsaussichten er sie - gegebe-
dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem allgemei- nenfalls auch gerichtlich - durchsetzen kann. Kann er diesen
nen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) die Forderung nach ei- Rechtsrat mangels Einkünften oder Vermögen nicht bereits im
ner „weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten außerprozessualen Bereich in einer dem Begüterten annähernd
und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes" abgeleitet vergleichbaren Weise erlangen, wird er ihm gegenüber schon
(vgl. BVerfGE 9, 124 5130 f.>; 10, 264 5270 f.>; 22, 83 586>; hier ins Hintertreffen geraten und den gerichtlichen Rechts-
51, 295 5302>; 56, 139 5143>; 63, 380 55394 f.>). Diese For- schutz mit seinen Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe nicht
derung hat es später unter ausdrücklicher Berufung auch auf oder - etwa wegen versäumter Fristen, präkludierter Einwen-
den Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) mit der Erwä- dungen oder fehlender Vorverfahren - mit dort womöglich nur
gung begründet, die Verweisung der Beteiligten zur Durchset- schwer auszugleichenden Rechtsnachteilen erreichen.
zung ihrer Rechte vor die Gerichte bedinge zugleich, dass der Allerdings ist der Gestaltungsspielraum, der dem Gesetz-
Staat Gerichte einrichte und den Zugang zu ihnen jedermann geber bei Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur
Gewährleistung der Rechtswahrnehmungsgleichheit zukommt, stärker sich die Ungleichbehandlung auf verfassungsrechtlich
schon deshalb groß, weil die Rechtswahrung im außergericht- gewährleistete Freiheiten auswirkt (vgl. BVerfGE 82, 126
lichen Bereich weit weniger strukturiert und formalisiert er- 5146>) und je weniger der Einzelne nachteilige Folgen durch
folgt als im gerichtlichen Verfahren. Nicht anders als bei der eigenes Verhalten vermeiden kann. Die aus Art. 3 Abs. 1 GG
Ermöglichung des Zugangs zu den Gerichten verlangt Art. 3 folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten,
Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaats- und Rechts- wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu ande-
staatsgrundsatz auch bei der Schaffung der rechtlichen ren Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen
Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der Rechtswahrneh- beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und sol-
mungsgleichheit keine vollständige Gleichstellung Unbemittel- chem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung
ter mit Bemittelten, sondern nur eine weitgehende Anglei- rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72 588>; 82, 126
chung (vgl. BVerfGE 81, 347 5357>). Auch hier braucht der 5146>; 87, 1 536>; 88, 5 512>; 100, 195 5205>; 117, 272
Unbemittelte nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu 5300 f.>).
werden, der bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme Gemessen hieran kann die gesetzliche Differenzierung zwi-
von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berück- schen sozialrechtlichen Angelegenheiten, für die Beratungs-
sichtigt und vernünftig abwägt. Insbesondere darf der Recht- hilfe gewährt wird, und steuerrechtlichen, die davon ausgenom-
suchende zunächst auf zumutbare andere Möglichkeiten für men sind, selbst dann keinen Bestand haben, wenn man sie -
eine fachkundige Hilfe bei der Rechtswahrnehmung verwiesen wie es die auf die verschiedenen Rechtsgebiete abstellende
werden. Der Gesetzgeber kann daher die Rechtswahrneh- Regelung in §2 Abs. 2 BerHG nahelegt (vgl. allerdings
mungsgleichheit von nicht hinreichend Bemittelten und Begü- BVerfGE 88, 5 512>) - als Unterscheidung zwischen Sach-
terten auf unterschiedliche Weise zu erreichen suchen. Ins- gruppen versteht, bei der die Bindungen des Gesetzgebers an
gesamt muss jedoch gewährleistet sein, dass auch nicht den Gleichheitssatz grundsätzlich weniger streng sind als bei
ausreichend Bemittelten fachkundiger Rechtsrat zugänglich ist, der Unterscheidung zwischen Personengruppen. Denn für den
wenn dessen Inanspruchnahme zur außergerichtlichen Rechts- Ausschluss steuerrechtlicher Angelegenheiten, erst recht sol-
wahrnehmung auch unter vernünftiger Berücksichtigung der cher des steuerrechtlichen Kindergeldes, von der Beratungs-
damit verbundenen Kosten geboten erscheint. hilfe besteht jedenfalls seit der Aufnahme des Sozialrechts in
Mit dem Beratungshilfegesetz vom 18. Juni 1980 hat der Ge- den Kreis der beratungshilfefähigen Angelegenheiten durch
setzgeber diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen zur das Gesetz zur Änderung des Beratungshilfegesetzes und ande-
Gewährleistung der Rechtswahrnehmungsgleichheit im Grund- rer Gesetze vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2323) kein
satz Genüge getan. Es dient erklärtermaßen dem Ziel sicher- sachlich tragfähiger Grund mehr.
zustellen, dass Bürger mit geringem Einkommen und Vermö- b) Der Ausschluss des steuerrechtlichen Kindergeldes aus
gen nicht durch ihre finanzielle Lage daran gehindert werden, den beratungshilfefähigen Angelegenheiten hat seine Grund-
sich außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens sachkundigen lage in dem formalen Verständnis der in § 2 Abs. 2 BerHG ge-
Rechtsrat zu verschaffen (Gesetzentwurf der Bundesregierung nannten Rechtsgebiete, das an den jeweiligen Rechtsweg an-
BTDrucks 8/3311, S. 1). Die prinzipielle Eignung des Bera- knüpft, in dem Streitigkeiten aus diesen Gebieten zu verfolgen
tungshilfegesetzes, dieses Ziel zu erreichen, steht außer Frage. wären. Dieses Verständnis entspricht der mittlerweile einhel-
2. Bei der Ausgestaltung der Rechtswahrnehmungsgleich- ligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum und lag
heit hat der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Anforde- auch der Änderung des Beratungshilfegesetzes im Jahre 1994
rungen zu genügen. Er hat dabei insbesondere auch den all- zugrunde.
gemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu beachten. § 2 Abs. 2 BerHG enthält eine abschließende Aufzählung
Hiermit ist die Regelung des § 2 Abs. 2 BerHG nicht vereinbar, der beratungshilfefähigen Angelegenheiten, zu denen zwar sol-
wonach Beratungshilfe nur in den dort ausdrücklich nach che des Sozialrechts, nicht aber solche des Steuerrechts gehö-
Rechtsgebieten aufgezählten Angelegenheiten gewährt wird. ren. Die Abgrenzung der aufgezählten Sachgebiete allgemein
Die Vorschrift führt zu einer Ungleichbehandlung von Recht- sowie speziell diejenige zwischen den beratungshilfefähigen
suchenden in beratungshilfefähigen Angelegenheiten gegen- Angelegenheiten des Sozialrechts (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
über solchen in nicht von der Aufzählung erfassten Angelegen- BerHG) und den nicht beratungshilfefähigen Angelegenheiten
heiten. Für diese Ungleichbehandlung gibt es jedenfalls im des Steuerrechts richtet sich nach dem eröffneten Rechtsweg
Verhältnis zwischen Rechtsuchenden im Bereich des Sozial- (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und
rechts und jenen im Bereich des Steuerrechts und erst recht Beratungshilfe, 4. Auflage 2005, Rn. 961; Schoreit, in: ders./
für die damit einhergehende Ungleichbehandlung zwischen Groß, Beratungshilfe - Prozesskostenhilfe, 9. Auflage 2008, § 2
Empfängern von steuerrechtlichem und sozialrechtlichem Kin- BerHG Rn. 5 ff., 20 und 38 f.; Greißinger, AnwBl 1989, S. 573
dergeld keinen tragfähigen sachlichen Grund. 5574>). Sozialrechtlich im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
a) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je BerHG sind danach nur solche Angelegenheiten, für die der
nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsgrund unter- Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist; steuerrechtlich
schiedliche Anforderungen an gesetzliche Vorschriften, die sind hingegen Angelegenheiten, für die der Rechtsweg zu den
vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Finanzgerichten führt (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs,
Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 55, 72 Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage 2005,
588>; 88, 87 596>; 101, 54 5101>; 107, 27 545 f.>; 112, 164 Rn. 961 f.; Schoreit, in: ders./Groß, Beratungshilfe - Prozess-
5174>). Hinsichtlich der Anforderungen an Rechtfertigungs-
gründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich Anzeige
darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von
Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich
geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE
105, 73 5110 f.>; 106, 166 5176>; 112, 164 5174>). Die Ge-
staltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit,
wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Be-
troffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche
Regelung einstellen können (vgl. BVerfGE 55, 72 589>). Dage-
gen sind dem Gesetzgeber umso engere Grenzen gesetzt, je
kostenhilfe, 9. Auflage 2008, § 2 BerHG Rn. 5 ff., 20 und 38 f.). § 15 BKGG für Streitigkeiten hinsichtlich des sozialrechtlichen
Auf die entsprechende Einordnung des der Angelegenheit zu- Kindergeldes die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialge-
grunde liegenden materiellen Rechts kommt es hingegen nicht richten vorsieht (vgl. Koch, in: Gräber u. a., FGO, 6. Auflage
an. Dieses formelle Verständnis der in § 2 Abs. 2 BerHG 2006, § 33 Rn. 30 „Kindergeldangelegenheiten"; Seewald, in:
genannten Sachgebiete entspricht der Rechtsprechung der für ders./Felix, Kindergeldrecht, Kommentar, Loseblatt, Stand: Au-
die Anwendung des Beratungshilfegesetzes zuständigen Amts- gust 2007, Einführung Rn. 8 f.).
gerichte. Entscheidungen, denen noch ein materielles Ver- c) Es gibt keine Gründe, die die auf §2 Abs. 2
ständnis der Begriffe „Verwaltungsrecht" und „Sozialrecht" zu- BerHG
grunde lag, sind zur ursprünglichen Fassung des
zurückgehende Ungleichbehandlung steuerrechtlicher und so-
Beratungshilfegesetzes ergangen (vgl. nur AG Gießen, Be- zialrechtlicher Angelegenheiten, namentlich die Differenzie-
schluss vom 5. Juni 1984 - 47 II 143/84 -, Rpfleger 1984, rung zwischen Angelegenheiten des steuerrechtlichen und des
S. 423; AG Siegen, Beschluss vom 20. April 1983 - 20 UR II sozialrechtlichen Kindergeldes, sachlich zu rechtfertigen ver-
305/82 -, AnwBl 1983, S. 474 5475 f.> mit ablehnender An- mögen.
merkung von Trenk-Hinterberger; vgl. ferner Greißinger,
aa) Der Gesetzgeber hat die Begrenzung des sachlichen An-
AnwBl 1986, S. 417 5418> sowie AnwBl 1989, S. 573 5574>;
wendungsbereichs des Beratungshilfegesetzes zunächst auf ei-
anders bereits etwa AG Heidelberg, Beschluss vom 8. Juni 1982
nen mit Modellversuchen ermittelten sehr geringen Beratungs-
- 30 UR II 102/82 -, AnwBl 1983, S. 238 f.; AG Halle/Westf.,
bedarf in Angelegenheiten des Arbeitsrechts, des Sozialrechts
Beschluss vom 8. Oktober 1984 - 2 UR II 18/84 -, AnwBl 1985,
und des Steuerrechts gestützt. Er hat so eine Konzentration der
S. 111); sie sind durch die mit dem Gesetz zur Änderung des
öffentlichen Mittel auf solche Bereiche beabsichtigt, in denen
Beratungshilfegesetzes und anderer Gesetze vom 14. Septem-
das Bedürfnis nach kostengünstigem Rechtsrat besonders deut-
ber 1994 (BGBl I S. 2323) erfolgte Erweiterung des Kataloges
lich hervorgetreten war (vgl. BTDrucks 8/3311, S. 11 f.). Die
beratungshilfefähiger Angelegenheiten in § 2 Abs. 2 Satz 1
Ausklammerung des Steuerrechts aus dem Kreis der nach § 2
BerHG um das „Sozialrecht" mittlerweile überholt.
Abs. 2 BerHG beratungshilfefähigen Angelegenheiten hat er
Von diesem formellen Verständnis der in § 2 Abs. 2 Satz 1
damit begründet, dass Rechtsuchende im Bereich des Steuer-
BerHG genannten Sachgebiete ging erkennbar auch der Ge- rechts sowohl auf die ausgedehnte Tätigkeit von Verbänden,
setzgeber bei Erlass des Änderungsgesetzes aus. So wird die Er- insbesondere von Lohnsteuerhilfevereinen, zurückgreifen
weiterung der beratungshilfefähigen Angelegenheiten um das könnten, als auch die Möglichkeit hätten, nach § 42 e EStG
Sozialrecht in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 BerHG im Regie- Auskünfte einzuholen, und deshalb kein nennenswerter Bera-
rungsentwurf in erster Linie mit dem Hinweis darauf be- tungshilfebedarf bestehe (vgl. BTDrucks 8/3311, S. 12). Ver-
gründet, dass dadurch die „schwer vermittelbare Folge" des gleichbare Erwägungen haben ihn zur Nichtaufnahme des Ar-
herrschenden formalen Verständnisses der in § 2 Abs. 2 BerHG beits- und des Sozialrechts in die Beratungshilfe veranlasst (vgl.
aufgezählten Rechtsgebiete beseitigt werden solle, wonach in dazu BVerfGE 88, 5 513>).
