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DIE FRAGE DER SCHULD

IM DRAMA »DER BESUCH DER ALTEN DAME«


VON FRIEDRICH DÜRRENMATT

Die Liebe ist eine tolle Sache, und es ist herrlich, wenn sie gelingt. Besonders interessant,
spannend oder auch unterhaltsam wird es aber auch dann, wenn die Liebe nicht gelingt (wie
z.B. bei Romeo und Julija). Wenn sie vielleicht sogar dramatisch scheitert. Jeder von uns findet
seinen Weg, wie er auf Ablehnung, Verrat oder Ähnliches reagiert. Das ist nicht einfach. Man
versucht stets, einen Grund, Schuldigen für die Entfremdung zu finden. Der Verlassene
wünscht sich meist Gerechtigkeit oder vieleicht sogar Rache. Man sagt, dass die Liebe und der
Hass nicht weit voneinander liegen, dass sich die Liebe in Hass verwandeln kann. Wer trägt
dann die Schuld an der Scheiterung der Beziehung? Gerechtigkeit ist eines der am häufigsten
verbreiteten sozialen Ideale. Unter diesem Begriff versteht man heute die universellen Ideale.
Nach einigen modernen Konzepten beinhaltet der Begriff: die Gleichheit aller Bürger vor dem
Gesetz, Garantie des menschlichen Lebens, ein hohes Maß an sozialer Sicherheit. Wenn wir
von sozialer Gerechtigkeit sprechen, dann sprechen vir von der Bereitstellung von Arbeit für
jede arbeitsfähige Person, angemessener Bezahlung, freiem Zugang der Bürger zu Bildung,
Gesundheit, Kultur und Sport beinhalten. Wenn diese Gerechtigkeiten nicht eingehalten wird,
wer ist daran Schuld? Ist es der Staat, das Justiz, die Bürger oder vielleicht jeder Einzelne unter
uns?
In meinem Essay werde ich über die Hauptakteure, die alte, rachewollende Dame Claire
Zachanassian und über den »verschmierten windigen Krämer«, wie er sich selbst benannte,
Alfred Ill schreiben und deren Schuld an dem Geschehen in dem Drama schreiben. Ich werde
diebeiden Hauptpersonen hinsichtlich darauf vergleichen, was für einen Charakter sie in der
Vergangenheit hatten und wie sie sich durch das Drama hindurch verändern. Weil ich selbst
eine Frau bin und ich mich auch sehr für Frauenrechte engagiere, möchte ich auch das
Frauenbild in der Erzählung, dass anhand der Darstellung von Claire zum Ausdruck kommt
hervorheben.
Das Drama „Der Besuch der alten Dame‟ wurde im Jahr 1956 geschrieben von Friedrich
Dürrenmatt. Im Drama geht es um die Rückkehr der Milliardärin Claire Zachanassian in die
verarmte Kleinstadt Güllen, in der sie ihre Jugend verbrachte. Während die Einwohner der Stadt
auf einen Geldsegen von ihr hoffen, möchte sie Rache an ihrer Jugendliebe Alfred Ill nehmen.
Dieser schwängerte sie, bestritt vor Gericht jedoch die Vaterschaft und bestoch zwei Männer
um falsch auszusagen. Die ganze Stadt verspottete sie damals. Claire verließ damals noch als
Klara Wäscher ihre Heimatstadt als eine arme schwangere Frau. Ihr Kind musste sie weggeben
und arbeitete dann in Hamburg in einem Bordell. Dort lernt sie ihren ersten Mann kennen, „den
alten Zachanassian mit seinen Milliarden aus Armenien“ (Dürrenmatt, 19). Ihr Mann stirbt bald
und hinterlässt Klara sein gesamtes Vermögen. Durch mehrere (sie hatte neun Männer)
Hochzeiten mit wohlhabenden Männern, gelang es Claire jedoch sich ein beachtliches
Vermögen anzuschaffen. Sie kehrt zurück nach Güllen. Die Güllner denken, dass an der
Verarmung die Rezession schuld ist, aber in Wahrheit bestoch Claire die Behörden um ihren
Racheplan auszuführen. Die Güllner dachten sie bekommen leicht Geld und kommen so aus
der Kriese, aber Claire ist direkt und macht den Güllnern ein unmoralisches Angebot. Sie
würden eine Milliarde von ihr bekommen, wenn sie dafür Alfred Ill ermorden würden. Die
Bewohner von Güllen lehnten das Angebot zunächst ab. Bald jedoch beginnen sie deutlich über
ihre Verhältnisse zu leben. Die einst in Güllen „beliebteste Persönlichkeit“ Ill verliert zusehends
Rückhalt in seiner Umgebung. Auch der ihm zu Beginn wohlgesonnene Bürgermeister wendet
sich von ihm ab und schlägt ihm sogar den Selbstmord (bringt ihm ein Gewehr) vor und der
Pfarer die Flucht. In der Presse (die die ganze Zeit des Aufenthaltes von Claire in Güllen
