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doch warst du damals schon! Und warst etwas


weitGedngeres als heutel Plagt dich Neugier zu
erfahren, wer du damals gewesen bist? Ist diese
Vom Schaden der Erinnerung Neugier wert, daß du für sie den Preis zahlst,
Hunderte deiner abgelebten Wesenheiten aus-
zugraben? Diese Wesenheiten, diese Leben ha-
Es gibt viele Menschen, die sich, wennsieetwas ben ihr Werk für dich getan. Und haben dil da-
»bejahrt" geworden sind, sehr geme der Erin- mit mehr Schmez gebracht als Freude. Willst du
nerung hingeben. Und zwar nit trauernder nlln das Gedächtnis und die Last dieser Leben
Schwermut. Die Guten sollten aber lieber vor- mit djr schleppen - was dir jetzt ünd in aller Zu-
wäIts schauenlWer nämlich geistigund körper- kunft jede Freude nähme und Schmerz ohne
lich verfallen will, braucht nur in einemvergan- Maß brächte? Du würdest dann einem Vogel
genen Leben leben zu wollen. Es ist eines der gleichen; der die Eierschalen, aus denen er ge-
Kennzeichen materiell gerichteter Geister, zäh brütet wurde, immerfo* mit sich tiagen wollte.
am Vergangenen zu hängen und es zu hät- Wenn du traurige Ednnerungen hast - wirf sie
scheln. Und verschollene Freuden mit festli- fortl Und wenn du sie nicht fortwerfen kannst,
chem Vergnügen heraufzurufen - weil sie ja verlange von der Allmacht, sie möge dir dazu
doch dahin sind und nie, nie wieder genossen verhelfen, daß du es kannst.
werden könnenl Willst du alt und schwach, grau und hinfällig
Aber das wahre Ich des Menschen fragt recht werden, dann gehe hin und lebe und webe im
wenig nach dem Vergangenen. Es will immer Veigangenen und sinne der, achl entschwun-
Neues. Will von heuLe über ein ]ahr ein ganz denen Jugend nachl Gehe hin und suche die
anderer Kerl sein und will in tausend Jahren Pläl7e und Häu.er aut. wo du \or zwänzig.
vergessen, was es heute ge\A,esen ist. Denn es dreißig, viezig Jahren gelebt hastl Beschwöre
weiß, daß Rückschau und Leben im Vergange- die Toten herauf! Betrauere siel Dulchlebe in
nen seine Entfaltung zu höherer Kraft und wehmütiger Ednnerung nochmals die Freuden,
Seligkeit verlangsamen. die dir einst dort geworden waren. Und seufze:
Kümmert es dich heute, was du vor tausend -Ach, cie.ind dahin und werden nie, nie, nie
oder funftausend Jahren gewesen bist? Und mehr wiederkommenl"
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Wenn du so tust, behängst du dich über und beim Schopfe fassen! Tü alles ab von dit was dir
über mil Tolem. \tenn wir in ein neues Schmerz schuf, alles, worüber du traueltest!
Erdenleben mit der Erinnerung an das letzt- Dazu brauchst du freilich die Allmacht. Gott
vergangene einträten, würden wir als zwerg- trauert nicht und bereut nicht. Du, ein Geist,
hafte, abgelebte, eisgiaue, alte Männer bist nach seinem Bilde geschaffen. Gott ist ewi-
erscheinen. Die Jugend ist ja nur darum so ges Leben, Freude, Heiterkeit. Je mehr du von
frisch und blühend, weil sie nichts Vergange- diesen Eigenschaften spiegelst, um so mehr
nes mit sich schleppt, weil sie von trüben Gott ist in dir.