Angelegenheiten der Sozialhilfe, über die im Streitfall die Ver-
Die diese Konzeption tragenden Erwägungen vermögen die
waltungsgerichte entschieden, Beratungshilfe gewährt werde,
mit § 2 Abs. 2 BerHG einhergehende Ungleichbehandlung von
während dies etwa in den Renten- oder Versorgungsangelegen-
Rechtsuchenden in Steuersachen gegenüber jenen in Angele-
heiten nicht möglich sei (vgl. BTDrucks 12/7009, S. 5). Die Ein-
genheiten des Sozialrechts nicht zu rechtfertigen, weil der Ge-
zelbegründung des Regierungsentwurfs zu § 2 Abs. 2 Satz 1
setzgeber die Beschränkung der Beratungshilfe auf Sachgebiete
Nummer 4 BerHG knüpft daran an und betont, dass es um die
mit besonders hohem Beratungsbedarf und geringen anderwei-
Bewilligung und Gewährung von Beratungshilfe in Sozial-
tigen Beratungsmöglichkeiten zwischenzeitlich aufgegeben hat.
rechtsangelegenheiten gehe, für die der Sozialrechtsweg gege-
Mit dem Gesetz zur Änderung des Beratungshilfegesetzes und
ben sei und die bisher von der Anwendung des Beratungshilfe-
anderer Gesetze vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2323) hat
gesetzes ausgenommen gewesen seien (vgl. BTDrucks 12/7009,
er durch § 2 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 BerHG die Beratungs-
S. 6).
hilfe auch auf Angelegenheiten „des Sozialrechts" erstreckt, ob-
Folge dieses formellen Verständnisses des § 2 Abs. 2 BerHG gleich er zunächst gerade hier von umfangreichen Möglichkei-
ist, dass Rechtsuchenden in Angelegenheiten, die nach § 33 ten kostengünstiger, behördlicher Beratung ausging.
FGO im Falle eines Rechtsstreits der Finanzgerichtsbarkeit zu-
Die anderweitigen Beratungsmöglichkeiten in sozialrecht-
gewiesen sind, generell keine Beratungshilfe gewährt wird. Auf
lichen Angelegenheiten bleiben jedenfalls nicht hinter denjeni-
die wirtschaftliche Bedürftigkeit der Betroffenen (§ 1 Abs. 1
gen in steuerrechtlichen Angelegenheiten zurück. So vermit-
Nummer 1 BerHG) und das Vorhandensein anderweitiger Be-
teln die §§ 14, 15 SGB I Rechtsuchenden in sozialrechtlichen
ratungsangebote (§ 1 Abs. 1 Nummer 2 BerHG) kommt es da-
Angelegenheiten breit angelegte, weitgehende Beratungs- und
bei ebensowenig an wie auf andere Umstände des Einzelfalles.
Auskunftsrechte (zu den Einzelheiten vgl. Seewald, in: Kasseler
In Angelegenheiten, die nach § 51 SGG im Falle eines Rechts-
Kommentar, Loseblatt, Stand: 1. September 2007, § 14 SGB I
streits den Sozialgerichten zugewiesen sind, kann hingegen ge-
Rn. 1 ff. sowie § 15 SGB I Rn. 1 ff.). Demgegenüber erfasst die
mäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 BerHG grundsätzlich Bera-
im Regierungsentwurf zum Beratungshilfegesetz 1980 als
tungshilfe bewilligt werden.
Grund für die Ausklammerung des Steuerrechts aus der Bera-
In Kindergeldangelegenheiten führt dies dazu, dass § 2 tungshilfe genannte behördliche Beratungsmöglichkeit des
Abs. 2 BerHG der Bewilligung von Beratungshilfe unabhängig § 42 e EStG lediglich Fragen der Anwendung des Lohnsteuer-
von den Umständen des Einzelfalles entgegensteht, soweit es - rechts gemäß den §§ 38 ff. EStG (vgl. Barein, in: Littmann/Bitz/
wie in der großen Mehrzahl der Fälle - um Kindergeld nach Pust, Das Einkommensteuerrecht, Loseblatt, Stand: Februar
dem Einkommensteuergesetz geht. Denn in Angelegenheiten 2007, § 42 e Rn. 9 ff.; Drenseck, in: Schmidt, Einkommensteu-
des steuerrechtlichen Kindergeldes ist der Rechtsweg zu den Fi- ergesetz, 26. Auflage 2007, § 42 e Rn. 6; Heuermann, in:
nanzgerichten gemäß § 33 Abs. 1 Nummer 1 FGO eröffnet (vgl. Blümich, EStG - KStG - GewStG, Loseblatt, Stand: September
BFHE 187, 562; 191, 67; 194, 368; Koch, in: Gräber u. a., FGO, 2007, § 42 e EStG Rn. 12) und verschafft keinen umfassenden
6. Auflage 2006, § 33 Rn. 30 „Kindergeldangelegenheiten"; See- Beratungsanspruch im Steuer-, auch nicht nur im Einkommen-
wald, in: ders./Felix, Kindergeldrecht, Kommentar, Loseblatt, steuerrecht. Die steuerrechtlichen Beratungs- und Auskunfts-
Stand: August 2007, Einführung Rn. 12). Demgegenüber kann rechte nach § 89 AO sind ebenfalls nicht umfassend und bezie-
in Angelegenheiten des Kindergeldes nach dem Bundeskinder- hen sich zudem nur auf das laufende finanzbehördliche
geldgesetz grundsätzlich Beratungshilfe bewilligt werden, weil Verfahren (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 - III ZR
420/02 -, VersR 2005, S. 1730; Seer, in: Tipke/Kruse, Abgaben-
ordnung - Finanzgerichtsordnung, Loseblatt, Stand: Mai 2008, gen und Pauschalierungen des Gesetzgebers müssen - unge-
§ 89 Rn. 3 f. zu § 89 Abs. 1 Satz 1 AO). Hinsichtlich § 89 Abs. 2 achtet der mit ihnen grundsätzlich legitimierten Ungleichbe-
Satz 1 AO kommt hinzu, dass danach erteilte verbindliche handlung von Massenvorgängen innerhalb des Typisierungs-
Auskünfte nicht kostenfrei, sondern gemäß § 89 Abs. 3 bis 5 und Pauschalierungsrahmens - das vom Gesetzgeber verfolgte
AO gebührenpflichtig sind. Regelungskonzept folgerichtig umsetzen. Dies ist bei § 2 Abs. 2
Es ist auch nicht ersichtlich, dass das private Angebot kos- BerHG mit der Ausklammerung steuerrechtlicher Angelegen-
tengünstiger Rechtsberatung in sozialrechtlichen Angelegen- heiten aus der Beratungshilfe nicht geschehen. Zwar hat der
heiten hinter demjenigen in steuerrechtlichen Angelegenheiten Gesetzgeber die Begrenzung des sachlichen Anwendungs-
zurücksteht und deshalb einen besonderen Beratungsbedarf zu bereichs des Beratungshilfegesetzes zunächst auf einen mit
begründen vermag. Wie die in der Gesetzesbegründung zum Modellversuchen ermittelten sehr geringen Beratungsbedarf in
Regierungsentwurf des Beratungshilfegesetzes 1980 genannten Angelegenheiten des Arbeitsrechts, des Sozialrechts und des
Lohnsteuervereine Rechtsberatung für den Bereich des Steuer- Steuerrechts gestützt. Er hat so eine Konzentration der öffentli-
rechts anbieten, sind im Bereich des Sozialrechts die Gewerk- chen Mittel auf solche Bereiche beabsichtigt, in denen das
schaften und Sozialverbände beratend tätig. Es kommt hinzu, Bedürfnis nach kostengünstigem Rechtsrat besonders deutlich
dass die Mitgliedschaft in Lohnsteuervereinen beitragspflichtig hervorgetreten war (vgl. BTDrucks 8/3311, S. 11 f.). Es kann da-
ist und Unbemittelte schon deshalb nicht in jedem Fall und un- hinstehen, ob und inwieweit sich der Gesetzgeber - abgesehen
geachtet der Umstände des Einzelfalls hierauf verwiesen wer- von der vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig
den können. Aus diesem Grund hat der Senat bereits in seinem befundenen Ausklammerung der Angelegenheiten des Arbeits-
Beschluss vom 2. Dezember 1992 die entsprechende Verwei- rechts (vgl. BVerfGE 88, 5) - mit der Nichtberücksichtigung des
sung auf die Beratungsmöglichkeiten in Arbeitnehmer- oder Sozialrechts und des Steuerrechts bei der Beratungshilfe im
Arbeitgeberverbänden nicht zum Ausschluss der Beratungshilfe Rahmen einer zulässigen Typisierung und Pauschalierung ge-
in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten genügen lassen halten hat. Denn dieses Konzept der Nichtberücksichtigung
(BVerfGE 88, 5 514 f.>). von Sachgebieten mit nur geringem Beratungsbedarf hat der
bb) Die festgestellte Ungleichbehandlung zu Lasten der Gesetzgeber - wie oben bereits ausgeführt (unter B I 2 c aa) -
Rechtsuchenden im Steuerrecht kann auch nicht mit der gele- mit dem Gesetz zur Änderung des Beratungshilfegesetzes und
gentlich vorgebrachten Erwägung gerechtfertigt werden, anderer Gesetze vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2323) in-
Rechtsberatung auf dem Gebiet des Steuer- und Abgabenrechts sofern aufgegeben, als er den Anwendungsbereich der Bera-
zu günstigen Bedingungen erhalten zu können, sei für Bürger tungshilfe auf einen Teil der Sachgebiete mit einem nach sei-
mit geringem Einkommen kein vordringliches Problem (vgl. ner Einschätzung regelmäßig geringen außergerichtlichen Be-
Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Be- ratungsbedarf erstreckt hat, nämlich auf das Sozialrecht.
ratungshilfe, 4. Auflage 2005, Rn. 962; Schaich, AnwBl 1981, Jedenfalls danach ist die Ausklammerung des Steuerrechts aus
S. 2 53>; Schoreit, in: ders./Groß, Beratungshilfe - Prozess- dem Katalog der beratungshilfefähigen Angelegenheiten unter
kostenhilfe, 9. Auflage 2008, § 2 BerHG Rn. 7). dem Gesichtspunkt der pauschalen und typisierenden Erfas-
Diese Überlegung überzeugt schon hinsichtlich des Steuer- sung geringfügig beratungsintensiver Sachgebiete verfassungs-
rechts im Allgemeinen nicht, weil steuerrechtliche Zahlungs- rechtlich nicht mehr zu rechtfertigen.
pflichten im Einzelfall auch Bedürftige im Sinne des § 1 Abs. 1 3. Der Gleichheitsverstoß, der aus dem Ausschluss des Steu-
Nummer 1 und § 1 Abs. 2 BerHG treffen können, etwa für errechts aus den beratungshilfefähigen Angelegenheiten bei
zurückliegende Zeiträume. Bereits deshalb kann Beratungshil- gleichzeitiger Berücksichtigung des Sozialrechts folgt, kann
febedarf auch hinsichtlich steuerrechtlicher Fragen wie Stun- nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung von § 2
dung oder Erlass bestehen. Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 BerHG behoben werden. § 2 Abs. 2
Im Hinblick auf das steuerrechtliche Kindergeld vermag die BerHG ist einer Auslegung nicht zugänglich, wonach steuer-
vorgenannte Erwägung den Ausschluss der Beratungshilfe erst rechtliche Angelegenheiten generell, zumindest aber Angele-
recht nicht zu rechtfertigen. Der Anspruch auf Gewährung des genheiten des steuerrechtlichen Kindergeldes beratungshilfefä-
steuerrechtlichen Kindergeldes ist dem Grunde nach von dem hig sind. Deshalb verstößt nicht nur die vom Amtsgericht
zu versteuernden Einkommen der Berechtigten unabhängig. befürwortete Auslegung dieser Vorschrift gegen Art. 3 Abs. 1
Für die Vermutung, Streitigkeiten in steuerrechtlichen Kinder- GG, sondern die mittelbar angegriffene Bestimmung des § 2
geldsachen beträfen typischerweise nur ausreichend vermö- Abs. 2 BerHG selbst ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
gende Kreise, ist daher von vornherein kein Raum. a) Aus der grundsätzlichen Vermutung der Verfassungs-
cc) Schließlich lässt sich die mit § 2 Abs. 2 BerHG verbun- mäßigkeit eines Gesetzes ergibt sich das Gebot, ein Gesetz im
dene Ausklammerung des Steuerrechts im Allgemeinen und Zweifel verfassungskonform auszulegen (vgl. BVerfGE 2, 266
des steuerrechtlichen Kindergeldes im Besonderen aus dem 5282>). Das gilt jedoch nur, soweit unter Berücksichtigung
sachlichen Anwendungsbereich der Beratungshilfe nicht unter von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang
Rückgriff auf den Gedanken einer zulässigen Typisierung und und Zweck mehrere Deutungen der betreffenden Bestimmung
Pauschalierung rechtfertigen. möglich sind, von denen zumindest eine zu einem verfassungs-
Zwar dürfen Gesetze, die Massenvorgänge betreffen, um gemäßen Ergebnis führt (vgl. BVerfGE 2, 266 5282>; 68, 337
praktikabel zu sein, typisieren und damit in weitem Umfang 5344>; 88, 203 5331>; 112, 164 5182 f.>). Durch den Wort-
die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Die laut (vgl. BVerfGE 87, 209 5224>; 101, 312 5329>; 101, 397
ungleiche Wirkung darf allerdings ein gewisses Maß nicht
übersteigen. Vielmehr müssen die Vorteile der Typisierung im Anzeige
rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Un-
gleichheit stehen. Außerdem darf die gesetzliche Typisierung
keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich
realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. BVerfGE 27,
142 5150>; 110, 274 5292>; 112, 268 5280 f.>; 117, 1 531>).