anwesend ist) wird die Mitteilung verkündigt, dass Frau Zachanassian eine Milliardenstiftung
gewähre. Es wird eine Gemeindenversammlung ausgeruffen. Ill liefert sich den Güllnern aus.
Am Ende gibt es eine Szene in der die Güllner eine Gasse bilden und Ill geht auf sie zu. Kurze
Zeit später ist er Tod, offiziell wird von einem „Herzschlag“ und „Tod aus Freude“ gesprochen.
Der Bürgermeister erhält die ersehnte Milliarde. Die Zachanassian verlässt mit Ills Leichnam
im Sarg die Stadt und reist auf die Insel Capri, wo Ill im Park ihres Palazzos begraben wird.
Die Bürger von Güllen glauben daran, dass der Tod von Ill gerecht sei:„...es geht nicht um
Wohlstand und Wohlleben, nicht um Luxus, es geht darum, ob wir Gerechtigkeit verwirklichen
wollen...“ (Dürrenmatt, 62). Aber wie viel Schuld hat Ill an dem Geschehen im Drama und an
der verärmung der Stadt?
Ill wird zuerst als die „beliebteste Persönlichkeit von Güllen“ vorgestellt. Der Bürgermeister
wollte ihn sogar zu seinem Nachfolger haben. Er ist verheiratet mit Mathilde Blumhard, die
einen Kleinwarenladen hat und hat mit ihr zwei Kinder, Karl und Ottilie. Er erhält von der
Obrigkeit seiner Gemeinde den Auftrag, die Milliardärin bei deren Besuch um den Finger zu
wickeln: „Die Zachanassian soll mit ihren Millionen herausrücken“ (Dürrenmatt, 10). Denn Ill
und Claire waren einst ein Liebespaar. Ill stimmt diesem Plan zu und behauptet über das Ende
seiner damaligen Beziehung zu Claire: „Das Leben trennte uns, nur das Leben, wie es eben
kommt“ (Dürrenmatt, 9). Aber das ist nicht wahr. Die Schuld, die Ill im Verlauf des Stückes
auf sich nehmen muss, ist die Verantwortung für das Schicksal Claires. Er schwängert Kläri
Wascher und leugnet die Vaterschaft vor Gericht. Er besticht die Zeugen mit Schnaps, dass sie
aussagen, sie schliefen mit Klara.
Er tat das nicht aus Liebe zu ihr wie er sagt, aber nur aus purer Gefräßigkeit nach Geld und
Reichtum, weil sie für ihn zu arm war, was sich daran zeigte, dass er später eine Frau heiratete,
die viel Geld hatte. Zweitens trägt er auch die Schuld, weil er als Vater versagt hat. Erstens bei
Claire und ihrem Kind und zweitens bei Karl und Ottilie, die, wie er am Ende einsieht,
anscheinlich nicht kennt (weiß nicht was sie in der Freizeit machen usw.) und sich auch gegen
ihn wenden. Er trägt auch eine Mitschuld an der Vertreibung der Claire aus Güllen, indem die
Güllner seiner Version des Sachverhalts Glauben schenken und Claire daraufhin
gesellschaftlich ausgrenzen.
Als Claire eintrifft, wird deutlich, dass Ill seine Schuld gegenüber Claire verdrängt hat.
Schonungslos versucht er, seinen Charme spielen zu lassen, schmeichelt ihr und nennt sie bei
ihren Kosenmen (Wildkätzchen, Zauberhexchen). Dass Ill scheitert, wird klar, als Claire ihr
Angebot macht. Zwar erkennt sich Ill in diesem Moment als Objekt von Claires Rache und
verneint ihre Aussagen und das dreimal. Am Anfang glaubt er die Güllner werden zu ihm
stehen, aber als sie mehr und mehr Schulden machen, begreift Ill was ihn erwartet. Mehrmals
versucht er, sich gegen die Tatsachen zu wehren, beginnt die Kundschaft mit Waren zu
bewerfen und sucht erfolglos Hilfe bei der Stadtobrigkeit (Polizist, Bürgermeister, Pfarer). Es
geschieht sein gesellschaftlicher Abstieg und er steht hilflos dar, allein, so wie Klara damals.
Im dritten Akt hat er sich gewandelt. Er gesteht ihm selbst und dem Lehrer er hatte Klara zu
dem gemacht was sie ist und an dem Tod des Kindes. Er sieht ein das seine Handlung jetzt
Folgen trägt. Er findet sich mit seinem Schicksal ab. Seine Entwicklung verläuft
entgegengesetzt zu den übrigen Güllenern. Die sinken moralischer Hinsicht immer tiefer
sinken. Ill hingegen nimmt gefasst die Konsequenzen für seine Taten an: „Ihr könnt mich töten,
ich klage nicht, protestiere nicht, wehre mich nicht.“ (Dürrenmatt, 55). Selbstmord verweigert
er: „Euer Handeln kann ich euch nicht abnehmen“ (ebd.). Er „zwingt‟ zuzusagen die gesamte
Stadt, in seine Fußstapfen zu treten, ein Menschenleben aus finanziellen Gründen zu ruinieren.

