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rwegen NOK 82,– Polen (ISSN00387452) ZL 33,– Slowakei € 6,80 Spanien € 6,80 Tschechien Kc 195,- Printed in
Dänemark dkr 57,95 Frankreich € 6,80 Italien € 6,80 Österreich € 6,00 Portugal (cont) € 6,80 Slowenien € 6,50 Spanien/Kanaren € 7,00 Ungarn Ft 2490,- Germany
Lebensmittel
hhaltigen
Mehr zum nac
der KfW:
Engagement
es/plastik
kfw.de/stori
Als Redakteurin Laura Backes begann, in Deutschland nach Frauen zu suchen, die
ohne Partner schwanger werden wollen und deshalb die Dienste von Samenbanken
in Anspruch nehmen, fand sie monatelang keine Frau, die bereit war, mit ihr zu spre-
chen. Backes vermutet, dass die gesellschaftliche Isolation der Frauen ein Grund
dafür ist: »Viele sind mit ihrer Entscheidung ziemlich allein und sehen das Fehlen
eines männlichen Partners womöglich als einen Mangel an, für den sie selbst verant-
wortlich sind.« In einem Internetforum fand sie schließlich Gesprächspartnerinnen.
»Die Frauen bestärken sich gegenseitig«, sagt Backes, »sie wollen, dass ihr Lebens-
modell akzeptiert wird.« Seite 26
Eine Milliarde US-Dollar will der Schweizer Die digitalen DATEV-Lösungen vernetzen alle Ge-
Philanthrop Hansjörg Wyss für den Natur-
SEBASTIEN AGNETTI / DER SPIEGEL
Karrieren Bildungsministerin
Anja Karliczek führt eines der Wirtschaft
wichtigsten Zukunftsressorts,
SONJA OCH / DER SPIEGEL
Totale Transparenz
Leitartikel Für den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik muss es strenge Regeln geben.
D
as Unwort der deutschen Politik heißt Partei- Die Wirtschaft kann ihre Interessen nicht nur über Par-
spende. Einige der großen Skandale der Republik teispenden durchsetzen, sondern auch über Lobbyarbeit
spielen auf diesem Feld. Die Flick-Affäre, über gegenüber Politikern, über die fachliche Beratung von
die ein Wirtschaftsminister der FDP stürzte, Otto Ministerien. Zudem wechseln Manager in die Politik oder
Graf Lambsdorff. Die schwarzen Kassen der CDU, die Politiker in die Wirtschaft. Auch da wurde Schindluder
dem Ansehen des Altkanzlers Helmut Kohl schadeten getrieben, gab es dreisten Missbrauch. Trotzdem gilt auch
und seiner Partei Strafzahlungen in Millionenhöhe eintru- hier: Eine Abschottung hilft der Politik nicht, sie braucht
gen. Die dubiosen 100 000 Mark in bar, die Wolfgang die Expertise der Unternehmen und Verbände.
Schäuble den CDU-Vorsitz kosteten. Seine Nachfolgerin Es kommt auf die Regeln an und auf die Haltung.
wurde Angela Merkel, die damit letzten Endes fast Wer die Wirtschaft als Akteur der Politik verdammt, macht
14 Jahre Kanzlerschaft auch einem Spendenskandal ver- sie zu einem Außenseiter. Aber die Unternehmen werden für
dankt. Das ist die Dimen- die liberale Demokratie ge-
sion dieses Themas. braucht, sie dürfen nicht ab-
Auch die AfD, die ver- driften in eine Sehnsucht
sprochen hat, alles anders nach chinesischen Verhältnis-
zu machen, versinkt sen, nach dem autoritären
schon im Spendensumpf. Staat, der rasend schnell neue
Die SPD hatte ihre re- Fabriken baut oder Produkte
gionalen Skandale. Meist genehmigt, weil die Politik
sollten oder wollten die nicht erst um Kompromisse
Geldgeber unbekannt blei- ringen muss oder demokrati-
ben, damit die Parteien sche Werte zu verteidigen hat.
nicht in den Ruch der Käuf- Und den Unternehmen
lichkeit kommen. Doch sollte klar sein, dass sie von
werden sie erwischt, ver- der Rechtssicherheit in
stärkt das den fatalen Demokratien profitieren,
ARND WIEGMANN / REUTERS
So gut kann
Bier schmecken.
Andreas Dick,
Hopfenbauer für Bitburger
Schwarzfahrer
Jan Fleischhauer Der schwarze Kanal
Wie Boris Palmer die Deutsche
Bahn entlarvt
Die Macht der Biologie G Fällt aus, kommt später, geänderte
Wagenreihung – und jetzt auch noch
Wie viel Zeit sollten kleine ist in dem Artikel an keiner Stelle die das: Mit einer fragwürdigen Werbe-
Kinder in der Kita verbrin- Rede davon, dass Frauen länger zu kampagne hat die Deutsche Bahn
gen? In der »Frankfurter Hause bleiben sollten. Wenn über- AG Kritik auf sich gezogen. Zunächst
Allgemeinen« habe ich haupt, dann wird dafür plädiert, dass wirkt die Werbung mit sechs Bahn-
den Bericht von Erziehe- beide berufstätige Eltern ihre Arbeits- reisenden harmlos: Ein Bärtiger ver-
rinnen gelesen, die klagen, zeit kürzen. zehrt das beliebte Schinken-Käse-
dass selbst Einjährige immer Offenbar geht die Kollegin davon Baguette aus dem Bordbistro. Ein
öfter einen Achtstundentag hätten. Wir aus, dass Mütter in Bezug auf die eige- Glatzkopf scheint einen Geschäfts-
würden ständig über die Vereinbarkeit nen Kinder ein schlechteres Gewissen bericht zu lesen. Eine Frau trägt
von Familie und Beruf sprechen, statt haben als Männer. Das bestätigt meine Ohrhörer. Eine Mutter herzt ihr
zu fragen, was Kinder brauchen. Beobachtung, dass Frauen nicht in Kleinkind. Ein Mann mit Kaffeetasse
Ich fühlte mich ertappt. Meine Frau allen Belangen so emanzipiert sind, erfreut sich am Blick aus dem Zug.
und ich arbeiten beide Vollzeit. Wir wie sie es gern wären. Immer kommt Wer kann etwas dagegen haben?
bringen unsere Kinder um acht Uhr einem die Biologie in die Quere. Man
zur Kita und holen sie gegen 17 Uhr kann das auch in Sorgerechtsstreitig-
ab. In der »FAZ« stand, dass Kinder, keiten beobachten. Wenn es darum
die zu lange in der Kita seien, mehr geht, bei wem der Nachwuchs bleiben
Zuwendung brauchten. Einige hätten soll, argumentieren selbst in der Wolle
nach acht Stunden einen starren, gefärbte Feministinnen so, als wäre
ins Leere gerichteten Blick. Ich versu- das Band zwischen Mutter und Kind
che, mich damit zu beruhigen, dass etwas Heiliges.
unsere Kita doppelt so viele Erzieher Die Familienministerin Franziska
beschäftigt, wie das normalerweise Giffey hat vorgeschlagen, bei Trennun-
üblich ist. gen die Unterhaltszahlungen anzupas-
Eine Kollegin will wegen des Arti- sen. Bislang sind Männer voll unterhalts- Boris Palmer kann. Sensibel für
kels künftig die »FAZ« meiden, wie sie pflichtig, auch wenn ihre Kinder viel das erhitzte Diskussionsklima des
auf Twitter bekannt gab. Sie sei die Zeit bei ihnen verbringen. Wer weniger Landes hat der grüne Tübinger Ober-
Plädoyers fürs Hausfrauenleben leid. als 50 Prozent der Zeit die Kinder bürgermeister auf Facebook kritisch
Außerdem habe sie keine Lust auf das betreut, der zahlt. Das sei nicht mehr nachgefragt: »Ich finde es nicht nach-
»ganze schlechte Gewissen«, das ihr zeitgemäß, erklärte Frau Giffey, worauf- vollziehbar, nach welchen Kriterien
die Zeitung mache. Das fand ich aus hin ihr Protest entgegenbrandete. die ›Deutsche Bahn‹ die Personen …
zwei Gründen bemerkenswert. Erstens Von der Biologie zum Geld ist ausgewählt hat. Welche Gesellschaft
funktioniert nach meiner Erfahrung es manchmal nur ein kleiner Schritt. soll das abbilden?«
die Verbesserung des Familienlebens Und tatsächlich: Der Baguetteesser
durch Ausblendung unangenehmer An dieser Stelle schreiben Jan Fleischhauer und ist ein schwäbischer Fernsehkoch,
Wahrheiten nur bedingt. Zum anderen Markus Feldenkirchen im Wechsel. dessen Konterfei auch auf Tüten mit
klimaschädlicher Grillkohle prangt.
Die Musikhörerin ist bekannt gewor-
Kittihawk den als Moderatorin im Umfeld von
Autorennen. Und der Herr mit dem
Kaffee ist ein leibhaftiger Formel-1-
Weltmeister. Die Bahn geriert sich als
Öko-Unternehmen, wirbt dabei aber
mit prominenten Feinstaubikonen.
Die Aufdeckung dieses Wider-
spruchs muss der grüne Vordenker
nun bitter bezahlen. Weil die abge-
bildeten Werbeträger mehrheitlich
dunkelhäutig sind, wird Palmer
unterstellt, er störe sich daran, dass
die Bahn Menschen zeige, die nicht
so aussähen wie er selbst. Aber mal
im Ernst: ein grüner OB, der mitten
im Europawahlkampf mit plumpem
Rassismus provoziert? Der wäre
doch irre. Stefan Kuzmany
en bei
r ie f w a h lunterlag
Jet z t B rn!
G e m e in d e anforde
Ihrer
deutschepost.de/briefwahl
Deutschland
»Es macht mich wahnsinnig, dass wir Missbrauch über Jahrzehnte nicht ernst genug genommen haben.« ‣ S. 37
Energiewende
Der Vorstandsvorsitzende von RWE, Rolf Schmitz, fordert oft doppelt so lange. Er fürchte, so der RWE-Chef, dass der
von der Bundesregierung mehr Einsatz für den Ausbau der Kohleausstieg ins Stocken gerate, wenn das Ziel verfehlt
erneuerbaren Energien. »Mehr noch als eine Kohlekommis- werde, bis zum Jahr 2030 bis zu 65 Prozent Strom aus rege-
sion brauchten wir eine Kommission, die sich um die Strom- nerativen Quellen zu gewinnen. Dazu müssten mindestens
netze und den Ausbau der erneuerbaren Energien kümmert«, 7000 Megawatt neuer Windleistung jährlich entstehen. Von
sagt Schmitz, dessen Unternehmen bislang vor allem für diesem Ziel sei man weit entfernt.
Kohlekraftwerke und Braunkohletagebau bekannt war. Der Sein Konzern, dessen Tochter Innogy vor einer Fusion
RWE-Chef sorgt sich vor allem um die lange Genehmigungs- mit der Erneuerbaren-Sparte von E.on steht, investiert in
zeit von Windanlagen – auch wegen der Klagen von Umwelt- Windenergie – allerdings immer stärker im Ausland. In
verbänden. »Es funktioniert einfach nicht, wenn man gleich- Japan etwa wolle RWE ins Geschäft einsteigen, sagt Schmitz.
zeitig gegen Kohle ist, gegen Windräder, gegen neue Netze, Der Energiemanager fordert, die Genehmigungsverfahren
eigentlich gegen alles«, wettert Schmitz in Richtung Bürger- hierzulande ähnlich zu beschleunigen, wie das derzeit mit
initiativen. In den USA brauche die Genehmigung einer neuen der Novelle des Gesetzes für den Ausbau von Stromnetzen
Windanlage im Schnitt zwei bis drei Jahre, in Deutschland (Netzausbaubeschleunigungsgesetz) geschehe. GT
11
Parteienwerbung
Museum wehrt sich
gegen AfD-Plakat
Der Berliner Landesverband der
AfD sorgt für Ärger in Williamstown
im US-Bundesstaat Massachusetts.
Das Kunstmuseum Clark Art Institute
fordert die Partei auf, ein Gemälde,
das ihm gehört, nicht weiter auf Werbe-
plakate zur Europawahl zu drucken.
»Wir haben der AfD geschrieben und
verlangen, dass sie die Nutzung des
Gemäldes unterlässt«, sagt Museums-
direktor Olivier Meslay. Es geht um das
Gemälde »Sklavenmarkt« des franzö-
Fahndung paweiten Fahndung nach Schwerstkrimi- fen hat, textete für das Plakat den Slo-
Fingerabdruck wirkt nellen wie bei der Suche nach jugend- gan »Damit aus Europa kein ›Eurabien‹
lichen Ausreißern. Zugriffsberechtigt sind wird«. Laut einem Infoheft des Muse-
Eine Neuerung im Schengener Informa- Sicherheitsbehörden in Schengenländern ums ist es »unwahrscheinlich, dass der
tionssystem (SIS) – eine europaweite sowie die europäischen Behörden Europol Künstler eine solche Szene je gesehen
Fahndungsdatenbank der Sicherheitsbe- und Eurojust. AUL hat, da es kaum eine bis keine zuverläs-
hörden – zeigt Erfolge. Seitdem im ver- sige Dokumentation solcher Sklaven-
gangenen Jahr sieben EU-Staaten Finger- märkte gibt«. Direktor Meslay betont,
abdrücke in dem System recherchierbar man habe der AfD das Bild nicht zur
gemacht haben, gingen Polizeibeamten Verfügung gestellt. »Das Gemälde
bei Kontrollen mehr als 80 Personen ins gehört uns, und wir sind strikt dagegen,
Netz, »die wir sonst nicht bekommen hät- dass dieses Werk weiter genutzt wird,
ten«, wie ein hoher Beamter des Bundes- um eine politische Agenda zu ver-
JOCHEN ECKEL / SZ PHOTO / LAIF
kriminalamts sagt. Die Datenbank dient breiten.« Rechtlich hat das Museum
der Personen- und Sachfahndung in der allerdings keine Handhabe. Es gebe
EU. Sie enthält rund 80 Millionen Daten- keine urheberrechtlichen Abwehr-
sätze über unerwünschte, vermisste und rechte, erklärt Meslay, »deswegen kön-
gesuchte Personen sowie zur Fahndung nen wir nur an die Zuvorkommenheit
ausgeschriebene Kraftfahrzeuge, Bank- der AfD appellieren«. Der Berliner
noten, Dokumente und Schusswaffen. Landesverband war für eine Stellung-
SIS spielt ebenso eine Rolle bei der euro- Erkennungsdienstliche Behandlung nahme nicht zu erreichen. AKM
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Deutschland
Die Angstmacher
Parteien Die AfD entdeckt ein neues Thema für sich – die Umweltpolitik. Sie leugnet,
dass der Mensch für die Klimakrise mitverantwortlich ist, schürt
Furcht vor dem Ende der Autoindustrie und will damit neue Wähler gewinnen.
E
s ist heiß an diesem Dienstag- weniger Flüchtlinge ins Land kommen als zanke um Nord Stream 2, die Gaspipeline
abend im April in Velten, einer in jenen Jahren. Also muss ein anderes aus Russland, und zuletzt der Vorstoß von
kleinen Stadt in Brandenburg. Tü- Thema her. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD)
ren und Fenster müssen geöffnet Die Umweltpolitik ist derzeit dauerprä- für die Einführung einer CO -Steuer. Von
²
werden, nur Durchzug hilft. Die Redner sent, in den von Thunberg angestoßenen den Bildern schmelzender Gletscher und
schwitzen, die Zuhörer auch. »Fridays for Future«-Demonstrationen, in im Meer schwimmender Plastikteile sowie
Gut 200 sind gekommen, um AfD-Chef den Diskussionen rund um Diesel und den Erinnerungen an den Dürresommer
Jörg Meuthen und andere Parteigrößen Fahrverbote, hinzu kommt das ewige Ge- ganz zu schweigen.
reden zu hören. Dass es die Menschen
sind, die den Raum so erhitzen, würde
hier vermutlich keiner leugnen. Wenn es
aber darum ginge, dass die Menschen die
Erde erwärmen, sähe die Sache wohl an-
ders aus.
Meuthen erzählt von einem »Erwe-
ckungserlebnis« im Europaparlament ver-
gangene Woche. Ein Gast sei gekommen:
»Halten Sie sich fest, ganz, ganz hoher
Staatsbesuch, die heilige Greta von Schwe-
den.« Das Publikum lacht. »Allen Ernstes«
habe der Parlamentspräsident »diese 16-
jährige Schülerin« begrüßt, echauffiert
sich Meuthen. Und dann habe Greta Thun-
berg auch noch »tosenden Applaus« be-
kommen.
»Unfassbar«, grummelt ein Mann im Pu-
blikum. Meuthen sagt: »Von dem gesam-
ten Parlament Standing Ovations, für was,
fragt man sich, für was?« Und schiebt ei-
nen Witz hinterher: »Am nächsten Tag
war sie dann beim Papst, dem gab sie eine
kleine Audienz.« Wieder Gelächter.
Die Ikone der Schülerdemonstranten
als Ziel rechtspopulistischer Häme? Eine
16-jährige Schülerin als politische Gegne-
rin der AfD? Durchaus.
Die Rechtspartei hat ein neues Thema
für sich entdeckt: die Umweltpolitik. Sie
setzt es im Bundestag ein. Sie nutzt es im
außerparlamentarischen Raum, sie pflegt
Verbindungen zu Klimaleugnern im Um-
feld von US-Präsident Donald Trump. Vor
allem aber versucht sie, bei der Europa-
wahl und den ab Spätsommer anstehen-
den Wahlen in drei ostdeutschen Ländern
so zu punkten.
Es ist nach dem Euro und der Flücht-
SEAN GALLUP / GETTY IMAGES
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»Wir wären ja bescheuert, wenn wir fernab jeder wissenschaftlichen Erkennt- an. Sie geriert sich als Partei, die den »Die-
das Thema liegen lassen würden«, sagt nislage. sel retten« will, wie es auf dem Wahl-
Meuthen. Es sei eines der wichtigen, gera- Beim Wahlkampfauftakt zur Europa- plakat heißt, das die Kreisverbände gera-
de für seine Partei. »Als Politiker muss wahl in Offenburg vor drei Wochen be- de am meisten bei der Geschäftsstelle
man Themen aufgreifen, die die Leute hauptete Fraktions- und Parteichef Ale- ordern. Laut Europawahlprogramm wur-
umtreiben.« xander Gauland vollmundig, es sei »völlig den »faktisch Millionen Dieselfahrer ent-
Wahlforscher geben Meuthen recht: ungeklärt«, welche Rolle der Mensch beim eignet«, weil die Regierung, die anderen
Laut »Politbarometer« der Forschungs- Klimawandel spiele. Gauland sprach von Parteien und die EU verkündet hätten,
gruppe Wahlen von Mitte April wird »Um- »entarteter Angstmache« bei den Grünen. dass Verbrennungsmotoren schlecht und
welt/Energiewende« als zweitwichtigstes Und entwarf dann selbst ein Horrorszena- unzeitgemäß seien. In Velten behauptet
»Problem in Deutschland« genannt, direkt rio: Bald kämen die »Vereinigten Staaten Meuthen gar, dass die »Dieselgrenzwerte«
nach »Ausländer/Integration/Flüchtlin- von Europa als deindustrialisiertes, von aus Brüssel »unsere Automobilindustrie
ge«. Dann folgen »Mieten/Wohnungs- Windrädern übersätes Siedlungsgebiet« kaputt« machten, die gesamte Branche
markt« und »Renten«. Und laut Infratest daher, in dem nicht nur die nationalen werde verschwinden. Er bekommt lauten
dimap spielten »Umwelt- und Klima- Identitäten abgeschafft seien, sondern Applaus, er ist der Kämpfer, der den Ver-
schutz« bei der Bundestagswahl 2017 für auch nur noch Elektroautos verkehrten, brennungsmotor vor seiner Vernichtung
89 Prozent der Wahlberechtigten eine sehr »und zwar im Carsharing«. bewahrt.
wichtige oder wichtige Rolle. Gerade im Ländlichen, wo viele Men- Mit ihrer Position hat die AfD auch eu-
Die AfD nimmt dabei eine von ande- schen auf ihr Auto angewiesen sind, ropaweit eine Sonderstellung: »In Bezug
ren Parteien nicht besetzte Position ein – kommt die AfD mit ihrem Retroblick gut auf den Klimawandel zählt die AfD zu den
Hardlinern der europäischen Rechtspopu-
listen«, sagt Stella Schaller, Klimaexpertin
bei der Berliner Denkfabrik adelphi. Ge-
meinsam mit einem Kollegen analysierte
Schaller 21 rechtspopulistische Parteien in
Europa anhand ihrer Wahlprogramme,
Statements und ihres Abstimmungsverhal-
tens im Europäischen Parlament. Das Er-
gebnis: »Keine andere Partei, mit Ausnah-
me der britischen Ukip, leugnet den von
Menschen verursachten Klimawandel so
vehement wie die AfD.«
Besonders eng arbeitet die AfD mit
»Eike« zusammen, dem »Europäischen In-
stitut für Klima & Energie«. Dahinter ver-
birgt sich keine wissenschaftliche Einrich-
tung, sondern ein schlichter Verein, denn
der Begriff »Institut« ist nicht geschützt.
Auf der Website schreibt der Verein, Kli-
mapolitik sei ein »Vorwand«, um »Wirt-
schaft und Bevölkerung zu bevormunden«
und »das Volk durch Abgaben zu belas-
ten«. Fast täglich gibt es dort und auf der
Twitterseite Neues, ab und an ein paar
Zahlen, ansonsten viele Fotomontagen
und knallige Überschriften. Es wird ge-
hetzt gegen die »Fridays for Future«-
Demos und gegen Greta Thunberg. Die
Vereinsleute bezeichnen sie als »Greta
Thunfisch«, die »Klimaschutz-Göre«. Es
ist ein Institut, in dem recht schlichte Pro-
paganda entsteht.
Wer versucht, Eike in Jena zu besu-
chen, wird erst mal abgewimmelt. Ein
Pressesprecher lässt sich mehrmals ent-
schuldigen, später ist er nicht für die Fra-
gen zuständig, die man stellt. Der Präsi-
dent stellt einen Besuch erst für kommen-
de Woche in Aussicht, nimmt dann den
HC PLAMBECK / DER SPIEGEL
DRID, Hamburg
Sachverständiger darüber, dass die Thesen
Shavivs in der vorherigen Sitzung von ei-
nem Experten des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung als »Quatsch« be-
zeichnet worden waren. Die Ausschuss-
vorsitzende, Grünenpolitikerin Sylvia Kot-
ting-Uhl, widersprach: Er habe das sehr
wohl begründet. Und so sprach man in der
Sitzung »nicht nur über das Wie und Wann
beim Klimaschutz, sondern über das Ob«,
so Kotting-Uhl.
Es war eine Debatte ganz nach dem Ge- Sie erhalten vollen Zugriff auf alle Inhalte von SPIEGEL+ auf
schmack der AfD. SPIEGEL ONLINE, erfahren mit Daily Update das Wichtigste des
Vera Deleja-Hotko, Ann-Katrin Müller, Tages und lesen die digitale SPIEGEL-Ausgabe schon freitags
Gerald Traufetter ab 18 Uhr.
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Bundestag würdig«
spiegel.de/sp182019afd
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AfD-Facebook-Posts
»Wer macht diese ganze Arbeit?«
Die rechte Welle surfen book, rund 1400 die SPD, gut 1000 die
Union.
Trevor Davis fürchtet, dass die AfD in
den Umfragen zur Europawahl massiv un-
Social Media Eine umfassende Datenanalyse zeigt, terschätzt sein könnte, auch weil die Wahl-
dass die AfD alle anderen Parteien auf Facebook bei Weitem hinter beteiligung traditionell eher niedrig ist.
sich lässt. Experten wittern dubiose Hilfe. Der Social-Media-Experte Martin Fuchs,
der sich seit Jahren mit den Internetmetho-
den der AfD befasst, teilt diese Sorge nicht:
flussen«, warnt die Extremismusforscherin »weniger den Mainstream wollen, den die
Julia Ebner vom Londoner Institute for Medien immer veröffentlichen«. Bei seiner
Strategic Dialogue. »In Kombination mit Partei finde man »Material ohne redaktio-
der besonders starken Verwendung von nelle Bearbeitung«, die AfD sei die »Stim-
Bildern, die Wut erzeugen, und Schmutz- me des Volkes«.
kampagnen gegen politische Gegner ge- Plausibler ist eine andere Erklärung für
lingt es der Partei, beinahe ein Monopol den AfD-Erfolg. Ein Abgeordneter berich-
auf Online-Stimmungsmache aufzubau- tet, dass einige Mitarbeiter bis zu einem
en.« Das sei gefährlich, denn Negativkam- Dutzend Seiten gleichzeitig betreuten,
pagnen könnten insbesondere unentschlos- auch die von Kreisverbänden. »Wir wis-
sene Wähler beeinflussen, so Ebner. sen, dass die AfD auf eine große Zahl von
Medienwissenschaftler Davis hat auch Menschen zurückgreifen kann, die sich
analysiert, wie sich die Flut der Facebook- und ihren Ansichten Gehör verschaffen
Bilder der AfD zusammensetzt. Dafür hat wollen, auf diese Gelegenheit regelrecht
er rund 10 000 Foto-Posts aus dem März gewartet haben«, sagt auch Experte Fuchs.
und April 2019 untersucht. In etwa 90 Pro- Die AfD nutze dieses »Heer von Helfern«
zent der Fälle teilt die Partei einfache und unterstütze es mit Anleitungen, Text-
Fotos, etwa solche, die Zeitungsartikeln bausteinen und Bilddatenbanken.
anhängen. Beim Rest nutzt sie speziell er- Die Hilfe scheint nicht nur aus Deutsch-
stellte Fotocollagen, in AfD-Blau gehalten, land zu kommen. Davis hat in den AfD-
mit dem Parteilogo versehen und meist Posts zahlreiche Bilder gefunden, die aus
mit ebenso kurzen wie eingängigen Bot- russischen Fotodatenbanken stammen. Er
schaften: »Zu viele Flüchtlinge: Deutsch fragt sich daher, ob die Partei Hilfe aus
ist nicht mehr das Sprachvorbild!«, heißt Moskau erhält. Der AfD-Pressesprecher
es. Oder: »Deutsche Steuerzahler finan- weist das zurück, zumindest was die Seiten
zieren ihre eigene Enteignung«. angehe, die die Geschäftsstelle betreut.
Ihre Reichweite steigert die AfD auch, Über andere könne er nichts wissen.
indem sie Fotocollagen mehrfach postet. In Sicherheitskreisen hält man das Sze-
nario für denkbar. Eine Unterstützung der
AfD passt nach Ansicht von Fachleuten in
»Das hat das Niveau Moskaus strategische Erwägungen, die
einer US-Präsident- westlichen Demokratien zu destabilisieren,
indem extreme Kräfte gestärkt würden.
schaftskampagne im Erst vor einigen Wochen hat der SPIEGEL
Endspurt.« enthüllt, wie eng die Beziehung Russlands
MODELL ELPASO
zu manchen AfD-Politikern sind (15/2019).
Der Wissenschaftlerin Ebner fällt an
Ein Bild zu einer angeblichen Schulhof- den von Davis gesammelten Daten auf,
schlägerei setzte die Partei zum Beispiel dass AfD-Inhalte künstlich verstärkt wür-
auf mehr als 16 Facebook-Seiten ab, ein den von Accounts, die entweder falsch
anderes über Muslime in der Bundeswehr oder gar halb automatisiert aussehen. An-
auf mindestens 9 Seiten. Insgesamt domi- ders sei das unrealistisch starke Pro-AfD-
niert das Thema Flüchtlinge, aber auch zu Engagement von angeblichen Facebook-
den »Fridays for Future«-Demos und den Nutzern aus Ländern wie der Türkei und
Dieselfahrverboten postet die Partei jetzt Ägypten nicht erklärlich. Solche Social-
ständig. »Die AfD produziert Hunderte Media-Strategien, die sich »am Rande des
Foto-Posts am Tag«, sagt Davis. »Wer Zulässigen« bewegten, sind laut Ebner
macht diese ganze Arbeit?« »ein Phänomen, das wir auch bei rechts-
Die AfD will diese Frage nicht beant- populistischen Parteien im Ausland ver-
worten. Ein lange angefragter Besuch im stärkt beobachten«.
Newsroom der Bundestagsfraktion wird Eine Facebook-Sprecherin sagt, dass es
erst zugesagt, findet dann aber doch nicht ein Team von Spezialisten gebe, um Hin-
statt. Der Parteipressesprecher verspricht, weisen nachzugehen, »die auf missbräuch- • AUSGEZEICHNETE PASSFORM
sich um einen Termin mit einem der Social- liche Verhaltensweisen hindeuten«. Hier- • SUPERBEQUEM-FUSSBETT
Media-Experten zu kümmern. Bis Redak- zu zähle zum Beispiel koordinierte Wahl- • OPTIMALE AUFTRITTSDÄMPFUNG
tionsschluss klappte auch das nicht. beeinflussung aus dem In- und Ausland.
Dafür gibt sich der AfD-Sprecher über- »Wenn wir Verstöße gegen unsere Regeln • GEEIGNET FÜR INDIVIDUELLE EINLAGEN
rascht: »Machen wir denn da so viel mehr feststellen, gehen wir konsequent dagegen
als die anderen?« In der Parteizentrale sä- vor«, so die Sprecherin.
ßen nur drei Personen, die sich um die so-
zialen Netzwerke kümmerten. Dazu gebe
Am Ende könnte es eine Mischung von
lebendigen Anhängern und digitalen Au-
DER SCHUH ZUM
es noch »ein paar Freelancer«, etwa Leute,
die Grafiken bauten, und einen, der ani-
tomaten sein, die der AfD die Lufthoheit
auf Facebook sichern. Eines wäre sie damit
WOHLFÜHLEN
mierte Kurzfilme produziere. sicher nicht: die »Stimme des Volkes«.
Den Erfolg der Partei im Internet erklärt Jörg Diehl, Roman Lehberger, FinnComfort Postfach
der AfD-Sprecher damit, dass die Men- Ann-Katrin Müller, Philipp Seibt 97433 Haßfurt/Main
schen in den sozialen Netzwerken eben
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Deutschland
A
nja Karliczek, Bundesministerin 16 Landesministern. Karliczek erhielt die machte sie eine Banklehre und dann die
für Bildung und Forschung, steigt Note 4,03. Es ist normal, dass die Opposi- Ausbildung zur Hotelfachfrau. Sie kommt
aus ihrem Dienstwagen und be- tion sich über die Arbeit einer Regieren- aus Ibbenbüren, einem 50 000-Seelen-
ginnt Hände zu schütteln. Es ist den vernichtend äußert. Dass sich in den Städtchen in Nordrhein-Westfalen, wo sie
ein kalter, sonniger Tag im März. Soeben eigenen Reihen kaum einer findet, der die- als Jugendliche in die Junge Union eintrat,
ist die Ministerin in Potsdam angekom- se Arbeit verteidigt, ist nicht normal. weil es viele dort so gemacht hätten, sagt
men, im Wissenschaftspark »Albert Ein- Karliczek, so scheint es, ist nur deshalb sie. Jahrelang führte sie das familieneigene
stein«. Eine Traube aus Menschen umringt noch im Amt, weil derzeit kein ernsthaftes Viersternehotel Teutoburger Wald. Später
sie; die Forscher blicken Karliczek erwar- Interesse besteht, das Kabinett umzubil- absolvierte sie ein Studium an der Fern-
tungsvoll an. »Die Erde ist auch nur einer den – und weil ohnehin keiner weiß, wie uni Hagen. Ihre Diplomarbeit schrieb sie
von vielen Planeten«, sagt Reinhard Hüttl, lange es mit dieser Koalition weitergeht. über die »steuerliche Vorteilhaftigkeits-
Chef des Helmholtz-Zentrums für Geofor- Nach nur einem Jahr ist sie eine Ministerin analyse zur Auslagerung von Pensionsver-
schung, um irgendwie Konversation zu be- mit Restlaufzeit. pflichtungen aus Arbeitgebersicht«.
treiben. Karliczek lächelt, nickt. Sie weiß Einen Ausfall an dieser Stelle kann sich Karliczek ist Mutter von drei Kindern.
offenbar nicht, was sie tun oder sagen soll. Deutschland aber kaum leisten, da das Mi- Ihr Mann Lothar ist Pilot und derzeit ar-
»Wo geht es denn jetzt hin?«, fragt sie nisterium für Bildung, Wissenschaft und beitslos. Das alles klingt ziemlich lebens-
und blickt in die Runde. Keiner sagt etwas. Forschung (BMBF) den viertgrößten Etat nah. Karliczek kennt mehr als die Berliner
»Wer führt uns?«, fragt sie weiter. in der Bundesregierung verwaltet. Es ist Politikblase. Sie kann anpacken.
»Na, die Ministerin«, sagt Hüttl und zuständig für die Zukunft, also für For- Vielleicht war das ein Grund, sie in die-
schiebt sie nach vorn Richtung Eingang. schung und Wissenschaft und damit auch ses Amt zu hieven, als Gegenpol zu manch-
Es ist eine dieser Szenen, die für Kar- für die brennenden Fragen unserer Zeit: mal abgehobenen Akademikern. Eine we-
liczeks Begleiter, für Sprecher und Fach- Klimawandel, Digitalisierung und künst- sentlich größere Rolle allerdings dürfte der
referenten, augenscheinlich schwer zu er- Proporz gespielt haben. Karliczek erfüllt
tragen sind. Sie blicken zu Boden. drei Quoten: Sie ist Frau, katholisch und
Die Christdemokratin ist seit gut einem Karliczek erfüllt drei kommt aus Nordrhein-Westfalen.