Der Katalog der beratungshilfefähigen Angelegenheiten in
§ 2 Abs. 2 BerHG in seiner gegenwärtigen Fassung ist nicht
Ausdruck einer verfassungsrechtlich zulässigen gesetzgeberi-
schen Typisierung und Pauschalierung. Denn auch Typisierun-
5408>; 102, 254 5340>; 112, 164 5183>), die Entstehungs- § 12 Abs. 1 BerHG entsprechende Praxis in Hamburg auf eine
geschichte (vgl. BVerfGE 80, 1 523>; 88, 40 556 f.>; 112, 164 umfassende öffentliche Rechtsberatung umzustellen.
5183>) und den Gesetzeszweck (vgl. BVerfGE 101, 54 587>; 2. Für die Übergangszeit bis zu einer verfassungsgemäßen
112, 164 5183>) werden der verfassungskonformen Auslegung Neuregelung der Beratungshilfe durch den Gesetzgeber ist
Grenzen gezogen. Ein Normverständnis, das in Widerspruch Beratungshilfe grundsätzlich auch in Angelegenheiten des
zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers Steuerrechts zu gewähren, sofern hierfür die allgemeinen ge-
steht, kann auch im Wege verfassungskonformer Auslegung setzlichen Voraussetzungen, insbesondere die individuellen Be-
nicht begründet werden (vgl. BVerfGE 54, 277 5299 f.>; 71, 81 willigungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 BerHG, vorliegen.
5105>; 90, 263 5275>; 95, 64 593>; 98, 17 545>; 99, 341 Diese Übergangsregelung soll gewährleisten, dass bedürftige
5358>; 101, 54 586, 88> sowie 312 5329>; 112, 164 5183>). Rechtsuchende in der Zeit bis zu der erforderlichen Neurege-
Anderenfalls würde das Bundesverfassungsgericht der rechts- lung der Beratungshilfe in steuerrechtlichen Angelegenheiten
politischen Entscheidung des demokratisch legitimierten Ge- keiner Rechte, für deren effektive Wahrnehmung sie auf kost-
setzgebers vorgreifen (vgl. BVerfGE 8, 71 579>; 112, 164 engünstigen Rechtsrat angewiesen sind, beispielsweise wegen
5183>). ablaufender Fristen, verlustig gehen. Sie trägt außerdem dem
b) Bereits der Wortlaut der in § 2 Abs. 2 Satz 1 BerHG auf- Umstand Rechnung, dass im Falle der Beibehaltung des gegen-
gezählten Rechtsgebiete schließt es aus, die Angelegenheiten wärtigen Systems der Beratungshilfe im Ergebnis lediglich die
des Steuerrechts generell der Beratungshilfe zu öffnen. Im Er- Erstreckung ihres Anwendungsbereichs auf Angelegenheiten
gebnis nichts anderes gilt für die Frage, ob nicht zumindest das des Steuerrechts in Betracht kommt.
steuerrechtliche Kindergeld als Sozialrecht im Sinne des § 2 3. Die angegriffene Entscheidung ist, da sie auf der Anwen-
Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 BerHG aufgefasst werden und damit dung der verfassungswidrigen Bestimmung des § 2 Abs. 2
allgemein beratungshilfefähig sein kann. BerHG beruht, nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die
Mögen auch der Wortlaut dieser Regelung sowie der all- Sache an das zuständige Amtsgericht Neukölln zurückzuver-
gemeine und der juristische Sprachgebrauch einem materiellen weisen, das nach Maßgabe der Übergangsregelung neu zu be-
Verständnis „des Sozialrechts" und ebenso einer Qualifizierung finden hat.
bestimmter Teile des materiellen Steuerrechts - insbesondere 4. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen be-
Teile des steuerrechtlichen Kindergeldes (vgl. dazu BVerfGE ruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
108, 52 575 f.>) - mit Rücksicht auf die diesen zugrunde lie-
genden Erwägungen des Gesetzgebers als Sozialrecht im Sinne
des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 BerHG nicht entgegenstehen,
kommt eine solche Auslegung doch hier mit Rücksicht auf die Verbot der Gebührenunterschreitung/
Erwägungen des Gesetzgebers nicht in Betracht, die er im Zu-
sammenhang mit dem Gesetz zur Änderung des Beratungshil-
Werbung mit Erfolgszahlen
fegesetzes und anderer Gesetze vom 14. September 1994 GG Art. 12; BRAO §§ 43, 43 b, 49 b Abs. 1, Abs. 2; BRAGO § 3 Abs. 5 [jetzt RVG
(BGBl I S. 2323) zum Inhalt des Sachgebietskatalogs in § 2 § 4 Abs. 2 Satz 3]; BORA § 6 Abs. 3 [BORA § 6 Abs. 2]
Abs. 2 Satz 1 BerHG angestellt hat. Der Gesetzgeber hat bei 1. Eine nicht einzelfallbezogene pauschalierte Vergütung der
dieser Gesetzesänderung die zu jener Zeit bereits herrschende außergerichtlichen Inkassotätigkeit stellt einen Verstoß gegen das
formale Sichtweise der Sachgebiete nach Maßgabe der gericht- Verbot der Gebührenunterschreitung dar, solange nicht - etwa
lichen Zuständigkeiten übernommen und den Ergänzungen durch eine Gebührenstaffelung - sichergestellt ist, dass in sämtli-
der beratungshilfefähigen Angelegenheiten um das Arbeits- chen Fällen das erforderliche angemessene Verhältnis des Pau-
und Sozialrecht ausdrücklich zugrunde gelegt. Dies wurde schalbetrags zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko ge-
oben (unter B I 2 c aa) bereits im Einzelnen dargelegt. Eine wahrt ist.
materielle Interpretation des Begriffs Sozialrecht - unter Ein-
beziehung des steuerrechtlichen Kindergeldes - ist damit aus- 2. Das Verbot der Werbung mit Erfolgszahlen ist im Hinblick
auf Art. 12 GG eng auszulegen und erfasst nur Fälle, in denen
geschlossen. Sie liefe dem erkennbaren Willen des Gesetz-
durch die Erfolgsangabe eine Irreführung zu befürchten ist.
gebers zuwider und würde zudem die Handhabung des
(Leitsatz der Redaktion)
Systems der Sachgebietsangaben in § 2 Abs. 2 Satz 1 BerHG
durch die Amtsgerichte mit erheblichen Auslegungsproblemen BGH, Beschl. v. 9.6.2008 - AnwSt (R) 5/05
und entsprechenden Unsicherheiten belasten.
II. 1. Die Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 2 BerHG führt Aus den Gründen: I. Das Anwaltsgericht hat gegen den Rechts-
anwalt wegen schuldhafter Verletzung seiner anwaltlichen Pflich-
nicht zu dessen Nichtigkeit. Da dem Gesetzgeber verschiedene
ten einen Verweis und eine Geldbuße in Höhe von 2.000 E ver-
Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den festgestellten Gleich-
hängt. Der Anwaltsgerichtshof hat die Berufung des Rechts-
heitsverstoß zu beseitigen, kann lediglich die Unvereinbarkeit
der gegenwärtigen Regelung mit dem Grundgesetz festgestellt anwalts verworfen. Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom
werden (vgl. BVerfGE 117, 163 5199> m. w. N.; Urteil des Ers- Anwaltsgerichtshof zugelassene - Revision des Rechtsanwalts. Er
ten Senats vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u. a., NJW 2008, rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Die Revision ist nach § 145
S. 2409 52419>). Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 146 BRAO zulässig, hat aber nur teilweise
Erfolg.
So kann der Gesetzgeber - etwa im Rahmen der ohnehin
II. Nach den Feststellungen versandte der Rechtsanwalt im
geplanten Änderung des Beratungshilfegesetzes (vgl. Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts, Juli 2003 e-mails an Mandanten, in denen er Inkassotätigkeit
BRDrucks 648/08) - den Katalog des § 2 Abs. 2 BerHG um das zu folgenden Konditionen anbot:
Steuerrecht ergänzen. Der Gesetzgeber kann aber auch auf die „Grundgebühr: Jeder Fall wird mit einer Grundgebühr von
generelle Begrenzung der Beratungshilfe auf bestimmte E 35,- vergütet. Für den Fall, dass wir Ihre Forderung nicht
Rechtsgebiete durch Streichung des § 2 Abs. 2 Satz 1 sowie des erfolgreich verwirklichen, sind Ihre Kosten auf diesen Be-
§ 2 Abs. 2 Satz 3 BerHG ganz verzichten und es bei der trag begrenzt.
Möglichkeit einer Verweisung auf zumutbare anderweitige Be- Erfolgsgebühr: Im Erfolgsfall berechnen wir Ihnen bei Be-
ratungsmöglichkeiten gemäß § 1 Abs. 1 Nummer 2 BerHG be- trägen bis E 3.000,- 5% des eingezogenen Betrages und bei
lassen. Es bleibt dem Gesetzgeber als weitere Lösungsmöglich- Beträgen ab E 3.000,- 3% des eingezogenen Betrages als er-
keit auch unbenommen, das System etwa in Anlehnung an die folgsabhängige Vergütung. Nur wenn wir erfolgreich sind,
werden wir weitergehend vergütet. Sie bezahlen nur aus gestattet, für die außergerichtliche Inkassotätigkeit eine Pau-
dem Betrag, der auch tatsächlich für Sie durchgesetzt wor- schalvergütung zu vereinbaren, die niedriger ist als die gesetzli-
den ist. chen Gebühren. Das Pauschalangebot des Beschwerdeführers
Unser Anreiz: Wir haben die Möglichkeit unsere Kosten bezog sich jedoch auch auf die Durchführung des gerichtlichen
nach der BRAGO beim Gegner geltend zu machen. Sie tre- Mahnverfahrens und des Zwangsvollstreckungsverfahrens.
ten uns den Erstattungsanspruch ab. Wir haben also eine Dies war und ist nach § 49 b Abs. 1 BRAO nicht zulässig. Denn
hohe Motivation, Ihre Forderung erfolgreich durchzusetzen, § 3 Abs. 5 Satz 2 (jetzt: § 4 Abs. 2 Satz 2 RVG) erlaubt für
zu Ihrem Vorteil. das
gerichtliche Mahnverfahren und das Zwangsvollstreckungsver-
Alle Preise gelten zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer. Aus-
fahren nicht die Unterschreitung der gesetzlichen Gebühren,
lagen des Anwalts wie Gerichtskosten, Gerichtsvollzieher-
sondern sieht lediglich die Möglichkeit vor, dass ein Teil des Er-
kosten, Kosten für Bonitätsauskünfte usw. werden geson-
stattungsanspruchs des Auftraggebers an den Rechtsanwalt an
dert nach Anfall in Absprache mit Ihnen berechnet."
Erfüllungs Statt abgetreten wird.
Aus dem Angebot ergibt sich im Übrigen, dass die Abrech-
b) Im Übrigen muss gemäß § 3 Abs. 5 Satz 3 BRAGO (jetzt:
nung in gleicher Weise bei außergerichtlicher Tätigkeit, bei Tä-
§ 4 Abs. 2 Satz 3 RVG) die Vergütung in angemessenem Ver-
tigkeit im Mahnverfahren und bei Vollstreckungshandlungen
hältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des An-
gelten soll. Ausdrücklich heißt es im Text, dass vom Angebot
walts stehen. Der Anwaltsgerichtshof hat daher zu Recht die
die Durchführung des Mahnverfahrens bis zum Erlass des Voll-
Auffassung vertreten, dass sich die von dem Beschwerdeführer
streckungsbescheids erfasst wird.
vorgenommene Pauschalierung auf eine ganz bestimmte
Das Schreiben endet mit der Aufforderung zur Kontaktauf- Vergütung ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzel-
nahme und dem Text: mandats verbietet (so auch OLG Hamm, NJW 2004, 3269; OLG
„Unsere Erfahrung: Wir werten unsere Inkassoverfahren re- Köln, NJW 2006, 923, 924; a. A. Braun in Festschrift für Madert,
gelmäßig statistisch aus. Unsere Erfolgsquote im Jahr 2002: 2006, S. 43, 51; vgl. aber für Zeitvereinbarungen: BGHZ 152,
78,4 %! (Zahlung durch Gegner des vollen Betrages auch in 153, 160/161 - Anwalts-Hotline; BGH, Urt. vom 30. September
Raten)." 2004 - I ZR 261/02, NJW 2005, 1266, 1267 - Telekanzlei).