Erinnerungen nicht beschwert ist. Ein Mäd- Hast du deine Teuersten auf Erden begraben?
chen ist schön, weil sein Geist alles Vergan- Du tustihnen niclrts Gutes, wenn du mit trauri-
gene abgetan hat. Und es beginnt zu altern, gen Gedanken ihrer gedenkst. Du setzest eine
sobald es Schmerz darüber empfindet, die Schranke zwischen ihrem Geiste und dem dei-
ersten zwanzig »Lenze. seines Lebens Ilinter I nen, wenn du sie als »verloren« betrachtest. Du
sich zu haben. kannst damit nicht allein die Tiauer in ihrem
Der Geist will Anrnut von dem Körper, dessen mentalen Zustande vermehren und erhöhen,
er sich bedient, er will die leichte Beweglich- sondern dich selber trübsinnig machen. Das tun
keit und persönliche Schönheit, denn er ist die Menschen des Grams. Die größte Wohltat,
Gottes Ebenbild und Bewußtsein von Unend- die wir unseren Toten erweisen können, ist die,
lichkeit. Schönheit, Anmut und Beweglichkeit sie uns als lebend vorzustellen, so lebend, wie
sind seine göttlichen Kennzeichen. Kindheit wir selber sind, und ihre Grüfte, Crabsteine,
und Jugend sind voll Schönheit - denn noch Särge, Leichentücher und Gespensterhaf tigkei-
hat der Geist sich nicht mit falschen Bekennt- ten aus unseren Vorstellungen vö11i9 zu tilgen.
nissen und Traudgkeiten aller Art beschwert. Wir lassenjene, die ihre Körper verloren haben,
Du würdest die Beweglichkeit deiner Iünfzehn den Tod oft fühlen, wenn wir sie uns als tot
Jahre haben, wenn du dich alles dessen entle- vorstellen. Und diese Toten wer{en dann den
digen könntest, was dir das Leben seither auf- Todesgedanlen aul uns zurück.
lud, was du dir von ihm aufladen ließest. Meine FdedhöIe! Es 1lrag vielen scheinen, ich
Beginne nun mit der Ablagerung dieser sei kalt und fühllos, wenn ich so spreche. Aber
Lastenl Laß deinen Entschluß das Mögliche die Wahrheit, wie ich sie erkenne, sagt mir, daß
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Friedhöfe, wo nicht deine Geliebten ruhen, gei- Was uns not tut, sind aber nicht Gedanken an
stig betrachtet, höchst ungesunde Besuchs- I den Tod, sondern Gedanken an das Leben. ArI
plätze sind. Es weht dort ein Geist von Trauer, das Leben in seiner unermeßlichen, strotzen-
Tod und Ve all, und du nimmst davon in dich den FüIle, an das Leben mit seinen strahlenden
auf, wenn du auf Friedhöfen bist. Dieser Geist Wonnen und Verheißungen, die durch uns
istaber lebensfeindlich, ia, erist fürFrische und verwirklicht werden können.
Frohsinn tödlich. Unseie Friedhöfe sind übri- Der Geschäftsmann, ja jeder tätige, unterneh-
gens voll Unwahrheiten. Wir setzen über den mende Mensch: wenn er seine Zeit für haurige
abgeworfenen Körper eines Freundes den Erinnemngenverwendete seinUnternehmen
Glabstein. Und wir schreiben auI diesen Stein litte Schaden. Er denkt aber an das, was gelin-
das Wod: »Tot.« Dieses Wort ist nicht wahr. gen soll. Er denkt mit vorwärts gedchtetem
Unser Freund ist nicht tot. Es ist nur der von Geiste. Und so allein fördert er seine Angele-
ihm gebrauchte Körper, der dort liegt. Aber wü genheiten,
behalten die Grabstätte im Gedächtnis und wis- Mach's ihm nachl Kremple deine Gewohnheit,
sen: unser Freund liegt dort begaben. Und in Vergangenem nachzusinnen, in Ednnerungen
unserem Geiste lebt dauernd das Bild von dem zu leben, kräftig uml Lebe nicht im Mißerfolg
Freunde, der dort begraben liegt. Und wir kön- von gestern - Iebe im Erlolg von morgen!
nen machen, was wir wollen, wii können ver- Ich hörte einmal das Wort aussprechen: »Als
suchen, an die ewige Dauer des Lebens und die die Erde nochjung war. . .!"