Jahr im Amt. Den meisten Deutschen dürf- Quoten: Sie ist Frau, Karliczek wich Diskussionen mit Hoch-
te sie unbekannt sein. In der Fachwelt hin- schuldirektoren aus mit dem Hinweis, sie
gegen hat sie Kopfschütteln, Unmut und katholisch und aus Nord- müsse sich noch einarbeiten. Sie baute ihr
Wut provoziert. Die Ministerin gilt mit rhein-Westfalen. Haus um: Kaum vier Monate im Amt,
47 Jahren in der Politik als »jung«, wirkt schickte sie die erfahrene Staatssekretärin
aber oft so deplatziert, als wäre sie aus den Cornelia Quennet-Thielen in den einstwei-
Fünfzigerjahren per Zeitmaschine ins poli- liche Intelligenz. Seit einer kürzlich be- ligen Ruhestand. Quennet-Thielen gilt als
tische Berlin 2019 gebeamt worden. schlossenen Änderung des Grundgesetzes bestens vernetzt, als exzellente Verhand-
Gleich nach ihrer Berufung spotteten könnte es seinen Einfluss sogar noch auf lerin – kurz: als eine Person, die Karliczek
Medien und Wissenschaft über die fach- die Schulpolitik, die Ausbildung der jun- derzeit gut gebrauchen könnte.
fremde Ministerin – das war nicht immer gen Generationen, ausweiten. »Der Rauswurf dieser Staatssekretärin
fair. Allerdings machte Karliczek es ihren Ein Empfang im Ministerium, einem war ein kapitaler Fehler«, sagt Thomas
Kritikern leicht. Häufig leistete sie sich Pat- Bau aus Glas und Stahl, der futuristisch Sattelberger, Bildungspolitiker der FDP.
zer. Zu den bekanntesten zählt ihre Aus- anmutet. Serviert wird blutroter Gazpacho »Eine solch gewiefte, mit allen Facetten
sage, es müsse nicht »an jeder Milchkan- in Reagenzgläsern. Nur die Ministerin, die, des Ressorts vertraute Frau nach kurzer
ne« superschnelles mobiles Internet geben. zum Entsetzen ihrer Mitarbeiter, ihre Zeit zu feuern ist ein Ausdruck eigener
In einem Interview erzählte sie freimü- Redemanuskripte gern umschreibt und da- Schwäche.« Karliczek sagt: »Zu Personal-
tig, sie habe in einer Fernsehzeitschrift eine bei Fachliches in sonntägliche Plattitüden angelegenheiten nehme ich öffentlich kei-
hilfreiche Erklärung darüber gefunden, umwandelt, verhält sich mal wieder un- ne Stellung.«
was ein Algorithmus sei. »Viele Forscher passend. Karliczek steht hinter dem Red- In diesen Tagen verhandelt Karliczek
und Akademiker gebrauchen ständig Be- nerpult; sie liest ab. Sie spricht von Werten, über drei milliardenschwere Pakte, die den
grifflichkeiten, von denen sie sich nicht von Menschenwürde, davon, den Leuten Standort Deutschland in der Hochschul-
vorstellen können, dass sie für andere die Angst vor der Technologie zu nehmen. und Forschungspolitik für die kommenden
eben nicht Alltag sind.« »Maschinen können nicht entscheiden, Jahren maßgeblich prägen werden: den
Und sie sorgt sich öffentlich, welche Fol- was Gesellschaften wollen«, sagt sie. Hochschulpakt, den Pakt für Forschung
gen es für Kinder habe, in Regenbogen- Schon bei ihrer Rede zur künstlichen In- und Innovation und den Qualitätspakt
familien aufzuwachsen. telligenz im Bundestag hatte sie betont, Lehre. Anfang Mai wollen Bund und Län-
Inzwischen wird Karliczek von vielen man lasse sich vom christlichen Menschen- der die künftige Architektur des deutschen
als Fehlbesetzung eingeschätzt. Die Mit- bild leiten. Fortschritt müsse sich dahinter Wissenschaftssystems vorstellen. Karli-
glieder des deutschen Hochschulverban- einreihen. czeks Bilanz lässt wenig Gutes erhoffen.
des wählten sie zur drittschlechtesten Bil- Anja Karliczek kennt den universitären Eines der wenigen Glanzlichter ihres
dungsministerin, in einer Gruppe mit allen Betrieb nicht von innen. Nach dem Abitur ersten Amtsjahres ist der Digitalpakt. Fünf
21
Deutschland
»Absolute
deutlich weniger Geld auskommen als be- messen. »Man muss ja nicht in die teuers-
antragt. Die Forscher müssen sich also ein- ten Städte gehen. Unsere Hochschulland-
schränken, fürchten Kollegen. »Ich gehe schaft ist in der Breite sehr gut aufgestellt,
Frechheit«
davon aus, dass die Kürzungen zulasten wir haben auch hervorragende Standorte
der Schwächsten gehen: der Doktoranden in Gegenden, in denen das Wohnen nicht
und einfachen wissenschaftlichen Mitar- so teuer ist«, sagte Karliczek dazu im In-
beiter«, sagt Günter Roth, assoziierter For- terview mit dem SPIEGEL (7/2019) und
scher am bisherigen Exzellenzcluster des löste damit Proteste aus. Demokratie Kleinstparteien und
Zentrums für biologische Signalstudien Karliczek versucht, ihr Argument nach- skurrile Splittergruppen kandidie-
der Universität Freiburg. Im März verfass- träglich besser zu verkaufen. »Meine Ant-
te er einen Brandbrief unter anderem an wort zielte darauf ab, dass es auch in sehr ren in großer Zahl fürs EU-
die Deutsche Forschungsgemeinschaft und vielen kleineren Städten, in denen die Parlament. Denn mit etwas Glück
an Karliczeks Ministerium. »Mit der Ent- Mieten günstiger sind, sehr gute Universi- gibt es viel Geld zu gewinnen.
scheidung, mehr Cluster zu prämieren, täten gibt.«
macht die Politik exzellente Forschung zu- Auch ihren Satz zum Ausbau der Mo-
nichte«, wettert Roth.
Anja Karliczek sagt dazu: Die Erfah-
rung der laufenden Exzellenzinitiative zei-
ge, dass auch mit einer um 20 bis 25 Pro-
bilfunknetze würde sie heute so nicht sa-
gen. »Das Bild von den Milchkannen wird
offenbar nicht überall sofort verstanden.
Dort, wo ich herkomme, denken wir in
D ie Europäische Partei Liebe hat sich
einiges vorgenommen für ihre aller-
erste Wahl. Am 26. Mai will die
EPL die »Mehrheit an Abgeordnetensit-
zent geringeren Fördersumme exzellente dem Zusammenhang immer an das Häus- zen« im Europäischen Parlament erobern,
Forschung möglich sei. Die Bewilligung chen auf dem Land, vor dem eben früher wirbt sie auf der Homepage. Und danach
von Anträgen sei immer nur mit der klaren die Milchkanne stand.« Ihr sei bewusst, gleich den Posten des EU-Kommissions-
Unterstützung der Wissenschaft möglich dass landwirtschaftliche Großbetriebe sehr präsidenten, am besten mit ihrem eigenen
gewesen. Die Entscheidung, mehr Projek- bald auf 5G angewiesen sein würden und Parteichef, einem Dr. Dmitry Kuzmin.
es für die Privathaushalte ein sta- Im persönlichen Gespräch sind die Ver-
biles 4G-Netz auf modernstem treter der 2017 gegründeten Minipartei aus
Stand geben müsse. Dass ein sol- dem westfälischen Büren etwas kleinmü-
ches Netz für private Kommunika- tiger. Natürlich wolle die EPL für ihre Ziele
tion absolut notwendig sei, habe kämpfen: Liebe statt Hass in Europa. Aber
sie auch damals schon gesagt. viel Geld für den Wahlkampf habe man
Auf die Frage, wie trittsicher sie nicht zur Verfügung, bedauert Valentina
NORBERT FELLECHNER / ACTION PRESS
22
erklärt. Sperrklauseln verstießen Und noch etwas hilft den
gegen die Chancengleichheit und Minigruppierungen: Deutsche
seien auf europäischer Ebene über- Europamandate werden nach ei-
flüssig, weil das EU-Parlament im nem komplizierten Rundungs-
Unterschied zum Bundestag keine und Zählverfahren verteilt, das klei-
feste Regierungsmehrheit stellen nere Parteien »tendenziell begüns-
müsse, urteilten die Richter. tigt«, erklärt Schönberger. Dieses
Seitdem ist es für deutsche Par- »Sainte-Laguë-Schepers«-Verfahren,
teien bei keiner anderen Wahl so benannt nach einem französischen
einfach, an gut dotierte Mandate Mathematiker und einem deut-
und Geldtöpfe zu kommen. 2014 schen Physiker, sei eigentlich »für
schaffte es selbst die zur Splitter- ein System ohne Sperrklausel nicht
partei abgewirtschaftete rechtsex- geeignet«, so Schönberger. Es führt
treme NPD noch ins EU-Parla- dazu, dass schon etwas mehr als ein
ment, ebenso wie die Familien-Par- halbes Prozent der Stimmen ausrei-
tei oder Die Partei des Satirikers chen kann, um eines der 96 deut-
Martin Sonneborn. Ihm reichten schen Abgeordnetenmandate zu
weniger als 185 000 Stimmen für ergattern.
ein Abgeordnetenmandat, das war Auf jeden Fall genügt dieses
ein Stimmenanteil von gerade mal halbe Prozent, um der Partei auch
0,6 Prozent. unabhängig vom Abgeordneten-
Solche Chancen wollen sich viele mandat Geld zu verschaffen. Ab
nicht entgehen lassen. Vor fünf Jah- dieser Grenze zahlt der Staat jedes
Mit seinem Buch »Inside Islam. Was in Auf dessen Foto standen die Soldaten aber schen Behörden. Ich konnte am Ende
Deutschlands Moscheen gepredigt wird« auf Schutt und Trümmern und nicht auf zwar keine Überweisungsträger sehen
löste Constantin Schreiber vor zwei Jahren toten Menschen. Als Arbeitsaufgabe sollen oder den einzelnen Euro nachverfolgen.
eine heftige Debatte aus. In seinem neuen die Schüler die Abbildung diskutieren. Allerdings habe ich herausgefunden, dass
Werk beschäftigt er sich damit, welche SPIEGEL: Welche Rolle spielen Frauen in Deutschland im vergangenen Jahr mehr
Werte Schulbücher in islamisch geprägten den Büchern? als 62 Millionen Euro in einen interna-
Ländern vermitteln*. Schreiber, 39, ist Schreiber: In Iran geht es viel um Verhal- tionalen Fonds eingezahlt hat, den Afgha-
Grimme-Preisträger und Moderator der tensregeln. Frauen, die unzureichend ver- nistan Reconstruction Trust Fund. Dieser
»Tagesschau«. Vor seinem Wechsel zur hüllt seien, brächten sich in Gefahr, steht zahlt Geld an das afghanische Finanz-
ARD arbeitete er jahrelang als Journalist in einem Schulbuch. Sie riskierten die Be- ministerium, das wiederum das Bildungs-
im arabischen Raum. lästigung durch lüsterne Männer. Zudem ministerium mit finanziellen Mitteln aus-
sei dies »einer der tiefsten Abgründe«, der stattet, um Unterrichtsmaterialien heraus-
SPIEGEL: Sie haben mehr als hundert »unser Leben, unseren Glauben und unse- zugeben – auch das von mir kritisierte
Schulbücher aus mehrheitlich muslimi- re geistigen Fähigkeiten vernichtet«. Aber Religionsbuch.
schen Ländern gesichtet. Warum? auch in einem ägyptischen Schulbuch bin SPIEGEL: Wie sollten deutsche Behörden
Schreiber: Was in diesen Büchern steht, ich auf Bemerkenswertes gestoßen. Ihrer Meinung nach denn stärker Einfluss
sagt viel über die Gesellschaften dort aus. SPIEGEL: Und zwar? nehmen?
Wie man auf andere Religionen und Kul- Schreiber: Im Fach Haushaltskunde be- Schreiber: Die Bundesrepublik überweist
turkreise schaut, aber auch auf Frauen. kommen »dicke und dünne Mädchen« offenbar quasi blanko hohe Beträge nach
Vieles war nicht gerade ein Lehrstück für Stylingtipps. Die dicken sollten zum Bei- Afghanistan. Das ist natürlich problema-
Toleranz. spiel keine breiten Gürtel tragen, denn es tisch. Es geht mir nicht darum zu sagen,
SPIEGEL: Können Sie Beispiele nennen? sei ein »Irrglaube«, dass dieser sie schlan- dass wir den Leuten nicht helfen sollen.
Schreiber: In einem afghanischen Reli- ker aussehen lasse. Illustriert ist das Gan- Wenn in Schulbüchern jungen Frauen auf-
gionsbuch für die zehnte Klasse hieß es, ze mit Models. Ägyptische Mädchen ler- gezeigt würde, welche Perspektiven und
Juden würden die »Menschen vom rech- nen also in der Schule, dass ihr oberstes Rechte sie haben, dann wäre das eine Un-
ten Weg abhalten«. An anderer Stelle ler- Ziel sein sollte, ihrem Ehemann zu gefal- terstützung wert. Aber nicht, wenn Schü-
nen die Schüler, dass Muslime als »bestes len und ihren Platz zu Hause am Herd ler lernen sollen, dass Juden angeblich min-
Volk« Andersgläubigen überlegen seien. zu suchen. derwertig sind. Da wird Antisemitismus
Oder: Wer »andere Elemente mit Gott SPIEGEL: Sie schreiben, dass Deutschland dann zum Kollateralschaden deutscher
zusammen« anbete, werde »in die Hölle das afghanische Religionsbuch, das gegen Hilfsgelder.
gehen, wo sie Leid und Qual erleiden wer- Andersgläubige hetzt, sogar mitfinanziert SPIEGEL: Der Bund engagiert sich über
den«. Ein Islamwissenschaftler erklärte habe, wenn auch nicht direkt. Wie kom- die Deutsche Gesellschaft für Internatio-
mir, dass damit Christen gemeint seien, men Sie darauf? nale Zusammenarbeit (GIZ) auch konkret
wegen der Dreieinigkeit von Vater, Sohn Schreiber: Das ist das Ergebnis einer Re- in Afghanistan. Was unternehmen die Ent-
und Heiligem Geist. chercheodyssee bei internationalen Orga- wicklungshelfer in Bildungsfragen?
SPIEGEL: Wie sieht es anderswo aus? nisationen und bei afghanischen und deut- Schreiber: Mein Eindruck ist, dass man
Schreiber: Im iranischen Unterrichtsmate- bei der GIZ sehr unkritisch ist, was die
rial kommen zumindest Passagen vor, in Inhalte des Unterrichts betrifft. Für diese
denen es heißt, andere Religionen seien seien andere zuständig, sagte man mir bei
zu respektieren. Allerdings klingt vieles der Recherche. Letztlich vermittele die
nach Verschwörungstheorien. In einem GIZ nur die pädagogischen Fähigkeiten,
Werk zu »Gedanken und Lebensführung« bilde zum Beispiel Lehrer aus. Das halte
CHRISTOPH HARDT/GEISLER-FOTOPRES / PICTURE ALLIANCE
ist von »freizügigen Personen«, »Imperia- ich für falsch. Ein Kind lernt doch nicht
listen« und »Islamfeinden« die Rede, die losgelöst von den Inhalten lesen und
Iran angriffen, um ihre eigenen »finsteren schreiben. Wenn es zum Beispiel 20-mal
Ziele« zu verfolgen. Und es gibt einen aus- »die Ungläubigen schmoren in der Hölle«
geprägten Antiamerikanismus: Eine Ab- schreiben soll, dann hinterlässt das Spu-
bildung zeigt, wie vier Soldaten eine US- ren. Und wenn Menschen mit einem sol-
amerikanische Flagge auf einem Berg von chen Weltbild nach Deutschland kommen,
Skeletten und Leichen hissen, darunter dann wirkt sich das direkt auf unsere
eine Frau mit Kopftuch. Die Darstellung Gesellschaft aus.
ist eine verfälschte Version des berühmten SPIEGEL: Inwiefern?
Kriegsfotos von Joe Rosenthal von 1945. Schreiber: Es gibt einen Zusammenhang
zwischen dem, was in den Herkunftslän-
dern als gesellschaftlicher Mainstream exis-
* Constantin Schreiber: »Kinder des Koran. Was mus-
limische Schüler lernen«. Econ; 304 Seiten; 18 Euro. Journalist Schreiber tiert, und der fehlenden Diskursbereit-
Erscheint am 2. Mai. »Vieles klingt nach Verschwörungstheorien« schaft mancher Migranten hierzulande.
24
DANITA DELIMONT / INTERFOTO
Schülerinnen in Afghanistan: Sie lernen, dass Muslime Andersgläubigen überlegen sein sollen
SPIEGEL: Können Sie das genauer erklä- in den jeweiligen Ländern eigentlich er- Ägypten einen »Heiligen Krieg« gegen
ren? schienen? Israel geführt.
Schreiber: Ich hatte drei Journalistenkol- Schreiber: Das ließ sich nicht eruieren. SPIEGEL: Ihr Buch heißt aber »Kinder des
legen aus Iran, Afghanistan und der Türkei, SPIEGEL: Von Repräsentativität kann Koran«. Nehmen Sie hier nicht selbst eine
die heute in Deutschland leben, gebeten, dann aber keine Rede sein. Vermischung von Religion und Politik vor?
sich einmal einige der Bücher anzuschau- Schreiber: Nein, ich habe ja auch keine Schreiber: Man kann das so sehen. Letzt-
en – und erwartet, sie würden mich auf wissenschaftliche Studie verfasst, sondern lich verstehe ich mein Buch auch als Dis-
Auffälliges hinweisen. Sie konnten darin mich journalistisch damit auseinander- kussionsgrundlage. Man kann und soll
aber nichts finden. Ihnen kam alles normal gesetzt. Trotzdem bin ich mir sicher, dass dann kritisch hinterfragen, was daran
vor, sogar die Darstellung der US-Solda- wir hier nicht über Einzelfälle sprechen. eigentlich religiös, was ideologisch und
ten, die auf toten Muslimen ihre Fahne Insgesamt habe ich ja mehr als hundert was nationalistisch ist.
hissten, oder die Passagen über Frauen. Bücher durchgesehen. Ich bin auf kein SPIEGEL: Für Ihr Vorgängerwerk »Inside
Das hat mich lange beschäftigt. Denn ich Buch gestoßen, das ich umfassend positiv Islam« sind Sie massiv kritisiert worden.
habe die drei als sehr modern, tolerant bewerten würde. Sie hätten eine antimuslimische Agenda,
und reflektiert erlebt. Offenbar fehlt die SPIEGEL: Das Werk, das Sie aus Ägypten hieß es etwa. Uns würde wundern, wenn
Vorstellung, dass man gegen solche Inhalte zitieren, liest sich weniger religiös gefärbt dieser Vorwurf nicht wiederkäme.
auch aufbegehren kann und sogar muss. als vielmehr politisch motiviert. Hier geht Schreiber: Mich auch.
SPIEGEL: Was bedeutet das alles für das es doch darum, dass der autokratische Prä- SPIEGEL: Trifft Sie das nicht?
deutsche Bildungssystem? sident Abdel Fattah el-Sisi mit seinen Geg- Schreiber: Wenn jemand behauptet, ich
Schreiber: Ich habe in Gesprächen mit nern, den Muslimbrüdern, abrechnet. Sie sei rassistisch, empört mich das viel mehr.
Lehrern immer wieder festgestellt, wie tun aber so, als hätten diese Inhalte etwas Es ist fahrlässig, wie inflationär mit diesem
überfordert diese teilweise sind, wenn sie mit dem Koran oder dem Islam zu tun. Begriff, der etwas so Fürchterliches aus-
etwa Klassen mit vielen Flüchtlingskindern Schreiber: Die Türkei und Ägypten spie- drückt, inzwischen umgegangen wird.
aus islamisch geprägten Ländern unterrich- len gewissermaßen eine Sonderrolle. Die Wenn plötzlich alles rassistisch ist, ist es
ten. Antisemitismus ist dort natürlich auch Schulbücher sind stark von politischer am Ende irgendwann egal. Das ist die
ein Thema. Oder die Frage, wie man den Ideologie durchdrungen. Allerdings finden Gefahr. Was den Begriff »antimuslimisch«
Sexualkundeunterricht überhaupt noch ge- sich auch religiöse Begriffe, so habe etwa betrifft, ist diese Entwicklung schon sehr
stalten soll, wenn eine Mehrzahl der Schü- weit fortgeschritten. Auch Seyran Ateş
ler ihn verweigert. Um einen Zugang zu oder Ahmad Mansour gelten als antimusli-
finden, könnte es hilfreich sein, mehr über »Wenn plötzlich misch. Ich glaube, dieser Vorwurf scho-
die Schulsysteme der Herkunftsländer zu alles rassistisch ist, ckiert heute kaum mehr jemanden.
wissen.
SPIEGEL: In welcher Auflage sind die
ist es am Ende Interview: Nicola Abé, Katrin Elger
Mail: katrin.elger@spiegel.de
Bücher, die Sie sich vorgenommen haben, irgendwann egal.«
DER SPIEGEL Nr. 18 / 27. 4. 2019 25
Deutschland
E
twa alle vier Wochen fährt Katja Über die Sorgen, Wünsche, Hoffnungen Arbeit. Ihre Kunden sollen nicht als Erstes
K. zwei- bis dreimal zur Behand- kinderloser Paare wurde oft berichtet. von ihrem Kinderwunsch erfahren, wenn
lung ins Kinderwunschzentrum Singlefrauen, die sich ihren Babywunsch sie sie googeln.
nach München. Sie wohnt in ohne Partner erfüllen, sind dagegen ein
Frankfurt am Main, arbeitet unter der Wo- weniger bekanntes Phänomen, ihre Lebens- Die Vorgeschichte
che aber häufig in anderen Städten und planung passte früher nicht zu gesellschaft- »Soll ich auch von meinen Männer-
schläft dort in Fünfsternehotels. lichen Konventionen. Es ist selten, dass geschichten erzählen?«, fragt Katja K. an
Für ihre Ausflüge nach München gelten Solomütter, wie sie sich nennen, offen über diesem Abend. »Nur deshalb bin ich ja
andere Standards. Abends nimmt sie den ihre Träume sprechen, über die Ängste, jetzt in dieser Situation.«
letzten Zug, die Nacht verbringt sie im Rückschläge, Erfolge auf dem Weg zum ei- Sie war immer wieder in Beziehungen.
Mehrbettzimmer eines Hostels. Am nächs- genen Kind. Einmal, 1999, heiratete sie einen Mann,
ten Morgen hat sie, so wie an diesem Mitt- Katja K. ist eine von ihnen. Sie hat zu- doch die Ehe hielt nur wenige Jahre. Als
woch im Januar 2018, einen frühen Termin gestimmt, sich vom SPIEGEL begleiten zu ihr Frauenarzt sie zum ersten Mal darauf
im Kinderwunschzentrum, zum Ultra- lassen, monatelang. Das erste Treffen hinwies, dass ihre Fruchtbarkeit »endlich«
schall und zur Blutabnahme. Um 8.30 Uhr findet einen Tag vor einem Trip nach sei, sei sie aus allen Wolken gefallen, Mitte
steigt sie in den ICE und sitzt um 14 Uhr München in einem kleinen koreanischen dreißig war sie damals. »Auch wenn mir
wieder im Büro. Restaurant in Köln statt. Sie kommt direkt das heute niemand glaubt: Ich hatte keine
Wenn ihr einige Tage später unter Nar- von der Arbeit. Ahnung!«
kose Eizellen zur Befruchtung aus den Das Gespräch eröffnet Katja K. gleich Ihren letzten Freund lernte sie übers
Eierstöcken entnommen werden, muss sie mit einer Frage: »Wieso müssen wir Internet kennen. Es funkte sofort. Schon
den ganzen Tag freinehmen. Den Kolle- Singlefrauen unseren Kinderwunsch un- beim zweiten Treffen sprachen sie von
ginnen und Kollegen erzählt sie jedes Mal, terdrücken?« Sie will, dass Solomütter von gemeinsamen Kindern. »Ich dachte, das
sie müsse zum Arzt. Sie weiß, dass einige der Gesellschaft akzeptiert werden, sie ist ein Sechser im Lotto.« Dass er, wenn
besorgt sind, weil sie denken, sie habe eine uneingeschränkten Zugang zu Kinder- er von seiner Wohngemeinschaft sprach,
schwerwiegende Krankheit. wunschbehandlungen bekommen. Eine seine Ehefrau und sein Kind im Saarland
Dabei will sie doch nur ein Kind. Familie wollen, das sei schließlich ganz meinte, erfuhr sie erst später.
Katja K. arbeitet bei einer internatio- natürlich. Dass sie dennoch lieber anonym Sie war fast vierzig, als sie sich trennte.
nalen Unternehmensberatung. Eine Ver- ihre Geschichte erzählt, liegt an ihrer Beim Frauenarzt weinte sie bei dem Ge-
setzung in die Schweiz hat sie vor einigen danken daran, kinderlos zu bleiben.
Monaten abgelehnt. Dort hätte sie mehr Ende 2014 war das. Genau in diese Zeit
Geld verdient, es wäre ein wichtiger Kar- Unerfüllter Wunsch fiel die Nachricht, dass Facebook und
riereschritt gewesen, erzählt sie. »Ich wer- Partnersituation bei ungewollter Kinderlosigkeit Apple ihren Mitarbeiterinnen anböten,
de allein ein Kind bekommen«, habe sie das Einfrieren ihrer Eizellen zu bezahlen,
ihrem Chef ganz offen gesagt. In der bei Frauen verheiratet bei Männern Social Freezing genannt. Für Katja K.
Schweiz seien die Betreuungskosten viel 22 17 klang es nach der Lösung für ihr Problem:
höher als in Deutschland, das sei finanziell So könnte sie sich Zeit nehmen, um einen
nicht machbar. neuen Partner, einen Familienvater zu
in fester Partnerschaft, unverheiratet
Allerdings stehen ihre Chancen, jemals finden.
Mutter zu werden, ziemlich schlecht. Denn 43 34 Ab März 2015 ließ sie sich in sieben
sie ist inzwischen 42 Jahre alt. Die Wahr- Zyklen insgesamt 70 Eizellen entnehmen.
scheinlichkeit, dass Frauen in diesem Alter ledig Ärzte raten Frauen über 37 Jahren eigent-
mithilfe künstlicher Befruchtung ein Kind 32 46 lich davon ab, die Kosten sind hoch und
bekommen, liegt bei etwa zehn Prozent. die Chancen gering. Aber wer zahlt, wird
14 Versuche hat Katja K. bereits hinter behandelt.
geschieden, entpartnert
sich – alle waren mehr oder weniger er- Gleichzeitig meldete sie sich bei neun
folglos. Die meisten Patientinnen und Pa- 2 2 Partnerbörsen an, bei Parship, ElitePart-
tienten in Kinderwunschzentren geben ner, OkCupid. Sie ging zum Speeddating
nach wenigen Versuchen auf. Aus Frust. in eingetragener Lebenspartnerschaft und hielt überall Ausschau nach poten-
Oder weil sie es sich nicht leisten kön- 1 0 ziellen Partnern, im Fitnessstudio, auf
nen. Kinderkriegen kann teuer sein. Die Reisen und bei der Arbeit. So schwierig
gesetzlichen Krankenversicherungen über- konnte das doch nicht sein. Sie war nicht
in Trennung lebend
nehmen für verheiratete Paare bei drei dumm, nicht hässlich, nicht unsozial.
Versuchen die Hälfte der Kosten. Allein- 0 1 Doch nach einigen misslungenen Dates
stehende Frauen bekommen keine finan- Umfrage: Delta-Institut, 2013; 1002 Fälle: ungewollt kinderlose Frauen
gestand sie sich ein, dass sie noch gar
zielle Unterstützung. und Männer im Alter von 20 bis 50 Jahren; Angaben in Prozent nicht bereit für eine neue Partnerschaft
chen bis zur Fehlgeburt. Sie hatte schon könnte, dass sie gar nicht seine richtige Eine Frau in Frankfurt hat vor einiger Zeit
nach Hebammen gesucht, schließlich las Mutter sei. ein Kind mit dem Sperma des Dänen ge-
man überall vom Hebammenmangel. Als Kein Arzt habe ihr jemals geraten auf- zeugt, das auch Katja K. verwendet. Ein
sie im Januar 2018 darüber spricht, klingt zuhören, sagt sie. »Sofern noch geringe »Halbbruder sozusagen«. Katja K. war
sie überraschend gefasst. »Das hat mich Chancen bestehen, kann die Patientin ent- ganz fasziniert von dem hübschen Kind.
drei Monate meines Lebens gekostet. Für scheiden, und die Ärzte verdienen ja gut Inzwischen weiß sie von vier Halb-
nichts«, sagt sie. Sie will, dass es bald an mir.« geschwistern in Deutschland, Dänemark
klappt, findet ihr Alter »grenzwertig«, um Um Geld zu sparen, schränkt sie sich und den USA.
Mutter zu werden. überall ein. Sie, die doch schon mehr als Zur Wahrheit gehöre aber auch: Wer
Künstliche Befruchtungen, vor allem 140 Länder bereist hat, war seit mehr als aufgibt und kinderlos bleibt, schreibe
mit der ICSI-Methode, sind teuer. Für das zwölf Monaten nicht mehr im Urlaub. »In meist keine großen Abschiedsmails im
Social Freezing und ihre 14 Versuche bei gewisser Weise sind das verlorene Jahre«, Forum, sondern sei einfach irgendwann
verschiedenen Ärzten hat sie ungefähr sagt Katja K. »Ich verzichte auf meine Kar- nicht mehr da, so Katja K. Am Ende blie-
105 000 Euro investiert. riere, einen Partner und gönne mir fast ben viele mit ihrem Leid allein.
Kommt nicht irgendwann der Zeitpunkt, nichts. Ich gebe alles aus für den Kinder-
an dem man keine Lust mehr hat, so fremd- wunsch, muss Angst haben, dass ich durch Die Schwangerschaft
bestimmt zu sein? An dem man sein Schick- die vielen Hormonbehandlungen womög- Katja K. geht ihren Kinderwunsch so an
wie ihre Karriere: Sie investiert Zeit, Ener-
gie und Geld, weil sie aus beruflicher Er-
fahrung weiß, dass sich ihre Beharrlichkeit
auszahlt. Als Außenstehende denkt man
lange, dieses Mal wird sie wohl scheitern.
Weil Kinderkriegen doch Schicksal ist.
Aber das stimmt heutzutage wohl nicht
mehr.
Am 25. Februar 2018, einen Monat nach
dem ersten Treffen mit dem SPIEGEL, ver-
fasst Katja K. einen Beitrag im Forum.
Überschrieben ist er mit »Fata Morgana?«.
Sie schreibt: »Wie sehr muss man sich
ein Kind wünschen, dass man einen ne-
gativen Test als positiv auslegt?« Dazu
schickt sie ein Bild eines Schwangerschafts-
tests, sie glaubt, »den Hauch einer zweiten
Linie zu erahnen«. Am Dienstag, den
27. Februar, schreibt sie: »Baby … Du hast
mir ein Zeichen gesendet. Ich freue mich
unendlich und liebe Dich jetzt schon
sooo sehr. So lange schon sehne ich Dich
herbei. Bitte, bitte, bitte bleib dieses Mal
für immer bei mir.« Dazu ein weiteres Bild
eines Tests. Darauf ist die zweite Linie
deutlich zu erkennen, die zeigt, dass das
3-D-Ultraschall: »Kinderkriegen und Partnerschaft entkoppeln« Schwangerschaftshormon im Urin nach-
weisbar ist.
Sollte es dieses Mal wirklich klappen?
sal akzeptiert, anstatt einem Traum nach- lich Krebs bekomme und weiß nicht mal, Katja K. nimmt Medikamente, die die
zulaufen, der womöglich nie in Erfüllung ob es jemals klappt.« Ihre Stimme ist jetzt Frühschwangerschaft unterstützen sollen.
geht? »Er wird in Erfüllung gehen«, ant- zum ersten Mal leiser, brüchiger. »Das ist Sie macht einen Bluttest und diverse
wortet Katja K. mit festem Blick. Man müs- schon eine ziemliche Belastung und fühlt Ultraschalluntersuchungen, um herauszu-
se wissen, wann Schluss ist, klar, aber damit sich manchmal so sinnlos an.« finden, ob ihr Baby gesund ist. Die Ergeb-
meint sie nur die künstliche Befruchtung Hilfe und Trost findet sie im Internet, nisse sind unverdächtig. Auf die Frucht-
mit ihren frisch entnommenen Eizellen. im SFMK-Internetforum. Da gibt es wasserpunktion verzichtet sie, um dem
Im Kopf ist sie bereits weiter. Wenn es Frauen Anfang vierzig, die kurz vor den Ungeborenen nicht zu schaden.
beim nächsten Mal nicht klappt, so der Wechseljahren stehen und unbedingt »Es sieht so aus, als würde ich das Baby
Plan, versucht sie es mit ihren 70 einge- noch ein Kind wollen. Es gibt die Hebam- wirklich bekommen«, sagt Katja K. in
frorenen Eizellen, die ihr entnommen wur- me Mitte zwanzig, die einfach nicht mehr einem Telefongespräch. Nur verhaltene
den, als sie 39 und 40 Jahre alt war – und warten will, bis sie zufällig einen Mann Freude ist dabei aus ihrer Stimme zu
die, so hofft sie, fruchtbarer sind. Und so- kennenlernt. Und da ist die dreifache hören. Sie fürchtet jeden Termin beim
gar eine Eizellspende zieht sie in Betracht. Mutter Anfang dreißig, die Kinder liebt Gynäkologen, hat Angst, ihr Baby wieder
Der Samen von einem fremden Mann, die und deshalb gerade zum vierten Mal zu verlieren.
Eizelle von einer fremden Frau, ausgetra- schwanger ist. Es sind »intelligente« Frau- Das nächste Treffen Ende Juni findet
gen in ihrem Bauch. In Deutschland ist das en, viele Ärztinnen, Lehrerinnen, Heb- am Frankfurter Hauptbahnhof statt, mor-
verboten, sie müsste nach Großbritannien ammen, Erzieherinnen, »und so hübsch«, gens um sieben bei Coffee Fellows. Es war
oder in die USA zur Behandlung. K. will erzählt Katja K. der einzige freie Termin in ihrem Kalender.
es »zu 90 Prozent« tun, sagt sie, befürchtet Die meisten Frauen bleiben im Forum Heute ist genau Halbzeit, die 20. Schwan-
jedoch, dass ihr Kind ihr später vorwerfen aktiv, nachdem die Kinder geboren sind. gerschaftswoche ist geschafft. Am Vortag
29
Deutschland
Die Lösung für das Plastik- Machen, was der Umwelt nutzt. Mikroplastik – die unsichtbare
problem existiert längst: Gefahr.
Sie heißt Recycling. Der Gelbe Sack ist eine ergiebige Quelle
für hochwertiges Altplastik. Für die Pro- Man hört es immer wieder, Mikroplastik
Wir finden es seit langem selbstver- dukte der Marke Frosch stellt das nach- wird im arktischen Eis, im Trinkwasser
ständlich, dass aus einer alten eine neue haltige Unternehmen Werner & Mertz der Städte und sogar im menschlichen
Wasserflasche wird und aus der Zeitung aus Mainz seit Jahren Flaschen aus Blut nachgewiesen. Doch woher kommt
von gestern die Zeitung von morgen. 100 % Altplastik mit her – und nutzt da- die unsichtbare Gefahr? Zum einen ent-
Ebenso müssen auch alte Plastikflaschen bei auch Material aus dem Gelben Sack. steht Mikroplastik durch die Zersetzung
immer wieder zu neuen werden. Plastik des Plastikmülls im Meer. Zum anderen
ist ein Wertstoff, der wie Glas, Metall Selbstverständlich? Keineswegs. Leider gibt es das Mikroplastik, das Hersteller
oder Papier im Kreislauf geführt werden folgen viele Verpackungshersteller die- als Peelingkörper in Kosmetik oder als
muss. Denn wo Wertstoffkreisläufe ge- sem Vorbild nicht so entschlossen, wie Trübungsmittel in z. B. Spülmitteln ein-
schlossen werden, entsteht kein Müll. die Umwelt es dringend braucht. Die Re- setzen. Doch das muss nicht sein: Frosch-
cyclat- Initiative, eine „open innovation“ Rezepturen sind frei von Mikroplastik.
von Werner & Mertz, beweist mit der
Marke Frosch, wie echte Öko-Effektivität
geht. Über 260 Millionen Verpackungen
aus Altplastik sind schon im Einsatz.
WAS KAN N ICH TUN?
den
Einwegplastik vermei
Plastik-verpackung
Gemüse und Obst ohne schon eine Schale
n
kauf en – Bananen habe
ik kauf en, di e frei
Putzmi tt el und Kosmet d deren Flaschen
un
von Mikroplast ik sind .
la st ik si nd
aus 10 0% Altp
tsorgen, nu r so können
Müll im mer sort iert en nktionieren.
Rundum in Kreisläufen denken und handeln – zum Gewässerschutz
fu und Meeresschutz! Be part of it! Zusammen, denn #wirbewegenmeer
di e Recycling-Syst eme
www.initiative-frosch.de facebook.com/initiative-frosch
Deutschland
lassen. Bürger schrieben Hassbriefe. Ein geln. Als Vorsitzender schaffte er es, über
Die 78-Jährige sitzt am Wohnzimmer- Es ist spät geworden, die Sonne geht
tisch und blättert in ihren Erinnerungs- bald unter. Fahrenkamp sucht ihre Anden-
stücken. »Der Jubiläums-Genosse ist eine ken zusammen, steckt sie zurück in die
Frau und entstammt der Zielgruppe der Klarsichtfolien. Wird sie aus der Partei aus-
buntschillernden Frauenkampagne der treten? »Das kommt für mich nicht infra-
Union«, jubelte die Parteizeitung »Vor- ge«, betont sie. »In der SPD bleibe ich auf
wärts« nach ihrem Eintritt. Es gab auch ewig.« Veit Medick
andere Reaktionen. Ihr Chef wollte sie ent-
Gefährliche Nähe
#MeToo Nach Vorwürfen wegen sexueller Übergriffe gegen Münchner Musikprofessoren
melden sich auch in Düsseldorf und Hamburg mutmaßlich Betroffene.