III. Die Revision des Rechtsanwalts hat den aus der Be- Wenn sich - wie hier - die in Aussicht gestellte Pauschalvergü-
schlussformel ersichtlichen Teilerfolg, weil die Annahme einer tung nicht auf einen konkreten Einzelfall, sondern auf eine un-
Berufspflichtverletzung wegen der Werbung mit Erfolgszahlen bestimmte Vielzahl von Fällen bezieht, wird das Erfordernis
rechtlicher Nachprüfung nicht standhält. Im Übrigen erweist nach § 3 Abs. 5 Satz 3 BRAGO (jetzt: § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG)
sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat der An- nur dann eingehalten, wenn - etwa durch eine Gebührenstaffe-
waltsgerichtshof eine schuldhafte Berufspflichtverletzung (§§ 43 lung - sichergestellt ist, dass in sämtlichen Fällen das erforder-
und 43 b BRAO i. V. m. § 49 b Abs. 1 und Abs. 2 BRAO sowie § 3 liche angemessene Verhältnis des Pauschalbetrags zu Leistung,
Abs. 5 BRAGO [jetzt: § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG]) in der Preiswer- Verantwortung und Haftungsrisiko gewahrt ist (OLG Hamm
bung des Rechtsanwalts gesehen. aaO S. 3269; OLG Köln aaO S. 924; Teubel in Mayer/Kroiß,
RVG, 2. Aufl. § 4 Rdn. 73).
1. Ohne Rechtsfehler hat der Anwaltsgerichtshof einen
Pflichtenverstoß damit begründet, dass der Rechtsanwalt damit Es trifft zwar zu, dass der von dem Rechtsanwalt angebotene
geworben hat, sich für die Inkassotätigkeit mit einem nach Forderungseinzug, solange er die Durchführung gerichtlicher
§ 49 b Abs. 2 BRAO verbotenen Erfolgshonorar vergüten zu las- Verfahren nicht einschließt, in hohem Maße ein Routine-
sen. geschäft darstellt und mit Hilfe EDV-technischer Unter-
stützung weitgehend standardisiert und mit vergleichbarem
a) § 49 b Abs. 2 Satz 1 BRAO erklärt zwar nur die Verein-
und vorhersehbaren Aufwand abgewickelt werden kann. Das
barung eines Erfolgshonorars für unzulässig. Mit der beanstan-
ändert aber nichts daran, dass ein Rechtsanwalt, der den Ein-
deten Werbung erklärt der Rechtsanwalt jedoch die Bereitschaft
zug einer Forderung übernimmt, deren Berechtigung vor Be-
zum Abschluss einer solchen unzulässigen Vereinbarung. Dass
ginn seiner Tätigkeit und bevor er die jeweils weiteren Schritte
der Rechtsanwalt nicht mit ihm verbotenen Handlungen wer-
zur Durchsetzung der Forderung unternimmt, prüfen muss.
ben darf, versteht sich von selbst.
Der Aufwand für diese Prüfung ist unterschiedlich hoch (OLG
b) Zutreffend hat der Anwaltsgerichtshof die Anwendbarkeit Köln aaO S. 924). Eine Vergütung in Höhe von 35,00 E wird
der Bestimmung auf den vorliegenden Sachverhalt bejaht. Ent- dem nicht in allen Fällen gerecht.
gegen der Auffassung des Rechtsanwalts finden die hier zur Be- c) § 49 b Abs. 1 BRAO begegnet keinen verfassungsrecht-
urteilung stehenden Gebührenregelungen auch auf die Inkas-
lichen Bedenken (Dittmann in Henssler/Prütting, BRAO,
sotätigkeit Anwendung. [wird ausgeführt]
2. Aufl., § 49 b BRAO Rdn. 6; Feuerich/Weyland, BRAO, § 49 b
c) Die Anwendung des § 49 b Abs. 2 BRAO begegnet weder Rdn. 7; Schons in Madert/Schons, Die Vergütungsvereinbarung
verfassungsrechtlichen (1) noch europarechtlichen (2) Beden- des Rechtsanwalts, 3. Aufl., 2006, S. 39 [Rdnr. 143]). Das Verbot
ken. [wird ausgeführt] der Gebührenunterschreitung verstößt weder gegen das Grund-
2. Ohne Rechtsfehler hat der Anwaltsgerichtshof die Un- recht des Rechtsanwalts auf freie Berufsausübung (Art. 12 GG)
sachlichkeit der Werbung auch damit begründet, dass der noch verletzt es den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1
Rechtsanwalt durch die beanstandete Werbung seine Bereit- GG).
schaft zu erkennen gegeben hat, gegen das Verbot der Gebüh- (1) Durch das gesetzliche Verbot wird in den Schutzbereich
renunterschreitung gemäß § 49 b Abs. 1 BRAO zu verstoßen. der Berufsfreiheit eingegriffen. Die Regelung hindert Rechts-
Diese Werbung ist unsachlich und damit unzulässig (Feuerich/ anwälte daran, mit ihren Auftraggebern vertragliche Verein-
Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 43 b Rdn. 16), weil das Gebühren- barungen zu treffen, die zur Folge haben, dass die Vergütung
unterschreitungsverbot den Preiswettbewerb um Mandate im unter den gesetzlich vorgesehenen Gebühren liegt. Die Garan-
gerichtlichen Verfahren verhindern soll (vgl. Gesetzes- tie der freien Berufsausübung schließt auch die Freiheit ein,
begründung BR-Drucks. 93/93 S. 134; BGHSt 31, 66, 70; BGH, das Entgelt für berufliche Leistungen mit den Interessenten
Urt. vom 1. Juni 2006 - I ZR 268/03, NJW 2006, 3569 Tz. 11 auszuhandeln (BVerfGE 101, 331, 347; BVerfG, Beschl. vom 12.
- Dezember 2006 aaO S. 181).
Gebührenvereinbarung II). Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit sind nur dann mit
a) Zwar war es dem Rechtsanwalt nach § 49 b Abs. 1 BRAO Art. 12 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grund-
i. V. m. § 3 Abs. 5 Satz 1 BRAGO (jetzt: § 4 Abs. 2 Satz 1 lage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemein-
RVG)
Anwaltsrecht AnwBl 12 / 2008 881
MN Rechtsprechung
wohls gerechtfertigt ist (BVerfG, Beschl. vom 12. Dezember dass der Rechtsanwalt im Mahn- und Vollstreckungsverfahren
2006 aaO S. 182). Die Beschränkungen stehen unter dem Gebot das Beitreibungsrisiko teilweise übernimmt.
der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Der (2) Wegen der Unterschiede, die zwischen den Pflichten des
Eingriff muss zur Erreichung des Eingriffsziels geeignet sein Rechtsanwalts, die sich aus einem echten Anwaltsvertrag erge-
und darf nicht weiter gehen, als es die Gemeinwohlbelange er- ben, und den Verpflichtungen aus einem reinen Inkassovertrag
fordern. Ferner müssen Eingriffszweck und Eingriffsintensität bestehen, ist die Ungleichbehandlung auch für das Verbot der
in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfG aaO). Die- Gebührenunterschreitung sachlich gerechtfertigt.
sen Anforderungen genügt das Verbot der Gebührenunter- d) Aus den unter III. 1. c (2) genannten Gründen ist auch
schreitung.
hinsichtlich des Verbots der Gebührenunterschreitung die
Mit dem Verbot der Gebührenunterschreitung verfolgt der Prüfung nicht veranlasst, ob die dadurch bewirkte Beschrän-
Gesetzgeber Gemeinwohlziele, die auf vernünftigen Erwägun- kung des freien Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt ist.
gen beruhen und daher die Beschränkung der Berufsausübung
3. Rechtsfehlerhaft hat der Anwaltsgerichtshof die Verhän-
legitimieren können (vgl. BVerfG, Beschl. vom 26. September
gung der anwaltsgerichtlichen Maßnahme allerdings auch auf
2005 - 1 BvR 82/03, NJW 2006, 495, 496 - zu § 4 Abs. 2 HOAI).
einen Verstoß gegen § 6 Abs. 3 Satz 1 BORA (a. F.) i. V. mit
Die Regelung schützt im Interesse der Funktionsfähigkeit der
§ 43 b BRAO gestützt. Die beanstandete Passage, in der der
Rechtspflege die Anwaltschaft. Sie soll einen Preiswettbewerb
Rechtsanwalt auf eine Erfolgsquote bei Inkassoverfahren im
um Mandate verhindern (Gesetzesbegr. BR-Drucks. 93/93,
Jahre 2002 von 78,4 % hingewiesen hat, verstößt nicht ohne
S. 134; BGH, Urt. vom 1. Juni 2006 aaO S. 3569 Tz. 11). Auch
Weiteres gegen § 43 b BRAO. Zwar ist nach § 6 Abs. 3 BORA
angesichts der starken Konkurrenz der Anwälte untereinander
a. F. (jetzt: § 6 Abs. 2 BORA) die Angabe von Erfolgszahlen un-
soll kein Anreiz bestehen, die gesetzlich vorgesehene Mindest-
zulässig. Im Hinblick auf die durch Art. 12 GG gewährleistete
gebühr zu unterschreiten (BVerfG, Beschl. vom 13. Februar
Werbefreiheit (vgl. BGH, Urt. vom 27. Januar 2005 - I ZR
2007 - 1 BvR 910/05, NJW 2007, 2098 Tz. 70; vgl. zu den
202/02, NJW 2005, 1644 - Optimale Interessenvertretung) ist
Stan-
das Verbot jedoch eng auszulegen (vgl. auch BVerfG, Beschl.
desrichtlinien: Senat, Urt. vom 17. Mai 1982 - AnwSt (R) 1/82,
vom 12. Dezember 2007 - 1 BvR 1625/06, NJW 2008, 838 zur
NJW 1982, 2329, 2330). Die damit einhergehenden „Billigan-
Veröffentlichung sog. „Gegnerlisten" im Internet). Nur in Fäl-
gebote" wären mit dem Risiko eines Verfalls der Qualität der
len, in denen durch die Erfolgsangabe eine Irreführung zu
erbrachten Dienstleistungen verbunden.
befürchten ist, ist eine solche Angabe verboten (Feuerich/Wey-
Die Sicherung und Verbesserung der Qualität der Tätigkeit land, BRAO, § 6 BORA Rdn. 36; Römermann in Hartung/Holl,
des Rechtsanwalts stellt ein legitimes Ziel dar. Zu seiner Her- Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., § 6 BORA Rdn. 136). Sol-
beiführung sind verbindliche Mindesthonorarsätze geeignet, da che Feststellungen hat der Anwaltsgerichtshof nicht getroffen.
sie dem Rechtsanwalt jenseits von Preiskonkurrenz den Frei-
IV. Obwohl in der Werbung mit Erfolgszahlen im vorliegen-
raum schaffen, hochwertige Arbeit zu erbringen, die sich im
den Fall keine Berufspflichtverletzung zu sehen ist, hat der
Leistungswettbewerb der Rechtsanwälte bewähren muss (vgl.
Schuldspruch Bestand. Im anwaltsgerichtlichen Verfahren wird
für das Architektenrecht: BVerfG, Beschl. vom 26. September
ein Sachverhalt, der sich aus mehreren Anschuldigungspunk-
2005 aaO S. 496; vgl. auch EuGH NJW 2007, 281 Tz. 67-Cipolla;
ten zusammensetzt, nur einheitlich beurteilt und die Frage, ob
Mailänder, NJW 2007, 883, 886; a. A. Sagawe, ZRP 2002, 281,
der Rechtsanwalt seine Pflichten schuldhaft verletzt hat, nur
284).
einheitlich entschieden (BGHZ 35, 395; BGHSt 16, 237, 240 f.).
Zwar gilt für Inkassobüros, die ebenfalls in diesem Ge- Der Rechtsanwalt ist daher zu Recht der Verletzung anwalt-
schäftsbereich tätig sind, gemäß Art. IX Abs. 2 KostenÄn- licher Pflichten für schuldig befunden worden. Der geringere
derungsG in der Fassung von Art. 2 Abs. 1 des 5. BRAGOÄn- Schuldumfang führt jedoch zur Teilaufhebung des angefochte-
derungsG vom 18. August 1980 (BGBl. I, 1503) die nen Urteils.