Unmöglichkeit eines Todes im Weltall zu glau- Als ob dieser Planet gegenwärtig schon sein
ben: wirkommen überdas Bild des totenFreun- Grcisenalter e eicht hätte und verfiele! Diese
des, der im Sarge verwest, nicht hinaus. Dieses Erde war, was Frische, Fü1le, Verfeinerung
Bild befestigen wir gleichsam in unsercm Gei- und höhere Reinheit ieder Lebensform anbe-
ste, und indem nires tun. befestigen wir in uns trifft - mag sie nun Mensch, Tier oder Pflanze
selber die Gedanken an Düsternis, Tod und heißen -, noch nie so jung wie heute! Natul
Verfall. Gedanken an Tod und Verfall sind und Weltall kennen keinen Stillstand, keinen
Dinge und Kräfte. Wenn w sie im Geiste mit Rückgang. Eine übermenschliche, unbegreifli-
uns tmgen, mehren wk die Verfallselemente che Weisheit trägt alles Erschaffene höherer
unseres KörPers. Kraft und Herrlichkeit entgegenl Und du
gehörst zu diesem Weltall und bist ein TeiI vo:r l-Ieute denken die Vielzuvielen gerade umge
ihm! kehrt. Sie häben kein \rertrauen zu der Kraft,
Dein Geist, deine Jugend, immerblühende die von den lheologen »Gotti( genannt wird.
Jugend-denn du hast keimhaft die I«aIt in dir, Sie sagcn sich im Geisie imner wieder: "Es
deinen zeitlichen Köryer stetig zu erneuernl - kunn un- nrU tltcJrr -,, tsulHelll.n. rvie e. un.
sind ewige Vermächtnissel Wenn dein Körper einmal gegangen istl Wir sinci nicht mehr jung,
alterte, ist dies kein Zeichen dafur, daß dein und die Zukunft ist freudlos uncl trülre, Stirub
Ceist alterte. Denn der Ceist kann rowenig und Aschel«
altern, wie das Licht der Sonne altern kann. Die Wahrheit, daß unser Leben mit dem Tode
Und wenn dein Körper alterte, so geschah es, des Körpers richi endigt, ist den Leuten nicht
weil du ihn, das stoffliche Ebenbild deiner gei- beizubringen.
stigen Wesenheit, aus all den Unwahrheiten Der Mann sollte im Geiste immer der Knabe
und falschen Gedanken, die du von deiner und die Frau immer das Mädchen bieiben, das
Kindheit an in dich au{nahmst und dein Leben sie $aren. Und sie könnten dies bleiben, ohne
bestimmen ließest, falsch aufgebaut hast. Ein albern zu sein oder an u,ahrer Würde zu verlie-
Großteil dieser Gedanken und Unwahrheiten ren. Es gilt, dic bltihende lleitcrkeit derlugentl
waren Leid und Reue. Reue ist verkehrte Kraft - mrl JHr W i-hvit Jel reifen Jalrr* ztt rereitren.
ist Hinwenden des Geistes auf Vergangenes, Einen klaren, kräItigen Geist zu erlangen, ohne
während der nahirliche und gesunde Zustand darüber zur Eule zu r'verden.
des Geistes der ist: vorwätts zu schauen und in Vrn Zeit zu Zcit freilich kann es ganz nützlich
den Freuden zu leben, die uns gewiß sind, für uns rverden, in ein vergangenes Leben
wenn wir sie erwaden. gleichsam experimentell unterzutauchen und
Die Menschen des neuen Geschlechtes werden eine alte Geisteshaube aLrfzustülpen- Wir
schönere und anmutigere Körperhaben als wir. crkcnncn dann nämlich dic Lumpen und Fet-
Denn sie werden weniger in Erinnerungen zcn der Irrtümer und Anschauungen, mit
leben, weniger zurückschauen. Sie wetdenwis- denen rvir voll behängt rvaren.
sen, daß der Unendliche Geist aus seiner lülle Dia. liirrnpn rr rr be-,'noer- erlehen, §.nrr \' ir
spenden wird, was alles Vergangene über- Örtlichkcitcn oder Mcnschen u,icder bcsuchen,
strahlt. von J(.n, ll h ir lanB. fl,,l rcnr rl \^,rrrn. Fur.illiqH

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Zeit gewinnen da, während eines solchen Besu- die ihm in all der Zeit unbemerkt angehangen
ches, die alten Bekanntschalten und Stimmun- l-raben.