D
as Hinterzimmer des Musikstu- einigen Wochen in einem Café in der Ham- hochschule ging (Nr. 20/2018). Der ehe-
dios. Ein Sofa. Unvermittelt hatte burger HafenCity. malige Präsident Siegfried Mauser war we-
der Professor die Tür abgesperrt. Die #MeToo-Debatte habe ihr Mut ge- gen sexueller Nötigung verurteilt worden,
Die junge Frau ist wie erstarrt, macht, über den Vorfall an der Hochschule ein Kollege ist angeklagt wegen des Vor-
als er sie auszieht, küsst und ihre Hand in für Musik und Theater Hamburg zu spre- wurfs mehrfacher Vergewaltigung und des
seinen Schritt führt. chen, sagt die 48-Jährige, vor allem darü- Besitzes von Betäubungsmitteln.
Es geschah vor fast 25 Jahren, für sie ber, wie lange das Erlebte in ihr nachwirkt. Als »Sodom und Gomorrha« hatte ei-
aber ist es so, als wäre es gestern gewesen. Es habe ihr Leben verändert, ihr Selbst- ner von Mausers Verteidigern die Zustän-
Sie kann nicht sagen, warum sie ihre bewusstsein, ihren Beruf. Kuroe trat als de an der renommierten Einrichtung be-
Hand zurückzieht und dann doch tut, was Solistin mit Orchestern auf, sie hat Preise schrieben, doch außergewöhnlich war die-
er will. Als sie später der Polizei davon be- gewonnen, sie ist hoch talentiert, doch heu- ses Klima offenbar nicht.
richtet, habe sie Lähmungserscheinungen te arbeitet sie vor allem als Klavierlehrerin Frühere Angehörige aus verschiedenen
in ihrer Hand gespürt, sagt sie. in Hamburg. Sie sei zufrieden, sagt sie. Hochschulen berichten inzwischen von
Dann der Moment, als er versucht habe, Dennoch nagt ein Gedanke an ihr: Wie ähnlichen Erfahrungen, die sie in den ver-
einzudringen, vergebens, sein enttäuschter wäre ihre Karriere wohl verlaufen ohne gangenen Jahrzehnten offenbar machen
Ausruf, »du hast ja tatsächlich keine Lust«, diese Tat? Würde sie in großen Konzert- mussten. Erst jetzt trauen sie sich, darüber
dann sein Ansinnen, sich oral an ihr zu be- häusern auftreten, wie heute ihr damaliger zu sprechen. Andere haben Drangsalierun-
friedigen, gegen 0.30 Uhr der Abschied, Professor? Würde sie ein Musikerleben gen erst jüngst erlebt.
er müsse zu seiner Frau. ohne Angst führen? Künstlerische Hochschulen scheinen an-
So hat es die Pianistin Shoko Kuroe spä- Die Pianistin hat den SPIEGEL auf einen fällig für Übergriffe sexueller Art zu sein.
ter der Polizei erzählt, so hat sie es ihrem Artikel hin kontaktiert, in dem es um se- Das liegt in der Natur des Unterrichts, bei
Therapeuten erzählt, so erzählt sie es vor xuelle Übergriffe an der Münchner Musik- dem oft ein Lehrer und ein Schüler unter
34
sich sind und in dem der körperliche Kon-
takt dazugehört. Das liegt an der beson-
deren Rolle des Professors, der für seine
Schüler auch Mentor und Vorbild ist. Das
liegt auch an tradierten Machtstrukturen
und einem konservativen Rollenverständ-
nis. Freia Hoffmann, Bremer Professorin
für Musikpädagogik, die bereits 2006 das
Buch »Panische Gefühle. Sexuelle Über-
griffe im Instrumentalunterricht« veröf-
fentlicht hat, sieht »systemische Ursachen
an den Musikhochschulen, die sexuelle
und emotionale Übergriffe begünstigen«.
Ein Faktor könne auch die ausländische
Herkunft von Studierenden sein, sagt die
»Hohe Symbolkraft«
platz ist ein großes Gelände, wir werden
es uns weiter genau ansehen und die Men-
schen dort befragen. Die Arbeit ist noch
nicht beendet.
SPIEGEL: Wonach wollen Sie suchen?
Verbrechen Im Fall Lügde kritisiert Nordrhein-Westfalens Innenminister
Reul: Ich will, dass alles Menschenmög-
Herbert Reul, 66 (CDU), Versäumnisse der Polizei liche getan wird. Es ist nicht ausgeschlos-
und kündigt weitere Untersuchungen auf dem Campingplatz an. sen, dass es da noch einen Fall gibt, ein
Opfer, das sich noch nicht gemeldet hat.
Oder dass der Verdächtige
SPIEGEL: Herr Reul, schützt der Staat sei- dem Beschuldigten be- andere Verstecke hatte.
ne Kinder gut genug? standen. Aber ich habe SPIEGEL: Aufgrund der
Reul: Nein. Es macht mich wahnsinnig, mir abgewöhnt zu sagen: neuesten Funde haben Sie
dass wir als Gesellschaft das Thema Miss- Ich weiß alles zu 100 Pro- Kontrolleure aus dem Mi-
brauch über Jahrzehnte nicht ernst genug zent. nisterium zu den Bielefel-
37
Gesellschaft
»Ich habe immer gesagt: Nach dem ersten Seitensprung fängt eine Beziehung erst an.« ‣ S. 40
6 2
5 3
Für das Neue leben. Die schöne amerikanische Podcast-Serie Kopfhörern in der Öffentlichkeit. Die Empörung half nichts;
»Pessimists Archive« beschäftigt sich mit Innovationen der Ver- in den Achtzigerjahren liefen viele Millionen Menschen mit
gangenheit, die bei ihrer Einführung auf breite Ablehnung, ja dem Walkman herum. Der Walkman selbst mag mittlerweile
auf Panik stießen – darunter der Regenschirm, das Fahrrad, die beinahe ausgestorben sein, aber das Prinzip, eine Audioquelle
U-Bahn, Elektrizität und Impfungen. Ein eindrückliches Beispiel und Kopfhörer mit sich zu tragen, ist nie mehr verschwunden,
ist der Walkman, das tragbare Kassettengerät, von Sony 1979 es wurde bloß digitalisiert. Heute stecken kleine kabellose
auf den Markt gebracht und heute fast vergessen. Als das Gerät Bluetooth-Knöpfe in vielen Gehörgängen, die vielleicht bald
sich zu verbreiten begann, löste es einen Kulturkampf aus. schon alle Sprachen der Welt simultan übersetzen, eine schöne
Damals fürchteten amerikanische Zeitungen, der Apparat werde Hoffnung. Wem solche Entwicklungen ungeheuer sind, halte
»die Kunst der Konversation töten«, werde zur Vereinzelung sich an einen Rat von Theodor Fontane, der schon im 19. Jahr-
führen, sei ein Sicherheitsrisiko auf den Straßen, weil die, die ihn hundert schrieb: »Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat,
tragen, nahende Autos nicht hören. Die Stadt Woodbridge in sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich
New Jersey erließ 1982 gar ein Verbot gegen das Tragen von leben.« guido.mingels@spiegel.de
Bildung dem sollten mehr Menschen Zugang zur Aber natürlich behandeln wir auch
Warum gibt es heute Bildung finden. Darum geht es bis heute.
SPIEGEL: Mittwochs bieten Sie »Leben-
Themen, die Menschen mehr betreffen.
SPIEGEL: Zum Beispiel?
noch Volkshochschulen, diges Mittelalter – Die Frankfurter Alt- Krutsch: Wir haben 17 Fremdsprachen
Frau Krutsch? stadt im Mittelalter« an. Wer kommt da?
Krutsch: Die Wissenschaftsstadt Darm-
im Angebot, Finnisch etwa. Wir nennen
solche Kurse unsere kleinen Orchideen,
Dr. Monika Krutsch, 45, ist Diplom-Pädago- stadt hat ein breit aufgestelltes Bildungs- weil es in Hessen kaum noch Sprach-
gin und Leiterin der Volkshochschule (VHS) bürgertum, es gibt hier viele Akademiker. angebote gibt. Zudem bieten wir Inte-
Darmstadt. Die erwarten anspruchsvolle Vorträge. grationskurse an. Volkshochschulen
sind ein Ort der Integration geworden.
SPIEGEL: Frau Krutsch, die VHS Darm- SPIEGEL: Wen erreichen Sie heute?
stadt feiert in diesem Jahr 100-jähriges Be- Krutsch: Knapp 80 Prozent der Teil-
A. & E. FRANKL / ULLSTEIN BILD
stehen, 1919 wurden so viele Volkshoch- nehmenden sind Frauen, die meisten
schulen gegründet wie in keinem anderen über 50 Jahre alt. Junge Menschen
Jahr. Wieso? kommen seltener zu uns: Sie stecken
Krutsch: In jenem Jahr wurde das Recht selbst noch in Lernprozessen, in der
auf Volksbildung in die Weimarer Verfas- Familiengründung oder sind berufs-
sung aufgenommen. In der jungen Demo- tätig. Wenn die Kinder aus dem Haus
kratie sollten Bürger mündig und aufge- gehen, sagen dann manche: Das kann
klärt sein, um an ihr teilzunehmen. Zu- Kochkurs an der VHS Meiningen 1927 ja nicht alles gewesen sein. RED
2,19 Promille nicht gesagt. Wenn ich es benutzt hätte, wäre es Aufgabe des
Gutachters gewesen nachzufragen, ob ich die Straftat wirklich
für eine Nichtigkeit halte.«
11. Dezember 2018, die dritte MPU. Im Gutachten ist ver-
Wie ein Mann seit drei Jahren versucht, seinen merkt, W. könne »über einen erheblichen Zeitraum hinweg«
Führerschein zurückzubekommen dokumentieren, dass er nicht mehr trinke. W. gab an, er sei
ein »sozialer Trinker« gewesen, der zwei oder drei Gläser
Wein zum Essen getrunken habe; nicht täglich, vielleicht drei-
39
Gesellschaft
M
ario Adorf erscheint im Berli- Adorf: Es kommt jetzt immer häufiger vor, SPIEGEL: Es gibt einen neuen Film über
ner Bristol-Hotel in einem dun- dass die anderen mich behandeln wie ei- Sie, eine Biografie. Finden Sie das ange-
kelblauen Sakko, in dunkel- nen alten Mann. Das stört mich schon ein messen?
blauer Hose. Seine Haut ist bisschen. Dass ich eine Stufe nicht sähe Adorf: Ich wäre nie auf die Idee gekom-
leicht gebräunt. Er ist aufgeräumter Stim- und die mir irgendwie helfen wollen. men, einen solchen Film zu machen. Man
mung. Vor Kurzem ist ein Buch über sein SPIEGEL: Was ist Ihr gefühltes Alter? hat mich gefragt.
Leben erschienen (»Zugabe!«), zudem hat- Adorf: Ich würde das jetzt nicht festlegen SPIEGEL: Gibt es Dinge, die im Alter ver-
te ein neuer Dokumentarfilm über ihn Pre- wollen, ob ich mich wie 50 fühle oder wie blassen? Namen, Gesichter, Textzeilen?
miere, mit dem lakonisch-entspannten 60. Ich bin identisch mit mir selber. Man Adorf: Mein Langzeitgedächtnis ist relativ
Titel »Es hätte schlimmer kommen kön- wird alt, aber man merkt es selber nicht. unbeschädigt. Ich mache meine Erinnerun-
nen« (Kinostart: 7. November). SPIEGEL: Haben Sie sich das Alter so vor- gen an meiner Arbeit fest, an meinen Fil-
Adorf ist seit 33 Jahren in zweiter Ehe gestellt? men. 53, 58, 69, 85, ich weiß immer genau,
mit Monique verheiratet, einer Französin. Adorf: Ein bisschen erstaunt bin ich schon, was ich in den Jahren gedreht habe.
Er hat drei Wohnsitze, einen in München, wie es sich anfühlt. Als ich jung war, da SPIEGEL: Sie haben beschrieben, dass Ihre
einen in Paris, einen in Saint-Tropez. Gebo- wollte ich das Jahr 2000 erreichen. Ich bin Mutter gearbeitet hat, während Sie oben
ren wurde er in Zürich, als uneheliches Kind 1930 geboren und dachte, wenn du 70 in der Mansarde auf sie gewartet haben.
einer elsässischen Röntgenassistentin und wirst, das ist schon was. Und dann sind es Adorf: Ich war ja die ersten Jahre mit ihr
eines italienischen Arztes, aufgewachsen ist 80 Jahre geworden und jetzt noch mehr. in einem Zimmer zusammen, wo sie
er in Mayen in der Eifel. Weil seine Mutter SPIEGEL: Gehen Sie noch zu Fuß zum Ein- nachts nähte und wo ich auf der gemein-
als Näherin arbeitete, lebte er mehrere Jahre kaufen? samen Couch schlief; es gab kein Bett.
lang in einem katholischen Waisenhaus. Er Adorf: Ja. Ich nehme dazu diesen Wagen SPIEGEL: Kann man sich mit 88 noch an
spielte am Theater, hat mehr als 200 Film- mit Tasche, da habe ich überhaupt kein seine Kindheit erinnern?
und Fernsehrollen übernommen, die be- Problem. Die Leute wundern sich dann. Adorf: Je weiter sie zurückliegt, desto ge-
kanntesten sind der Vater Matzerath in der SPIEGEL: Schwimmen Sie noch? nauer bleiben die Erinnerungen da. Gera-
»Blechtrommel«, der »große Bellheim« und Adorf: So oft ich kann. Vor allem im Meer. de aus der Kindheit sind das ganz kleine
der Klebstofffabrikant Haffenloher in »Kir Es wird aber weniger. Früher bin ich eine Dinge, die mich beeindruckt haben. Ich
Royal« (»Ich scheiß dich so was von zu mit Stunde geschwommen. Dann eine halbe. weiß ganz genau, was meine erste Erinne-
meinem Geld«). In dem Gespräch soll es da- Dann noch 20 Minuten. Jetzt ist es noch rung ist und was meine zweite.
rum gehen, was bleibt. Im Mai geht Adorf eine Viertelstunde. SPIEGEL: Welches ist die erste?
noch einmal auf Tour, das Programm heißt SPIEGEL: Wird der Körper weniger? Adorf: Ich sitze auf dem Topf, auf dem
»Zugabe« und ist eine Art Abschiedstournee. Adorf: Die Muskelkraft schwindet. Aber Nachttopf, und beobachte die Leute um
die Muskeln sind komischerweise noch da. mich herum. Eine andere Erinnerung: als
SPIEGEL: Herr Adorf, wie sind Sie heute Ich habe nicht das Gefühl, dass meine ich vom Tod Hindenburgs erfuhr. Da wur-
Morgen aufgewacht – mit Vorfreude auf Oberschenkel weniger geworden sind. Die den die Naziflaggen auf Halbmast gesetzt,
den Tag? sind immer noch muskulös, aber sie leisten das hat mich gewundert.
Adorf: Na ja, ich würde sagen, wie immer. nicht mehr dasselbe wie früher. SPIEGEL: Da waren Sie knapp vier.
Ich jubele nicht und sage: Ah, Gott sei Dank, SPIEGEL: Werden die Mitmenschen einem Adorf: Ich glaube, es war im August. Da
ich lebe noch. Ich gehöre nicht zu diesen mit zunehmendem Alter lästig? habe ich gefragt, was ist da los? Warum
Seniorenjublern. Das finde ich meistens Adorf: Also lästig werden mir die Leute sind die Flaggen auf Halbmast? Oder mein
PETER RIGAUD / DER SPIEGEL
lächerlich, aufgesetzt und falsch. Ich stehe nicht. Ich nehme auch das Autogramme- erster Theaterauftritt, wo ich den siebten
auf, ohne ein wirklicher Muffel zu sein. schreiben als schöne Pflicht auf mich. Es gibt Zwerg spielte. Ich trug eine rote Zipfelmüt-
SPIEGEL: Fühlen Sie sich alt? Dinge, die ich immer so gehalten habe: höf- ze und einen aus Verbandswatte geklebten
lich zu sein etwa gegenüber den Menschen, Bart. Ich sollte eigentlich nur dasitzen und
Das Gespräch führten die Redakteure Hauke Goos die einen mögen, die ins Kino gehen oder mit einer Kette spielen. Auf einmal kam
und Barbara Hardinghaus. ins Theater und dafür Geld bezahlen. mir dieser Bart in den Mund. Und in die
Nase. Ich habe geweint, weil ich militonin, die dort eine große Rolle
glaubte zu ersticken. spielte. Die verehrte ich. Das war
SPIEGEL: Als die Synagogen brann- der Grund, warum ich mich in die-
ten, waren Sie acht. se Truppe eingeschlichen hatte. Ich
Adorf: Die Synagoge brannte am hatte Bühnenbilder entworfen, Pla-
Abend und in der Nacht. Ich war kate gemalt und sogar die Schau-
damals im Waisenhaus. Ich stand spieler geschminkt.
im Schlafsaal, am Fenster, wir Kin- SPIEGEL: Eine Mischung also aus
der hätten diesen Brand natürlich Alternativlosigkeit und Zufall?
gern gesehen. Wir waren neugierig. Adorf: In der Aufnahmeprüfung
Am nächsten Morgen gingen die zur Schauspielschule wurde natür-
anderen alle zur Schule. Die Saal- lich auch gefragt: Warum wollen
ALLPIX PRESS
schwester, die mich sehr mochte, Sie Schauspieler werden? Ich habe
kam zu mir, legte mir die Hand auf der Kommission gesagt, ich möchte
die Stirn und sagte: Du gehst mir gern möglichst schnell Geld verdie-
heute nicht in die Schule, du hast nen. Ich hatte ja vorher malocht,
Fieber. Dann habe ich mit der am Bau und in den Bimsgruben im
Schwester beobachtet, wie unten, Rheinland. Ich dachte, das könnte
aus dem Gefängnis gegenüber, die noch ein bisschen einfacher gehen.
meist alten Leute auf Lastwagen SPIEGEL: Sie haben viele Rollen ge-
geladen wurden. Die Schwester spielt, die jeder kennt. Auf welche
zog ein Taschentuch aus dem Är- schauspielerische Leistung sind Sie
mel und weinte. Ich habe gefragt: am meisten stolz?
Was sind das für Leute? Sie sagte, Adorf: Stolz? Habe ich nie empfun-
das sind Juden. Und ich fragte: Was den. Es gibt ein paar Rollen, da sage
haben die denn verbrochen? Dass ich: Die sind gelungen. Für mich ist
sie Juden sind, sagte sie. Am Mittag die Schauspielerei erst mal eine lust-
kamen meine Kameraden aus der volle Beschäftigung. Aber sie ist auch
DDP IMAGES
Schule zurück. Sie riefen: Guck Arbeit. Das ist mein Handwerk. Ich
mal hier, wir haben Kamellen und habe nichts anderes gelernt.
Schokolade aus den Judengeschäf- SPIEGEL: Ist das Altern am Ende
ten. Wenn ich in die Schule gegan- auch nur eine Rolle, die man dis-
gen wäre, wäre ich mitgegangen zipliniert und technisch sauber spie-
und hätte das Gleiche gemacht. len muss?
SPIEGEL: Ihren Vater kannten Sie Adorf: Ich denke nicht: Jetzt bist
bis dahin nicht. Hatten Sie Sehn- du alt. Oder jetzt müsstest du diese
sucht nach ihm? oder jene Erfahrung haben. Ich
Adorf: Überhaupt nicht. Er war ab- werde oft gefragt: Sind Sie weise
wesend, es gab ihn nicht. Die meis- geworden? Dann sage ich, ich weiß
ten Väter waren ja weg. Ich hatte gar nicht, was das ist, weise. Man
nicht das Gefühl, dass ich der Ein- wird nicht weiser, man wird nicht
zige ohne Vater war. Ich habe ihn gescheiter, man wird älter. Aus.
dann ja später getroffen, als ich SPIEGEL: Haben Sie jemals im Le-
nach Italien fuhr, weil ich Geld ben um etwas kämpfen müssen?
brauchte. Ich war eingeladen, am Adorf: Das Wort kämpfen habe
Studententheater in Zürich mitzu- ich immer vermieden. Es gibt An-
ARD
HGM-PRESS
wird. Adorf: Viel früher. Verliebtheit gibt
SPIEGEL: Geht es in der Schauspie- es nur in der Jugend. Ein paar
lerei nicht genau darum: jemanden Rückfälle, ja sicher.
zu spielen, der man nicht ist? SPIEGEL: Wie nennen Sie Liebe im
Adorf: Auf jeden Fall. Ich habe nie Alter? Bewunderung? Kontinuität?
mich selber spielen wollen. Es gibt Adorf: Vertrauen. Verlässlichkeit.
ja Leute, die nur sich selber spie- Zuneigung. Zu-Neigung: dass
len können. Manfred Krug hat man jemandem zugeneigt ist.
mir das mal gestanden. Bei mir Und bleibt. Was also heißt, dass
war es immer so, dass ich Rollen man sich nicht entfernt von je-
spielte, um mich von mir zu ent- mandem. Das Gefühl der Zusam-
fernen. Das heißt auch: Ich habe mengehörigkeit. Das Ende des
43
Gesellschaft
SPIEGEL: Gibt es, aus Ihrer Zeit habe ich diesen letzten Aufent-
vor der Ehe, Verführungstricks, halt als besonders empfunden,
die immer funktioniert haben? weil ich alles vormals Erlebte viel
Adorf: Eher nicht. Es passiert bewusster genossen habe.
halt. Was selten war übrigens. SPIEGEL: Wie viel Ihrer Zeit ist
SPIEGEL: Empfinden Sie es als Rückschau?
Erleichterung, dass es mit dem Adorf: Ich hatte immer was
Sex im Alter irgendwann weni- dagegen, zurückzuschauen und
ger wird? nachzudenken und mich zu er-
Adorf: Das ist nun mal so. Ich bin innern. Ich wollte keine alten Fil-
keiner, der sagt, das darf doch me von mir sehen. Ich war nie
nicht wahr sein, und dann zu Via- zurückgewandt. Immer nach
gra greift. Es wird weniger und vorn; weiter. Gut, das Nachvorn-
weniger und hört auf. Das verur- schauen ist jetzt auf eine sehr
sacht bei mir keine Depressionen. kurze Distanz beschränkt.
SPIEGEL: Sie sind mit Ihrer Frau SPIEGEL: Wie viel Zeit verbrin-
seit mehr als drei Jahrzehnten gen Sie damit, Pläne zu machen?
verheiratet. Wer hat im Alter Adorf: Das habe ich noch nie ge-
mehr von wem gelernt? macht. Es gibt Pianisten, die fünf
Adorf: Der gegenseitige Einfluss Jahre vorher wissen, dass sie am
ist gar nicht so groß. 5. April in Buenos Aires die »Ap-
SPIEGEL: Man altert eher allein? passionata« spielen – ich habe
Adorf: Man altert zusammen, nie geplant, auch früher nicht.
aber man kommuniziert nicht Ich habe immer gedacht, dass
laufend über das Alter. Ein biss- wir nicht so viel Einfluss haben
chen vielleicht, wenn meine auf unser Leben, wie wir den-
Frau sagt: Halt dich gerade! ken. Das Leben macht das
JEFF WIDENER / AP
verfahren wegen Umsatzsteuerbetrug mit hatten. Der Anwalt von F. war für eine
CO -Zertifikaten vor. Sie richtet sich Stellungnahme nicht zu erreichen. Die
²
gegen einen früheren Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft arbeitet offenbar auch
Deutschen Bank: Der Österreicher auf eine Anklage gegen den mutmaß-
Hector F. leitete in den Jahren 2009/2010 lichen Kopf der Bande hin, den Briten »Tank Man« in Peking 1989
den Vertrieb von Emissionszertifikaten Peter Virdee Singh. Gegen den Unterneh-
bei dem Geldhaus. In dieser Zeit ver- mer läuft ein Auslieferungsverfahren, Vir- Fotografie
schob eine internationale Bande Emis- dee darf Großbritannien nicht verlassen Falsche Werbung
sionsrechte über Ländergrenzen hinweg und trägt eine elektronische Fußfessel. Er
und hinterzog so Umsatzsteuern in Höhe weist die Vorwürfe zurück und wehrt sich Ein Werbefilm für den hessischen
von mehr als 125 Millionen Euro. Über massiv gegen eine Auslieferung. Die Kamerahersteller Leica hat die chinesi-
die Deutsche Bank liefen große Teile des Staatsanwaltschaft will sich zu dem Ver- schen Behörden verärgert. Das Video
betrügerischen Zertifikatehandels, meh- fahrenskomplex nicht äußern. MHS, AUL soll die Entstehung eines der berühm-
testen Fotos der Weltgeschichte zeigen:
1989 hatte sich ein unbekannter Mann
am Platz des Himmlischen Friedens
Greser & Lenz den heranrollenden Panzern entgegen-
gestellt. Vier Pressefotografen fingen
den Moment von einem Pekinger Hotel
aus ein, das Bild des »Tank Man« ging
um die Welt. Nur: Keiner der Fotogra-
fen benutzte eine Leica-Kamera, wie
der Film suggeriert. Stattdessen arbeite-
ten Jeff Widener (AP), Charlie Cole
(Newsweek), Stuart Franklin (Magnum)
und Arthur Tsang (Reuters) mit Foto-
apparaten des japanischen Konkurren-
ten Nikon, wie sie auf Anfrage bestätig-
ten. Das Video hatte in China Irritatio-
nen ausgelöst, weil die Niederschla-
gung des Volksaufstands dort ein Tabu
ist. Der Film verschwand aus dem chine-
sischen Internet, Suchen nach »Leica«
oder ähnlichen Begriffen führten zu
Fehlermeldungen. Leica distanzierte
sich von dem Clip: Man habe ihn weder
in Auftrag gegeben noch autorisiert. Für
das Unternehmen ist der Ärger brisant.
Leica baut Kameras für den chinesi-
schen Handyhersteller Huawei. AKN, BZA
47
Wirtschaft
Bratlingtest im Labor
bei Beyond Meat in
Los Angeles
Besseresser
Ernährung Burger aus Erbsen, Thunfisch-Imitat aus Hülsenfrüchten – mit einer
neuen Generation pflanzlicher Lebensmittel will die Vegan-Industrie den Massenmarkt
erobern. Konzerne und Finanzinvestoren wittern ein Milliardengeschäft.
48
W
enige Tage nachdem Hurrikan man an diesem Tag nach Hamburg gereist. Wurst und Milchprodukten geht in den In-
»Harvey« im Sommer 2017 in Schon jetzt bieten Restaurants hierzulande dustrieländern langsam, aber sicher zu-
Texas gewütet hatte, ging in den fleischlosen Burger an. Bis Juni soll rück. 2011 verspeisten die Deutschen im
den sozialen Netzwerken ein der Einzelhandel folgen. Schnitt stolze 62,8 Kilogramm Fleisch pro
Foto viral. Es zeigte einen leer gefegten Anfang April brachte der Schweizer Le- Jahr, 2018 waren es fast 3 Kilogramm we-
Supermarkt. Nur ein Regal hatten die Käu- bensmittelkonzern Nestlé ebenfalls einen niger.
fer trotz drohender Versorgungskrise nicht Fleischlos-Burger in die Läden. Ab kom- Der vegane Bereich dagegen wächst. So
angetastet: das mit den Sojawürstchen und mender Woche gibt es ihn sogar bei Mc- schnell, dass manche Unternehmen mit
Tofubratlingen. »Die Leute waren ver- Donald’s. Auch er zielt nicht auf Veganer der Produktion nicht nachkommen. »2019
zweifelt, aber nicht verzweifelt genug«, ab, sondern auf sogenannte Flexitarier. ist das Jahr, in dem Veganismus den Main-
sagt Seth Goldman, ein schlanker Ameri- Verbraucher, die Fleisch, Fisch und Milch stream erreicht«, prophezeite der britische
kaner mit Zahnpastalächeln. zwar nicht grundsätzlich ablehnen, aber »Economist«.
Goldman, 53, ist Vizechef des Die Debatte ums richtige Essen
veganen Burger-Herstellers Beyond hat Fahrt aufgenommen, seitdem
Meat. Das Foto aus Texas ist Teil ei- jeden Freitag Tausende Schüler für
ner Produktpräsentation, die Gold- mehr Klimaschutz demonstrieren.
man Mitte März über den Dächern »Klimakiller Kuh« oder »Greta isst
Hamburgs zeigt. Draußen peitscht vegan«, heißt es auf den Plakaten
der Regen gegen die Fensterschei- der »Fridays for Future«-Aktivis-
ben, drinnen spricht Goldman von ten. Greta Thunberg, die Heldin
»Wachstumschancen«, »Marktantei- der Bewegung, verzichtet der Um-
len« und »Innovationszyklen«. Und welt zuliebe auf Fleisch, Fisch und
er sagt: »Wir wollen die Welt verän- Milch.
dern.« Ökologisch sei die Erzeugung
Das Tofu-Seitan-Zeug aus dem von tierischen Nahrungsmitteln
texanischen Supermarkt, so Gold- eine Katastrophe, argumentieren
mans Botschaft, ist die alte Vega- die Aktivisten um Thunberg. Und
ner-Welt. Eine Welt, die nach Ver- sie haben recht.
zicht und Sägespänen schmeckt Der Umweltwissenschaftler Jo-
und die deshalb zu Recht ein Ni- seph Poore von der britischen
(GfK) zufolge isst mehr als ein Wie passt das zusammen?
Drittel der Befragten bewusst »Natürlich haben wir unter-
weniger Fleisch, in der Alters- schiedliche Ideale, aber des-
gruppe der über 70-Jährigen ist halb können wir trotzdem zu-
es sogar mehr als die Hälfte. Der sammenarbeiten«, sagt Kerr.
Anteil derjenigen, die jeden Tag »Unser Ansatz ist es, das Sys-
zu Schnitzel oder Salami greifen, tem von innen zu verändern.«
hat sich um sechs Prozentpunk- Es wirkt, als wären den Ve-
te verringert. Innerhalb von nur ganern ihre Feinde abhanden-
zwei Jahren wohlgemerkt. gekommen. Selbst die Tier-
51
Wirtschaft
PETER RIGAUD
von möglichen Geldgebern be- der Vegetarier-Bewegung – ei-
kommen, sagt die Bonner ner natürlichen, möglichst ur-
Gründerin. Die hätten ihr vor- sprünglichen Kost – haben die-
gerechnet, wie sie, die Inves- se Ersatzstoffe nur noch wenig
toren, ihr Kapital vermehren zu tun.
würden. Huthmann war das Und deshalb finden sie auch
nicht recht geheuer. Jacky F. keinen Platz in der Küche von
soll wachsen, das schon, findet Paul Ivić. Der Koch leitet am
sie. »Aber nicht um jeden Münchner Viktualienmarkt
Preis.« das »Tian«, eines von zwei ve-
Huthmann importiert die getarischen Sternerestaurants
tropischen Jackfrüchte aus Sri in Deutschland. Ivić, 40, lehnt
Lanka. Dort werden sie einge- Tier auf dem Teller nicht
kocht und auf Containerfrach- grundsätzlich ab. Er selbst isst
tern nach Deutschland ver- Fleisch, wenn auch wenig.
schifft. Dass das nicht ideal ist, Was ihn stört, ist die Le-
weiß Huthmann. Früher hat bensmittelindustrie, die Nah-
PETER RIGAUD
Sewing ist der Mann der Stunde. Das Auslandsbanken hätten sich in der Finanz-
Debakel, so sehen es manche in der Bank, krise aus Deutschland zurückgezogen. Die
sei seine große Chance, sich von Achleit- Statistiken zeigen für die Nachkrisenjahre
ner zu emanzipieren – der ihn vor einem tatsächlich einen Rückgang in der Kredit-
Jahr an die Spitze der Bank geholt hatte – Bankchef Sewing vergabe. Der aber wurde vor allem von
und endlich sein eigener Herr zu sein. »Zu komplex, zu riskant« Sparkassen und Genossenschaftsbanken
Zwar begründeten Sewing und Achleit- kompensiert, nicht etwa von deutschen
ner den Abbruch der Fusionsgespräche am behörden standen dem Projekt skeptisch Großbanken. Außerdem sind französische,
Donnerstag wortgleich als richtige Ent- gegenüber. spanische und niederländische Banken in
scheidung, doch von Einigkeit ist hinter Nachdem all das auch Dutzende Fu- Deutschland heute präsenter denn je.
den Kulissen wenig zu spüren. sionsberater durchgerechnet hatten, soll Und auch den Kunden der HVB hat der
Vor allem Betriebsräte und Arbeitneh- Sewing sich dafür starkgemacht haben, die Einstieg der Italiener nicht geschadet. Wa-
mervertreter im Aufsichtsrat fühlen sich Verhandlungen zu beenden. rum auch sollte eine italienische Bank das
von Achleitner schlecht informiert. Über Das Management der Commerzbank hat- Geschäft mit Unternehmen der stärksten
das Scheitern der Gespräche hatte er die te bis zuletzt gehofft, den Deutsche-Bank- Volkswirtschaft Europas vernachlässigen?
Aufseher nur mit einer knappen Mittei- Chef von der Logik des Deals überzeugen Ohnehin haben die Eurostaaten längst
lung in Kenntnis gesetzt – kurz bevor die zu können. Denn für die Commerzbank beschlossen, eine europäische Banken-
Sache ohnehin offiziell wurde. stellt sich drängender denn je die Frage, mit union umzusetzen: Eine gemeinsame Auf-
Achleitner wiederum soll es den Ge- welchem Partner sie in die Zukunft geht. sicht, ein Abwicklungsmechanismus für
werkschaftern und Betriebsräten im Auf- Allein trauen ihr die Aktionäre offenbar den Krisenfall und eine gemeinsame Ein-
sichtsrat übel genommen haben, dass sie nicht mehr viel zu. Die erklärte Strategie lagensicherung sollen her. »Wenn man den
öffentlich Stimmung gegen den Zusam- der Bank, ein großes Filialnetz zu unter- europäischen Binnenmarkt und die Ban-
menschluss gemacht hatten. halten, um möglichst viele Kunden zu ge- kenunion ernst nimmt, ist die ganze natio-
Über Achleitners Kommunikation rund winnen, geht bisher nicht auf. Das liegt nale Logik hinfällig«, sagt Guntram Wolff,
um die Fusion sind allerdings auch Vertre- vor allem daran, dass mit der Kundenzahl Direktor der Brüsseler Denkfabrik Brue-
gel. Ob deutsche Firmen und Verbraucher mögliche Offerte der ING allerdings in wiss. Bis zu einer Entscheidung dürfte es
von französischen oder deutschen Banken Grenzen halten: Auch die Holländer wür- noch einige Wochen dauern.
bedient würden, sei dann egal. den als neuer Eigentümer drastisch Stellen Sewing wird, zweitens, die Erleichte-
Wenn Scholz es also ernst meint mit den abbauen und dabei in der Chefetage an- rung der Gewerkschaften und Betriebsräte
europäischen Bankenchampions, müsste fangen, heißt es in Bankenkreisen. über das Scheitern der Commerzbank-
er sich nun bald mit den Emissären meh- Und die Deutsche Bank? Fusion nutzen, um die vor zehn Jahren
rerer Großbanken unterhalten: Die nieder- Für den deutschen Marktführer würde übernommene Postbank endlich voll zu
ländische ING und Italiens Unicredit ha- es noch schwerer, wenn die Commerzbank integrieren. Er will das Tempo erhöhen,
ben bereits Interesse an der Commerz- an einen starken europäischen Wettbe- voraussichtlich aber auch mehr Stellen
bank signalisiert, auch französische und werber fiele. »Wir erwarten von Herrn Se- streichen als bisher geplant. Die Gewerk-
spanische Institute sollen ein Auge auf die wing, dass er zügig einen Plan B vorlegt«, schaften hatten zuletzt gedroht, die Ver-
Bank mit ihren rund 18 Millionen Privat- sagt ein Aufsichtsratsmitglied. »Einfach so handlungen darüber auf Eis zu legen.
und vielen mittelständischen Firmenkun- weiterwurschteln kann die Bank nicht.« Drittens prüft die Deutsche Bank, un-
den geworfen haben. Es könnte Sewing helfen, dass er sich in profitable Teile des Investmentbankings in
Unicredit ist eng mit dem hochverschul- der Fusionsfrage gegen Achleitner durch- eine Bad Bank abzuspalten, um sie leichter
deten italienischen Staat verbunden und gesetzt hat. So stark wie er stand schon abwickeln zu können. Der Konzern will
dürfte daher in Berlin als neuer Eigner der lange kein Deutsche-Bank-Chef mehr da. das weder dementieren noch bestätigen.