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung bzw. das Rechtsanwalts-
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Anwalts-
vergütungsgesetz nicht (Gesetzesbegründung, BT-Drucks.
gerichtshof ohne den aufgezeigten Rechtsfehler auf eine mil-
8/4277 S. 21 f.; Ohle in Seitz, Inkasso-Handbuch, 3. Aufl., 1999,
dere Maßnahme erkannt hätte. Über die Rechtsfolgen ist daher
Rdn. 89; Jenisch, ZVI 2003, 441, 443). Das führt aber nicht
neu zu entscheiden.
dazu, dass das für Rechtsanwälte geltende Verbot der Gebüh-
renunterschreitung im Rahmen der außergerichtlichen Einzie- Anmerkung der Redaktion: Die Entscheidung beschäftigt sich mit
hung von Forderungen sein Ziel verfehlt, weil Rechtsanwälte in der anwaltlichen Werbung für eine Inkassotätigkeit. Sie berührt
diesem Bereich der Konkurrenz durch die Inkassounternehmen verschiedene Fragestellungen:
ausgesetzt sind. Wegen der oben dargestellten grundlegenden a) Der Anwalt hatte ein Erfolgshonorar angeboten, das zum
Unterschiede zwischen der Geschäftsbesorgung durch Inkas- Zeitpunkt der Werbung im Juli 2003 noch generell verboten
sounternehmen und der Tätigkeit des Rechtsanwalts sind un- war. Der Anwaltssenat des BGH sieht darin einen Pflichtenver-
terschiedliche Märkte betroffen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn stoß des Anwalts und begründet dies auch europa- und verfas-
- wie hier
sene - der zwischen
Vertrag Rechtsanwalt
als echter und Mandant geschlos-
Anwaltsvertrag qualifiziert werden sungsrechtlich ausführlich. Er verweist darauf, dass das
kann. Bundesverfassungsgericht zwar das strikte Verbot des Erfolgs-
honorars für verfassungswidrig gehalten, gleichwohl aber die
Das Verbot der Gebührenunterschreitung ist auch erforder-
Verbotsnorm nicht sofort aufgehoben habe (AnwBl 2007, 297).
lich. Da es den Mandanten wegen der bestehenden Informati-
Dem Gesetzgeber wurde eine Frist zur Neuregelung bis 30.
onsasymmetrie schwer fällt, die Qualität der erbrachten Dienst-
Juni 2008 gewährt. Die Redaktion hat darauf verzichtet, diesen
leistung zu beurteilen (EuGH, NJW 2007, 281 Tz. 68 unter
Teil der Entscheidung vollständig zu veröffentlichen. Zur
Hinweis auf Mitteilung der Kommission, KOM(2004) 83 endg.
neuen Rechtslage und der Öffnung des Verbots in § 4 a RVG ab
S. 10), vermag es der Wettbewerb nicht, ein angemessenes
dem 1. Juli 2008 siehe Mayer, AnwBl 2008, 473.
Preisniveau sicherzustellen. Der Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit wird dadurch gewahrt, dass der Rechtsanwalt gemäß b) Der Anwalt hatte ferner damit geworben, die gesetzlichen
§ 49 b Abs. 1 Satz 2 BRAO den besonderen Umständen in der Gebühren zu unterschreiten. Der Anwaltssenat des BGH sieht
Person des Auftraggebers dadurch Rechnung tragen darf, dass darin einen Verstoß gegen das Verbot der Gebührenunter-
er nach Erledigung des Auftrags die Gebühren oder Auslagen schreitung nach § 49 b Abs. 1 BRAO. Das Angebot einer Pau-
ermäßigt oder erlässt. Darüber hinaus besteht nach § 3 Abs. 5 schalvergütung habe der Anwalt nur für die außergerichtliche
Satz 2 BRAGO bzw. § 4 Abs. 2 Satz 2 RVG die Möglichkeit, Beratung machen dürfen (§ 3 Abs. 5 Satz 1 BRAO, jetzt § 4
Abs. 2 Satz 1 RVG), nicht für das gerichtliche Mahnverfahren geschlossen wird, dass bei Maßnahmen im Rahmen von §§ 176,
und das Zwangsvollstreckungsverfahren. Ferner verbiete sich 177 GVG Beschwerde eingelegt werden kann.
eine Pauschalvergütung ohne Berücksichtigung der Umstände Gleichwohl ist vorliegend eine Beschwerdemöglichkeit ge-
des Einzelmandats. mäß §§ 78 ArbGG, 567 ZPO eröffnet, da sich die Maßnahme,
c) Anwaltsgericht und Anwaltsgerichtshof hatten dem An- die der Vorsitzende durch den Ausschluss des Prozessbevoll-
walt drittens vorgeworfen, verbotenerweise mit seinen Erfolgs- mächtigten in der Sitzung am 5.6.2008 getroffen hat, nicht al-
zahlen geworben zu haben und damit gegen § 6 Abs. 3 BORA lein in der Aufrechterhaltung der Ordnung erschöpfte, viel-
(jetzt § 6 Abs. 2 BORA) verstoßen zu haben. Das macht der An- mehr weitergehende Wirkungen hat und die Zulassung als
waltssenat des BGH nicht mit. Die Vorschrift sei eng auszule- Rechtsanwalt im Verfahren betrifft. Der Ausschluss einer Be-
gen und erfasse nur Erfolgsangaben, die irre führten. schwerdemöglichkeit ist grundsätzlich für die Fälle gegeben, in
denen konkrete sitzungspolizeiliche Maßnahmen erforderlich
werden, die sich in einer tatsächlichen Handlung des Vorsit-
zenden erschöpfen und damit nicht beschwerdefähig sind.
Kein Ausschluss des Anwalts Wird aber, wie im vorliegenden Fall, ein Prozessbevollmächtig-
ter ausgeschlossen, so hat dieses weitergehende Auswirkungen
wegen Nichtragens einer Robe insofern, als eine ordnungsgemäße Vertretung der Partei nicht
GVG § 176 mehr gewährleistet ist und damit eine Schlechtleistung aus
Der Ausschluss eines Prozessbevollmächtigten, der vor dem dem Rechtsanwaltsvertrag vorliegt, die sich unmittelbar auf den
Arbeitsgericht keine Robe trägt und tragen will, von der münd- Gebührenanspruch des Beschwerdeführers niederschlagen
lichen Verhandlung ist unzulässig. kann. Damit hat der Beschluss des Vorsitzenden eine weiterge-
(Leitsatz der Redaktion) hende über das Verfahren hinausgehende Konsequenz für den
Beschwerdeführer, so dass aus diesem Grunde eine Beschwer-
LAG Niedersachsen, Beschl. v. 29.9.2008 - 16 Ta 333/08 demöglichkeit gegeben ist (vgl. Kissel, Kommentar zum GVG,
5 Auflage 2008, § 181, Rdnr. 1 sowie § 176, Rdnr. 48, 49;
Aus den Gründen: Der Beschwerdeführer vertritt die Klägerin in BGH,
einem arbeitsgerichtlichen Verfahren. In der Sitzung vom Beschluss vom 11.2.1998, Az 3 StE 7/94 - 1 (2) StB 3/98 in
5.6.2008 erschien der Beschwerdeführer ohne Berufstracht. Auf NJW 1998, 1420).
Veranlassung des Vorsitzenden erklärte der Beschwerdeführer, er
2. Aus den genannten Gründen besteht auch ein Rechts-
habe schon vor vielen Jahren die Entscheidung getroffen, in Nie-
schutzbedürfnis für die Beschwerde, da ein Eingriff in die
dersachsen keine Robe zu tragen, wenn er vor den Arbeitsgerich-
Rechte des Rechtsanwaltes bzw. seiner Partei vorliegt. Insoweit
ten auftrete. Daraufhin wurde er als Prozessbevollmächtigter der kann auf das oben Gesagte verwiesen werden.
Klägerin von der Kammerverhandlung vom 5.6.2008 ausgeschlos-
3. Die Beschwerde wurde im Namen des Prozessbevoll-
sen.
mächtigten der Klägerin, also des Beschwerdeführers eingelegt,
Die Klägerin erklärte daraufhin, sie sei mit dem Beschwer- der sich in seinen eigenen Rechten betroffen sieht. Dieses er-
deführer befreundet und bevollmächtigte ihn deshalb, heute gibt sich auch bereits aus der sofortigen Beschwerde vom
für sie den Termin wahrzunehmen. 19.6.2008, da der Beschwerdeführer dort auch als solcher be-
Die Sitzung wurde dann mit dem Beschwerdeführer als Klä- zeichnet worden ist.
gervertreter weiter fortgeführt, wobei er auch den Antrag im 4. Es ist auch ausreichend ersichtlich, welcher Beschluss
Verfahren stellte. Am Schluss der Sitzung erging sowohl ein vom 5.6.2008 angegriffen sein sollte. Obwohl zwei Beschlüsse
Beschluss, mit dem die Widerklage zur gesonderten Entschei- ergangen sind und der Beschluss, der angegriffen werden soll,
dung abgetrennt und der Rechtsweg zu den Gerichten für Ar- in der Beschwerde nicht näher bezeichnet worden ist, ist jedoch
beitssachen dafür als unzulässig angesehen und an das Land- aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer als solcher be-
gericht Verden als zuständiges Gericht des zulässigen zeichnet wurde, ersichtlich, dass nicht der Beschluss über die
Rechtsweges verwiesen wurde wie auch ein Urteil verkündet, Abtrennung und Verweisung der Widerklage betroffen sein
mit dem die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits der konnte, sondern nur der Beschluss, bei dem der Beschwer-
Klägerin auferlegt und der Streitwert auf 6.544,52 Euro festge- deführer behauptet, in seinen Rechten verletzt worden zu sein.
setzt wurden. Nach alledem ist die sofortige Beschwerde des Beschwer-
Die Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers leg- deführers zulässig.
ten namens und in Vollmacht ihres Mandanten mit Schriftsatz II. Die Beschwerde ist auch begründet. Für den Eingriff in
vom 19.6.2008, der am selben Tag beim Arbeitsgericht einging, die Rechte des Beschwerdeführers und damit auch in die
sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Rechte der klägerischen Partei selbst bedarf es einer Ermächti-
Nienburg vom 5.6.2008 ein. Mit Schriftsatz vom 7.7.2008 wurde gungsgrundlage, die sich ausschließlich in § 176 GVG findet.
die sofortige Beschwerde weiter begründet (Bl. 113-119 d. VA.). Dabei geht es vorliegend letztlich nicht vorrangig um die Frage,
Das Arbeitsgericht half durch Beschluss vom 17.7.2008 der so- ob der Beschwerdeführer zum Tragen einer Amtstracht (Robe)
fortigen Beschwerde nicht ab und legte diese dem Landes- verpflichtet gewesen ist, sondern um die Frage, ob für den Fall
arbeitsgericht zur Entscheidung vor. des Nichttragens der Robe ein Ausschluss des Prozessbevoll-
II. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist zu- mächtigten berechtigt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 18.2.1970 (Az. 1 BvR 226/69, NJW
lässig und begründet.
1970, 851 ff) zwar ausgeführt, dass das Prozessgericht einen
1. Einzige Ermächtigungsgrundlage für den vorgenomme-
Rechtsanwalt, der das Auftreten in Amtstracht ablehnt, in ei-
nen Ausschluss des Beschwerdeführers von der Kammerver-
nem bestimmten Rechtsstreit für einen einzelnen Verhand-
handlung ist § 176 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), nach dem lungstermin als Prozessbevollmächtigten zurückweisen kann,
die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsit- hat jedoch hierfür eine Ermächtigungsgrundlage nicht ge-
zenden obliegt. nannt, lediglich generell von dem Recht gesprochen, einen
Gegen Entscheidungen des Vorsitzenden im Rahmen von dem geltenden Recht entsprechenden Ablauf der Gerichtsver-
§ 176 GVG sind grundsätzlich keine Beschwerdemöglichkeiten handlung sicherzustellen. Hierzu wird nicht konkret aus-
gegeben, da § 181 GVG eine Beschwerde gegen Ordnungsmittel geführt, ob insoweit ein gewohnheitsrechtliches Recht vorhan-
nur in den Fällen der §§ 178, 180 vorsieht und damit aus- den ist oder woher sich dieses Recht ansonsten ergeben soll.