Doch nicht nur Alfred Ill trägt Schulden, auch die „alte Dame‟ ist nicht unschuldig. Wir sind
manchmal überrascht, wenn wir von diesen Paaren erfahren, die sich so leidenschaftlich liebten
und sich nun plötzlich nicht einmal mehr ansehen können, werden zu Erzfeinden. Und dann
fragen wir uns: Stimmt es also, dass der Grat zwischen Liebe und Hass sehr schmal ist? Man
sagt es gibt keine Liebe in der nicht ein bisschen Hass verborgen ist, aber in dem Fall von Claire
hat sich die Liebe in puren Hass verwandelt. Ihre Rache verblendete sie und sie wurde ein
nüchterner Mensch ohne Gefühle. Claire Zachanassian hieß einst Klara Wäscher. Ihr Vater
Gottfried war Trinker und der „Architekt“ der „Bedürfnisanstalt“ am Bahnhof. Er starb im
Irrenhaus. Klaras Mutter lief ihm davon. Sie hatte kein Glück im Leben als sie klein war, hatte
keine Liebe erhalten. In der Schule wird Klara geprügelt, ihre Noten waren schlecht außer in
Pflanzen- und Tierkunde war sie genügend. Sie war auch sehr frech, unter anderem stiehl sie
Kartoffeln, was ihr später zwar positiv ausgelegt war: „Klara liebte die Gerechtigkeit“,
(Dürrenmatt 9). Doch Claire selbst gesteht, dass der Kartoffeldiebstahl einzig dazu gedient
habe, dass Klara mit Alfred einmal in einem Bett liegen konnte. Einerseits hatte sie es nicht
leicht als Kind, andererseits benahm sie sich auch nicht so perfekt. Die junge Klara hatte
wehende rote Haare, war sehr schön und wild, Claire hingegen ist alt und voller Plastik. Ihr
Körper weißt uns auf ihre Seele hin (Prothesen (eine Hand und ein Bein verlor sie bei Unfällen),
waren so kalt, wie ihr Herz. Dazu grauselte sich selbst Ill. Klara wollte sich an Ill rechen, weil
er verweigerte der Vater ihres Kindes zu sein und bestoch zwei Männer Ludwig Sparr (Loby)
und Jakob Hühnlein (Koby) (an denen sich später Claire rächt, so dass sie sie blendet und
kastriert und zu ihren Sklaven macht) die dann falsch aussagen. Ihr Leben geht den Bach runter.
Sie wird gesellschaftlich geächtet, geht aus Güllen, wird zur Dirnde und verliert ihr Kind. Nach
dieser verbitterten Liebe beschließt Klara, einmal zurückzukommen und sich zu rächen. Aus
dieser Rache kommt die Schuld hervor die sie in dem Drama trägt. Ihr Weg führte sie nach
Deutschland, wo sie als Prostituierte arbeitet, den armenischen Milliardär Zachanassian
kennenlernt. Sie wird zu Milliardärin und kann so endlich ihre Rache verwirklichen. Sie könnte
mit dem Geld das sie bekam vergessen was in Güllen passierte, könnte endlich glücklich sein.
Doch sie dachte nur an die Rache, die ihre ganze Persönlichkeit verschlang. Als sie dann später
als alte und reiche Dame nach Güllen zurückkehrt, ergreift sie die Chance sich die
„Gerechtigkeit‟ zu kaufen. Wegen Rache, verletzter Eitelkeit, Enttäuschung stiftet sie die
Güllner zum Mord. Die andere Schuld von Claire liegt darin, dass sie die Menschen um sich
als Spielzeug sah. Den Männern, die für sie nur Spielzeug waren (ihre Ehemänner als auch ihr
Buttler, ihre Genossen usw.) und die die in ihrer unmittelbaren Nähe waren, entnahm sie deren
Identität (Sie gab ihnen fast die selben Nahmen (ihre Männer z. B. hießen Moby, Boby usw.)
und Vermögen und konnten sagen nur was ihr gefiel und machten das was sie befiel). Sie ist
auch kriminell schuldig, weil sie befahl, die zwei Jungen zu kastrieren und zu blenden. Claire
konnte deswegen nicht bestraft werden, weil sie die reichste Dame auf der Welt war und
dadurch alles machen konnte, so wie damals Ill (als er den Richter bestochen hatte). Eine
weitere kriminelle Tat ist die Befreiung der zum Tod verurteilten Verbrecher (später Toby und
Roby, die ihre Sänfte tragen). Mit Hilfe des Geldes befreite sie sie, um ihre Pläne zu realisieren.
Sie manipulierte auch mit der Wirtschaft Güllens (durch Aufkauf und Stilllegung wichtiger
Betriebe) und ließ die Gülner im Glauben, dass eine wirtschaftliche Kriese herrscht. Die wurden
ohne eigenes Verschulden in die Armut gedrängt von ihr. Die letzte Schuld die Claire noch
trägt ist die Schuld einer fahrlässigen Freisetzung eines wilden Tiers. Claire hatte einen Panther,
den sie mit nach Güllen nahm und der ihr sehr beim herzen lag, aber der wird am Ende auch
nach seiner Entflüchtung getötet. Bereits zu Beginn erinnert sie Ill, dass sie ihn früher „mein
schwarzer Panther“ nannte. Wir können sagen, das der Panther also für Alfred Ill steht, dieser
wiederum ist Claire wie das Haustier ausgeliefert. Der Panther verbindet in Bezug auf Claires
und Ills Beziehung das Schöne das sich einst ausgezeichnet haben mag, mit der Grausamkeit
ihres Rachedurstes und kann zudem als Verkörperung des Raubtiers gesehen werden, das in
jedem Menschen schlummert. Durch die Flucht des Panthers wird Ills Lebensweg gezeigt. Der
Panther wird vor Ills Laden getötet, was auf den späteren Mord der Gemeinde an Ill andeutet.