Commerzbank schwer vermittelbar sein. Doch diese Stärke wird nur anhalten, wenn Schon bei der Hauptversammlung am
Für die ING gilt das nicht. Sie soll sogar an- er bald zeigt, dass er den Konzern auch 23. Mai dürften die Fragen an Sewing lau-
geboten haben, nach einer Übernahme den ohne Fusion aus der Krise führen kann. ter werden. Er muss dann erklären, wie er
eigenen Sitz nach Frankfurt zu verlegen, In groben Zügen zeichnet sich ab, wie es mit dem Investmentbanking hält, das
im Finanzministerium wurde das wohlwol- ein solcher Plan aussehen könnte: Sewings dem Konzern seit Jahren Rechtsstreitig-
lend aufgenommen. Mit ihrer deutschen Leute verhandeln mit der Schweizer Groß- keiten, Ertragsprobleme und politischen
Direktbanktochter ING-Diba hat sie ge- bank UBS darüber, die börsennotierte Ärger in den USA beschert und Milliarden
zeigt, dass man auch im hart umkämpften Fondstochter DWS mit der Vermögens- an Boni verschlingt. Ist Sewing zu tieferen
deutschen Markt Erfolg haben kann. Das verwaltung der UBS zusammenzulegen. Einschnitten bereit?
liegt vor allem daran, dass die ING gemes- Allein sind beide zu schwach, zusammen Vor allem einer war bisher immer da-
sen an ihren Erträgen weit niedrigere Kos- würden sie Vermögen von mehr als 1,3 Bil- gegen: Paul Achleitner.
ten hat als die deutschen Großbanken – lionen Euro verwalten. Die Deutsche Bank Tim Bartz, Martin Hesse,
und eine funktionierende Digitalstrategie. möchte Mehrheitseigner der DWS bleiben, Christian Reiermann
Beim Commerzbank-Management um die UBS wäre dann Juniorpartner. Ob sich Mail: martin.hesse@spiegel.de
Zielke soll sich die Begeisterung für eine die Schweizer darauf einlassen, ist unge-
55
Wirtschaft
Neue Heimatliebe
Weltwirtschaft Niedrige Löhne in Asien haben die Globalisierung befördert.
Doch seitdem die Arbeiter dort besser verdienen,
stockt der Handel. Deutsche Unternehmen müssen sich umstellen.
produkt.
Der Internationale Währungsfonds rech-
net damit, dass sich der Welthandel in
diesem Jahr deutlich abschwächt. Von
»Slowbalisation« schreibt der Londoner
»Economist«, und die Unternehmensbera-
Teppichunternehmer Litzenberg: »Die Qualität stimmte einfach nicht« tung McKinsey kommt in einer Studie zu
dem Ergebnis, dass die Globalisierung be-
E
reits zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts
s hätte nicht viel gefehlt, und Ralf Fertigung in Billiglohnländer zu verlagern. »ihren Wendepunkt erreicht« hat.
Litzenberg hätte seine Firma dicht- Er sah sich Betriebe in Rumänien und Mol- Von nun an, so lässt sich der Analyse
machen müssen. Teppichfabrik, dawien an, inspizierte Webereien in Bul- entnehmen, geht es bergab. Und viele Re-
1880 gegründet, hatte fast ein garien und Weißrussland. Und kehrte je- gierungen beschleunigen die Talfahrt mit
Viertel ihres Umsatzes verloren, das Un- des Mal enttäuscht zurück. »Die Qualität Zöllen und Handelsschranken noch. »Die
ternehmen aus dem sächsischen Oelsnitz stimmte einfach nicht.« Zeit der Hyperglobalisierung ist vorbei«,
schrieb Verluste. So blieb Litzenberg am Ort und kon- sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kie-
2008 war das, kurz nach der Finanzkri- zentrierte sich darauf, Teppichböden für ler Instituts für Weltwirtschaft. »Was wir
se. Litzenberg überlegte, einen Teil der Büros und Hotels zu fertigen. Eine kleine, erleben, ist eine große Entschleunigung.«
57
Wirtschaft
Albtraum in XXL
dass sie zu digitalen Dienstleistern werden
müssen, um langfristig zu überleben. Das
Walldorfer Unternehmen ist Weltmarkt-
führer für Druckmaschinen, doch der
Absatz stockt seit Jahren. Konzernchef
Rainer Hundsdörfer will das Unterneh- Wohnungsnot In vielen Städten setzen Investoren
men deshalb in ein »industrielles Ama- Mehrfamilienhäuser in Baulücken oder zwischen alte Villen –
zon« verwandeln, wie er vollmundig an- zum Unmut der Anwohner, die sich dagegen wehren.
kündigt. »Wir wollen zu einem Vorreiter
für das Internet der Dinge im Maschinen-
bau werden.«
Dazu will er den Datenschatz ausbeu-
ten, den die Sensoren von weltweit Tau-
senden Heidelberg-Anlagen regelmäßig in
J edes Jahr gewinnt Hamburg im
Schnitt rund 20 000 Einwohner hinzu.
Die Stadt wächst – und mit ihr die
Wohnungsnot. Die Lage werde sich erst
einem Jägerzaun, fertig zum Abbruch. Bin-
ner zeigt auf dem Laptop, wie sein geplan-
tes Mehrfamilienhaus aussehen sollte: im
Erdgeschoss drei Apartments für Senioren,
die Zentrale senden. Die Informationen entspannen, wenn mehr gebaut werde, darüber drei Wohnungen für Familien. Es
wird der Konzern künftig nutzen, um Dru- gab der Erste Bürgermeister Peter Tschen- entstünde Platz für etwa 15 Bewohner, wo
ckereien auf der ganzen Welt bei der Pla- tscher (SPD) im vergangenen Jahr auf dem zuletzt eine Person lebte. Zehn bis elf Euro
nung ihrer Produktion und der Auslastung Wohngipfel im Kanzleramt als Devise aus. Kaltmiete wollte Binner pro Quadratme-
ihrer Maschinen zu helfen. Michael Binner nahm ihn beim Wort. ter verlangen, im Mittel des Mietspiegels,
In fünf Jahren, glaubt Hundsdörfer, Binner kaufte ein Grundstück in Ham- dann wäre sein Finanzplan aufgegangen.
wird es weltweit zwar rund 2000 Heidel- burg-Meiendorf, im Nordosten der Stadt. So aber bangt er um sein Projekt – und
berg-Maschinen weniger geben als heute. Dort wollte er ein Mietshaus mit sechs wundert sich über die Meiendorfer. Sein
Dafür aber soll sich das Geschäft mit In- Wohnungen errichten. Doch im Januar er- Eindruck: »Hier will sich ein ganzer Stadt-
formationen und Dienstleistungen verviel- ließ die Bezirkspolitik plötzlich eine soge- teil gegen Menschen abschotten, die sich
fachen. »Heidelberg«, sagt Hundsdörfer, nannte Veränderungssperre, sie fror gewis- kein eigenes Haus leisten können.«
»wird zu einem Big-Data-Konzern.« sermaßen die Bebauung ein. Jetzt dürfen Konflikte wie in Hamburg-Meiendorf
Für die deutsche Wirtschaft ist der ge- vorerst nur die dort üblichen Eigenheime brechen gegenwärtig in vielen Wohngebie-
genwärtige Wandel ein »Schlüsselmo- entstehen, aber keine Mehrfamilienhäuser. ten deutscher Städte auf, unterschiedliche
ment«, sagt McKinsey-Partner Eckart Binner sagt: »Ich erlebe gerade meinen Interessen prallen aufeinander. Die Bau-
Windhagen. »Die deutsche Industrie steht persönlichen Albtraum.« herren wollen Mehrfamilienhäuser errich-
vor einer Transformation, wie sie zuletzt ten, weil die Nachfrage nach Wohnungen
beim Aufstieg Japans in den Achtzigerjah- vor allem in Ballungsräumen immens ist
ren bewältigt werden musste.« und Baugrund knapp. Die Anwohner in-
Doch während Manager allmählich be- des fürchten, dass die Neubauten den Cha-
greifen, welcher Wandel der Weltwirt- rakter ihres Viertels zerstörten.
schaft bevorsteht, scheint die globale Poli- Dort hatte einst die Nachkriegsgene-
PHILIPP SCHMIDT / DER SPIEGEL
tik noch immer in gewohnten Rastern ge- ration ihren Traum vom Eigenheim ver-
fangen. Vor allem die Handelsmächte USA wirklicht. Inzwischen sind die Bewohner
und China fechten immer noch die alten in die Jahre gekommen, die Kinder lange
Kämpfe aus. aus dem Haus. Ein Drittel der Rentner, die
China beispielsweise will weltweit neue hierzulande in Städten leben, wohnt laut
Bahnschienen und Hafenanlagen bauen einer Studie der Instituts der deutschen
(»Neue Seidenstraße«, siehe Seite 74), ob- Wirtschaft allein in vier und mehr Zim-
wohl künftig womöglich weniger Güter Grundstück in Meiendorf mern. Der Generationenwechsel kommt
transportiert werden müssen. US-Präsi- Der Friede zerbricht in Gang, die Kinder verkaufen die An-
dent Trump hofft darauf, mit Zöllen Mil- wesen, der Friede in der Nachbarschaft
lionen Industriearbeitsplätze in die USA Michael Binner, 31, Betriebswirt, ange- zerbricht.
zurückzuholen – und wird am Ende bes- stellt bei einer Internetfirma in München, Solche Konstellationen hat das Bundes-
tenfalls neue Jobs für Roboter bekommen. ist kein Immobilienhai, selbst die Bezeich- institut für Bau-, Stadt- und Raumfor-
Und auch in der Bundesrepublik können nung »Investor« behagt ihm nicht. Er habe schung in Bonn systematisch untersucht.
sich Wirtschaftspolitiker aller Lager noch nur etwas Geld gespart und es nicht »in ir- Die Wissenschaftler werteten Fälle in Städ-
nicht von der Idee lösen, Deutschlands gendeinen Ökofonds« stecken wollen, wie ten wie Bonn, Göttingen oder Kassel aus.
wirtschaftliche Stärke hänge ausschließlich er sagt, sondern verfolgen wollen, was da- Das Ergebnis: Der »hohe Siedlungsdruck«
am Export von Industriegütern. mit passiert. So kam Binner auf die Idee, entfache »eine Nutzungs- und Verteilungs-
Im Zeitalter der entschleunigten Globa- ein Haus zu bauen und die Wohnungen konkurrenz, die in vielerlei Hinsicht kon-
lisierung aber gelte es, »den deutschen zu vermieten, in Meiendorf deshalb, weil fliktreich sein kann und ist«. Die »Akzep-
Binnenmarkt zu stärken«, etwa durch seine Familie früher dort lebte. tanzprobleme aufseiten der Bürgerschaft«
»niedrigere Steuern, mehr öffentliche In- Meiendorf ist ein ruhiger, bürgerlicher würden immer größer.
vestitionen und den Ausbau der digitalen Ortsteil an der Hamburger Peripherie, dort Die Anwohner reagierten oft abweh-
Infrastruktur«, fordert der Kieler Handels- wohnen Steuerberater, Schauspieler, auch rend, die Forscher sprechen vom »Nimby-
ökonom Felbermayr. Deutschland werde Ex-Bürgermeister Ortwin Runde ist hier zu ism«. Das Akronym steht für »not in my
immer eine Exportnation bleiben, müsse Hause. Im Viertel überwiegen die Eigen- backyard« (»Nicht in meinem Hinter-
sich aber »ein Stück weit von seiner Fixie- heime, einige mit Carport, offenem Kamin hof«). Ein prominentes Beispiel dafür ist
rung auf den Außenhandel lösen«. und einem Garten, in dem sich ordentlich das Tempelhofer Feld: 2014 hatten sich
Michael Sauga Fußball spielen lässt. die Berliner in einem Volksentscheid mit
Mail: michael.sauga@spiegel.de Auf Binners 1150-Quadratmeter-Areal Mehrheit dagegen ausgesprochen, den
steht noch ein altes Haus, eingefriedet mit ehemaligen Flugplatz zu bebauen.
58
PAUL LANGROCK / ZENIT / LAIF
Besucher auf dem Tempelhofer Feld in Berlin: »Nicht in meinem Hinterhof«
Das Sankt-Florians-Prinzip? Davon plänen für Wohngebiete findet: die Be- näheren Umgebung einfügt«. Ob dieser
könne keine Rede sein, widerspricht Jan schränkung auf höchstens zwei Wohnungen Anspruch erfüllt wird, sieht naturgemäß
Fockele, ein Hauseigentümer in Meiendorf. pro Gebäude. Die Vorgabe sei angreifbar, jeder anders. Am Ende entscheiden oft die
Er habe nichts gegen Verdichtung, auch sagt Florian Herbst, Fachanwalt für Bau- Gerichte.
in Wohngebieten, sagt er, aber bitte im und Architektenrecht in Hamburg: »Mit die- So ist es im grünen Süden Münchens ge-
rechten Maß. In den vergangenen Jahren sem Problem sind bundesweit Gemeinden schehen, am Schmorellplatz nahe dem Per-
habe es mit den monumentalen Bauten konfrontiert.« lacher Forst. Dort reichte ein Investor vor
überhandgenommen, so sein Eindruck, Der Korrekturbedarf ist bekannt, Juris- fünf Jahren eine Voranfrage für den Bau
eine Grenze sei überschritten: »Meiendorf ten monieren seit Längerem die »Planungs- von sechs Wohnungen plus Penthouse für
verliert sein Gesicht.« lyrik« in baurechtlichen Vorschriften. Doch ein Grundstück ein, auf dem bislang nur
Fockele hat gemeinsam mit dem An- Gemeinderäte haben wenig Interesse, für eine Villa gestanden hatte. Eine Bürgerini-
wohner Matthias Vahl im vorigen Sommer Klarheit zu sorgen. Neue Bebauungspläne tiative machte Front dagegen, auch die
die Bürgerinitiative »Meiendorf erhalten« auszuarbeiten ist aufwendig, das Prozedere Stadt stellte sich quer. Bauherr und Behörde
gegründet. Auf einer Tour durch das Vier- zieht sich oft über Jahre hin. stritten vor Gericht, der Fall ging durch die
tel zeigen sie, was sie anstößig finden: ein Noch weniger berechenbar ist der Aus- Instanzen, der Investor bekam Recht. Die
verklinkertes Ensemble zum Beispiel, lang gang von Konflikten, wenn für eine inner- Stadt musste den Bescheid erteilen.
gestreckt wie eine Scheune, mit acht Woh- städtische Fläche gar kein Bebauungsplan In Hamburg-Meiendorf war die Bürger-
nungen, die Parkfläche davor ist mit Pflas- existiert. In diesen Fällen müssen Neubau- initiative erfolgreicher. Sie erreichte, dass
tersteinen versiegelt. Die Nachbarn schau- ten nach den Vorgaben des Paragrafen sich die Bezirksversammlung mit der
en auf eine schier endlose Außenwand, 34 des Baugesetzbuches geplant werden. Novellierung des Bebauungsplans befasste
früher blickten sie ins Grüne. Von dieser Er besagt, dass im Prinzip alles zu geneh- und die Veränderungssperre verhängte.
Dimension entstünden immer mehr Exem- migen sei, was sich »in die Eigenart der Das Tempo mag damit zusammenhängen,
plare, sagt Vahl: »Das Viertel kippt.« dass im Bezirk Ende Mai Wahlen anstehen.
Im Bebauungsplan ist eigentlich klar ge- Jetzt muss die Politik entscheiden, wie
regelt, dass solche Klötze nicht erwünscht Luftige deutsche Städte sie den Plan präzisiert. Eine Option: Sie
sind. In der Begründung des Gesetzes, 1982 Einwohnerzahl pro Quadratkilometer könnte festlegen, dass auf einer Teilfläche
verabschiedet, wird ausdrücklich als Ziel in ausgewählten Großstädten, 2018 des Grundstücks, zum Beispiel auf 500
definiert, »den gewachsenen Charakter als Quadratmetern, nur eine Wohnung zuläs-
Einfamilienhausgebiet zu erhalten und auf Paris 21290 sig ist. Damit allerdings wäre der Traum
Dauer zu schützen«. Doch im Laufe der des Grundeigentümers Binner vom Mehr-
Jahre haben oberste Verwaltungsrichter in Barcelona 16200 familienhaus geplatzt.
Deutschland eine ganz andere Vorstellung London (City) 12600 Er habe ja Verständnis für Anwohner,
von einem Einzelhaus entwickelt. die sich von Neubauten gestört fühlten, sagt
Heute kann ein solches Objekt laut stän- Kopenhagen 7140 Binner. Aber sie sollten auch seine Position
diger Rechtsprechung aus mehreren ver- respektieren. Er habe ein Grundstück mit
bundenen Gebäuden bestehen. Entschei- einem geltenden Bebauungsplan erworben,
München 4670
dend ist nur, dass der Abstand zur Grenze 650 000 Euro für die 1150 Quadratmeter
des Nachbarn gewahrt bleibt. So ist es Berlin 4060 bezahlt, in der festen Erwartung, dort
nicht ungewöhnlich, dass Bauämter auch sechs Wohnungen bauen zu dürfen, sagt
Frankfurt a. M. 2960
Objekte im XXL-Format genehmigen. er. »Und jetzt bin ich der Gelackmeierte.«
Mit Verweis auf die Interpretation der Köln 2630 Alexander Jung
Quellen:
Gerichte ist auch eine Klausel auszuhebeln, TU Darmstadt/ Mail: alexander.jung@spiegel.de
die sich bundesweit in vielen Bebauungs- Hamburg 2340 Pestel-Institut
Analyse
Die US-Regierung will in den nächsten zehn Jahren fast 500 Mil- waffensperrvertrags zu beraten und die versprochene Abrüstung
liarden Dollar in ihr Atomwaffenarsenal stecken. In dieser Zahl voranzutreiben. Niemand rechnet jedoch mit einem Erfolg. Statt-
spiegelt sich das Ego von Präsident Donald Trump, der mit der dessen hat die Trump-Regierung angefangen, den Pakt zu attackie-
Größe seines Atomknopfs prahlte. Zwar gibt es internationale Ver- ren. Bisher geht sie dabei diplomatisch vor. Der Abteilungsleiter
träge, um nukleare Waffen zu kontrollieren. Aber Trump bringt für internationale Sicherheit und atomare Nichtverbreitung des
einen Pfeiler der Weltordnung nach dem anderen zum Einsturz. US-Außenministeriums verkündet auf Auslandsreisen die neue
Nachdem er den Nukleardeal mit Iran und das INF-Abkommen Sichtweise: Die im Vertrag festgeschriebene Abrüstung sei eigent-
über das Verbot atomarer Mittelstreckenwaffen erledigt hat, torpe- lich gar nicht so wichtig. Es handle sich bloß um eine Sprachrege-
diert seine Regierung jetzt eine noch bedeutendere Vereinbarung: lung, auf die man sich »aus Gründen der Bequemlichkeit« geeinigt
den Atomwaffensperrvertrag. Der vor einem halben Jahrhundert habe. Der Kern des Vertrags sei die Nichtverbreitung über den
geschlossene Pakt beruht auf einer klaren Abmachung: Die Län- Kreis derer hinaus, die schon die Bombe haben.
der, die keine Atombombe haben, lassen weiterhin die Finger Das ist nah am Vertragsbruch und könnte auf manche Staaten
davon. Dafür versprechen die Atommächte, dass sie ihre nuklea- wie eine Einladung wirken, ihre eigene Atomwaffe zu bauen. Die
ren Waffen eines Tages verschrotten. sogenannte Doomsday-Uhr, mit der US-Wissenschaftler die
Nächste Woche kommen bei der Uno in New York Abgesandte Gefahr eines Atomkriegs anzeigen, steht schon jetzt auf zwei vor
aus allen Erdteilen zusammen, um über die Erfüllung des Atom- zwölf. Wie zu Beginn des Kalten Krieges. Dietmar Pieper
61
Ausland
Operation 2020
USA Fast zwei Dutzend Demokraten bringen sich für die Präsidentschaftswahl in Stellung.
Am populärsten sind zwei Politveteranen, aber auch einige bisher wenig bekannte
Bewerber machen auf sich aufmerksam. Wer von ihnen kann Donald Trump schlagen?
E
igentlich sollte Joe Biden nur mit- Kann er oder sie verhindern, dass Trump quer durchs Land. Amy Klobuchar, die
teilen, dass er für das Amt des Prä- eine zweite Amtszeit bekommt? eher konservative Senatorin aus Minne-
sidenten kandidieren möchte. Das Schon jetzt ist absehbar, wie zäh und sota, schwärmt vom Ethanolgeruch in den
Video, das er am Donnerstag ins langwierig dieser innerparteiliche Prozess Fabriken des Mittleren Westens. Kamala
Netz stellte, wirkt aber wie die Ankündi- wird, vielleicht auch hässlich. Selten hat Harris, Senatorin aus Kalifornien, feuert
gung eines Feldzugs. Donald Trump sei ein Wettstreit um die Nominierung so früh Parteifreunde in Nevada an. Der linke Se-
eine »Bedrohung« für Amerika, sagt Bi- begonnen, noch nie in der jüngeren US- nator Bernie Sanders diskutiert mit Kon-
den in dem Clip. »Wenn wir ihm acht Jah- Geschichte gab es derart viele ernst zu neh- servativen in Pennsylvania.
re im Weißen Haus gewähren, wird er das mende Bewerber, derart viele Frauen, der- Wenn John Halpin entscheiden könnte,
Wesen unserer Nation fundamental und art vielfältige Biografien. dann würden die Demokraten bis Novem-
für immer verändern.« Er erinnert in dra- Und doch stehen mit Biden und Sanders ber nächsten Jahres über exakt zwei
matischen Worten daran, wie Trump im zumindest im Moment zwei alte, weiße Themen reden: Gesundheit und Bildung,
Sommer 2017 auch unter Rassisten, die in Männer an der Spitze. Biden ist 76, San- mehr nicht. Halpin kann aber nur Ratschlä-
Charlottesville linke Demonstranten atta- ders ein Jahr älter. Würde Sanders nomi- ge geben. Er analysiert Wahltrends und
ckierten, »sehr anständige Leute« aus- niert und dann die Wahl gewinnen, könnte Meinungen für das Center for American
machte. Es klang, als wollte Biden den Not- er im Jahr seiner Amtseinführung seinen Progress, einen der einflussreichsten
stand ausrufen. 80. Geburtstag im Weißen Haus feiern. Thinktanks für die Demokraten in Wa-
Als Vizepräsident von Barack Obama Will die Partei wirklich mit Großvätern in shington. Sein Job ist es, für die Partei in
war Biden der gut gelaunte Sidekick, der die Wahl ziehen? Sind die Demokraten die Vereinigten Staaten hineinzuhören.
Typ mit den lockeren Sprüchen. Die in- nicht viel moderner geworden, jünger, Halpin trägt Pullover und Seitenscheitel,
tellektuelle Abgehobenheit Obamas glich weiblicher, quirliger, haben sie bei den hinter ihm im Büro steht ein Stoffadler,
er mit dem Grinsen des Sohns eines Ge- Kongresswahlen voriges Jahr nicht bewie- der etwas schlapp wirkt. Seit Monaten be-
brauchtwagenhändlers aus Pennsylvania sen, dass Stärke in der Vielfalt liegt? sucht Halpin Diskussionsgruppen mit
aus, der die Washingtoner Politik seit Jahr- Wählern von Michigan über Wisconsin
zehnten kennt. Die Buddy-Maske hat und Minnesota bis Ohio – in Bundesstaa-
Biden nun abgelegt. Stattdessen wirft er Die Kandidaten ringen ten aus dem sogenannten Rust-Belt, die
sich in die Rolle des Rächers, der das recht- um Spenden und um ein Großteil der politischen Klasse kaum
schaffene Amerika vertritt. »Wir befinden aus der Nähe kennt. Er hört, wie desillu-
uns im Kampf um die Seele dieser Nation«, Anhänger, sie reisen kreuz sioniert viele Leute von dem Präsidenten
sagt er. und quer durchs Land. sind, er sieht Chancen für die Partei in Vor-
Es ist eine Kampfansage ans Weiße städten und auf dem Land. Viele Wähler
Haus. Biden gibt sich erst gar keine Mühe, im Mittleren Westen der USA seien offen
seine Abscheu gegenüber Trump zu ver- Für Biden spricht, dass er seit Jahrzehn- für demokratische Kandidaten, sagt er.
bergen. Der Clip war zugleich eine Bot- ten auf der politischen Bühne steht. Er ver- »Die beste Strategie ist, nicht dauernd ge-
schaft an all jene Demokraten, die seit Mo- fügt über ein großes Netzwerk an Unter- gen Trump zu schießen.«
naten davor warnen, den Präsidenten im stützern, er und Sanders sind den Ameri- Halpin will die Demokraten dazu brin-
Vorfeld der Wahl nächstes Jahr allzu ve- kanern vertraut, das ist ihr Vorteil, aber gen, über Themen zu reden, die die Men-
hement anzugreifen, um dessen modera- auch ihr Nachteil. schen bewegen, nicht über den Präsiden-
ten Anhänger nicht zu vergraulen. Biden Der Wahlkampf ist gerade erst angelau- ten. Joe Biden, so viel lässt sich sagen, hat
sagt dagegen: Lasst uns in den Kampf zie- fen, aber bereits jetzt hat er neue Stars ge- sich daran schon mal nicht gehalten.
hen, lasst uns diesen Mann aus Washing- schaffen, die bis vor Kurzem noch nie- Es ist für die Demokraten schwer, nicht
ton vertreiben. mand kannte. Den Namen des jüngsten auf den Präsidenten zu reagieren. Vorigen
Bis zur Präsidentschaftswahl sind es Medienlieblings muss Amerika noch ler- Donnerstag veröffentlichte das US-Justiz-
noch anderthalb Jahre, die Vorwahlen be- nen: Pete Buttigieg, 37, schwul, Bürger- ministerium den Bericht von Sonderermitt-
ginnen erst im Februar 2020, aber der meister der Stadt South Bend mit 100 000 ler Robert Mueller, der die Abgründe von
Wettstreit unter Demokraten wird hitziger. Einwohnern im eher republikanischen Trumps Amtsführung detailliert schildert.
20 Bewerber haben sich gemeldet. Ganz Bundesstaat Indiana. Ein anderer Kandi- Die derzeit schärfste Trennlinie zwi-
vorn in den Umfragen steht Joe Biden, da- dat hat es gerade auf das Cover der ameri- schen den Bewerbern verläuft seither bei
hinter Bernie Sanders, Senator aus Ver- kanischen »Vanity Fair« geschafft: Beto der Frage, ob man gegen Trump ein Im-
mont. Der Rest folgt mit einigem Abstand. O’Rourke, 46, der im vergangenen Herbst peachment-Verfahren einleiten soll. Eliza-
Den Demokraten steht ein Jahrhundert- knapp die Wahl um einen Senatssitz in beth Warren, Senatorin aus Massachusetts,
wahlkampf bevor, es ist nicht übertrieben Texas verlor. argumentiert, dass jeder normale Ameri-
zu sagen, dass alles auf dem Spiel steht. Die Kandidaten ringen um Spenden kaner, der sich wie Trump verhalten wür-
Wer immer am Ende als Kandidat gewählt und um Anhänger, sie wollen früh Wähler de, längst »im Gefängnis« gelandet wäre.
wird, muss sich an der Frage messen lassen: auf ihre Seite ziehen und reisen kreuz und Bernie Sanders ist aus taktischen Gründen
Demokratische Bewerber O’Rourke, Biden, Sanders, Harris (r.): »Nicht gegen Trump schießen«
63
POLARIS / LAIF BRIDGET BENNETT / THE NEW YORK TIMES / LAIF
dagegen, da er fürchtet, Trump könnte am
Ende als moralischer Gewinner dastehen.
Am Dienstag meldete CNN: »Kandida-
ten sind sich uneinig, ob sie Trump des
Amtes entheben wollen oder nicht.« Zu-
mindest sind die Demokraten gut darin,
untereinander Streit anzufangen.
Es gibt unter denen, die sich zur Wahl
stellen, viele, die hoffen, dass sich die Sache
mit Biden und Sanders bald selbst erledigt.
Jüngere Parteianhänger halten die beiden
für Relikte aus dem 20. Jahrhundert –
Biden auch deshalb, weil er offenbar nicht
einsehen will, dass nicht mehr er bestimmt,
auf welche Art er sich seinen Mitmenschen
nähert. Der Ex-Vizepräsident ist in der Ver-
gangenheit Frauen unpassend nahe gekom-
men, was ihn für manche zu einem unmög-
lichen Kandidaten macht – auch wenn er
sich mittlerweile entschuldigt hat.
Es ist Anfang April, als die Präsident-
schaftsbewerberin Kamala Harris in eine
Schulbücherei in Carson City tritt, einem
Ort im Norden von Nevada. Sie ist hier,
um für höhere Lehrergehälter zu werben,
bis zu 15 000 Dollar mehr im Jahr, der ers-
te große Vorschlag ihrer Kampagne. Harris
will zeigen, dass ihr Bildung wichtig ist.
Die erste Frage kommt von einem Jour-
nalisten des Senders NBC. Was denkt Har-
ris über die Beschwerden mehrerer Frauen,
CHERYL SENTER / AP
die sich von Joe Biden angetatscht fühlten?
»Ich glaube den Frauen«, sagt Harris. Soll-
te ihr Parteifreund aus dem Rennen aus-
steigen? »Das muss er selbst entscheiden.«
Ihre gute Laune ist verflogen. Wahlkämpferin Warren: »Zeit für eine Frau«
Sie muss sich nun mit einem 76-Jähri-
gen befassen, den gerade jüngere Frauen
für etwas schmierig halten. Ihr Dilemma
ist, dass sie Unterstützer verprellt, wenn
sie allzu hart gegen Parteifreunde schießt, Glaubt man einer Studie, dann sehnt sich in Amerika die
gleichzeitig aber auch nicht weich wirken Mehrheit nach einem überparteilichen Konsens.
darf. Ihr hilft, dass sie ein dickes Finanz-
polster besitzt. Nach Bernie Sanders sam-
melte sie die meisten Spenden im ersten
Quartal ein, rund zwölf Millionen Dollar.
Für ihre Anhänger verkörpert sie das
perfekte Gegenmittel zu Trump: eine Ju-
ristin von scharfem Verstand mit einer
Mutter aus Indien und einem Vater aus Ja-
maika, die als Justizministerin von Kali-
fornien bewiesen hat, dass sie sich gegen
männliche Konkurrenz behaupten kann.
Sie spricht über »unangenehme Wahr-
heiten«, bleibt aber oft distanziert, wenn
es um ihre eigenen Motive geht. Bei einem
Auftritt vor Parteianhängern in einer Piz-
zeria sagt sie: »Wir müssen die Bedeutung
von Wahrheit und Gerechtigkeit endlich
wiederherstellen.« Am Ende ihrer Rede
steht eine kleine Frau mit grauen Haaren
applaudierend im Publikum, sie heißt
Chresten Wilson und ist Aktivistin der De-
POLARIS / LAIF
64
Ausland
Wer mit Aktivisten der Demokraten die Wahlleute bei der Präsidentschafts- nem, der aussieht, wie sich alte Menschen
spricht, könnte meinen, das Land wäre zu wahl abzuschaffen. einen jungen Kerl vorstellen.
gleichen Teilen in wohlmeinende Idealis- Das Publikum besteht fast ausschließ- Sein Aufstieg zeigt, wie tolerant ein gro-
ten auf der einen Seite und Trump-Fans lich aus weißen Zuhörern. Sie unterbre- ßer Teil Amerikas geworden ist. Die Tatsa-
auf der anderen Seite gespalten. Man chen ihn immer wieder mit Applaus und che, dass Buttigieg schwul ist, spielt selbst
könnte die Geschichte eines tief verunsi- reihen sich am Ende in eine Schlange ein, bei Fox News kaum eine Rolle. Wer ihm
cherten, gespaltenen Landes spinnen, eine um ein Foto mit dem Star zu machen. Bis zuhört, merkt, dass sich eine konstante Kla-
Geschichte, die sich halb Amerika erzählt, vor wenigen Wochen kannte ihn kaum je- ge durch die Reden zieht. Er verkörpert vie-
aber so einfach ist es nicht. mand außerhalb seines Heimatstaats In- le junge Amerikaner, die viel geleistet, aber
Glaubt man einer Studie der gesell- diana. Seinen Namen spricht man übri- fast nichts erreicht haben, die ständig unter
schaftspolitischen Initiative »More in Com- gens so aus: Buudidschidsch. Inzwischen Druck stehen und lernen mussten, mit fi-
mon«, dann gibt es in Amerika wesentlich schreibt die »New York Times« über sei- nanzieller Unsicherheit zu leben. Seine Ge-
mehr Bürger, die sich nach einem überpar- nen Wahlkampf, die großen Sender schi- neration habe die meisten Soldaten im Irak
teilichen Konsens sehnen. Die Mehrheit cken Kamerateams zu seinen Auftritten. und in Afghanistan gestellt, sagt Buttigieg.
hat die Nase voll von Hass und Zynismus. Es gibt Umfragen, in denen er auf Platz Seine Kampagne ist der Versuch, jener Ge-
In einer groß angelegten Untersuchung lie- drei der Demokraten steht, gleich hinter neration die Macht zu entreißen, die Kriege
ßen die Autoren mehr als 8000 Männer Biden und Sanders. Als er seine Kandida- angezettelt hat, die Geld und Leben koste-
und Frauen überall im Land befragen und tur verkündete, sammelte er innerhalb ten und den USA wenig brachten.
teilten anschließend die Gesellschaft in von vier Stunden eine Million Dollar ein. Es ist ein Ton, der sich in milderer Form
sieben »Stämme«. Die beiden politischen Es scheint, als hungerte das Land nach ei- auch durch die Reden anderer Bewerber
Extreme sind linke Aktivisten und über-
zeugte Konservative. Das Erstaunliche:
Zusammen stellen sie nur etwa ein Drittel
der Bevölkerung, eine laute Minderheit.
Die übrigen zwei Drittel bilden dagegen
die »erschöpfte Mehrheit«. Das sind Bür-
ger verschiedenster politischer Färbungen,
denen die Polarisierung missfällt und die
bereit sind, Kompromisse zu schließen. Sie
sind nicht leidenschaftslos, aber ideolo-
gisch weniger festgefahren und halten den
Konsens für wichtiger als einen Sieg im
Kampf um die Meinungsherrschaft.
Die Studie zeigt, wie wichtig es für die
Demokraten ist, im Kampf gegen Trump
die gesellschaftliche Mitte zu suchen, wenn
sie nicht riskieren wollen, Millionen Wäh-
ler zu verprellen. Sie spiegelt eine Sehn-
sucht nach Ruhe und Beständigkeit. Und
kein Bewerber der Demokraten verkör-
pert diese Sehnsucht so sehr wie Pete But-
tigieg, der Bürgermeister von South Bend.
Es ist ein Samstagvormittag Anfang
April, als Buttigieg in eine Buchhandlung
in Concord tritt, in New Hampshire. Schon
seine Kleidung signalisiert brutalste Harm-
losigkeit: hellbraune Lederschuhe, eine
Jeans von durchschnittlichstem Blau, wei-
ßes Hemd, grauer Pullover. Er geht an den
Geschichtsbüchern vorbei, klettert vor
dem Regal mit Büchern über die darstel-
lenden Künste auf einen Holzstuhl und
sagt: »Wir erleben gerade den Beginn einer
neuen Ära.« Er meint damit sich.