Damit verbleiben als Ermächtigungsgrundlage nur die Vor-
schriften der § 176 ff. GVG, wonach die Aufrechterhaltung der schluss vom 11.2.1998, Az. 3 StE 7/94 - 1) (2) StB 3/98 in NJW
Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden obliegt. 98, 1420, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.8.1976, Az. 2 Ws
1. §§ 177, 178 GVG regeln die Maßnahmen zur Aufrecht- 143/76 in NJW 77, 309-311 OLG Braunschweig, Beschluss vom
erhaltung der Ordnung und die Möglichkeit der Festsetzung ei- 27.4.1995, Az. 1 W 12/95 in NJW 1995, 2113-2115, OLG
nes Ordnungsmittels wegen Ungebühr. In diesen Vorschriften München, Beschluss vom 14.7.2006, Az. 2 WS 679/06 in NJW
werden ausschließlich Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachver- 2006, 3079-3080).
ständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen ge- 2. Aber auch für den Fall, dass § 176 GVG eine ausreichende
nannt, die entweder den zur Aufrechterhaltung der Ordnung Ermächtigungsgrundlage darstellte, ist der Ausschluss aus der
getroffenen Anordnungen nicht Folge leisten oder die sich in mündlichen Verhandlung des Beschwerdeführers nicht ge-
der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen. Ausdrücklich rechtfertigt. Zu den sitzungspolizeilichen Maßnahmen im
nicht genannt werden Rechtsanwälte bzw. Prozessbevollmäch- Sinne des § 176 GVG gehören diejenigen, die die Aufrechterhal-
tigte, gegen die entsprechende Maßnahmen nach §§ 177, 178 tung der Ordnung in der Sitzung betreffen. Dazu gehört der
GVG nicht getroffen werden dürfen. Folgen einer Ungebühr störungsfreie äußere Ablauf der Sitzung, die ungehinderte Ent-
des Rechtsanwaltes können deshalb nicht mit dort aufgeführten scheidungsfindung samt allen dazu erforderlichen Beiträgen
Maßnahmen sanktioniert werden. Insbesondere ist in diesen einschließlich der Prozessbevollmächtigten, schließlich der
Vorschriften nicht geregelt, dass ein Ausschluss von Rechts- Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes der Beteiligten.
anwälten aus der mündlichen Verhandlung gegeben ist. Die Betroffen ist damit die äußere Ordnung, also die Sicherung des
Berechtigung eines Ausschlusses eines Rechtsanwaltes in einem äußeren Ablaufs der Verhandlung und der Ruhe und Sachlich-
gerichtlichen Verfahren ergibt sich alleine aus § 138 a Strafpro- keit, die eine objektive Prüfung aller entscheidungsrelevanten
zessordnung (StPO), wonach ein Verteidiger von der Mitwir- Umstände ermöglichen, die Aufmerksamkeit der Anwesenden
kung in einem Verfahren auszuschließen ist, wenn er dringend in der öffentlichen Verhandlung nicht beeinträchtigt und all-
oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfer- gemein deren gebührlichen Ablauf sichern (vgl. Kissel, aaO.,
tigenden Grade verdächtig ist, dass er an der Tat beteiligt ist, § 176 Rdnr. 1 m. w. Nachw.).
den Verkehr mit dem Beschuldigten missbraucht oder eine Es ist vorliegend nicht erkennbar, inwieweit der ordnungs-
Handlung begeht, die strafbaren Charakter hat. Im arbeits- gemäße Ablauf und die Entscheidungsfindung in der Sitzung
gerichtlichen Verfahren ist der Ausschluss eines Prozessbevoll- vom 5.6.2008 in einer Weise gestört war, dass ein Ausschluss
mächtigten nur im Rahmen des § 51 Abs. 2 ArbGG möglich, des Klägervertreters gerechtfertigt war.
nach dem der Vorsitzende die Zulassung eines Prozessbevoll- Allein aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer auch
mächtigten ablehnen kann, wenn die Partei trotz Anordnung ohne Robe als Bevollmächtigter der Klägerin weiter im Verfah-
ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist ren tätig werden durfte, verhandelt hat und den Antrag aus der
und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird. Der Klageschrift gestellt hat, ist ersichtlich, dass mit der Vertretung
Gesetzgeber hat deshalb bei einem Fehlverhalten eines Rechts- des Beschwerdeführers ein Problem nicht bestanden hat, das
anwaltes die gesonderte Vorschrift des § 138 a StPO getroffen sitzungspolizeiliche Maßnahmen erforderte.
und eine weitere Regelung im arbeitsgerichtlichen Verfahren,
Auch wenn das Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfas-
um dem dort geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatz
sungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen der Ordentlichen
Genüge zu tun, wobei ein Fehlverhalten des Rechtsanwaltes
Gerichtsbarkeit vom 16.12.1975 (AGGVG) in seinem § 21 re-
nicht Voraussetzung für den Ausschluss ist. Die §§ 171, 178
gelt, dass Richter, Vertreter der Staatsanwaltschaft, Rechts-
GVG sind insoweit eindeutig und lassen Ordnungsmittel oder
anwälte und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in den zur
sonstige vergleichbare Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der
Verhandlung und zur Verkündung einer Entscheidung be-
Ordnung gegenüber dem Rechtsanwalt nicht zu. Der Vorsit-
stimmten Sitzungen eine Amtstracht tragen müssen, sofern
zende ist danach zwar berechtigt, auch gegenüber Rechtsanwäl-
nicht im Einzelfall nach Auffassung des Gerichtes das Interesse
ten für eine Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung zu
an der Rechtsfindung eine andere Regelung gebietet, und in
sorgen, nicht aber ist eine weitere Maßnahme wie ein Aus-
der Berufsordnung für Rechtsanwälte in § 20 geregelt ist, dass
schluss aus der mündlichen Verhandlung möglich. Wenn be-
der Rechtsanwalt vor Gericht als Berufstracht die Robe trägt, so-
reits ein geringeres Mittel wie ein Ordnungsgeld gegenüber
weit das üblich ist (mit Ausnahme des Auftretens vor den
dem Prozessbevollmächtigten nicht festgesetzt werden kann,
Amtsgerichten) sowie unter Berücksichtigung der Tatsache,
kann insoweit erst recht ein Ausschluss von der mündlichen
dass möglicherweise gewohnheitsrechtliche Aspekte dafür spre-
Verhandlung nicht erfolgen, der weitaus schwerwiegender ist.
chen, dass eine Robe getragen wird, so ist es gleichwohl erfor-
Grund für die nicht vorhandene Möglichkeit, einen Rechts- derlich, dass das geschützte Rechtsgut, das durch das Tragen
anwalt von der mündlichen Verhandlung auszuschließen, liegt der Robe geschützt werden soll, einen so starken Eingriff recht-
auch darin, dass die Verfahrensbeteiligten gleichbehandelt wer- fertigt, dass eine Partei im Verfahren ohne Bevollmächtigten
den sollen, also der Rechtsanwalt dem Staatsanwalt, den ehren- dasteht und damit ihre Rechte nicht mehr wahrnehmen kann.
amtlichen Richtern und evtl. dem Protokollführer gleichgestellt Geschützt werden soll durch das Tragen der Robe die Doku-
wird. Der Rechtsanwalt ist Organ der Rechtspflege wie auch die mentation der Stellung des Rechtsanwaltes als Organ der
übrigen genannten Verfahrensbeteiligten und soll damit in sei- Rechtspflege wie auch die Würde des Ablaufes einer gericht-
ner Rechtstellung ebenso wenig beeinträchtigt werden können lichen Verhandlung. Das Bundesverfassungsgericht hat in sei-
wie die übrigen Personengruppen. ner Entscheidung vom 18.2.1970 hierzu folgendes ausgeführt:
§ 176 GVG gibt damit dem Vorsitzenden das Recht, das Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit dar-
Nichttragen der Robe zu rügen und darauf hinzuwirken, dass an, dass Gerichtsverhandlungen in guter Ordnung und in
eine solche angelegt wird, sofern von einer Verpflichtung zum angemessener Form durchgeführt werden können. Diesem
Robetragen ausgegangen werden kann, rechtfertigt es jedoch Zweck dient es, wenn auch die an der Verhandlung beteilig-
nicht, weitergehende Ordnungsmaßnahmen durchzuführen. ten Rechtsanwälte eine Amtstracht tragen. Sie werden
Ob das Arbeitsgericht eine Vertagung in Betracht ziehen durfte, dadurch aus dem Kreis der übrigen Teilnehmer an der Ver-
um die Einleitung und Durchführung von Maßnahmen abzu- handlung herausgehoben; ihre Stellung als unabhängiges
warten, die durch die Rechtsanwaltskammer durchgeführt wer- Organ der Rechtspflege wird sichtbar gemacht. Darin liegt
den können entsprechend der Berufsordnung der Rechts- auch ein zumindest mittelbarer Nutzen für die Rechts- und
anwälte (BORA), ist hier nicht zu entscheiden (vgl. Kissel, aaO., Wahrheitsfindung im Prozess; denn die Übersichtlichkeit
§ 176 Rdnrn. 41-43, Bundesverfassungsgericht, aaO., BGH, Be- der Situation im Verhandlungsraum wird gefördert und zu-
gleich ein Beitrag zur Schaffung jener Atmosphäre der Aus- Anwaltshaftung
geglichenheit und Objektivität geleistet, an der allein Recht-
sprechung sich in angemessener Form darstellen kann.
Wenn man berücksichtigt, dass es sich hier um eine ge- Fristenprüfung durch Berufungsanwalt
ringfügige Beeinträchtigung der freien Berufsausübung
handelt, der als Belastung kaum mehr als Bagatellcharakter ZPO § 233
zukommt, folgt hieraus auch, dass der Grundsatz der Ver- Befindet sich in den Handakten des Rechtsanwalts ein Schreiben
hältnismäßigkeit nicht verletzt ist. des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten mit einer unzutref-
Ob diese Ausführungen aus dem Jahre 1970 noch heute fenden Angabe des Ablaufs der Berufungsfrist, darf der zweitin-
ihre Berechtigung haben, kann dahingestellt bleiben, jedenfalls stanzliche Prozessbevollmächtigte die Berechnung der Berufungs-
ist für das arbeitsgerichtliche Verfahren festzustellen, dass ge- frist seinem Büropersonal nicht ohne einen deutlichen Hinweis
mäß § 11 Abs. 2 ArbGG außer Rechtsanwälten auch weitere Be- auf die falsche Fristberechnung zur selbständigen Erledigung
vollmächtigte zugelassen sind, insbesondere Verbandsvertreter überlassen.
von den Gewerkschaften der Arbeitgeberverbände. Diese treten BGH, Beschl. v. 9.9. 2008 - VI ZB 8/08
regelmäßig vor den Arbeitsgerichten auf und tragen keine
Robe. Die Rechts- und Wahrheitsfindung ist hierdurch in kei- Aus den Gründen: I. Die Kläger nehmen die Beklagten aufgrund
ner Weise behindert; die Rechtsprechung der Arbeitsgerichten eines Verkehrsunfalls auf Ersatz materiellen und immateriellen
kann sich in angemessener Form weiterhin darstellen. Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewie-
Auch bestehen regelmäßig keine Bedenken, mit einem sen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 31.
Rechtsanwalt zu verhandeln, der seine Robe vergessen hat und Oktober 2007 zugestellt worden. Am 3. Dezember 2007 haben die
dieses genügend entschuldigt. Der äußere Ablauf der Verhand- Kläger Berufung eingelegt. Auf Hinweis des Gerichts vom 12. De-
lung wird auch hierdurch nicht gestört, sodass es lediglich als zember 2007, dass die Berufung verspätet eingelegt worden sei,
Prinzipienfrage angesehen werden kann, wenn bei einem haben die Kläger am 18. Dezember 2007 Wiedereinsetzung in
Rechtsanwalt ein Ausschluss erfolgt, der erklärt, dass er keine den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist be-
Robe zu tragen beabsichtigt. antragt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, die erstinstanzli-
Tritt also in diesen Fällen keine Störung des äußeren Ab- chen Prozessbevollmächtigten hätten den Klägern unter dem 1.
laufs der Verhandlung ein, wird nicht ersichtlich, inwieweit November 2007 mitgeteilt, dass gegen das landgerichtliche Urteil
durch das Nichttragen der Robe im vorliegenden Fall die äu- bis zum 3. Dezember 2007 Berufung eingelegt werden könne. Ein
ßere Ordnung betroffen sein kann, die sitzungspolizeiliche entsprechendes Schreiben habe sich in den Handakten befunden,
Maßnahmen erfordert. die den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 16. No-
vember 2007 zugegangen seien. Nach deren Eingang habe Rechts-
Jedenfalls aber ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
anwalt H. die Akte der Bürovorsteherin der Kanzlei, Frau K., mit
insoweit nicht gewahrt, wenn vor den Arbeitsgerichten der Pro-
dem Vermerk „Fr. K., Zustellung 31. Oktober 2007 B-Frist no-
zessbevollmächtigte einer Partei aus den genannten Gründen
tieren!" übergeben. Frau K. habe das in dem Schreiben der erst-
ausgeschlossen wird. Denn es handelt sich immer gleichzeitig
instanzlichen Rechtsanwälte genannte Datum für zutreffend ge-
um einen Eingriff in die Rechte der vertretenen Partei, die nun-
halten und demgemäß im Fristenkalender die Berufungsfrist auf
mehr ohne Prozessbevollmächtigten dasteht. Hierdurch
den 3. Dezember 2007 notiert. An diesem Tag sei die Akte Rechts-
können erhebliche Nachteile eintreten, etwa dadurch, dass ein
anwalt H. erstmals wieder vorgelegt worden.