Ill trägt viele Schulden, aber letztendlich empfindet er tiefe Reue und stellt sich dem Schicksal.
Aber Andererseits war für die entwicklung des Dramas und den Konflikt zwischen Individuum
und Kollektiv auch die dominierten Gesellschaft und die Geschlechterfrage unbedeutend.
Schließlich unterliegt Klara Wäscher zunächst ohnmächtig der männlich dominierten
Gesellschaft in Güllen, der es leicht fällt, sie aufgrund ihrer angeblichen Amoral zu verstoßen.
Noch Jahre später ist diese Geschlechtertrennung, die Frauen von wichtigen gesellschaftlichen
Entscheidungen ausschließt, kennzeichnend für Güllen: Bevor es zur Hinrichtung kommt,
werden die Damen vom Bürgermeister hinausgebeten: „Den Frauen ist im Garten des
„Goldenen Apostels“ ein Tee serviert.“ (Dürrenmatt, 65). Das Stück spiegelt hier die
realweltlichen Gegebenheiten zu den Zeiten seiner Entstehung wider, indem den weiblichen
Mitgliedern der Gesellschaft lediglich eine beschränkte Beobachterrolle zugeschrieben wurde.
Claire Zachanassian weigerte sich dem und nahm die „Gerechtigkeit“ in ihre Hand. Wenn ein
Mensch sich seiner Macht gewiß ist, kann er sich jegliches Verbrechen im Dienste seiner
Selbstverwirklichung erlauben: er kann die Grenzen der menschlichen Natur „übertreten‟, wie
es Claire machte. Beide, Alfred und Claire tragen viele Schulden, der Unterschied zwischen
den beiden aber ist, dass Alfred seine Schuld an sich nimmt, Claire hingegen nicht. Alle
Personen im Drama tragen mindestens eine Schuld und alle sind geldgierig und korrupt. Am
Ende hat jeder von allem etwas und muss dafür mit dem Preis der innerlichen (moralischen)
(Claire, Güllener) oder äußerlichen (Ill) Vernichtung bezahlen.

Manca Pirc
LITERTUR:
- Dürrenmatt Friedrich, 1980. Der Besuch der alten Dame. Tragische Komödie (E-Buch).
Zürich : Diogenes Verlag

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