Das Erfrischende an Buttigieg ist nicht
seine Botschaft, sondern er selbst. Ein jun-
genhafter Politiker, schwul, verheiratet,
Kirchgänger, mit Abschlüssen aus Harvard
und Oxford und einer Karriere bei McKin-
sey, aus dem Mittleren Westen stammend,
Afghanistanveteran ist er auch noch. »Jaja,
ich kapier das«, sagt Buttigieg, auf dem
Stuhl stehend, »diese Unverfrorenheit, mit
der einer wie ich daherkommt und sagt:
Ich will Präsident werden. Versteh ich to-
tal.« Dann redet er über Klimawandel,
Wahlrechtsreform und seinen Vorschlag,
zieht. Der sogenannte Krieg gegen den Beto O’Rourke, den die meisten in
Terror der Nullerjahre, die Militäreinsätze Amerika nur beim Vornamen nennen,
im Irak, in Afghanistan, Libyen, Syrien tritt an einem Donnerstag im April in eine
und anderswo, haben die Vereinigten Staa- Bar in Iowa zwischen Maisfeldern, die
ten zermürbt. Das Volk ist müde gewor- nach Gülle riechen, und ruft 20 Leuten
den, das Gewicht der Welt auf den Schul- entgegen: »Danke, dass ihr euch die Zeit
tern zu tragen. Daran hat nicht Donald genommen habt, um an eurer Demokra-
Trump Schuld, auch wenn er den Mythos tie teilzunehmen.« Dann erzählt er, dass
nährt, die Verbündeten Amerikas hätten er nach dem Aufstehen in seinem Hotel,
jahrzehntelang auf Kosten der USA gelebt. dem Sleep Inn im Nachbarort, eine Runde
Es ist kein radikal neuer Staat, den die laufen war, sich verirrte und einen zwölf-
Demokraten anbieten. Die meisten von jährigen Jungen um Hilfe bat. Die Ge-
ihnen stellen eine Art Reparatur in Aus- schichte hat keine Pointe. Womöglich
sicht. Sie werben für den Ausbau der Ge- dient sie ihm dazu, die Gedanken zu sam-
sundheitsversorgung, die Erneuerung bau- meln. Im Januar filmte er sich beim Zahn-
fälliger Straßen und Brücken, den Kampf arzttermin und übertrug den Clip live im
gegen den Klimawandel und die Drogen- Netz.
epidemie und allgemein für die Rückkehr O’Rourke wirkt manchmal etwas verlo-
zu Anstand und Wahrheit. ren, was er durch ausufernde Gesten ver-
Manche klingen wie Trump, nur intel- sucht gutzumachen. Journalisten verglei-
lektueller. Bernie Sanders griff am Montag chen ihn häufig mit einem Rockstar, aber
vor Studenten in New Hampshire die un- in Iowa wirkt er eher wie ein DJ, der einen
gerechten Handelsverträge an, die die endlosen Technotrack spielt. Nach einer
USA abgeschlossen hätten. Er klang wie Stunde setzt er sich in seinen Mietwagen
ein Wirtschaftsberater des Weißen Hauses. und fährt zum nächsten Auftritt.
Im Vergleich zu seiner Kampagne gegen Lange galt der Politiker aus Texas als
Hillary Clinton 2016 hat sich bei ihm we- Geheimtipp unter den Präsidentschafts-
kandidaten, aber Pete Buttigieg hat ihn in
den Umfragen eingeholt und kommt ihm
Die größte Schwäche auch bei den Spenden näher. Das muss
des Präsidenten ist, dass nicht so bleiben, aber es zählt zur brutalen
Realität des US-Wahlkampfs, dass neue
ihn eine Mehrheit Hoffnungsträger so schnell verblassen, wie
im Land für unfähig hält. sie aufgetaucht sind.
Jüngere Kandidaten haben im Ver-
gleich zu ihren erfahrenen Kollegen wie
nig verändert. Vorige Woche war er zu Joe Biden oder Bernie Sanders dennoch
Kampf gegen Gast bei Fox News, dem Lieblingssender
des Präsidenten. Er bekam viel Applaus.
einen Vorteil. Sie tragen weniger politi-
schen Ballast mit sich herum, bilden einen
Schatten Zwölf Prozent derjenigen, die während
der Vorwahlen 2016 im Rennen gegen
markanten Gegensatz zum 72 Jahre alten
Präsidenten und können bei Themen
Im Juli 2017 besiegte ein irakisches Militär- Clinton für Sanders stimmten, wählten am wie Klimaschutz, sexueller Selbstbestim-
Ende Trump. Dafür kann sich Sanders auf mung, Immigration oder Gesundheitsre-
bündnis nach monatelangen Kämpfen
eine enthusiastische, fast ekstatische An- form glaubhafter für ihre Position werben
den IS in Mossul. Mit dem Verlust der Mil- hängerschaft stützen. Jeder fünfte seiner als Männer, die gefühlt schon immer da
lionenmetropole zerbrach das »Kalifat« Spender gab zum ersten Mal Geld an ihn, waren.
im Irak. Doch abseits der geschleiften Ter- was zeigt, dass er immer neue Fans findet. Es muss der Partei letztlich nicht scha-
rorhochburgen harrten Reste der Gruppe Und es hilft, dass er in Gegenden beliebt den, dass sie ihren Wählern eine große
in entlegenen Landstrichen aus. Es dauer- ist, die Trump den Sieg brachten: Pennsyl- Vielfalt von jungen und alten Bewerbern
te nicht lange, bis sich dort Angriffe auf vania, Michigan und Wisconsin. präsentiert, von Einwandererkindern,
Städte, Dörfer und Checkpoints häuften. Die größte Schwäche des Präsidenten Frauen, weißen Männern. Es wird die Auf-
Sicherheitskräfte durchkämmen die Ge- ist, dass die Mehrheit der Amerikaner ihn gabe desjenigen sein, der die Nominierung
gend nach Dschihadisten, die wie aus für unfähig hält. Trumps Zustimmungswer- erhält, das Land zu elektrisieren und
dem Nichts erscheinen, blitzartig zuschla- te liegen seit Monaten bei 42 Prozent, und gleichzeitig die gesamte Partei so hinter
das in einem guten wirtschaftlichen Klima. sich zu versammeln, dass auch moderate
gen und wieder verschwinden.
Die Löhne steigen, die Arbeitslosigkeit ist Demokraten zur Wahl gehen. Im Moment
sehr niedrig, seit Trumps Amtsantritt wur- halten es in Washington dennoch viele für
Sehen Sie die Visual Story im digitalen den fast eine halbe Million neuer Indus- unwahrscheinlich, dass Joe Biden am Ende
SPIEGEL, oder scannen Sie den QR-Code. triejobs geschaffen, ein so starker Zuwachs zum Kandidaten gekürt wird.
wie seit einem Vierteljahrhundert nicht. Sein Wahlspruch könnte lauten: Ame-
Dennoch sehnen sich viele nach einem rika muss wieder Amerika werden. Dabei
Kandidaten, der jünger ist, netter, weniger wirkt er selbst wie eine Figur aus einem
bombastisch und weniger zerstörerisch. weißen, wohlhabenden, unbeschwerten
Der frühere Kongressabgeordnete Beto Land, das längst verschwunden ist.
O’Rourke versuchte mit diesen Eigenschaf- Christoph Scheuermann
ten voriges Jahr Senator von Texas zu wer- Twitter: @chrischeuermann
JETZT DIGITAL LESEN den. Er hätte es fast geschafft.
Es wird ernst
Analyse In Kiew hat ein versöhnlicher Mann die Präsidentschaftswahl gewonnen – aber
Wladimir Putin begrüßt ihn im Konflikt um den Donbass mit einem feindseligen Akt.
M
it Wolodymyr Selenskyj ist in der Ukraine ein in grenznahen Meldeämtern auf russischem Boden, die eigens
Politiker neuen Typs zum Präsidenten gewählt verstärkt wurden.
worden – ein Spaßvogel aus dem Fernsehen, ein Das Ganze erinnert an Russlands Vorgehen in den georgi-
Populist ohne politisches Programm und ohne schen Regionen Abchasien und Südossetien. Auch dort hat
politische Erfahrung. »Keine Versprechen, keine Entschul- es massenhaft russische Pässe verteilt. Als daraufhin der ge-
digungen« lautete einer seiner Slogans; die Zeile stammt aus orgische Präsident Micheil Saakaschwili 2008 seine Truppen
einer ukrainischen Schnulze und zielte auf den Rivalen, Amts- in Süd-Ossetien einmarschieren ließ, intervenierte Moskau
inhaber Petro Poroschenko, der etliche Versprechen gebro- militärisch – mit dem Argument, es müsse russische Staats-
chen hatte. bürger schützen. Später erklärte es die Gebiete zu von
Selenskyj wurde zur Projektionsfläche für viele Ukrainer, Georgien unabhängigen Zwergstaaten.
gerade weil er wenig Konkretes ankündigte. Er stand für den Moskau beruft sich abermals auf humanitäre Gründe: Kiew
Traum von der Entmachtung der korrupten Elite, den Traum blockiere die »Volksrepubliken«, erkenne die Menschen dort
vom Ende des Krieges in der Ostukraine, von einer fried- mithin nicht als eigene Bürger an. Ihre schiere Not fordere,
lichen Nachbarschaft mit Russland. dass man ihnen russische Pässe ver-
Aber was an der Urne funktionier- schaffe, wenn sie es denn wünschten.
te, das funktioniert nicht im Um- Daran stimmt, dass es eine Wirt-
gang mit Moskau. Der Kreml hat schaftsblockade tatsächlich gibt.
Selenskyj aus seinen Träumen ge- Aber Selenskyj hat in seinen Auftrit-
rissen, indem er am Mittwoch, nur ten klargestellt, dass er alle Ukrai-
drei Tage nach der Wahl, bekannt ner – auch die in Donezk und Lu-
gab, Pässe an Menschen im besetz- hansk – als gleichwertige Bürger
ten Donbass zu verteilen. Moskau sieht. Er hat den Nationalismus, den
wird, in anderen Worten, die dort Poroschenko im Wahlkampf ange-
lebenden Ukrainer fortan als seine facht hat, verurteilt. Er ist selbst ein
eigenen Bürger betrachten. Es ist russischsprachiger Ukrainer. Seine
ein Schritt, der den Friedenspro- Haltung hat ihm die Diffamierung
zess in der Ostukraine belastet und seitens der Gegner eingebracht – Po-
Russlands Position im Konflikt neu roschenko tat so, als wäre Selenskyj
definiert. ein Mann Putins und als würde der
Bisher bestand diese Position da- Wahlkampf nicht zwischen ihm und
VALENTYN OGIRENKO / REUTERS
Terroristenschwester Madaniya in Kattankudy: »Man muss ihn einer Gehirnwäsche unterzogen haben«
Neuer Hass
Sri Lanka Nach den Attentaten vom Ostersonntag fürchten viele eine Rückkehr der Gewalt im
ehemaligen Bürgerkriegsland. Eine Reportage aus dem Osten der Insel, wo der Anführer
der Attentäter herkam und viele Christen starben. Von Fritz Schaap und Christian Werner (Fotos)
A
ls die Vergangenheit die Gegen- die blutige Vergangenheit seines Landes eine Gasflasche gehandelt. Dann kommt
wart einholt, als in der Zions- durchlebt, nun sorgt er sich um die Zu- ein Anruf aus der Hauptstadt Colombo.
kirche von Batticaloa ein Selbst- kunft. Tambimuttu erfährt von weiteren Explo-
mordattentäter mindestens 28 Die Stadt Batticaloa wirkt an diesem sionen, er fährt zur Zionskirche. Staub
Menschen in den Tod reißt, 14 davon Kin- Mittwoch nach den Anschlägen wie aus- liegt in der Luft, die Fenster sind zersplit-
der, kann Arun Tambimuttu nichts davon gestorben. Die Geschäfte sind geschlossen, tert. Er sagt, er habe sofort gewusst, dass
hören. Er hat Kopfhörer auf, sitzt im ersten kaum Autos auf den Straßen. Das Militär es keine Gasflasche war. »Wenn man hier
Stock seines Hauses in seinem fensterlosen kontrolliert am Busbahnhof jeden, der in aufwächst, bekommt man ein Gefühl für
Tonstudio und hört ein Lied, das eine bes- einen der dunkelroten, rostigen Busse stei- Bomben.«
sere Zukunft verspricht – es ist sein eigenes gen will. Still liegt die Stadt mit ihren Er sagt, in der Kirche habe er verbrannte
Wahlkampflied. So erzählt er es drei Tage knapp 100 000 Einwohnern in der Schwü- Körper gesehen, abgerissene Gliedmaßen,
später, als er durch seine Stadt fährt. le des Morgens zwischen den Lagunen. Blut an den Wänden, Gehirnmasse, Kno-
In seinem Wahlkampf, sagt er, gehe es Batticaloa ist der einzige Ort weit au- chensplitter. Da sei er wieder hinausgegan-
darum, dass die Möglichkeiten groß wären, ßerhalb der Hauptstadt, der am Ostersonn- gen. Kindheitserinnerungen seien in ihm
wenn die Menschen die alten Konflikte tag Ziel eines Anschlags wurde. Das mag aufgestiegen. Bilder von Massenexekutio-
hinter sich ließen. daran liegen, dass der Anführer der Atten- nen. Entführungen. Vom Tod seiner Eltern.
Tambimuttu ist ein großer, stämmiger täter aus der Nähe stammt. Fast genau ein Jahrzehnt lang sah es so
Mann mit kurz geschorenen Haaren und Erst durch einen Anruf erfährt Tambi- aus, als wäre das Blutvergießen in Sri Lan-
breitem Kinn, 43 Jahre alt, er lacht viel. muttu am Morgen des Anschlags von der ka nach 26 Jahren Bürgerkrieg wirklich
Er ist Christ, Tamile, Politiker, aus Batti- Explosion in der Kirche. Einer seiner Mit- beendet. Langsam schien das Trauma zu
caloa, einer Küstenstadt im Osten, er hat arbeiter erzählt ihm, es habe sich wohl um heilen, die Touristen kamen. Doch in die-
sen Tagen wird die Insel erneut von der sionen waren gewaltig, die Ausführung er- Doch nun kommt, als eine zynische
Gewalt heimgesucht. Sieben Selbstmord- folgte koordiniert und professionell. Und Wendung der Geschichte, das Selbstmord-
attentäter, die sich in einem nachträglich die Gefahr ist offenbar noch nicht vorbei: attentat zurück in das Land, in dem es von
veröffentlichten Video zum »Islamischen Immer wieder wurden in der vergangenen den Tamil Tigers einst in ihrem Guerilla-
Staat« bekannten, sprengten sich am Woche neue Bomben gefunden. Straßen krieg gegen die Regierung etabliert wor-
Ostersonntag in drei Luxushotels, drei Kir- werden gesperrt, Ausgangssperren ver- den war.
chen und einem Gasthaus in die Luft. Sie hängt. Das Land ist im Ausnahmezustand. »Das Selbstmordattentat ist eine viel
rissen 253 Menschen in den Tod; es ist eine Nun drohen neue Unruhen, Racheakte. stärkere Waffe in den Händen der Musli-
der tödlichsten Anschlagsserien, die welt- In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch me, mit ihrem Märtyrerdenken, als in der
weit je mit dem IS in Verbindung gebracht brannten zwei Boote muslimischer Fischer Hand der Tamilen, denen kein Paradies
wurden. In Colombo, Batticaloa, Negom- in Batticaloa. Wenn es eines der Ziele der winkt«, sagt Tambimuttu. Er sitzt auf der
bo starben doppelt so viele Menschen wie Attentäter war, religiöse Spannungen zu Terrasse seines Hauses, auf dem flachen
bei den Anschlägen von Paris. verschärfen, scheint es ihnen gelungen zu Dach, über das sich ein Mangobaum beugt,
Eine unvorstellbar grausame Attacke, sein – zumindest in einigen Teilen des Lan- und schaut nachdenklich auf die Kirche
am höchsten christlichen Feiertag – in des. In Negombo, nördlich der Hauptstadt, nebenan. Er spricht mit einer Stimme, die
einem Land, das mit islamistischem Extre- gibt es seit Montag gewalttätige Ausschrei- sich Gehör verschafft. Laut und sicher.
mismus bisher keine Erfahrung hat. tungen gegen Muslime. »Die letzten drei Tage haben mir das
Die Anschläge sind das Ergebnis eines Religiöser Hass ist neu. Die Spannungen Herz gebrochen«, sagt Tambimuttu.
monumentalen Versagens der sri-lanki- verliefen in Sri Lanka immer an ethnischen Batticaloa war zur Zeit des Bürgerkriegs
schen Sicherheitskräfte. Sie hatten Anfang Linien. Es war der Konflikt zwischen Sin- oft Frontstadt. Ein Schauplatz von Massa-
April konkrete Warnungen vom indischen ghalesen und Tamilen, der das Land fast kern, eine Stadt voller Angst. Es gab Folter
Geheimdienst vor Anschlagsplänen erhal- zerriss. Bis zu diesem Ostersonntag hat es und Hinrichtungen. Tambimuttu ist hier
ten: Man habe einen Mann verhaftet, der in Sri Lanka nie nennenswerte Konflikte geboren und aufgewachsen, es war eine
die späteren Attentäter ausgebildet haben zwischen Christen und Muslimen gegeben. schöne Kindheit, sagt er, sorglos, am
soll. Erste Hinweise hatte es schon Monate Beide Religionsgruppen bilden kleine Strand, auf den Farmen der Familie. Bis
zuvor gegeben. Getan wurde nichts. Der Minderheiten: 7 Prozent der Bevölkerung 1983 der Bürgerkrieg kam. Wenn Tambi-
sri-lankische Premierminister feuerte nun des Landes sind Christen, nur jeder Zehnte muttu aus dieser Zeit erzählt, klingt es, als
den Polizeichef und den Verteidigungsmi- ist Muslim. 13 Prozent sind Hindus, mehr läse er aus einem Geschichtsbuch des
nister, weil sie Informationen nicht weiter- als zwei Drittel sind Buddhisten. Wenn es Grauens vor. Die Fakten akkurat, die Sät-
gegeben haben sollen. in Sri Lanka Gewalt gab, dann waren es ze fern vom Herzen.
Vieles bleibt vorerst rätselhaft an diesem zuletzt Übergriffe extremistischer Bud- Die Tamilen hätten damals im Krieg
österlichen Terroranschlag. Seine Dimen- dhisten auf Muslime und Hindus. ihre Werte verloren, sagt Tambimuttu.
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Ausland
»Das Töten wurde normal.« In dem Haus, gemacht. Und: »Ohne Jobs keine Perspek- stammten aus sehr wohlhabenden Famili-
in dem er nun wohnt, haben Milizen mehr tiven, kein Geld. Die Angst kehrt zurück. en. Die soziale Herkunft der Attentäter ist
als hundert Menschen gefoltert und ermor- Und Milizen können immer zahlen.« ein weiterer rätselhafter Aspekt dieses neu-
det, erfuhr er später. Als er es kaufte, wa- Trotz seines Glaubens an den Frieden, en Terrorismus.
ren an einer Wand noch Blutspuren. sagt Tambimuttu, hätten ihn die Attentate »Ich hätte ihm das nie zugetraut«, sagt
»Es begann mit den Minen 1984«, sagt nicht überrascht. Er beobachte schon lange Zahrans Schwester Madaniya. »Man muss
er. Die Milizen der Tamil Tigers platzier- die Unterstützung der muslimischen Ge- Zahran einer Gehirnwäsche unterzogen
ten sie auf den Straßen, und jeden Don- meinde im Land durch die Golfstaaten und haben«, sagt sie. Madaniya ist eine kleine
nerstag, wenn die Armee Nachschub damit ihre Radikalisierung. »Ich hätte ge- Frau. Sie trägt ein helles, türkises Kleid
brauchte, jagten sie ein Fahrzeug in die dacht, es passiert erst in fünf Jahren«, sagt mit pinkfarbenen Blumen, einen beigen
Luft. »Die Armee verhaftete jeden in der er, »es ist ein Desaster.« Schleier hat sie lose um den Kopf ge-
Umgebung. Dann richteten sie sie hin. Rund 15 Autominuten von Tambimuttus schlungen.
Gleich dort.« Menschen wurden aufge- Haus entfernt liegt die muslimische Stadt Sie sieht müde aus, Spielzeug liegt he-
knüpft und hingen an Straßenmasten, weil Kattankudy. Sie liegt dicht gedrängt auf ei- rum, sie hält eines ihrer drei Kinder im
sie den jeweils anderen Kämpfern Wasser ner Landzunge zwischen anderen Siedlun- Arm. Ihr Mann, ein Tuk-Tuk-Händler, des-
gegeben hatten. gen. An der Einfahrt zur Stadt spannt sich sen Kricketpokale Vitrine und Schreibtisch
Schon Tambimuttus Vater war ein be- ein doppelter Torbogen, der auf steinernen zieren, mochte ihren Bruder nicht. »Was
kannter Politiker, außerdem Menschen- Palmenstämmen ruht, über die Straße, und er predigte, war nicht der Islam«, sagt der
rechtsanwalt. Er zeichnete die Kriegsver- eine der Inschriften heißt auf Arabisch stämmige junge Mann in seinem Wohnzim-
brechen der Regierungstruppen auf. 80 herzlich willkommen. mer auf einem Plastikstuhl. Ab 2017 hätten
Prozent der Tamilen sind Hindus, er stellte Auch hier, wo 1990 angeblich die Tamil Zahrans Formulierungen sehr nach denen
sich als tamilischer Christ gegen die Tamil Tigers weit mehr als hundert Muslime in des »Islamischen Staates« geklungen.
Tigers, jene Miliz, die sich über die Jahre ihren Moscheen abschlachteten, sind die »Ich hatte deswegen seit Längerem nur
zu einer Armee entwickelte und die mit Läden geschlossen. »Es ist schwierig, hier noch wenig mit ihm zu tun«, sagt Mada-
Terror und Guerillakampf versuchte, Informationen zu sammeln«, sagt ein niya und wischt sich mit dem Kopftuch
einen eigenen Staat im Norden und Osten hoher Armeeoffizier an der Straße, »wir den Schweiß aus dem Gesicht. Sie sagt, ihr
der Insel zu gründen. bekommen nur sehr schwer Zugang zu Bruder habe vor 2017 keinen Hass gepre-
Die Tigers, so erzählt es Tambimuttu, den Menschen.« digt. Später erklärt sie, dass das nur be-
schickten Todeskommandos in ihr Haus. Mehr als 40 000 Menschen leben hier deutet, dass er erst da anfing, gegen den
Einem Attentäter schlug seine Mutter mit auf engem Raum. Circa 50 Moscheen gibt Staat und andere Religionen zu hetzen.
dem Besen die Pistole aus der Hand. Als es. Viele davon wurden mit Geld aus dem Vorher habe er nur gegen andere islami-
14-Jähriger wurde Tambimuttu entführt, arabischen Ausland finanziert, heißt es. sche Strömungen gehetzt, zum Beispiel ge-
sah, wie die Tigers mehr als 60 Männer Und mit dem Geld vom Persischen Golf gen die Sufis, eine mystische Richtung.
hinrichteten, und wurde drei Tage lang kam der Wahhabismus ins Land, der sau- Aber die, so die Schwester, seien nun mal
festgehalten. Irgendwann zog seine Fami- di-arabische Steinzeitislam. Es ist die Glau- keine richtigen Muslime.
lie nach Colombo. Am 7. Mai 1990 fuhr bensrichtung, der auch Zahran Hashim an- Sie steht im Raum, knetet ihre Hände,
sein Vater mit seiner Mutter zur kanadi- hing, bevor er sich der Barbarei und dem seit dem Anschlag habe sie nicht mehr ge-
schen Vertretung, sie wollten ein Visum. IS verschrieb. schlafen. Sie hat Angst, wie viele Muslime
Bevor sie das Gebäude betreten konnten, Zahran Hashim gilt als der Kopf hinter im Land. »Ich bin jetzt allein«, sagt sie.
wurden sie von Schüssen der Tigers nie- den Anschlägen vom Ostersonntag. Er ist Denn auch ihre anderen Geschwister und
dergestreckt. der einzige der Attentäter auf dem vom ihre Eltern sind verschwunden. Das letzte
In Sri Lanka ist das keine außergewöhn- IS veröffentlichen Video, dessen Gesicht Mal sah sie die Familie am 18. April. Drei
liche Geschichte. Und das macht die An- nicht verhüllt ist. Einige der anderen At- Tage vor dem Anschlag. Seitdem fehlt von
schläge vom Ostersonntag noch schlimmer. tentäter, gab die Regierung bekannt, ihnen jede Spur. »Was soll ich denken, au-
Fast jeden Sri Lanker versetzen sie in die ßer, dass sie auch damit zu tun haben? Ich
Zeit der Gewalt zurück. Anschläge am Ostersonntag ertrage nicht, was mein Bruder getan hat.«
Tambimuttu zog damals zu einem On- INDIEN
Ihr Haus steht in einer kleinen Neben-
kel nach Großbritannien. Er kehrte erst straße, keine hundert Meter davon ent-
Batticaloa
2009 zurück, als der Krieg mit einer bru- fernt liegt die Moschee der National Thaw-
SRI
talen Offensive der Armee endete und in LANKA heedh Jamaath (NTJ), die ihr Bruder wohl
wenigen Monaten etwa 40 000 Menschen im Jahr 2012 gegründet hat. Sie trägt den
Colombo Kartenausschnitt
starben. Er ging in die Politik, versuchte, Namen der Extremistengruppe, die nun
die Versöhnung voranzutreiben. »Für vie- für die Anschläge an Ostern verantwort-
le militante Tamilen in der Diaspora bin St. Sebastian-Kirche lich gemacht wurde – und die bisher nur
ich deswegen ein Verräter.« für vereinzelte Angriffe auf buddhistische
»Es bringt nichts zu schauen, wer was 10 km Tempel bekannt war.
getan hat«, sagt er, »wir müssen nach vorn Der neue Imam der Moschee, Moho-
sehen. Versöhnung ist ein Muss. Selbst der med Thoufeek, empfängt die Besucher in
Mann, der meine Eltern umgebracht hat, seinen Räumlichkeiten, und er präsentiert
wohnt wieder hier. Ich kenne ihn, es gibt Kingsbury Hotel fleißig einen Brief, mit dem belegt werden
genug Beweise, ich könnte ihn vor Gericht soll, dass man Zahran schon am 29. De-
St. Antonius-Schrein
bringen. Aber werden meine Eltern davon Shangri-La
zember 2017 aus der Gemeinde geworfen
wieder lebendig?« Hotel Dematagoda habe. Der Grund sei eine blutige Auseinan-
Tambimuttu hatte einen wirtschaft- Colombo
dersetzung am 10. März desselben Jahres
lichen Plan, das Land voranzubringen: Er Cinnamon gewesen. Damals seien Zahran und seine
wollte den Tourismus ankurbeln. Dieser Grand-Hotel Dehiwala Männer mit Schwertern bewaffnet gegen
Plan, so scheint es, wurde nun zunichte- Sufi-Muslime losgegangen. An diesem Tag
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Ausland
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KACPER PEMPEL / REUTERS
Politstar Biedroń: Bei Umfragen zur Präsidentschaftswahl kommt er auf den dritten Platz
Kaczyński persönlich setzte den Ton für logieprofessor Maciej Gdula an, der ver- Leben – auf dem Weg zu einer Gedenk-
die kommende Wahlkampagne: Seine Par- blüffende Dinge sagt: »Wir brauchen wie- feier für die Opfer des sowjetischen Mas-
tei schütze die Polen vor einer Umerzie- der einen Führer.« sakers an Polen in Katyń. Der Zwilling
hung durch Schwule. Das zielte natürlich Gdula meint damit keine autoritäre Leit- Jarosław wurde damit zu einer Art leben-
auf Biedroń, der den Nationalkonservati- figur, sondern dass Politik in Zeiten des In- digem Märtyrer der Nation.
ven als Feindbild dient. ternets in hohem Maße personalisiert sei. Biedroń will für seine Anhänger in ähn-
Die Debatte um Gleichberechtigung »Die Zeitungen verlieren die politische licher Weise ein politisches Leitbild sein –
und Sexualerziehung in den Schulen, sagte Deutungshoheit, und ähnlich geht es auch nur eben andere Werte vertreten: ein links-
Kaczyński auf einem Parteikongress, führe den alten Parteien und Gewerkschaften«, liberaler Anti-Kaczyński, der Welt zu-
zu einer »Sexualisierung von Kindern«. sagt er. In Osteuropa hätten sich soziale gewandt, nicht zurückgezogen, in die
Seine Gegner wollten nicht etwa Schwule Lager und Milieus noch rasanter verändert Zukunft statt in die Vergangenheit blickend,
und Lesben vor Diskriminierung schützen, als im Westen. Politischer Protest werde offen statt autoritär, ein Visionär, der von
sondern deren Lebensstil fördern. Zum über die sozialen Medien mobilisiert. Die einem toleranten, ökologischen Polen
Thema gleichgeschlechtliche Ehe und Parteien gerieten dabei ins Hintertreffen. träumt, dem Rest Europas nicht hinterher-
Adoptionsrecht sagte er: PiS-Leute seien »Charismatische Führungspersonen kön- läuft, sondern sogar die Richtung vorgibt.
ja wie die meisten Polen tolerant. »Aber nen viel schneller reagieren«, sagt er. »Der Biedroń wird der regierenden PiS wohl
hier sagen wir Nein! Hände weg von un- Leader muss die Identität seiner Bewe- kaum Wähler abjagen, eher schon der li-
seren Kindern!« gung verkörpern, so wie Kaczyński.« beralen Bürgerplattform von Ex-Premier
Während PiS in den vergangenen Jah- Der Begründer der regierenden PiS Donald Tusk. Manche fürchten deshalb,
ren gegen Migranten Wahlkampf machte, steuere aus dem Hintergrund. Relativ sel- dass er es den Nationalkonservativen bei
sind auf die vorderen Plätze ihrer Feind- ten in der Öffentlichkeit zu sehen, lebe er künftigen Wahlen leichter macht. Biedrón
bilder nun Schwule und Lesben gerückt – seinen Anhängern ein patriotisches Ideal glaubt das nicht. Er setzt darauf, ein junges,
als Chiffre für einen urbanen, elitären, vor: weltabgewandt, selbstlos, streng mit städtisches Bürgertum zu mobilisieren, das
westlichen Lebensstil. sich und anderen allein dem Wohl der pol- bisher nur widerwillig zur Wahl geht. All
Biedroń hätte es sicherlich auch wegen nischen Nation zuarbeitend, ein Beschüt- jene, die genervt sind vom ewigen Zwist
seiner Sexualität schwer gehabt in den tra- zer, der dem ewig unterdrückten Volk wie- der großen Parteien. Das sind, wie sich
ditionellen Parteien. Deshalb hat er seine der zur Achtung verhilft. Vor neun Jahren gerade zeigt, nicht wenige. Jan Puhl
eigene Bewegung geschaffen. Als Berater kam sein Zwillingsbruder Lech, damals Mail: jan.puhl@spiegel.de
heuerte er den linken Warschauer Sozio- Präsident, bei einem Flugzeugabsturz ums
Wenn du dich und den Gegner die Beobachter in Industrie- wie Schwel- torischen Vergleich. Chinas technologische
kennst, brauchst du den Ausgang von lenländern staunen lassen. Es hat eine wirt- Fortschritte haben die vermeintliche Ge-
100 Schlachten nicht zu fürchten. schaftliche und gesellschaftliche Umwäl- wissheit erschüttert, Innovation gedeihe
Sun Tzu, »Die Kunst des Krieges« zung vollzogen, die vor 40 Jahren nie- nur in pluralistischen Systemen.
mand für möglich hielt. Die Bauten, der Doch dieser Fortschritt geht mit einem
C
Wohlstand, die Zahl der Arbeitsplätze, die Maß an Repression und digitaler Kontrol-
hinas Kaiser empfingen ihre Gäs- geschaffen wurden, übertreffen jeden his- le einher, das selbst die Zustände in Nord-
te und Vasallen in der Verbotenen
Stadt oder in ihren Sommerresi-
denzen. Das tun ihre Nachfolger
heute nur mehr ausnahmsweise, denn da-
für kommen zu viele. Für große Empfänge
hat Staatschef Xi Jinping vor Pekings To-
ren einen Konferenzpalast errichten lassen,
inmitten üppiger Gärten und Pavillons,
nicht weit von der Großen Mauer.
Diese Woche trafen dort Gesandtschaf-
ten aus 150 Ländern ein, darunter
37 Staats- und Regierungschefs, fast dop-
pelt so viele, wie jedes Jahr zum Treffen
der G20 kommen. Xi hat sie zum zweiten
Mal zum Seidenstraßen-Gipfel eingeladen,
zur Feier von Chinas weltumspannendem
Bau- und Entwicklungsprogramm.
Beim ersten Gipfel vor zwei Jahren wa-
ren nur 29 Präsidenten und Premiers ge-
kommen. Diesmal reisen neben China-
freunden aus Asien, Afrika und dem Nahen
Osten auch mehrere Europäer an, darunter
die Regierungschefs von Italien und Öster-
reich. Deutschland schickt Wirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier. Aber nicht alle Staa-
ten wollen dabei sein. Washington hat ab-
gesagt, Neu-Delhi bereits zum zweiten Mal.
Die Gästeliste des Seidenstraßen-Gip-
fels ist eine diplomatische Antwort auf
eine große Frage: Wie soll die Welt mit
China umgehen? Wie eng soll sie mit Chi-
na kooperieren? Wie weit kann sie Peking
trauen?
China ist zu einer wirtschaftlichen, poli-
tischen und technologischen Größe heran-
gewachsen, wie sie die Welt seit dem Auf-
stieg der Vereinigten Staaten nicht mehr
gesehen hat. Für manche Länder ist die
Chinafrage entscheidender als für andere,
doch keines kann sich ihr entziehen.
Sie zu beantworten wird mit jeder neu-
en Errungenschaft, mit jeder Menschen-
rechtsverletzung Pekings schwieriger. Dass
China kompliziert und widersprüchlich ist,
ist ein Plattitüde. Es sind die Dimensionen
seiner Widersprüche, die China von ande-
ren schwierigen Ländern unterscheiden.
China hat seit dem Beginn seiner Re-
form- und Öffnungspolitik Erfolge erzielt,
75
Ausland
BASF-Chef Martin Brudermüller. Das sei die ihre Kenntnis von Xi-Jinping-Reden Druck ein Land nach dem anderen auf ihre
»der Antrieb und der Ehrgeiz der Chine- abfragt – wobei sie peinlich darauf achten, Seite ziehe. In diesem Frühjahr zog die Eu-
sen«. Man muss dieses Weltbild nicht tei- die Punktezahl des Chefs ihrer Parteizelle ropäische Union nach. Fast wortgleich er-
len, aber man sollte es kennen im Verhält- nicht zu überschreiten. Wer den Marxis- klärte sie China zu einem »systemischen
nis zu seinem größten Handelspartner. mus ernst nimmt, stört heute nur: Als sich Rivalen, der alternative Modelle des Re-
China hat nicht nur einen anderen Blick eine Gruppe linker Studenten im vergan- gierens fördert« und einem »wirtschaft-
auf die Geschichte und weiter zurückrei- genen Sommer für die Bildung einer unab- lichen Wettbewerber, der technologische
chende Erinnerungen an die Globalisie- hängigen Gewerkschaft in einer Schweiß- Führerschaft anstrebt«.
rung als die Europäer. Auf chinesischen maschinenfabrik einsetzte, drang die Poli- Ob solche Rivalitätserklärungen Peking
Weltkarten liegt Amerika weit im Osten, zei in ihre Wohnheime ein und nahm etwa beeindrucken, muss sich erst noch erwei-
Europa erscheint oft als eine kleine Halb- 50 von ihnen fest. sen. Premierminister Li Keqiang soll sich
insel im Nordwesten Russlands. Viel grö- Eines hingegen verbindet Maos und Xis in kleinem Kreis überrascht gezeigt haben
ßer wirken der Pazifik, der Subkontinent China: der globale Anspruch, der feste über die Skepsis, die ihm auf seiner letz-
und Afrika. Plan, die Welt zu verändern. Der Maois- ten Reise nach Brüssel entgegenschlug.