Versäumnisurteil ergehen kann, weiterer notwendiger Sachvor-
trag nicht erfolgt, zu stellende Anträge nicht gestellt werden Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandes-
usw. Ferner ist zu beachten, dass auch die gegnerische Partei gericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Beru-
ein Interesse daran hat, dass das Verfahren möglichst in einem fung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausge-
Kammertermin zu Ende geführt und nicht eine weitere Ver- führt, die Versäumung der Berufungsfrist sei nicht
tagung auf einen späteren Zeitraum erfolgt, die erhebliche unverschuldet erfolgt. Die Kläger müssten sich das Verschul-
Nachteile, insbesondere wirtschaftlicher Art, nach sich ziehen den ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Der den
kann. Angesichts des geschützten Rechtsgutes in Bezug auf die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten unterlaufene Fehler
Pflicht zum Robentragen ist der durch den Vorsitzenden ver- sei von den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nicht
ursachte Eingriff in die Verhandlung durch diese sitzungspoli- korrigiert worden, obwohl für sie die falsche Berechnung der
zeiliche Maßnahme grundsätzlich nicht zu rechtfertigen. Berufungsfrist aus der Handakte ersichtlich gewesen sei. Die
Nach alledem ist der Beschluss vom 5.6.2008 aufzuheben. Akte hätte nicht - wie geschehen - allein mit dem Vermerk des
Zustellungsdatums der Bürovorsteherin zur Notierung der Be-
Da die Beschwerde Erfolg hat, ergeht diese gerichtsgebüh-
rufungsfrist übergeben werden dürfen. Zwar dürfe ein Rechts-
renfrei.
anwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine erfahrene Bü-
Da durch diesen Beschluss bei keinem der Beteiligten eine
roangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe,
Beschwer vorliegt, ist eine Entscheidung über die Beschwer- eine Frist korrekt berechne. Hier habe aber die Besonderheit
demöglichkeit entbehrlich. Gegen diese Entscheidung ist des- bestanden, dass das unrichtige Datum des Fristablaufs - auch
halb ein Rechtsmittel nicht gegeben.
für die Büroangestellte erkennbar - in dem bei der Akte befind-
lichen Schreiben eines Rechtsanwalts genannt gewesen sei. Un-
Mitgeteilt von Rechtsanwalt und Notar Dr. h. c. Rembert Brieske, Bremen. ter diesen besonderen Umständen hätte Rechtsanwalt H. ent-
weder Frau K. auf die fehlerhafte Fristberechnung hinweisen
oder aber die Berufungsfrist selbst berechnen müssen.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechts-
beschwerde, die sie zur Sicherung einer einheitlichen Recht-
sprechung und wegen grundsätzlicher Bedeutung für zulässig
erachten (§ 574 Abs. 2 ZPO).
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i. V. m.
§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch un-
zulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung
hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. fallen der Zusatzgebühr ein Beitrag „zur Förderung des Verfah-
Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass dem rens". Dies ist ersichtlich weniger als eine Mitwirkung „zur
Anwalt der Klägerin die Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV Erledigung" des Verfahrens (Hartmann, aaO). Dementspre-
RVG zustand und hierfür die Beklagte als Rechtsschutzver- chend wurde auch bereits zu § 84 Abs. 2 BRAGO der Stand-
sicherung aufzukommen hat. punkt vertreten, dass der Gesetzeswortlaut dieser Bestimmung
1. Gemäß Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht die Erledi- an die Mitwirkung des Rechtsanwalts geringere Anforderungen
stellt als im Falle des § 24 BRAGO (AG Hamburg MDR 1999
gungsgebühr als zusätzliche Gebühr, wenn das Ordnungswid-
rigkeitenverfahren durch die anwaltliche Mitwirkung endgültig aaO). Sinn und Zweck der Regelung der Nr. 5115, den Verteidi-
eingestellt wird. Nach Nr. 5115 Abs. 2 VV RVG entsteht sie ger zu einer frühzeitigen Hinwirkung auf eine Verfahrensein-
nicht, wenn eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete Tä- stellung zu bewegen, sprechen ebenfalls dafür, den zu Nr. 1002
tigkeit des Anwalts nicht ersichtlich ist. VV RVG entwickelten Maßstab einer qualifizierten erledigungs-
gerichteten Mitwirkung nicht auf die hier vorliegende Fall-
a) Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG übernimmt, wie die für das
gestaltung zu übertragen.
Strafverfahren gleichlautende Bestimmung der Nr. 4141 Abs. 1
2. Entgegen der Ansicht der Revision ist es nicht notwendig,
Nr. 1 VV RVG, den Grundgedanken der Regelung des § 84
Abs. 2 BRAGO (vgl. Entwurf der Bundesregierung zum Ent- dass die zur Förderung des Verfahrens gebotene Tätigkeit ge-
wurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, BT- sondert für das Ordnungswidrigkeitenverfahren erfolgt. Erfor-
Drucks. 15/1971, S. 227 zu Nr. 4141 VV). Diese war geschaffen derlich ist nur, dass die Tätigkeit auch die Ordnungswidrigkeit
worden, um Tätigkeiten des Verteidigers zu honorieren, die zu betroffen hat. Die beiden Schriftsätze des Anwalts der Klägerin
einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Ver- haben sich mit der Frage befasst, ob die Klägerin den Verkehrs-
teidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten unfall fahrlässig herbeigeführt hat. Dies wurde jeweils mit kon-
(vgl. Entwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes kreten, auf den Unfallhergang bezogenen Erwägungen ver-
zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen, BT- neint. Diese Ausführungen betrafen sowohl den Vorwurf einer
Drucks. 12/6962, S. 106). Sie galt gemäß § 105 Abs. 2 Satz 3 fahrlässigen Körperverletzung als auch den des fahrlässigen
BRAGO auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die Vorfahrtsverstoßes. Wie das Berufungsgericht festgestellt hat,
Neuregelung in Nr. 5115 und Nr. 4141 VV RVG hat diesen An- haben diese Erklärungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren
satz aufgegriffen, indem dem Rechtsanwalt in den dort ge- fortgewirkt. Es wäre reine Förmelei, für das Entstehen der Erle-
nannten Fällen eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen digungsgebühr gesonderte, an die Bußgeldbehörde gerichtete
Verfahrensgebühr zugebilligt wird. Die Zusatzgebühr der Schriftsätze zu verlangen, die möglicherweise den bereits ge-
Nr. 5115 VV RVG soll, wie die Vorgängerregelung, den Anreiz, genüber der Staatsanwaltschaft gehaltenen Vortrag wiederholen
Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und (AnwK-RVG/N. Schneider, aaO VV 4141 Rn. 40; Burhoff, RVG
damit zu weniger Hauptverhandlungen führen (vgl. BT-Drucks. aaO Nr. 4141 VV Rn. 9; Burhoff in Gerold/Schmidt, aaO
15/1971, S. 227 f. zu Nr. 4141 VV). Nr. 4141 VV Rn. 11; ähnlich auch LG Düsseldorf JurBüro 2007,
83; anders wohl Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl. VV
b) Nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Schrift-
Teil 5 Rn. 61 [„eigenständiger Beitrag"]). Zudem würde hier-
tum bedeutet Mitwirkung im Sinne der Nr. 5115 VV RVG, dass
durch die Ermittlungsakte nur unnötig aufgebläht.
der Verteidiger durch seine Tätigkeit die endgültige Einstellung
des Verfahrens zumindest gefördert haben muss. Es genügt
hierfür jede Tätigkeit, die zur Förderung der Verfahrenserledi-
gung geeignet ist (LG Stralsund AGS 2005, 442; AnwK-RVG/N. Geschäftsgebühr im vergaberechtlichen
Schneider, 3. Aufl. VV 5115 Rn. 28; Burhoff, RVG, 2. Aufl.
Nr. 5115 VV Rn. 9 f., 15; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Nachprüfungsverfahren
Aufl. Nr. 5115 VV Rn. 6; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl.
GWB § 128 Abs. 4 Satz 3; RVG § 14 Abs. 1; RVG-VV Nrn. 2300, 2301
Nr. 5115 Rn. 1; Hartung in Hartung/Römermann/Schons,
RVG, 2. Aufl. Nr. 5115 Rn. 8, 15; Enders JurBüro 2006, 393, Die Geschäftsgebühr für die Vertretung im vergaberechtlichen
395; ebenso zu § 84 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BRAGO OLG Düsseldorf Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer bemisst sich für
RPfleger 2003, 41; LG Köln RPfleger 2001, 452; AG Hamburg den Rechtsanwalt, der bereits im Vergabeverfahren tätig geworden
MDR 1999, 831, 832). Die Abgabe einer Einlassung mit Einstel- ist, nach RVG-VV Nr. 2301.
lungsantrag, wie vorliegend die beiden Schriftsätze vom 1. Juni BGH, Beschl. v. 23.9.2008 - X ZB 19/07
und 27. Juni 2005, ist ausreichend (AnwK-RVG/N. Schneider,
aaO Rn. 29; Burhoff, RVG aaO Rn. 10; Hartung, aaO Rn. 15). Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im
c) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass hinsicht- Internet abrufbar unter www.anwaltsblatt.de.
lich der Erledigungsgebühr der Nr. 1002 VV RVG eine anwalt-
liche Mitwirkung nur dann für gegeben erachtet wird, wenn
der Anwalt eine besondere, nicht nur unwesentliche und ge-
rade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit
Erstberatung eines Architekten im
entfaltet hat (BFH BFH/NV 2007, 1109, 1110; BSG JurBüro Gesellschaftsrecht für 250 Euro
2007, 584 f. [auch zur gleichlautenden Bestimmung der
Nr. 1005 VV RVG]; AnwK-RVG/Wolf, aaO VV 1002 Rn. 18). BGB §§ 612, 315, 316; RVG § 34
Nr. 1002 VV RVG betrifft unter anderem Verwaltungsstreitig- Eine Vergütung in Höhe von 250 Euro für eine anwaltliche Erst-
keiten, deren Gegenstand ein begehrter oder ein mit einem beratung in einer außergerichtlichen gesellschaftsrechtlichen
Rechtsbehelf angefochtener oder abgelehnter Verwaltungsakt Sache eines Architekten ist bei Fehlen einer Gebühren-
ist. Diese Regelung geht auf § 24 BRAGO zurück (BT-Drucks. vereinbarung angemessen.
15/1971, S. 204 f zu Nr. 1002 VV) und stimmt nicht mit (Leitsatz der Redaktion)
Nr. 5115 VV RVG überein, so dass sich die zu Nr. 1002 ent- AG Brühl, Beschl. v. 29.10.2008 - 23 C 171/08
wickelten Rechtsgrundsätze nicht auf Nr. 5115 VV RVG über-
tragen lassen. Nr. 1002 VV RVG weist keine den Grad der Mit- Sachverhalt: Der Kläger begehrt von dem Beklagten Rechtsan-
wirkung konkretisierende Regelung auf, wie sie in Nr. 5115 waltshonorar sowie vorprozessuale Verzugskosten. Der Beklagte,
Abs. 2 und Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG ausdrücklich aufgenom- der selbständiger Architekt ist, suchte, nachdem er zuvor telefo-
men wurde. Nach Nr. 5115 Abs. 2 VV RVG genügt für das An- nisch einen Termin vereinbart hatte, den Kläger am 6.3.2008 in
der Zeit von 09:00 Uhr bis mindestens 09:30 Uhr in dessen Kanz- Im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung ist auf §§ 316,
lei auf. Er führte mit dem Klager ein Gespräch betreffend eine 315 BGB zurückzugreifen; der Anwalt hat eine angemessene Vergü-
GmbH, deren Mitgesellschafter der Beklagte war. Der Beklagte tung also nach billigem Ermessen festzulegen. Dabei sind zu berück-
beabsichtigte, eventuell Klage zu erheben mit dem Ziel, eine Bi- sichtigen die Bedeutung der geschuldeten Arbeiten für den Auftrag-
lanzerstellung zu erzwingen, und wollte unter anderem die Pro- geber, wobei Schwierigkeit, Ungewöhnlichkeit oder Dauer der
zesskosten einer solchen Klage in Erfahrung bringen. Es wurde verlangten Tätigkeit in die Abwägung einzubeziehen sind. Ebenso
ein weiterer Termin vereinbart, zu dem dem Kläger weitere Unter- entscheidend ist das, was der Auftraggeber durch die Tätigkeit an
lagen, Gesellschaftsvertrag, Auszug aus dem Gesellschaftsregister, wirtschaftlichem Wert erhalten soll, wobei nicht außer Acht gelassen
Kopien des gesamten Schriftwechsels zur Verfügung gestellt wer- werden darf, welche Vergütungen andere Auftragnehmer für ähnli-
den sollten. che Arbeiten verlangen.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit für den
Der Kläger stellte dem Beklagten unter dem 18.3.2008 250 E
Beklagten sowie die Schwierigkeiten der Sache waren hier, wie
als Beratungsgebührgemäß § 34 RVG zuzüglich 47,50 E gesetzli-
der Kläger überzeugend dargelegt hat, nicht unerheblich.
che Mehrwertsteuer, also insgesamt 297,50 E, in Rechnung.
