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Lebber Talp

Die Geheimsprache der Backofenbauer aus Bell

von Hanna Mengen (Bell)

„Kütt dat Nächdäm us Nobb oda us Znällbock?" Dass man auf diese Frage keine Antwort weiß,
geschweige denn, sie versteht, muss einem nicht unangenehm sein, sondern gehört zum vorrangigen
Zweck der Frage. Denn die unbekannten Wörter sind Lebber Talp, Geheimsprache der Backofenbauer im
Eifeldorf Bell. Sie sollte und soll ausschließlich einem kleinen Sprecherkreis vorbehalten sein. Die Sprache
erfüllt diesen Zweck umfassend, denn selbst wenn man als Laie die grammatische sowie lexikalische
Struktur erlernt, ja, selbst wenn man die Sprache wie Vokabeln auswendig lernte, ohne tägliche
Sprachpraxis hätte man kaum eine Chance, sich auf Lebber Talp zu verständigen.

Denn das Schwierige an dieser Sprache ist nicht, dass die geheimsprachlichen Lexeme durch Neologismen
ersetzt werden (wie bei konstruierten Geheimsprachen der Fall), sondern dass Wörter aus dem Beller
Dialekt, also der Alltagssprache, rückwärts gesprochen werden. Nicht jedes Wort, sondern nur
bedeutungsrelevante Begriffe wie Verben und Substantive, werden sozusagen gedreht, z.B. „Nächdäm"
(Mädchen), „Nobb" (Bonn) oder „Znällbock" (Koblenz). Auch wird immer nur der Stamm gedreht, heißt
Suffixe und Affixe bleiben bestehen, so wird aus „Beller Platt" „Lebber Talp". Doch wirklich einfacher macht
dies die Sache nicht. Denn nicht nur, dass nicht immer konsequent rückwärts gesprochen wird, sondern bei
mehrsilbigen Wörtern jede Silbe, bei Komposita die jeweiligen Lexeme einzeln genommen, gedreht und
wieder an ihren Ursprungsort im Wort zusammengesetzt werden, auch die Haupt-Ausgangssprache Dialekt
ist für Außenstehende und Nicht-Eifler kaum zu verstehen.

Zudem gibt es viele Ausnahmen dieser sprachlichen Strukturen, „Mädchen" ist so eine. Nach oben
genannten Regeln müsste es eigentlich „Dämnech" heißen, sprich, jede Silbe wird einzeln gedreht und beide
wieder aneinandergesetzt. Warum es aber nun „Nächdäm" heißt, das Substantiv also komplett rückwärts
ausgesprochen wird, lässt sich nur vermuten. Vielleicht ist es einfacher auszusprechen, vielleicht wäre
„Dämnech" für Lebber-Talp-Laien aber auch zu leicht zu verstehen. So gibt es hier drei Faktoren, warum
diese Geheimsprache so gut funktioniert: erstens das Rückwärtsaussprechen von dialektalen Lexemen und
zweitens die inkonsequente Durchführung dessen. Der dritte Grund ist, dass bei dem tatsächlichen
Gebrauch die Sprecher Beller Platt und Lebber Talp im Wechsel verwenden und es heißt, dass selbst die
Backofenbauerfrauen, die wohl neben ihren Ehegatten am meisten mit dieser Sprache vertraut waren bzw.
sind, auch nicht alles verstehen konnten.

Doch warum gibt es dies Geheimsprache? Bell liegt im Norden der Vulkaneifel, gehört zum Kreis Mayen-
Koblenz und galt bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein als Zentrum des rheinischen
Backofenbaus (aufgrund der dortigen Vorkommen eines besonderen Tuffsteins). Die Backofenbauer hatten
ein sehr weiträumiges Auftragsgebiet, welches sie bis ins Ausland (u.a. Frankreich, Luxemburg oder
Belgien) führte. Der Aufbau eines Backofens musste immer vor Ort und von den Bellern selbst getätigt
werden und dauerte je nach Größe bis zu zwei Wochen, in denen die Handwerker bei ortsansässigen
(Bäckers-)Familien übernachteten, also auf engstem Raum mit Fremden. Daraus entstand das Bedürfnis,
sich im Beisein der Familien trotz allem ungestört miteinander unterhalten zu können, sei es, um der
Geheimhaltung von Informationen willen oder der Vermittlung eines Zusammengehörigkeitsgefühls in der
Fremde.

Bis heute ist nicht klar, wann das Lebber Talp entstanden ist, fest steht, dass es nicht mehr von vielen
verstanden und von noch weniger Bellern aktiv verwendet wird. Denn wie auch bei anderen
Geheimsprachen (siehe „Sprachen im Rheinland" -> „Geheimsprachen") ist das Lebber Talp in einer

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spezifischen sozialen Situation und Umgebung mit einer deutlichen Funktion entstanden, die zwar, im
Gegensatz zum Rotwelschen etwa, kein Ausdruck sozialer Missstände war, aber trotz allem sehr
situationsspezifisch.