Geschichte, Geografie, Globalisierung – mus ging, wie die britische Sinologin Julia Grundsätzlich ist eine klare Sprache ge-
an den Problemen im Umgang mit China Lovell in einer aktuellen Monografie be- genüber China zu begrüßen, auch wenn
gemessen, könnten diese Begriffe abstrakt schreibt, wie ein Fieber um den Globus, das EU-Strategiepapier zunächst eher
erscheinen. Aber das sind sie nicht. Sie er- als eine intellektuelle Mode in vielen west- zum inneren Zusammenhalt Europas bei-
innern uns daran, wie vieles wir im Westen
über China nicht wissen. Europa, zumal
Länder wie Deutschland, die wirtschaftlich
eng mit Peking verflochten sind, muss sei-
ne Chinaexpertise vergrößern.
Mit dem Berliner Mercator Institute for
China Studies hat Deutschland eine der
wenigen auf China spezialisierten Denk-
fabriken der Welt. Aber die Zahl der China-
experten ist in Europa nach wie vor zu
gering. Europäische Medien, auch der
SPIEGEL, sind in China bislang nicht an-
nähernd so stark vertreten wie in Ameri-
ka – und amerikanische Medien in China.
China besser verstehen zu wollen be-
deutet nicht, sich die chinesische Sicht der
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dem Eindruck der Seidenstraßen-Initiative Autonomiegebiet Xinjiang zutage getreten. des Westens, ihr Verhältnis zu China zu
einen 60-Milliarden-Dollar-Fonds aufgelegt, Dort überwacht und unterdrückt die überdenken. Menschenrechtsfragen bei
mit dem sie nun am Pazifik das mühsame Staatssicherheit die etwa elf Millionen zäh- Staatsbesuchen nur hinter verschlossenen
Geschäft der Entwicklungszusammenarbeit lende, überwiegend muslimische Minder- Türen anzusprechen ist keine Option mehr.
wieder aufnehmen. Wer soll das in den heit der Uiguren. Peking rechtfertigt sein Gerade Staaten der Europäischen Union,
Schwellenländern Nordafrikas und des Na- Vorgehen mit Unruhen und Anschlägen, die die Folgen totalitärer Herrschaft so gut
hen Ostens tun, wer soll Energie- und In- an denen militante Uiguren beteiligt wa- kennen wie Deutschland, haben eine his-
frastrukturprojekte vom Balkan bis Marok- ren, und vergleicht sie mit den Maßnah- torische Verpflichtung, in dieser Frage ihr
ko unterstützen? Wenn die Bedingungen men westlicher Staaten nach dem 11. Sep- ganzes Gewicht einzusetzen.
fair und die Ausschreibungen transparent tember. Die Argumente sogenannter China-
sind, spricht nichts dagegen, mit China zu- Selbst manche Chinesen, die das Ziel realisten wie Henry Kissinger oder Helmut
sammenzuarbeiten. Aber in erster Linie ist dieser Politik unterstützen, sind davon ab- Schmidt sind damit nicht außer Kraft ge-
das die Aufgabe des von den Flüchtlings- gestoßen, wie der Staat sie durchsetzt: Alle setzt. Als Kissinger Anfang der Siebziger-
strömen herausgeforderten Europa. muslimischen Bewohner von Xinjiang wer- jahre im Auftrag Nixons nach China reiste,
den analog und digital kontrolliert – von befand sich das Land noch in der Kulturre-
III. Vor 30 Jahren, am 4. Juni 1989, rollten Kameras, die jede Gasse und jedes Taxi volution, in der unsagbare Verbrechen ge-
am Tiananmen-Platz in Peking die Panzer. ausleuchten, von »Wifi-Sniffern«, die an schahen. Niemand würde bestreiten, dass
Der Reformer Deng Xiaoping, der Chinas Checkpoints die Daten ihrer Handys aus- es trotzdem richtig war, damals Beziehun-
gen mit Peking aufzunehmen – ebenso wie
fünf Jahre nach dem Tiananmen-Massaker
wieder unter Präsident Bill Clinton.
Doch die Chinapolitiker des 20. Jahr-
hunderts hatten keinen Begriff davon, wel-
che Mittel der technologische Fortschritt
den Autokratien des 21. Jahrhunderts an
die Hand geben würde. Die Anwendung
dieser digitalen Werkzeuge der Menschen-
kontrolle muss durch Verhandlungen ein-
gehegt werden wie im Nuklearzeitalter der
Einsatz von Atomwaffen. Eine an univer-
GILLES SABRIE / BLOOMBERG / GETTY IMAGES
sellen Werten orientierte Außenpolitik
muss bereit sein, die dafür zu erwartenden
politischen Kosten zu tragen.
In den USA haben sich 24 Senatoren
und 19 Abgeordnete beider Kongress-
parteien dafür ausgesprochen, Peking in
der Uiguren-Frage herauszufordern. Sie
verlangen, den Parteichef der Autonomie-
region Xinjiang unter den Magnitsky
Act zu stellen. Diese schärfste diplomati-
sche Waffe im Umgang mit ausländischen
Straßenszene, erfasst von chinesischer Erkennungssoftware: Einzigartiges Kontrollregime Politikern erlaubt der US-Regierung un-
ter anderem, die Konten Betroffener ein-
zufrieren und ihnen die Einreise zu ver-
Wirtschaftswunder angestoßen hatte, ließ lesen können, von Nachbarn, die zur De- bieten.
die größte Demokratiebewegung nieder- nunziation angehalten werden. Wer sich Die EU verfügt bislang über kein ver-
walzen, die das Land seit 1919 erlebt hatte. verdächtig macht, wird festgenommen. gleichbares diplomatisches Mittel. Im
Hunderte Menschen kamen ums Leben, Nach Schätzungen des deutschen Xinjiang- März sprach sich das Europaparlament da-
Studenten und Soldaten, die genaue Zahl Forschers Adrian Zenz sitzen etwa eine für aus, das zu ändern. Diesem Antrag soll-
ist bis heute nicht bekannt. Million Menschen in Gefängnissen und te die Kommission folgen, auch mit Blick
Niemand in China wird Anfang Juni in Umerziehungslagern. auf die Entwicklung in China.
den zensierten Medien ein kritisches Wort Die Regierung erfasst die persönlichen Noch geeigneter wäre eine breit ange-
über dieses traumatische Ereignis hören Daten aller Bewohner, darunter ihre legte, auch die USA einbindende Initiative,
oder lesen. Die Studentenführer von 1989 DNA-Profile. Eine algorithmengesteuerte globale Standards für den Einsatz digitaler
sind im Exil, renitente Bürgerrechtler wer- neue Gesichtserkennungssoftware er- Massenüberwachungstechnik zu etablie-
den bereits Wochen vor dem Jahrestag aus laubt inzwischen sogar, Uiguren anhand ren – ähnlich wie zu Beginn der interna-
den großen Städten aufs Land deportiert, äußerlicher Merkmale zu identifizieren. tionalen Abrüstungsverhandlungen in den
der Staat hat die Presse und das Internet Ähnliche, noch nicht ganz so weit entwi- Sechziger- oder des KSZE-Prozesses in
völlig im Griff. ckelte Technologien wendet China bereits den Siebzigerjahren. Als Digitalmacht mag
So sehen sie aus, die »alternativen Mo- in Provinzen außerhalb Xinjiangs an. Wie die Europäische Union den USA und Chi-
delle des Regierens«, welche die Europäi- die »New York Times« berichtet, expor- na heute unterlegen sein, doch ihre Daten-
sche Union in ihrem Strategiepapier zu tieren chinesische Unternehmen solche schutzbestimmungen sind weltweit vor-
Recht an den Pranger stellt. China hat ein Systeme auch ins Ausland, vor allem in bildlich. Europa sollte sich im Interesse sei-
Überwachungs- und Sicherheitsregime autoritär regierte, aber auch in westliche ner Bürger dafür einsetzen, dass diese
etabliert, das weltweit einzigartig ist. Staaten. Standards künftig nicht von China gesetzt
Wie weit dessen Mittel reichen, ist im Pekings Vorgehen in Xinjiang zwingt werden. Twitter: @bzand
Verlauf der vergangenen zwei Jahre im nicht nur, aber vor allem die Regierungen
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6
Die Übermächtigen Zahl der Bundesliga- Wer die Meistertitel der erfolgreichste Verein (mit den meisten Meistertiteln)
mannschaften, die in den vergangenen die beiden erfolgreichsten Vereine
5 5 während der Saison* 25 Jahren** holte, die drei erfolgreichsten Vereine
wenigstens einmal in Prozent ** Saison 1993/94 bis 2017/18
Tabellenführer waren.
4 4 4 4 4 4 Beispiel aktuelle Saison:
nur Borussia Dortmund
und Bayern München
84 88 84 88
80
88
3 wechselten sich bislang 72 72
an der Tabellenspitze ab.
64 64
52 52 48 52
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
28
1 1 1 1 1
Saison 2000/ 2010/ Saison Bundesliga Premier League Serie A La Liga Ligue 1
1993/94 01 11 * ab dem 3. Spieltag 2018/19 Deutschland England Italien Spanien Frankreich
Juventus Turin wurde soeben italienischer Meister, zum achten Saison als Erster beenden. In den europäischen Topligen reduziert
Mal in Folge. Paris Saint-Germain gewann in den vergangenen sich das Rennen um die Meisterschaft auf wenige Vereine. In
sieben Jahren sechsmal den Titel in Frankreich, in Deutschland der Bundesliga gibt es in dieser Spielzeit nach vielen Jahren wieder
könnte Bayern München zum siebten Mal hintereinander die einen Zweikampf, aber die Tabellenspitze ist auch hier verödet.
Magische Momente
SPIEGEL: Vor 30 Jahren gingen Sie als wie durch Boris Becker und Steffi Graf im
Außenseiter ins Turnier, oder? Tennis. Wir bekamen TV-Zeiten, Sponso-
Fetzner: Wir hofften auf eine Medaille. ren stiegen ein, und die Mitgliederzahlen
An mehr als das Halbfinale war aber über- in den Vereinen schossen nach oben.
haupt nicht zu denken, denn wir prallten SPIEGEL: Kassierten Sie eine Weltmeister-
dort quasi auf die Chinesische Mauer. prämie?
Chen Longcan und Wei Qingguang waren Fetzner: Es gab Geld vom Verband, eine
damals Titelverteidiger und Olympia- Prämie vom Ausrüster, bessere Sponsoren-
sieger – da war eigentlich nichts zu holen. verträge und ein Fahrrad von Kettler. Leider
SPIEGEL: Wie haben Sie die Mauer einge- wurde mir dieses von mir gepflegte Erinne-
rissen? Roßkopf, Fetzner 1989 in Dortmund rungsstück bei einem Umzug geklaut. PK
Müller-Wohlfahrt, 76, war von 1995 bis tungsvermögen wieder zu erreichen und
2018 Sportarzt der Fußballnationalmann- alles zu tun, um eine Wiederverletzung zu
schaft. Er arbeitet als Mediziner in Mün- vermeiden.
chen, wo er auch die Spieler des FC Bayern SPIEGEL: Bezogen auf die Psychologie der
betreut. Eder, 65, kam als Physiotherapeut Spieler: Gibt es da jemanden, der schwie-
1988 zur Nationalelf, er leitet eine Reha- rig war?
klinik in Donaustauf. Eder: Schwierig vielleicht insofern, als
das Bindegewebe eine Memoryfunktion
SPIEGEL: Herr Müller-Wohlfahrt, welcher hat. Wir haben schon Spieler gehabt, bei
Patient hat Ihnen am meisten Kummer ge- denen sich der Stress auf den Körper nie-
macht? dergeschlagen hat. Ich denke gerade an
Müller-Wohlfahrt: Das Gefühl von Kum- die Ballack-Wade, die war immer hart vor
mer kenne ich nicht und würde es auch einem wichtigen Spiel.
gar nicht aufkommen lassen. Ich stehe na- SPIEGEL: Bei ängstlichen Spielern verhär-
hezu bei jedem Patienten vor einer schwie- tet sich das Gewebe?
rigen und manchmal unlösbar erscheinen- Eder: Das kann man grundsätzlich nicht
den Aufgabe. Und dabei ist die Erwar- sagen, aber Stress überträgt sich auf die
tungshaltung vonseiten der Patienten Faszien und das Bindegewebe.
enorm groß. Ich nehme jede Herausforde- SPIEGEL: Und gibt es auch das Gegenteil,
rung gern an, immer aus dem Gefühl he- also einen Spieler, der psychologisch so
raus, helfen zu können. gut drauf ist, dass er alles wegsteckt?
SPIEGEL: Herr Eder, was war die größte Eder: Man kann nie hinter die Fassade
Herausforderung? schauen, aber wer zumindest den Ein-
Eder: Fußbruch Klose, Rippenanbruch Klo- druck gemacht hat, war Lukas Podolski.
se, Rippenanbruch Frings, das war alles Müller-Wohlfahrt: Zu Michael Ballack
nicht so ohne. noch eine Ergänzung. Es handelte sich um
Müller-Wohlfahrt: Giovane Elber mit sei- ein sogenanntes funktionelles Kompart-
ner schweren Knieverletzung, die damals mentsyndrom in der rechten Wadenmus-
in zwei zeitlich versetzten operativen Ein- kulatur. Ein Spieler kann diese Verletzung
griffen versorgt werden musste. Die Schä- selbst überhaupt nicht einschätzen. Ich
den konnten nicht alle in einer Sitzung be- musste dem Bundestrainer Jürgen Klins-
handelt beziehungsweise rekonstruiert mann damals erklären, dass Michael am Müller-Wohlfahrt: (lacht) Ich erinnere
werden. Giovane hat danach wieder auf Eröffnungsspiel der WM 2006 nicht teil- mich noch, dass das Zuwerfen der Tür sehr,
einem Topniveau gespielt. nehmen könne, da er nach meiner Erfah- sehr laut war, die Wände müssten Risse
Eder: Aber ich kann mich nicht erinnern, rung voraussichtlich nach 20 bis 30 Minu- bekommen haben.
dass wir jemanden frühzeitig von der EM ten schmerzbedingt ausgewechselt werden SPIEGEL: Wie kann man sich die Zusam-
oder der WM nach Hause schicken muss- müsse. Ich vergleiche die Situation gern menarbeit zwischen Ihnen beiden, also
ten, verletzungsbedingt. Der Doc hat alle mit einem Kolbenfresser im Zylinder eines zwischen Arzt und Physiotherapeut, vor-
Herausforderungen gemeistert, und wir Motors. In unserem Fall läuft der Muskel stellen?
durften ihm dabei etwas helfen. fest – nichts geht dann mehr, beim besten Müller-Wohlfahrt: Wir arbeiten seit mehr
Müller-Wohlfahrt: Das Ziel war immer, Willen nicht. Michael aber war anderer als 30 Jahren eng zusammen, das sagt
das vor der Verletzung bestehende Leis- Meinung und äußerte, es müsse irgendwie schon alles. Im Falle einer Verletzung wäh-
schon gehen. Seine Reaktion war dement- rend eines Länderspiels habe ich einen
Das Gespräch führten die Redakteure Jörg Blech und sprechend. Spieler so lange untersucht, bis ich eine
Antje Windmann in München. SPIEGEL: Wie? klare Vorstellung hatte und eine Diagnose
80
CHRISTIAN CHARISIUS / DPA
Physiotherapeut Eder, Nationalspieler Jérôme Boateng, Mediziner Müller-Wohlfahrt bei der EM 2016 in Marseille: »Zeit schenken«
stellen konnte. Danach habe ich in aller SPIEGEL: Manuel Neuer stand, drei Wo- Fuß. Herr Eder, was sagen Sie, stand Neuer
Regel Klaus um seine Einschätzung gebe- chen nachdem er eine Schraube in den zu früh wieder im Tor?
ten. Der Idealfall war natürlich, wenn wir Mittelfuß bekommen hatte, wieder auf Eder: Das war eine Entscheidung im Kol-
beide zu demselben Ergebnis kamen. dem Platz – und hat sich dann den Mittel- lektiv damals beim FC Bayern. Der Trai-
SPIEGEL: Gibt es etwas, was Sie voneinan- fuß sogar doppelt gebrochen. Wie kam ner wollte, dass Manuel spielt, Manu selbst
der gelernt haben? das? wollte auch spielen. Da haben sie sich zu
Eder: Normalerweise schulen wir Physio- Müller-Wohlfahrt: Die Verletzung von dieser Schraube entschlossen.
therapeuten ja unsere Hände. Aber das Manuel passierte, als ich vorübergehend SPIEGEL: Darf man einen Spieler mitent-
Tasten von Muskelverletzungen, das habe nicht als Mannschaftsarzt für den FC Bay- scheiden lassen?
ich eindeutig vom Doc gelernt. Er hat mei- ern tätig war und keine Verantwortung für Müller-Wohlfahrt: Solange eine Verlet-
ne Hand geführt und gesagt: Klaus, das das Wohl und Wehe der Spieler trug. zung nicht verheilt ist, darf niemand mit-
hier fühlt sich so und so an, der gesunde SPIEGEL: Sie hatten sich zuvor mit dem reden oder gar mitentscheiden. Wenn ich
Muskel aber fühlt sich so an. Dafür bin ich Trainer Pep Guardiola überworfen. Neuer die Verletzung für geheilt erkläre, über-
ihm dankbar. brach sich zu Carlo Ancelottis Zeiten den gebe ich den Spieler wieder in die Verant-
wortung des Trainers, der dann die Trai- Funktionstest und der Verlauf. Ein Sport- Müller-Wohlfahrt: Das war auf einem in-
ningsinhalte vorgibt. Der Spieler selbst arzt sollte ohne Zuhilfenahme des MRT ternational besuchten Kongress Ende der
kann die Schwere seiner Verletzung nicht eine Diagnose stellen können. Achtzigerjahre in Baden-Baden. 30 Jahre
einschätzen. SPIEGEL: Das würde ja bedeuten, dass vie- später – eine neue Generation von Chef-
SPIEGEL: Aber Guardiola hat das so ge- le Menschen falsch behandelt werden. ärzten war nachgerückt – erhielt ich zu-
halten? Müller-Wohlfahrt: Nehmen wir die Mus- sammen mit meinen Praxiskollegen an
Müller-Wohlfahrt: Diese Ära möchte ich kelverletzungen bei Fußballprofis: Infolge selber Stelle eine hoch geachtete Auszeich-
nicht kommentieren. Ich habe beim FC einer MRT-Fehldiagnose wird ein Spieler nung, den Carl-Rabl-Preis, für eine inhalt-
Bayern und der Nationalmannschaft mit oft wochenlang unnötig vom Training zu- lich etwa gleiche Arbeit.
deutlich mehr als 20 Trainern zusammen- rückgehalten und erleidet einen enormen SPIEGEL: Herr Eder, wurden Ihre Metho-
gearbeitet. Es gab niemals eine Reibung Formverlust. Das ist bitter. den auch kritisiert?
oder Spannung, wenn jeder seinen Kom- Eder: »Mulls« Philosophie war von An- Eder: Selbstverständlich. Wenn mal nach
petenzbereich eingehalten hat – und das fang an, wir wollen keine Bilder behan- einer Behandlung ein Bluterguss entstan-
war so gut wie bei allen Trainern der Fall. deln, wir wollen die Spieler behandeln. den ist, dann haben Kritiker gesagt: Das
SPIEGEL: Viele Sportler schreiben Ihnen Müller-Wohlfahrt: Ich bedaure, dass von ist ja alles viel zu viel! Heute weiß man
magische Hände zu. Aberglaube? den Sportärzten bei Muskelverletzungen natürlich, dass so ein Bluterguss auch eine
Müller-Wohlfahrt: Es gibt keine wunder- mehr und mehr Kernspinuntersuchungen sehr wichtige Maßnahme des Körpers zur
same Heilung. Ich habe mir meine Art der veranlasst werden und die Diagnosen Selbstreparatur sein kann.
Diagnostik und Therapie in einer Zeit er- mehrheitlich falsch sind. So kann es nicht SPIEGEL: Herr Müller-Wohlfahrt, Sie ha-
arbeitet, als es noch keine Ultraschall- und weitergehen. Von Kollegen in London ben gesagt, es bestehe in mehr als 90 Pro-
Kernspindiagnostik im Sport gab. Ich muss- stammt in diesem Zusammenhang die zent der Fälle ein Zusammenhang zwi-
te meine Hände einsetzen und lernen, mit Aussage: »Bye-bye MRI«, sie meinen das schen der Wirbelsäule und Muskelverlet-
ihnen zu untersuchen, also zu palpieren, zungen. Können Sie uns das erklären?
zu diagnostizieren und zu therapieren. Müller-Wohlfahrt: Der Spannungszu-
SPIEGEL: Was machen Sie, wenn Sie einen stand, der Tonus, der Muskulatur wird ge-
Patienten das erste Mal vor sich haben? steuert durch Impulse der motorischen
Müller-Wohlfahrt: Zuallererst möchte ich Nerven, die von der Wirbelsäule ausgehen
sein Vertrauen gewinnen. Das ist die Basis und – man könnte sagen, wie ein ständig
für alles Weitere. Ich schenke ihm Zeit und fließender Strom – die Muskulatur versor-
Aufmerksamkeit, um dann mit meiner gen. Dadurch wird die Leistungsbereit-
Untersuchung zu beginnen, eine Diagnose schaft eines Muskels überhaupt erst ge-
zu stellen und eine geeignete Therapie vor- währleistet. Aufgrund von Schäden oder
zuschlagen. Funktionsstörungen im Bereich der Wir-
SPIEGEL: Herr Eder, haben Sie ein festes belsäule, die unter Umständen eine Ner-
Schema, wenn Sie einen Patienten zum venwurzelreizung verursachen, wird der
ersten Mal vor sich haben? Stromfluss als Folge davon entsprechend
Eder: Ich frage, was wo wann wehtut, nach stärker. Die Muskelspannung steigt auf ein
ADAM PRETTY / DER SPIEGEL
dem Beruf, Alltagsbelastungen, hat es ein höheres Niveau. Die Muskulatur wird
Trauma, einen Unfall gegeben, eine be- übersteuert. Bei einer dann hohen sport-
stimmte Bewegung? Ich lasse die schmer- lichen Belastung wie dem Sprint kommt
zende Stelle bewegen und bewege sie es zu einem weiteren Spannungsanstieg,
selbst. Wenn sich die Körperregion weich der Muskel wird rigide, unelastisch – und
elastisch anfühlt, kann man davon ausge- ist rissgefährdet.
hen, dass es muskuläre Strukturen sind, Partner Müller-Wohlfahrt, Eder SPIEGEL: Sie setzen in Ihrer Behandlung
die die Bewegung einschränken. Ist die be- »Vom Doc gelernt« sehr auf die umstrittene Homöopathie.
troffene Stelle fest elastisch, ist es vielleicht Was machen Sie da?
die Gelenkkapsel. Ist sie ganz hart elas- Müller-Wohlfahrt: Seit Beginn meiner
tisch, dann ist es vielleicht der Knochen. Magnetic Resonance Imaging. Ich möchte sportärztlichen Tätigkeit behandle ich
Und ob es sich heiß oder kalt anfühlt, kann diese Entwicklung zusammen mit den ausschließlich mit homöopathischen und
verraten, ob etwas entzündet ist oder nicht Radiologen neu überdenken und dringend biologischen Medikamenten, die ich über
ausreichend durchblutet. einen Meinungs- und Erfahrungsaustausch unterschiedliche Nadeln möglichst punkt-
SPIEGEL: Warum haben es etliche Ärzte zwischen Sportärzten und Radiologen an- genau an die jeweilige Ursache der Be-
verlernt, den Patienten zu berühren? streben. Beispielgebend dafür kann die Zu- schwerden heranbringe und die dort ihre
Müller-Wohlfahrt: Das Vertrauen in die sammenarbeit in unserer Praxis sein, sonst Wirkung entfalten.
Kernspinuntersuchung, das MRT, mit den driften wir in Theorie und Praxis immer SPIEGEL: Herr Eder, verwenden Sie in
manchmal beeindruckenden Schichtbil- weiter auseinander. Ihrem Rehazentrum in Donaustauf auch
dern ist größer als in die eigenen Hände. Eder: Jüngere Orthopäden bedauern selbst homöopathische Mittel?
Und man entledigt sich auf diesem Wege sehr, dass sie im Studium nur noch Appa- Eder: Ich benutze die homöopathische Sal-
der Verantwortung. Die Diagnose wird ja ratemedizin lernen. Die setzen sich des- be von Müller-Wohlfahrt. Ohne Schmarrn,
vom MRT geliefert. Meine Erfahrung in halb bei uns in den Unterricht, um etwas die ist wirklich sehr empfehlenswert. Aber
der Diagnostik zum Beispiel von Muskel- über manuelle Therapie, Osteopathie oder das, was wir machen, die Physiotherapie,
verletzungen bei Sportlern zeigt, dass die Sportphysiotherapie zu erfahren. ist ja sowieso Homöopathie.
MRT-Diagnose in mehr als 50 Prozent der SPIEGEL: Herr Müller-Wohlfahrt, Ihre SPIEGEL: Aber Naturwissenschaftler und
Fälle falsch ist. Die Kernspinbilder werden Heilmethoden galten manchem Kollegen Schulmediziner sagen, dieses ganze Ge-
allzu oft überinterpretiert, das beweisen als dubios. Auf einem Kongress rief ein dankengebäude der Homöopathie sei
unter anderem das Bewegungsverhalten Arzt öffentlich dazu auf, Ihnen die Appro- Quacksalberei. Gibt es auch Spieler,
nach der Verletzung, der Tastbefund, der bation zu entziehen. die sagen: »Die homöopathischen Mittel,
Der digitale Furor derserie, die darstellt, wie sich der Grenz-
verlauf zwischen Israel und den palästi-
nensischen Gebieten in den vergangenen
Jahrzehnten verändert hat. Auf Özils
Stars Fußballklubs und Spieler setzen immer stärker auf die Account wurde plötzlich nicht nur über
Markenbildung in sozialen Netzwerken. Mit der Wut, die den Akteuren Erderwärmung debattiert, sondern auch
oft entgegenschlägt, können viele Kicker jedoch nicht umgehen. über die Hamas, über Waffenlieferungen
und Raketenangriffe.
Die Social-Media-Aktivitäten der Profis
85
Wissenschaft+Technik
Wie tickt ein Mann, der seinen Reichtum für Dschungel, Bergseen und Korallenriffe einsetzen will? ‣ S. 88
208
gebaut wurde. Ähnlich wie beim Wachs-
Bioroboter aus dem tum von Schleimpilzen bewegten sich
Molekülbaukasten die Polymere auf diese Weise gegen den
Strom voran. In einer Art Wettrennen
Forscher der amerikanischen Cornell ließen die Forscher die Gebilde sogar
University haben die Grenze zwischen gegeneinander antreten. Von »lebensähn- Knochen hat der Körper vieler Men-
lebender und toter Materie ausgelotet. lichem« Material schwärmt Luo. Künftig schen – nicht 206, wie gemeinhin in
Das Team um den Bioingenieur Dan erhofft er sich winzige Bioroboter aus anatomischen Lehrbüchern angegeben.
Luo erschuf ein künstliches Material aus dem Molekülbaukasten, die sich selbst Fabella heißt ein Knöchelchen auf einer
DNA-Molekülen, das sich drei Eigen- antreiben und vervielfältigen können. PHB Sehne im Kniegelenk. Noch 1918 fand
schaften von Leben annähert: der Fähig- es sich nur bei 11 Prozent der Menschen,
keit zum Stoffwechsel, zur Selbstorga- heute werden die Fabellae schon bei
nisation und zum Wachstum. Zunächst 39 Prozent nachgewiesen, berichten bri-
ließen die Forscher millimetergroße tische Forscher. Als Grund vermuten
Molekülhaufen heranwachsen, die sie sie längere Knochen und mehr Muskel-
dann in einen Strom von Nährlösung leg- masse durch eine bessere Ernährung als
SHOGO HAMADA
ten. Während die Flüssigkeit die künst- noch vor 100 Jahren. Die dadurch be-
lichen Gebilde umspülte, bildeten sich an Laborgebilde aus DNA-Strängen dingte höhere Belastung der Sehne könn-
deren Vorderseite neue DNA-Stränge, te die Bildung der Fabella begünstigen.
erklärt die heilsame Wirkung und einander Mut zu machen. Das scheint manchmal, dass sie traurige Lieder hören
von Liedern und Rhythmen mir auch die evolutionäre Bedeutung der möchten. Gesünder sind für sie jedoch
auf Körper und Geist. Musik zu sein. Musikhören verbessert fröhlich gestimmte Songs. Statt Musik zu
und verlängert das Leben. hören, die zur eigenen Stimmung passt, ist
SPIEGEL: Musik hält fit und macht gesund? SPIEGEL: Gute Laune durch Musik – wie es grundsätzlich hilfreicher, Stücke mit
Kölsch: Sie kann die Heilkräfte des Kör- geht das? jener Stimmung zu hören, in die man kom-
pers aktivieren, die Stimmung verbessern Kölsch: Die Hirnchemie ändert sich. Zum men möchte. Ich stelle meinen Patienten
und uns von belastenden Erfahrungen Beispiel wird beim Musikhören besonders deshalb Musikrezepte aus. Gemeinsam
ablenken. Gesunde bekommen gute Lau- viel Dopamin ausgeschüttet. Dieser suchen wir Lieder heraus, die sie hören
ne, Kranke erfahren Linderung. Positive Botenstoff ist gleichsam der Treibstoff des können, wenn es im Alltag Probleme gibt.
Effekte zeigen sich zum Beispiel nach Spaßmotors im Gehirn. Gleichzeitig wirkt SPIEGEL: Ist die heilsame Wirkung von
Schlaganfällen, bei Parkinson, Autismus Musik auf jene Hirnregionen, die Emotio- Musik für jeden nutzbar?
oder Depressionen. Patienten fangen Kölsch: Auf jeden Fall. Ich glaube
an, Dinge zu leisten, die sie eigentlich auch nicht, dass es unmusikalische
gar nicht mehr schaffen können. Menschen gibt. Ich selbst habe Geige
SPIEGEL: Zum Beispiel? studiert. Wenn ich ein Brahms-
Kölsch: Manche Parkinsonpatienten, konzert mit vier Musikern spiele,
die normalerweise nur noch schwer dann ist das auch für mich ein
Gastkommentar
Falsche Propheten
Warnungen vor einem neuen Dürresommer sind unseriös. Von Jörg Kachelmann
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach ist eine gut Es könnte auch wie 2016 ein von Hochwassern geprägter Som-
funktionierende Behörde. Technisch auf der Höhe der Zeit mit ver- mer bevorstehen, falls Regenfälle über längere Zeit anhalten.
jüngtem Personal, das mit heiligem Feuer für bessere Wettervor- Oder irgendwas dazwischen.
hersagen brennt. Etwas, worauf der Bundesverkehrsminister stolz So viel Binse war selten, und leider kann die Wissenschaft
sein kann. Ausgerechnet DWD-Experten, die öffentliche Stellung- auch (noch) nicht weiterhelfen: Niemand weiß heute, wie der
nahmen gern einmal zu viel als zu wenig abwägen, wurden nun Sommer wird. Dass ein Dürresommer wahrscheinlicher ist als
zum Urheber von Fake News – ohne etwas dafür zu können. andere Szenarien, ist aus heutiger Sicht gelogen. Das scheint
Das Drama begann mit einer unschuldigen DWD-Pressemittei- aber kaum jemanden zu interessieren. Zwar gab es ein paar
lung. In dieser wurde korrekt angemerkt, dass es sehr unpraktisch schüchterne Rückzugsbemühungen wie durch den WDR: »Leider
wäre, wenn es erneut einen trockenen Sommer gäbe, weil schon haben wir die Aussage des DWD zu sehr zugespitzt.« Von sol-
der letzte Sommer zu trocken war und vor allem im Osten der chen Ausnahmen abgesehen, stürmte die Medienkarawane los
Republik auch im Winter nicht genügend Regen zur Regeneration und zeichnete ein Weltuntergangsszenario, für das es nicht den
der Bodenfeuchte gefallen sei. So weit, so richtig. Der für Deutsch- Hauch einer Basis gab. Angeführt wie immer durch »Bild« mit
land zuständigen Presseagentur war das Ganze aber zu beamtig, der Lüge, dass »Meteorologen sicher« seien, ein neuer »Sahara-
und so wurde der zurückhaltende Text zu »Meteorologen warnen: Sommer mit Mega-Dürre« stehe bevor. Dass Medien natur-
Deutschland droht weiterer Dürresommer« umgedichtet. wissenschaftliche Sachverhalte frei erfinden, weil es »gut klickt«,
Der Furor horrorverliebter Medien war nicht mehr aufzuhalten. ist eine beunruhigende Entwicklung. Regen würde helfen.
Kaum jemand nahm die Korrektur zur Kenntnis, dass der DWD
keine Vorhersage machte, sondern nur ausgemalt hat, was passieren Der Meteorologe ist Kolumnist auf SPIEGEL PLUS und Leiter des Wetterportals
könnte, »falls die Trockenheit in den nächsten Monaten anhält«. Kachelmannwetter.com.
87
Wissenschaft
M
anchmal reichen Hansjörg der »New York Times«, eine Milliarde Dol- industrien« rückten immer weiter in die
Wyss ein Dinner mit gutem lar für den Naturschutz spenden zu wollen. Wildnis vor.
Wein und der Blick auf Artenschützer waren elektrisiert. Und Ziel müsse es deshalb sein, bis 2030
zackige Berggipfel im Abend- so kühn und unglaublich klingt das Ver- weltweit 30 Prozent der Ozean- und Land-
rot, um ein paar Millionen zu ver- sprechen, dass es sofort Fragen aufwirft: fläche unter Schutz zu stellen – mehr als
schenken. Wie tickt ein Mann, der seinen mär- doppelt so viel wie bislang. »Ich glaube,
An den Holland Lake war der Schwei- chenhaften Reichtum für dichten Dschun- dass dieses ehrgeizige Ziel erreichbar ist«,
zer eingeladen worden, einen See mitten gel, glitzernde Bergseen und bunte Ko- notierte Wyss, der seit Jahrzehnten für
in der Waldwildnis der Rocky Mountains. rallenriffe einsetzen will? Und: Lässt sich Naturschutzprojekte spendet. Er habe ge-
Max Baucus, Senator des US-Bundes- so viel Geld mit Umsicht für Naturschutz sehen, »was möglich ist«.
staats Montana, war aus Washington an- ausgeben? Wer Wyss treffen will, braucht zunächst
gereist. Mit ihm kam der prominente Mo- »Wir müssen den Planeten retten«, be- Geduld. Der Milliardär verteilt seinen
derator David Letterman. Auch Montanas gründete Wyss sein Vorhaben. Pflanzen- Reichtum lieber im Stillen. Zugleich ist
Gouverneur und Vertreter der US-Natur- und Tierarten würden heute »1000-mal sein Kalender prall gefüllt. Wyss lebt mit
schutzorganisation Nature Conservancy schneller verschwinden als vor der An- seiner Partnerin, der Psychotherapeutin
saßen am Tisch. kunft des Menschen auf der Weltbühne«; und Malerin Rosamund Zander, auf einer
»Sie rollten eine Karte der Region aus«, der Klimawandel lasse überall auf der Erde Ranch im US-Bundesstaat Wyoming.
so Wyss über das Treffen 2008, »dann er- »natürliche Systeme kippen«; »Rohstoff- Meistens aber ist er unterwegs, um mit sei-
klärten sie mir den größten Na- nem Geld die Schöpfung zu be-
turschutz-Land-Deal in der Ge- wahren.
schichte Amerikas.« Heute zum Beispiel muss er
125 000 Hektar Wildnis, so sich in der Schweiz um seine Stif-
berichtete ihm die Runde, wolle tung kümmern. Gut gelaunt und
man der Plum Creek Timber braun gebrannt erscheint Wyss
Company abkaufen, um das am vereinbarten Treffpunkt in der
noch weitgehend unberührte Bahnhofshalle des Örtchens Nyon
Swan Valley vor den Holzfällern unweit von Genf. Im Audi geht
zu bewahren. Vereint mit be- es hinunter zu einer Villa direkt
nachbarten Wildnisregionen am Genfer See. Wyss kocht Kaf-
ließe sich eines der größten fee, hat Croissants mitgebracht.