Darüber hinaus hat auch die Rechtsanwaltskammer Köln die
Der Beklagte verweigerte in mehreren darauf folgenden Höhe des in Rechnung gestellten Honorars nicht beanstandet.
Schreiben die Zahlung; den weiteren Termin, der zuvor mit dem
Der Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsver-
Kläger vereinbart worden war, sagte er ab. Er befasste dann die
folgungskosten und der Zinsanspruch ergeben sich aus Verzug,
Rechtsanwaltskammer Köln mit einer Prüfung der streitgegen-
§§ 286, 288 BGB.
ständlichen Rechnung, die diese jedoch nicht beanstandete.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91
Der Kläger ist der Ansicht, angesichts der Schwierigkeit der
Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Sache und deren wirtschaftlicher Bedeutung für den Beklagten
sei ein Beratungshonorar von 250 E netto angemessen. Der Be-
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer, Br u¨ hl
klagte ist der Ansicht, dass das Gespräch mit dem Kläger keine
anwaltliche Beratung darstelle. Er habe lediglich die Kosten für
ein angestrebtes Gerichtsverfahren in Erfahrung bringen wol-
len; der Kläger habe ihm nur eine Gebührenliste ausgedruckt.
Erst in einem weiteren Termin habe eine Mandatsübertragung
erfolgen sollen. Am 4.4.2008 ist dem Beklagten ein Mahn- Fotonachweis
bescheid zugestellt worden.
Seiten 809, 818, 823, 839, 852, 854, 859, 865, 867, 871, 873, IV, VI, VIII: pri-
Aus den Gründen: Die Klage ist begründet.
vat; Seiten 814, 824, 825, 843 (1. Spalte), 844, 846, 847, 851 (2. Spalte), I, IX,
Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf XL: Andreas Burkhardt/Berlin; Seiten 826 bis 838: Franz Brück/Berlin; Seite 841
Zahlung eines Beratungshonorars in Höhe von 250 E netto ge- (Bild 3): Saarländischer Anwaltverein; Seite 843 (3.Spalte): U. Volk; Seite 849:
mäß §§ 611, 612 BGB, 34 Abs. 1 RVG zuzüglich der Umsatz- Sabine Münch/Berlin; Seite 851 (1. Spalte): Gleiss Lutz; Seite 857: Landgericht
Frankfurt am Main; Seite 860: picture-alliance / AKG; Seite 861: Jo Hackler/Os-
steuer in Höhe von 47,50 E gemäß 7008 VV RVG.
nabrück; Seite 863: Marc Fippel/Zwingenberg
Zwischen den Parteien ist ein Dienstleistungsvertrag zu-
stande gekommen, aufgrund dessen der Kläger den Beklagten
beraten hat.
Gemäß § 34 RVG wird unter einer anwaltlichen Beratung die Impressum
Erteilung eines Rates oder einer Auskunft verstanden. Ein Rat ist
die Empfehlung eines Rechtsanwalts, wie sich der Mandant in ei- Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179 Berlin (Mitte),
ner konkreten Situation verhalten soll; unter Auskunft wird die Tel. 0 30 / 72 61 52 - 0, Fax: 0 30 / 72 61 52 - 191, anwaltsblatt@anwaltverein.de.
Beantwortung einer allgemeinen Rechtsfrage verstanden, die Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung, v. i. S. d. P.), Udo Henke und Manfred
Aranowski, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers.
sich nicht auf eine konkrete Rechtsangelegenheit bezieht.
Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH,
Die Parteien haben in der Kanzlei des Klägers ein mindes- Wachsbleiche 7, 53111 Bonn, Tel. 02 28 / 9 19 11 - 0, Fax: 02 28 / 9 19 11 - 23;
tens halbstündiges Gespräch geführt; der Kläger hat den Be- kontakt@anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17 532 458,
klagten nach dessen eigenem Vortrag zumindest darüber infor- BLZ 380 500 00.
Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich (v. i. S. d. P.), Pikarten-
miert, wie hoch die Prozesskosten des von dem Beklagten
kamp 14, 22587 Hamburg, Tel. 0 40 / 8 66 28 - 467, Fax: 0 40 / 8 66 28 - 468,
angestrebten Gerichtsverfahrens sein würden; dies stellt aber info@ad-in.de.
bereits eine Beratung im Sinne des § 34 RVG dar. Ob das Ge- Technische Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259,
spräch 30 oder 45 Minuten gedauert hat, was zwischen den Par- 45356 Essen, Tel. 02 01 / 8612 - 281, Fax: 02 01 / 86 12 - 241; info@soldan-
teien streitig ist, ist hierbei unerheblich. medien.de.
Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei einem Doppelheft
§ 34 RVG verweist für den Fall einer fehlenden Gebühren-
für August/September.
vereinbarung auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts und Bezugspreis: Jährlich 132,- E (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis
somit unter anderem auf § 612 BGB. Grundsätzlich ist eine an- 13,- E (inkl. MwSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins ist der
waltliche Tätigkeit vergütungspflichtig, da gemäß § 612 BGB Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten.
eine Vergütung als stillschweigend vereinbart gilt, wenn die Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen
müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen.
Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung
Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die
zu erwarten ist. Der Beklagte konnte hier nicht davon aus- Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei ausdrückli-
gehen, das mindestens halbstündige Gespräch des angegebe- cher Vereinbarung gezahlt.
nen Inhalts werde kostenlos erfolgen, zumal der Kläger im Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten.
Rahmen seines Hauptberufs tätig wurde und eine kostenlose Das gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leit-
sätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen
Beratung nicht der Verkehrssitte in dieser Branche entspricht.
Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung
Auch die Höhe des Honorars ist angemessen. des Herausgebers.
Der Beklagte ist Unternehmer und hat sich in Bezug auf
seine selbständige berufliche Tätigkeit beraten lassen, so dass
die Höchstgrenzen des § 34 Abs. 1 S. 3 RVG nicht gelten.
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Das Buch beschäftigt sich umfassend Dieses Handbuch beantwortet gerade Die europäische Dienstleistungsricht-
mit dem Unternehmenskauf bis hin für anwaltliche Einsteiger gut verständ- linie hat die Anwaltschaft beschäftigt,
zum Kartellrecht und Tipps für die Ver- lich wichtige Fragen zur weil sie in Grenzen auch auf die an-
handlungsführung. Darüber hinaus Testaments- waltliche Tätigkeit Anwendung findet.
wird auf Besonderheiten der AG, Be- vollstreckung. Es beleuchtet Vor- und Unabhängig davon wird sie nach der
sonderheiten in der Insolvenz und auf Nachteile und erläutert unter anderem Umsetzung auch ein Feld für die an-
die Besteuerung und Bewertung einge- die Rechtsstellung der Beteiligten (Erb- waltliche Beratung von
gangen. In der Neuauflage sind alle we- lasser, Erbe, Testamentsvollstrecker, Dienstleis-
sentlichen gesetzlichen Neuerungen, Nachlassgericht). Weiterhin zeigt es tungserbringern aus dem Ausland sein.
z. B. die Unternehmenssteuerreform Möglichkeiten, wie Erben sich Der Handkommentar erläutert
2008 oder die Transparenz- und Über- gegen die
nahmerichtlinie, berücksichtigt. Praxis- eine Testamentsvollstreckung wehren Richtlinien, stellt Rechtschutzmöglich-
tipps runden das Buch ab. können. Darüber hinaus werden die keiten und Ausnahmen dar. Die Auto-
anfallenden Kosten und steuerlichen ren versuchen, die Bedürfnisse
Aspekte berücksichtigt. der
Rechtspraxis im Auge zu behalten.
Mit der Zulässigkeit des Erfolgshono- Ziel der vorliegenden Sammlung ist es, Für welche psychischen Belastungen
rars im Einzelfall werden Anwälte die maßgeblichen Texte des anwalt- und Störungen oder Einschränkungen
beim Abschluss von Honorarverein- lichen Berufsrechts zusammenzufas- der Freizeitgestaltung gibt es Schmer-
barungen mit neuen Herausforderun- sen. Die Texte entsprechen der Rechts- zensgeld? Die vorliegende Publikation
gen konfrontiert. Die Neuauflage geht lage am 1. Juli 2008. Die 9. gibt eine Übersicht über die
z. B. auf allgemeine Mandatsbedingun- Auflage zahlrei-
gen und ihre Ausgestaltung (Berater- geht unter
Rechte des anderem auf diedasCharta
Mandanten, der
Rechts- chen Unfallfolgen, die mit Schmer-
verträge, Vollmachtsformulare) sowie anwaltsvergütungsgesetz, das Bera- zensgeld zumindest gemindert werden
Haftungsbeschränkungen für Einzel- tungshilfegesetz und das EuRAG ein. sollen. Die Übersicht über die bisher
anwälte und Sozietäten ein. Neu ist un- Auch die Verordnung Rechts- höchsten Zusprüche an Schmerzens-
ter anderem eine Handreichung zur zum auszugs- geld in Österreich sowie die Zusprüche
Taktik bei der Führung von Verhand- dienstleistungsgesetz und werden beim Trauerschmerzensgeld wegen
lungen mit Mandanten bei weise das Telemediengesetz Verlust naher Angehöriger helfen so-
Vergü- berücksichtigt. wohl dem beauftragten Anwalt als auch
tungsvereinbarungen aller Art. dem Laien. Für Österreich-Experten.
Rechtswörterbuch
Der Hauptteil bietet eine paragraphen- Die Neuauflage geht unter anderem von Klaus Weber (Hrsg.); 19.
weise sachbezogene Zuweisung von auf Fragen der korrekten Stellenaus- Aufl.; München: C. H. Beck,
AO, AEAO und Verwaltungsverlaut- schreibung, Benachteiligungen im 2007; 1.480 S., geb.; inkl. CD-
ROM; 978-3-406-55394-3;
barungen. Die Fußnoten enthalten öffentlichen Dienstrecht oder neue
54,00 E.
zahlreiche Urteilshinweise. Dabei wird Rechte des Betriebsrats ein. Einen be-
besonderes Gewicht auf die Auswer- sonderen Schwerpunkt bilden kontro-
tung der höchstrichterlichen Rechtspre- verse Fragen aus der Praxis, z. B. zur
chung gelegt. Der Anhang Anwendung der Diskriminierungsver-
enthält bote auf Kündigungen und auf die be-
EGAO, VwZG, FGO sowie das FVG. triebliche Altersversorgung (BAG-Ur- Handbuch der Justiz
Das AO-Handbuch berücksichtigt teil vom 11.12.2007), zur Zulässigkeit 2008/2009
Gesetzesänderungen
lage seit der Vorauf-
(Unternehmenssteuerreform- von Altersgrenzen nach der neuesten hrsg. von Deutscher Richter-
bund; 29. Jahrgang; Heidel-
gesetz 2008, Gesetz zur Rechtsprechung des EuGH oder zur
berg: R. v. Decker´s, 2008; XVI,
Stärkung weiteren
des bürgerschaftlichen Enga- Gleichstellung eingetragener Lebens- 767 S., geb.;
gements., Zweites Gesetz zur Ände- partnerschaften. Die Neuauflage ver- 978-3-7685-0907-7; 69,00 E.
Wörterbuch
Die Einführung gibt einen Überblick Medizinrecht heute:
über die arbeits- und zivilrechtlichen Erfahrungen, Analysen,
Wörterbuch Recht
von Walter Bachem/Dieter
Vorschriften des Allgemeinen Gleich- Entwicklungen
Arbeitsgemeinschaft Medizin-
Hamblock; 3., akt. Aufl.; Berlin: behandlungsgesetzes auf der Grund-
recht im DAV; Bonn: Deutscher
Lextra, 2008; 640 S., geb.; lage der Änderungen vom Dezember Anwaltverlag, 2008; 990 S.,
978-3-589-24055-5; 32,00 E.
2006. Das Buch richtet sich vor allem geb.; 978-3-8240-1001-1;
an Richter, Rechtsanwälte, Studenten, 128,00 E.
Notare, Versicherungen,
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Flüchtlingsrecht in der
chen Rechtsbereichen sucht, ist mit (u. a. Rechte anwaltlichen Praxis
diesem kompakten Wörterbuch gut be- Ansprüche der Betroffenen, Klage vor von Reinhard Marx; 3. Aufl.;
raten. Das handliche Nachschlagewerk dem Arbeitsgericht, des Bonn: Deutscher Anwaltver-
bietet Vertiefung beim Wirtschaftsrecht lag, 2007; 1.679 S., geb.;
Be-
978-3-8240-0863-6;
und enthält auch geläufige Wortverbin- triebsrates) und aus dem Zivilrecht 118,00 E.
dungen und typische Redewendungen, (u. a. Begriff der Massengeschäfte, Ein-
die sich nicht Wort für Wort überset- schränkungen der Vertragsfreiheit, zu-
zen lassen. lässige Annahmen, Anspruch auf Scha-
densersatz, Beweislast, Aufgaben und
Befugnisse der neu einzurichtenden
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Antidiskriminierungsstelle) behandelt.
MN Schlusspl_doyer
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