gen, die durch sie hervorgerufen wurden, und Denn wir werden einen irrigen Glauben nicht
vielleicht auch Gewohnheiten, von denen wir auf einmal los. Oft behalten wir unbewußt
uns längst verabsclliedet hatten, wieder Einfluß Brocken eines solchen Glaubens zurück, auch
auf uns. Wir werden sozusagen vom alten wenn wk vermeinen, uns längst von ihnen
Leben beschlagnahmt und aufgebraucht. Wir befleit zu haben. Wir stüzen in Gruben, kom-
nehmen an solch einer Ortlichkeit oder in sol- men von der Hauptstraße ab - finden sie aber
cher Cesellschaft zeitweilig jene alte geistige wunderbarerweise immei wieder: der Gott in
Verfassung wieder an, die ehedem stetig die uns, der unfehlbare Kompaß weist uns Weg
unsrige war. und Richtung.
ffi Aber über ein Kleines hebt ein Widerstreit an: Die Natur begräbt ihr Totes so schnell sie kann
Der neue Geist, das neue Ich, in das wir wäh- und schafft es uns aus den Augen. In Wahrheit
rend der langen Zeit unserer Abwesenheit hin- freilich verwandelt sie es zu immer neuen lor-
eingewachsen sind, widerstreitet dem alten. Es men des Lebens. »Der Tod ist ihr Kunstgiff,
fuhlt Abneigung und Widerwillen vor dem viel Leben zu haben!« sagt Goethe. Der Baum
engen Dasein mit seinen falschen, überlebten ezeugt im Fdhjahr die neuen Blättei und will
Anschauungen und dem dumpfen, eintönigen mit seinen welken Blätternvom letzten Herbste
Leben darin. Es will nichts mehr damit zu tun nichts mehr zu tun haben. Und der Rosen-
haben. strauch bewahrt keines seiner Purpurblüten-
Ein Kampf zwischen zwei Geistem entbrennt blätter als wehmütige E nnerrrng an den ver-
auf dem Schlacht{elde unseres Körpers: der gangenen Sommer auf. Dies tut allein der
neue Geist licht mit dem alten - was uns gele-
gentlich kank macht. Unser altes lch steigt aus lch will damit nicht sagen, daß wir jede Erinne-
seinem Grabe hervor und versucht, sich an das rung an Vergangenes auslöschen sollen. Nein!
neue zu hängen. Das neue Ich weist aber die Aber ldschen wir die Erinnerung an das Trübe
alte Wesenheit mit Schaudern zurück. Aber und Entmutigende, an die Niederlagen und
indem es so seine alte Wesenheit erkennt, Iehler und Irrhimer unseres Lebens ausl Den-
erkennt es auch die Überbleibsel vom alten lch, ken wir an unsere Siege, denken wir an das,
was uns gelang, was uns gcriet, \{.aswjreneich-
ten! U d schöpfen wir daraus dic Kraft, ilr
Zuversicht vorwljrts zu schauen! WeI hofft,
dem vrird Erfüllungl Wer enrartet uncl ver- Die Wissenschaft vom Essen
l;rngt, dem wird gegeben!
Das sind Gesetze des Unendlichcn Ceistes des
Cüten, und wer an sie glaubt, lebt in diesem Es gibt eine Art schnellen Essens; die Nahrung
Geiste. in hastigen und zu großen Bissen hinunterzu-
schlingen. Wir wünschen - ein sehr unange-
brachter Wunsch! mit dem Essen so schnell
wie möglich Iertig zu sein. DieserWunsch kann
uns manchmal schon nach einigen Bissenplötz-
Iich Appetit und Freude an einer Speice gän7
lich nehmen, gleichviel, wie hungdg wir auch
vor Tische gewesen sein mögen. Leute, die
solcher Gewohnheit lange Zeit ergeben waren,
haben endlich den Appetit fast völlig velloren.
Sie hatten den täglichen Mahlzeiten etwa zwan-
/iB Minu ten ein8eräuml u nd wußlen wenig von
der Freude und Ruhe, die Körper und Geist
edahren, wenn der Mensch mit still gesammel-
tem, ruhevollem Gemüte eine Mahlzeit nimmt.
Und es wurde ihnen so gut wie nichts von der
herrlichen Kraft zuteil, die aus dieser Art des
Essens fließen kann!
Schnelles Essen ist eine sehr gefährliche
Gewohnheit. Wer schnell ißt, leidet Hunger,
auch wenn volle Schüsseln voi ihm stehen.
Schnelles Essen nährt weder Körpernoch Geist.

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