Schutzgebiete der USA erschaf- Er komme gerade aus der Ka-
fen – »größer als Yellowstone«. ribik, berichtet er, ein kleiner,
500 Millionen Dollar würde unauffälliger Mann in grauer
der Landkauf kosten; 100 Mil- Steppjacke. Davor sei er in den
lionen davon müssten Privat- USA Ski gelaufen. Am nächsten
leute geben. Tag wolle er eine der ältesten
Ob Wyss Interesse habe? Whiskybrennereien der Welt
»Ich bat mir Bedenkzeit aus kaufen – »eine Idee, die beim
bis zum nächsten Morgen; als Bier mit einem Freund entstan-
ich zum Frühstück herunterkam, den ist«, sagt er.
sahen mich alle erwartungsvoll Wenn ihm etwas gefällt, dann
an«, so Wyss. Die Summe, die entscheidet Wyss schnell, viel-
er schließlich für das Montana leicht eines der Geheimnisse
SEBASTIEN AGNETTI / DER SPIEGEL
88
Beispiele
bisheriger Spenden
BLICKWINKEL / IMAGO
den Haushalt. Die Familie lebt zur Miete Gleichzeitig jagt er auf Skiern die Berge kanische Vertreiber der Medizinaltechnik.
in einem Haus mit sechs Parteien. Viel hinab, spielt Fußball. Nach dem Schulab- In kurzer Zeit gelingt es Wyss, den Umsatz
Geld ist nicht da, dafür ein großes Interesse schluss geht Wyss an die ETH Zürich und der Firma zu vervielfachen. Schließlich
an Natur und Politik. wird Bauingenieur. Dann zieht es ihn in verschuldet er sich mit rund 50 Millionen
»Nach dem Essen setzte sich meine Mut- die USA. 1965 schließt er die Harvard Busi- Dollar und kauft Synthes USA. Immer wei-
ter in den Lehnstuhl, zündete sich eine Zi- ness School ab. Eine normale Karriere in ter vergrößert er sein Medizintechnik-Im-
garette an und las Zeitung«, erzählt Wyss. der Wirtschaft beginnt, Wyss arbeitet bei perium. 2012 schließlich verkauft er Syn-
Dann wurde »die Weltlage« diskutiert. So Chrysler, beim Textilhersteller Burlington, thes an die US-Firma Johnson & Johnson –
erinnert er sich an die Landung der Alli- schließlich in der Textilfaserherstellung ein Milliardendeal.
ierten in der Normandie, an die Bombar- von Monsanto. »Forbes« schätzt sein Vermögen auf
dierung von Schaffhausen 1944 oder an Dann kommt es zu einer Zufallsbekannt- 5,9 Milliarden Dollar, und Wyss wider-
die »Rationierungen« – und wie er mit der schaft, die sein Leben verändern wird. spricht nicht. Ein bisschen scheint er selbst
Mutter in abgeerntete Weizenfelder ging, Wyss ist begeisterter Pilot. In seiner Frei- überrascht über seinen Reichtum.
um die letzten Ähren aufzulesen. »Die zeit verkauft er amerikanische Privatflug- »Wenn ich jetzt mit dir hier bin, fühle
brachten wir in die Mühle und bekamen zeuge, die er persönlich über den Atlantik ich mich nicht reich«, sagt Wyss, der ähn-
etwas Mehl dafür.« zu den neuen Besitzern fliegt. Einer der Kun- lich schnell zwischen dem Du und dem Sie
Und immer wieder Naturerlebnisse. den ist der Basler Chirurg Martin Allgöwer. hin- und herspringt wie zwischen Schwei-
»Anstatt Karriere zu machen, ging mein Mit anderen schweizerischen Medizi- zerdeutsch und Englisch. »Mein Monats-
Vater lieber mit uns ins Grüne, jedes nern hat Allgöwer eine neue Methode budget ist nicht höher als vor 30 Jahren.«
Wochenende waren wir zu Fuß oder mit entwickelt, Knochenbrüche zu behandeln. Oder: »Ich sage zu meiner Lebensgefähr-
dem Rad unterwegs«, sagt Wyss. Schon Die Ärzte fügen die Knochen direkt im tin, you know that’s too expensive, wenn
damals erkennt der junge Hansjörg, wie OP-Saal wieder zusammen. »Sie benutz- etwas 45 Dollar kostet!«
die Bauern »noch jeden Quadratmeter ten nur eine Platte und vier Schrauben«, Das klingt wie Koketterie und wirkt
bebauen wollten«, wie Sträucher und sagt Wyss, »aber den US-Chirurgen waren doch gleichzeitig authentisch. Wyss ist ge-
Bäume abgeholzt und alte Bäche »gerade sie damit zehn Jahre voraus.« lebtes Understatement. In den USA fährt
gemacht« wurden, »eine furchtbare Er lässt sich überreden, das US-Geschäft er den Hybridwagen Prius von Toyota
Dummheit«. zu übernehmen. Synthes heißt der ameri- (»das Auto nutzt die kinetische Energie
90
auch in Ländern wie den USA kann Wyss
37 Mio. $
für Projekte
mit seinem Reichtum Politik machen.
Offiziell mag er sich dort als schweize-
rischer Staatsbürger nicht einmischen.
in den Karpaten Doch in den Rocky Mountains beispiels-
weise hat die Wyss-Stiftung zwei Öl- und
Gasförderfirmen die Nutzungsrechte ab-
gekauft, um die dortige Wildnis zu schüt-
zen – ein Affront gegen die Politik von
US-Präsident Donald Trump, der manche
Nationalmonumente des Landes um über
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von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrags verlangen. Es gelten dabei die mit meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen.
Technik
Kranker
Vor allem aber muss sich der Flugzeug- ne wirkliche Aufsicht auf Flugzeugherstel-
bauer des Verdachts erwehren, mit der ler ausübt. Zu großen Teilen zertifizierten
737 Max aus Profitgier eine lebensgefähr- diese sich selbst – was bei Boeing mög-
Vogel
liche Fehlkonstruktion fahrlässig auf den licherweise zu einem langsamen Zerfall
Markt gebracht zu haben. In bestimmten, der Sicherheitskultur geführt hat.
seltenen Fluglagen neigt die 737 Max dazu, Darauf deuten zumindest weitere Pro-
die Nase gefährlich steil nach oben zu zie- bleme hin, unter denen der Konzern der-
Luftfahrt Boeing will die weltweit hen. Um das zu verhindern, hat Boeing zeit leidet. Die US-Luftwaffe hat kürzlich
stillgelegte 737 Max mit einem ein technisches Flickwerk ersonnen, eine die Annahme weiterer Tankflugzeuge
geisterhafte Software namens MCAS vom Typ KC-46A verweigert. Boeing hat-
Software-Update wieder an den (»Maneuvering Characteristics Augmenta- te sie zu schlampig gebaut. Bei Inspektio-
Start bringen. Aber wird die tion System«). Permanent prüft ein Rech- nen in Hohlräumen fanden sich vergessene
Maschine dadurch wirklich sicher? ner den Anstellwinkel der Maschine. Soll- Werkzeuge, Schrauben oder Müll.
te dieser riskante Werte annehmen, senkt Von ähnlichen Missständen beim
der Computer die Nase ab, das Flugzeug »Dreamliner« berichtet die »New York
95
Wissenschaft
Bevor es knallt
nen (Bagso) in Bonn warnt davor, dass die-
se Überforderung in Gewalt umschlagen
könne. In psychische, wenn man einander
anschreit, wenn man droht, wegsperrt.
Aber auch in körperliche, wenn Betroffene
Psychologie Viele ältere Menschen, die zu Hause ihren Partner, ihre geschüttelt, getreten oder fixiert werden.
Mutter, ihren Vater pflegen, geraten ans Ende ihrer Kräfte. Dann Doch niemand spreche gern darüber,
kann es passieren, dass sie um sich schlagen, nicht nur verbal. Was hilft? dass auch die Helfer manchmal nicht mehr
können – und welche Folgen dies für die
Menschen in ihrer Obhut hat. Wie aber
96
»EINES DER
walt – wer zu Hause allein pflegt, ist ir-
gendwann davon betroffen.«
Im Januar erst suchte eine Frau Hilfe
fenes Ohr für diese Art von Problemen
hat. Wer allzu forsch kontrolliere, riskiere
einen schlechten Ruf und damit bares
BESTEN
bei ihr, die erzählte, sie habe ihrer Mutter,
die im Rollstuhl sitzt, zu Weihnachten
Geld.
Als häufigste Art von Gewalt erlebt sie,
WIRTSCHAFTS-
unter großen Mühen ein Festmahl zu- dass Pflegende ihre Angehörigen im Zim-
bereitet. Doch die Mutter weigerte sich, mer einsperren oder in Betten, an Stühlen BÜCHER DER
davon zu essen. Die Nerven lagen blank.
Schließlich habe die Tochter geschrien
und den Rollstuhl mit Gewalt an den Ess-
fixieren. Ihnen Essen oder Getränke mit
Gewalt verabreichen. Oft geschehe all das
nicht einmal aus bösem Willen, sondern
JÜNGEREN ZEIT. «
tisch gedrückt. »Die Frau hat sich furcht- aus Sorge und im Bemühen, den Alltag ir- MANAGER MAGA ZIN
bar geschämt und geweint«, sagt Tam- gendwie zu bewältigen. »Da ist eine Mi-
men-Parr. Wem da die Schuld geben? schung aus Unwissen und Überforderung
Sie weiß, dass die Pflegenden sich oft im Spiel«, sagt Herder.
mit viel Elan und Hilfsbereitschaft in ihre Wissenschaftliche Studien in Deutsch-
neue Aufgabe stürzen. »Aber so eine Pfle- land zur Gewalt in der häuslichen Pflege
ge kann sechs, acht, zehn Jahre oder länger gibt es kaum. Die Stiftung »Zentrum für
dauern«, sagt Tammen-Parr. »Das sind Qualität in der Pflege« in Berlin befragte
Zeiträume, die kann man nicht realistisch 2018 mehr als tausend Pflegende. Über
überblicken.« Tammen-Parr beriet schon ein Viertel gab an, häufig wütend oder ver-
eine 72-Jährige, die ihre 95-jährige Mutter ärgert zu sein. Mehr als die Hälfte der pfle-
pflegte. »Natürlich fragt die sich irgend- genden Angehörigen hatte den Eindruck,
wann: Warum stirbt sie denn nicht?« dass der Mensch, um den man sich küm-
»Auch wenn alle Beteiligten in guter mere, die Hilfe nicht zu schätzen wisse.
Absicht handeln, kann es zu Gewalt kom- Und ein Viertel gab an, die zu pflegende
men«, sagt Lena Dorin. Sie Person gelegentlich oder oft
vertritt bei der Bagso die In- »vor Wut schütteln« zu
teressen von Pflegebedürf-
Am Limit wollen. Zwölf Prozent be-
tigen und deren Angehöri- Umfrage unter zu Hause richten von körperlicher Ge-
pflegenden Angehörigen
gen. Sich selbst immer im walt, und fast ein Drittel der
Griff zu haben könne eine Befragten gesteht ein, psy-
Weile gut gehen. Doch bei
vielen Pflegenden staue sich
48,7% chische Gewalt angewendet
zu haben.
mit der Zeit Stress und Frus- der pflegenden Angehörigen Dass man hin und wieder
tration auf. waren Ende 2017 von laut werde, findet Tammen-
psychischen Leiden
Wenn Dorin von Gewalt betroffen. Parr verständlich. »Aber
spricht, meint sie nicht nur wer als Pflegender morgens
die körperliche. Die blauen
Flecken am Arm, die Pfle- 6,6% schon mit Wut im Bauch
aufwacht, bei wem sich das
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gedienste oder Hausärzte der Angehörigen durch den ganzen Tag zieht, Auch als E-Book erhältlich
immer mal wieder feststel- wollten 2018 diese Aufgabe und wer nicht weiß, wohin
len. Die vom Schütteln oder nur mit zusätzlicher Hilfe damit, der muss dringend
Anpacken stammen. »Uns fortsetzen. mal mit jemandem spre- Sie galt als der weibliche Steve Jobs.
geht es auch ums Ignorie- chen«, sagt sie. In Berlin bie-
ren, ums Türzumachen und
Quelle: Barmer Pflegereport 2018,
179 134 Befragte tet die Sozialpädagogin eine Mit ihrem milliardenschweren
Alleinlassen in schwierigen Selbsthilfegruppe und Tele- Start-up Theranos wollte Elizabeth
Situationen.« fonberatung an. Doch nicht
Manchmal finde die Pflege wie abge- in allen Städten und Kommunen sind sol-
Holmes die Medizinindustrie
schottet von der Außenwelt statt. »Wir che Angebote selbstverständlich. revolutionieren: Ein einziger Tropfen
können nicht wissen, ob noch ein Ver- Wer ausschließlich Pflegegeld erhält, sollte reichen, um Blutbilder zu
wandter, Freund oder Nachbar sieht, wie dem wird zwar mindestens zweimal im
es dem Betroffenen geht«, erzählt Dorin. Jahr ein Beratungsbesuch von einem Pfle- erstellen. Doch die Technologie
Sie schätzt, dass die wenigsten Fälle von gedienst abgestattet. »Aber wer traut sich hinter den schicken Apparaturen hat
Gewalt ans Licht kommen, das meiste ge- schon, seine Sorgen und Nöte zu schildern,
schehe im Verborgenen. Aus ihrer Sicht wenn von dem Besuch auch abhängt, ob nie funktioniert. Pulitzer-Preisträger
werde oft zu spät Hilfe geholt oder ein einem das Pflegegeld gekürzt wird?«, fragt John Carreyrou kam diesem giganti-
Pflegedienst hinzugezogen. Lena Dorin von der Bagso.
Karoline Herder, deren Namen auf Sie fordert eine deutschlandweite Bera-
schen Betrug auf die Spur und erzählt
ihren Wunsch geändert ist, arbeitet seit tung, die nicht an Kontrollen gebunden ist. in seinem mehrfach ausgezeichneten
2002 als Pflegefachkraft in Hamburg. Sie Dorin weiß, dass das helfen könnte. So Bestseller die packende Geschichte
hat über die Jahre vom Anschreien übers werden in den Niederlanden Betroffenen,
Drohen und Handgreiflichwerden bis die mit einer Pflege beginnen, von der seiner Enthüllung.
hin zum Einsperren alles erlebt. Herder Kommune so schnell wie möglich Helfer
sagt: »Solange man niemanden in fla- zur Seite gestellt. »Man kann dann von
granti ertappt, ist es schwer, strafrechtlich Anfang an alles in die richtigen Bahnen
zu intervenieren.« Herder weiß aber lenken«, sagt Dorin. Kerstin Kullmann
auch, dass nicht jeder Pflegedienst ein of-
SCHWEIZERISCHES LITERATURARCHIV
SCHWEIZERISCHES LITERATURARCHIV
Klaus und Erika Mann im französischen Le Lavandou 1933
Kino und Liv und davon, wie Gewalt nachwirkt, mitten in die inneren Konflikte des Paares
Wohin mit dem Schmerz? welche zerstörerische Kraft sie entfalten hinein. Was wollen sie? Gerechtigkeit?
kann. Als Malte (Maximilian Brückner) Rache? Alles vergessen? Die Beziehung
Eigentlich haben sie diesen Abend auf in Deutschland in einem Imbiss zufällig der beiden, die durch die Gewalttat nur
Mallorca, an dem sie von drei Jugendli- den Täter erkennt, der ihn auf Mallorca scheinbar gestärkt wurde, droht zu zerbre-
chen überfallen wurden, hinter sich gelas- zusammengeschlagen und seine Ehefrau chen. Regisseur Sven Taddicken zeigt eine
sen, dachten sie. Doch plötzlich kehrt die Liv (Luise Heyer) vor seinen Augen verge- Welt, in der alles sortiert anmutet, Miets-
Erinnerung mit ungeahnter Wucht zurück. waltigt hat, sind Angst, Ohnmacht und häuser, Spielplätze, Schulen. Und er zeigt
Das Ehe- und Rachedrama »Das schönste Wut wieder da. Die beiden großartigen sehr genau, wie diese Ordnung durch
Paar« (Start: 2. Mai) erzählt von Malte Hauptdarsteller ziehen den Zuschauer archaische Gefühle erschüttert wird. LOB
aufnahme unzureichend
behandelt wurde, da sie An dieser Stelle schreiben Elke Schmitter und
keine Versicherung nach- Ocasio-Cortez Nils Minkmar und im Wechsel.
99
Gemälde
»Salvator Mundi«,
wahrscheinlich
zu Teilen von
Leonardo,
wohl nach 1510
AKG-IMAGES
UNHEIMLICH
MODERN
G e n i e s Vor 500 Jahren starb Leonardo da Vinci,
Maler, Anatom, Erfinder. Er vereinte alle
Eigenschaften in sich, die einen heutigen
Menschen ausmachen. Er war innovativ,
ökologisch, individualistisch – und doch viel
mutiger und freier, als wir es sind.
Von Ulrike Knöfel
101
TITEL
I
n den Uffizien von Florenz, in die- celli, Michelangelo. Doch Leonardo, der
sem prächtigen Museum, und dort hier zum Maler wurde, ist wahrscheinlich
im Vorzimmer des Direktors war- DER GEGENDENKER der wichtigste von allen, mit der »Mona
tet an einem Morgen im Januar Lisa« jedenfalls hat er das berühmteste Ge-
2019 ein Mann auf die Polizei. Er Leonardo da Vinci hielt sich nicht mälde der Welt geschaffen. Mit dem, was
trägt Seitenscheitel, Schal, Adidas-Turn- an die Autorität des Überlieferten, er tat, bringt er heute noch viele um den
schuhe, einen Rucksack mit Kittel, Einweg- nicht an die Glaubenssätze der Verstand. Es gibt Kunsthistoriker, die auf
handschuhen und Mundschutz darin, in Bibel, er beschwor die Bedeutung alten Blättern und Tafeln sogar nach Fin-
der Hand hält er einen speziell gesicherten der eigenen Anschauung. gerabdrücken und DNA-Spuren fahnden
Koffer aus Aluminium. Darin verschlossen lassen.
ist ein einziges Blatt, das die Inventarnum- Da Vinci starb am 2. Mai 1519, also vor
mer »8P« trägt, eine Federzeichnung von 500 Jahren. Die Welt hat das Jahr 2019
Leonardo da Vinci. zum »Leonardo-Jahr« ausgerufen, es wird
reden, sie wirken wie Forensiker im Ge- zu erfahren. Und er erkannte, dass die
spräch über einen außergewöhnlichen Welt mit jeder Entdeckung eine andere zu
Fall. Dahinter die beiden Carabinieri, die, werden scheint.
bevor sie sich dann verabschieden, ihre Der Mann habe einen »geradezu phä-
Polizeiwesten anziehen. Sie möchten ein nomenalen Mut zum Gegendenken«
Foto von sich und diesem Stück Papier. gehabt, sagt der Historiker Volker Rein-
Sie sehen ernsthaft aus und stolz. hardt. Für ihn, der eine Biografie über den
MUSEI REALI DI TORINO / BRIDGEMAN IMAGES
Wenn die Arbeit hier getan ist, wenn je- Studie für eine Luftschraube, Künstler verfasst hat, gibt es »wohl kaum
des Molekül aus seinem Versteck heraus- 1487 bis 1490 einen zweiten Menschen in der Geschich-
geholt wurde, soll das Blatt auf eine Reise te, der sich so weit vom herrschenden
gehen, nach Vinci, in die Gegend, in der Leo- Weltbild entfernt hat«. Allein das macht
nardo aufwuchs. Es wird dort ausgestellt ihn zu einem Orientierungspunkt, auch
werden. Und im besten Falle ergibt die Un- für unsere Gegenwart, in der vielen nichts
RECHTS
tersuchung vorab neue Antworten auf die so nahe ist wie das »thinking outside of
Mögliches Selbstporträt Leonardos,
Frage: Wer war Leonardo da Vinci? the box«.
Rötelzeichnung, etwa 1510 bis 1515
Florenz hat viele bedeutende Künstler »Disruption« ist der zugehörige Begriff,
hervorgebracht, Giotto, Donatello, Botti- und er meint heute: mit neuen Ideen die
Welt umschmeißen. Leonardo hat Ideen merhin verdankt dieses Museum seine Be-
entwickelt, die vor ihm keiner entwickelt sucherrekorde nicht zuletzt der Anzie-
hatte, er hat gedacht, was undenkbar ge- DER NATURALIST hungskraft der »Mona Lisa«. 2018 kamen
wesen war. Dieser Leonardo, der Renais- erstmals mehr als zehn Millionen Besu-
sancekünstler, hat also mit Disruption be- Der Maler sah die Natur, wie cher, viele von ihnen junge Menschen. Im
gonnen, Jahrhunderte bevor es das Silicon sie vor ihm keiner wahrgenommen nächtlichen Louvre ist das aufsehenerre-
Valley gab. Er war, wenn man so will, hatte, als Wunder, als eine gendste Musikvideo des Jahres gedreht
Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Elon Musk Ansammlung wichtiger Rätsel, worden, es gab darin zwei Nebendarsteller,
und Larry Page in einer Person – nein, die es zu lösen galt. die amerikanischen Popikone Beyoncé so-
falsch, sie wären gern so, wie er es war. Al- wie ihren Mann Jay-Z, und eine Haupt-
lerdings war er als Unternehmer unbegabt darstellerin, »Mona Lisa«.
und blieb sein ganzes Leben lang auf rei- Das Porträt dieser geheimnisvollen Flo-
che Förderer angewiesen. rentinerin mag auch ein Fluch sein, weil
Da ist aber der Künstler, über die Ma- alles, was sonst noch zu Leonardos Schaf-
ler, Ingenieur und Architekten verloren und laden. Offenbar erschien dem jungen Leo-
ebenso, wie er meinte, einen Philosophen. nardo eine ihm vertraute Natur plötzlich
BPK / SCALA
Der Leichnam sollte in einer Schlosskapel- wie ein Rätsel, irgendetwas hat seine
le begraben werden, in drei Kirchen waren Wahrnehmung geschärft – und so fing al-
Hochämter zu feiern und Messen zu lesen. les an.
Leonardo, der mit seinem Wissensfuror Blütenstudien, um 1481 bis 1483 Diese Skizze wurde von seiner toska-
vielleicht ein Ketzer geworden war, hatte nischen Heimat inspiriert, von dem Tal,
es überraschenderweise selbst so gewollt. durch das der Arno fließt. Zu sehen sind
Dass sich sein Todestag im Mai dieses Hügel, Felsen, Felder, ein Fluss, ein Was-
Jahres zum 500. Mal jährt, ist für viele LI NKS serfall, eine Befestigung, der Künstler
Verlage und Museen in halb Europa ein Ausschnitt aus »Verkündigung an Ma- nutzte eine Feder und bräunliche Tinte.
Anlass, ihn mit Büchern und Ausstellun- ria«, wohl mit einem Lehrer Leonardos Am oberen Rand notierte er ein Datum,
gen zu würdigen. Der Louvre in Paris rich- zusammen gemalt, etwa 1473 bis 1475 den 5. August 1473, er war 21 Jahre alt.
tet im Herbst die größte Schau aus. Im- Diese eigenhändige Datierung ist unge-
wöhnlich, das Blatt muss ihm wichtig ge- die er anfertigte, außerdem seine Notizen,
wesen sein. seine Manuskripte. Der Maler, ein Links-
Landschaften zählten nicht viel unter DER ANATOM händer, beschriftete Blatt um Blatt in der
den Malern des 15. Jahrhunderts, die Ab- für ihn typischen Spiegelschrift, ergänzte
bildung der Natur war bestenfalls etwas Es sei Furcht einflößend, schrieb sie mit Skizzen, ein paar Tausend Seiten
für den Hintergrund der eigentlichen, Leonardo, die Nächte in sind der Wissenschaft bekannt. Manchmal
meist biblischen Motive. Leonardo aber Gesellschaft von Gevierteilten zu klingt es so, als stellte er sich selbst Aufga-
sprach von der »natürlichen Schönheit der verbringen – aber er erhielt ben, »beschreibe, wie sich die Wolken zu-
Welt« und wollte sie ergründen. Eike so Einblicke in die Anatomie. sammensetzen und wie sie sich auflösen«,
Schmidt, der deutsche Direktor der Uffi- »beschreibe den Kiefer des Krokodils«
zien, betont, der Maler sei »wirklich dem oder »definiere als Erstes die Bewegung
Ruf der Natur gefolgt«. Er habe ein fast des Windes«.
chensäge mit feinen Zähnen, außerdem Hinweise auf seinen Alltag. Da ließ diese
Zangen und Meißel. Und er erwähnte, wie Jahrtausendfigur die »kurzen Stiefel be-
Furcht einflößend es auch sein könne, sohlen«, notierte, welche Speisen zu be-
»Nächte in Gesellschaft von gevierteilten sorgen waren, an welchen Plätzen er seine
und zerschnittenen Toten zu verbringen, Münzen versteckte, 17 Doppeldukaten
die schrecklich anzuschauen sind«. Gehirn- Darstellung eines Geschlechtsakts, etwa »in weißem Papier in der entgegen-
ventrikel goss er mit Wachs aus, er wollte etwa 1490 bis 1493 gesetzten Ecke über den Eisenringen«.
ihre Formung sehen, verstehen. Diesen Alltag begleitete seit 1490 sein
All das erschien ihm notwendig, weil er Lehrjunge und späterer Diener Salai, von
für die komplexen Theorien, die er ent- dem die Forschung annimmt, er sei eine
wickelte, Belege finden wollte. RECHTS Lebensliebe für den Maler gewesen – wo-
BRIDGEMAN IMAGES
Er betrachtete sich als Schüler und wur- Anatomische Studien der bei Leonardo durchaus auch vermerkte,
de sein eigener Lehrer, produzierte sein Schulter- und Armmuskulatur, dass Salai ihm Geld stahl.
Lehrmaterial. Davon zeugen die wissen- etwa 1509 bis 1510 Jeder Biograf deutet solche privaten
schaftlichen und technischen Zeichnungen, Schnipsel anders, jeder erkennt einen an-
deren Charakter dahinter. Fast scheint es vermerkt wurde: Ausgerechnet eine ano-
in der Geschichtsschreibung mehr Leonar- nym erfolgte Anzeige ist eines der wenigen
dos gegeben zu haben als Gemälde von DER DETAILFREAK erhaltenen Dokumente, die sein privates
ihm. Die Experten streiten sich, ob man Leben berühren. Sie war ins »Loch« gewor-
ihm 15, 18 oder 19 zuschreiben darf. Mit Das bewundern viele Kunstkenner an fen worden, einen Briefkasten, den jeder
Sicherheit lässt sich feststellen, dass ihn diesem Renaissancemaler: seine für Bezichtigungen nutzen konnte. Leonar-
seine Leidenschaft höher trug, als es ein Fähigkeit, vermeintliche Kleinigkeiten do und drei weiteren Männern wurde vor-
Fluggerät vermocht hätte. ernst zu nehmen, ein Lächeln, geworfen, für die Liebesdienste, »Schänd-
eine Gewandfalte, eine Haarlocke. lichkeiten«, eines Jacopo bezahlt zu haben.
Ein Morgen in Vinci, der kleine Ort im Leonardo scheint deshalb keine größe-
hügeligen Umland von Florenz scheint vor ren Nachteile gehabt zu haben, schließlich
allem aus Ausblicken zu bestehen. Die Ber- verhalf ihm sein Vater zu größeren Aufträ-
ge in der Ferne verlieren sich in einem gen. Doch der Sohn nahm die Arbeit da-
Blaugrau, wie es Leonardo auf Gemälden ran gar nicht erst auf oder ließ die Bilder
wiederzugeben wusste. unvollendet. Man hielt ihn bald für unzu-
In der Nähe Vincis kam er am 15. April verlässig.
1452 zur Welt, unehelich, er wuchs dort Für das heutige Publikum ist es viel-
wohl bei den Eltern seines Vaters auf. Viel leicht ein Glücksfall, dass er eine Szene
weiß man nicht über seine ersten Jahre. mit der Anbetung des Christuskindes
BRIDGEMAN IMAGES
Unklar ist etwa, ob sein Vater Piero, ein durch die Könige aus dem Morgenland
erfolgreicher Notar in Florenz, ihn wegen nicht fertig malte, mit der ihn die Augusti-
des Makels der unehelichen Geburt nicht nermönche 1481 in Florenz beauftragt hat-
auf die Universität schickte und nur ein ten. Wer die Tafel in den Uffizien vor sich
Handwerk erlernen ließ, denn als ein hat, darf sich einbilden, ihm bei der Arbeit
solches galt die Malerei seinerzeit. Leo- Kopfstudie zum Gemälde der »Leda«, zuzusehen, jeder Strich wirkt frisch, wie
nardo bezeichnete sich später selbst als um 1505 gerade übers grundierte Holz gezogen. Al-
Mann ohne Bildung, ohne »lateini- lein mit dieser Unterzeichnung ließ
sche Gelehrsamkeit«. er eine atmende Welt entstehen.
sance, die ja eine neue Antike heraufbe- für damalige Künstler nicht unübliche Tä-
schwören wollte. Denn das war die Renais- tigkeit, er aber war besonders einfallsreich,
sance: der Versuch, sich über den Bezug konstruierte Apparate zur Unterhaltung,
zur Antike neu zu erfinden. Man wollte, darunter einen Blechritter, der mit Fla-
auch intellektuell, auf der Höhe der alten schenzügen bewegt wurde.
OPERA LABORATORI FIORENTINI / GALLERIA DEGLI UFFIZI
Zeit sein. Vor allem Botticellis »Venus«, Wie nebenbei wurde er zum Gelehrten,
die nackt auf einer Muschel steht, ist ein der von anderen Gelehrten respektiert wur-
Sinnbild für das geistige Klima – und wie Figurenstudie zum Wandgemälde de. Leonardo legte Manuskripte an, über
es sich erotisch aufbereiten ließ. »Das Abendmahl«, um 1495 die Malerei, über Gewichte, über die Ana-
Überhaupt war die Konkurrenz enorm. tomie. Er setzte sich mit den Angaben des
Dennoch scheint es der junge Leonardo antiken Architekten Vitruv zum »wohlge-
nicht eilig gehabt zu haben, seinen Weg formten Menschen« auseinander, vermaß
zu finden. verschiedene Männer aber lieber selbst
LI NKS
Lange wohnte er im Haushalt seines und schuf seine – heute so berühmte – Dar-
»Anbetung der Heiligen
einstigen Lehrmeisters Andrea del Ver- stellung des »vitruvianischen Menschen«.
Drei Könige«, etwa 1481 bis 1482
rocchio, jedenfalls tat er das mit knapp Nur Kunst im klassischen Sinn, die
24 Jahren, als sein Name in Gerichtsakten machte er wenig. Ein Reiterdenkmal konn-
te nicht vollendet werden, weil der Fürst Aber als Stars galten in Rom ohnehin
das Metall zum Bau von Kanonen ab- andere. Michelangelo, 23 Jahre jünger, hat-
zweigte. Leonardo da Vinci begann weni- DER KRIEGSFANTAST te im Vorjahr die Bemalung der Decke in
ge Bilder, aber was er hinterließ, war he- der Sixtinischen Kapelle fertiggestellt. Er
rausragend. Einer Geliebten Ludovico Der Realist Leonardo wurde zum und der noch jüngere Raffael erhielten grö-
Sforzas beispielsweise gestand er auf Surrealisten, wenn es um ßere Aufträge, bessere Honorare.
einem Porträt eine ungeheure Präsenz zu Waffen ging. Manche Zeichnung 1516 starb Leonardos Förderer, der Bru-
und, noch auffallender, eine große Natür- diente wohl auch der der des Medici-Papstes Leo X., und es wird
lichkeit. Auf ihrem Arm ein Hermelin, so Unterhaltung seiner Dienstherren. Leonardo wie eine Rettung erschienen
lebensnah auch dieses Tier. sein, dass der französische König ihn in
In einem Dominikanerkloster malte er sein Land holte. Ideen für hydraulische
an die Wand eines Speisesaals seine Ver- Maschinen skizzierte er fortan auf franzö-
sion des »Letzten Abendmahls«. Er ent- sisches Papier, er stattete wieder höfische
schied sich ausgerechnet für den Moment, Feste aus, ließ Tücher spannen, Hunderte
in dem Jesus den Verrat durch einen seiner Fackeln leuchten – doch vor allem sollte
Jünger ankündigte. Judas platzierte er nicht er intellektuellen Glanz mitbringen.
wie üblich außerhalb der Gruppe der Apos-
BRIDGEMAN IMAGES
tel, auf der anderen Seite des Tisches, son- In unserer Gegenwart, sagt der Hambur-
dern reihte ihn – ein Novum – unter die ger Kunsthistoriker Frank Fehrenbach, las-
anderen Jünger ein. Als würde er unterstel- se sich ein »Nice to know«-Wissen feststel-
len, jeder von ihnen sei zum Verrat fähig. len, eine »frei flottierende Neugier«, jeder
Eigentlich hätte das Bild schockieren interessiere sich für alles und für nichts
müssen, Ludovico Sforza ärgerte sich aber Entwurf für eine Riesenarmbrust, um 1485 wirklich. Bei Leonardo hingegen sei die
nur über Gerüchte, sein Künstler Neugier eine Urgewalt gewesen.
lasse sich kaum im Kloster blicken. Dazu habe gehört, dass er Prioritä-
Der ungeduldige Herrscher forder- ten gesetzt habe, dass er einige Ge-
te, dass der Florentiner schneller biete gepflegt, anderes aber igno-
male, man solle ihn »antreiben«. riert habe. Niemand wisse zum Bei-
fiel das auf, und sie hielten es für wun- ersann auch Neues. Vorrichtungen zum
dersam, wie wichtig ihm seine Studien, Atmen unter Wasser finden sich oder Ni-
seine Experimente waren. Dann ging er velliergeräte, einzusetzen beim Bohren
wieder nach Mailand, zog später, 1513, von Tunneln durch Gestein, auch Maschi-
nach Rom, wo er, nun 61 Jahre alt, in nen, die Nadeln herstellen oder Blech bie-
einem Appartement im Vatikan wohnen gen können, beinahe Unzähliges mehr.
durfte. Er war angekommen im Zentrum Und es wäre kleinlich, nur zu prüfen, wel-
der Macht, an einem Hof, an dem das Ver- Zeitgenössisches Holzmodell nach che eine Realitätsprüfung bestanden hät-
halten allzu irdisch und nur die Pracht einem Panzerentwurf von Leonardo ten. Manche hätten es.
himmlisch war. Alles, auch seine Körperdarstellungen,
Heimisch wurde er nicht. stellt zudem einen Quantensprung im
Ein deutscher Gehilfe, ein Spiegelma- Vergleich zum Bestehenden dar. Für da-
cher, schwärzte ihn bei der Kurie wegen RECHTS malige Ärzte war der menschliche Körper
seiner angeblich gotteslästerlichen Lei- Studie einer Hebevorrichtung ein Mysterium, und keiner von ihnen woll-
BPK / SCALA
chensektionen an. Leonardo war wütend für eine Kanone in einer te es so genau wissen. Leonardo aber er-
über die »Niedertracht dieses deutschen Geschützgießerei, um 1487 forschte das blutige Innere, analysierte
Betrügers«. auch den Menschen wie eine in Einzelteile
zerlegte Maschine, sah Haut, Muskeln, sere Forschungen« – denn das ist das wich-
Sehnen, Adern, Knochen, Organe. Was er tigste Vermächtnis des Genies.
dann skizzierte, wirkte, als wäre es noch DER POPSTAR
warm. Als glaubwürdig in seiner Zeit galt, was
Selbst seine Fehler zeigen, wie viel wei- Der Louvre in Paris verdankt seine in der Bibel stand. Oder zumindest das,
ter er war als seine Zeitgenossen. Warum Beliebtheit auch Leonardos »Mona was ihr nicht widersprach. Manch antike
zeichnete er einen menschlichen Fötus in Lisa«, seine Bilder sind zeitlos Quelle wurde entsprechend umgedeutet,
der Plazenta eines Tieres? Jedenfalls war und rätselhaft genug, um die theologisch passend gemacht (etwa von
der Fötus von einem frappierenden Rea- Menschen bis heute zu bannen. den angesagtesten Intellektuellen der Zeit,
lismus. Und es vergingen tatsächlich Jahr- den Humanisten). An den Universitäten
hunderte, bis andere Wissenschaftler so ging es darum, das Überlieferte, Tradierte
Ähnlich sieht es Eike Schmidt, der lige erscheint. Ebenso rätselhaft sind die
Direktor der Uffizien: Ständig zu wie- Cover für Dan Browns Bestseller Gebirge und Gewässer im Hintergrund,
derholen, dieser Künstler sei seiner Zeit »The Da Vinci Code«, 2003 mit ihnen wollte er laut dem britischen
um 500 Jahre voraus gewesen, reiche Kunsthistoriker Martin Kemp wohl eine
nicht – es werde ihm einfach nicht gerecht. »dynamische Vision vom Körper der alten
»Die Beschäftigung mit ihm sollte eher um Erde« veranschaulichen. Demnach war die-
die Frage gehen, was jemanden in seiner LI NKS ses Gemälde eine Forschungsmitteilung:
Epoche dazu brachte, so weit über jedwe- Siebdruck »Four Mona Lisas« Die Theologen vermuteten damals ein Er-
den Tellerrand hinauszudenken. Und es von Andy Warhol, 1978 dalter von weniger als 6000 Jahren, Leo-
geht darum zu überlegen, was wir heute nardo eines von 200 000 Jahren, vieles sei
davon übernehmen können, auch für un- »sehr viel älter als die Buchstaben«, schrieb
er. Das kam einer Idee von Geschichtlich- Schau. Seit Jahren wird sie vorbereitet,
keit näher – und war noch so ein Wider- der Louvre ist bekannt für seine erstklas-
spruch zu dem, was in der Bibel steht. IN KÜRZE sigen Ausstellungen, mit dem kommenden
Der Historiker Bernd Roeck Ereignis will sich das Museum
schreibt in seiner neuen Leo - selbst übertreffen.
nardo-Biografie, das Weltbild des Von den wenigen Gemälden des
Malers habe »quer zu katho - Künstlers besitzt es die meisten,
lischen Lehren« gestanden. Und allen voran die »Mona Lisa«, aber
sein Kollege Volker Reinhardt es wird sich weitere ausleihen,
spricht sogar von einer nie ge - gern hätte man sogar den umstrit-
bührend erforschten Nichtreli - tenen »Salvator Mundi«. Die Holz-
giosität des Künstlers, von einer tafeln aus den Uffizien erhält man
regelrechten »Frontstellung ge- trotz diplomatischer Anstrengun-
BPK / SCALA
gen die Frömmigkeit«. Belege fin- gen nicht, das Risiko, dass die alten
det er viele. Der Mensch sei in Werke unter dem Transport litten,
Leonardos Schriften beispielswei- sei zu groß, heißt es dort. Doch
se keineswegs die Krone der Fresko »Das Abendmahl«, 1494 bis 1498 gleichgültig, was am Ende in der
Schöpfung gewesen, die Seele nicht un- Schau präsentiert wird: Delieuvin, der Ku-
sterblich. rator, will mit ihr ein Missverständnis kor-
Schon zu Lebzeiten habe der Künstler 15. April 1452 rigieren, das, wie er sagt, die Sicht auf die-
Befremden ausgelöst, betont Reinhardt, Leonardo wird unweit von Vinci (Republik sen Künstler bereits zu dessen Lebzeiten
und auch sein früher Biograf habe 1550 ja Florenz) als unehelicher Sohn eines begleitet habe.