Diese speziellen Arbeitsbedingungen aber haben sich im Zuge der fortschreitenden Modernisierung und
Globalisierung geändert. Es ist für die Beller Backofenbauer nicht mehr vonnöten, bei den Auftraggebern zu
übernachten, sie können sich ein Hotelzimmer nehmen. Auch ist das Handwerk an sich durch die
Industrialisierung stark zurück gegangen, inzwischen existieren nur noch drei Betriebe, die sich mit dem
Bau von Backofen ihre Brötchen verdienen (im Vergleich dazu gab es in den 20ern des letzten Jhs. noch
ca. 500-600 Backofenbauer in Bell). Nicht zuletzt ist ein weiterer Faktor ebenfalls maßgeblich am Rückgang
der Geheimsprache beteiligt: die Ausgangssprache, also der Dialekt, wird immer weniger verwendet, vor
allem von den jüngeren Generationen.

Demnach sieht es für einen Fortbestand der Geheimsprache in ihren ursprünglichen Funktionen, der
Abgrenzung zu Fremden und der Geheimhaltung von Informationen, nicht rosig aus. Eine Untersuchung im
Jahre 2008 anhand von Fragebogen und Interviews mit ehemaligen und aktiven Backofenbauern aus Bell
hat ergeben, dass das Lebber Talp trotz allem über- bzw. weiterleben kann. So sind einige frequente
Lexeme (wie „Nächdäm" oder „Schajoh" (‚Arschloch')) inzwischen ins Beller Platt übernommen worden.
Doch sichert dies ein Überleben, wenn die kommenden Generationen immer weniger Dialekt sprechen? Das
scheint eher nicht der Fall zu sein. Wahrscheinlicher ist, dass das Lebber Talp als eine Art Spaßsprache
fungieren kann. Denn da die soziokulturellen Gegebenheiten mit den daraus entstehenden Funktionen
schwinden, kann nur ein Funktionswandel eine weitere Verwendung sichern.

Das heißt in diesem Fall, dass sich die Bewohner des Dorfes, also nicht mehr nur die Backofenbauer, über
diese spezielle Geheimsprache ein Stück weit identifizieren und abgrenzen können (z.B. zu den Bewohnern
anderer, benachbarter Dörfer) und sie in einem bestimmten Rahmen tradieren. Für diese Annahme spricht,
dass seit letztem Jahr, in etwa zeitgleich zur oben genannten Untersuchung, plötzlich ein mediales
Interesse an der Geheimsprache herrscht. Markant war in diesem Zusammenhang ein Beitrag vom
regionalen Fernsehen, u.a. über das Lebber Talp, in welchem eine TV-Sequenz aus dem Tatort von zwei
kompetenten Sprechern auf Lebber Talp synchronisiert wurde. Dies führte zu allgemeinem Gelächter unter
den Zuschauern, den Bewohnern Bells. Es ist möglich, dass sich daraus ein gewisses spielerisches
Interesse entwickeln kann. So findet das Lebber Talp aufgrund der sich verändernden politischen,
kulturellen und vor allem sozialen Umgebung in seiner ursprünglichen Funktion nur noch wenig Verwendung,
hat aber trotz allem die Möglichkeit, durch einen Funktionswandel weiterhin zu bestehen.

Literaturliste:

Gemeindeverwaltung Bell (Hrsg.) [1993]: 900 Jahre Bell. 1093 – 1993. Chronik eines Dorfes. [ohne Verlag].
[ohne Ort]

Honnen, Peter (1998): Geheimsprachen im Rheinland. Eine Dokumentation der Rotwelschdialekte in Bell,
Breyell, Kofferen, Neroth, Speicher und Stotzheim. Rheinland-Verlag GmbH. Köln.

Schneider, Karl (2000): Bell 2000. Ortsbeschreibung und Bestandsaufnahme für die Gemeinde Bell. [ohne
Verlag]. [Bell].

Schneider, Karl [1998]: Beller Platt und Läppe Tallep. Ein Wörterbuch. [ohne Verlag]. [Bell].

Wegera, Klaus-Peter (1987): Lebber Talp. Die Geheimsprache der Backofenbauer aus Bell in der
Nordosteifel. In: Knoop, Ulrich (Hrsg.): Studien zur Dialektologie I. S. 183-206

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http://www.swr.de/landesschau-rp/-/id=122144/did=3558670/pv=video/gp1=3558670/nid=122144/aany54
/index.html
(Tatort-Sequenz auf Lebber Talp)

Das Lebber Talp war das Thema der universitären Abschlussarbeit der Autorin. Bei Interesse kann die
Arbeit bei ihr eingesehen werden.

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