»ketzerische Vorstellungen« erwähnt. angesehenen Notars geboren. Stets seien die Liebhaber und Kenner
Hätte Leonardo zwei Generationen spä- seiner Kunst der Meinung gewesen, er hät-
ter gelebt, wäre es für ihn, mit solchen öf-
1470 bis 1477 te mehr gemalt, wäre er nicht so abgelenkt
Lehre in der Künstlerwerkstatt von
fentlich vorgetragenen Gedanken, schnell gewesen von seinen anderen zeitrauben-
Andrea del Verrocchio in Florenz
ungemütlich geworden. Im Laufe des den Interessen. Doch diese Forschungen
16. Jahrhunderts radikalisierte Rom seinen 1476 seien nun einmal Teil des Schaffensprozes-
Umgang mit Abweichlern, gründete 1542 Anonyme Anzeige wegen sexueller ses gewesen. Auf dem Weg dahin, die
eine Sondereinheit, die »Römische Inqui- »Schändlichkeiten« »bestmögliche Malerei zu erschaffen«, sei
sition«, insbesondere das Konzil von Leonardo der beste Anatom geworden,
Trient führte bald darauf in eine unbarm- ca. 1482 bis 1499 der beste Botaniker, vieles mehr.
herzige Gegenreformation. Noch 1633 ent- Aufenthalt in Mailand, wo er von So wird dem Publikum in der Schau je-
ging der Philosoph und Naturwissenschaft- Ludovico Sforza gefördert wird ner Leonardo begegnen, der stets ein hö-
ler Galileo Galilei nur knapp dem Schei- heres Ziel anstrebte – und es nicht immer
terhaufen, weil er erkannt hatte, dass sich um 1490 erreichte.
die Erde um die Sonne dreht. Proportionsstudie »Vituvianischer Mensch« In jedem Fall erlangte er eine hohe Stu-
Leonardo hat seine Notizen, seine Ma- 1495 bis 1498 fe der Lebenskunst: Andere Maler hätten
nuskripte, seine Fabeln nie veröffentlicht. Arbeit am großen »Abendmahl«-Fresko für ihren Lebensunterhalt Werke produ-
Erst Jahre nach seinem Tod stellte ein im Dominikanerkloster Santa Maria zieren müssen, sagt Delieuvin, Leonardo
Schüler und Erbe aus seinen Schriften ein delle Grazie sei bezahlt worden, obwohl er so wenig
unanstößiges »Traktat über die Malerei« hervorgebracht habe, er sei als Individu-
zusammen, anderes blieb der größeren Öf- 1500 um bewundert worden. Er sei einer der
fentlichkeit lange verborgen. Rückkehr nach Florenz Ersten gewesen, »die die Leute dazu
Die Texte verstreuten sich in alle Welt, brachten, etwas wie Individualität zu
manches ist verschollen. Der legendäre ab 1502 akzeptieren«.
»Codex Leicester« mit seinen Überlegun- Auftragsarbeiten für Cesare Borgia, dessen
gen zum Wasser, zu den Fossilien, zum Vater in Rom als Papst Alexander VI. regiert Fast drei Monate lang ist das Blatt mit
Kosmos befindet sich in Privatbesitz. In zwischen 1503 und 1506 der Inventarnummer »8P« hinter altem
den Neunzigerjahren ersteigerte ihn der Das Bildnis der »Mona Lisa« entsteht. Florentiner Gemäuer untersucht worden,
Softwaremilliardär Bill Gates und machte dann reiste es nach Vinci, diesen Ort
die Blättersammlung für etliche Jahre zur 1513 bis 1516 in der Toskana, in dessen Nähe Leo-
teuersten aller Zeiten. Aufenthalt in Rom nardo einst geboren wurde. Es hat nun
Am Himmel der Kunstgeschichte aber ein Geheimnis weniger. Die Forscher ha-
leuchtet die »Mona Lisa« nun einmal hel- 1516 ben herausgefunden, dass Leonardo da
ler als alles andere. Bewundert wurde das Übersiedlung nach Amboise (Loire), auf Vinci nicht nur Links-, sondern auch
Bildnis früh, seine Ausnahmestellung ver- Einladung des französischen Königs Franz I. Rechtshänder war. Er hatte also nicht
dankt es aber einem Raubzug. 1911 wurde eine, sondern zwei verschiedene Hand-
2. Mai 1519
es in Paris gestohlen, zwei Jahre später schriften, beide finden sich auf diesem
Leonardo stirbt im Alter von 67 Jahren.
tauchte es in Florenz auf. einen Blatt.
Ein Mensch, zwei Handschriften.
Im Louvre in Paris, hinter der Löwenpfor- Für die Kunsthistoriker mag es bedeu-
te, erstreckt sich ein langer, schmaler Flur, Video ten, dass manches Schriftstück, manche
Leonardo da Vincis
viele Türen, hinter einer befindet sich das Einfluss auf die Moderne
Skizze, manches Gemälde neu beurteilt
Büro von Vincent Delieuvin, er ist Experte spiegel.de/sp182019davinci
werden muss. Es heißt aber vor allem, dass
für Malerei und einer der zwei Kuratoren oder in der App DER SPIEGEL Leonardo da Vinci wieder ein Stück größer
der für diesen Herbst geplanten Leonardo- geworden ist. I
114
Gemälde Der Kunsthistoriker Frank Zöllner über Zöllner: Kann sein, dass sich der neue Be-
sitzer ärgert. Aber es könnte ebenso sein,
das rekordteure Gemälde »Salvator Mundi« und die Frage, dass es ihn nicht so kümmert, ob das Bild
wie viel Leonardo darin steckt ein 100-prozentiger oder nur ein 50-pro-
zentiger Leonardo ist. Denn es handelt
sich trotzdem um die bedeutendste Kunst-
»Wette auf die Zukunft« entdeckung der vergangenen Jahre.
SPIEGEL: Und doch, wie groß ist der An-
teil Leonardos Ihrer Meinung nach?
Zöllner: Bildidee und Bildentwurf stam-
Zöllner, 62, lehrt Kunstgeschichte an der Art von Entertainment, bauen Formel-1- men zweifellos von ihm. Es gibt auch kei-
Universität Leipzig, er ist weltweit aner- Rennstrecken, kaufen den europäischen nen Zweifel daran, dass dieses Gemälde
kannt als Leonardo-Spezialist. Am 2. Mai Fußball und nun eben eine Spitzentro- zwischen 1510 und etwa 1520 entstanden
erscheint die Jubiläumsausgabe des von phäe des Kunstmarktes, sozusagen als ist. Mit Sicherheit war es als Andachtsbild
ihm herausgegebenen Werkverzeichnisses. Wette auf die Zukunft nach dem Öl. konzipiert worden. All das kann dem Bild
SPIEGEL: Längst sollte es ausgestellt wor- niemand nehmen. Und warum muss ein
SPIEGEL: Herr Zöllner, entwickelt sich der den sein, und zwar im Louvre Abu Dhabi. Gemälde unbedingt zu 100 Prozent eigen-
»Salvator Mundi« statt der »Mona Lisa« Nur wurde die Präsentation auf unbe- händig sein? Wir huldigen da einem Fe-
zum berühmtesten Bild der Welt – und stimmte Zeit verschoben. Ließe sich das tisch alleiniger Urheberschaft.
zwar vor allem deshalb, weil man SPIEGEL: Die Museen, die Kunst-
die Christusdarstellung nicht zu se- historiker haben ihren Anteil da-
hen bekommt? ran. Warum sind die Menschen
Zöllner: Zumindest im Moment denn fasziniert von diesem Bild?
wird die »Mona Lisa« klar vom Weil es, halbwegs, von Leonardo
»Salvator« verdrängt. Vielleicht ist stammt? Wegen seiner Ausstrah-
das Versteckspiel um dieses Ge- lung? Weil es einen Rekordpreis
mälde sogar Teil einer PR-Insze- wert war?
nierung, denn natürlich ist es nicht Zöllner: Das hängt mit dem über
wirklich verschwunden, sondern Jahrhunderte akkumulierten Ge-
wird absichtlich zurückgehalten. samtruhm Leonardos zusammen.
SPIEGEL: Von wem? Je mehr Zeit Ein Picasso hatte bisher nicht die
vergeht, desto unklarer scheint zu Zeit, so viel Nachruhm anzusam-
sein, wer das Werk 2017 beim Auk- meln. Der hohe Preis befeuert das
tionshaus Christie’s für die Rekord- Interesse noch, und er kam auch
summe von 450 Millionen Dollar nicht von ungefähr. Schon die
ersteigert hat. ursprünglichen Entdecker, zwei
Zöllner: Mir scheint die Infor- durchaus seriöse Kunsthändler,
mation glaubwürdig, dass es sich haben viele Millionen Dollar in
bei dem Besitzer um den saudi- die PR-Arbeit für dieses Gemälde
schen Kronprinzen Mohammed gesteckt, es wurde verkauft …
bin Salman handelt. SPIEGEL: … an einen russischen
SPIEGEL: Nur hatte sich das Emi- Oligarchen, der es bald wieder
rat Abu Dhabi in einer Pressemit- loswerden wollte.
teilung als Eigentümer vorgestellt. Zöllner: So kam es zu den Auk-
Zöllner: Weder die Herrschafts- tionatoren von Christie’s, die es
häuser von Saudi-Arabien noch mit einer ebenfalls perfekten
von Abu Dhabi betreiben eine In- Werbekampagne noch attraktiver
formationspolitik, wie wir sie uns machten.
DPA / PA
Tarnkappenfeminismus
Serien »The Bold Type« erzählt von Millennial-Journalistinnen in New York, von deren Nöten
und Sorgen und ihrem Hypermoralismus. Und Überraschung: Es macht Spaß.
AMAZON PRIME
»The Bold Type«-Darstellerinnen Dee, Stevens, Fahy: Fantastische Mode, aber was ist mit der Heteronormativität?
W
ahrscheinlich waren es Zeiten Männern. Vier Frauen, allerbeste Freundin- wachsene Frauen Mitte zwanzig geworden
der Unschuld, als das vergan- nen, erfolgreich und selbstständig. »Sex and sind, die inzwischen für eine Frauenzeit-
gene Jahrhundert seine letz- the City« wurde ein Welterfolg, die Dialoge schrift in New York arbeiten. Auch sie sind
ten Jahre runterzählte. Die waren lustig, und es gab ernsthaft Kritike- Freundinnen, auch sie sehen toll aus und
Demokratie hatte gesiegt, das Ende der rinnen, die die Serie feierten, weil sie von tragen fantastische Mode. Die Farben der
Geschichte war längst ausgerufen, der Kli- der sexuellen Selbstermächtigung der mo- Serie sind so frisch und sauber wie damals,
mawandel nur eine ferne Drohung. In den dernen Großstadtfrau im Zeitalter des Post- es gibt ziemlich viel Sex, aber jemand muss
Zentren der Macht saßen, das jedenfalls feminismus erzähle. die Drehbücher ausgetauscht haben. Die
war die weitverbreitete Annahme, einiger- 94 Folgen wurden produziert, die letzte Kinder der postfeministischen Shopping-
maßen vernunftbegabte Politiker wie Bill in den USA im Februar 2004 ausgestrahlt. Girls der Neunzigerjahre haben sich zu fe-
Clinton, Tony Blair oder Gerhard Schrö- Es gab noch zwei Kinofilme mit demsel- ministischen Millennial-Amazonen entwi-
der. Und im US-Fernsehen lief »Sex and ben Personal, aber der Zauber war verflo- ckelt. Irgendwie ist auf dem Weg das »post«
the City«. gen. Postfeminismus? Ende der Geschich- aus »postfeministisch« verloren gegangen.
Eine Serie, ungestreamt und analog, die te? Sieg der Demokratie? Zeiten der Un- Da ist zum Beispiel Kat (Aisha Dee). Kat
von vier Frauen in ihren Dreißigern und schuld, Tage des Irrtums. kommt aus einer New Yorker Psychologen-
Vierzigern erzählte. Frauen, die mittags Wie groß der Irrtum war, davon erzählt familie, der Vater schwarz, die Mutter weiß.
shoppen gingen und sich abends in schicken die Serie »The Bold Type«, und es ist, als Kat ist eine gewisse Verstrahltheit zu eigen,
Restaurants zum Mädelsabend trafen, um ob Carrie Bradshaw und ihre »Sex and the ihre Dramabegabung kann ziemlich an-
über High Heels von Manolo Blahnik zu City«-Freundinnen damals Kinder bekom- strengend sein. Sie weiß nie genau, was sie
diskutieren oder über das Geschiss mit den men hätten. Kinder, aus denen junge, er- will, wen sie will und wie sie es will.
117
Kultur
»Wahnsinn, es wächst
ein Penis in mir«
SPIEGEL-Gespräch Was ist heute eine gute Mutter, was ein guter Vater? Die Philosophin Svenja
Flaßpöhler und der Autor Florian Werner über Elternschaft und Emanzipation.
E
ine Altbauküche im Berliner Stadt- verfügt. Kinder sind das Unverfügbare ments, die etwas hinzufügt, wo vorher
teil Prenzlauer Berg. Am Kopf schlechthin. nichts war.
des Tisches ein Kinderhochstuhl. Werner: In der scheinbaren Widersinnig- SPIEGEL: Ein gemeinsames Kind, so ein
»Dort, wo früher der Platz des Pa- keit liegt der Sinn. Ein Kind zu bekommen verbreiteter Glaube, macht eine Liebes-
triarchen war, thront bei uns ein Vierjähri- mag nicht nachhaltig sein. Andererseits beziehung erst perfekt. Andererseits gibt
ger«, sagt Svenja Flaßpöhler und lacht. Ihr stellt es eine denkbar starke Motivation es wohl nichts, was eine Liebesbeziehung
Sohn ist in der Kita, ihre elfjährige Tochter dar, die Welt zu bewahren und sich nach- so belastet und gefährdet.
in der Schule. Flaßpöhler, 43, Chefredak- haltig zu verhalten. Und rein ökonomisch Flaßpöhler: Das ist genau die Herausfor-
teurin des »Philosophie Magazins«, ist durchbricht es die Logik von Gabe und derung, die ein Paar auf sich nimmt. Denn
bekannt geworden durch das Buch »Die Gegengabe, die unsere Gesellschaft sonst ein Kind zieht auch viel ab – Energie, Auf-
potente Frau«, eine feministische Kritik der so sehr prägt: die Erwartung des Homo merksamkeit, körperliche Zuwendung.
#MeToo-Bewegung. Gemeinsam mit ihrem oeconomicus, dass wir für alles, was wir SPIEGEL: Das Ideal der romantischen Lie-
Mann, dem Schriftsteller Florian Werner, tun, auch etwas zurückbekommen. be sieht vor, dass der andere für mich die
47, hat sie nun ein neues Buch veröffent- SPIEGEL: Emotional erwarten Eltern aber Nummer eins ist. In dem Moment, in dem
licht: »Zur Welt kommen. Elternschaft als durchaus eine Gegengabe: die Anerken- ich mit ihm ein Kind bekomme, überholt
philosophisches Abenteuer«*. Als während nung und Bewunderung und Liebe des ihn jemand.
des Interviews die Tochter nach Hause Kindes. Werner: Die neue Nummer eins ist das
kommt, steht Werner auf und nimmt sie in Werner: Na ja, für 260 000 Euro könnte gemeinsame Kind. Die Liebe zu ihm ist
Empfang. Flaßpöhler redet weiter. man sich andernorts auch viel Zuneigung gewaltig, wahrscheinlich zeitweise wichti-
kaufen. Im Ernst, Kinderkriegen ist auch ger und stärker als die Liebe zur Partnerin.
SPIEGEL: Frau Flaßpöhler, Herr Werner, emotional ein riskantes Investment. Es SPIEGEL: Was ist für Sie die wesentliche
was spricht heute dafür, ein Kind zu be- kann sein, dass das Kind ein Flegel wird. Erfahrung am Elternsein?
kommen? Und den erhofften emotionalen Einnah- Flaßpöhler: Es ist erst mal ein Schock. Da
Werner: Zunächst einmal: gar nichts. Öko- men stehen Ausgaben gegenüber, Schmer- ist plötzlich ein Wesen, das mit jeder Faser
logisch betrachtet, ist es ein Unding. Es zen bei der Geburt, Übermüdung in den seines Leibes von mir als Mutter abhängig
gibt schon über sieben Milliarden Men- ersten Lebensjahren, Gereiztheit. ist. Das hat etwas wahnsinnig Beglücken-
schen auf der Welt. Auch ökonomisch Flaßpöhler: Unsere Kinder haben nicht des. Aber es ist auch ein Einbruch – gerade
spricht wenig dafür. In Deutschland kostet darum gebeten, geboren zu werden. Ich in eine Existenz als moderne Frau. Es ist
ein Kind bis zur Volljährigkeit im Schnitt lehne es daher ab, etwas von ihnen zu eine Erfahrung, auf die man gar nicht vor-
knapp 130 000 Euro. Das sind die reinen erwarten. Man kennt diesen Opfergestus bereitet sein kann.
Lebenshaltungskosten, ohne Klavierunter- ja gerade von Müttern: »Ihr müsst mich Werner: Als unsere Tochter geboren wur-
richt und Meerschweinchen. oft besuchen, ich habe so viel für euch auf- de, war mein erster Gedanke: Das ist jetzt
SPIEGEL: Das Kind ein Kostenfaktor, eine gegeben!« Hier zeigt sich die ganze mora- für immer. Dabei haben wir uns heute
Ökosünde sogar: Das erinnert an die lische Macht der Frau. So will ich nicht doch daran gewöhnt, dass alles noch mal
schlichten Thesen, mit denen die Lehrerin werden. verhandelbar ist. Wir können unseren Job
Verena Brunschweiger gerade provoziert. SPIEGEL: Wie verändert ein Kind eine kündigen, uns scheiden lassen, sogar unser
Flaßpöhler: Eine Menschheit, die nicht Partnerschaft? Geschlecht ändern.
fortexistieren will, ist das deprimierendste, Werner: Der französische Philosoph SPIEGEL: »Liebe, lebenslänglich« heißt ein
was ich mir vorstellen kann. In einer sol- Jacques Derrida spricht vom Supplement, Buch der Publizistin Ursula von Arx.
chen Welt will selbst Frau Brunschweiger das eine Lücke auffüllt. Das Kind ersetzt Werner: Das bringt es auf den Punkt.
nicht leben. Dennoch sind Kinder mit den fehlende Liebe in der Partnerschaft oder Selbst wenn ein Kind die Beziehung zu
höchsten Werten der Moderne nur schwer einen fehlenden Sinn. Aber es gibt bei Der- den Eltern für immer aufkündigt, bleibt
vereinbar. Wir wollen uns heute selbst ver- rida auch eine zweite Form des Supple- es doch anwesend: als schmerzliche Leer-
wirklichen, selbstbestimmt leben, gerade stelle. Ich fand den Gedanken damals im
als emanzipierte Frauen. Dieser Wille wird Krankenhaus erschreckend, aber auch sehr
von Kindern durchkreuzt. Aber dabei schön. Alles kann einem entgleiten, die El-
lernt man: Die Momente höchsten Glücks »Es ist unheimlich, ternschaft aber bleibt.
sind genau die, über die man gerade nicht Flaßpöhler: In der Erfahrung, ein Kind zu
was da in der bekommen, liegen das Schreckliche und
das Schöne nah beieinander. Der Leib der
* Svenja Flaßpöhler, Florian Werner: »Zur Welt kom- Schwangerschaft mit Frau verselbstständigt sich, sie bekommt
men. Elternschaft als philosophisches Abenteuer«.
Blessing; 224 Seiten; 18 Euro. einer Frau geschieht.« riesige Brüste, die Milch schießt ein.
118
Werner: Weil die Perspektive, die
ich als Vater habe, radikal anders
ist als die meiner Frau. Und das,
obwohl wir versuchen, eine
gleichberechtigte Partnerschaft
zu führen. Ich habe bei beiden
Kindern sieben Monate Eltern-
zeit genommen, genauso viel wie
meine Frau, ich habe mich genau-
so viel an der Erziehungsarbeit
beteiligt, am Wickeln, am Baby-
schwimmen. Und trotzdem fehlt
mir ein wesentlicher Teil – die
leibliche Erfahrung.
SPIEGEL: Birgt das Vatersein für
Sie deshalb einen Mangel?
Werner: Wir kommen jetzt auf ver-
mintes Gelände. Bestimmte Aspek-
te kann man als Vater nicht abde-
cken. Meine Frau hat nach der Ge-
burt sehr schnell wieder Vorträge
gehalten, Veranstaltungen mode-
riert. Solange sie gestillt hat, musste
ich mich als Vater wie ein Satellit
um sie herumbewegen: mit dem
Kinderwagen stets in der Nähe des
Saals, in dem sie gerade auftrat.
SPIEGEL: Das erinnert an die neu-
seeländische Premierministerin
Jacinda Ardern, die vergangenes
Jahr zur Uno-Vollversammlung
nach New York reiste, im Schlepp-
tau ihren Mann mit dem damals
drei Monate alten Baby. Die Bil-
der wurden zur Weltsensation.
Konnten Sie sich mit der Rolle
des Assistenten abfinden?
Werner: Eigentlich schon. Außer
beim allerersten Mal, das war
eine Katastrophe: ein Vortrag in
Dresden am Hygiene-Museum,
unsere Tochter war gerade sechs
Wochen alt. Kann ich das erzäh-
len, Svenja?
Flaßpöhler: Auf jeden Fall.
Werner: Wir hatten alles genau
MADLEN KRIPPENDORF / DER SPIEGEL
Werner: Ich habe den Begriff leicht- mein erster Impuls: Jetzt sind wir
fertig verwendet. Der Philosoph Frauen damit dran, unsere Namen
Dieter Thomä hat zu Recht dagegen weiterzugeben. Aber als unsere
polemisiert. Statt von Erziehungs- Tochter ein Jahr alt war, wurde mir
arbeit sollten wir lieber von Erzie- klar, dass eine Unwucht entstanden
hungsfreude sprechen. Man kann ist: Mutterschaft ist im Gegensatz
SPIEGEL: Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder? 3 (4) Michelle Obama
6 (7) Joël Dicker Das Verschwinden Becoming
Werner: Je länger ich darüber nachdenke: der Stephanie Mailer Piper; 25 Euro
Goldmann; 26 Euro
doch. Es ist schon auffällig, wie häufig 4 (5) Sebastian Fitzek Fische, die auf
Frauen und Fahrzeuge miteinander in Ver- 7 (8) Daniela Krien Bäume klettern Droemer; 18 Euro
bindung gebracht werden. Sebastian Vettel Die Liebe im Ernstfall
gab seinen Rennwagen sexistische Frauen- Diogenes; 22 Euro 5 (6) Stephen Hawking Kurze Antworten
namen wie Randy Mandy. Und der Rap- auf große Fragen Klett-Cotta; 20 Euro
Fünf Frauen, deren Ge-
per RAF Camora besingt einen 500-PS- schichten lose miteinander 6 (12) Meike Winnemuth
Maserati. Ich glaube, dass die Metaphorik verbunden sind, müssen Bin im Garten Penguin; 22 Euro
da mehr über uns weiß als wir selbst. lernen, ihre Hoffnungen und
Wünsche mit der Lebens-
SPIEGEL: Bedeutete es für Sie einen Un- realität zu vereinbaren
7 (7) Jürgen Todenhöfer
terschied, einen Sohn oder eine Tochter Die große Heuchelei Propyläen; 19,99 Euro
zu bekommen? 8 Sibylle Berg
(9) 8 (9) Andrea Wulf Die Abenteuer
Werner: Als ich erfahren habe, dass unser GRM Kiepenheuer & Witsch; 25 Euro des Alexander von Humboldt
zweites Kind ein Junge wird, hat mir das C. Bertelsmann; 28 Euro
Angst gemacht. Zuvor war ich der Hahn 9 (10) Marc Elsberg Gier! Wie weit
im Korb, eine komfortable Situation. Vor würdest du gehen? Blanvalet; 24 Euro 9 (3) Anne Fleck
allem aber dachte ich: Mein Gott, der Ran an das Fett Wunderlich; 24,99 Euro
nach der Feindiagnostik war: Wahnsinn, 19 (17) Bela B Felsenheimer 19 (18) Jan Haft
es wächst ein Penis in mir. Scharnow Heyne; 20 Euro Die Wiese Penguin; 20 Euro
SPIEGEL: Frau Flaßpöhler, Herr Werner,
wir danken Ihnen für dieses Gespräch. 20 (20) John Grisham 20 (16) Eckart von Hirschhausen / Tobias Esch
Das Bekenntnis Heyne; 24 Euro Die bessere Hälfte Rowohlt; 18 Euro
121
Kultur
Das Phantom
geschichte darüber lernen können. Wann es das schon einmal
gab und vor allem: wie wir da wieder herauskommen.
Als das Buch vorigen Sommer in den Vereinigten Staaten
erschien, hat sie ihrer alten Zeitung gleich ein ganzes Ich-
Schock-Interview gegeben, fast schon exhibitionistisch für
Literaturkritik Michiko Kakutani war eine die Verhältnisse eines mächtigen Phantoms. Über die Freuden
der wichtigsten und geheimnisvollsten des Nicht-mehr-Rezensierens zum Beispiel sagte sie, es be-
Buchkritikerinnen der USA. Jetzt hat sie deute für sie »die Unschuld des Lesens zurückzugewinnen,
Lesen um der reinen Freude willen«.
selbst eins geschrieben. So wie damals, ganz früh im Leben der Michiko Kakutani,
die in New Haven, Connecticut, als Tochter eines japanisch-
Keine
Mindest-
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Nachrufe
Martin Böttcher, 91 Die Wiederbegegnung mit
»Ich musste nicht lange der jubelnden Bevölkerung
überlegen, bis mir die beschrieb er als eines der
passenden Noten einfielen, prägendsten Ereignisse
die Musik kam aus dem seines Lebens. Flucht, Exil,
Bauch« – so erinnerte sich Widerstand und Heimkehr
der Komponist Martin Bött- begründeten sein Ansehen
cher an die Entstehung sei- und seine Beliebtheit. 1964
ner bekanntesten Werke: folgte er seiner Mutter
der Filmmusiken zu »Der Charlotte auf den Thron,
Schatz im Silbersee« (1962) im Jahr 2000 verzichtete er
und anderen Karl-May- zugunsten seines ältesten
Adaptionen. Böttchers Sohns Henri auf die Krone.
Melodien mit ihren elegi- Fünf Kinder, mehr als
schen Streicherarrange- 20 Enkel und zahlreiche
ments passten perfekt zu Urenkel sichern den Fortbe-
den deutschen Western der stand der tiefkatholischen
Sechzigerjahre, sie klangen Dynastie aus dem Fürsten-
nach großer weiter Welt haus Nassau-Weilburg, die
und sämiger Heimeligkeit in dem Land mit 614 000
zugleich. Seine wahre Liebe Einwohnern, einem Aus-
stellte auch neurotische Figuren dar, wie die Schriftstellerin »Jang«, wie er in der Lan-
Hanna Flanders in Oskar Roehlers Psychodrama »Die Un- dessprache genannt wurde,
berührbare« (2000). Wenn sie in diesem Film wieder mal im Mai 1940 unmittelbar
durch den Raum stöckelt, nervös an ihrer Zigarette ziehend, vor dem deutschen Ein-
ist sie trotz ihrer manchmal nervigen Gespreiztheit so betö- marsch mit seiner Familie
rend wie fast 40 Jahre zuvor in »Die endlose Nacht«. nach Großbritannien geflo-
Elsner konnte auch sich selbst perfekt in Szene setzen. hen, wo er in das Regiment
In einem Interview, das sie 1995 SPIEGEL TV gab, spielt sie der Irish Guards eintrat. rauschender Feste. Klug-
mit dem Blatt eines Baumes, während sie von ihrer Kind- Mit den Streitkräften der heit und Hedonismus gehör-
heit erzählt. Sie wirkt dabei unschuldig und lasziv zugleich. Alliierten kämpfte er und ten für ihn zusammen.
Sie vermittelte den Eindruck, jeder Tag sei für sie ein kam im September 1944 in Carl Jakob Haupt starb am
24-stündiger Flirt mit dem Leben. Hannelore Elsner starb britischer Uniform in das 19. April in Bad Saarow,
am 21. April in München. LOB befreite Luxemburg zurück. Brandenburg, an Krebs. RAP
über 60 Prozent aller Frauen Text dazu heißt es: »Ich hätte band in den Neunzigerjahren.
im Alter von 14 bis 94. Auch nie gedacht, dass ich noch mal Schon damals galt das Zeigen
das Model Cara Delevingne, Achselhaare brauchen würde, von Haar unterm Arm als
26, immer mal wieder als nachdem ich sie mit Laser ent- unangepasst. KS
»Vergebens gewartet«
BENJAMIN PRITZKULEIT
127
»Sollte der Gottesglaube irgendwann tatsächlich aus Deutschland
verschwunden sein, werde ich dies daran erkennen, dass der SPIEGEL zu
Weihnachten und Ostern kein religiöses Thema mehr auf den Titel hebt.«
Frank Seitz, Rellingen (Schleswig-Holstein)
Der Himmel in uns was ist, durchströmt – Pflanzen, Tiere, Kulturen, die ihren Ursprung nicht pflegen,
Menschen – und ihnen Leben verleiht. Da- verlieren ihre Identifikation und gehen un-
Nr. 17/2019 Wer glaubt denn sowas?
her finde ich als bewusst lebender Mensch ter. Wir in Mitteleuropa leben in einem
Warum selbst Christen keinen Gott mehr
brauchen diese Kraft, die wir Gott nennen, immer christlich geprägten Raum. Wenn die Wer-
in seiner Schöpfung. Und das heißt, ich te der Ethik und Moral zugunsten von Ego-
»Man kann die Bibel ernst nehmen – oder finde Gott immer auch in mir selbst, als ismus, unbegrenzter Freiheit und Materia-
wortwörtlich« (Heinz Zahrnt). Wer sich Gefühl, aber auch als innere Kraft, die lismus aufgegeben werden, gehen wir,
die Mühe macht, sie ernst zu nehmen, fin- mich bis jetzt noch nie im Stich gelassen langfristig gesehen, unter wie viele andere
det einen Schatz an Lebens- und Glaubens- hat. Es ist völlig egal, wie man diese Ener- Imperien auch.
erfahrungen. Wer sie wörtlich nimmt, ge- gie nennt, ob Gott, Allah oder Krishna, sie Bertold Hieber, Uslar (Nieders.)
rät in Dauerkonflikt mit seinem Intellekt. ist für jeden Menschen, der sein Bewusst-
Paul Kluge, Leer (Nieders.) sein dafür öffnet, unmittelbar erlebbar. Vielen Dank für die Titelgeschichte, die
Lothar Pelz, Baden-Baden Sie uns auf den Ostertisch gelegt haben.
Ihr Titelbild ist eine Provokation. Über an- Immerhin: Wir können uns über die Hin-
dere Weltreligionen würden Sie so nicht terlassenschaften dieses jahrhundertealten
urteilen. Zum höchsten Fest der Christen Irrglaubens – in Architektur, Malerei,
erwarte ich von Ihrem Magazin mehr Res- Musik, Literatur – freuen. Doch worüber
pekt und Toleranz. werden sich nachkommende Generationen
Barbara Steinmüller, Oberaudorf (Bayern) unserer aufgeklärten Zeit wohl freuen?
Endlich mehr bauen dem Mehrerlös ließe sich Eigenkapital für Bauordnungen der Länder mit ihren völlig
junge Familien finanzieren. überzogenen Forderungen hinsichtlich der
Nr. 16/2019 Wohnen ist zur neuen
Volker Ollesch, Ahaus (NRW) Wärmedämmung und des Brandschutzes?
sozialen Frage geworden, die Politik findet
aber kaum Antworten Die Investoren werden weiter investieren,
In Schleswig-Holstein beträgt die Grund- denn im Vergleich zu den Nullzinsen ver-
erwerbsteuer 6,5 Prozent. Könnte man dienen sie immer noch genug. In einer
diese für Erstwohnraumkäufer nicht deut- Stadt, in der nur noch die Gutverdiener
lich reduzieren und für börsennotierte leben, möchte ich nicht wohnen.
129
Hohlspiegel JETZT IM HANDEL: Rückspiegel
WARUM Zitate
SCHEITERT
mit SPD-Bundesumweltministerin Svenja
Schulze (»Als Politikerin kann
Schild an einem Bürogebäude in Wien ich mir Panik nicht leisten«, Nr. 17/2019):
PEOPLE ANALYTICS
»Manchmal wirken ihre Auftritte wie aus
einem Splatterfilm von Quentin Taran-
Mit Daten die wahren tino«, schrieb der SPIEGEL. Dazu passt
die Antwort, die Nancy Pelosis jüngste
Talente entdecken Tochter Alexandra auf CNN gab, als sie
gebeten wurde, die Verhandlungstaktik
Der auch.
Spitzenmäßig.
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